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Benediktinifche
Monatſchrift
zur Pflege religiöfen und geiſtigen Lebens
herausgegeben von der
Erzabtei Beuron
6. Band
1924
Verlag der Beuroner Hunſtſchule, Beuron (Hohenzollern).
10A STAC
Druck des Kunſtverlages Beuron.
E 7
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Inhalt
Aufſãtze
chriſtozentriſche Rirhenmufik (P. Fidelis Böſer ))) .
Sacramentum magnum. Epiphanie und Ehe (P. Sufo Mauer-,
Die Predigt vom himmelreich nach dem Evang. des hl. Matth. (P. Bernh. Seiller)
Slaube und kirche (P. Alois Nager;
Chriftus im Gleichnis der Sonne (B. Anfelm Manſer ))))
Freuet euch! (P. Willibrord DerkRa be ·-ᷣ/⸗ʒůhõ - 2222er.
Symboliſche Srablegung bei der Ordensprofeß (Abt Raphael Molitor
Germania sacra (P. quſtinus Uttenweileererr rr
Die Familie als Grundlage benediktiniſchen Mönchtums (P. Sigisbert Mitterer) .
Prieſter und Mönch (P. Emmanuel Heufeld err
Dom Sinn des Mönchtums (P. Hotker Würmſeerrrrurur 22...
filöſterlicher ommunismus (B. Maurus Xa. Deindl 77
Der Anteil der Benediktiner an der Beftaltung des bandſchafsbildes (P. M. Barthel)
Schäftlarn (P. Sigisbert Mittererrrr 2 2220er.
Der Einheitsgedanke im kirchl. Leben der Faften- u. Oſterzeit (P. E. ee
Der Weg zur Kirche (P. Hotker Würmſeerr dd
Abt Sigisbert Giebert von Schäftlarn (Die Schriftleitunnn d
Abtbiſchof Waldo, der Begründer des Goldenen Zeitalters der Reichenau (P. Em-
manuel mundinghg;)))))))⸗ „ 153,
O beata Trinitas. Dom Sinn und Werden des Dreifaltigkeitsfeftes (P. St. Hegel)
Glaubens leben und ſittliches Derhalten (P. Alois magerrꝰ)hh
Dom 3. Pothier u. feine Bedeutung für den gregor. Choral (PB. Dominikus Johner)
Eine Romfahrt vor bald 25 Jahren (Abt Plazidus Slogg er))
Eine Schule des geiſtlichen Lebens (P. Benedikt Bautr dd
Mariens Lebensabend und ihr feliger Tod (B. Willibrord Derkade yy
Kultur ſchaffen und Chriſtentum (P. Alois mager̃r 222.0.
Die Bedeutung des humanismus für die kath. Erziehung (P. Adefons Widönmann)
Himmliſche Buchführung (P. Bernhard Seillerrꝛꝛ 22220.
Miſſionspflicht, Miffionswefen und »Giteratur (P. Hieronymus tiene) . . 265,
dur Entzifferung der leumen (P. Dominikus Johner )
Die literariſche Bekämpfung des Chriftentums in der Antike (B. Fr. Anwander)
Die Perle als religiöfes Symbol (P. 080 Caſelu j
Der Wandel in der Gegenwart Gottes und die hl. Therefia (B. Alois Mager)
Die heiligen im Bewußtfein des Mittelalters und der Neuzeit (P. Sigisb. Mitterer)
Die hl. Erentrudis. Erfte Äbtiffin der Frauenabtei Honnberg zu Salzburg (D.
m. Raphaela Schlichtn ern
Zur Pſuchologie der Orden (P. Alois Mager
Befunde Frömmigkeit (P. Wolfgang v. Czernin-ꝛꝛꝛꝛꝛꝛ
IV
. Seite
Die liturgiſche Weltſprache (P. Fidelis Böſ er 390
dur Geſchichte des Klofterfeminars in Scheyern vor dem Jahre 1803 (Ober-
ſtudiendirektor a. D. m. Rottmanneer rr 398
Dom alten „Snadenhaus Mariä zu Grüſſau“ (B. Nikolaus v. Dutterotti) .. 414
Wie der gottſel. Thomas von iempen mit dem Kirchenjahr lebte (P. St. Begel) 420
Kleine Beiträge und Binweife
budwig von Paſtor zum 70. Geburtstag (B. Sturmius liegel ) 69
dur 6. Jahrhundertfeier des hl. Thomas von Aquin (B. Adalbert v. ee 70
Herders Jeitlexikon (P. Hieronumus Hieneeaaagggg-ͤg--¶“9 71
Die Sonntagsepifteln in der Predigt (P. Oaurentius Rupp )) 143
Aus der liturgiſchen Bewegung in Öfterreih (Fr. Athanaſtus Winterſig ) . 144
biturgiſche „Neuerungen“ am Rhein (P. Joannes Vollmar) 145
Mittelalterliche Buchmalerei (P. Adalbert Schipperaga -)) 212
Almanach catholique francais pour 1924 (P. Sturmius Regel) ........ 213
biturgiſcher Kongreß in Mecheln 4.— 7. Huguft......... 22222000. 224
Nikolaus Sihr (P. Fidelis Böſe rr 288
Die Muſtik des hl. Bernhard von Clairvau (B. hugo Lang)... :...... 354
Dom 27. Euchariſtiſchen Rongreß zu Amfterdam ......... 2.2.2022... 357
Liturgie und Dolksfeelforge (P. Fidelis Böfer) ........ 2.222202. . 431
Don den iriſchen Slaubensboten (C. Stigler) .....-. 22222222 enn 434
Überfegungen » Verſuche · Gefefrüdhte
Feierlied auf die heilige Kirche. Aus der alten ſuriſchen Kirchweihliturgie (Über-
ſetzt von P. Pius Jinger le-
Bin zu Chriſtus! (Biſchof Sigmund Waitz-;)ů: : 29
Wurzel des Lebens (B. Sturmius fiegel .. 38
Heilige Seelenluſt (Ruusbroeck; überſetzt von B. Willibrord Derkade)....... 53
Karfreitag (P. Emmanuel Heufel der 106
Semeinſchaft (B. Notker Würmfeer) . en nee ae iaee 112
Seelenfrühling (derſelbee-“ů))))ʒy 123
Weißer Frühlingskrokus (Seöicht von demſelbenrnr dg. 131
Andern hat er geholfen (P. Emmanuel Heu felder 136
Seliges Sterben (Sedicht von P. Notker Würmſeer 2... 141
Anrufung der heiligſten Dreifaltigkeit (Aus dem römiſchen Brevier)...... 188
Wege zum Choral (Nach Abt Benedikt Sauteerr·-⸗;;y hh 196
Paulusleſung (Aus dem hl. Chruſoſtomu)))ö õ 208
Blühende Kakteen (P. Sturmius Regel 22220 eneenn 228
edelmenſch und heiliger (A. Rademacheeerss een 238
Alſo hat Gott die Welt geliebt (J. Wittig)... 9) 247
Die dunkle Uacht der Seele (Gedicht des hl. Johannes vom Areuz; überſetzt von
Melchior von Diepenbrochchch / 264
Sonnenuntergang und Sonnenaufgang (Nach C. Ferrinii “d 320
Aufftiege zu Bott (nach demſelberdrnrr-an⸗nʒ 222er eerernene 342
Adspiciam a longe (Rövents-Refponforium; überſetzt von R. Guardini). 389
Beſprochene Bücher
g Selte
Abele, E., Der Dom zu Freiſteiiaů ng 358
“van Aken, J., Chriſtozentriſche Rirchenkunſſßt . 1, 77
“Almanach catholique francais pour 194A 213
Arnold, B., Das Leben des hl. Horbiniaa gg 358
S. Augustini Confessiones, Auswahl v. Wolfſchläger u. Roch 218
Auguſtins Confessiones, Auswahl v. urfe ::. 218
Bierbaum, M., Papſt Pius ¶J ie 218
Böckl, C., Die Euchariſtielehre der ie Wyftiker des Mittelalters. 420
Brauer, ch., Adolf Rolpinndnda¶d¶gagdgdgdgdgdgsgsgssss 361
Chrift, J., Der Laienapoftel (I. Des Mannes Rredohʒ⁸rthre?ee 293
6. de Cisneros -Schlichtner, Eine Schule dgs geiſtlichen Debennss 209
Cumont, F., Die Myfterien des Mithtrtrr aqa. 146
Donat, 9. Logica — Ontologia — Psychologia .......... . 216
Döring, C., Dom Juden zum Ordensſtifter SERIE EC Bee 216
v. Dunin-Borkowski, St., Gebete und Gedanken 150
— Schoöpferiſche Viebtev hh 149
Felder, 9. Zefüs Chriss 146
Ferrini-Pellegrini-Mut, Gedanken und Gebeee 320
Feſtgabe, Wiſſenſchaftl., zum 1200-jähr. Jubiläum des hl. Korbinian (Schlecht) 358
Feu. AL, Advents- und Weihnachtsbetrachtungeasas 75
»Fleiſcher, O. Die germaniſchen Nleumen eg 280
Forbes, F. N., Papft Pius “i iii 218
»Franſes, D., Die Werke der hl. Quodvultdeunas 0.. 58
Frenken, G., Quellen zum Leben Karls d. G&G —m 222-2220 218
Bebete, hit 147
»Sihr, IL, Das heilige Meßopfer; u. eꝶ al...... 288
van Binneken-Winkel, Der ganze Chriſtzaun sss 147
Bottesdienft, Der, an unſeren Hochfeſten im Benediktinerorden (l 73
*Gougaud L., Gaelic Pioneers of Christianiyuyhh ... 434
Srabmann, M., Das Seelenleben des hl. Thomas von Rquj n 291
»Sröber, K. nnd Merk, N., Das St. Honraòsjubiläum 1923. 80
Sröhl, R., Die Aöventiſten und ihre D ehren 146
Groſſe, E., Die oſtaſtatiſche Tuſchmal eri 77
Suar dini, R., Der ſtreuzweg unſeres herrn und Beilandes . „ 148
»St. Heinrichs literatur 19zͥ“yXcDJ000ͥh 0 366
von Hirſcher⸗Wibbelt, Betrachtungen über die ſonntäglichen Evangelien... 294
houtryve, J., La Vie dans la Pack. 360
Jaco bi, Ft., Die deutſche Buchmalerei in ihren ſtiliſtiſchen entwicklungsphaſen 212
Johannes vom kreuz, Des hl., Gedichte. 264
*Aeftenberg, D., Muſtkerziehung und Muſtkpfl egg 15
Kirchliches handbuch für das katholiſche Deutſchland (roſe )) 150
Klaſſi ker Rkatholiſcher Sozialphilofophie, ſtehe Brauer u. Schwer . 361
Klug, J., Der Heiland der Welt 215
Au or, 9. B., Das Paienapoſtolaall² kk 294
— Pauliniſche 8entenzzenmnng”ddd 215
er ]ð⅛ A 215
=: Therelia; Die BL: .. 8 217
könig, W., Zurück zu Thomas von Nquj unn 291
* Bücher mit vorgeſetztem Stern find in Nuſſätzen oder kleinen Beiträgen behandelt.
VI
Seite
Rorbinianslegende, herausgegeben von J. Schlechte. 358
Krebs E., Die Kirche und das neue Curoer enen 360
— Dogma und PDebe nnd 32 . 2360
— Was Rein Auge geſeherreddddddd‚ 362
Krick, b., Die ehemaligen ſtabilen Klöſter des Bistums Paſſaavuu 219
Rugler, F., Don Mofes bis Paulddssdʒzddʒddʒdd. 72
bange, E., Wladimir Solow ioo. 148
»Pinhardt, R., Die Muſtik des hl. Bernhard von Clairvaun kn 354
Lippert, B., Das Weſen des Ratholiſchen Nenſcheeeeeee aa 74
— Der hl. Roſenkran zzz VCC 148
— Don Seele zu SeelmedadÖ’ . 75, 362
— Fur Pfyhologie des Jeſuitenorde nnn. 369
Manfer. H., Der heilige Kreuzweg 148
"Maria baach, Abtei, Die betende Rircghhiiie hh 431
— biturgiſche Volksbüchleignggggssss 431
»Martin, Fr., Berchtesgadeeenrnnnnnn 68
maunage- Hoffmann, Die Religion des Spiritism uuns 293
Mengwaffer, 8., Commentarii in hymnos Breviarriii 74
»miſſionsliteratur, Die gefamte des Xaveriusverlages Nachen . . 265, 404
Dewman, g., Der Maimone e 148
— Gott und die Seele 148
— Karfreitagsbetrachtungereeee nd 148
*Dapft Pius XI., Runöfchreiben zur 6. Jahrhundertfeier des hl. Thomas v. . 70
— Zum 300. jährigen Todestag des hl. Joſap hae 360
Parſch, P., Aus Brevier und meßbuch (- Vv“hh))))2)n)0! 73
*Baftor, b. v., Charakterbilder Rath. Reformatoren des XVI. Jahrhunderts . 69
— Geſchichte der Päpſte. IX. Bann „„ 69
»Pfeilſchifter, 8., Die St. Blaſtaniſche Germania Sacra 59
»Pfiſter, K., Die mittelalterliche Buchmalerei des Abendlandes 212
Poſchmann, B., ftirchenbuße und correptio secreta bei Auguftinus .... 216
Rainer» Kogler, Der hl. Franz 8oklas n 217
Scheurlen, P., Die Sekten der Gegenwart. Pur 361
Schlecht, J., Rebe Feſtgabe und Rorbinianslegende .....-.......... 358
Schlund, E., Neugermaniſches Beidentum .........-.-enrrnen. 219
Schlund Schmoll, Der moderne Menſch und feine religiöfen Probleme 361
» Schmidt, W., Das feierliche Hochauiuek!!ku 144
Schöpfer, K., Seſchichte des Alten Teſtamentss gz. 214
Schwer, W., Papſt bes LIůů“⏑“/„“„ 361
Solowjeff-Peftalozza, Drei Redeꝛenmwwd 148
Spalding, g., Srundfäge chriſtlicher Lebensführung und Erziehung 148
Stufler, J., Divi Thomae Aquinatis doctrina de Deo operante...... 290
Tillmann, Fr., Die ſonntäglichen Epiſtee nnn. 143
Tiſchgebet, Das liturgiſ cette. 74
Tüshaus, K., Vater BenedikRtuunn n 76
»Wagner, P., Einführung in die katholiſche Kirchenmuſt k 15
Waſſerzieher, E., Sprachgeſchichtliche Plaudereiiengnss 76
Weigert, J., Das Dorf entlaæaaeggzgaeagasas nnn. 151
— Die Volksbildung auf dem Dandene 151
»Wölflin, 8., Die Bamberger Npokalupſ a re 212
“Aeitlerikon. Herdee sed aka 71
Aus dem Orden des hl. Benediktus
Seite
Trauer und Freude in Einſte deln 78
Aus der ungariſchen Rongregatindddddddddddddzddz 78
Dom St. Ulrichs - und St. Konraòsjubilauvguuuu 79
Um die Salzburger Univerſttll·lͥz⁴iuſ 220
Abtei vom hl. Kreuz zu Berftelle a. d. Weſee egg 221
P. Maurus Rinter zum 60jährigen Profeßjubil .......... 2.0... 223
Schreiben Sr. Heiligkeit Papſt Pius XI. an den Abt⸗ Primas des Ordens. 295
Brief aus Ungam ... 2.2.2222: nennen. ur r 296
ein letzter Gruß dem + P. Felix Hintemeyer, Prior u. Generalvikar von Belmont 363
Abtbiſchof Leo Haid von Belmoert᷑rrrttt eeennn 363
Abtei Grũſſau in Schleſ iin 364
St. Erentrud zu Kellenried in Oberſchwaben 7d 365
Dom heiligen Aaifer Heinrich und feiner Jahrhundertfeier 19221ùuu . 366
Bilderklärungen
Zu den Exlibris von Schäftlarn (P. Auguſtin Ulrih) .....-........ 152
St. Pirmin fäubert die Reichenaii ee 224
St. erentrudſtatuen vom Honn berge 368
gohannes der Täufer und Martinnlnn¶ ns 440
ſtunſtbeilagen
B. Defiderius Lenz, Heilige Familie (Relieff̃ꝛꝛꝛꝛꝛꝛ . 1
0. Hupp. St. Dionus und Juliana (Exlibris); 81
A. Pacher, St. Dionus (exlibrissasçh ;;); 96
Beuroner Schule, St. Pirmin ſäubert die Reichenau (Fresko) .......... 153
Orcagna, Mariä Heimgang (Relief) ......-.-...- 2222 ernennen 225
Stift Honnberg zu Salzbunnnnnn nns 297
St. Erentrud (Statue, altgotilh).---- --- - >> - 2-20 nn. 312
St. Rupert und Erentrud (Statuen vom Portal der Stiftskirche TIonnberg) .. 313
Beuroner Schule, Johannes und Martinus (Relief)........ ee 369
Textbilder
Exlibris des Abtes Sigisbert von Schäftlarn (O. Hhup⸗ofhhhh))ʒß 124
Wappen der Abtei vom hl. Kreuz zu Herſtelle a. d. Weſerr 223
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P. Defiderius Denz: Heilige Familie
(münchen 1858)
Chriſtozentriſche Kirchenmuſik.
von P. Fidelis Böſer (Beuron). |
in neues Jahr hebt an. Darf heilige kunft den Reigen eröffnen?
Warum follte fie es nicht dürfen? Sie präludiert und intoniert
ja auch im Beiligtume, an der geweihten Pflegeftätte höchſten reli⸗
giöfen und geiſtigen Lebens.
Im letzten Jahrgang dieſer Zeitſchrift hat das Werk van Ackens,
„Chriſtozentriſche kKirchenkunſt“! eine Würdigung erfahren, ſoweit die
bildende Kunſt in Betracht kommt. Die anregenden Unterſuchungen
van Ackens erſtrecken ſich aber auch auf die tönende Aunft. Er
ſchreibt in feinem Eingang: „In lebensinnigerer Verbindung mit dem
heiligen Opfer am Altare als der Kirchenraum und Kirchenſchmuck ſteht
der liturgiſche Seſang, die geſamte liturgiſche Muſik. Wir fragen
daher in einem weiteren Teile dieſer Abhandlung, ob die nämlichen
geiſtigen Elemente der Liturgie, welche den Kirchenbau und feine
Ausftattung heute folgerichtiger als je beeinfluſſen möchten, auch die
Grundſätze bilden können für eine Erneuerung und Veredelung
der muſikaliſchen Meßopferkunſt . .. und ob die kirchliche Muſik
auch ihrerſeits heute mehr als bisher zum großen und erhabenen
Geſamtkunſtwerk im liturgiſchen Einheitsraum beitragen kann.“ Das
Problem iſt von ſolch aktueller Bedeutung und die Art und Weile,
wie es durchgeſprochen und der Löfung entgegengeführt wird, fo vor⸗
trefflich, daß nur zu wünſchen bleibt, es möchten alle Vertreter der
Kirchenmuſik und in erſter Linie alle Prieſter nach den hier aufgeſtellten
Grundſätzen ihre Mitwirkung beim Zuſtandekommen des liturgiſchen
&unftwerkes einrichten. Die folgenden Ausführungen ſuchen van
Ackens Gedanken weiterzudenken. In wenigen Einzelheiten muß ich
einer abweichenden Auffaffung Ausdruck geben. Im Großen und
Ganzen ſind mir aber van Ackens Worte aus der Seele geſprochen.
If denn die Liturgie und mit ihr die liturgiſche Kunſt
chriſtozentriſch? Suardini verneint dieſe Frage’. Dan Acken be-
jaht fie und baut auf dieſem Ja alle feine Aufftellungen auf. Beide
haben recht. Chriftus iſt nicht Mittelpunkt der Liturgie, inſofern als
faft alle liturgiſchen Bebete und Handlungen den Dater zum Ziel ſich
ſetzen und den Heiland nur als Weg und Mittler betrachten. Trotz⸗
dem kann man ſagen, die Liturgie ſei chriſtozentriſch. Sie iſt ja im
Chriſtozentriſche Rirhenkunft. Ein Entwurf zum liturgiſchen Seſamtkunſtwerk
von J. van Acken. Gladbeck i. W. 1922, Theben (ſ. Ihg. 1923, h. 9/10 8. 319-327).
? Giterar. hand weiſer. Oktober 1923. 8. 595.
Benebdiktinifhe Monatſchriſt VI (1924) 1—2 1
2
Grunde nichts anderes als das Hoheprieftertum Chrifti, infofern es
ſich ſichtbar und hörbar kundgibt in der betenden, opfernden und
ſegnenden kirche. St. Benedikt ſagt faſt gleichlautend: nihil operi
Dei praeponatur und Christo omnino nihil praeponatur. Das
redende und handelnde Subjekt der Liturgie iſt nicht der einzelne
menſch und nicht die einzelne Pfarrgemeinde, ſondern das corpus
Christi mysticum, die Glieder mit dem haupte. Die erhabene Ge-
ſtalt des ewigen hohenprieſters ſteht betend und opfernd und
ſegenſpendend im Mittelpunkt alles liturgiſchen Geſchehens.
Don einer richtigen Auffaffung des Chriſtusgedankens aus iſt allein
eine verſtändnisvolle und fruchtbare Mittätigkeit bei der Liturgie
möglich, und nur von dem lebensvoll und begeiſtert erfaßten Chriſtus⸗
gedanken aus iſt auch eine Erneuerung der liturgiſchen Tonkunſt zu
erzielen.
Die &kunft im heiligtum der Liturgie iſt Ausdruck der Ehr⸗
furcht und Liebe. Vor Perſonen, denen wir hohe Achtung und
Verehrung zollen, geben wir unferem Auftreten und Reden das
Feſtgewand der Form. Dor dem Allerhöchſten iſt es das Feierkleid
tiefſten und beſten Könnens, die prieſterliche Hunſt und das künſtle⸗
riſche Prieſtertum der in Chriſto geadelten und mit dem Hohenprieſter
vor dem Vater in tiefſter Ehrfurcht ſich beugenden Menſchheit. Noch
mehr als die Ehrfurcht hat ſich von jeher die Liebe in künſtleriſcher
Form geoffenbart. Wenn die Liebe das herz bewegt, dann wird das
Wort zum Gedicht und das Gebet zum Pſalm und die Sprache zum
melodiſchen Sang. Das gilt auch, wenn jene Liebe redet, von der
Chriftus in feierlicher Stunde zum Dater fleht: „Caß die Liebe, mit
der du mich liebteſt, in ihnen fein” (Joh. 17, 26). Dieſe gottentſproſ⸗
ſene Viebe ſpricht ſich in der Liturgie aus. hier wird der wunderbare
biebesverkehr zwiſchen Sohn und Vater im Schoße der heiligſten
Dreifaltigkeit hörbar auf Menſchenlippen, vernehmbar für menſchliche
Ohren, und ſtaunend lauſcht die Erde dem Hohenlied übernatürlicher
Liebe, klingend aus den Saiten menſchlicher Muſik, die aber eine
prieſterliche Aunft geworden iſt durch die Berührung mit Chriſtus,
dem ewigen Bohenpriefter. |
Alle liturgiſche Aunft iſt chriſtozentriſch und ſoll es fein. Aber am
meiſten muß es die Tonkunſt ſein. Denn ſie tritt näher an das
Allerheiligſte heran als jede andere Aunft.: Die Architektur baut das
Heiligtum für die Liturgie. Die Skulptur und die Malerei ſchmücken
es aus. Aber die Tonkunſt hilft die Liturgie ſelbſt vollziehen. Sie
iſt ein Teil der Liturgie, ein Stück der liturgiſchen Opfergabe. Sie
3
kommt näher an Chriftus heran, fie tritt enger hinzu in den gehei⸗
ligten Bannkreis ſeiner erhabenen Perſönlichkeit. Sie berührt nicht
bloß den Saum feines Gewandes, fie vergoldet nicht bloß den Kelch
in ſeiner prieſterlichen hand. Sie iſt der hauch ſeines Mundes, der
fitem feines herzens. Der Puls feines koſtbaren Blutes wird zum
Rhuthmus ihres Sanges.
hier iſt ein Punkt, bei dem ich glaube, die Ausführungen van Ackens ergänzen
zu müſſen. Der chriſtozentriſche Charakter der liturgiſchen Mufik liegt nicht bloß
darin, daß fie „den Herrn feiert in den humnen des Ordinariums der Meſſe“ und
ihm folgt durch das Kirchenjahr“, auch nicht bloß darin, „daß fie an dem auf
Chriftus gerichteten Einheitscharakter des Opfers auch in einer weſentlich einheitlichen
Form teilnehmen muß“ und „ſich ſogar für berufen halten wird, die innerliche Ent⸗
wicklung der Opferteilnehmer zur Derklärung durch ihren eigenen Aufbau darzu-
ſtellen“. Noch weniger möchte ich mir den Satz zu eigen machen: „Vor allem liegt
der chriſtozentriſche Charakter der Meßopfergeſänge darin, daß hier die Mufik ver⸗
möge ihrer beſonderen Eindruckskraft auf das menſchliche Herz in hervorragendem
Maße berufen iſt, die Seelen der Opferteilnehmer von den Banden der Umwelt zu
befreien und fie ſinnefeſſelnd zu ſammeln für die lebendige Mitfeier des Geheimniſſes.“
Das alles find äußere Beziehungen, Folgerungen aus der inneren Weihe und heilig ⸗
keit der Meßgefänge. Chriſtozentriſch iſt die liturgiſche Tonkunſt, weil fie das Feier-
kleid der heiligen liturgiſchen Worte ift. Dieſe heiligen Worte find im Grunde Worte
Chrifti, Worte des betenden Leibes Chriſti und darum auch Worte des Hauptes,
des betenden Hohenprieſteis, Worte des Wortes Gottes. Die liturgiſche Mufik
it das Sewand des Wortes Gottes, und weil im Singen Wort und Weile
einen ganz einzigartigen Bund eingehen, eine wunderbare Vermählung feiern, ſo
wird die liturgiſche Tonkunſt wirklich eine hoheprieſterliche, gottmenſchliche Kunſt.
Der Derklärungsglanz des verherrlichten Beilandes ruht auf ihr und ſtrahlt aus
ihrem Singen und Klingen, der Pulsſchlag ſeines heiligſten Herzens wird fühlbar
in ihren Rhythmen, der Reichtum feiner gottmenſchlichen Innerlichkeit wird hörbar
in ihren Melodien. Es iſt nicht übertrieben, wenn einer unſerer Modernen ſchreibt:
„Diefer Seſang iſt Kult, ſtinnliche Gegenwart des Göttlichen, heiliger Beift als klang.“
erich Wolff redet an der angeführten Stelle vom gregorianiſchen Choral und
es ift kein Wunder, wenn man gerade von dieſen Gedanken aus zu einer anderen
Bewertung des frühchriſtlichen Befanges und ſeinem Verhältnis zu ſpäteren Stilarten
als van Acken gelangt. Nicht als ob ich die wahren und ſchönen, von wirklicher
hochſchätzung für die am meiſten chriſtozentriſche Mufikgattung zeugenden Ausfüh-
tungen des Derfaffers der „chriſtozentriſchen Kirchenkunſt“ (8. 72 f. und 8. 81 f.) in
ihrer Aufrichtigkeit anzweifeln wollte. Aber er glaubt fein Lob wieder einſchränken
zu müſſen, wenn er ſchreibt, die neuere Tonkunſt fei „den Gegenwartsmenſchen ver-
ſtändlicher und vermöge fie unmittelbarer zu ergreifen“ und darum könnten wir
‚auf das machtvolle Mittel neuerer Tonkunft, mit einigen loten den Menſchen der
Segenwart in eine gewollte Stimmung zu verſetzen, für die Einführung in das er-
habenfte Religionsgeheimnis nicht verzichten. Dieſe Mufik ſoll über die Fähigkeit,
den Text tiefer als bisher zu deuten, hinaus zugleich das Unausſprechliche litur⸗
gischen Chriſtuslebens uns näher zu bringen ſuchen als zuvor“.
Das trifft doch wohl nur dann zu, wenn wir den Begriff „Gegenwartsmenſch“
ſtark negativ nehmen für Menfchen, die derart von der materiellen Gegenwart be-
laſtet find, daß fie weder für die geiftigen, kulturellen Werte der Aunft, noch für
1 wel Deieefen, Das Schickſal der Muſtk von der Antike zur Gegenwart. Breslau 1923, Ferdinand
. 43 f.
*
1°
4
die religiös-myftifhen Werte der Liturgie viel Sinn übrig haben. Wenn aber die
pſuchologiſchen Vorbedingungen für ein tieferes Derftändnis des Ratholiſchen Gottes-
dienſtes und der kirchlichen Mufiik gegeben find, wenn jemand das Wefentlihe in
der Tonkunft von unweſentlichen Effektmitteln zu unterfcheiden vermag und imſtande
iſt, das chriſtozentriſche muſtiſche Weſen unſeres Aultlebens in feiner ganzen Tiefe
zu erfaſſen, dann wird er mit Pius X. „überzeugt fein, daß auch der feſtliche
Gottesdienſt nichts an Feierlichkeit verliert, wenn er auch nur von
gregorianiſcher Mufik begleitet iſt“!.
Oftern ift das höchſte Freudenfeſt des Kirchenjahres und der Introitus von Oftern
gehört zu jenen Befängen, die in der gregorianiſchen Faſſung wirklich dem Der-
ſtändnis Schwierigkeit bereiten. Aber wenn wir den chriſtozentriſchen Charakter
der Liturgie verſtehen und, von der ganzen Tiefe dieſes Gedankens erfüllt, uns in
die Seele des Auferftandenen einfühlen und mit ihm das innige Gebet zum Dater
ſprechen: Resurrexi et adhuc tecum sum... „Erftanden bin ich und mit dir ver-
eint... — wer von uns möchte eine andere Weiſe wünſchen als die einſtimmige,
diatoniſche, freirhuthmiſche, hupophrugiſche der alten Kirche mit ihrem ſtill verhaltenen
ſeligen Jubel und ihrer ganzen heimlichen Innerlidkeit und Innigkeit? Wer hier
die Mehrſtimmigkeit und die Chromatik und den Taktrhuthmus und das Dur oder
moll und die orcheſtrale Farbenpracht der modernen Tonkunſt ſchmerzlich vermißt,
darf es nicht übel nehmen, wenn man die Tiefe Jeines Derftändniffes für die chriſto⸗
zentriſche Liturgie in Zweifel zu ziehen wagt.
Wenn Richard Wagner im Parfifal das Wort des Herrn von der Einfegung
des heiligen Abendmahls vertont, wird er einſtimmig und freirhuthmiſch und dia⸗
toniſch — letzteres wenigſtens im erſten Satze. Die begleitenden Celli und Bäſſe
wagen nur zitternd in der Tiefe die harmonie mehr anzudeuten als klingen zu
laſſen aus Ehrfurcht vor der Heiligkeit des herrenwortes. So verfährt der Meifter
von Bayreuth nur aus künftlerifhen Rückſichten. Wenn er aber beffer mit dem
gregorianiſchen Choral vertraut geweſen wäre, und wenn er das Glück gehabt hätte,
katholiſch und mit den großen und tiefen Gedanken unferer heiligen Liturgie er-
füllt zu fein und die ganze großartige Myftik des chriſtozentriſch kirchlichen Gebets-
und Opferlebens erfaſſen zu können — gewiß wäre er unſeren ehrwürdigen litur⸗
giſchen Weiſen noch näher gekommen.
Ohne Zweifel gibt es genug Katholiken, die trotz ihrer Bekanntſchaft mit unſerem
herrlichen Gottesdienſt und trotz ihrer künſtleriſchen Feinfühligkeit — ja vielleicht
gerade wegen dieſer Rünſtleriſchen Feinfühligkeit noch kein inneres Verhältnis zum
gregorianiſchen Seſang gefunden haben. Die Orte ſind eben zu zählen, an denen
ein muſtergültiger Choral zu hören iſt. Wenn aber einmal unſere Kirchenchöre an⸗
fangen, mit derſelben Liebe und mit demſelben Zeitaufwand die früh-
chriſtlichen heiligen bieder zu üben und zu pflegen wie ſeither die ſpäteren
Stilarten, dann wird ſich bald im Volke das Urteil zugunſten dieſer herrlichen ehr⸗
würdigen Aunft ändern.
Damit ſoll keineswegs einer Verdrängung der neueren Mufik aus dem litur«
giſchen Kottesdienft das Wort geredet werden. Aber es gilt dem gregorianiſchen
Choral ſein Anſehen und ſeinen Rang und eine ſeinem Rang entſprechende Pflege
zu ſichern. Auch darf nicht die Meinung aufkommen, als ſeien etwaige Mängel
der altchriſtlichen Aunft, oder ihr Ungenügen gegenüber berechtigten Anſprüchen
einer neuen Zeit, oder die Unmöglichkeit eines Verzichtes auf die Reize der neueren
muſik die Urſache, warum von der Kirche für den liturgiſchen Gottesdienſt auch
der Paleſtrinaſtil empfohlen und die moderne Tonkunſt zugelaſſen iſt. Die klaſſiſche
Dokalpolyphonie findet die Anerkennung der höchſten kirchlichen Autorität, weil fie
in hohem Maße den von Pius X. aufgeſtellten Vorbedingungen würdiger Kirchen.
„ Motu proprio vom 22. November 1903. Nr. 3.
5
muſik erfüllt. Ift in ihr auch nicht die ideale höhe der altkirchlichen Kunſt erreicht,
fo „ſchließt fie ſich doch aufs innigſte an das oberſte Vorbild und Muſter, den gre⸗
gorianiſchen Seſang an““. Die neuere Mufik endlich iſt in der Giturgie „zugelaſſen“.
„Die Kirche hat den Fortſchritt der Künſte immer anerkannt, ja denſelben gefördert.
Alles, was der Beift im Laufe der Zeiten Schönes und Gutes ſchuf, zog ſie — freilich
nach Maßgabe der liturgiſchen Befege — in ihren Dienſt. Unter dieſem Geſichts⸗
punkte iſt auch die neuere Tonkunſt im Gotteshauſe zuläffig. hat fie ja
doch auch Werke aufzuweiſen, die an Büte, Ernft und Würde nichts zu wünſchen
übrig laſſen und in keinem Stücke gegen den liturgiſchen Geift verſtoßen. Weil
jedoch die moderne Mufik aus profanen Schöpfungen hervorgegangen ift, muß man
bei ihrer Derwendung Vorſicht gebrauchen. Es ſoll daher nur ſolchen Rom⸗
pofitionen neueren Stils die Pforte des Gotteshauſes offen ſtehen, die nichts Welt-
liches enthalten, nicht an das Theater erinnern und auch in ihrer Form nichts mit
den profanen Werken gemein haben““.
Das klingt doch anders als van Ackens oben angeführte Sätze. Die Kirche hat
ſich in ihrem Verhältnis zur nachgregorianiſchen Tonkunſt immer auf dieſen mütter⸗
lich liebenden und duldenden Standpunkt geſtellt. Wenn ſie auch die frühchriſtliche
Sangesweife mit ihren dienend ſich der Liturgie einorönenden, betend das heilige
Texteswort tragenden und ehrfurchtsvoll dasſelbe ſchmückenden Melodien als die
eigentliche liturgiſche tonkünſtleriſche Mutterſprache betrachtete und als koſtbaren
Schatz hütete und für alle Bedürfniſſe als ausreichend erklärte, ſo wurden doch die
Rünftler aller Zeiten mit mütterlicher Liebe aufgenommen und eingeladen, in heiligem
Wettſtreit zu zeigen, inwieweit die fortſchreitenden künſtleriſchen Mittel das erreichen,
was gregorianiſche Einfachheit und Größe fo unübertrefflich geleiſtet hatte. Das
Ideal war vorhanden. Wie ein leuchtender Edelftein funkelte der koſtbare Schatz
der altchriſtlichen 8eſänge. Liebend hält ihn die treue Hüterin der herandrängen-
den Bünftlerfhar entgegen und ruft ihnen zu: „Rommet und ſehet und bemüht
euch, mit euren kontrapunktifhen Künſten und eurer harmoniſchen Farbenpracht,
mit eurer Chromatik und Polurhuthmik, mit euren Streichern und Bläſern fo chriſto⸗
zentriſch ſingend zu beten und betend zu ſingen, wie eine untergegangene helden⸗
zeit es vermochte!“
Es war eine ſchöne und erhabene Hufgabe, die die Kirche ſtellte. Wie großartig
hat fie durch die Jahrhunderte mit dieſer Aufgabe die Tonkunſt gefördert! Hunderte
und Taufende der beſten Romponiften haben ſich immer wieder an die Arbeit gemacht.
Freudig und dankbar hat die Mutter die Gaben ihrer Kinder aufgenommen. Sie
war nie kleinlich und engherzig. Uur wenn Unheiliges und Lafzives ſich ein-
ſchleichen wollte, hat ſte abgewehrt. Unvergängliches iſt in allen Stilarten geleiſtet
worden. Aber unerreicht in ſeiner einzigartigen Einfachheit und Größe ſteht immer
noch der gregorianiſche Choral am erſten Platz im Beiligtum der Liturgie.
Ob die Tonkunſt von heute und von morgen der von der
Kirche geftellten Aufgabe beſſer gerecht werden kann als in den ſieben
letzten Jahrhunderten? Dan Acken bejaht die Frage vertrauensvoll
und hoffnungsſelig. Er meint ſogar fie könne den Princeps mu-
sicae überflügeln: „Schon weil die neue liturgiſche Mufik im Gegen⸗
ſatz zur ſtrengen ktontrapunktik (Paleftrinas) die Schärfe der Rhuthmik
zu mildern und vor allem den Textworten wahrhaft gerecht zu werden
vermag, kann fie ein viel innigeres Verhältnis zur Liturgie und auch
zum frühchriſtlichen, freirhuthmiſchen und terthebenden Choral ein⸗
Motu proprio Pius’ X. n. 4. 2 Ebd. n. 4.
6
gehen als jene. Eine neue, tief liturgiſch gedachte Tonkunft wird fo
im Verein mit dem älteften Choral wieder zur ftrafferen, wenn auch
nicht abſoluten Einheit von Inhalt und Form in der Meßopfermufik
führen. Das ift ein großer Gewinn der Zeitgleichung, Frühchriſten⸗
tum und Gegenwart“.
Pius X. ſtellt den Paläſtrinaſtil höher als alle andere nachgre⸗
gorianiſche Muſik. Doch iſt das nur ein ſcheinbarer Widerſpruch zu
van Acken. Derſchiedene Anzeichen deuten darauf hin, daß wirklich
die neueſte Tonkunft wieder mehr vom gregorianiſchen Choral lernen
will, alſo vielleicht mit dem Altargeſang des Prieſters ſich ſtilvoller
verbinden kann als felbft die klaſſiſche Dokalpolyphonie und um ſo
mehr als die ſpätere Kirchenmuſik. Möge ſich dieſes Lernen vom
Choral nicht bloß auf formale Eigentümlichkeiten erftrecken. Die
Seele des frühchriſtlichen Befanges ift feine chriſtozentriſche Innerlich⸗
keit, fein Beten mit Chriftus zum Dater, fein von allem Spekulieren
auf die Sinnlichkeit, von aller eiteln Selbſtbeſpiegelung und von allem
Buhlen um den Beifall der Maſſen reines, ſelbſtloſes Eingehen auf
das Wollen der Liturgie.
Die Mufik war von jeher ein getreuer Spiegel ihrer Zeit.
Seit dem ausgehenden Mittelalter entzieht ſich die chriſtliche Gefell-
ſchaft mehr und mehr dem Einfluß des Chriſtusgedankens und damit
auch ſeiner einigenden und gemeinſchaftbildenden Macht. Die Welt⸗
anſchauung und mit ihr die Tonkunft wird anthropozentriſch und
egozentriſch, fie kreiſt um den Menſchen und das Ich. Die Cofung
der altchriſtlichen Mufik war: Te decet laus, te decet hymnus, tibi
Gloria, Deo Patri et Filio cum Sancto Spiritu, „Dir gebührt Cob,
Dir Preisgefang, Dir Verherrlichung, Dir dem Dater und dem Sohne
mit dem hl. Geiſte“!. Sie dachte und fühlte und fang theozentriſch
und chriſtozentriſch. Der neuzeitliche Tonkünftler fragt: Wie be⸗
friedige ich mein religiöfes Bedürfnis? Wie ſpreche ich mein eigenes
perſönliches Empfinden aus? Das iſt der egozentriſche Individualismus
und Subjektivismus der neuen Zeit. Er klang auch aus den Befängen
an gottgeweihter Stätte. Kein Wunder, wenn dieſe mit Citurgie und
gregorianiſcher Kunſt eine befriedigende Einheit nicht bilden konnten.
Die Liturgie iſt theozentriſch wie das wahre Chriſtentum
überhaupt. Sie iſt die Offenbarung einer vom Ich unabhängigen,
übernatürlichen Wirklichkeit. Der hl. Johannes ſieht auf Patmos,
wie fie ſich herabneigt: Vidi civitatem sanctam Jerusalem novam
Alte chriſtliche Doxologie der Apoſt. ftonſtitutionen nach dem Benediktinerbrevier
(vgl. Regel des hl. Benedikt Rap. 11). ö
7
descendentem de coelo a Deo. „Ich ſah die heilige Stadt, das neue
geruſalem aus dem Himmel von Gott herabkommen.“ Die Kirche
ſingt dieſe Worte und wendet ſie an auf den liturgiſch geweihten
Raum. Die Liturgie iſt nicht eine konſtruktion des Ich. Sie gehört
zu jenen iustificationes Dei, zu jenen Rechtsanſprüchen und Rechts⸗
offenbarungen Gottes, von denen der längſte der Pſalmen nicht müde
wird zu fingen. Da heißt es eben auch für die Jünger der neueren
Tonkunft, die der ktirchenmuſik ſich widmen wollen wie im Evangelium:
ue ere, „denkt um!“ Fragt nicht beim Komponieren der litur⸗
giſchen Texte: Wie befriedige ich mein religiöfes Bedürfnis? auch
nicht: Wie kann ich hier mein perſönliches Ich und mein Innenleben
offenbaren? Auch nicht: Wie ernte ich eine günſtige kritik und reichen
Beifall? ga nicht einmal: Wie werde ich die Leute in eine fromme
Stimmung verſetzen? Sondern vielmehr: Wie betet Chriſtus der ewige
hoheprieſter dieſe Worte? Wie verherrlicht Chriſtus und mit ihm
das corpus Christi mysticum in dieſen Worten den Allerhöchſten?
Wie faßt der gregorianiſche Choral dieſen Text auf? Welche Aufgabe,
welche Stelle hat dieſer Befang im Rahmen des liturgiſchen Dramas?
Die verträgt er ſich mit dem Stil des gregorianiſchen Prieſtergeſanges
am Altare? Und wenn es ſich um Gloria, fredo oder Sanktus han⸗
delt: wie ſchließt er ſich an die Intonation des Felebranten an? |
Die Meßgefänge müſſen aus der gläubig, verſtändnisvoll und lie⸗
bend erfaßten und erlebten Meßliturgie heraus- und in den litur⸗
giſchen Rahmen hineinkomponiert fein. Aus der Liturgie und in
Einheit mit der Liturgie iſt der Choral entſtanden. Auf die gre⸗
gorianifchen Komponiſten wirkte die Rückſicht auf die liturgiſche Stel⸗
lung und Umgebung der Geſänge ebenſo beſtimmend ein, wie die
Rückſicht auf den Text und feinen Inhalt. Ein und derfelbe Text
wurde in verſchiedene Melodien gekleidet, wenn er in der Meß⸗
liturgie an verſchiedenen Stellen erſchien. Das Ad te levavi hat eine
andere Singweiſe, wenn es am erſten Advents ſonntag als Introitus
den Einzug der Prieſterſchaft, und anders wenn es als Offertorium
den Opfergang der Gläubigen zu begleiten hat. Dies Formgeſetz gilt
nicht nur, wenn es ſich um einen Befangstezt handelt, der in einer
und derſelben meſſe zweimal vorgetragen werden foll, wo man das
Bedürfnis nach Abwechslung als Grund anführen könnte. Der Pfalm:
vers Os justi wird muſtkaliſch anders gedeutet, wenn er am Feſte
eines gewöhnlichen Bekenners als Introitus und anders, wenn er
am Feſte eines Rirchenlehrers als Braduale Derwendung findet. Die
liturgiſche Stellung wirkt formgebend und ſtilbildend im
8
gregorianiſchen Choral. Dies Geſetz geht ſogar ſoweit, daß zwei ver⸗
ſchiedene Texte eine und dieſelbe Melodie erhalten können, wenn ſie
die nämliche Aufgabe in der Liturgie zu erfüllen haben.
So ſteht ſchon in den Handͤſchriften des erſten Jahrtauſends, alſo in der Blüte⸗
zeit des Chorals, die nämliche, prächtige Melodie verzeichnet für die beiden Offer⸗
toriumsgeſänge Stetit angelus (Engelfefte) und Justorum animae (Martyrerfefte)
und es iſt nicht leicht zu Jagen, für welchen der beiden Texte die Dertonung ur⸗
ſprünglich beſtimmt war. Ja, zwei nach dem heutigen Empfinden ſo auseinander
gehende Gefänge, wie das Haec dies an Oſtern und das Requiem aeternam aus
dem Totengottesdienft haben dieſelbe Melodie. Sie haben dieſelbe liturgiſche Stellung
als &raduale zwiſchen den bibliſchen beſungen der Vormeſſe.
Wir find in einem ſolchen Falle fofort bereit, ein künſtleriſches Minderwertigkeits-
urteil zu ſprechen. Und doch wäre das ſehr voreilig. KRünſtleriſch minderwertig
müßte man das Derfahren ſicher nennen, wenn die beiden Seſänge — trotz der an⸗
ſcheinenden Derſchiedenheit — nicht ſo vieles miteinander gemeinſam hätten und wenn
ein Text ganz wahllos und rein mechaniſch in eine beſtehende melodiſche Form
gepreßt würde. Aber das iſt in der gregorianiſchen Blütezeit nicht der Fall geweſen.
Vielmehr enthält die Auswahl ſolcher Texte und Melodien und die Art ihrer An⸗
paſſung ſo viele künſtleriſche Feinheiten, daß wir ſehr beſcheiden ſein müſſen mit
unſerer Kritik“. Gemeinſam haben die beiden Seſangſtücke zunächſt die Stellung
in der biturgie — und darauf kommt es hier in erſter Pinie an, zu ſehen, wie die
gregorianiſchen Künſtler aus der Liturgie heraus und in Einheit mit der Liturgie
gearbeitet haben. Bemeinfam haben die beiden Gradualgeſänge aber auch den
Gedanken und den Sefühlsinhalt. Wir dürfen nur nicht den anthropozentriſchen und
egozentriſchen Standpunkt der nachgregorianiſchen Mufik einnehmen, ſondern müſſen
Ernft machen mit dem chriſtozentriſchen Weſen der Liturgie und die Ronſequenzen
aus ihm ziehen: Oſterfreude und Totentrauer liegen beim erſten Anblick weit aus⸗
einander. Aber Ofterliturgie und Totenliturgie bieten uns ein und denſelben Ge-
danken und ein und dasſelbe gefühlsbetonte Erlebnis, das eine Mal als Grund
unferer Freude, das andere Mal als Quell unferes Troftes: den Glauben an den
Auferftandenen und die hoffnung auf unſere Auferftehung. Es iſt derſelbe verklärte
Chriſtus, der mit feinem muſtiſchen Leibe vereint das Requiem aeternam und das
Haec dies betend ſingt. Derſelbe verklärte Chriſtus, der fein eigenes Grab und
das Srab der mit ihm in der Liturgie vereinten Chriſten aus einer Siegesſtätte des
Todes zu einer Pforte des Lebens umgeſchaffen hat. Unſer abſprechendes Urteil
war alſo verfrüht.
Die Choralkomponiften lebten mit der Liturgie und fangen für die
Liturgie. Dagegen darf ſelbſt unſeren großen und größten Meß⸗
komponiſten die herbe kritik nicht erſpart bleiben, daß fie in dem hei⸗
ligſten Muſikdrama einzelne Gefangstezte ohne Rückſicht auf den
liturgiſchen Juſammenhang und ohne Derftändnis der litur—
giſchen Abſichten vertonten. Das zeigt ein Vergleich der grego⸗
rianiſchen und nachgregorianiſchen kredoauffaſſung.
Im vatikaniſchen Graduale ſtehen vier verſchiedene kiompoſitionen
des nizäniſchen Glaubensbekenntniſſes. Sie alle haben gemeinſam
die einfache, rezitativartige Melodiebildung. Die Sätze find ähnlich
1 Vergl. dazu: P. Dominikus gohner, neue Schule des gregorianifchen Choralgeſanges“ (1921)
Regensburg, Puſtet. 8. 140 f. f
9
behandelt wie die Derfe der Pfalmodie, aber ohne die ſtrenge Regel-
mäßigkeit der Wiederholung. Eine einzige Brundftimmung durchzieht
das Ganze. Bei aller Einfachheit ift aber die Dertonung fo kunſtvoll,
daß ſich der umfangreiche Text ohne Ermüdung und ohne den Ein-
druck der Dürftigkeit oder öder, langweiliger Gleichförmigkeit zu
wecken, zu Ende fingen läßt. Das entſpricht der Nuffaſſung der
biturgie. Sie betrachtet das kiredo als einfaches Bekenntnis des
Glaubens, als Ausdruck der einen Srundftimmung, die alle die ver⸗
ſchiedenen Wahrheiten mit derſelben Bereitwilligkeit und Dankbarkeit
annimmt. Im Gegenfag dazu behandeln die meiſten nachgregoria⸗
niſchen Komponiſten das nizäniſche Glaubensbekenntnis als ein weit⸗
ausgedehntes Feld, auf dem alle Gefühle des Menſchenherzens ſich
tummeln dürfen. Freude und Leid, Hoffnung und Furcht, jubelndes
Frohlocken und düſteres Derzagen wechſeln miteinander ab. Jeder
Slaubens artikel löſt andere Empfindungen aus. Das ift aber nicht
das liturgifche Slaubensbekenntnis, ſondern eine empfindungsſelige
Betrachtung über die einzelnen Dogmen, die die Sänger ermüdet,
die 8emeinde aufhält und zerftreut, die Liturgie ſtört und zerreißt,
den Prieſter am Altar veranlaßt, entweder die Mleffe über Gebühr
auszudehnen oder — was noch ſchlimmer iſt — den wichtigen erſten
Hauptteil der Meßliturgie, die Opferung, ſtill für fi vorzunehmen,
ohne daß das Dolk — dem Geſange lauſchend — fi daran beteiligt.
Das alles, weil der Tonſetzer feine Aufgabe verkehrt aufgefaßt und
die felbftverftändliche Forderung nicht erfüllt hat, aus der Liturgie
und für die Liturgie zu komponieren.
Das iſt aber nicht etwa eine Forderung, die von außerkünſtleriſchen
Rückſichten diktiert wird. Stellen wir uns nur auf den rein äſthe⸗
tiſchen Standpunkt: der echte Künſtler betrachtet die Teile eines
künftlerifhen Ganzen, nicht als ſelbſtändige Einheiten, die getrennt
voneinander für ſich eine Sonderexiſtenz führen. Die Sätze einer
Sonate, einer Symphonie, die Szenen eines Dramas ſtehen unter⸗
einander in einem Abhängigkeitsverhältnis, das nicht ungeſtraft außer
acht gelaſſen werden kann. Der kiomponiſt einer „Meſſe“, die nicht
für den onzertſaal, ſondern für die Liturgie beſtimmt iſt, ſteht vor
den Teilen einer künſtleriſchen Einheit. Die künſtleriſche Einheit nun
wird von den meiſten Rirchenmufikern verkehrt aufgefaßt als die
Suitenform, die man feit dem fünfzehnten Jahrhundert „Meſſe“ nennt“,
alfo die Zufammenftellung der fünf Geſänge (Ayrie, Gloria, ktredo,
gl. P. Wagner, Geſchichte der Meſſe. 1. Teil. Peipzig 1918, Breitkopf & Härtel. 8. 22 ff.
10
Sanktus mit Benediktus und Agnus Dei), die in den neuen litur⸗
giſchen Büchern als Ordinarium missae im Anhang zum Graduale
aufgeführt werden. Es iſt bezeichnend, daß dieſer Begriff der muſika⸗
liſchen „Meſſe“ erſt der Zeit des ausgehenden Mittelalters entſtammt,
alfo einer Zeit, da das anthropozentriſche Denken ſchon ſoweit das
geiſtige Band der gemeinſchaftbildenden Liturgie gelockert hatte, daß
weite Rreife zum Abfall reif waren. Solange noch das Volk und
feine geiſtigen Führer, namentlich die Künſtler aus der Liturgie und
mit der Liturgie lebten, war ihnen das heilige Muſikdrama der Meſſe
eine lebensvolle Einheit, die ſich nicht ſtillos zerſtückeln ließ. Noch
im gahre 1500 wurde in Baſel ein Graduale gedruckt, in dem die
einzelnen Stücke des ſpäteren Ordinarium missae noch nicht im
Zuſammenhang aufgeführt werden!. Die vollſtändige Missa cantata,
die wir gewöhnlich Hochamt nennen, iſt ein einziges künſtleriſches
Ganzes, die große Einheit, die der Tonkünftler im Ruge haben muß.
Dazu gehören außer kiurie und Gloria etc. noch die wechſelnden
Meßgefänge Introitus, Graduale uſw. die prieſterlichen Befänge, die
geſungenen Gebete und Lefungen und vor allem die heilige Opfer⸗
handlung, die den Weſenskern des ganzen Dramas bildet. Soll nun
die Srundvorausſetzung der Kirchenmuſik erfüllt werden, die auch das
Motu proprio Pius“ X. an die Spitze ſtellt, nämlich daß alle litur⸗
giſchen kkompoſitionen echte und wahre Aunft bieten, dann muß fi
der Tondichter des Juſammenhangs aller einzelnen Gefangsftücke mit
dem künſtleriſchen Banzen bewußt bleiben, er darf nichts bringen,
was aus dem liturgiſchen Stil herausfällt und die im Opfer des
ewigen Hohenprieſters gipfelnde Einheit zerſtört. Das iſt der künſt⸗
leriſche Sinn des chriſtozentriſchen Programmes. Wird nun
aber, wie es faſt die geſamte neuere Muſik getan hat, das kiredo
oder überhaupt das Ordinarium missae im Gegenſatz zu den litur⸗
giſch wichtigeren Wechſelgeſängen grundlos einſeitig betont und un⸗
gebührlich weitſchweifig behandelt, ſo iſt das nicht nur ein Fehler
gegen liturgiſche Regeln, ſondern ein Derftoß gegen eine grundlegende
Forderung der Äfthetik.
Es wäre nun eine ſchöne und ſehr dankbare Aufgabe für den ſchon
mehrfach totgeſagten Cäcilienverein, dieſe Forderung des neuer⸗
wachten liturgiſchen Sinnes aufzugreifen und damit feinen Jüngern
eine lebenskräftige Cofung zu geben: Die Meßgeſänge mit der
ganzen Meßliturgie als künſtleriſche Einheit. Wenn aber
Wagner, a. a. O. 8. 24.
11
dieſe Forderung künſtleriſcher Einheit für das höchſte und heiligſte
Hiufikdrama begründet ift — und ich glaube nicht, daß ſich dagegen
ſtichhaltige Einwendungen erheben laſſen — dann iſt es einfache, un⸗
entrinnbare fonſequenz, daß man ſich van Ackens Satz zu eigen
macht: „Das Ergebnis iſt alfo, daß wir zur Ausprägung eines Gegen⸗
warts=, d. i. chriſtozentriſchen Programms die Anknüpfung an das
Frühchriſtentum ſuchen müſſen“. Der Erkenntnis kann ſich ja nie⸗
mand verſchließen, daß die künſtleriſche Einheit der Meßgeſänge auch
den Prieſtergeſang berückſichten muß. Nun ſingt aber der Prieſter
ausſchließlich den frühchriſtlichen Choral, und einzelne Stücke des
Ordinarium missae werden vom Zelebranten im nämlichen gregori⸗
aniſchen Stil eingeleitet. ä
Der Mozartbiograph gahn fchreibt! bei der Beſprechung der Meß⸗
kompoſition des großen klaſſiſchen Tonkünſtlers: „Das Credo bot un:
verkennbar für die muſikaliſche Behandlung die größte Schwierigkeit
dar. Es iſt unmöglich, einen einzigen langen Satz, deſſen einzelne
Teile zwar in einer ſehr einfachen Struktur nur aneinander gehängt,
aber von dem mit Nachdruck vorangeſtellten hauptverbum abhängig
und grammatiſch wie logiſch nur durch das Bewußtſein dieſer Ab⸗
hängigkeit verſtändlich find, muſikaliſch fo darzuſtellen, daß dieſer
Zuſammenhang dem Zuhörer ſtets gegenwärtig bleibe.“ Was dem
modernen Muſiker „unmöglich“ ſcheint, hat der Choral möglich ge⸗
gemacht. Durch die oben ſchon beleuchtete pſalmartige Dertonung
hat der gregorianiſche Bünftler einen ſtraffen Fuſammenhalt und eine
überſichtliche Satzeinheit geſchaffen. Die Gleichheit des Stiles und der
Tonart verbindet nun aber auch die gregorianiſche Faſſung eng mit
der prieſterlichen Intonation und ſchließt das „mit Nachdruck voran⸗
geſtellte Hauptverbum” credo derart glücklich mit dem patrem omni-
potentem zuſammen, daß das Problem wirklich als reſtlos gelöſt
betrachtet werden muß.
Unter diefem Geſichtspunkt gewinnt das liturgiſche Erundgeſetz Pius X.
an künſtleriſcher Bedeutung: „Eine kirchenmuſikaliſche kompo=
ſition iſt um ſo heiliger und liturgiſcher, je mehr ſie ſich in
ihrer Bewegung, in ihrem Denken und Empfinden an die
gregorianiſchen Melodien anlehnt. Und umgekehrt, je mehr fie
von dieſem vollkommenſten Vorbild abweicht, deſto weniger verdient
fie, in der kirche aufgeführt zu werden.“?
Otto Jahn, W. A. Mozart. Leipzig 1856, Breitkopf & Härtel. I 8. 454. Die
neue Bearbeitung von Abert war mir nicht zugänglich. o Motu proprio n. 3.
12
Übrigens fo ſehr auch van Acken dieſes Geſetz der künſtleriſch - liturgiſchen Einheit
und der Ausprägung der liturgiſchen Abſichten in der Aunft im allgemeinen und im
Seſang insbeſondere betont, fo ſcheint er mir in einem Punkte doch felbft dagegen
zu fehlen. An mehreren Stellen (fo beſonders 8. 90 ff.) ſpricht er den Gedanken
aus: die Meßliturgie iſt ein Drama. Es geht eine dramatiſche Steigerung
vom Anfang bis zur hl. Wandlung und ommunion. Dieſe Steigerung muß auch
in der Mufik zum Ausdruck kommen. Auch die muſikaliſche Entwicklungslinie muß
eine anfteigende fein vom Introitus bis zum heiligſten Augenblick der Opferhand-
lung. Sanktus und Benediktus müſſen der höhepunkt der KRompoſition ſein und
in der Architektur der zentralen Raumſteigerung in dem Kuppelgewölbe über dem
Altar entſprechen.
Nun liegt ja unverkennbar im Gang der Meßliturgie eine dramatiſche Steigerung.
Aber der Schluß, daß dieſe Steigerung notwendig auch in der Muſik an derſelben
Stelle zu einem höhepunkt führen müſſe, iſt nicht einfachhin berechtigt. Das Drama
der hl. Meffe iſt nicht in dieſem Sinne ein Mufikdrama, daß jeder Einzelvorgang
während der hl. Handlung unbedingt der Mufik als ihres einzigen Ausdrucksmittels
bedürfte, wie das — nach Nietzſche — „aus dem Geiſte der Tonkunſt geborene“ Ge-
ſamtkunſtwerk Richard Wagners. Die Liturgie hat noch andere Zungen, um zu
Bott und zu uns zu reden und ihre Wirkungen zu erzielen. Don vornherein wird
man annehmen dürfen, daß der mit der Liturgie entſtandene gregorianiſche Choral
der beſte Dolmetſch der liturgiſch⸗muſtkaliſchen Abſichten iſt. hat doch auch Pius X.
den normgebenden Charakter des altchriſtlichen Befanges autoritativ feſtgeſtellt.
Bei näherem Zuſehen entdeckt man denn auch wirklich, daß der Choral nicht im
Sanktus, ſondern im Graduale feinen höhepunkt erreicht. Die Vormeſſe
iſt nach der Abſicht der Kirche hauptſächlich Gebets- und Erbauungsgottesdienft,
der ſich ſteigert bis zu den bibliſchen beſungen und zwiſchen Epiftel und Evangelium
mit dem gefühlsbetonteſten der gregorianiſchen Lieder die ganze von der Schrift⸗
leſung begeiſterte Seele auszuſingen einladet. Init dem Beginn der „Gläubigen⸗
meſſe“ tritt der Anteil der Mufik an der dramatiſchen Entwicklung etwas zurück
und beim Höhepunkt der Liturgie hüllt ſich die Tonkunſt vollſtändig in Schweigen
und wirkt ſo auf negative Art mit, den dramatiſchen Gipfel der Opferhanoͤlung zum
klaren Bewußtſein zu bringen.
Die Forderung künſtleriſcher und ſtiliſtiſcher Einheit, dienender Ein⸗
ordnung in den Rahmen der Liturgie, geiftiger Anlehnung und An⸗
paſſung an den gregorianifchen Choral, insbeſondere an den Prieſter⸗
geſang, kurz das ganze chriſtozentriſche Programm richtete ſich ſeit⸗
her vorzugsweife an den komponierenden Kirchenmuſiker. Es
iſt aber das ESigentümliche der Mufik, daß ihre Meiſterwerke nicht
nur eines Rünftlers zur Entſtehung, ſondern auch eines Bünftlers
zur Belebung bedürfen. Sogar einer ganzen Schar von Künſtlern
bedürfen manche Werke, um tönendes Leben zu gewinnen. Zu dieſen
Werken gehört das Aunftwerk der Giturgie. Der Chordirigent mit
feinen Sängern, der Organiſt, die Prieſterſchaft am Altar,
das Volk und die unſichtbare, das Zentrum bildende verklärte Per-
fon des ewigen Hohenprieſters — alle dieſe Faktoren müſſen zuſammen⸗
arbeiten, und nur aus ihrem harmoniſchen Juſammenwirken entſteht
das ideale heilige Drama des liturgiſchen Opfers.
13
Der liturgifhe Meßgefang iſt nicht in vollem Sinne chriſtozentriſch,
mag er dem kiomponiſten auch noch ſo vollkommen gelungen ſein,
wenn er nicht auch von den ausführenden Organen chriſtozen⸗
triſch als Teil der Liturgie, als Stück der euchariſtiſchen Opfergabe
empfunden und dargebracht wird. Es wird berichtet, daß der hol⸗
ländiſche Cäcilienverein ſich gerade dieſen Teil des chriſtozentriſchen
ktirchen muſikprogramms in befonderer Weiſe zur Derwirklichung vor⸗
geſetzt habe. Dort bilden die einzelnen Rirhendhöre euchari—
ſtiſche oder liturgiſche Bruderſchaften. Mitglieder ſind gläubige
ktatholiken, die erfüllt von dem Streben nach möglichſt inniger ak⸗
tiver Teilnahme am kirchlichen Opfergottesdienft ſich zu täglicher oder
doch ſonntäglicher Kommunion verpflichten. haben die Leiter der
holländiſchen Pfarrcäcilienvereine die Wahl zwiſchen guten Sängern,
die keine eifrigen Katholiken find, und guten kiatholiken, die weniger
gute Sänger find, fo werden die eifrigen Ratholiken den guten
Sängern vorgezogen. Die Sänger und ihre Dirigenten betrachten ihre
künftlerifhe Aufgabe als einen Akt der Frömmigkeit. Der Geſang
it ihnen geſteigertes Gebet. Sie werden angeleitet, die liturgiſchen
Weiſen als Vorbereitung zur hl. kommunion und als Dankfagung
zu fingen, wie es ja auch der Wunſch der Kirche iſt. Das verleiht
ihrem Geſang eine übernatürliche Weihe, die in einem ſeelenvollen,
gottbegeiſterten Vortrag ſich ausprägt und im tiefſten Grunde das
Geheimnis chriſtozentriſcher Tonkunſt bildet.
Dieſes Singen aus innerer Teilnahme an der Liturgie
heraus, dieſes Neugeborenwerden der liturgiſchen Befänge aus dem
Herzen einer mit der Liturgie betenden und opfernden und kommuni⸗
zierenden Sängerſchar, das müßte auch bei uns das Ziel des
Cäcilienvereines werden. In drei Stufen vollzieht fi nämlich
die Teilnahme an der Liturgie: Junächſt im’ ftillen Beten und Opfern
mit dem zelebrierenden Prieſter und im Empfang der hl. Rommunion
ſofort nach der Priefterkommunion. Auf einer zweiten Stufe könnte
ein enggeſchloſſener kreis von Teilnehmern laut dem Prieſter anſtatt
des Miniſtranten oder mit dem Miniſtranten antworten und auch jene
Teile mit dem Prieſter laut beten, die im hochamt vom Chor zu
fingen find. Auch könnte das Mitopfern durch Darbringung der zu
konſekrierenden kleinen Hoſtien beim Offertorium zum Ausdruck
gebracht werden. Daß dieſe Form der Missa recitata nicht von der
bekannten ktundgebung der Ritenkongregation! betroffen wird, zeigt
eine Erklärung im Osservatore Romano u. a. mit dem Satze, „eine
Vom 4. Huguft 1922. Acta Apostol. Sedis. 1922. 8. 505.
14
ſolche Ruffaſſung würde zu der abfurden Annahme führen, daß man
während der hl. Mleffe alle möglichen außerliturgiſchen Gebete laut
verrichten dürfe, (den fo oft als ſtörend empfundenen Rofenkranz,
bitaneien, Rirchenlieder in der Dandesſprache) nur nicht die litur⸗
giſchen Sebete!.“ Endlich befteht ein dritter Srad von aktiver Teil-
nahme an der Liturgie im betenden Singen der Meßgeſangstezte und
dieſe dritte Art der Teilnahme an der Liturgie wäre die beſondere
Aufgabe der Kirchenchöre und der Pfarrcäcilienvereine. So erſchiene
der liturgiſche Seſang nicht als bloßes Ornament des Pfarrgottes-
dienſtes, auch nicht als bloßes Erbauungsmittel für die Pfarrgemeinde,
fondern als Ausdruck chriſtozentriſcher liturgiſch⸗ orientierter Frömmig⸗
Reit, als Betätigung des von innen aus den tiefſten muſtiſchen Quellen
unſerer heiligen Religion erneuerten allgemeinen Prieſtertums. Das
Amtsprieſtertum aber, das verfaſſungsgemäß den Dorftand der
Pfarrcäcilienvereine bildet, wäre berufen, die Verwirklichung dieſes
idealen Zieles in die Wege zu leiten.
Der Amtsprieſter kommt aber hier nicht bloß als Dorftand des
Cäcilienvereins in Betracht. Er iſt in der Liturgie der erſte Sänger
und der erſte Soliſt. mit Recht ſchließt van Acken darum feine
Schrift mit einem zwar ſehr kurzen, aber ſehr wichtigen Kapitel über
„Die Mitwirkung des opfernden Prieſters am chriſtozen⸗
triſchen Runftwerk.“ In der prieſterlichen Erziehung wird großer
Nachdruck auf die Pflege der Innerlichkeit im gottesdienſtlichen Leben
gelegt. Das iſt auch unbeſtritten die Hhauptſache, die Seele alles
äußeren Tuns. Was nun dieſes äußere Tun betrifft, fo ſchärfen die
Organe der klerikalen Bildung in der Regel nur Gewiſſenhaftigkeit
und Genauigkeit in der Beobachtung der Brevier⸗ und Meßrubriken
ein. Daß aber die Liturgie eine äſthetiſche Seite hat, und daß bei
dem öffentlichen Dortrag der Gebete und Lefungen, der Präfation
und des Pater nofter, des lte missa est und der anderen Zurufe an
das Volk auch tonkünſtleriſche Seſetze zu berückſichtigen find, und
daß die Beobachtung dieſer äſthetiſchen und tonkünſtleriſchen Geſetze
auch vor Bott und dem Bewilfen eine Bedeutung hat, und daß Nach⸗
läſſigkeit und Gleichgültigkeit auf dieſem Gebiete nicht bloß der eigenen
Seele, ſondern auch den Seelen der Pfarrkinder ſchadet — das alles
wird kaum je betont. Daher die Erſcheinung, daß es „nicht ſelten
ſelbſt dem frommen, aller haſt und Geſchäftsmäßigkeit gänzlich fern⸗
bleibenden Diener am Altar an Derftändnis für die künſtleriſche Seite
' it: Revue du Chant gregorien Mai / quni 1923. 8. 180. Ugl. auch Kathol.
Kirchenzeitung (Salzburg) 1923. Ur. 24, 8. 196 ff.
15
der Liturgie fehlt“. Und doch „ſoll ſich jeder Seiſtliche beim
Opferdienſte als nachſchaffenden Künſtler heiligſter Formen:
werte fühlen“. Das iſt gerade in gegenwärtiger Zeit eine Sache
von nicht zu unterſchätzender Wichtigkeit. Tauſende von Laien,
Bebildete und Ungebildete hören heute mehr auf die Predigt der
biturgie, der Zeremonien und des Befanges als auf die Predigt von
der Hanzel herab. Tauſende nehmen Anſtoß daran, daß im Konzert-
faal die Ehrfurcht vor dem kiunſtſinn des Publikums oder vor dem
Götzen Mammon oder Eitelkeit zu einer beſſeren Kunſtpflege führt
als die Ehrfurcht vor dem Allerhöchſten in der kirche und daß das
Mufikdrama im Opernhaus einen ungleich wertvolleren Soliſtengeſang
erreicht als im Gotteshaus das heiligſte Drama der Weltgeſchichte.
Tauſende beurteilen das Chriſtentum nach der Perſönlichkeit ſeiner
offiziellen Dertreter und fagen ſich, es müſſe mit der Wahrheit und
Heiligkeit unſerer Religion ſchlecht beſtellt ſein, wenn ſie ihre Diener
nicht zu einer ehrfurchtsvollen Vorführung deſſen begeiftern könne,
was fie ihr Beiligftes nennen.
Man darf alſo in der klerikalen Erziehung nicht länger „das Geſetz der Form“
überſehen und die Beſchäftigung mit der Tonkunſt als eine mehr oder minder ver-
dãchtige Liebhaberei beurteilen. Einft gehörte die Tonkunſt zu den artes liberales, die
im Quadrivium der ſtudierenden Jugend beigebracht wurden. Aber hier klafft in der
neuzeitlichen Studienordnung eine Lücke, die nicht bloß im Klerus, ſondern auch von
Pädagogen der anderen Fakultäten ſchmerzlich empfunden wird!, beim Theologen aber
beſonders verhängnisvoll in die Erſcheinung tritt. In der Liturgie iſt eben die Aunft
Ausdruck der Ehrfurcht vor dem Allerhöchſten und der Liebe zu Zott und zu Chriſtus
wie zum Nädjften. Dernadläffigung der künſtleriſchen, namentlich der tonkünſtleri⸗
[hen Seite der Giturgie ift demnach Unehrerbietigkeit und Lieblofigkeit gegen Gott
und die Menfhen. Mangel an künſtleriſchem Sinne iſt alſo intellektueller oder mo-
raliſcher Defekt. Clericus, qui non cantat, non est clericus completus. Dieſes
Wort eines mittelalterlichen Theologen ift heute zu überſetzen: Ein Prieſter, der
keinen Sinn und Geſchmack für tonkünſtleriſche Schönheit beſitzt, der den ethiſchen
und paftoralen Wert der liturgiſchen Mufik nicht [hätt und ſelber in Theorie und
Praxis der firchenmuſik ſich nicht auskennt, — ein ſolcher Prieſter kann nicht die
volle Integrität der prieſterlichen Perſönlichkeit für ſich in Anſpruch nehmen’.
„es genügt nicht, daß der Geiftlihe die liturgiſchen Seſänge ... erbaulich aus-
zuführen verſteht. Ein gewiſſes Maß wiſſenſchaftlicher Kenntniffe, die Haupttat⸗
ſachen der kirchenmuſtkaliſchen Geſchichte und die grundlegenden Prinzipien ihrer
Theorie follten jedem geläufig fein“. Dieſe Worte ſtehen in der Einleitung zu einer
„einführung in die katholiſche Kirchenmuſitk““, die Univerfitätsprofeffor
I Dergi.: hermann ſtretzſchmar, muſikaliſche Zeitfragen. Leipzig Peters (O. J.) 8. 23 ff. und L.
Renenberg, Muſtkerziehung und WMufikpflege. Leipzig, Quelle & Meyer. 1921. Das zuletzt genannte
Werk entſtammt der Feder des Mufikreferenten im preußifchen Rultusminifterium und verdient Beachtung
von feiten der Kirchendehörden und aller, die mit der Erziehung des Klerus betraut find. Es behandelt
im erſten Teil die mufikalifche Allgemeinbildung durch Dolksfchule, höhere Lehranftalten und Privatunter-
richt; ſodann die mufikafifche Berufsbildung durch eigene Muſikſchulen. Der zweite Teil handelt von der
Mufikpflege durch ſchaffende und ausübende Rünftler, durch ſtaatliche und ſtädtiſche Derwaltung.
7 Siehe den Beweis für dieſen Satz aus der Feder eines Theologen, der heute einer unferer angefehen-
Nen deutſchen Biſchöfe if. Cäzilienvereinsorgan 1913. S. 204 ff. > Düffeldorf 1919. Schwann.
16
Peter Wagner, ein Laie, als Vorträge den Theologen von Freiburg in der Schweiz
gehalten hat. Er erörtert zunächſt einige grundſätzliche Fragen und ſtellt dann in
großen Zügen die vier großen Perioden der kirchlichen Mufikgefhichte dar. Ein
Prieſter, der die hiſtoriſchen Bauſtile des Kirchengebäudes nicht zu unterſcheiden ver⸗
möchte, müßte es ſich gefallen laſſen, wenn man ihm Mangel an Bildung nachſagte.
Um ſo mehr verdient derjenige eine ſolche Note, dem die hiſtoriſchen Stilarten der
viel näher liegenden kirchlichen Tonkunſt fremd find. In einem zweiten umfang-
reicheren Teile gibt Wagners „Einführung“ Anregung zum Studium der Kirchen⸗
mufiktheorie, eine Art Erklärung des „kirchenmuſikaliſchen Geſetzesbuches“, des Motu
proprio Pius’ X., deffen Studium dem Klerus nicht minder wichtig fein darf als das
Studium des Codex iuris canonici. Das omne malum ex clero findet auch
Anwendung auf unſer heutiges kirchenmuſikaliſches Elend. Wenigſtens darf der
Driefter ſolange nicht über andere Stände klagen, als die Mängel an liturgiſchem
und tonkünſtleriſchem Sinn in den eigenen Reihen nicht gehoben find.
Die würdige Feier des liturgiſchen Gottesdienſtes it Sache
der kirchlichen Semeinſchaft. Da muß alles mit dem ewigen
Bohenpriefter zuſammenwirken, Klerus und Volk, Prieſter und Laien
in chriſtozentriſcher Einmütigkeit und Selbſtloſigkeit. Teilnahme am
Bohenprieftertum Chriſti ift ja nach der Lehre des hl. Thomas das
Weſen des Taufcharakters. Alle Betauften find alſo befähigt und
berufen zur Mittätigkeit beim hohenprieſterlichen Opfer. Insbeſondere
it das Mitarbeiten an der tonkünſtleriſchen Nusgeſtaltung des ſonn⸗
täglichen Pfarrgottesdienftes eine ſoziale Tat erſten Ranges.
Freilich iſt auch der einzelne in ſeiner Mitarbeit vielfach durch die
Bemeinfhaft bedingt und gehemmt, und wir dürfen uns im Eifer
für die künſtleriſche Schönheit des liturgiſchen Gottesdienſtes nicht ver⸗
leiten laſſen, ungerecht zu werden. Der einzelne Prieſter kann oft
infolge mangelhafter künſtleriſcher Erziehung feiner kirchenmuſtkaliſchen
Aufgabe nicht gewachſen ſein. Die Verantwortung dafür trägt die
die Bemeinfchaft. Sie geſtaltet ſich ja ihre Erziehungsſtätten ſelbſt.
Der einzelne Priefter it ein kind feines Volkes und feiner Familie.
In der Familie muß der künftige Geiftlihe die erſte Anregung und
die Grundlage ſpäterer Dolfendung erhalten. Was anthropozentriſcher
Individualismus zerſtört hat, muß jetzt chriſtozentriſcher Zemeinſchafts⸗
finn, genährt aus den Quellen chriſtozentriſcher Liturgie, wieder auf-
bauen. Chriftus heißt in der Litanei: rex et centrum omnium cor-
dium, „der König und Mittelpunkt aller herzen“. Ihm gilt all unſer
Beten und Singen und Opfern, ihm, dem Baupte und feinem muſti⸗
ſchen Leibe all unſer Arbeiten für eine wahrhaft „chriſtozentriſche
Kirchenmuſik“.
17
Sacramentum magnum:
Epiphanie und Ehe.
Don P. Sufo Mayer (Beuron).
Hodie coelesti Sponso iuncta est Ecclesia, quo-
niam in Jordane lavit Christus eius crimina: cur-
runt cum muneribus Magi ad regales nuptias, et
ex aqua facto vino laetantur convivae, alleluja.
Beute ward die Kirche ihrem himmliſchen Bräuti⸗
gam angetraut, da Chriftus abwuſch im Jordan ihre
Sündenſchuld; mit Gaben eilen herbei die Magier zur
Rönigsvermählung, und über den aus Waſſer ver-
wandelten Wein frohlocken die Hochzeitsgäſte, alleluja.
(Benediktus-Antiphon in den Laudes an Epiphanie.)
ie Magier aus dem Morgenlande ziehen mit ihren Gaben zur
hochzeit des neugeborenen Königs. Sie kommen als Vertreter
der heidenwelt, als Befandte der ganzen Menſchheit, fie bilden den
Brautzug der Rirche, die ihrem himmliſchen Bräutigam entgegengeht.
Hodie coelesti sponso iuncta est Ecclesia: „Heute ift der Der:
mählungstag des himmliſchen Bräutigams mit feiner Kirche.“ Heute
hält der himmliſche König ſeinem Sohne Hochzeit!. Heute wird die
unbegreifliche Jdee Gottes geſchichtliche Wirklichkeit und feine unver-
gleichliche Liebestat, zu der es ihn von Ewigkeit drängte, wird aller
Welt kund getan: Gottesſohn vermählt ſich für immer der Menſchheit.
er ſchließt mit ihr den bebensbund; er will ihr für immer gehören.
50 ift das mühſame Werben und Freien um die Beliebte von den
Paradieſestagen an doch nicht umſonſt geweſen. Lange zwar ſchien
es ganz ausſichtslos und für immer vorbei. Die Entfernung und
Entfremdung der Geliebten wurde immer größer. Aber auch Not und
Elend, Seelenpein und Herzensqual wuchſen in ihr immer mehr. Da
geht die Menfchheit in ſich. Bitterer Reueſchmerz über ihre Treu⸗
loſigkeit und ihren Undank überkommt fie. „Sie macht ſich auf,
durchwandert die Stadt, ſucht auf Plätzen und Straßen nach dem,
den ihre Seele liebt“?; und „fie findet ihn“? unter der Führung des
heilberkündenden Sternes. Nun will fie ihm ganz gehören, ſich auf
ewig ihm verbinden. Und Chrifius ſtößt feine Braut nicht zurück, „er
liebt fie”! und ift bereit, die innigſte beibes- und bebensgemeinſchaft
' Matth. 22, 2 fl. hohel. 3, 2. ebd. 3,4. Eph. 5, 25.
Benediktiniſche Monatſchrift VI (1924), 1-2. 2
18
mit ihr einzugehen. Und nun hält der Hönig feinem Sohne hochzeit.
„Damals nämlich hat Gott der Vater Bott, feinem Sohne, Hochzeit
gehalten, als er ihn im Schoße der Jungfrau mit der menſchlichen
Natur vermählte, als er feinen Willensentſchluß verwirklichte, wonach
der, der da von Ewigkeit her Gott iſt, Menſch würde in der Fülle
der Zeiten. Aber weil für das Juſtandekommen einer Ehe zwei Per⸗
ſonen erfordert find, dürfen wir ja nicht meinen, die Perſon des Bott=
menſchen, unſeres Erlöſers geſus Chriftus, fei aus zwei Perſonen
zuſammengeſetzt. Vielmehr ſagen wir, er beſtehe aus zwei und in
zwei Naturen; aber wir vermeiden es zu glauben, er ſei aus zwei
Perſonen zuſammengeſetzt, weil dies unrichtig und unzuläſſig iſt zu
glauben. klarer und gefahrloſer kann man daher ſagen, daß der
Vater ſeinem königlichen Sohne Hochzeit hielt, als er ihm durch das
Geheimnis der Menſchwerdung die heilige Kirche vermählte“!
Hier iſt der Wendepunkt in der Weltgeſchichte; eine neue Epoche
beginnt, ein neues Geſchlecht tritt auf. Chriſtus und der kirche ent⸗
ſtammt ein neues Volk. Wie Adam und Eva die Stammeltern aller
bebendigen dem Fleiſche nach, fo find Chriſtus und die Rirdye die
Stammeltern aller Cebendigen dem Geifte nach. Rus dem Debens⸗
bunde Chrifti mit feiner Rirdje ſollten neue Weſen entſproſſen zu
neuem, übernatürlichem, göttlichem beben, Menſchen, die das Siegel
des heiligen Bottes auf der Stirne tragen. Heute iſt ihr Geburtstag,
quoniam in Jordane lavit Christus eius crimina: „Da Chriftus im
Jordan fie rein wuſch von ihrer Sündenfchuld“. An Epiphanie öffnet
ſich der himmel über dem Erlöſer im gordan. Des Daters Stimme
wird vernehmbar, und der Geiſt ſchwebt über dem geliebten Sohn
des Daters. Durch die Berührung Chriſti und den ſchöpferiſchen hauch
des Beiltes werden die Waſſer ſelbſt geheiligt und befruchtet, um dann
ihre heiligende Kraft in der Taufe auf die Menſchen überſtrömen zu
laſſen. Alle, die von jetzt an untertauchen in der heiligen Flut und
gereinigt werden durch das Bad der Wiedergeburt, gehen makellos
und heilig daraus hervor. Neugeboren werden fie als Rinder in die
-felige Gemeinſchaft Chrifti und der Kirche aufgenommen. Mit gött⸗
licher Liebe zieht fie Chriſtus an fein herz. Wie mit der Kirche in
ihrer Geſamtheit vermählt er ſich auch mit jedem einzelnen, gliedert
jeden einzeln jenem Leibe ein, an dem er ſelbſt das haupt iſt. Gött⸗
liches Blut flutet nun in ihren Adern, göttliches Leben beſeelt und
vergöttlicht fie, „ein gerechtes, heiliges Volk“.
Gregor d. Gr. hom. 38 in Evang. n. 3 PI 76 (1857) 1283. Siehe beſung am
19. us nach Pfingſten. If. 4, 3; 26, 2.
19
Botteskinder ohne Zahl gehen aus diefer heiligen Bemeinfchaft
Chrifi und der ktirche hervor. Don allen Enden der Erde eilen fie
herbei: „Erhebe ringsum deine Augen und ſchau, fie alle ſcharen
fi) zuſammen und kommen zu dir; deine Söhne kommen von ferne,
und deine Töchter erſtehen von den Enden der Erde. Dann wirſt du
ſchauen und überſtrömen, dein herz wird ſtaunen und weit werden,
wenn die Bewohner der Meeres küſte ſich dir zuwenden und die Stärke
der Nationen zu dir gelangt“.
Der Schleier des Beheimniffes liegt ausgebreitet über der Lebens-
gemeinſchaft zwiſchen Chriftus und der kirche. Dem erdwärts ge⸗
richteten herzen lüftet er ſich nicht. Aber ſelbſt der himmliſch Ge-
ſinnte vermag ſich nur ſchwer ein Bild von ihr zu machen, ſo voller
Wirklichkeit auch dieſe Derbindung iſt. Wir find eben Menſchen, die
auch bei ihren geiſtigen Wanderungen ſich immer von den Sinnen
begleiten laſſen müſſen. Soll uns das unſichtbare, verborgene, wenn
auch noch fo reale Leben der Gottheit offenbar werden, dann ınuß
es ſich uns kundtun in den Formen und Bildern des ſichtbaren, gegen⸗
wärtigen Lebens. Um feine größte Liebestat der Menſchheit gegen⸗
über zu veranſchaulichen, erkennbar und unvergeßlich zu machen,
wählt Bott ein Bild, eine Form, die immer war und immer fein wird,
ſolange es Menſchen auf Erden gibt. Unter dem Bilde der Ehe ſtellt
der Bottesfohn ſchon im Alten Bund mit Vorliebe fein Verhältnis zur
Menſchheit dar; der Abfall der Menfchheit von ihm, dem einzigen
But und Gott, iſt „Shebruch“. So wurde die Ehe zum treffendſten
Symbol des Erlöfungsgedankens, der hingebenden Liebe des Gottes-
ſohnes zur Menfchheit, zur kirche. Deshalb iſt mit dem Epiphanie⸗
feſte überaus tiefſinnig das Andenken an das Hochzeitswunder von
ktana verbunden: Et ex aqua facto vino lætantur convivæ: „Und
über den aus Waſſer verwandelten Wein frohlocken die Hochzeits⸗
gäſte.“ Die ſichtbare Hochzeit ſoll uns die unſichtbare, geheimnisvolle
Vermählung Chrifti mit feiner ktirche veranſchaulichen.
Aber auch die Ehe, die das Bild geliehen, gewinnt durch die Sum⸗
bolik, eine ſichtbare Darſtellung der unſichtbaren Derbindung Chriſti
mit feiner Kirche zu fein, eine erhabene Würde, eine hohe religiöfe
Weihe. „Die Ehe“, ſagt Ceo XIII’, „iſt von Anbeginn eine Abſchattung
der Menſchwerdung des göttlichen Wortes; daher hat ſie in ſich etwas
heiliges und Religiöſes, das nicht nachträglich hinzugekommen, ſondern
ihr von Geburt an eigen iſt, nicht eine menſchliche Beigabe, ſondern
1 If. 60, 4 f. (Epiftel von Epiphanie). Leo XIII., enzuklika „Arcanum“, vom
10. Februar 1880 (über die chriſtliche Ehe), $ Attamen Naturalistae.
2
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etwas naturhaft Zugehörendes.” Wo immer daher zwei liebende
menſchen, mann und Weib, das gawort zu ungeteilter Lebens-
gemeinſchaft mit einander wechſeln, da wird es Weihnachten, da
wird es Epiphanie; da geht jedesmal ein neuer Stern auf, der um
die Cebensgemeinſchaft Chriſti mit feiner Kirche wie um feine Sonne
kreiſt und von ihr bicht und Glanz empfängt.
„Es ift ein Unterſchied zwiſchen Stern und Stern““. Das gilt auch
hier. Die chriſtliche She überſtrahlt weit die bloß natürliche
She. Da bleibt der durch das gawort begründete Pebensbund nicht
bloße Abfchattung und leeres Symbol der Vereinigung Chriſti mit
feiner Kirche. Das Symbol wird zur Macht, zum wirkſamen, gnaden-
vermittelnden Zeichen, zum Sakrament, das den Gnadenſtand mehrt
und bewirkt, daß „die vielen und ſchweren Pflichten den Eheleuten
nicht bloß erträglich, ſondern ſogar leicht und lieb werden“ ?. Chriſtus
und die Kirche ſchenken ſich einander durch das gawort; die Kirche
hat dadurch teil an der Lebensgemeinſchaft Bottes. Ebenſo ſoll dieſes
begnadende Glück jedem einzelnen Gliede der kirche zugute kommen,
das den bebensbund der Ehe ſchließt. Das Ehefakrament bedeutet
nicht bloß die Semeinſchaft mit Chriftus, ſondern bewirkt fie auch.
Im Gnadenſtrom des Sakramentes ſpiegelt ſich aber auch das
leuchtende Vorbild eines wahrhaft chriſtlichen Ehelebens; und das
Vorbild heiſcht Nachahmung. Wie Chriftus nur eine Rirdhe ſich er:
wählte und vermählte, und wie Chriftus und die Kirche ſich aus⸗
ſchließlich in gegenſeitiger Liebe ſchenken, fo darf auch die Liebe
zwiſchen Mann und Frau mit niemand anderem geteilt werden. Wie
Chriftus und die Kirche unzertrennlich verbunden find und ſich ewig
treu bleiben, ſo dürfen auch Mann und Frau einander nicht verlaſſen.
Das Band, das ſie umſchlingt, kann nur der Tod löſen. „Wie Chriſtus
die kirche, fo ſollen die Männer ihre Frauen lieben“; und „die Frauen
ſollen den Männern untertan ſein; denn der Mann iſt das Haupt
des Weibes wie Chriftus das Haupt der Kirche. Wie aber die Kirche
Chriftus untertan ift, fo ſoll es auch die Frau dem Manne fein“,
aber „nicht wie eine Magd, ſondern wie eine Befährtin”’. Und wie
endlich Chriftus und die Kirche unabläſſig darauf bedacht find, ihre
Familie mit neuen Botteskindern zu vermehren, fo ſollen auch Mann
und Weib die heilige Pflicht der Kindererzeugung und erziehung
freudig erfüllen, umſo mehr da fie mit der hohen, ehrenden Aufgabe
betraut ſind, das Werk Chriſti und der kirche ſelbſt vollenden zu
helfen. Denn „der chriſtlichen Ehe ift nicht bloß die Fortpflanzung
J. fox. 15, 41. ” Enzyklika „Arcanum“, $ Neque iis. » Eph. 5, 25.
* Eph. 5, 22 - 24. ° Enzyklika „Arcanum“, 8 Neque iis.
21
des Menſchengeſchlechts als Aufgabe geftellt, ſondern fie foll der
kirche neuen Nachwuchs zeugen, himmelsbürger und hausbewohner
Gottes, damit ein Volk zur Anbetung und Verehrung des wahren
Gottes und Chriſti unſeres Erlöſers geboren und erzogen werde“.
Auf dieſem Wege führt die Ehe Mann und Weib von der leiblichen
Gemeinſchaft zur Seelengemeinſchaft, von der Seelengemeinſchaft zur
Bemeinfchaft mit Chriſtus. Wahrlich „groß iſt das Geheimnis der Ehe,
ich ſage aber, wegen feiner Beziehung zu Chriſtus und der Kirche““.
Feierlied auf die hl. Kirche.
Aus der alten fyrifhen Kirchweihliturgie.
Steh’ auf, werde Licht; denn dein Licht kommt!
Unſterblich iſt der Bräutigam, der ſich mit dir vermählt.
öffne deine Tore, und nie ſollen ſie geſchloſſen werden,
weder bei Tag noch bei Uacht,
daß Rönige einziehen mit ihren Aronen
und Richter mit ihren Gewalten,
und anbeten die Macht, die in dir wohnt!
So ſpricht der Herr: Zitt' re nicht, gläubige kirche;
denn kein Schaden berühret dich! |
Ich vertauſche mit keiner andern dich,
weil du mich vertauſcht um keinen andern.
Und wenn das Ende naht und himmel und Erde vergehen:
dir naht keine Furcht; denn es ſteht dein Thron
Zwifhen dem Dater und Sohn und Seiſt.
erwache, erwache, o Kirche,
und erhebe dein haupt, das gebeugte, in dieſer Zeit;
denn von oben ſteiget herab der Bräutigam in dein Gemach,
und bricht in dir feinen lebenden eib,
und miſcht in dir den kelch feines Bluts.
M feinen Leib und werde verföhnt,
trink’ fein Blut und werde heilig,
und ſinge Lob feiner Güte!
Der erhabene uud tiefe humnus berührt ſich mit einigen Zügen der Römiſchen Epiphanie- und kirchweih
liturgie. Diefleicht ſteht er etwa dem Biſchof Jakob von Sarug (T 29. XI. 521) oder feiner Zeit nahe. Die
ung ſtammt bis auf wenige Worte vom hochverdienten Renner und Üderſetzer ſyriſcher Schrifiſteller
P. Pius Zingerie O. S. B. von Marienberg (+ 10. I. 1881): Fefikränze aus Libanons Gärten, I.
Ulllingen 1846, S. 27. Das Gied if eine Blüte liturgiſcher Muſtik. p. f. m.
ma. a. O0. eph. 5, 32.
22
Die Predigt vom Himmelreich
nach dem Evangelium des hl. Matthäus.
| Bon P. Bernhard Seiller (Augsburg).
as Chriftusbild, an das wir gewöhnt find, ift immer ein Befamt-
bild, hergeſtellt aus allen Teilen des Neuen Teftamentes; ſo wurde
es uns ſchon im liatechismus und in der Bibliſchen Geſchichte dar⸗
geboten. Aber es verlohnt ſich auch, irgend einen Teil der hl. Schrift
einzeln vorzunehmen und die für die Perſon Chriſti charakteriſtiſchen
Jüge herauszuheben. 50 wollen wir denn ſehen, welches Bild wir
gleich aus dem erſten Evangelium, dem des hl. Matthäus, von Chriſtus
gewinnen. Urſprünglich hebräiſch geſchrieben, ift es nur mehr in griedji-
[cher Überſetzung vorhanden; es war für die Judenchriften beſtimmt,
und daher iſt der Evangeliſt bemüht, überall zu zeigen, wie ſich an
Chriftus die Weisſagungen der alten Propheten erfüllt haben.
Der Heiland heißt Jeſus (Erlöfer); „denn er wird fein Volk erlöſen
von deſſen Sünden“. Den güngern ift er der herr und Meiſter, dem
Volke der große Prophet. Mehrmals wird er Sohn Davids genannt,
weil fein Pflegevater dem königlichen Geſchlechte entftammte; fo nennen
ihn die beiden Blinden (9, 27; 20, 31), fo das chananäiſche Weib (15, 22),
fo begrüßt ihn auf feinem feierlichen Einzug in geruſalem das Volk, fo
umjubeln ihn im Tempel die Kinder (21, 9 — 15). Den Titel Chriftus
oder hebräiſch Meſſias legt er ſich anfangs nicht bei. Als die Jünger
des gohannes ihn fragten: „Biſt du es, der da kommen ſoll, oder ſollen
wir auf einen andern warten?“ weift er ftatt einer Antwort auf feine
Werke hin (11,4); den Phariſäern erklärt er, daß der Meſſias nicht
nur der Sohn, ſondern auch der Herr Davids iſt (22, 45), jedoch ſagt
er ihnen nicht, daß er es ſei. Als aber Petrus das Bekenntnis aus-
ſprach: „Du biſt Chriftus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (16, 16),
da beſtätigte geſus dieſes und pries ihn ſelig, weil nicht Fleiſch und
Blut ihm dies geoffenbart hätten, ſondern der Vater, der im himmel
iſt; jedoch verbot er den Jüngern zu ſagen, daß er der Meſſtas
ſei (16, 20). Erft als der Hohepriefter ihn beim lebendigen Botte be⸗
ſchwor zu ſagen, ob er Chriſtus ſei, geſtand er öffentlich zu und fügte
bei: „Don nun an werdet ihr den Menfchenfohn zur Rechten der Kraft
Sottes ſitzen und auf den Wolken des Himmels kommen ſehen“ (26, 64).
Der Titel, den geſus ſelbſt ſich beizulegen pflegt, iſt NMenſchenſohn;
alles iſt an dieſen Ausdruck gewöhnt, niemand fragt, was dieſes
rätſelhafte Wort bedeutet. Erſt in der neueſten Zeit iſt der Sinn dieſes
Wortes erkannt worden. Im Buche Daniel wird, nachdem der Alt⸗
23
betagte über die vier Weltreiche auf Erden Gericht gehalten hat, die
herrſchaft dem Menſchenſohn übertragen. „Und ſieh, es kam einer
in des Himmels Wolken, der eines Menſchen Sohne glich, und kam
bis zum Altbetagten, und dieſer gab ihm Gewalt und Ehre und Reid),
daß alle Dölker und Geſchlechter ihm dienten; feine Gewalt iſt ewige
Gewalt, die nicht genommen wird, und fein Reich iſt ein Reich, das
nicht zerſtört wird“ (Dan. 7, 13. 14). Dieſer Menſchenſohn, der aus
dem himmel kommt, iſt geſus Chriſtus, der verheißene Meſſias, und
ſeines Reiches wird kein Ende ſein. Hinter dem Titel Menſchenſohn,
der damals nicht mehr verſtanden wurde, verbarg er ſeine meſſianiſche
Würde. Denn er hatte Grund, vor dem Dälke nicht gleich anfangs
als Mieffias zu erſcheinen. Die Juden erwarteten nämlich einen
politiſchen Befreier, der das verhaßte Römerjoch zerbrechen und den
guden die Weltherrſchaft verleihen werde; ſelbſt in den kireiſen der
Jünger beſtanden ſolch ſinnlich-irdiſche Meffiashoffnungen. Hätte geſus
lich offen als den Meſſias kundgegeben, fo hätte er die falſchen Er⸗
wartungen des Volkes nur genährt und es von dem Reiche, das er
bringen wollte, eher abgelenkt als dazu hingeführt. Er legte ſich da⸗
her einen Titel bei, der ebenſoſehr alles, was er war, enthielt als ver⸗
barg. geſus iſt wirklich der Meſſias, der vom himmel gekommene
Bottesfohn, der einem Menſchen glich, aber mehr war als ein Menſch;
er iſt es, dem der Dater das Reich übertragen, er ift der neue Welten⸗
könig, doch ſein Reich iſt kein irdiſches, ſein Reich iſt das Reich der
himmel, das ſich auf die Erde herabſenken ſoll. Die Weiſen aus dem
morgenland fragen nach dem neugeborenen König der Juden
und werden von den Schriftgelehrten nach Bethlehem verwieſen (2, 2).
gefus ſelbſt nennt ſich König bei der Schilderung des Weltgerichtes,
das der Menſchenſohn, wenn er in ſeiner Herrlichkeit kommt und alle
engel mit ihm, abhalten wird; alsdann wird der König zu denen,
die zu feiner Rechten fein werden, ſagen: „Kommet ihr Geſegneten
meines Vaters, und beſitzet das Reich, das ſeit Grundlegung der Welt
euch bereitet iſt“ (25, 34). Und dann wieder vor Pontius Pilatus, als
dieſer fragte: „Bift du der König der Juden?“ bejahte Jeſus dieſe
Trage (27,11). Als König wird er von den Soldaten verfpottet (27, 29),
und über dem Haupte des Gekreuzigten ſteht die Inſchrift: „Dieſer ift
geſus, der Hönig der Juden“ (27, 37).
Der Erlöferkönig iſt aber zugleich der Sohn Gottes. Bei der
Taufe im Jordan, als der hl. Geiſt wle eine Taube auf geſus nieder⸗
ſtieg, erſcholl die Stimme vom himmel: „Dieſer iſt mein geliebter
Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe“ (3, 17). hier iſt zu
24
beachten, daß im griechiſchen Text beim Prädikat ſogar der beſtimmte
Artikel ſteht (der Sohn von mir), wodurch deutlich kund getan iſt,
daß er nicht in bildlichem Sinne Kottesfohn genannt wird, ſondern
der einzige, der wirkliche Sohn Gattes iſt. In ähnlicher Weiſe kommt
die Gottheit geſu zum Nusdruck bei der Verklärung auf dem Berge
Tabor. Es umſchattet ihn eine lichte Wolke, und eine Stimme aus der
Wolke ſpricht: „Diefer ift mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohl⸗
gefallen habe; ihn ſollt ihr hören“ (17, 5). Daher nennt geſus mit
vollem Recht Gott feinen Dater. „Alles iſt mir von meinem Dater
übergeben, und niemand kennt den Sohn als der Vater, und auch
den Dater kennt niemand als der Sohn und wem es der Sohn offen-
baren will“ (11, 27). Auch die Jünger ahnen feine Gottheit; „die im
Schifflein waren, kamen und beteten ihn an und ſprachen: ‚Wohrlich,
du biſt Gottes Sohn“ (14, 33). Auch Petrus hatte ihn Sohn Gottes
genannt: „Du biſt Chriſtus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (16, 16).
Und zum hohenprieſter hatte geſus geſagt, daß er Chriftus ſei, der
Sohn des lebendigen Gottes (26, 63). Der Hauptmann unter dem
Kreuze bekannte gleichfalls: „Wahrlich, dieſer iſt Bottes Sohn ge⸗
weſen“ (27, 54). Nach der Auferftehung, die ebenfalls für feine Gott⸗
heit Zeugnis ablegt, ſprach geſus bei der Rusſendung der Rpoſtel:
„mir iſt alle Gewalt gegeben im himmel und auf Erden. Darum
gehet hin und lehret alle Dölker und taufet fie im Namen des Vaters
und des Sohnes und des heiligen Seiſtes!“ (28, 19). Man beachte
dieſe trinitariſche Formel, wodurch ſich geſus mit dem Dater und dem
Heiligen Geifte koordiniert! Noch mehr als feine Wunder und Weis⸗
fagungen bekundet dann der Umſtand feine Gottheit, daß er Sünden
vergibt; „fei getroſt mein Sohn, deine Sünden find dir vergeben“ (9, 2).
Im Gefühle ſeiner gottmenſchlichen Würde konnte daher geſus zu den
Phariſäern ſagen: „Bier iſt ein Größerer als der Tempel“ (12, 7). „des
Menfchen Sohn ift herr auch über den Sabbat“ (12, 8), „hier ift mehr
als Jonas“ (12, 41), und „hier iſt mehr als Salomon“ (12, 42). Und
das Sottesreich, das er verkündet, iſt ebenſo fehr fein eigenes Reich
(16, 28; 20, 21) wie das des Daters (13, 43; 26. 29).
Der GSottesſohn ift in die Welt gekommen, um fein Volk zu erlöfen
von deſſen Sünden; denn die Sünden verſperren den Weg zum Sottes-
reich. Daher tritt geſus als Bußprediger auf. „Tuet Buße! Denn das
Himmelreich iſt nahe“ (4, 17). Er iſt gekommen, ſelig zu machen, was
verloren war (18, 11), und fefh Geben zur Erlöfung für viele hinzu⸗
geben (20, 28). Das Geſetz des Moſes will er nicht aufheben, ſondern
vollenden (5, 17); den alten Geboten ſetzt er ſein majeſtätiſches „Ich
25
aber ſage euch“ entgegen (5, 22). Er bringt, wonach ſich die Pro⸗
pheten geſehnt haben (13, 17). Über die bloß äußerliche, ſumboliſche
Reinigung ſtellt er die innere, ethiſche (15, 20; 23, 23). Seine Wunder
ſind ebenſo ſehr leibliche Wohltaten wie Vorbilder und Sinnbilder
deſſen, was an den Seelen geſchehen ſoll. Mit dem Himmelreich, das
gefus verkündet, wird der Menfchheit eine neue Moral gebracht,
die der Barmherzigkeit und Liebe. Aber es iſt nicht eine bloße
Diesſeitsmoral, ein Ergebnis menſchlicher Spekulation, wie es irgend
ein Philoſoph konſtruiert, ſondern eine durchaus von der Jdee eines
perfönlichen Gottes beherrſchte und in all ihren Teilen auf
das jenſeitige, ewige beben der Seele bezogene. Die erbar⸗
mende Liebe des Erlöfers wendet ſich mehr an die Armen und Der:
achteten als an die Reichen und Hochgeſtellten; denn nicht die Satten
find es, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürften. Den Armen
wird das Evangelium verkündet (11, 5). geſus ſpeiſt mit Zöllnern und
Sündern (9, 11); denn nicht die Befunden bedürfen des Arztes, ſondern
die kranken (9, 12). „Zöllner und hetären werden noch eher in das
Reich Gottes kommen als ihr“ (21, 31), ſpricht er zu den ſelbſtgerechten
Phariſäern, die das Wichtigere des Geſetzes, die Gerechtigkeit und
Barmherzigkeit und den Glauben, vernachläſſigen (23, 23). Die Vor-
bedingung für die Aufnahme in das Gottesreich iſt die Demut, der
Rinderfinn. „Ich preiſe dich, Dater, Herr des Himmels und der Erde,
daß du dieſes vor Weiſen und kilugen verborgen, Kleinen aber ge⸗
offenbart haft“ (11, 25). „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, fo
werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen“ (18, 3). „Wer ſich
demütigt wie diefes Rind, der iſt der Größte im Himmelreich“ (18, 4).
ein großes Hindernis für den Eintritt in das Reich Gottes iſt außer
der Selbſtgerechtigkeit auch das haften am Ndiſchen, der Reichtum.
„Dahrlich, ich ſage euch, es iſt ſchwer, daß ein Reicher ins himmel⸗
reich eingehe“ (19, 23). Beſonderen Lohn dagegen bekommt die frei
gewählte Armut. „Wer immer fein haus oder Brüder oder Schwe-
ſtern oder Pater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder cker um
meines Namens willen verläßt, der wird Hundertfältiges dafür erhalten
und das ewige Leben beſitzen“ (19, 29). Das Zweitafelgeſetz im neuen
Reiche iſt die Sottes- und Nächſtenliebe. Die ganze Laft der
altteſtamentlichen Geſetze und Vorſchriften reduziert geſus auf dieſe
zwei Gebote. Welche Vereinfachung und kionzentration! Die Berg:
predigt, die Thronrede des Erlöferkönigs, beginnt mit der Seligpreiſung
der Armen im Geiſte, der Sanftmütigen und Trauernden, der nach
Gerechtigkeit hungernden und Dürftenden, der Barmherzigen, der Rei-
26
nen und Friedſamen und Geduldigen (5, 3 ff.). Und beim Weltgerichte
wird darauf geachtet werden, ob der Menſch die Hungrigen gefpeift,
die Durſtigen getränkt, die Fremden beherbergt, die Nackten bekleidet,
die kranken und Gefangenen beſucht hat (25, 34ff.). „Wahrlich, ſag“ ich
euch, was ihr einem dieſer meiner geringſten Brüder getan habt, das
habt ihr mir getan“ (25, 40). Das Chriftentum iſt kein Quietis=
mus, ſondern heroiſcher Aktivismus. Denn das Reich Gottes
beſteht nicht aus ſchönen Worten, ſondern aus ſtarken Taten. „Nicht
wer zu mir ſagt: herr, Herr! wird in das Himmelreich eingehen, ſon⸗
dern wer den Willen meines Daters tut“ (7, 21). Ja, „das himmel⸗
reich leidet Gewalt und die, die Gewalt gebrauchen, reißen es an
ſich“ (11, 12). Der herr ſtellt den Seinigen kein bequemes beben in
Ausfiht; er kündigt ihnen harte Derfolgungen an. „Glaubet nicht,
daß ich gekommen ſei, Friede auf die Erde zu bringen; ich bin nicht
gekommen Frieden zu bringen, ſondern das Schwert“ (10,34). „Wenn
mir jemand nachfolgen will, ſo verleugne er ſich ſelbſt und nehme ſein
kireuz auf ſich und folge mir nach“ (16, 24). „Wer fein Areuz nicht
auf ſich nimmt, iſt meiner nicht wert“ (10, 38). Aber all das muß
geſchehen aus Bottesliebe, aus Liebe zum Vater. „Bütet euch, daß
ihre eure Gerechtigkeit nicht übet vor den Menſchen, damit ihr von
ihnen geſehen werdet“ (6, 1). „Du aber, wenn du beteſt, geh in deine
Kammer, und ſchließ die Türe zu, und bete zu deinem Vater im Der-
borgenen; und dein Vater, der im Verborgenen fieht, wird es dir ver⸗
gelten“ (6,6). Doch alles Gute ſoll auch geſchehen aus Liebe zu Jefus,
um ſeinetwillen. „Wer mich vor den Menfchen bekennen wird, den
will ich auch vor meinem Dater bekennen, der im himmel iſt“ (10, 33).
Die Werke der Nächſtenliebe faßt er fo auf, als ob fie ihm ſelbſt er⸗
wieſen worden wären (25, 40). „Wer ſeine Seele um meinetwillen
verliert, der wird fie finden“ (16, 25). In dieſem mühereichen, kampf⸗
vollen Leben find aber die Anhänger geſu nicht ohne himmliſche
hilfe, nicht ohne himmliſchen Troft. „Bittet, ſo wird euch ge-
geben werden; ſuchet, ſo werdet ihr finden; klopfet an, ſo wird euch
aufgetan werden“ (7, 7). Gott gibt feine Gnade; „bei den Menſchen
iſt das unmöglich; bei Bott aber iſt alles möglich“ (19, 26). „nicht
ihr ſeid es, die da reden, ſondern der Geiſt eures Vaters iſt es, der
in euch redet“ (10, 20). „ommet alle, die ihr mühſelig und beladen
ſeid, und ich will euch erquicken. Nehmet mein Joch quf euch und
lernet von mir; denn ich bin ſanftmütig und demütig von herzen.
So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch it füß
und meine Bürde iſt leicht“ (11, 28 — 30). mit welch eindringlichen
27
Worten weift geſus die Seinigen hin auf die göttliche Dorfehung
(6,25—34), auf den herrlichen Cohn, der ihrer im genſeits wartet;
„die Gerechten werden leuchten wie die Sonne im Reiche ihres Da=
ters“ (13, 43). „Wer den Willen meines Vaters tut, der iſt mir Bru⸗
der, Schwefter und Mutter“ (12, 50). „Kommet ihr Befegneten meines
Daters, und beſitzet das Reich, das euch bereitet iſt ſeit Grundlegung
der Welt!“ (25, 34).
In einer Reihe prachtvoller Sleichniſſe wird das Hhimmelreich ver⸗
anſchaulicht. Erinnert ſei hier an das Gleichnis vom göttlichen Säe⸗
mann, der in den Acker der Welt die Samenkörner feiner Lehre
ausſtreut, aber nicht überall gutes Erdreich findet. Nach einem an⸗
deren Gleichnis ſtreut der böſe Feind auf den guten Samen des
Botteswortes das böſe Unkraut feiner verführeriſchen Lehre, aber
am Ende der Welt wird das Unkraut vom Weizen geſchieden. Wegen
feiner die herzen durchdringenden und umgeſtaltenden Kraft wird das
himmelreich mit dem Sauerteige verglichen; an Wachstumsfähigkeit
gleicht es dem Senfkörnlein, das ſich ſchnell zu einer großen Staude
entwickelt. Der Wert des Himmelreiches wird in dem Gleichniſſe von
dem im Acker gefundenen Schatze und von der koſtbaren Perle an⸗
gedeutet. Das Himmelreich gleicht dem ausgeworfenen Netze, das
gute und ſchlechte Fiſche fängt, aber die ſchlechten werden wieder
Binausgeworfen. Die Bürger im Gottesreiche müſſen ſich gegenſeitig
vertragen und Barmherzigkeit gegeneinander üben, das lehrt uns
das Gleichnis vom unbarmherzigen kinechte. Der himmliſche König
it frei und unbeſchränkt in Austeilung feiner Gnade; das zeigt uns
das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberge. Den Phariſäern gilt
das Gleichnis von dem Weinbergbeſitzer, der feinen Sohn abſchickt,
um von den Winzern den Ertrag in Empfang zu nehmen; aber die
Winzer töten feinen Sohn; „darum ſage ich euch, das Reich Gottes
wird von euch genommen und einem Volke gegeben werden, das die
Früchte desſelben hervorbringt“ (21, 43). Die Phariſäer ſind es auch,
die der Einladung zum Hochzeitsmahle des Königs, zum Eintritt in
das Gottesreich, nicht folgen, ſondern die königsboten erſchlagen.
Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen mahnt zur
Wadyfamkeit und zur Bereitſchaft, wenn der ktönig zum Gerichte
kommt, und die Strenge feines Serichtes veranſchaulicht uns das
Sleichnis von den Talenten.
Unter dem Reiche (G oder himmelreiche iſt nicht immer das
nämliche verſtanden. Dor allem iſt es das unſichtbare und ewige,
das überweltliche und vorweltliche Reich des Vaters; von
28
dort ift der Sohn auf die Erde gekommen, dorthin kehrt er zurück
durch feine Himmelfahrt; von dorther kommt er mit feinen Engeln
zum Weltgerichte; dort finden Aufnahme und ewigen Lohn feine Ge⸗
rechten. „Ich ſage euch, daß viele vom Aufgang und Niedergang kommen
und mit Abraham, Jſaak und Jakob im Bimmelreiche zu Tiſche ſitzen
werden“ (8, 11). Dieſes jenſeitige Reich Gottes ſoll durch die erfte
Ankunft geſu den Menfchen bekannt gemacht werden, es ſoll zu den
menſchen kommen. Mit geſus iſt es in der Tat ſchon da. „Wenn
ich durch den Geiſt Gottes Teufel austreibe, ſo iſt ja das Reich Gottes
zu euch gekommen“ (12, 28). Aber es ſoll auch in den Herzen der
menſchen Wurzel faſſen und geſus lehrt uns beten: „Dein Reich komme
zu uns!“ (6, 10). So entſteht ein geiſtiges Reich Gottes in den
Seelen der Gläubigen, eine unſichtbare Gemeinſchaft aller zu Chri-
ftus Gehörigen, eine unſichtbare Kirche. Aber, fo fragen wir uns,
hat geſus nicht auch eine ſichtbare kirche gegründet? Soll das Gottes-
reich auf erden ohne Rahmen, ohne feftes Gefüge und Berüfte bleiben?
Er hat auch eine ſichtbare Kirche vorgeſehen und vorbereitet.
Die Predigt vom Himmelreiche erging zunächſt an die Juden, an
die verlotenen Schafe vom hauſe Ifrael (10, 6). Nis das auserwählte
Sottesvolk des Alten Bundes, als die Träger der altteſtamentlichen
Verheißungen waren fie die zuerſt Berufenen. Aber die Phariſäer
widerſtanden dem neuen Könige; fie gingen weder ſelbſt in deſſen Reich
noch ließen ſie andere hinein (23, 13). Da wird das Reich von ihnen
genommen. Es muß eine Scheidung eintreten zwiſchen dem
Alten und dem Neuen. „Niemand fett einen Fleck von neuem Tuch
auf ein altes Kleid; denn der neue Fleck macht das kleid zum Stück⸗
werk und der Riß wird ärger. Auch gießt man nicht jungen Wein
in alte Schläuche; ſonſt zerreißen die Schläuche, und der Wein läuft
aus; ſondern man gießt jungen Wein in neue Schläuche (9, 16. 17).
Dem Riten Teſtament ſtellt geſus fein Neues gegenüber. „Dies iſt
mein Blut des Neuen Teftamentes“ (26,28). Mit Jefu Opfertod iſt das
Alte abgeſchafft; der Dorhang im Tempel zerreißt (27, 51), dem Tempel,
felbft ift der unvermeidliche Untergang prophezeit. Vorher aber hatte
defus den Wirkungskreis der Apoftel erweitert; die ganze Erde iſt
ihnen als Miſſtonsfeld zugewieſen. Denn der neue König war nicht
bloß für die Juden, er war für alle Menſchen gekommen. Schon in
der Anbetung der Weiſen aus dem Morgenlande (2, 1 — 12) kommt
der univerſaliſtiſche Charakter des Chriftentums zum Aus-
druck. „Ihr ſeid das Salz der Erde“, ſpricht geſus zu den Apofteln;
„ihr ſeid das Licht der Welt“ (5, 13. 14). „Sehet hin und lehret alle
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Dölker und taufet fie und lehret fie alles halten, was ich euch be⸗
fohlen habe, und ſieh, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der
Welt“ (28, 19. 20). Don dem Weibe, welches über geſu Haupt das
köftliche Salböl ausgegoſſen, heißt es, „wo man immer in der ganzen
Welt das Evangelium verkünden wird, da wird man auch zu ihrem
Andenken ſagen, was fie getan hat“ (26, 13). „Und es wird dieſes
Evangelium vom Reiche in der ganzen Welt allen Völkern gepredigt
werden“ (24, 14). In der Auswahl und Husfendung der Apoftel
beſteht der erſte Schritt zur Gründung einer ſichtbaren Kirche.
Durch Spendung der Taufe, die eine ſichtbare Handlung iſt, werden
dann auch die Gläubigen als ſolche ſichtbar; es entſteht eine ſichtbare
Gemeinſchaft unter Leitung der Apoſtel, denen die Binde- und Oöſe⸗
gewalt übertragen ift (16,19; 18, 18). es ſoll ein fefter Bau entſtehen,
in dem Chriſtus ſelbſt der Eckſtein iſt (21, 42 - 44); der Bau ſoll auf⸗
geführt werden auf Felſengrund; es ſoll ein Bau werden für lange
gahrhunderte. Der Felfen iſt natürlich Chriſtus ſelbſt; aber auch dem
Apoftel Simon hatte er, den Beinamen Fels (Petrus) gegeben und zu
eben dieſem ſagt er ſpäter: „Du biſt Petrus und auf dieſen Felfen
werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Hölle werden fie
nicht überwältigen. Und dir werde ich die Schlüſſel des Hhimmelreiches
geben“ (16, 18). Wie diefe Derheißung in Erfüllung ging, zeigt uns
die Rirchengeſchichte. Petrus nimmt ſpäter feinen Sitz in Rom; die
Rathedra Petri bildet ſeitdem den feſten Mittelpunkt der Kirche; dieſe
hat die Grenzen Paläſtinas längſt überſchritten; fie iſt zur Weltkirche
geworden, und in jedem Nachfolger des hl. Petrus verehrt ſie ihr
ſichtbares Oberhaupt.
Das alfo iſt die Predigt vom Himmelreiche; das iſt das Chriſtus⸗
bild, das uns Matthäus entworfen. Dem Keiche geſu aber hat auch
jedes politiſche Reich ſich einzugliedern, wenn es wachſen und gedeihen,
wenn es Gottes Segen erlangen will. Denn er iſt der unabſetzbare
Hönig und feines Reiches wird kein Ende ſein.
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es iſt kein Elend fo abgrundtief, daß ein Dolk ſich daraus nicht erheben
könnte, ſofern ihm nur geſus Chriſtus Hilfe bietet; es iſt aber auch kein
Slück auf Erden fo feſt begründet, daß es nicht zuſammenbricht, ſobald
deſus Chriſtus feine ſchũtzende und ſegnende Hand einem Volke entzieht.
katholiſches Dolk Deutſchlands, lenke deine ganze Sehnſucht zu Chriftus,
richte dahin dein Gebet, dahin deine Hilferufe! Chriſtus ſei dein herr
und dein Bott, aber auch dein Leben! Dann wird er auch deine Hilfe,
dein Troft, deine Araft, deine Rettung fein.
Biſchof Dr. Sigm. Waitz beim St. Ronradsjubiläum in Ronftanz 1923.
30
Glaube und Kirche.
P. flois mager (Beuron).
Ein Grundſatz der ſcholaſtiſchen Pſuchologie lautet: nihil volitum
nisi prius cognitum — gewollt werden kann nur das, was zuvor
erkannt iſt. Wird Lieben als ein Ausfluß der Willenstätigkeit ange⸗
ſehen, ſo erweitert ſich der Srundfaß dahin, daß nichts geliebt werden
kann, was nicht zuerſt irgendwie erkannt if. Weſen und Ziel der
Umwandlung, die das Chriftentum in der Einzelfeele wie in der Ge-
meinſchaft bewirkt, iſt nichts anderes, als die Liebe, die Liebe
Gottes zu den Menſchen und die Liebe der Menſchen zu Bott
und zu einander. Dieſe Liebe ift Inhalt und Vollendung der Offen⸗
barung. Und es brauchte eine Offenbarung, um dieſe Diebe den
menſchen bekannt zu machen. Es bedurfte einer höheren Kraft, um
fie in den Einzelſeelen und in der Bemeinfhaft in Wirklichkeit über:
zuführen. Liebe im chriſtlichen Sinn bedeutet etwas, was nicht bloß
über die menſchliche Natur, ſondern über jede geſchaffene Natur hinaus⸗
geht. Die chriſtliche Liebe iſt übernatürlich im vollen Sinn des Wortes.
nehmen wir den vollendetſten Gottesbegriff, den das heidniſche
Altertum ſchuf, den ariſtoteliſchen als den Gottesbegriff, den der
menſchliche Geift aus eigener Araft bilden kann, fo müſſen wir ſagen,
daß dieſer Gottesbegriff die Liebe als den denkbar größten Widerſpruch
von ſich ausſchließt. Bott ift der unbewegliche Beweger, der das All
anzieht, wie das „Beliebte den Liebenden“. Wie der Apfel, ſelber
unbeweglich und unbewegt, die Luft im Anaben weckt und das Aus=
ſtrecken der hand, die Bewegung des Anaben zum Apfel hin bewirkt,
fo bewegt Sott das All. Und dieſes Bewegtwerden des All iſt feine
Seinsvollendung. Das hinbewegtwerden des Niederen zum höheren
war für die Alten Liebe. Das Unbewegte kann keine Liebe haben.
Es ſchließt alſo abfolut jede Liebe ſchon im antiken Sinn aus. Liebe,
foweit man im antik⸗heidniſchen Sinn von Liebe ſprechen kann, be⸗
ſteht nach Ariftoteles darin, daß das Niedere vom höheren einfeitig
etwas empfängt, was es vorher nicht beſaß. Nuch die Freundſchaft,
die nach Ariftoteles nur zwiſchen Gleichen ſich bilden kann, geht auf
dieſen Brundfag des einfeitigen Empfangens zurück. Eine Freund⸗
ſchaftsliebe zwiſchen Bott und den Menſchen iſt erſt recht ein Wider⸗
ſpruch. Hriſtoteles erklärt daher mit Recht denjenigen für geiſtesgeſtört,
der Zeus lieben wollte. Die chriſtliche Liebe iſt weſensverſchieden von
der Freundſchaftsliebe der Alten. Beſitzen iſt das höchſte für den an⸗
tiken Menſchen. Beben bedeutet ſich feines Beſitzes berauben. Liebe
31
iſt das Streben des Nichtbeſitzenden nach Beſitz. Die Liebe der Offen-
barung bedeutet eine vollſtändige Umkehrung dieſer Ordnung. hier
ift Geben nicht Sichberauben, ſondern Beſitzen. Beſitzen ift Geben und
Beben Beſitzen. Weil das Weſen Gottes in der Liebe befteht, if Gott
ſozuſagen Gott, weil er die Gottheit nur beſitzt, indem er ſie gibt,
nämlich in den drei göttlichen Perfonen. Wir Menfchen können, wie
überhaupt jedes geſchaffene Weſen, dieſe Liebe nicht aus uns haben.
Wir können lieben nur inſofern als wir teilnehmen am beben der
heiligſten Dreifaltigkeit. Da haben wir wirklich Teil an dieſem Be⸗
fiten, das Geben iſt. Dieſe Teilnahme muß ſich darin bewähren, daß
wir unſeren Mitmenſchen gegenüber nicht geben, um zu empfangen,
ſondern geben, damit wir beſitzen können, nämlich die Liebe Gottes.
Wir können dieſe innere Einſtellung und haltung unſeren Mitmenſchen
gegenüber nur inſofern und ſoweit haben, als wir teilhaben an der
göttlichen Liebe. Darum ſagt der hl. Johannes: „Wer behauptet, er
liebe Zott, haſſet aber feinen Nächſten, der iſt ein bügner.“ haſſen iſt
nehmen, Nehmen ift Sichberauben. Denn Lieben ift Geben, Geben ift
Beſitzen. Dieſer Liebesbegriff geht zwar nicht gegen unſere Vernunft,
wohl aber über unfere Dernunft. Die Liebe iſt übernatürlich.
Damit wir dieſer übernatürlichen Liebe teilhaftig werden, müſſen
wir zuerſt erkennen, daß Gott die Liebe iſt, daß er und wir und alle
Menfchen liebenswürdig find. Die Liebe aber geht über unfere Der-
nunft, ja über jedes geſchaffene Erkenntnisbsermögen. Es muß uns
alſo eine übernatürliche, nur von der Liebe Bottes bewirkte Erkenntnis⸗
möglichkeit mitgeteilt werden, damit wir den Gegenſtand der Liebe
erkennen und damit der göttlichen Liebe teilhaftig werden können.
Dieſes übernatürliche Erkenntnisvermögen bildet die abſolute Grund-
lage des ũbernatürlichen Lebens in der Einzelfeele wie in der Gemein⸗
ſchaft. Wir nennen dieſes übernatürliche Erkennen Glauben.
Die Richtigkeit der Liebe hängt nach den Geſetzen der Pſuchologie
von der Richtigkeit des Erkennens, alſo von der Richtigkeit des Blau-
bens ab. Darum bildet das Blaubensleben den Anfang und Grund⸗
ſtein, auf dem alles ruht.
Was iſt denn eigentlich der Glaube? Er hat mit jedem Erkenntnis-
vorgang das eine gemein, daß er eine Selbſtmitteilung des Gegen-
ſtandes an den Erkennenden iſt. Den Gegenftand des Glaubens aber
kann ich mit meinem Erkennen nicht unmittelbar faſſen. Es gibt nur
einen Weg, um doch Aenntnis von dieſem unerreichbaren Gegenftand
zu erlangen: Das Zeugnis eines anderen. Dieſes Zeugnis aber kann
nur einer geben, der den Begenftand unmittelbar erreicht. Das Weſen
32 =
Gottes, die Diebe, erfaßt unmittelbar nur Gott ſelber. Alſo Bott felber
mußte ſich uns offenbaren. „Denn nie hat einer Bott geſehen“, heißt
es im gohannesevangelium; „der eingeborene Sohn, der im Schoß
des Vaters ift, der hat uns Hunde gebracht.“ In der Tat, der Bottes:
fohn, vorbereitet durch die Bottesoffenbarung des Alten Bundes, trat
als Menſch unter den Menſchen auf und offenbarte uns die Liebe.
Seine irdiſche Begenwart dauerte nur kurze Zeit und beſchränkte ſich
nur auf ein kleines and mit beſtimmten Gebräuchen. Seine Gegen—
wart aber muß alle Zeiten, alle Menfchen erreichen, um ihnen Zeugnis
zu geben, damit fie die übernatürliche Welt im Glauben erfaſſen.
Chriftus lebt weiter in der Gemeinſchaft, die er gründete, in der hei—
ligen Kirche. Die Kirche ift der fortlebende, menſchlich immer gegen—
wärtige Chriftus. Die Auswirkung unſeres Glaubenslebens vollzieht
ſich alſo: Die katholiſche ktirche iſt eine ſichtbare, allen Menſchen,
allen Zeiten zugängliche Erſcheinung. Sie offenbart uns fort und fort
jene übernatürliche Welt, die ein geſchaffenes Erkennen aus ſich nie
erreichen würde. Wir nehmen fie auf das Zeugnis der Rirche hin an.
Wir glauben. JIft es etwa gegen die Vernunft, etwas auf ein Zeug—
nis hin anzunehmen? Daß ich jemand als Zeugen erkenne, iſt ein
gewöhnlicher Erkenntnisvorgang. Indem ich aber jemand als Zeugen
erkenne, erkenne ich ihn als einen, der etwas mitteilt, was ich nicht
unmittelbar erkenne. Ich erkenne es nur als mitgeteilt. Der Zeuge iſt
das Mittelding, das unmittelbar mit jenem Etwas in Berührung ſteht.
Ich ſtehe unmittelbar nur mit dem Mittelding in Berührung, das ſelbſt
unmittelbar mit dem für mich Tliht=Erkennbaren in Berührung ſteht.
Das iſt aber durchaus vernünftig, jemanden als unmittelbar mit etwas
in Derbindung ſtehend zu erkennen, das ſelber meiner Erkenntnis ſich
entzieht. Jemanden als Zeugen erkennen heißt, jemanden als glaub—
würdig erkennen. Das Erkennen der Glaubwürdigkeit des Zeugen, der
uns die übernatürliche Welt offenbart, iſt eine natürliche Erkenntnis.
Wir ſehen, wie vernünftig es iſt, zu glauben. Denn der Glaube
ſchließt, obwohl von ihr weſensverſchieden, ſtreng logiſch an eine
natürliche Erkenntnis an. Wie die Gnade die Natur vörausfeßt, ſo
der Glaube die natürliche Erkenntnis der Glaubwürdigkeit der Bezeu⸗
gung. Das Bejahen der Slaubwürdigkeit iſt natürlich, das Bejahen
aber deffen, was der glaubwürdige Zeuge ſagt, iſt übernatürlich. Das
iſt der Glaube. So greifen Natur und Übernatur hier ineinander über.
Eines Freundes Zeugnis für wahr halten, ſetzt Vertrauen voraus.
Darum heißt Glaube im Lateinifchen fides, d. i. Dertrauen, Treue.
Jſt es vernünftig, zu glauben? ga, wenn die Bejahung der Glaub⸗
33
würdigkeit, auf der die Bejahung des Zeugnisinhaltes fußt, aus einer
Gewißheit hervorgeht. Die Gewißheit der Glaubwürdigkeit kann ſo⸗
lange keine abſolute ſein, als der Jeuge irren kann. Abſolut iſt alſo
die Gewißheit nur dort, wo Gott ſelber bezeugt. Steht einmal feſt,
daß es einen Bott gibt und Bott geſprochen hat, dann iſt die Blaub-
würdigkeit feiner Bezeugung abſolut gewiß. Glauben im eigent⸗
lichen Sinn iſt nur die Annahme des Zeugnisinhaltes, die auf die
Autorität Gottes ſich ſtützt. Darum beſtimmt das Datikanifche Konzil
den Glauben als „eine übernatürliche Tugend, durch die wir unter dem
Einfluß und dem Beiſtand der Gnade Gottes das, was von ihm ge⸗
offenbart worden iſt, fürwahrhalten nicht wegen der inneren Wahrheit
der Dinge, die ja durch das natürliche Licht der Vernunft nicht er⸗
kannt werden kann, ſondern auf Grund der Autorität des ſich offen⸗
barenden Gottes felber, der nicht irren und nicht in Irrtum führen kann.“
Das Daſein Gottes kann natürlich bewieſen werden, d. h. wir können
von dieſer Tatſache eine natürliche Gewißheit bekommen, wie das
Datikanum ausdrücklich bemerkt.
Der Vollzug unſeres Glaubenslebens ift dieſer: Die katholiſche Kirche
verkündet in unmittelbarem Auftrag Gottes beſtimmte Wahrheiten.
Auf Grund der Glaubwürdigkeit der kirche nehme ich dieſe Wahre
heiten, die ein geſchaffenes Erkennen niemals begreifen könnte, an.
Das iſt der Glaube. Die Frage iſt nur die, ob die Kirche wirklich
glaubwürdig iſt. Dies feſtzuſtellen iſt Sache des natürlichen Erkennens.
Spricht die Kirche in unmittelbarem Auftrag Gottes? Was ſagt die
ktirche von ſich ſelber? Sie bezeichnet ſich als den fortlebenden Chriftus.
Wenn ſie das iſt, dann iſt ſie abſolut glaubwürdig. Im unfehlbaren
behramt und in der Eudariftie vor allem lebt Chriftus in der
Kirche weiter. Es läßt ſich mit natürlichen Erkenntnismitteln nach⸗
weiſen, daß beide Einrichtungen auf defus von Nazareth zurückgehen.
Wer war dieſer geſus von Nazareth? hat er wirklich gelebt? Beide
Fragen muß das natürliche Erkennen beantworten. Es bejaht mit
geſchichtlicher Gewißheit, daß geſus von Nazareth gelebt hat. Und
dieſer Jeſus ſagte von ſich, daß er Gottes Sohn ſei, daß er alſo aus
unmittelbarem göttlichen Wiſſen die übernatürliche Welt uns bezeugt.
Daß feine Nusſage, er fei Bott, glaubwürdig ift, bewies er durch Tat⸗
ſachen, die keine geſchaffene Kraft, ſondern nur Gott bewirken kann: näm⸗
lich durch Wunder und Weisſagungen. Und dieſer geſus gründete eine
Semeinſchaft, in der er fortlebt und fortwirkt. Und als dieſe Semein⸗
(haft weiſt ſich eben die katholiſche Kirche aus. Und wir glauben,
weil die katholiſche Kirche abſolut glaubwürdig iſt. Den wiſſenſchaft⸗
Benedlrnniſche Monatſchriſt VI (1924) 1—2. 3
34
lichen Nachweis der abfoluten Glaubwürdigkeit der katholiſchen kirche,
die ich in einer großen Ginie gezeichnet habe, führt die Rpologetik.
Meine Abſicht ift es hier nicht, das Glaubensleben apologetiſch zu
begründen. Ich halte mich deshalb nicht länger bei dieſen Gedanken⸗
gängen auf. Ich verweiſe auf die apologetiſchen Werke, die den Be⸗
weis bis in die Einzelheiten ausführen. *
Ein Srundübel muß ich in diefem Zuſammenhang berühren, an dem
vor allem das moderne Glaubensleben krankt. Der moderne Menſch
will nur glauben, was er einſieht. Das iſt ein Widerſpruch, der ganz
offen zutage liegt. Was ich einſehe, kann ich nicht glauben, und was
ich glaube, kann ich nur glauben, weil ich es nicht einſehe. Der In⸗
halt der Offenbarung iſt weſensmäßig ſo, daß er nie durch ein ge⸗
ſchaffenes Erkennen in ſich begriffen werden kann. Er muß, wenn
anders er erfaßt werden ſoll, geglaubt werden. Er kann daher auch
nie im eigentlichen Sinn oder wiſſenſchaftlich bezweifelt oder widerlegt
werden. Der Einſicht und zwar der menſchlichen Einſicht offen ſteht
nur die Glaubwürdigkeit der Kirche. Don dieſer Glaubwürdigkeit ſagt
allerdings das Datikanum, daß es nie eine gerechte Urſache geben
könne, dieſe in Zweifel zu ziehen. Gemeint war, daß die Slaubwürdig-
Reit objektiv fo geſichert ift, daß fie mit gerechtem Grund nicht be⸗
zweifelt werden kann. Was aber objektiv gewiß iſt, iſt es noch lange
nicht ſubjektiv. Auf ſeiten der Einzelmenfchen beſteht eine weitgehende
Möglichkeit ſelbſt zu unverſchuldeten Schwierigkeiten und Zweifeln.
Die Schwierigkeiten und Zweifel aber können ſich nie unmittelbar auf
den Offenbarungsinhalt beziehen, ſondern nur auf die Glaubwürdigkeit
des Offenbarers. In dem Grad allerdings, als die Glaubwürdigkeit
pofitiv bezweifelt wird, verſchwindet auch der Blaubensinhalt. In dem
Grad als die natürliche Gewißheit der Glaubwürdigkeit erſchüttert ift,
wankt die Bejahung des Offenbarungsinhaltes ſelber, die auf jener fußt.
Wir unterſcheiden zwiſchen Tugend des Glaubens und dem Glau⸗
bensakt. Die Tugend des Glaubens iſt jene Grundhaltung der Seele,
durch die der Menſch immer die Bereitſchaft und Fähigkeit beſttzt,
irgend einen Offenbarungsinhalt zu bejahen. Die Bejahung im Einzel-
fall iſt der Akt des Glaubens. Es iſt viel darüber geſtritten worden,
ob der Glaube mehr Derftandes= oder Willensakt ſei uſw. Ich will mich
darauf nicht einlaſſen. Jedenfalls, eines iſt gewiß: Ein Derftandesakt
allein macht nie den Glauben aus, die Zuftimmung des Willens ift
weſenhaft erfordert. Allerdings fett die Fuſtimmung des Willens eine
irgendwie geartete Derftandeserkenntnis voraus.
Es iſt vielleicht richtiger, mit der neueren Pfychologie zu ſagen:
35
der Glaube [ei die Bejahung, Anerkennung einer Erkenntnis.
Bejahung, Anerkennung ift ein perſönliches Sichzueigenmachen. Per⸗
ſönliches aber kann nur im Willen ſich vollziehen.
Diel wichtiger als der theoretiſche Aufbau des Glaubens ift die
wirkliche Entſtehung und innere Ausgeftaltung des Glaubens. Darüber
gibt uns der hl. Paulus unvergleichlichen Aufſchluß. Nach Paulus
wird der Glaube angeregt vom lebendigen Wort, von der Glaubens-
predigt. — Die Kirche ſpricht durch ihre Diener. Wie jedes andere
Wort ſoll es überzeugend auf die Seelen wirken. Es ſoll die Glaub⸗
würdigkeit unmittelbar auf pſuchologiſchem Weg zur Überzeugung in
der Einzelfeele bringen. Das iſt aber nur Vorbereitung. Auch das
Bejahen des Predigtinhaltes iſt noch nicht die Tugend des Glaubens;
denn es iſt, wenn auch mit Hilfe der Gnade zuſtande gekommen,
in ſich noch nicht übernatürlich. Erſt durch die Eingliederung in die
Bemeinfchaft der Gläubigen, in der Chriftus weiter lebt, bekomnft die
Einzelfeele Anteil an Chriſtus und durch ihn an der übernatürlichen
Welt. Die Eingliederung in die kirche vollzieht ſich in der heiligen
Taufe. Da wird die Seele übernatürlich wiedergeboren und erhält
jene Srundrichtung auf Chriſtus durch die Semeinſchaft. Da empfängt
die Seele die Tugend des Glaubens, die dann durch einzelne Akte
immer mehr vertieft wird. Dieſe Tugend kann nur durch einen Akt des
Unglaubens verloren gehen. Jene Weſensprägung als Teil in dem Leib
Chrifti geht nie verloren.
Und worin beſteht ſeeliſch nach dem hl. Paulus der Glaube? Der
hhebräerbrief ſagt es uns: „Der Glaube iſt ein Sichherablaſſen von erſt
zu hoffenden Dingen, ein Inhaltsverzeichnis von noch nicht geſchauten
Dingen“ (Hebr. 11, 1). Was ſpäter einmal Vollbeſitz fein wird, fängt jetzt
ſchon an in Beſitz genommen zu werden; was ſpäter einmal ſich ganz
enthüllen wird, wird jetzt ſchon im Inhaltsverzeichnis gewußt. Das
Inhalts verzeichnis eines Buches gibt eine dunkle, ganz allgemeine
Ahnung vom Gehalt eines Buches, der ſich aber erft bei der beſung
des Buches enthüllt. Die Blaubenswahrheiten verhalten ſich zum
dereinſtigen Schauen wie das beſen des Inhalsverzeichniſſes eines
Buches zum Lefen des Buches ſelber. Was der hl. Paulus fagen will,
iſt dieſes: Das, was einſt der Seelenzuſtand ſein wird in der End⸗
vollendung, im Dollbefig Gottes, das iſt der Glaube im Reim, im
Anfang. Paulus faßt den Glauben als Geben, als einen vitalen Akt,
nicht einſeitig als Derſtandes⸗ oder Willensakt. Der hl. Thomas bringt
den pauliniſchen Gedanken mit wundervoller Klarheit zum Ausdruck,
wenn er fagt: „Der Glaube iſt der Beginn des ewigen Lebens in uns.“
3*
36
beben alfo ift der Slaube, nicht ein theoretiſches Fürwahrhalten. Liebe
ift das Leben Bottes, das ewige Leben. Glauben ohne Liebe ift tot.
Der hl. Paulus und der hl. Jakobus betonen es mit aller Schärfe.
Darum verbindet ſich bei Paulus mit dem Glauben als die Hauptſache
immer die Liebe. Die Liebe, der hl. Geift, iſt ausgegoſſen in unſere
herzen uſw. Ein wahres, lebendiges Glaubensleben beſteht nach der
Hl. Schrift darin, daß die ewigen Wahrheiten als Motive für unſer
handeln aufgenommen werden. 80 wird der Glaube zum beben.
Der Heiland konnte daher bei Johannes ſagen: „Wenn nur einer den
Willen meines Vaters täte, der würde erfahren, daß meine Worte,
Wahrheit ſind.“ Immer und immer wieder betont Chriſtus den engen
ZJuſammenhang zwiſchen Glauben und ewigem Leben. „Wer glaubt,
hat das ewige beben.“ Es kann nicht zweifelhaft fein, daß die Slau⸗
bensmüdigkeit und Glaubensverödroſſenheit der modernen Menſchen
daher kommen, weil der Glaube viel zu ſehr als Wahrheitsſuſtem
aufgefaßt wird und viel zu wenig als Leben. Der innere Kontakt
der Seele mit den Blaubenswahrheiten ift vielfach verloren gegangen.
ga, es hat fi eine luft aufgetan zwiſchen dem wirklichen Seelen⸗
leben und den objektiv formulierten Slaubenswahrheiten. Es iſt ein
gutes Zeichen, daß dieſe Kluft vom heutigen Menſchen ſo tief emp⸗
funden wird. Er will den Glauben wieder erleben. Und wo ein
Wille iſt, da hat ſich auch immer noch ein Weg gefunden. a
Wie follen wir heute, fo müſſen wir uns fragen, unſer Glaubens-
leben geftatten? Die Weltnot ift zu einer höhe angewachſen, aus der
die Menſchen keinen Ausgang mehr finden. Die Dölkernöte, die
Seelennöte, die wirtſchaftlichen, ſozialen und politiſchen Nöte ſchreien
nach Löfung. Ohnmächtig ſtehen die Menſchen da. Sie alle ahnen,
daß nur eines Rettung bringen kann: Liebe. Es gibt aber nur einen
Weg, auf dem die Liebe in die Menfchen und Dölker kommen kann:
Durch den Glauben. Nur wo lebendiger Glaube iſt, herrſcht wahre
biebe. Liebe iſt der eigentliche Begenftand der Offenbarung. Aus
uns können wir es nie erfinden und ergründen: Das Seheimnis
der Liebe. Wir ſahen, zu welchem Gottesbegriff die natürliche Er⸗
kenntnis führt: Der Gott, der unbeweglich und unbewegt die Welt
ewig in Bewegung hält. Niemals kann ein Verhältnis der Liebe
zwiſchen Bott und Geſchöpf ſich KRnüpfen. Nur ein Verhältnis war
denkbar: das zwiſchen dem Untertan und der unnahbaren Majeſtät
des Herrſchers. Wie ganz anders tritt uns Gott in der Offenbarung
entgegen. Er iſt die Liebe. Und das Weſen der Liebe befteht eben in
dem für das natürliche Erkennen unbegreiflichen Widerſpruch: Beſitzen
*
37
iſt hingeben und Hingeben ift Beſitzen. Gott beſitzt die Fülle göttlichen
bebens, indem er es ganz mitteilt. Daher die weſenhafte Dreiperfön-
lichkeit in der einen göttlichen Natur. Hier iſt die abſolute Liebe
Wirklichkeit, uns unbegreiflich, dem Glauben aber die Offenbarung
einer Wunderwelt ohnegleichen. Ein Weiterwirken der göttlichen
biebe über das Geheimnis der Dreifaltigkeit hinaus iſt die Erſchaffung
der Welt, der Geiſterwelt der Engel, des Menſchen und der ſichtbaren
Welt. Das Verhältnis des Schöpfers zum Geſchöpf ift Liebe. Erft
wenn dieſe Tatſache in uns zum bewußten Erlebnis wird, erft dann
find wir Kinder Gottes im eigentlichen Sinn. Solange das klinechts⸗
verhältnis noch den Grundton unſerer Stellung zu Gott iſt, ſtecken
wir noch im Heidentum. Wie ſehr die Liebe der Grund der Schöpfung
iſt, geht aus einer weiteren Tatſache hervor. Aus freier Willenstat —
Willensfreiheit iſt das Weſen des Menſchen — zerſtörte der Menſch
das Verhältnis der Liebe zwiſchen Gott und ſich. Gerade im Der:
halten Gottes gegenüber der Bosheit des Menſchen offenbart ſich erft
recht das Weſen der Liebe. Gott neigte ſich in der zweiten Perſon
herab in den Abgrund, in den die Menſchheit geſtürzt war. Gottes
Sohn ward menſch. Nuch als Sottmenſch war er ganz Liebe. Denn
er gab ſein beben hin, um es als Gottmenſch für alle Ewigkeit zu
befigen. Seitdem weilt die Liebe Gottes ſelber unter uns. Der Gott⸗
menſch bleibt gegenwärtig in der Gemeinſchaft der Erlöften, in der
Suchariſtie und im unfehlbaren behramt. Beide Einrichtungen
find nur als Denkmale göttlicher Liebe zu begreifen. Wenn die
Wiedererneuerung der Menſchheit vollzogen ſein wird, kommt die
Auferftehung des Fleifches.
Die freien Wefen, die in der Bosheit, in der vorſätzlichen Ablehnung
der Liebe Gottes verharren, befinden ſich mit freiem Willen und mit
vollem Bewußtſein in einem Seelenzuſtand, der eben die hölle iſt.
Bott iſt von ſich aus ganz Liebe auch den Verdammten gegenüber.
Wie aber ein krankes, verderbtes Auge Licht und Farbe nicht wie
das geſunde als Freude und Luft, ſondern als Qual empfindet, fo
kann eine Seele im Endzuſtand, die mit freiem Willen die Liebe von
fi geſtoßen, alſo in ſchwerer Sünde ſich befindet, die Liebe Gottes
nur als die furchtbarſte Pein empfinden.
50 ift der Inhalt unſeres Glaubens tatſächlich nur Liebe. Was ich
vorhin ſagte, war in kurzen Strichen nur der Inhalt unſeres Glaubens.
nehmen wir die Summa theologica des hl. Thomas oder ſonſt ein
Werk der Dogmatik zur hand: Das und nichts anderes iſt ihr Inhalt.
Soll unſer Glaubensleben zu neuer Macht erwachen, fo muß es die
38
Blaubenswahrheiten vor allem als Offenbarung der Liebe begreifen.
Wir müſſen fie als Offenbarung der Liebe erleben. Und da die heilige
Kirche die immer gegenwärtige Offenbarung Gottes iſt, muß es unſer
Streben fein, das beben der Kirche zu leben, das Bewußtſein der
Kirche zu unferem Bewußtſein zu machen. Die Kirche iſt immer⸗
fort Gegenwart. Wir brauchen nicht in die Vergangenheit zu ſchauen.
Wir find heute geradefogut die Kirche, der fortlebende Chriſtus, wie
die kleine Schar im Abend mahlſaal oder die Kirche der erſten Jahr:
hunderte. Leben wir das beben der Kirche als Bemeinfchaft des
Glaubens und der Liebe. Und wir werden es leben, wenn wir die
Euchariſtie in Meffe und kommunion und das unfehlbare Lehramt
zur Quelle unſeres Cebens machen. Dann find wir auf dem beſten
Weg zur vollendeten Innerlichkeit und zur vollendeten Gemeinſchaft.
Dann wird unſere heilige kirche von neuem zum Licht auf dem
Scheffel werden, nach dem die ſuchende Zeit ausſchaut, zur Stadt auf
dem Berge, zu der die Dölker pilgern. Die Liebe zur Kirche über alles!
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Die Wurzel des Gebens.
Ds man nach beftimmten, feſten Gehren nicht viel fragen müſſe, daß es das
höchſte Glück eines chriſtlichen Lebens ſei, ſich dem Dienſte des Nächſten zu
weihen, ſo hatte man ihm geſagt.
„Doch da konnte ich nicht einſehen“, ſchreibt der junge Inder“, „wie die chriſtliche
Religion die einzig wahre fein könne, wenn fie mir dieſe Pehre vortrage. Kein ver⸗
nünftiger Menſch auf der Welt, was für religiöfe Überzeugungen er auch immer
haben mag, kann leugnen, daß Nächſtenliebe etwas Großes iſt. Wo bleibt denn da
die Eigenart des Chriftentums? Außerdem gab ja auch die Urkirche nicht dieſe behre
als die einzige, die ſie der Welt brachte. Aber viel Blut wurde in ihr vergoſſen,
um darzutun, daß Jeſus der Sohn Gottes war, der gekreuzigt wurde, aber am dritten
Tage wieder von den Toten auferſtand.“
mit ſozialen Problemen ſollte er ſich beſchäftigen! Da wollte der Inder doch erſt
wiſſen, „was denn das Chriſtentum mit Soziologie zu tun habe“. Er wollte den
chriſtlichen Slauben kennen lernen, und er wollte ihn ganz kennen lernen. Und
die Snade wies ihn den rechten Weg; fie gab ihm Licht und Kraft. Sie gab ihm
den Mut, ſelbſt die ſtärkſten Bande zu löſen, die Bande des Herzens. Sie führte
ihn ſchließlich „vom Hinduismus zum Katholizismus“.
„Diele tauſend menſchen kamen ſchon dazu, Zott zu lieben, indem fie die Men-
[hen liebten.“ Aber „der Glaube lernt am ſchnellſten; denn er verliert ſich
bald in jene Liebe, die alle Dinge auf einen Blick ſieht und verſteht. Wie viele
menſchen meinen, fie könnten ihre geiſtlichen Krankheiten dadurch heilen, daß ſie
ihre Liebe vermehren, wo es beſſer wäre, fie pflegten ſorgfältig ihren Glauben“.
Nicht im Glauben allein liegt hinieden das Leben, nicht allein in der Liebe. Das
beben liegt im „Glauben, der ſich in der Liebe betätigt“ (Gal. 5, 6).
! Dom Hinduismus Zum ktatholizismus. Selbftbekenntniffe eines jungen Brahmanen. Leuchtturm 15
(1921/22) 137 ff. 2 Faber RKReiching, Bethlehem". (Regensburg 1865) 219 u. 250.
89
Chriſtus im Gleichnis der Sonne.
Eine kleine liturgiegeſchichtliche Uamenſtudie zum Sonntag.
Don P. Anfelm Manſer (Beuron).
er Einigkeit in Bezug auf Umfang und Ausgangspunkt der Woche
bei den verſchiedenen chriſtlichen Dölkern, Kirchen und Gottesdienſt⸗
orönungen ſteht gegenüber eine Derfchiedenheit in der Benennung der
einzelnen Wochentage. Alt- und neuteſtamentliche, vorchriſtliche und
chriſtliche, übernommene und ſtammeseigene, morgen: und abend⸗
ländiſche Züge haben ſich in der Namenreihe der Wochentage ungleich
und mannigfach verbunden und vermiſcht. Damit ſpiegelt ſie unſchein⸗
bar und doch klar und bedeutſam die geſchichtliche Miſchung und Der:
knüpfung von Kulturen und Zeiten wieder.
In der romaniſchen Dölkerfamflie des Südens und Weſtens trägt
der haupt⸗ und Eröffnungstag der Woche im Gegenſatz zu den folgen⸗
den Wochentagen den neuteſtamentlichen und reinſt chriſtlichen und
liturgiſchen Namen „Tag des herrn“, d. h. Tag Chriſti. Das gemein⸗
ſame Stammwort bot den lautlich verſchieden geſtaltenden romaniſchen
Tochterſprachen die altkirchliche lateiniſche Bibelüberſetzung im 10. Vers
des 1. Rapitels der Geheimen Offenbarung des Apoſtels Johannes:
in dominica die«: „am Herrentage“. g
Unter den germaniſchen Völkern eignet dagegen dieſem erſten
und führenden Wochentag die an ſich und zunächſt mehr naturhaft
als geſchichtlich und gottesdienſtlich klingende Bezeichnung: Sonnentag,
Sonntag. Den obwaltenden und abſtechenden Tatbeſtand hat ſchon
der heilige Geſchichtſchreiber des chriſtlich gewordenen germaniſchen
Frankenſtammes, Biſchof Gregor von Tours (+ 594), deutlich hervor⸗
gehoben: in feinen „Zehn Büchern fränkiſcher Geſchichte“ (B. III, flap. 15).
Ein reicher, mächtiger Franke im Trierer Gebiet bedeutet feinem neuen,
vielberſprechenden koch: „Schau! gerade ſteht der Sonntag bevor;
an dieſem Tag werden meine Nachbarn und Derwandten in mein
haus geladen.“ Zum Worte Sonntag (dies solis) ſchiebt der chriſtliche
herodot und Sprößling einer alten, vornehmen und ganz in die Kirche
hineingewachſenen Rö merfamilie die Erläuterung ein: „So iſt nämlich
fremder [fränkifcher] Brauch (barbaries) gewohnt, den herrentag
(diem dominecum) zu nennen.!“
Sleichwie Nichtchriſten durch die weihende und umwandelnde Taufe
in den Bottesbund der Kirche und das Heerlager Chriſti Aufnahme
Monumenta Germaniae hist., Scriptores rerum Meroving., I, 1885, S. 123,5 ff.
40
und Eingliederung finden, fo gewannen auch manche vor= und außer=
chriſtliche Worte und Gleichniſſe durch Erfüllung mit chriſtlichem Sinn
und Empfindungswert Bürgerrecht im kirchlichen Gedanken- und Sprach⸗
ſchatz, Schrifttum und Bildweſen. In großer und tiefgründender Forſcher⸗
weiſe hat das bezüglich des Fiſchſinnbildes unlängſt ein bewundertes
Werk der Religionsgeſchichte und chriſtlichen Altertumskunde en
und veranſchaulicht: Fr. 9. Dölger’s IXO.
Das Frühchriſtentum und die Blütezeit der Kirchenväter iſt reich
ausgeſtattet mit dem ſtillen und heimlichen Sinnbild des ſchweigenden
Fiſches, der vorab auch Opfer und Opferſpeiſe war und bedeutete.
mit dem Anbruch und Erſtarken der germaniſchen mittelalterlichen
Welt des Abendlandes nach dem Untergang des alten, durch griechiſche
und morgenländiſche Juflüſſe befruchteten Römerſtaates tritt dieſes
Sinnbild aus dem allgemeinen Lehen und Derftändnis zurück und wird
gleichſam ein erſtorbenes Wort. Don erheblichem Einfluß hiebei war
wohl, daß dieſes Bild Chrifti nicht von den Gottesbüchern der Bibel
getragen und geſchirmt war. Somit floß es nicht aus dieſer immer
lebendigen und göttlich verehrten Quelle über eine erlöſchende Kultur
hinweg in eine neue hinein. Anders war das Geſchick des großen
und glänzenden Sonnenbildes Chriſti. Das beruht zum Teil wohl auf
reger werdendem frommen Naturſinn und gefühl, wie es ih auf
der Mittagshöhe des europäiſchen Mittelalters ebenſo tiefreligiös wie
echt volkstümlich im Sonnengeſang des heiligen Ordensſtifters und
Troubadours Franz von Aſſiſſi (+ 1226) durchbricht:
Gelobt ſeiſt Du, mein Herr, mit allen Deinen Geſchöpfen,
inſonderheit mit dem edlen Bruder Sonne,
der den Tag wirkt und leuchtet durch ſich,
und ſchön iſt er und ſtrahlend mit großem Glanze;
von Dir, Allerhöchſter, trägt er ein Sinnbild!
Schon ums Jahr 400 bot der heilige Miſſtonsbiſchof Niceta von
Remefiana im heutigen Serbien eine lehr- und kultgeſchichtlich be⸗
merkenswerte Aufzählung und Erläuterung bibliſcher Benennungen
Chriſti (De diuersis appellationibus). Der warmherzige Förderer
gottesdienſtlichen Semeindelebens, und allem nach vollendende Bau—
meiſter des Te Deum, führt vierundzwanzig ſolcher Chriſtusnamen auf
und wertet fie in ſchlichter Sprache ſinn- und troftvoll für die Chrift-
gläubigen aus. Wohl erſcheint hier der Erlöfer als „Licht“ (lux),
aber nicht als Sonne.
Etwa drei Jahrhunderte ſpäter liegt ein ähnliches, aber weit vol⸗
leres und zwar griechiſches Verzeichnis bibliſcher Benennungen und
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Beiworte Chrifti. Die uns überlieferte Textgeſtalt bietet deren 187. Über
zehn kommen wohl in Wegfall. Die lange Cifte bleibt auch fo ein
bedeutfames Denkmal der Chriſtuslehre und ⸗verehrung, das viel⸗
leicht der hand des gottesgelehrten Mönches Anaftafius (+ nach 700)
vom Sinai entſtammt. Die Fülle und Erhebung der Namen beruht
auf der vorausliegenden Auffaffung der heiligen Schriften durch die
Däter. Das Derzeichnis iſt ja nur ein Stück der „Lehre der Däter
über die NMenſchwerdung des Wortes“. Die Namen ergeben in ihrer
Juſammenſchau ein großes und leuchtendes Mofaikbild des Gottmen⸗
ſchen von weihevoller und liturgiſcher Färbung und Stimmung. Was
dohann Adam Möhler in feinem „Athanaſius“ (1827, 8. 131) betont,
trägt viel bei zum allgemeinen Derftändnis dieſer ausgedehnten und mit⸗
unter überraſchenden Folge von Chriſtusnamen ſowie der altchriſtlichen
Chriftusfinnbilder überhaupt. „Die Bruſt unſerer Däter war voll von Chri-
ftus; fie fanden ihn daher überall: fie wollten nichts als ihn, daher be⸗
gegnete er ihnen aller Orten.“ An 150. Stelle nun auf dieſer koſtbaren
Tafel der bibliſchen Benennungen des Erlöfers ſteht helios-Sonne.!
Don dieſen zahlreichen ſchriftgemäßen Titeln und Beiworten haben
wohl viele Rein oder kein bedeutendes Leben in der Liturgie erlangt
oder behalten. Dazu gehörten jeweils augenſcheinlich noch beſondere
Bedingungen und Umſtände. Das Sonnenbild aber genoß eines
ſolchen Gebens im Heiligtum ſchon lange, als die berührte Namen⸗
ſammlung in buzantiniſcher Zeit entſtand. Und das gerade auch in
der griechiſch⸗buzantiniſchen Liturgie ſelbſt. 8o recht in ihr Herz führt
ihr größter Feierlieddichter, der hl. Romanus „der Sänger“ (+ wohl
nach 560). Er vertritt mit feinen Liedworten ganze Geſchlechter und
gahrhunderte, die durch ihn Gedanken und Stimme empfingen.
Naturgemäß erſcheint bei ihm das Sonnengleichnis vor allem mit
Epiphanie, dem alten griechiſchen hochfeſte der Bottesoffenbarung im
Fleiſche (Theophania), verknüpft. Im erhaltenen Bauptgefang auf
dieſen Tag feiert Romanus zuvörderſt Chriftus als das Licht, das bis⸗
lang unzugänglich war, jetzt aber von Bethlehem her aufleuchtete aus
Maria. In ſteigender Sprache tönt es fort: „Dem ganzen Erdenrund⸗
Spendet feine Strahlenfülle s Die Sonne der Gerechtigkeit.“ —
Im weiteren Lied auf das gnadenvolle Tauffeſt der Epiphanie beginnt
das zweite Geſätz: „Dem Adam, der in Eden erblindet war? Strahlte
auf die Sonne aus Bethlehem Und erſchloß ihm das Auge wieder
Und wuſch es rein in der Jordanflut.“
5 8. 290 in Fr. Diekamps ausgezeichneter Ausgabe der Doctrina Patrum de incar-
natione Verbi, Münſter 1907. ? J. B. Pit ra, Analecta sacra, I., Paris 1876, S. 17 u. 23f.
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Das Sonnenbild kehrt wieder im gubellied auf den Ofterfonntag.
Dem Morgenrot der Oſterfrühe noch zuvorkommend eilen die frommen
Frauen mit Spezereien, „gleichſam den Tag ſuchend“, den Weg „zur
Sonne, die eher war denn die Sonne, und die damals zur Rüfte
ins Grab niedergeſtiegen war“.
Unter dem klingenden Namen des Sängers Romanus iſt eine große
Zahl rhuthmiſcher Vor- und Nachſprüche zu einzelnen Teilen des alten
griechiſchen Stundengebetes überliefert. In dieſen Derfen begegnet
das Sonnenbild ebenfalls, und fie verraten fo feine dauernde, weit⸗
verbreitete und verzweigte Anwendung im ausgedehnten Bereich des
griechiſchen Gottesdienftes. Zwei ſolcher kurzer Gebete ſtechen dadurch
hervor, daß fie der jungfräulichen Bottesmutter Maria den Namen
Sonne als huldigende Anrede an ihr göttliches Wiegenkind in den
Mund legen: „Sonne, mein Sohn, wie nur werde ich Dich in
Windeln hüllen?“ ? |
Romanus, der aus Syrien gebürtige Pindar der buzantiniſchen
Rirdyendichtung, und dieſe überhaupt ift nach Gehalt und innerer Form
teilweiſe vom älteren liturgiſchen humnenſchatz der benachbarten ſu⸗
riſchen Schweſterkirche im Zweiſtrömeland abhängig und genährt.
Sein früher und außerordentlich reicher und großer gottesdienſtlicher
Dichtergeiſt war der heilige Diakon und ktirchenlehrer Ephräm von
Sdeſſa (+ 373). Daß in feinem heimatlande und in feinem eigenen
Sagen und Singen, unweit von alten Brennpunkten vor- und wider⸗
chriſtlichen Sonnendienftes wie Babylon und Baalbek- Heliopolis
(„Sonnenſtadt“) auch das Sonnenbild Chriſti Boden und Pflege fand,
läßt ſich leicht ahnen und iſt belegbare Tatſache.
Sleich der zweite der fünfzehn Epiphaniehymnen in Thomas Yof.
bamus wertvoller Ausgabe und lateiniſcher Überſetzung ephrämſcher
Humnen und Predigten zeugt dafür‘. In Oftfyrien war Epiphanie
damals noch beſonders auch Gedächtnis der Geburt des herrn. Im
Hinblick auf die Kindesgeftalt des menſchgewordenen ewigen Wortes
und im Gedanken an den bekannten ſuriſchen Sonnenbrand ſingt die
neunte Strophe: „. .. dieſe Sonne, die mit ihrer Blut die Erde verſengt,
ſoll mit uns jene unſere Sonne feiern, die nun gütig ihre Fülle und
Gewalt dermaßen beſchränkte, daß der reinen Seele inneres Auge in
fie ſchauen kann. Gebenedeit ſei der Strahl ihres bichts!““ Aber bereits
in der Anfangsſtrophe liegt Ähnliches vor. Feinſinnig wird da mit
den Tagen des „ſtrahlenden“ Römerkaiſers Auguftus die Beburt
ma. a. O. 8. 125. ebd. 8. 229, 36; 240 f., 96. Sancti Ephraem Syri
Hymni et Sermones; 4 Bände, Mecheln 1882 - 1902. a. a. O. I. 15,16.
43
chriſti als „Sonnenaufgang“ (dencho) zufammengerückt. Dasfelbe
bildliche Wort bietet die fyrifhe Bibelüberſetzung bei Lukas I, 78 im
bobgeſang des Daters Zacharias auf die tagende Erlöfung: „Sonnen-
aufgang aus der höhe.“ Darum eignete ſich dieſes bibliſche Lied
fo ausnehmend für das liturgiſche Stundengebet zur Zeit der Morgen-
dämmerung und Tagesgeburt im Aufftieg der Sonne (Caudes).
Der ſechſte ephrämſche Marienhumnus ift mit dem kiehrvers aus⸗
geſtattet: „Bebenedeit ſei, Der in der ganz wunderbaren Jungfrau
gewohnt. Sein Auf» und Hervorgang aus ihr hat den Erdkreis erhellt.“
Das iſt beinahe nur die Wiederholung des Schluſſes der ſiebten Strophe:
„Aus ihr (Maria) iſt aufgegangen die Sonne der Gerechtigkeit,
und hat mit ihrem Aufftieg die ganze Welt erleuchtet“.
Vielleicht geht das zarte Wort in einem Weihnachtsgeſang des ſuri⸗
(hen Feſtbreviers der Maroniten, das ſelbſt den im Schoß der gung⸗
frau Derborgenen als Sonne ſchaut, auch auf den heiligen Sänger
von Edeſſa zurück: „Die hehre Sonne zog ihre Strahlen ein und
barg ſich in einer lichten Wolke“ (Maria). Das nämliche gottesdienſt⸗
liche Buch enthält das lebenswarme Weihnachtsgebet an geſus: „Führe
uns, o Herr, durch dein herrliches und göttliches Licht, o Sonne der
6erechtigkeit, die da gekommen iſt, uns zu erleuchten, auf daß wir
gerade und unwandelbar auf dem Wege des wahren Glaubens wan⸗
deln, der da fern iſt von allen verkehrten Pfaden irriger Lehren, und
auf daß wir durch Deine heiligen Strahlen erleuchtet und von ihnen
geleitet Dir reine Gedanken zum Opfer darbringen und unaufhörliche
bobgeſänge: Dir, o herr, und Deinem Later“.
Nicht allein auf den nahen griechiſch⸗buzantiniſchen Norden hat das
chriſtliche Syrien mit feiner früh und reich entwickelten Kirchendichtung
eingewirkt, ſondern ſogar auf die alte abeſſiniſche Chriſtenheit im ent⸗
fernten ſonnenhaften, poeſiereichen Bergland von Athiopien. Dorthin
fanden feit alters edle Weine Suriens ihren Weg über Agupten!, aber
auch ſuriſche Erzeugniffe frommen Denkens und liturgiſcher Dichtkunſt.
hnliches war auch nach dem europäiſchen Weſten hin der Fall.
fithiopien erſcheint als ein Land und herd wärmſter und lebhafter
Marienverehrung. Schon verhältnismäßig früh zählte ſein Kirchenjahr
dreiunddreißig Marienfeſte. Es beſitzt im Gottesdienſte eine Fülle von
Marienliedern in feinen drei Marienoffizien. Das älteſte und bedeu⸗
tendſte iſt das „Marienlob“, ein humnenkranz für die fieben Wochen⸗
tage. Es iſt wohl mit Roſen und Blumen geflochten oder durchflochten,
Ebd J. 11 ff., 1323. ebd. II, 539. P. Zingerle, Feſtkränze aus Libanons
Särten I, 1846, 8. 122 Mitte u. 115. mommſen, Röm. Geſchichte, V, 465.
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die vielleicht im ſechſten Jahrhundert im Dichtergärtlein eines beſchei⸗
denen ſuriſchen Diakons Simeon aufgegangen waren!“.
In der Marienverehrung der alten abeſſiniſchen Kirche behauptet
das Sonnenbild Chriſti eine feſte und bevorzugte Stelle. Im allwöchent⸗
lichen Samstagshumnus des „Marienlobes“ mit dem Engelsgruß als
Rehrvers klingt es bald:
„Ein zweiter, ſchön'rer himmel ragſt du vor uns empor:
die Sonne des Gerechten, fie geht aus dir hervor;
o reinſte Gottesmutter, in unverletzter Zier
gebarft du den Verheiß' nen: Freu dich, Gott iſt mit dir!e
Das große Bild von Maria als himmel und Chriſtus ihrem gött⸗
lichen Rind als Sonne kehrt wieder in einem andern humnus: „Du
biſt auf Erden zum zweiten himmel geworden, auf daß du die Sonne
gebäreſt.“ Adolf Grohmann hat es in feinen umfaſſenden Nachweiſen
zu äthiopiſchen Marienhumnen weiterhin aus dem dritten der Maria⸗
niſchen Offizien zweifach belegen können‘. Bier im dritten, wohl bei⸗
nahe um ein gahrtauſend jünger, aber ganz einheimiſchen Marien⸗
offizium, genannt „Die Orgel der heiligen Jungfrau“ (vollendet 1440)
bekennt Äthiopien ſodann: „Der Mutterleib der Jungfrau ward zu den
Bimmelspforten, und ohne daß er geöffnet wurde, war er zum Ein⸗
gang und Ausgang für die Sonne der Serechtigkeit“. Im langen
marianiſchen Blumenlied (nach 1442) wird Maria gegrüßt als „Tor
der Sonne der Gerechtigkeit“. Dieſe Bezeichnung Chriſti ſcheint
in Athiopien allmählich ganz volkstümlich geworden zu ſein, ähnlich
wie im Abendland, wo fie durch die Litanei vom hochheiligen Namen
geſu auch außerhalb der Liturgie weiteſten ktreiſen der verſchiedenen
Länder und Völker vertraut wird und bleibt. Ein Bittruf der Litanei
ergeht an geſus als „Licht der Bekenner: lumen confessorum“ . Im
vorgenannten Marienbuch der Äthiopier erſcheint Chriftus allgemein
als „die Sonne der heiligen, die die Finſternis vertrieben hat““.
Die abeſſiniſche Kirche beſitzt unter ihren fünfzehn Anaphora⸗ oder
meßformularen eine alte und eigene „Meſſe unſerer Herrin Maria“.
Alle Teile ſind tunlichſt auf ſie eingeſtellt. Im Strom eines lobpreiſen⸗
den Bekenntniſſes des Dreieinen taucht auch das Sonnenbild auf. Es
hat hier eine beſondere Färbung, die gut mit der Nebenauffaſſung des
Sonntags als Tages des Dreieinen zuſammenſtimmt. „Der Dater iſt
!pgl. 8. Euringer, im Oriens Christianus, 1911, 8. 226.
? Bei H. Baumgartner 8. J., Geſchichte der Weltliteratur, IV, 1901, 8. 236.
Athiopiſche . Deipzig 1919, 5. 308, 2
wa. a. O. S8. 237. a. O. 8. 95. ° d. a. O. S. 200.
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Sonne, der Sohn ift Sonne und der hl. Beift ift Sonne; eine ift die
Sonne der Gerechtigkeit, die über allen leuchtet“.
Wie diefe Meffe nennt auch das „Marienlob“ dankbar den aus-
ländiſchen Urſprung. Die Andeutung geht unmittelbar auf das benach⸗
barte chriſtliche Ägypten, für das „Marienlob“ unmittelbar auf Syrien‘.
Diefes bedeutſame Denkmal ſuriſchen Schrifttums lebte in der ägup⸗
tiſchen Chriftenheit auf Grund der Überſetzung in die koptiſche Landes-
und ktirchenſprache vielleicht ſchon einige Jahrhunderte, ehe es in die
Mundart Hihiopiens übertragen ward.
Im ganzen chriſtlichen Agupten mochte das Wort von Chriſtus als
Sonne einen eigen tiefen Alang befigen. Es war das Land mit der
älteften, wunderfam entfalteten Sonnenverehrung. Und fie barg über⸗
raſchend reine Züge, die ſelbſt den Glauben an ein einziges Bottwefen
zu bezeugen ſcheinen. Seine höchſte Offenbarung wäre die alles ſchau⸗
ende und belebende Sonne, „das ſichtbare Ruge“ des unſichtbaren
Bottwefens. Auch altgermaniſche Bottesahnung betrachtete fie als
Bottesauge, als Auge Odins, und N. güngſt hat dies würdevolle Bild
im Nornenlied von „Baldurs Tod“ treu verwendet:
„Gegrüßet am Morgen Die mächtigen Schatten,
du Leuchte des Lebens, die Uebel entfliehen,
allſehende Sonne, in ſchaurige Schründe,
das Ruge der Gottheit! wenn lieblich du lachſt!
Einen Anklang an dieſe fromme und uralte Dorftellung birgt und
wahrt das Nömiſche meßbuch im früh und überaus ſchön gebauten
Boftkommuniogebet um Sonnentage gegen unzeitigen und über⸗
mäßigen Regen: „Allmächtiger Bott, wir flehen zu Deiner Milde: Du
wolleſt den niederflutenden Regen bannen und uns huldvoll die heiter⸗
keit Deines Antlitzes (vultus) ſchenken. Durch geſus Chriftus, uſw.
Das lateiniſche Wort vultus betont ja insbeſondere das Ruge im
Beſichts ausdruck.
Es iſt einer der großen Birchenväter unter dem reinen und weiten
Simmel des Nillandes, der die bibliſche Srundſtelle für das Bild von
Chriftus als der „Sonne der Gerechtigkeit“ des nähern und tiefſinnig
deutet: der heilige Patriarch Cyriltus von Alexandrien (T 444),
das „Siegel der Däter“, in feiner Erklärung zu Rap. IV, 2 der Weis⸗
fagung des Propheten Malachias.
Gleich den Führern der altalezandrinifchen Batechen« und Theologen=
ſchule Klemens (+ vor 216) und Origenes (T 254?) erblickt auch der
hl. Cyrillus im Prophetenwort: „Euch, die ihr meinen Namen fürchtet,
ſ. 8. Euringer im Katholik, 1916, I, 8. 256, 29. 2 gl. a. a. O. 8. 241 f.
Bei Migne, Patrologia graeca, Bd. 72, 1859, Sp. 357ff.
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wird aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit: und heilung (if) in
ihren Flügeln“ eine meffianifhe Beziehung und Verheißung. Ihre Er⸗
füllung trat ein mit der Menſchwerdung des eingeborenen Wortes
Gottes. Chriftus hat gleich einer Sonne mit ihrem Strahlenkranze
ringsum in Dunkel und Finſternis hinein geleuchtet und den lichten
Strahl wahrer Botteserkenntnis in die glaubenden Seelen geſenkt und
ſie lauter, weiſe und kundig aller guten Werke gemacht, (d. h. der
Gerechtigkeit). Aber es gibt noch einen weiteren, zweiten Aufgang
Chrifti, der Sonne der Gerechtigkeit: der vollendende und enögeitliche-
Da wird fie noch klarer aufleuchten und die treuen Gläubigen, die die
Erdenlaufbahn gottgefällig vollendet haben, mit noch tieferem Er⸗
kenntnislicht erfüllen, alle Schwachheit und Krankheit der Seele be⸗
heben, aller Trübfal fie vollſtändig entrücken. Das find Wohltaten, die
dem einzelnen Gerechten bei Erlöſung aus dem irdiſchem beben zuteil
werden. Und darin erfüllt ſich nach dem großen Gottesgelehrten und
Birchenlehrer auch die Derheißung: „Und heilung (ift) in ihren Flü-
geln“. Die Sonne der Gerechtigkeit leuchtet und führt zur ewigen
Bimmelsfeligkeit, auf die der Sonntag von frühe her hinweiſt. Curillus
fand fie denn auch in den unmittelbar nachfolgenden Seherworten des
Propheten Malachias gezeichnet.
Auf der allgemeinen kirchenverſammlung von Epheſus im Jahre 431
war der hl. Cyrillus geiſtiger Führer. Unter ihm hielt fein Amtsbruder
Biſchof Theodotus von Ankyra in Galatien drei berühmt gewordene
Feſtreden, die an der Spitze der kleinen Sammlung ſeiner Predigten
ſtehen. In der vierten (nr. 3) preift er Maria: „Sei gegrüßt licht⸗
umkleidete Mutter der nie untergehenden Sonne“!. hierin liegt wohl,
wie der ſpätere Rardinal Newman in feiner klaſſiſchen Marienſchrift
dafürhält, eine Rückbeziehung auf das Sonnenbild Chrifti in der Ge⸗
heimen Offenbarung des hl. Johannes (12, 1): „Ein großes Zeichen
erſchien am himmel: Ein Weib mit der Sonne bekleidet.“ In Hgupten
hat in einer Homilie der Dorgänger des hl. Curillus, Patriarch Theo-
phulus, das Wort auf Chriftus und feine Mutter bezogen. Bedeut-
ſamer ift, daß dieſe Auffaſſung hier in der Candesliturgie Boden ge⸗
wann: „Dies iſt Maria, der neue himmel, der über der Erde iſt, aus
dem die Sonne der Gerechtigkeit uns entgegenſtrahlt; denn die Sonne,
in die fie gehüllt ift, ift unſer herr geſus Chriſtus“ .: So betete man im alten
Sonnenlande, in das er als Rind mit feiner Mutter vor dem nach⸗
ſtellenden herodes vom treuen, klugen Pflegevater geflüchtet wurde,
Bei Migne, Patrol. gr., Bd. 77, 1859, Sp. 1393, B.
? Bei Grohmann, o. a. O. S. 232.
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vielleicht in die Nähe der dem ifraelitifchen Dolke vertrauten Sonnen-
ſtadt Heliopolis. In der alten, bildergefättigten Religion Ägyptens
wurde die neugeborene, milde Sonne der Morgenfrühe ſowohl
wie der kurzen, ſchwachen Tage der Winterwende als Rind dar⸗
geſtellt. Das ſchöne äguptiſche Bild von der wachſenden Winterſonne
als Rind lud leicht zur Anpaffung auf das Weihnachtsgeheimnis ein.
Die Geheime Offenbarung, die an einem „Tag des Herrn“ (1,10)
einſetzte, enthüllt im Grunde noch ein weiteres, mittelbares 8onnengleich⸗
nis. Im Zuſammenhang mit dem erſten (12, 1) und im Lichte bibliſcher
Sprechweiſe erſcheint es wohl unſchwer durchſichtig. In der Schöp⸗
fungsurkunde ſpricht Gott: „Ceuchten ſollen werden an der Defte
des himmels!“ .. „Und Gott ſchuf die zwei großen Leuchten“:
meldet der Bericht (Geneſ. 1, 14. 16). Am Eingange feines Evangeliums
verkündet der heilige Ciebesjünger Chriftus als wahres göttliches Gei⸗
ſteslicht der Welt; gegen Schluß der Apokalypfe ſieht er Chriftus das
bamm als alleinige Leuchte der himmliſchen Bottesftadt im ewigen
Sonnentag: „Und die Stadt bedarf weder der Sonne noch des Mondes,
daß fie in ihr ſchauen, denn die kilarheit Gottes hat' fie erhellt und
ihre Leuchte iſt das amm“ (21, 23).
es fügt ſich ſchön und eigen, daß das letzte Buch der hl. Schrift
mit der Schau in den Endſieg des Reiches Chriſti auch ſein Sonnenbild
aufweiſt. Nicht umſonſt iſt die Geheime Offenbarung ein bevorzugtes
gottesdienſtliches Sonntags buch alter Zeit geweſen, wovon noch die
Mönchsregel des hl. Benediktus zeugt (Rap. 12). (Schluß folgt.)
Anmerkung. — Der Gewinnung wiſſenſchaftlicher Kenntnis der Frühgeſchichte
und umfaſſenden Gedankenwelt des Sonnenbildes dienen vor allem zwei religions-
geſchichtliche Deröffentlihungen Franz Joſ. Dölgers: Die Sonne der Geredtig-
keit uſw.; Münſter in Weſtf., Aſchendorffſche Derlagsbuchhandlung, 1918; und: Sol
Salutis (Sonne des Heils); ebenda 1920. Sie bieten einen grundlegenden Teil deſſen,
was Franz Cumont Sonnentheologie nannte und tragen viel bei zum Verſtändnis
mancher liturgiegeſchichtlicher Texte und Gebräuche, wie fie denn auch in der Sammlung
biturgiegeſchichtliche Forſchungen“ als heft 2 und 45 erſchienen. — hervor-
tagend find auch die einſchlägigen zuſammenfaſſenden Darſtellungen in 5. Dumaines
großem Artikel Dimanche im Dictionnaire d’archeologie chrétienne et de
liturgie von Cabrol-Peclercq, Bò. IV, 1, Paris 1920, Sp. 870— 879 u. 907—915.—
der neuere deutſche katholiſche Bücherſchatz beſitzt auch für weitere Areife ein ſchönes,
erquickendes und erbauendes „Sonnenbuch“ aus der Feder von Auguftin Wibbelt
Warendorf, J. Schnellſche Buchhandlung. — P. Paul Krebs von der Beuroner Runft-
ſchule hat mit gütig entgegenkommender hand für den Einband des Römiſchen
Sonntags miſſale (bei Herder) von P. Pius Bihlmeyer ein Zierbildchen gezeichnet, das
in der ſtrahlenden, über dem bewegten Lebensmeere aufgehenden Sonne den alt-
chriſtlichen llamenszug Chrifti trägt und altchriſtliche Empfindung veranſchaulicht.
» K 8
48
Freuet euch!
Uachklänge vom Sonntag Gaudete.
Don P. Willibrord Derkade (Beuron).
m Sonntag Gaudete hat es wieder geheißen: „Freuet euch alle⸗
zeit im herrn, abermals ſage ich euch: Freuet euch!“ Der Apoftel
ſpricht: „Freuet euch allezeit“, wie er auch ſagt: „Betet ohne Unterlaß“.
Wie unfer Geift durch ein inniges Mit⸗Gott⸗Uerbundenſein in der guten
meinung, durch ein immer wieder zu ihm hinkehrendes Verlangen,
durch Dank und Cobpreis und durch Bitte in einer dauernden Gebets⸗
ſtimmung bleiben ſoll, ſo ſoll auch eine dauernde Freudenſtimmung
in uns herrſchen: Freuet euch allezeit!
Wie weit find wir aber von dieſem Ideal entfernt, gerade in un⸗
ſeren ſo traurigen und dennoch hoffnungsvollen Tagen! Und doch gibt
es ſo zahlreiche Motive der Freude, auch für uns. Die Kinder denken
nicht daran und find trotzdem freudig, unbewußt befien Ne die Freude.
Wir „große“ Menſchen, die wir oft ſo klein und kleinlich ſind, ſollten
uns dieſe Motive öfters vorführen, um uns zu überreden, vernünftig
zu ſein, ein Hauptzweck des betrachtenden Gebetes.
Vor kurzem ſchrieb mir jemand aus einer Broßftadt: „hier ift es
ſcheußlich, die Renſchen freſſen ſich fo mit Haß voll, daß fie für kein
natürliches Gefühl mehr Raum haben: fie bemerken die Sonne nicht
mehr, und es gibt keine Mondnacht für fie, und der liebe Bott plagt
ſich ganz umſonſt mit allen den herrlichkeiten, die er uns täglich
ſchenkt; denn die Menſchen find blind und taub für fie. Ich aber
dank ihm täglich nicht bloß für alle ſeine Wunder, ſondern auch dafür,
daß er mir die Kraft gibt, fie täglich von neuem zu fühlen, und je
älter ich werde, deſto mehr die Schönheit dieſer Welt zu preiſen. —
Wie ſchön wird es gar dann erſt drüben ſein, wenn wir ihn nicht
bloß in Spiegeln, ſondern von Angeſicht zu Angeſicht ſehen.“ Das
ſchreibt ein Mann, der mit Alter und Krankheit kämpft, der, wie ſo
viele heutzutage, ſeine Erſparniſſe verloren hat und den ganzen Tag
ſich abplagen muß, um die nötigen Billionen zum Lebensunterhalt
für fi und feine Frau zu verdienen. Er hat aber die Gabe ſich zuzu⸗
reden, vernünftig zu ſein, fröhlich zu ſein, dankbar zu ſein. Irgend
ein ſtarkes Motiv der Freude packt ihn immer wieder.
St. Paulus ſpricht: „Freuet euch im herrn“, und damit ſagt er uns,
daß unſere Freude, eine erlaubte ſein muß, eine Freude, die auf dem
Wege zu Gott genoſſen wird, die zu ihm hinführt, nicht von ihm weg⸗
zieht; eine Freude, die mit Dank gegen Gott verbunden iſt. Es gibt
49
auch eine Freude, die von Gott entfernt und deshalb in ſich felbft zer⸗
fällt und todtraurig, bitter und böfe macht: die ausgelaſſene, polternde,
lärmende Freude, die Freude an Händel und Streit, am ktritiſteren
und Schimpfen. Und es gibt teufliſche Freuden, die Freude, Genoſſen
der Schuld und Senoſſen im Unglück zu haben: die Schadenfreude.
es gibt Menſchen, die keine Freude um ſich aufkommen laſſen. Weil
ſie traurig ſind, muß alles mit ihnen trauern. Sie ſind wie giftige
Schlangen, die harmloſe Dögel bannen mit ihrem Blick, fie töten, fie
begeifern, um fie dann hinabzuwürgen. Don ſolchen Menſchen ſollte
man ſich nicht herunterdrücken laſſen, ſogar wenn es nahe Derwandte
wären. Man follte ihnen ihr ſcheußliches Verbrechen vorhalten, oder,
wenn man dazu weder den Mut noch die Kraft hat, fo müßte man
ſie fliehen aus Selbſterhaltungstrieb. Sie ſind allerdings meiſtens krank
und quälen oft ſolche, die fie im Grunde lieben. Wenn das der
Fall iſt, dann ſoll man bei allem Mitleid munter bleiben, wie der Arzt,
der von Kranken zu ktranken zieht und der bei allem gammer den
guten humor, den er auch für die kranken braucht, nicht verliert.
Aber führen wir uns nun einmal eine Reihe von Freudemotiven
vor... Denken wir zuerſt an erlaubte ſinnliche Freuden, die
allerdings niemals nur⸗ſinnlich find, wenn es echte, wahre Freuden,
Freuden „im herrn“ find: Die Freude des Mahles 3. B., in Einfalt
und Dankſagung genoſſen, „geheiligt durch Gottes Wort und Gebet“
(1 Tim. 4, 4), die Freude der Bewegung und der Ruhe, die Freude der
Einfamkeit und der Unterhaltung. Die Freude des Befanges und des
Tönens.... Die Freude der Heimlichkeit: Ein freundliches Zimmer mit
gutem Ofen, wenn es draußen unwirtlich und naßkalt iſt. Die Freude
der Kühlung, die der Schatten bringt am heißen Sonnentag. Die
Freude, erſtarrte Glieder zu erwärmen an der erſten Frühlingsſonne.
Die Freude, endlich die müden Glieder ausſtrecken zu dürfen unter
ſchützenden Decken. Wer ſoll ſie alle aufzählen! Und denken wir nun
weiter an jene Freuden, die ſchon mehr geiſtig ſind: das ſchöpferiſche
Tätigfein in irgend einer Art. Die Freuden des Suchens und Erwar⸗
tens, des Gedeihens und des Wachſens. Die Freude des Entdeckens und
des Erfolges. Die Dater-, Mutter⸗ und die KRinderfreude, die Freude
am Beruf. Und nun haben wir noch gar nicht von der eigentlichen
Bottesfreude geſprochen. Zwar erwähnten wir ſchon die Freude an
all den Wundern, die Gottes Güte uns täglich ſchenkt. Man bete
doch mit Hindacht das „Benedicite“, den Lobgefang der drei Jüng⸗
linge im Feuerofen, wenn die Freude fehlt! Man laſſe alle Geſchöpfe
an ſich vorüberziehen, die darin aufgerufen werden, Gott zu loben
Benedtktinifche Monatfchrift VI (1924), 1-2. 4
50
und zu preiſen. man weile kurz bei den füßen Erinnerungen, die
all dieſe Dinge in uns wachrufen! N
3t. Paulus ſagt: „Freuet euch im herrn allezeit ... Euer freundliches
Weſen werde allen Menſchen kund, denn der Herr iſt nahe.“ Was
könnte man nicht alles ſagen von der Nähe Gottes, von der Nähe
deſſen, der lautere Wonne und Freude iſt, der, weil er alles iſt, was
er hat, die Freude und die Wonne iſt. Nichts iſt uns ſo nahe wie
Bott. Wir leben, bewegen uns und find in ihm. Gott iſt uns näher
als das Feuer, das wir anblafen. Gott iſt uns näher als das Rab,
das wir in Bewegung ſetzen. Gott iſt uns näher als es unſere Ge⸗
danken find. IM das allein nicht ſchon ein Motiv, das uns immer
wieder ermuntern und freuen könnte, daß Gott uns ſo nahe iſt?
Denken wir hier auch eine Weile an die Menſchwerdung Gottes und
fein Derbleiben unter uns in der heiligen Euchariſtie .
Es gibt ferner die Freude, in Gottes Gegenwart zu wandeln. Freut
das Rind ſich nicht, um die Mutter und bei ihr zu fein? Läuft es ihr
nicht nach, wo immer ſie hingeht? Bleibt es nicht ſtehen, wenn ſie
ſtillſteht, und ruht es nicht in ihren Armen, wenn ſie ruht? Wir ver⸗
ſperren uns aber fo oft den Weg zu Bott hin durch unferen Aleinmut
und unfere Sorgen! Darum ruft uns St. Paulus auch zu: „Seid nicht
ängſtlich beſorgt, ſondern laſſet in all euren Gebeten eure Anliegen
unter Dankfagung Gott kund werden.“ Es iſt ja recht, daß man oft
bei feiner Kleinheit verweilt, aber das ſoll nie geſchehen, ohne daß
zugleich das Dertrauen zu Bott in uns wächſt. Die Tiere beſchämen
uns oft. Da geht ein Mann mit feinem Hund ſpazieren. Erſt läuft
das Tier brav neben oder hinter ſeinem herrn, aber auf die Dauer
it ihm das doch zu langweilig: In großen Sätzen ſpringt es vor ihm
her, ſchaut aber öfters um, ob ſein Meiſter noch da iſt. Da findet
es die Spur eines Hafen und geht ihr nach, mit beidenſchaft. Es
vergißt feinen Herrn! Wenn dieſer aber pfeift, und das Tier kommt
zu ſich und rennt zurück zu ſeinem Meiſter und ſpringt bellend gegen
ihn auf und zeigt ihm feine Liebe... Was ſoll fein herr dann anders
ſagen als: „Biſt doch ein liebes, treues Tier!“ Wir machen aber manch⸗
mal, wie einer ſagte, aus unſerem Herrgott einen altmodiſchen Schul⸗
meiſter, der ſtets mit dem Stock in der hand ſeinen Schülern aufpaßt, ob
er ihnen nicht eines draufgeden kann... Wir können uns auch freuen,
daß wir Rinder der katholiſchen kirche find, Glieder am Leibe geſu Chriſti,
lebend von ſeinem beben und ſeinem Geiſte, uns freuen, daß wir teilhaben
an allem Guten, das in ihr gewirkt wird, und an allem Lob und Dank,
den fie in unſer aller Nlamen Chriftus, ihrem Bräutigam, darbringt.
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Man kann nicht fagen, daß der Deutſche ſehr begabt ift für die
Freude. Er hält es oft lieber mit dem Schmerz. Ja meiſtens liebt
er fogar den Schmerz. Er empfindet eben gerne. Da zeigt ih auch
fein Tätigkeitsörang und der Mangel an Paffivität. Er will auf⸗
gerührt fein von innen. Es muß in feinem herzen etwas vorgehen.
nur keine Leere da drinnen! Das hält er nicht aus. Und wirklich
it eine beere da, wenn man weder fröhlich noch betrübt iſt. Ein
großes Elend iſt es aber doch, wenn man das Betrübtſein, das Schmollen,
das Derbiffenfein, das Verletztſein nicht aufgeben will; denn man raubt
ſich viel Kraft und macht auch andere unglücklich. Der Trübſinn ſteckt
an wie das Lachen. Mit Recht hat die „neue Jugend“ eine ihrer Auf
gaben darin geſehen, Freude zu bringen. Sie hat aber nicht immer
Wort gehalten. Daran iſt ein Wahrhaftigkeitswahn ſchuld. Wahr⸗
haftig fein über alles, iſt die boſung der Jugend. Husgezeichnet! nun
meinen aber manche, fie dürften kein freundliches Gefiht machen,
wenn's drinnen im herzen vielleicht noch recht unfreundlich ausſieht.
Sie kehren deshalb das ungeläuterte rohe Ich nach außen und machen
Befidhter, daß es einem bang werden könnte. Da verſteht man, was
hermann Bahr meint, wenn er ſchreibt: „Not bringt die Wahrheit an
den Tag. Die kleinen Cebenslügen, in denen wir uns früher voreinander
verſteckten, haben aufgehört, das holde Geſpinſt von Höflichkeit, An=
mut des Betragens und Zuvorkommenheit iſt zerriſſen. Einſt, wenn
man in einen baden trat, wie tat da das Fräulein verliebt, das uns
den handſchuh anpaſſen half! Jetzt zeigen die Menſchen einander ihr
wahres Geſicht; es ift nicht ſchön. Man lernt nun erſt die Lüge ſchätzen.
Es iſt doch angenehmer, nicht fortwährend daran erinnert zu werden,
daß wir von Haß und Hohn umgeben find. kultur entfteht aus der
Wahrnehmung, daß Menſchen, die ſich nicht verſtellen, meiſtens un⸗
erträglich find; Derftellung iſt immerhin eine freilich nicht lobenswerte
Art von Erſatz der Tugend. Wir wußten auch früher, daß das Lächeln,
mit dem uns der Wirt an einen Tifch geleitete, bloß auf feinen Lippen
lag, aber immerhin wurden wir geleitet, und Lächeln braucht nicht erſt
aus dem herzen zu kommen, um wohlzutun. O gentle art of lying,
über deren Verfall ſchon Oskar Wilde klagte, wie durchaus unentbehr⸗
lich biſt du dem Daſein! Und iſt es nicht auch immerhin noch der
Tugend näher, Liebe zu heucheln als Haß zu zeigen? Der Deutfche,
von Form gering denkend, hat niemals einfehen wollen, daß Beſttz
ererbter Form notwendig iſt, weil aus ihr Weſenskraft in nachlaſſenden
deiten, wenn nicht ſuppliert, doch immerhin fo lange vorgetäufcht
werden kann, daß man ſich über die Schwäche hinweghilft. In Hemd-
ge
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ärmeln zu leben war immer ein Jdeal des deutſchen Bürgertums, es
ift erreicht. Dielleiht lernen wir daraus Form künftig beſſer ſchätzen.“
Mir kommt es nicht unwahrhaftig vor, ein frohes, freundliches
Gefiht zu machen, wenn man auch innerlich betrübt ift oder ſchwer
an etwas zu tragen hat. Denn wir ſind ſchon auf dem Weg zur
Freude, wenn wir die Dorftellung der Freude in uns hervorrufen oder
uns nach außen freudig geben. Man ſoll ſich nur an irgend eine
Freude erinnern, anfangen freundlich zu ſchmunzeln oder ſtill und
beſcheiden zu lachen, wenn es einem auch gar nicht ums Lachen zu tun
it. Es iſt wiſſenſchaftlich erwieſen, daß der Ausdruck eines Gefühles
dieſes Gefühl hervorruft. Das Innere wirkt nach außen, das Äußere
aber auch nach innen. Da ſieht man, welch große Wohltäter die Freu⸗
digen find, die durch ihr ganzes Weſen die Dorftellung der Freude her⸗
vorrufen und dadurch vielfach auch die Freude ſelbſt. „Freuet euch im
Herrn allezeit! Euer freundliches Weſen werde allen Menſchen kund“ —
wahrhaftig eine wohltätige, aus der biebe entſpringende Mahnung!
Ich hoffe, daß es mir gelungen iſt, in etwa die Freude zu heben.
Ich möchte aber noch einiges erzählen, was dem einen oder anderen in
Tagen der Betrübnis zur Freude verhelfen kann. Jemand erzählte mir
einmal, ſooft er ſauer, brummig, unzufrieden, ſtörrig oder aufgebracht
ſei, ſuche er ſich durch folgende Betrachtung zur Dernunft zu bringen:
„Was haſt du denn heute wieder“, ſagt er ſich, „was fehlt dir denn?
Bannft noch gehen, ſtehen, ſehen, hören, riechen, reden, es ſchmeckt
dir noch, du haft noch ein Dach über dem Kopf und biſt ordentlich
gekleidet ... Gott liebt dich, Bott erträgt dich, Bott ſtärkt dich. Auch
viele Menſchen lieben und ertragen dich, was willſt du noch mehr?
Wie viele ſind lahm, blind, taubſtumm, wie viele ſind obdachlos,
nackt und hungrig? Geh doch mal nach Ursberg zu den armen krüppe⸗
ligen Rindern und ſchau dir das Elend an. Dann gehſt du wieder gerne
heim! Jetzt ſchäme dich und ſei geſcheit.“ Ich habe dieſes Mittelchen
auch ſchon angewandt, und es hat ſtets gut gewirkt.
| Manchmal fällt mir zur richtigen Zeit folgende Geſchichte ein, die
ich bei einem däniſchen Autor las: Ein Schriftfteller ſitzt um Mitter⸗
nacht bei feinem Burgunder, feinen Blumen und feinem Tintenfaß. Da
klingelt es. Der Dichter öffnet. Ein junger Mann mit breitem Filzhut
ſteht vor ihm. Nichts ahnend läßt er den Fremden eintreten. Dieſer ſagt, er
ſei gekommen, ihn zu ſehen, bevor er ſterbe; denn heute noch wolle er
feinem Leben ein Ende machen. Sein körper ſei ganz geſund, aber
feine Seele fei krank, todkrank, und der Dichter ſei daran ſchuld.
Seine Bücher und Gedichte hätten ihm die Seele vergiftet. Jahrelang
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habe er in einer niedrigen und ſtaubigen Bude hinter einem Ladentiſch
geſtanden und alle halbe Stunde einem Studenten ein verſchimmeltes
Buch verkauft. Da ſtand er anfangs mit ruhiger Seele, und mitunter
ſchien die Sonne in das Gäßchen herab, darin die Bude lag, und wenn
er abends auf den Treppenfteinen ſaß und feine Rreidepfeife rauchte,
da ſah er den blauen himmel über den alten, roten Dächern glänzen,
und die Schwalben hoch um einen ſchlanken, grüngrauen Turm kreiſen.
Dann aber kam die Rattenfängerflöte des Dichters an feiner Türe
vorbei und bezauberte auch ihn .. Welch eine befcheidene Freude
hatte anfangs dem Unglücklichen genügt: der ſtille Glanz der Sonne,
die in das Gäßchen herabſchien und die Schwalben um den ſchlanken,
grüngrauen Turm! Erinnert das nicht an jenen Gefangenen, deſſen
Freude eine Spinne war, die einzige Genoffin feiner Einfamkeit?
Wahrhaftig, die kleinſten Dinge können uns Freude machen, wenn
wir nur ein Auge für fie haben... Zum Schluß noch ein echt chriſt⸗
liches Wort einer guten Alten, das wir oft im Munde führen ſollten.
ein Ordensmann begegnete ihr am frühen Morgen. Sie ging zur
kirche. Ihr Häuschen war etwa zehn Minuten vom Rirchenportal
entfernt, ſie brauchte aber mehr als eine halbe Stunde; denn ſie mußte
immer wieder ſtilleſtehen und huſtete, huſtete furchtbar. Der Pater
ſagte: „nun, Adelheid, wie gehts?“ Da antwortete fie mit einem
ſtrahlenden Geſicht, indem fie ihren Stock zum himmel hob: „Es geht
aufwärts, aufwärts!“ Und fie lachte und huſtete und huſtete und lachte
und humpelte weiter. Ja, beim wahren Chriſten geht es immer auf⸗
wärts, wenn er auch hie und da etwas zurückgeworfen wird; es geht
immer aufwärts, und das iſt ein großer Troſt und eine unverſiegbare
Quelle der Freude.
Free
eee eee eee eee eee e eee eee e eee eee eee eee eee eee eee eee e e e e e eee ee
35 ſtellt ſich [unter dem Antrieb des HI. Geiftes] beim Menfchen
innerlich ſo große Süßigkeit und ſolcher Troſt ein, daß er nicht weiß,
wie er an ſich halten ſoll. Es dünkt ihn, die ganze Welt fühle das,
was er fühlt. Er bricht in ein Jubilieren aus; denn er weiß nicht,
wie er ſich dämpfen ſoll. Manchmal, wenn er an verborgenen Stätten
iſt (denn Gott will ſeinen Freund nicht in Verlegenheit bringen), wird
dieſes Ungeſtüm ſo groß von außen und von innen, daß die Seelen⸗
kräfte und alle Glieder eine ſo große Wonne verſpüren, daß ihn dünkt,
das Herz werde ihm zerſpringen.
Aus dem „Reich der Geliebten“ vom fel. Jan van Ruusbroeck,
das demnächſt im I. Grünewald ⸗Derlag zu Mainz erſcheint.
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Sumboliſche Grablegung bei der Ordensprofeß.
Don Abt Raphael Molitor (St. Fofef-Coesfeld).
ur jüngften Form der ſumboliſchen Srablegung bei der Ordens⸗
profeß gehören Grabtuch, unter dem der Profeß nach Ablegung
der Gelübde vom Offertorium der Meſſe bis zur Kommunion liegt,
Totenglocke, Totenkerzen, Auferweckung zur kommunion durch den
Diakon. Für fie iſt ein Rituale des 17. Jahrhunderts wohl eine der
älteften gedruckten Quellen!. Wie das Rituale fagt, ift dieſe Yere-
monie ein Zeichen, daß der Mönch in der Profeß geſtorben iſt, oder
wie es anderswo heißt, daß er lebendig tot iſt und geſtorben lebt.
Später ift dieſe Art der Srablegung häufig bezeugt, fei es in Ritual⸗
büchern, fei es auch nur gelegentlich in Ronftitutionen oder anderswo.
Beifpielsweife führen wir an die kiongregation der Mauriner, Rituale
1666, Ottobeuren 1685 und 1786, Tegernfee 1737, Monte Vergine 1741,
Engelberg 1743, St. Blafien 1746, Einfiedeln 1763, Metten 1765, die
Auguftiner-Eremiten 1686, Philippineſſen (Rom) 1744. In neueſter Zeit
war fie in Gebrauch in der baueriſchen, franzöſiſchen, engliſchen und
Beuroner Kongregation. Ferner in St. Paul (Kärnten), St. Peter (Salz⸗
burg), Montekaſſino, Engelberg, bei den Olivetanern und anderen.
Der Gebrauch geht aber weiter zurück. In Engelberg, wohin er
möglicherweife von St. Blafien gekommen ift, wenigftens bis 1613. Bei
den kamaldulenſern iſt er in den Bonftitutionen von 1639 erwähnt —
der Profeß gibt ih als Opfer für die Welt —, während in der kaſ⸗
finefifhen Kongregation die Grablegung angeblich ſeit Beſtehen der
Kongregation (1408) üblich war. Jſt das der Fall, dann war fie in
den kilöſtern dieſer Kongregation möglicherweiſe ſchon früher üblich,
weil die Abteien beim Zuſammenſchluß zur Kongregation ihre Privi⸗
legien und Gebräuche faſt unverändert beibehielten. haeften kennt
dieſen Ritus der Grablegung nur bei den kiaſſineſen und hebt hervor,
daß er anderswo nicht erwähnt werde’. Sonach war er 1644 nicht
viel über diefe Kongregation hinausgedrungen. Martene erwähnt ihn
nicht'. In der Bursfelder Rongregation hat er anſcheinend keine Auf⸗
nahme gefunden. Ebenfowenig in den Consuetudines der Zifterzienfert
und in ihrem Rituale von 1689, 1721 und 1899. hier begegnet uns
fogar das Derbot, den Profeſſen mit dem Grabtuch zu bedecken“.
Der Gedanke, welcher dieſer Jeremonie zu Grunde liegt, iſt wiederum
erheblich älter als die Zeremonie ſelbſt. M ſchon der Chriſt der Welt
abgeſtorben und in Chriftus zu einem neuen Geben berufen und auf:
erſtanden (vgl. fol. 3, 3; Gal. 6, 14), fo will der Mönch in engerer
95
lachfolge Chrifti dies in feinem Leben mit größerem Nachdrucke durch-
führen‘. Seine Profeß ftellt eine Art des Todes und der Auferftehung
dar. Wenigftens ſeit dem 10. Jahrhundert‘ begegnet uns in der im
Profeßritus vielfach gebrauchten Oration Clementissime die Bitte, der
mönch möge fortan von der Welt Treiben und Luft losgelöſt, der Welt
geſtorben ſein. Es war nur ein geringer Schritt von da zur ſumbo⸗
lichen Grablegung und Erweckung. Früher verband ſich damit die
borſtellung einer zweiten Taufe, die man, wie allgemein in der Buße,
in Werken der Abtötung und im Almoſen, fo ganz beſonders im mo⸗
naſtiſchen Berufe, als dem Dollopfer feiner ſelbſt Jah”. Die Taufe ift ein
Begrabenſein und Nuferſtehen mit Chriftus und der alte Taufritus
deutete beides durch das Unter- und Auftauchen des Täuflings auch
äußerlich an. Auf dieſe Ähnlichkeit wies der Profeßritus im Miſſale
der Kirche von Weſtminſter aus dem Jahre 1384 ausdrücklich hin“.
Ein hinweis auf das Begrabenſein in Gott findet ſich auch in der vier⸗
ten Übung der „Exerzitien“ der hl. Gertrud und zwar in Verbindung mit
der Übergabe der Profeßkarte. Die heilige betet, das Licht der gött⸗
lichen Liebe möge ihre Sinne derart verſchließen, daß Chriſtus allein
ihr beben und Führer fei, und fügt hinzu: „Derfchlinge meinen Geiſt
mit deinem Seiſte fo ftark und tief, daß ich in Wahrheit gänzlich
degraben werde und in dir und in der Vereinigung mit dir ganz
vergehe von mir, und mein Grab nur deiner Liebe bekannt ſei.“ Nicht
klar iſt hier, ob die heilige dieſes Begrabenwerden auch durch das
Diederlegen der Profeßkarte auf den Altar dargeſtellt dachte. — In
derſelben Übung kehrt der nämliche Gedanke wieder, und zwar nach
Empfang der heiligen Kommunion. Ebenda der Wunſch, von der
Erlöfungsgnade wie von dem Grabtuch Chriſti eingehüllt, in dem
marmornen Grab des heiligſten Herzens zur Ruhe beftattet, unter dem
Blicke Gottes wie unter einem Grabſteine verſchloſſen, der ewigen Ruhe
in Gott zu genießen. Doch fehlt hier wie an der eben erwähnten
Stelle der hinweis auf die Nuferſtehung.
Auch im Wechſel der Gewänder und in der Annahme eines neuen
Namens ſah zwar nicht die älteſte Zeit (Eaffian, Pachomius, Bene:
diktus) wohl aber das Mittelalter ein Symbol der geiſtlichen Um⸗
wandlung, in der der alte menſch aus- und der neue angezogen
(Hol. 3, 9; Eph. 4, 24), das alte eben begraben, das neue Leben be⸗
gonnen wird!. Eine andere Deutung gibt der Pſeudo-Hreopagit!.
hiemit verwandte Gedanken hören wir aus der Erklärung des No⸗
vizen bei feiner Profeß, worin er in der „Meiſterregel“ kein Eigentum
Ju haben verſpricht, da ihm Chriſtus Leben, und Sterben Gewinn fei'?.
1
56
Seiſtigen Tod und Auferftehung zum neuen beben in der Profeß
ſinnbildete zunächſt ein Ritus, der ſich der Gelübdeablegung anſchloß
und der bis in das frühe Mittelalter!“ ſich verfolgen läßt, und heute
noch, wenn auch in teilweiſe veränderter Form, vielfach beobachtet
wird. Der Neuprofeſſe trägt mehrere (drei bis vierzehn) Tage hin⸗
durch Tag und Nacht die Aukulle oder Albe, oder es wird ihm die
Rapuze zugenäht !!. In dieſer Zeit übt er ſtrenges Schweigen und
bleibt gewiſſen Handlungen im kiapitel fern. Nach Ablauf der vor⸗
geſchriebenen Friſt findet die „Offnung ſeines Mundes“ (aperitio oris)
ſtatt; er hat alfo nach dieſer Anſchauung, infolge der Profeß, die Stimme
verloren und gilt als geſtorben. Doch war und iſt die Ausdeutung
dieſes Gebrauches nicht durchaus einheitlich. Rupert von Deutz ſieht
in ſeiner Schrift über die heilige Dreifaltigkeit darin eine Erinnerung
an das dreitägige Derborgenfein der Apoftel bis zur erſten Erſcheinung
des Auferftandenen oder auch ein Bild des Leidens Chriſti, eine Er-
klärung, die ein geiftiges Mitleiden und Miiſterben nicht ausſchließt
oder geradezu einſchließt r. Ahnlich in feiner Schrift über die Regel
des hl. Benedikt!“: In feiner Profeß ſtirbt der Mönch gleichſam mit
Chriſtus und wird mit ihm begraben; dies deute das dreitägige
Schweigen an. mit Chriſtus ſtehe er am dritten Tage wieder auf
und empfängt den Friedensgruß. Als der Welt Geſtorbene hielten
nach dem oben erwähnten Miſſale von Weſtminſter (Spalte 1209)
auch die Nonnen drei Tage hindurch das Geſicht bis auf die Augen
mit dem weißen Schleier (velamina; in albis) bedeckt. Der junge
Mönch trug das weiße Gewand bis zum dritten Tage, bezw. bis zum
Friedenskuß der Meſſe dieſes Tages (ebd. 1195 f.). Die damit erteilte
Erlaubnis zur Ablegung des weißen Sewandes hieß »dealbare«. Die
gleichfalls dem 14. Jahrhundert angehörigen „Gebräuche von Ranter-
buru“ (Consuetudines Cantuarienses) machen dieſe Sitte noch klarer,
wenn fie den Mönch für die Welt geſtorben und begraben nennen!“.
Hildemar erblickt in der ktuͤkulle eine Erinnerung an die Taufe. An⸗
dere hingegen bezogen die drei Tage auf die dreitägige Blindheit des
hl. Paulus nach ſeiner Bekehrung!“. N
nebenher ging die Dorftellung vom bürgerlichen Tod des Mönches.
Schon die Regel des hl. Benedikt verlangt, der Mönch ſolle ſich von
weltlichen Befchäften fern halten (Rap. 4, 28); faſt ebenſo wenige gahr⸗
zehnte ſpäter Jſidor in feiner Mönchsregel (Rap. 4). Des Mönches
Stimme und er ſelbſt galten für gewiſſe weltliche und kirchliche Rechts⸗
geſchäfte als tot“. Bedeutung gewann dieſer Satz beſonders für das
kirchliche Sherecht. Der Mönch iſt durch die Beſtimmung der Kirche
57
unfähig, eine Ehe einzugehen und infofern tot. Ein Konvenienzgrund
für dieſe Rechtsfolge aus der Profeß lag eben im geiſtlichen Tode,
der im Profeßakt eingeſchloſſen war. Nicht ohne einen gewiſſen hu⸗
mor will die Gloſſe dieſe Rechtsunfähigkeit jedoch nicht zu weit aus⸗
gedehnt wiſſen: fie erklärt den Mönch als tot zwar für die Ehe, aber
nicht für Effen und Trinken?'. Aus demſelben Grunde folgerten her⸗
vorragende Bottesgelehrte und Rechtslehrer, daß eine geſchloſſene aber
nicht vollzogene Ehe vom Papſte gelöſt werden könne. Wie der leib⸗
liche Tod die vollzogene, ſo löſt der geiſtige Tod in der feierlichen
Profeß die nicht vollzogene Ehe?!.
flußerlich wurde die eingangs erwähnte Ausgeftaltung der Brab-
legung vielleicht dadurch befördert, daß in manchen Kirchen?? für die
die große prostratio, das hingeworfenſein auf den Boden, ein Teppich
gebraucht, und der Mönch ſelbſt in dieſer haltung e und mit
Deihwaſſer beſprengt wurde.
Anmerkungen.
Rituale pro omnibus sub Regula S. P. Benedicti militantibus. Parisiis 1048,
pag. 142. Disq. lib. IV. tr. 8. pag. 439. De antiquis monachorum ritibus 1690.
Monasticon Cist. pag. 100 102. ° Panno nigro vel alio, in der Ausgabe von
1899, pag. 366. Keitzenſtein, Hist. mon. 8. 107. The Benedictional of Arch-
bishop Robert, ed. Wilson, pag. 133; The Missal of Robert of Jumieges, ed.
Wilson, pag. 285. ° Dgl. beifpielsweife Vita Pachomii, Acta Sanctorum Boll.
Maii, tom. III. Antwerpen 1680, no. 89, pag. 48 F f.; hieronumus epist. 39,3 und
130, 8. MPL. 22,180; 984. Peter Damiani opuscul. 16, cap. 8. MPL. 145, 370 f.;
Bernhard, De praecept. et disp. cap. 17. MPL. 182, 520 f.; Haeften a. a. 0.
pag. 440 f.; Reiffenftuel, Jus can. L. III, tit. 31, 8 7, no. 187.; Gerbert, Vetus
Liturgia Alemanica, tom. II. disq. 6, no. 21. Missale Ecclesiae Westmona-
steriensis, ed. Legg, col. 1209. % Dgl. Ordo von Rheinau, MPL. 138, 1094;
Ordo Romanus, ed. Hittorp, Coloniae 1568, pag. 138; Pontificale Romanum,
Benedictio Abbatis; Martene, a. a. O. L. V, cap. 4; Die . des Lan-
franc, Oderiſtus, Benedikt von Aniane u. a.; Hl. Gertrud a. a. O.; ferner Missale
Eccl. Westmonast.; Haeften, Disq. L. IV, tr. 8, d. 5, pag. 444. 5 Eccl. Hierarch.
Ill, cap. 6. "? Regula Magistri, cap. 89. “ Konzil von Rachen can. 35; The
Missal of Robert of Jumieges. pag. 286 Haeften zitiert für letzteren Gebrauch
banfranc, Boerius, das Rituale von Afflighem und das der Dallumbrofaner. ' De
Trinitate I. VIII, cap. 8. 1 I. IV, cap. 9g. 7 Ed. Thomson vol. I, pag. 296
und 271. 1 Dgl. Herrgott, Vetus disciplina, pag. 28, Anm. v c. 53. 54. C. II.
q. 7: c. 8. C. XVI. q. 1. hnlich auch die Sloſſe zum weltlichen Recht. *° gl. aut.
Servi. Instit. de jure person. — Im deutſchen Rechte: Sachſenſpiegel L. 22, 8 1
und 3; Schwabenſpiegel $ 29; Gloſſe zum Sachſenſpiegel I. 25, 8 1. 1 8. Thomas,
Suppl.: d. 61 a. 2: 8. Bonaventura, Sent L. IV., dist. 27. q. 2; 28. q. 6, 32. q. 2.
Dgl. Sanchez, de Matrimonio L. II, dist. 19; Schmalzgrueber P. II. tit. 6, & 2 u. 44;
Dännibale, Summula theol. mor. I. no. 37. 2 Pgl. Missale Westmonasteri-
ensis col. 1187; Consuet. Cantuar. pag. 266.
& K Zr
58
Germania Sacra
Don deutfcher kirchengeſchichtſchreibung in älterer u. neuerer Zeit.
Don P. Juſtinus Uttenweiler (Beuron).
m Juli 1921 iſt Alois Anöpfler in feiner oberſchwäbiſchen Heimat
geftorben und zur letzten Ruhe gebettet worden. Don 1886 bis
1917 hatte er als erſter Nachfolger Döllingers — der Lehrfiuhl war
längere Zeit unbeſetzt geblieben — die Kirchengeſchichte an der Uni⸗
verfität München würdig vertreten. Der Neubearbeiter eines Teiles
der Ronziliengefhichte von Hefele! und Derfaffer eines beliebten Lehr:
buchs der Rirdhengefhichte ſowie anderer Schriften, feit 1891 mit
Schroers und Sdralek auch Herausgeber der Serie „Kirchengeſchicht⸗
liche Studien“, iſt vor allem als Gründer und langjähriger Dorftand
des Münchener kirchengeſchichtlichen Seminars bahnbrechend geworden.
Die Früchte feiner fördernden Juſammenarbeit mit ſtrebſamen Schülern
find zumeiſt in den von ihm eigens ins beben gerufenen „Deröffent:=
lichungen aus dem Kkirchenhiſtoriſchen Seminar Münden“
niedergelegt. Nicht weniger als 45 dankenswerte wiſſenſchaftliche
Arbeiten gelangten da an die Offentlichkeit in rund zwanzig gahren.
Knöpfler hat vorbildlich Schule gemacht. Das beweiſen eine Reihe
heute mit Achtung genannter Gelehrtennamen, die ſich ehedem als
Derfaffer ſolcher „Veröffentlichungen“ eingeführt haben. Beſondere
Erwähnung verdienen an dieſer Stelle die vom Meiſter ſelber kritiſch
edierten Werke zweier führenden Benediktinergelehrten aus karo⸗
lingiſcher Zeit: des Reichenauer Abtes Walafridi Strabonis liber de
exordiis et incrementis quarundam in observationibus ecclesiasticis
rerum — die zweite Auflage leitete 1899 das ganze Unternehmen
ein — und des Fuldaer Abtes und nachmaligen Mainzer Erzbiſchofs
Rabani Mauri de institutione clericorum libri III, zwei für die Pitur⸗
giewiſſenſchaft bedeutſame Schriften. Als „Ein Beitrag zur Benedik⸗
tinerordensgeſchichte des 10.— 12. gahrhunderts“ mußten die Unter-
ſuchungen zu den älteften Mönchsgewohnheiten von B. Albers O. 8. B.
willkommen fein. Eine gute Anzahl der Beiträge befaßte ſich mit
weiteren liturgiſchen ſowie mit patriftifchen Fragen der älteften Kirchen⸗
geſchichte. Nur die trefflichen Studien von A. Bigelmair: Die Be⸗
teiligung der Chriſten am öffentlichen Leben in vorkonſtantiniſcher
Zeit, und von P. Dörfler: Die Anfänge der heiligenverehrung nach
den römiſchen Inſchriften und Bildwerken, ſeien allgemeineren Intereſſes
wegen beſonders genannt. Unter den zahlreichen Forſchungen zum
Mittelalter fallen mehrere Nlummern zur karolingiſch⸗ottoniſchen Kirchen⸗
geſchichte von M. Königer auf, der u. a. auch noch eine grund ſätz⸗
liche Abhandlung: Dorausfegungen und Dorausſetzungsloſigkeit in
Seſchichte und Kirchengeſchichte, geboten hat. Den Abſchluß bildete
eine fleißige Studie von D. Franſes O. F. IM’. mit neuen Auffchlüffen
Bd. 5 u. 6. Dgl. dazu 5. Finke, Ronzilienftudien zur Seſchichte des 13. gahr⸗
hunderts. 1891. Die Werke des hl. Quodoultdeus, Biſchofs von Karthago, geſtorben
um 453. München, Gentner (Stahl), jetzt Köſel & Buftet, Kempten 1920. gr. 8° 90 8.
59
über Perfon und Werke des karthagiſchen Biſchofs Quodvultdeus
auf Grund von Anregungen feitens des gelehrten Bermain Morin
0. 8. B. Ein ebenſo anſchauliches Bild wie aus den „Veröffentlichungen“
gewinnt man von der vielſeitigen wiſſenſchaftlichen Anregung durch
den Altmeiſter im kleinen beim Einblick in die reichhaltigen Feſtgaben,
die ihm zu ſeinem 60. bezw. 70. Geburtstage — 1907 die kleinere in
den „Deröffentlichungen“ III, 1; 1917 die größere — zumeiſt aus dem
Rreife feiner Schüler gewidmet wurden. HN. Anöpfler iſt tot, aber als
Gelehrter und als Lehrer wird er weiterleben.
Georg Pfeilſchifter, deſſen Name früh in den „Veröffentlichungen“
and (I. R., 4. heft: Die authentiſche Ausgabe der e
Gregors d. Br. Ein erfter Beitrag zur Geſchichte ihrer Überlieferung.
1900), wie auch in der genannten Serie „Kirchengeſchichtliche Studien“
(III. Bd. 1.— 2. Heft: Der Oſtgothenkönig Theodorich und die katholiſche
kirche. 1901), ſowie er hernach in beiden Feſtgaben begegnet, hat es als
lachfolger feines Meifters auf dem Cehrftuhl der Kirchengeſchichte über⸗
nommen, in dem etwas erweiterten Rahmen der „Münchener Stu⸗
dien zur hiſtoriſchen Theologie“ (Verlag J. Köſel u. Fr. Puſtet,
kiempten) zuſammen mit feinen Kollegen E. Eichmann, M. Srabmann
und E. Weigl auch die Traditionen des Derewigten weiterzuführen.
Et ſelbſt eröffnete das neue Unternehmen mit einer Anöpflers Andenken
gewidmeten Schrift: Die St. Blafianifhe Germania Sacra. Ein
Beitrag zur hiſtoriographie des 18. gahrhunderts!. Sie bietet
uns einen lehrreichen Einblick in des Derfaffers berufsmäßiges Lehr-
fach, beſonders aber in ſein ureigenſtes Forſchungsgebiet, das ihm
als einſtigem KRirchenhiſtoriker in Freiburg i. B. vor Jahren die Ba⸗
diſche hiſtoriſche kommiſſton übertragen hat: Die Herausgabe der elf
ſtattliche handſchriften⸗Folianten umfaſſenden Rorreſpondenz des großen
Fürſtabts Martin Gerbert von St. Blafien (1764 - 93) ?. Die Ab⸗
tei St. Paul in Kärnten verwahrt neben manch anderen wertvollen
Überreſten, die die aus der Schwarzwaldabtei verwieſenen Söhne
St. Benedikts in ihre neue heimat mitnahmen, auch dieſen koſtbaren
Schatz. Vorläufig bietet Pfeilſchifter nur jene Briefe, rund 500 zumeiſt
vereint in dem 11. St. Pauler Brieffolianten, die ſich mit dem wiſſen⸗
ſchaftlichen Rieſenunternehmen der Mönche von St. Blafien, der Ger-
mania Sacra, befaſſen.
Unter Germania Sacra verſtand man eine umfaſſende, durch Publi⸗
kation von Quellenſchriften und Urkunden ausgeſtattete Kirchengeſchichte
Befamtdeutfchlands im Rahmen der Befchichte der einzelnen Diözeſen.
„Eine Germania Sacra war ſeit langem ein allgemein und ſtark ge⸗
fühltes „Deſtderium“. Seit dem 16. Jahrhundert hat man an ihre Ver⸗
wirklichung gedacht und mit ungenügenden Mitteln und unzureichenden
kräften daran gearbeitet.“ Die Häufigkeit ſolcher Bemühungen legt
‘ Derlag J. Köſel u. Fr. Puſtet, Kempten. 1921. gr. 8°, X u. 198 8. Das 2. heft:
A Adam, Die geheime ktirchenbuße nach dem hl. Auguftin. (1921), ift beſprochen
Bened. Monatſchr. 1923, 133 f. gl. 6. Pfeilſchifter, Fürftabt Martin Gerbert
von St. Blafien. Görres-Geſellſchaft. 3. Dereinsfchrift 1912, 8. 38 72, ſowie Bened.
Monatſchr. 1920, 8. 43—62.
60
Zeugnis ab von der dringenden Notwendigkeit wie von der Schwierig⸗
keit des Dorhabens. In zwei Teilen beſpricht er nun dieſe Derfuche,
zunächſt nur ſkizzenhaft die vorſanktblaſianiſchen, dann ausführlich
jenen der Mönche von St. Blaſien.
C. Bruſchius, ein humaniſt um die Mitte des 16. Jahrhunderts in
Eger, trat mit ſeiner Epitome de omnibus Germaniae episcopatibus
als erfter an die Derwirklichung der dee heran. 56 deutſche Bistümer
in den fieben ktirchenprovinzen Mainz, Köln, Trier, Magdeburg, Salz:
burg, Bremen und Riga ſamt einigen zur franzöſiſchen Metropole
Befangon gehörigen ſchweizeriſchen Randbistümern ſollten bearbeitet
werden. Der eine Band mit den 14 Bistümern der Mainzer Provinz
bietet jeweils eine kurze Befchichte des Bistums, ſowie die biographiſche
Skizze der einzelnen Biſchöfe. Ein Parallelband orientiert verhältnis⸗
mäßig eingehend über Gründung, Schickſale und bebensgang der Dor:
ſteher von 145 meiſt ſüddeutſchen Klöſtern. Stofflich deckt ſich der un⸗
vollendet gebliebene Erſtlingsverſuch mit der ſpäteren Germania Sacra
von St. Blafien, ohne aber die Einordnung des Stoffes in das Bistum
ſo ſtraff durchzuführen. Es folgte die weniger bedeutende Teilarbeit des
Mainzer Minoriten P. Kratepol über die Metropolen Röln und Trier
und der ſtoffreiche Foliant des bauriſchen Staatmannes W. hund über
die ſalzburg⸗bauriſche Kirchenprovinz, von dem der fleißig forſchende
Münchener Archwar Bewold eine dreifach erweiterte Neuauflage beſorgte.
Alsdann war es erſt nach dem Dreißigjährigen Krieg der gelehrte
ſchwäbiſche Benediktiner 8. Bucelin von Weingarten, der in den vier
mächtigen Bänden ſeiner Germania sacra et profana den Gedanken
einer geſamtdeutſchen KRirchengeſchichte wieder aufgriff. Iſt bei ihm
die Behandlung der 64 einbezogenen Bistümer Bruſchius gegenüber
etwas dürftig ausgefallen, fo hat er dafür die Klöſter nach Zahl und
hiſtoriſchem Material, wohl aus perſönlichem Intereſſe und leichterer
Zugänglichkeit des Stoffes, umſo eingehender behandelt und vor allem
als erſter ſämtliche Hirchenprovinzen berückſichtigt und durchgearbeitet.
Im gleichen 17. gahrhundert erſcheint von einem anderen Schwaben,
dem regulierten Chorherrn F. Peter von Wettenhauſen, als Teil einer
geplanten Germania ecclesiastica, die möõglichſt alle Rlöfter und Stifter
umfaſſen follte, die Suevia ecclesiastica mit 628 behandelten Männer:
und Frauenklöſtern bzw. Stiftern. Zu Gunſten einer rein alphabetiſchen
Anordnung iſt hier vom Diözeſanprinzip ganz abgeſehen. Nicht ſo in
der Historia episcopatuum foederati Belgii (1719) des Generalvikars
van Beuffen zu Utrecht, der den kirchengeſchichtlichen Befamtftoff
der Utrechter Kirchenprovinz ſtreng geordnet im Rahmen der Einzel:
bistümer unterzubringen weiß. Faſt gleichzeitig hat eine anonum
in Brüſſel gedruckte Deutſche Bistumsgeſchichte in franzöſiſcher
Sprache wieder alle Diözeſen, deren Auswahl hinſichtlich der Rand⸗
bistümer freilich auffallen muß, aufgenommen. Neben dieſen nieder⸗
ländiſchen Unternehmungen haben die Italia sacra des Ziſterzienſerabtes
Ughelli in ihrer zehnbändigen Neubearbeitung durch den Denetianer
N. Coleti (1717 22) und vor allem die Gallia christiana der franzö⸗
ſiſchen Benediktiner der kkongregation vom hl. Maurus, die 1715 — 88
61
in 13 Bänden (nach Mitte des 19. Jahrhunderts kamen noch 3 Bände
hinzu) ebenfalls in erweiterter Geſtalt erſchien, auf die deutſchen Der-
ſuche vorbildlich eingewirkt.
ber die Vorzüge der vorausgehenden Werke wie über die ſpeziellen
Anforderungen der deutſchen Derhältniffe und die Fortſchritte der
beſchichts wiſſenſchaft hinreichend orientiert, wollte ſeit 1720 der gelehrte
geſuit M. hanſizius eine auf der höhe ſtehende große Germania
Sacra quellenmäßig bearbeiten. Ihm kam fein Aufenthalt zu Wien,
in unmittelbarer Nähe zahlreicher Handſchriften und Bücherſchätze,
gewiß zu ſtatten, aber es fehlte doch an einer umfaſſenden Organi-
ſation zur Gewinnung von Mitarbeitern und Quellenmaterial. Hanſi⸗
zus ſtand allein da. Was er in drei ſtarken Foliobänden über die
alte Metropole Cord) und das jüngere Paſſau, über das Erzbistum
Salzburg und einleitend über die Regensburger Diözeſe bietet, iſt frei⸗
lich nicht mehr bloße Material: und Tatſachenſammlung nach Einzel-
ſprengeln, ſondern der erſte in den Diözeſanrahmen geſpannte
berſuch eines darſtellenden Geſchichtswerkes für die deutſche
gseſamtkirche: ein ebenſo ſchwieriges wie widerſpruchsvolles Unter⸗
nehmen! Später gelangte mit anderen Stoffen von Hanſtzius ſein Manu⸗
ſkript des Episcopatus Neostadiensis in den Beſitz von St. Blaſien.
Aber noch etliche Jahrzehnte, bevor man dort an die Verwirklichung
der Germania Sacra ſchritt, gab der junge, proteſtantiſche Hiftoriker
9. Chr. Batterer, ſpäter Profeſſor in Böttingen, den Plan zu einer
allſeitigen und vollſtändigen Germania sacra medii aevi aus, „der
einen bedeutenden Fortſchritt nach der Seite einer vollkommeren Er⸗
faſſung ſämtlicher Cebenskräfte und bebensäußerungen des religiös⸗
kirchlichen Lebens einer Diözeſe“ darſtellte. Wie hätte indeſſen ein
Mann 56 Bistümer in dieſem Ausmaße behandeln können! Gatterer
kam ſelbſt von feinem Vorhaben ab. Nuch der gelehrte Benediktiner⸗
abt Magnus Klein von Göttweig in Niederöſterreich, der in un⸗
gewöhnlichem Fleiße 109 Bände Materialien zu einer Germania Sacra
geſammelt hatte, konnte keinen Buchſtaben dem Druck übergeben.
„Als eines einzigen Mannes Werk war eine Germania Sacra eben
etwas phuſiſch Unmögliches, wenn ſie anders auf Grund der vielen
und zum Teil ſehr reichen Einzeldarſtellungen und unter möglichſt
ergiebiger Beiziehung der archivaliſchen Schätze alle Diözeſen Deutſch⸗
lands umſpannen und in einer Weiſe behandeln ſollte, die über etwas
erweiterte NUamenliſten doch weſentlich hinausging.“ Derartige For:
derungen durfte man beim Fortſchritt der hiſtoriſchen Forſchung er⸗
heben. Um aber fie zu verwirklichen, bedurfte es einer organifierten
dufammenarbeit vieler, ganz abgeſehen von der finanziellen Grund-
lage, auf der ſolch ein Unternehmen ruhen mußte. Die vermögliche
Benediktinerabtei St. Blafien auf dem ſüdlichen Schwarzwald unter
ihrem gelehrten, weltberühmten Fürſtabte M. Gerbert war damals
vielleicht die einzige körperſchaft, die alle wirtſchaftlichen und wiſſen⸗
ſchaftlichen Anforderungen hiefür in hinreichendem Maße erfüllte.
Don dieſen verheißungsvollen UDorausſetzungen nach der wiffen-
ſchaftlichen Seite hin entwirft uns Pfeilſchifter eingangs des Haupt⸗
62
teils ein erhebendes Bild. War das 18. Jahrhundert St. Blaſiens
Glanzzeit, fo ſtellt die Regierung Gerberts, beſonders nach dem Wieder⸗
aufbau des 1768 niedergebrannten Kloſters, ihren höhepunkt dar.
Eine ob ihrer amtlichen Würde, ihres individuellen Eigenwertes und
ihrer feltenen Bildung hochgeachtete Gelehrtenperſönlichkeit an der
Spitze, ihr zur Seite ein Stab befähigter Mitarbeiter, in denen die
gleiche Liebe zur Wiſſenſchaft lebte, ein hoffnungsvoller Nachwuchs,
dem daheim und auswärts die günftigften Bildungs möglichkeiten ge⸗
boten waren, im Werden: die Kontinuität der Forſchung und Arbeits⸗
methode für die Germania Sacra war ausſichtsreich garantiert. Als
günſtiger Faktor kam noch hinzu, daß das Kloſter eine eigene Druckerei
beſaß. Die hiſtoriographiſche Tätigkeit der St. Blafianer bewegte ſich
ſchon ſeit längerer Zeit in dieſer Richtung. Hatte doch über ein halbes
Jahrhundert früher m. Herrgott den umfaſſenden Plan zu einer
ktonſtanzer Bistumsgeſchichte entworfen, deſſen Ausführung nach feiner
anderweitigen Derwendung R. Heer und ſpäter Gerbert felber lange
mit Intereſſe betrieben hat. Des Fürſtabts breitangelegte Geſchichte
des Schwarzwaldes diente dem gleichen Zweck. Altbenediktiniſche Tra=
dition, von 6. Bucelin-Weingarten, M. Klein⸗ Göttweig und den fran⸗
zöſiſchen Maurinern erneuert, wirkte vorbildlich. Schließlich forderte
auch das Gerbertſche St. Blaſien naturgemäß ein großes Unternehmen
der kirchlichen Wiſſenſchaft. Sollten es nicht die Acta Sanctorum ſein,
deren Weiterführung durch die St. Blaſianer manche Kreiſe wünſchten,
dann eine ähnliche dieſer „Selehrtenakademie“ würdige beiſtung. Das
dankbare Arbeitsfeld follte ſich in der Germania Sacra bald darbieten.
Der Frage nach dem „Urſprung des Sankt Blaſianiſchen
Planes einer Germania Sacra“ iſt ein methodiſch lehrreiches Ra=
pitel der Nuseinanderſetzung mit dem Verfaſſer des Nufſatzes „Der Worm⸗
fer Weihbiſchof Steph. Alex. Würdtwein und feine Derdienfte um die
deutſche Seſchichtsforſchung“! gewidmet. Dieſer glaubte nämlich, auf
Grund von Briefen zwiſchen Würdtwein und Gerbert, die laut ver⸗
legten Privatmitteilungen dem einſtigen biſchöflich mainziſchen Archivar
Fr. Falk vorlagen, ſowie unter Hinweis auf die große Ahnlichkeit
des Entwurfes zu Würdtweins Concilia Moguntina und zur ſpäteren
Germania Sacra, in dieſem gelehrten nachmaligen (1782) Weihbiſchof
von Worms den Vater des weitſchauenden Planes erblicken zu dürfen.
Das zweite Argument iſt leicht zu erſchüttern durch die Feſtſtellung,
daß der Würdtweinſche Entwurf in der Geſchichte der Verſuche einer
Germania Sacra nichts weſentlich Neues darſtellt; den St. Blafianern,
die auf einen gründlicheren Plan ihres erſt 1762 verſtorbenen Dor=
fahren P. Marquard Herrgott zurückgehen konnten, war er durch-
aus entbehrlich. hinſichtlich des erſten Brundes iſt es verhängnisvoll,
daß keine Belege vorgewieſen werden können. Andrerſeits gibt das
in den St. Pauler Brieffolianten liegende Material beachtenswerte
Gründe für Gerberts Urheberſchaft an die hand, und das in mehr⸗
facher hinſicht. Wenn ſchon 1769 und dann immer wieder bis 1782
die Germania Sacra im Briefwechſel zwiſchen St. Blafien und Würdt⸗
Freib. Diöz.⸗HArch. Bd. 34, 8. 75 - 119; vgl. auch Bd. 50, 8. 144 - 47 u. Bd. 51, 8. 106.
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wein eine Rolle ſpielte, follten ausgerechnet dieſe Briefe fpurlos ver⸗
ſchwunden ſein? Warum ſind nach 1782 Schreiben Würdtweins zum
gleichen Begenftande da? Warum ſprechen ſich er und die St. Blafianer
in der wirklich vorhandenen Rorrefpondenz der Jahre 1769 ff. über
die beiderſeitigen wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen eingehend aus, ohne
die Germania Sacra mit einer Silbe zu erwähnen? Man verſteht auch
nicht, wie Würdtwein im Jahre 1769, fo kurz nach dem verheerenden
Brande St. Blafiens und der dadurch notwendig gewordenen Zer⸗
ſtreuung des kionvents, den hart betroffenen Fürſtabt erſuchen konnte,
„daß er mit feinen reichen Geldmitteln und feinem ſtattlichen Gelehrten⸗
ſtabe den Plan vollführe“. Acht Jahre ſpäter, als das Klofter wieder
aufgebaut und das wiſſenſchaftliche Streben in ſchönſter Blüte war,
hat ſich die Schwarzwaldabtei bereit erklärt, die durch Aufhebung
der Geſellſchaft geſu gefährdeten Acta Sanctorum weiterzuführen. Ein
Eingehen auf dies Unerbieten iſt nicht denkbar, wenn damals ſchon
ein Unternehmen von der Größe der Germania Sacra ernſtlich in Er⸗
wägung ſtand; das zeigt uns elf Jahre ſpäter die ablehnende Haltung
gegenüber dem nun tatſächlich ins Stocken geratenen Werk der Bollan⸗
diſten. Noch 1778 ſuchte Würdtwein gelegentlich Derbindung mit dem
Eziefuiten Rieber und will ihm Stoff liefern zur Fortſetzung der Han⸗
ſizſchen Germania Sacra; an etwas ähnliches in St. Blafien denkt er
dabei offenbar gar nicht.
Die Idee einer Germania Sacra lag längſt in der Cuft. Voraus-
gegangene und gegenwärtige hiſtoriſche Forſchungen, und das in Ger⸗
berts blühendem Kloſter fo gut wie anderswo, bereiteten allmählich
ihr Zuftandekommen vor. St. Blafien bedurfte daher der Anregung
von außen nicht. Die dortige Entſtehung und Entwicklung des Planes
läßt ſich verfolgen. Ende der Siebzigerjahre beauftragte der Fürſtabt
den fleißigen und gründlichen P. Trudpert Neugart mit der Weiter-
führung der ehedem unterbrochenen konſtanzer Bistumsgeſchichte. Er
ſelber ſchreibt um dieſe Zeit an feiner Historia Nigrae Silvae ordinis
Sancti Benedicti coloniae, die zugleich eine kirchliche und politiſche
Belchichte des Schwarzwalds darſtellt. Anderweitig muntert er auf zu
ähnlichen Arbeiten. Mit diefen Einzelforſchungen reift der Mut und der
Plan, fie in ein größeres kirchenhiſtoriſches Unternehmen einzu⸗
ordnen, über deſſen Organiſation indeſſen noch keine Klarheit herrſcht.
loch im Dezember 1780 ſcheint ſich Serbert die Zentrale des Dor-
habens, zu dem er mit den Seinen nur beiſteuern will, außerhalb
St. Blafiens zu denken. In den folgenden Monaten wurde aber offen-
bar in feinem Rlofter viel beraten und erörtert. Denn Oktober 1781
hat man ſich ſchon geeinigt auf einen beſtimmten Plan: die Germania
Sacra ſoll wie die Gallia christiana nach Diözeſen behandelt werden.
Bald beginnen die Vorarbeiten, mit denen gegen Ende 1782 über zwan⸗
zig Mönche ſich abgeben. Junächſt waren es einige Diakone, die nach
Abſchluß ihrer theologiſchen Studien — zum Prieſtertum ließ man ſie
noch nicht hinzu — in geeigneter Weiſe beſchäftigt werden ſollten. Es
möchte ſogar ſcheinen, daß die Frage ihrer Beſchäftigung zur end⸗
gültigen Entſchließung geführt hat. Man ſieht, das Vorhaben gilt
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ſchon als St. Blafianifche Angelegenheit, zumal fie dem Fürftabt fo
fehr am Herzen liegt. Er ſelbſt war es, der nun befreundete Gelehrte
davon verſtändigte, unter ihnen auch den anderweitig beſchäftigten
Würdtwein, deſſen Antwort die freudigſte Überraſchung kundgibt.
Dies wird wohl der wahre Sachverhalt und Bang der Dinge geweſen
ſein, wenngleich ein völlig überzeugender Beweis nicht leicht zu er⸗
bringen ift. Jedenfalls entbehrt das Endurteil: „Die St. Blaſtaniſche Tra=
dition, daß Gerbert der eigentliche Dater der St. Blaſianiſchen Germania
Sacra fei..., hat alſo doch manches für ſich und iſt jedenfalls bis zur
Stunde durch kein durchſchlagendes Argument entkräftet worden“,
der ſoliden Begründung und vorſichtigen Faſſung keineswegs.
Klar und zielbewußt gingen nun die St. Blafianer zu Werke. Unter
ſich und mit auswärtigen Gelehrten berieten ſie die Mittel und Wege,
die Schwierigkeiten und Nusſichten des gewaltigen Unternehmens.
Drei befreundete Forſcher von Anſehen, der ſchweizeriſche Baron von
Zurlauben, der erwähnte Weihbiſchof Würdtwein von Worms und
der päpſtliche Nuntius Barampi in Wien boten alsbald archivaliſche
Schätze an und verhießen Unterſtützung durch Rat und Tat. Ein
Proſpekt vom 11. november 1783 mit klar umriſſenem Plan,
übrigens ein für den wiſſenſchaftlichen Sinn der Mönche von St. Blafien
ebenſo ehrendes wie lehrreiches Schriftſtück, dem nach Fühlungnahme
und Gedankenaustaufh mit den erſten Dertretern der damaligen
Gelehrtenwelt eine zweite, endgültige Redaktion unterm 3. Februar
1786 folgte!, lud alle gelehrten Perſönlichkeiten und Rörperſchaften
ohne Unterſchied der Konfeſſton und Nationalität zur Mitwirkung
jeder nur möglichen Art ein. Umfang und Einteilung des Unter:
nehmens wird darin feſtgelegt, eine wiſſenſchaftliche Geſellſchaft der
zur Germania Sacra mitwirkenden Gelehrten und helfer ins Leben
gerufen, dieſe ſelber behufs geregelter Arbeits methode in drei
Klaſſen geteilt, die ſich je nach dem Grade der Schulung und Befähi⸗
gung betätigen: die erſte Klaſſe befaßte ſich — bereits nach beſtimmten
Gefichtspunkten und Rubriken — mit dem Sammeln und Exzer⸗
pieren des Stoffes aus den großen Quellen- und Regeſtenwerken.
Eine zweite Klaſſe teilte dies Material den verſchiedenen Metropolen,
Bistümern und Alöftern zu und ergänzte es aus den über die betref⸗
fenden Sprengel vorhandenen Spezialwerken, während die dritte und
höchſte Klaſſe die Derarbeitung und literariſche Beftaltung übernahm.
Ein Direktorium von wenigſtens zwei Patres aus St. Blafien ſtand
an der Spitze, natürlich geſtützt und beraten von der Erfahrung und
Sachkenntnis des vielbeſchäftigten Fürſtabtes. Ihnen oblag die Zu»
weiſung des Arbeitsfeldes und allenfalls erforderlichen Materials, die
wiſſenſchaftliche korreſpondenz, die Ausarbeitung der jeweiligen Pro—
loge und Dorunterfuchungen, die letzte Reviſion des Manufkriptes und
Überwachung des Druckes. Beratende Konferenzen fanden des öfteren
ſtatt. Ein Sekretär verwahrte Protokolle und Korreſpondenzen in einem
Geſellſchaftsarchiv. Es war dies P. Amilian Uffermann, zugleich
die Seele und ſtets treibende Kraft des Banzen. Die Sammel- und
Originaltext, leider voll Druckfehler, 8. 181-188 als Beilage I. und II. geboten.
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Ekzerpierarbeit geſchah aus praktiſchen Gründen vor allem in St. Bla⸗
ſien. Dort ſtand alles im Banne der Germania Sacra. Waren doch,
wie wir ſahen, ſchon ein Jahr vor Ausgabe des erften Proſpektes
mehr als zwanzig Mönche an der Sammelarbeit. Was in ähnlicher
Weiſe auswärts geſammelt wurde, follte zwecks einheitlicher Arbeit
nach St. Blaſten geliefert werden.
eine wichtige uno viel erörterte Frage betraf den Umfang der
geſamten Arbeit, d. h. die Zahl der zu behandelnden Diözeſen. hier⸗
über hatte ſich der Proſpekt nur im allgemeinen geäußert. P. Am. Uſſer⸗
mann verfaßte einen weitausſchauenden Plan, worin 100 - 120 Bis⸗
tümer vorgeſehen waren. Die deuiſchen kternprovinzen Mainz, Trier,
köln, Salzburg, Bremen, Magdeburg mit 49 Bistümern, dazu 51
ſog. Randbistümer, dieſe meiſt nicht vollſtändig, ſondern nur ſoweit
erforderlich — die urſprünglich auch genannten nordiſchen Bistümer
find nicht mitgerechnet — ſollten in 100 - 120 ftarken Quartbänden
im Derlauf der Jahre und Jahrzehnte bearbeitet werden. Nach frucht⸗
loſen Erörterungen mit Würdtwein einigte man ſich auf folgende
Anordnung bei der Behandlung der einzelnen Bistümer. Da ein
allgemein und grundſätzlich gehaltener Prodromusband unterblieb,
ſollte nach einem Verzeichnis der hiſtoriſchen Literatur zur Diözeſe
die Einleitung Abhandlungen über die Anfänge und Derbreitung der
chriſtlichen Religion, über Urfprung, Ausdehnung und Organifation
des Sprengels und etwaige Exkurſe enthalten, der erfte Teil von den
Bifhöfen und ihrer Tätigkeit als Rirchenfürften einſchließlich der
Sunodalſtatuten und ſonſtiger kirchlich⸗disziplinären Derfügungen, der
zweite Teil vom Domkapitel, den kiollegiatſtiften und dem übrigen
Weltklerus und ſchließlich ein dritter Teil von den zahlreichen Klöſtern
und kiloſtervorſtehern handeln. Den Schluß würde ein knapper Bericht
über heilige und gelehrte Perſönlichkeiten von beſonderer Bedeutung,
ein chronologiſches Regiſter ſchon edierter und ein Abdruck noch nicht
veröffentlichter Urkunden bilden.
Don großer Bedeutung für das Rieſenwerk war es auch, Mitar:
beiter, ſowie das nötige archivaliſche Material zu gewinnen. In allen
Bauen Deutſchlands hatte der kühne Gedanke hohe Aufmerkſamkeit
geweckt. kiatholiken und Proteſtanten kündigten in ſtattlicher Zahl
ihre Mitarbeit an. Außer den obgenannten drei hiſtorikern erſten
Ranges verdient der vorbildliche Eifer einiger proteſtantiſchen Gelehrten
und das rührige Intereſſe der Abteien Banz, Ottobeuren und Rheinau
beſonders hervorgehoben zu werden. Underwärts freilich bekundete
man weniger Derftändnis, beſonders wenn die Schätze der Archive zur
berfügung geſtellt werden ſollten. Das mußte dem Fortgang der
Arbeiten mitunter ſehr hinderlich werden, lag aber zum Teil in den
berhältniſſen der Zeit und der Menfchen. Archivreiſen in aus-
gedehntem Maße hatten die St. Blafianer freilich wohl nicht prinzipiell
im Programm ſtehen. Man kann darin mit Pfeilſchifter einen Mangel
erblicken. Wenn man aber St. Blafien nicht nur als „Gelehrtenakademie“
anſieht, was freilich ſeit Jahren und gahrzehnten mit Vorliebe ge⸗
ſchah, ſondern auch und doch ſchließlich in erſter Linie als fonvent
Benediktinifdye Monatſchriſt VI (1924) 1—2. 5
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eines Ordens, deſſen Stifter die stabilitas loci — auch in dem hier
inhaltlich berührten Sinne — als neues Element ins Ordensweſen ein⸗
führte, dann wird man die Zurückhaltung der St. Blafianer bei all
ihrer Wiſſenſchaftlichkeit verſtehen. Ohne ein dauerndes Reiſen meh⸗
rerer Patres durch lange gahre wäre es kaum abgegangen — und
das wird ſich ſogar der weitblickende Gerbert, deſſen eigene wiſſen⸗
ſchaftliche Reiſen übrigens für ein enger umgrenztes Forſchungsgebiet
und darum verhältnismäßig kürzer und zudem nur die eines einzelnen
Mitgliedes der kkommunität waren, überlegt und darum vielleicht den
Seinen die Weiſung gegeben haben, nur in wirklich dringenden Fällen
zu reiſen. Es iſt dies eine Erwägung, die an dieſer Stelle gewiß ihre
Berechtigung hat und erneut zur Feſtſtellung zwingt, daß in der Lite:
ratur über die St. Blafianer des 18. Jahrhunderts auf die monaftifchen
Gefihtspunkte bisher kaum geachtet worden iſt. Man braucht dabei
nicht in die prinzipielle Schwierigkeit verwickelt zu werden, ob ein
wiſſenſchaftliches Unternehmen, deſſen harmoniſche Entwicklung eine
weitgehende Freizügigkeit wünſchenswert erſcheinen läßt, von ſolcher
Stelle gewagt werden dürfe. Größere oder kleinere Mängel haften
ſchließlich jeder menſchlichen Inftitution an. Wurde nicht bei der
St. Blaſianiſchen Germania Sacra der berührte etwaige Nachteil durch
die günftigften Umftände aufgewogen? Gab es übrigens Fälle wirk⸗
licher Notwendigkeit, wenn es z. B. irgendwo am Entgegenkommen
oder gar an der erforderlichen Ausbildung der Archivare und ſonſtiger
Hilfskräfte fehlte, auf die man ſich hätte verlaſſen müſſen, dann
zogen auch St. Blafianifhe Mönche zu eigentlichen Forſchungsreiſen
hinaus. So finden wir P. Ämilian Ufferman 1786 und fünf Jahre
ſpäter auch P. Diktor Keller im Frankenland, fo B. Ambrofius Eid):
horn im Churer Sprengel, P. Philipp Jakob Umber im Gebiete von
Eihftätt, P. Trudpert Tleugart im ſchweizeriſchen Teil der Konſtanzer
Diözeſe. Mehrfach konnte Gerbert auch auswärtige Gelehrte, die zur
Überbringung von Material und zur Beſprechung wichtiger Fragen
zu kommen gebeten waren, in St. Blafien begrüßen.
Überaus intereſſant iſt es nun zu hören, wieviele Diözeſen in Angriff
genommen oder bearbeitet wurden, und welche Bearbeiter ſie ge⸗
funden haben. Wir kommen da zu einem für die Benediktiner über⸗
haupt und ſpeziell für St. Blaſien ſehr günſtigen Urteil, vor allem
bei Erwägung der umfaſſenden Vorarbeiten, der verhältnismäßig nur
kurzen Zeit und den zum Teil fo verwickelten, unerfreulichen Verhält⸗
niſſen in der religiös⸗politiſchen Gage. Die weitausholende Exzerpier⸗
tätigkeit war noch auf das Geſamtunternehmen eingeſtellt. Planmäßig
geſammelt oder doch ſchon damit begonnen wurde für etwa 30 Dis-
zeſen, von denen 19, meiſt aus der Mainzer Kirchenprovinz, tatſächlich
in Arbeit ſtanden, aber nur 8 auch wirklich vollendet worden ſind.
Die Mainzer Erzdiözeſe, die nach dem urſprünglichen Plan als Muſter⸗
leiſtung an der Spitze marſchieren ſollte, fand nie eine dem in der
Germania Sacra möglichen Umfang entſprechende Bearbeitung. Die
Rückſicht auf Würdtwein, mit dem langwierige diesbezügliche Srör⸗
terungen leider erfolglos gepflogen wurden, zögerten nur den Beginn
67
des Druckes hinaus. Dagegen hat der unermüdliche P. Amilian Uffer-
mann allein drei Diözeſen fertig geſtellt, nämlich Würzburg, Bamberg
und Straßburg. Drei weitere Bistümer find die Frucht St. Blafianifcher
Bingabe: Chur iſt P. Ambros Eichhorns, Verden P. Diktor kiellers, Hon⸗
ſtanz P. Trudpert Neugarts Werk. Die zwei ſchweizeriſchen Bistümer
ſtammen von P. Moriz van der Meer aus Rheinau. In den Druck
kamen vier UDor⸗ oder Entlaſtungsbände, zwei mit alemanniſchen Ge=
ſchichtsquellen wie der Chronik Hermanns und Bertholds von Reichenau
u. a. von B. Ämilian Uffermann, zwei mit Urkunden zur klonſtanzer
Bistumsgeſchichte, bearbeitet von P. Trudpert Neugart; ferner die Diö⸗
zeſen Würzburg (1794), Chur (1797), Bamberg (18011), Ronſtanz Bd. J. 1
(18031). Sie alle tragen, geſchmackvoll und gediegen in Kleinquart
gebunden, das von kiennern noch heute geſchätzte Typis S. Blasii oder
Typis San-Blasianis an der Stirne. Sie alle aber, in trüben und
unruhigen Zeiten geboren, ſind auch Zeugen des Opferſinnes und
Idealismus der Mönche von St. Blafien, die uns aufrichtigſte Be⸗
wunderung abnötigen. Denn während dieſe unentwegt der Arbeit
fi) hingaben, wurde die Lage der Klöſter, die ſchon zu Beginn des
Unternehmens infolge der Joſephiniſchen Ideen bedenklich geweſen,
immer kritiſcher. Zu Ende des Jahrhunderts brachten ktriegsunruhen
ſogar das entlegene Schwarzwaldklofter in ſchwere Gefahren. Das
Druckjahr 1803 des letzten Bandes war auch das Jahr des Reichs
deputationshauptſchluſſes, der die Einziehung der geiſtlichen Gebiete
zur Folge hatte. Gerbert war ſchon am 13. Mai 1793, vor Erſcheinen
des erſten Bistumsbandes, geſtorben; Uſſermann folgte ihm fünf gahre
Ipäter, am 27. Oktober 1798 nach. Die Hauptſorge laſtete nun auf
dem edlen, vielbeſchäftigten Dekan Neugart. Doch ſollten ſeine Mühen
um die Germania Sacra nur noch von kurzer Dauer ſein; denn Baden,
dem Rlofter und Kloftergebiet zugefallen war, verfügte im Oktober
1806 die Aufhebung von St. Blafien und ſetzte dem hoffnungsvoll
begonnenen Kulturwerk ein jähes Ende.
Ihrer Hilfsmittel wirtſchaftlicher und wiſſenſchaftlicher Art beraubt,
zogen die Mönche des herrlichen kloſters von St. Blafien fort; der
Fürſtabt Berthold Rottler mit Dekan P. Neugart und über dreißig
anderen [einer Getreuen fand ein neues Wirkungsfeld in der unter
goſeph II. aufgehobenen Abtei St. Paul in ftärnten, die faiſer Franz
von Oſterreich zur Derfügung ſtellte. Dort verarbeitete P. Heugart
(Fam 15. Dezember 1825) noch die Materialien zu Bd. I, 2 der Aon-
ſtanzer Bistumsgeſchichte, der bis 1308 reicht und nach bewegten
Schickſalen erſt 1862 auf Roften der Abtei St. Paul bei Herder⸗Frei⸗
burg zum Druck gelangte. An eine Weiterführung der Germania
Sacra war aber nicht mehr zu denken. Für mehr als ein Jahrhundert
mußte fie wieder ein bloßes Defiderium bleiben. Zwei neue Ber-
mania-Sacra-Projekte, unter ſich ſehr verſchieden, brachte uns
erſt die jüngſte Zeit. Don einem konnte Pfeilſchifter noch nicht
berichten. M. hartig in München und 9. Baum in Stuttgart find
daran, mit anderen Gelehrten Deutſchlands Kirchen und ktlöſter in
Einzelmonographien zu behandeln. Ein erfreulicher Anfang iſt bereits
5 *
68
gemacht; denn M. Hartig hat das Unternehmen anfangs letzten Jahres
mit der hübſchen Arbeit „Das Benediktiner-Reichsſtift Sankt Ulrich
und Afra in Augsburg (1012 - 1802)“ eröffnet!, und von Fr. Martin
iſt unlängft „Berchtesgaden. Die Fürſtpropſtei der Regulierten Chorherren
(1102 - 1803)“ erfchienen.? Einteilung, Charakter und Zweck dieſer
neuen Germania Sacra ift aber von der St. Blaſianiſchen [ehr ver⸗
ſchieden. Naheliegend und praktiſch war die Einteilung in Germania
Sacra Saecularis und Regularis, jeweils wieder mit Unterabteilungen.
Die handliche, monographiſche Bearbeitung mit der kurzen geſchicht⸗
lichen Orientierung und der ſachkundigen, durch zahlreiche gute Repro⸗
duktionen — für Berchtesgaden 6 in Strichätzung und 92 auf Kunſt⸗
druckpapier — veranſchaulichten kunſtgeſchichtlichen Darlegung läßt
erkennen, daß an einen weiteren, vor allem künſtleriſch intereſſierten
Ceferkreis gedacht iſt. Für die gewiſſenhafte Juſammenſtellung der
Rlofterobern, der ausübenden Meiſter und Künſtler, der monumentalen
Überreſte, der literariſchen Quellen und Darſtellungen zum betreffenden
Gotteshaus iſt man dankbar.
Früher geplant, aber noch nicht zur Derwirklichung gelangt iſt die bei
Pfeilſchifter im Schlußparagraph beſprochene Germania Sacra, zu der
die Berliner Selehrten P. Kehr und A. Brackmann im Jahre 1908
die Anregung gaben. Wie bei den St. Blafianern würden hier rein
geſchichtswiſſenſchaftliche Ziele verfolgt. Unter zeitgemäßer Derände-
rung des fanktblafianifchen Planes kämen, wie Brackmanns Dor⸗
ſchläge vor allem in der Zeitſchrift für Kirchengeſchichte 30 (1909),
8. 1-27 praktiſch zeigen, außer dem kirchlichen Leben, feinen Ein⸗
richtungen und Perſonen, auch die politiſche und literariſche Lage,
kiunſt und Bulturzuftände, Rechts⸗ und Wirtſchaftsgeſchichte zur Be⸗
handlung. Dem Kirchenhiſtoriker erſcheint dies als eine Beeinträch⸗
tigung des eigentlich kirchlichen Elementes, ganz abgeſehen von der
Fraglichkeit einer Ausführung in ſolchen Ausmaßen. Lehrreich iſt
ſein 8. 34 gebotenes Jdealſchema zur Darftellung des gefamten
religiös⸗kirchlichen Lebens einer Diözeſe, an dem dieſer neue Verſuch
zu meſſen fei: 1. Die wirkenden Faktoren find der Biſchof mit der Jen⸗
tralgewalt, unterſtützt vom Domkapitel; ihm zur Seite als hilfsfak⸗
toren der gleich lebenswichtige Welt⸗ und Ordens klerus. 2. Die Mittel,
mit denen dieſe Faktoren wirken, find die Derwaltung des Gehramtes
durch Predigt, religiöfen Unterricht und kirchliche Wiſſenſchaft, des
Prieſteramtes durch Meßopfer, Sakramente und Gebetsleben, des
Birtenamtes durch Seelenführung und kirchliche Disziplin. 3. Das
Ergebnis wird der Geſamtzuſtand des religiös⸗ſittlichen Lebens der
Gläubigen und des Klerus fein, deſſen Darſtellung darum jeweils den
Bistumsband abſchließen ſoll.
Das Buch Pfeilſchifters ermöglicht einen lehrreichen Einblick in die
ernſten wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen einer geiſtig hochſtehenden Abtei
mit muſtergültig geregeltem Studienbetrieb. Möge man es bei einem
»Meminisse iuvat«, Es war einmal, nicht bewenden laſſen!
' Siehe Bened. Monaffchr. 1923, Heft 3—4, 8. 130 f. ? Germania Sacra. Serie B.
Germania Sacra Regularis. I. Die Abteien und Canonien. C. Die regulierten Chor-
herrnſtifte. 1923. Derlag Dr. Benno Filſer, Augsburg.
69
Rleine Beiträge und Hinweiſe
Ludwig von Paſtor zum 70. Geburtstag.
Ga Jahren lieſt man in Beuron Paftors Papſtgeſchichte mittags bei Tiſch, Band
für Band, ſobald wieder einer erſcheint. Jedem Bande ward noch das gleiche
ungeteilte Intereſſe von Patres und Brüdern entgegengebracht; vor keinem wurde
halt gemacht, auch vor keinem einzigen Bande. „Die Wahrheit wird euch frei
machen“, und nach Job 13 braucht Gott, um groß zu erſcheinen, eines bügenanwaltes
nicht. Paſtor beſchönigt nichts. Er weiß zu wägen. Er kann auch entſchuldigen.
liber jede Entſtellung liegt ihm fern; niemand ſtört er im ſelbſtändigen Urteil.
Uoch lebt in unſer aller Gedächtnis die Geſtalt des heiligen Papſtes Pius V. mit
ſeinem faſt ſchreckhaften Eifer und dabei ſo innig frommen, grundgütigen Weſen.
loch hallen die Wände förmlich wieder von des Gektors Stimme über Gregor XIII.
und feinen Pontifikat'. Es mag undankbar fein, zwiſchen Charakteren wie Pius V.
und Sigtus V. ſtehen zu müſſen. Gregor XIII. hat das Undankbare ſolcher Stellung
reichlich erfahren, ſelbſt im Urteil von Biftorikern. Da hat nun Paſtor gründlich
aufgeräumt und die ganze ungeheure Bedeutung der dreizehn Jahre eines reinen
Arbeitspontifikates glänzend ins Licht geftellt. Galt der Pontifikat des gutmütigen,
gelehrten Gregor weniger der Ewigen Stadt und dem eigenen Staate, fo umſo mehr
der Weltkirche: Europa und der ganzen Erde. Er wußte das ganz hervorragende
Mittel zu ſchätzen, das ihm die Dorfehung in dem tatfrohen, jugendkräftigen geſuiten⸗
orden und in den Rapuzinern gegeben. Er erkannte klar die grundlegende Bedeutung
der Studien, Schulen und Mifflonen. Tränen in den Augen ſchloß Gregor die erſten
fürſtlichen Geſandten des fernen Japan als Söhne der Kirche in feine Daterarme,
und für einen Augenblick konnte er faſt hoffen, der Großfürſt von Moskau würde
ſich mit ſeinem Reiche der Kirche zuwenden, der ſchreckliche Jwan IV., der doch nicht
fürchterlich genug war, den päpſtlichen Geſandten, den geſuiten Poſſevino einzu⸗
ſchüchtern. In dieſen Pontifikat fällt die unglückſelige Bartholomäusnacht, und
Paftor zeigt, daß der Papſt weder an dem Plan noch an der Ausführung beteiligt
war. Die ewige Spannung mit Spanien dauert fort. In den Niederlanden lodert,
von Oranien geſchürt, der Rufſtand auf; er bricht in den ſüdlichen Provinzen zu»
ſammen. In England fließt Martyrerblut. Unter Gregor XIII. hat ſich am Rhein
das Schickſal Weſtdeutſchlands und mit ihm Weſteuropas entſchieden; damals iſt die
Doge der Slaubensneuerung zum Stillftand gekommen. Ohne die Energie des hei⸗
ligen Stuhles und den Eifer, ſowie das diplomatiſche Geſchick feiner Uuntien wären
wohl alle norddeutſchen Bistümer ſamt Röln herrſch und heiratsluſtigen neugläubigen
fürſtenſöhnen in die hände gefallen. Nun tritt endlich wieder „Einheits bewußtſein,
Selbftvertrauen und klarheit“ an die Stelle der ehemaligen verhängnisvollen „Unent-
ſchloſſenheit, halbheit und Verwirrung“.
An all das denken wir und an noch vieles andere heute am 70. Geburtstag
b. Paſtors (geboren Aachen am 31. Januar 1854) dankbar wie nur je Börer ihrem
hochverehrten Lehrer dankbar waren, wenn er auch bloß im gedruckten Worte von der
bektorkanzel ſeit Jahren zu uns ſpricht. ‚Reine Feſtgabe wird wie verlautet erſcheinen,
und doch iſt die denkbar ſchönſte ſchon erſchienen: Ludwig von Paftor hat fie ſich ſelbſt
geſchrieben!. Aus dem V., VII. und IX. Bande feiner Papſtgeſchiche hat eine ſehr
glückliche hand die wunderbaren Charakterſchilderungen der heiligen Ignatius von
boyola, Thereſia, Philipp Neri, Karl Borromäus zart herausgehoben; der Verlag
hat vier feine Bilder hinzugetan und Mar Schermann (Riedlingen) ein warmes wert⸗
volles Gedenkwort zum fünften Bilde, dem des Derfaffers, dazu geſchrieben. Wer
’ Geſchichte der päpſte IX. Band. Freiburg 1923, Herder. 2 v. Paſtor, b., Charakterbilder ka-
tholiſcher Reformatoren des XVI. gahrhunderts. Freiburg 1923, Herder.
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die Papſtgeſchichte nicht kennt, mag hier aus vier Statuen, nein aus vier farbenfatten
Gemälden, ermeſſen, wie überwältigend groß der Dom fein muß, dem fie entnommen
find. Wer aber Paſtors Papſtgeſchichte kennt, empfindet hier in diefer anmerkungs⸗
loſen Ausgabe doppelt die ganze Selbſtzucht des Hiſtorikers: welchen Rieſenzwang
muß ſich in feinem Rieſenwerke ein Mann auferlegt haben, der über eine ſolche Dar-
ſtellungsgabe verfügt. Daß v. Paſtor uns trotzdem noch den heiligen Pius eigens
ſchenken möge, wäre unſer ſehnlichſter Wunſch.
Grün, golden und rot hat „fein“ Derlag die Feſtgabe gekleidet. Sei es uns ein Symbol:
Der Hoffnung auf lange, arbeitsfrohe Jahre, die der herr dem eifrigen Forſcher
ſchenken möge, der dankbaren Liebe, deren wir ihn herzlich verſichern und der Krone
der Herrlichkeit, die Gott ihm einſt gebe und die alle Erdenehrung unendlich überſtrahlt.
P. Sturmius Regel (Beuron).
dur ſechſten gahrhundertfeier des hl. Thomas von Aquin.
W. Geo XIII., Pius X. und Benedikt XV., fo erhebt auch Pius XL feine Stimme
zum Lob des hl. Thomas. Im vorliegenden Rundfchreiben preift der heil. Dater
den engelgleichen Lehrer zunächſt als heiligen und betont befonders feine Reinheit und
Demut, feine Gottesliebe und feinen Bebetseifer. Der zweite Teil behandelt die Gehre,
deren Grundpfeiler auf philoſophiſchem und theologiſchem Gebiet aufgezeigt werden. Die
Darlegungen der beiden erſten Teile finden im dritten Abſchnitt ihre Anwendung auf
die heutige Zeit: der heilige wird vor allem der ſtudierenden Jugend und den Prieftern
als Vorbild empfohlen. Im Feſthalten an ſeinen wiſſenſchaftlichen Prinzipien ſieht
der Papſt das Heilmittel für die Schäden unſerer Jeit. Aber ebenſowenig wie einer
feiner Vorgänger verlangt Pius XI. das Feſthalten an einem beſtimmten der ver⸗
ſchiedenen Syfteme, die ſich auf Thomas berufen; auch will er nicht, daß man eine
Entwicklung der philoſophiſchen und theologiſchen Wiſſenſchaft über Thomas hinaus
leugne; aber die Methode, die Lehre und die Grundſätze des Heiligen ſollen von allen
feſtgehalten werden, wie es auch can. 1366 $ 2 des kirchlichen Geſetzbuches verlangt.
Innerhalb dieſes Rahmens jedoch ſoll „unter den Verehrern des hl. Thomas .. jener
ehrliche und freie Wettftceit herrſchen, der die Dorbedingung bildet für den wiſſen⸗
ſchaftlichen Fortſchritt“. Der Papſt warnt vor der „gegenfeitigen mißgünſtigen Der:
kleinerungsfudt, die der Wahrheit nicht dienlich iſt und einzig und allein dazu führen
kann, die Bande der Liebe zu zerreißen ... Die einzelnen ſollen ... von einander
nicht mehr verlangen, als was die kirche, die behrerin und Mutter aller, von allen
fordert. In ſolchen Fragen, in denen bei angeſehenen katholiſchen Autoren verſchiedene
Schulmeinungen gleich berechtigt gegeneinanderſtehen, ſoll niemand gehindert werden,
die Anſicht zu vertreten, die ihm mehr Wahrheit zu enthalten ſcheint“. — Den Schluß
des Rundſchreibens bilden Anordnungen für die würdige Feier des Jubiläums in den
Ordenshäuſern, Seminarien und anderen geiſtlichen Schulen. Der Enzyklika ift ein
Gebet des heiligen angefügt, das zu Bott um Gicht und Segen für die Studien fleht.
Die deutſche Überſetzung wird dem Urtext völlig gerecht, ſie iſt treu und doch
unſerem deutſchen und modernen Sprachempfinden angepaßt. Nur an einer Stelle
ift ein kleines Derfehen unterlaufen: die Begehung des Jubiläums ſoll „im Laufe des
Feſtjahres, in der Zeit vom 18. Juli [1923] bis zum Ende des nächſten gahres [1924]“
erfolgen. Die Ausftattung, die der Verlag dem Rundſchreiben gegeben, entſpricht der
Würde des gefeierten Lehrers und der Wichtigkeit der päpftlichen Kundgebung. die
in Thomas nicht nur den heiligen, ſondern auch „die Autorität des kirchlichen
behramtes“ geehrt ſehen will.
P. Adalbert von Neipperg (Beuron).
1 Rundfchreiben unferes heiligen Daters Pius XI. (29. Juni 1923: »Studiorum Ducem ). Autorifterte
Ausgabe, lateiniſcher und deutſcher Text. gr. 8“. (47 S.) Freiburg 1923, Herder.
71
Herders Zeitlexikon.
Jr Herderſchen Konverfations-Lezikon ift im Jahre 1922 ein zweiter Ergänzungs-
band erſchienen, der auch in Sonderausgabe als „Zeitlegikon” dargeboten wurde.
Der ſelbe hat ein herbes Geſchick hinter ſich. Er war ſchon 1914 vorbereitet, der
druck war weit vorangeſchritten, der Weltkrieg jedoch nötigte zu deſſen Einftel-
lung. Bald nach Friedensſchluß erwog der rührige Verlag feine Wiederaufnahme.
Die auf fo vielen Gebieten inzwiſchen eingetretene Andersgeſtaltung der Dinge for⸗
derten indeſſen nunmehr eine ganz neue Arbeit. Statt bloß Ergänzungen aus den
fünf Friedensjahren 1910 — 1914 zu bieten, waren jetzt die ereignisreichen Kriegsjahre
und die erſten Nachkriegsjahre 1914 — 1922 zu berückſichtigen. Dies alles ift mit
höchſt anerkennenswerter Sorgfalt und Zuverläſſigkeit geſchehen.
Auf beſchränktem Raume bietet das „Zeitlezikon” eine wahre Fülle des Wiſſens⸗
werten über die Gefchehnilfe der letzten Dorkriegsjahre, des Weltkrieges und des Wieder ⸗
aufbaues in den erſten Nachkriegsjahren. Der Weltkrieg, die in ihm hervor⸗
ragenden Perſönlichkeiten, die einzelnen Schlachten, die zumal für die Kriegsteilnehmer
denkwürdigen Orte, die Waffenarten und andere Ariegsmittel, eingeſchloſſen Kriegs-
lüge, Kriegswirtſchaft, Ariegsfürforge kommen ausgiebig zur Darſtellung. Die
politiſche Seſchichte der einzelnen Staaten und Länder iſt bis in die Gegenwart
weitergeführt, beſondere Beachtung finden ſelbſtverſtändlich die deutſchen Derhältniffe
und die unfriedlichen „Friedensverträge“. Stehen Krieg und Politik auch voran,
fo kommen doch die kulturellen beiſtungen und Werte nicht zu kurz. Religiöſen
und kirchlichen Perſonen und Derhältniffen iſt geziemend Aufmerkfamkeit geſchenkt.
Dies zeigen u. a. die Artikel: Benedikt XV., Pius X. und Pius XI., Brevierreform,
Codex juris canonici, Ehe, &roßftadtfeelforge, Paienapoſtolat, Miſſton, Ordination,
Pfarrer, Proteftantismus, Staat und Kirche. Sämtliche neu errichtete Bistümer und
apoſtoliſche Dikariate find nachgetragen. Gleiche Sorgfalt erfahren Wiſſenſchaft,
Kunſt und ihre Vertreter; es fei nur hingewieſen auf die Artikel: Deutſche Forſchungs⸗
inſtitute, Nobelpreiſe, Papurus, Philoſophie, Polarforſchung, Radium, Relativitäts-
theorie, Religionsphiloſophie, Theofophie, Baukunft, Malerei. Die Literaturen
der einzelnen Dölker find weitgehend ergänzt. Über ſoziale Fragen geben u. a.
Auffhluß die Artikel: Akademiker, Arbeiter, Beamte, Betriebsräte, Caritas, Areis-
fürforge, Räteſuſtem, Sachwert, Siedlung, Sozialiſterung, Wohnung. — Jugendfürſorge,
Jugendpflege, Pädagogik, Religiöfe Kindererziehung, Rafenfport, Studententum, Volks-
hohfchule ſeien aus dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts genannt. Auch
die Heilkunde (Röntgenſtrahlen, Phototherapie, Serum, Tuberkulofe, Tuphus uſw.)
und die Pandwirtſchaft (Dünger, Kartoffel, Kleintierzucht, Schädlingsbekämpfung,
Tabak, Torf) erhalten ihren Teil. Sehr ſorgfältig und eingehend find Induſtrie
und Technik, handel und Derkehr bedacht worden; erwähnt feien die Stichworte:
Bergbau, Braunkohle, Dach, Dampf, Eifen, Eifenbahnen, Eifenbeton, Elektrizität,
Feuerungsanlage, Förderanlage, Bas, Heizung, Kohle, Lokomotive, Motorwagen, Pa-
pier, Schiffbau, Trockenanlage, Binnenſchiffahrt in Deutſchland (mit Karte), Dampf⸗
ſchiff, Fernſprecher, Handel, Guftfahrt, Notgeld, Poſt, Rhein, Rohſtoff ufw. In aus»
führlichen Überfichten, in kurz und ſachlich aufklärenden Einzelartikeln, vielfach mit
beigegeben en Abbildungen oder orientierenden Karten werden wir mit den Vorgängen,
beiſtungen und Errungenſchaften der jüngſten Vergangenheit bekannt gemacht.
Die Derläffigkeit des herderſchen Pexikon iſt allgemein anerkannt; feine Ergänzungs⸗
bände verdienen das gleiche Lob. Bei einzelnen noch umſtrittenen Punkten mögen
Richtigſtellungen nötig werden, manchmal mag die Hus kunft allzu knapp fein, einige
Stichworte mögen fehlen. Die allſeitige Brauchbarkeit bleibt trotzdem unbeſtritten.
D. Hieronymus Riene (Beuron).
herders Bonverfations-Lezikon. Zweiter Ergänzungsband 1. Hälfte, A—R. gr. 80 (928 Sp.) 2. Hälfte,
6-3. gr. S (1136 Sp.) Band 10 und 11 des Geſamtwerkes. Freiburg [1921 und 1922].
72
Bücherſchau
Bibliſche Chronologie
Kugler, Frz. Xav., 8. J., Don Moſes
bis Paulus. Forſchungen zur Geſchichte
Ifraels nach bibliſchen und profangeſchicht⸗
lichen insbeſondere neuen keilinſchriftlichen
Quellen. Dex. 80 (XX u. 536 8.) Münſter
1922, Aſchendorff.
In chronologiſchen Fragen des Alten
Orients iſt unter den katholiſchen Gelehrten
P. Gugler 8. J. wohl einer der Fähigſten.
Wir freuen uns deshalb, daß er ſich daran
gemacht hat, mehrere noch dunkle Punkte
der bibliſchen Chronologie aufzuhellen. Wie
früher in „Bibel und Babel“ bewährt ſich
dabei der Derfaffer als trefflicher Derteidiger
des Alten Teftaments. Die Geftalten des Ge⸗
ſetzgebers Moſes wie die der Patriarchen Hb⸗
raham, Ifaak und Jakob bekommen durch
Beſtimmung der Regierungszeit hammu⸗
rabis auf 1947 1905 vor Chriftus ein
viel deutlicheres, geſchichtliches Gepräge,
und auch die Bücher Esra und Ilehemia,
ſowie die Chronik erhalten durch ihn ihren
vollen Geſchichtswert zurück.
So iſt der Weg gebahnt für ſichere chro ·
nologiſche Unter ſuchungen. In fieben Ab⸗
handlungen ſucht P. Kugler hauptſächlich
die Daten aller Herrſcher über Paleftina
von Salomon bis zum erſten Jahrhundert
vor Chriſtus zu beſtimmen. Für die Rönige
von Juda und Ifrael find die Ergebniffe
vielfach neu, aber doch fo gut begründet,
daß ſie alle Beachtung in Fachkreiſen ver⸗
dienen. Beifpielsweife wird denn auch das
von P. Kugler beftimmte Jahr 986 vor Chr.
für den Anfang des ſalomoniſchen Tempel-
baus ohne Bedenken von B. Boulan in der
Dublin Review (quni — September 1923)
übernommen. Für die meiſten Sunchro⸗
nismen der Regierungen in guda und
Ifrael, bietet Kugler eine durchaus einfache
und deshalb auch ganz befriedigende Lö-
ſung. Die abweichenden Theorien von
Joſ. Hontheim 8. J. (Zeitſchr. für katholiſche
Theologie 42 [1918] 463 ff.) und R. II.
Kleber O. 8. B. (Biblica 2 [1921] 3 ff.) be-
ſpricht er in einem Nachtrag, aber nur um
fie abzulehnen. Hiftorifch-apologetifch fehr
wichtig ift der Ausgleich, den die fiebente
Abhandlung zwiſchen dem 1. u. 2. Makka⸗
bäerbuche vermittelt. In die ſpätere Zeit
hinein verfolgt B. Kugler nur das Gefchick
der Stadt geruſalem und beſtimmt die
Jahre ihrer Eroberungen durch Pompeius
(63 v. Chr.) und durch Herodes und Soſius
(37 v. Chr.). Endlich datiert er die Ereig-
niſſe während des jüdiſchen Krieges (65 —
70 nach Chr.), der mit der Dernidtung der
Stadt abſchloß. N
Faſt wie ein Einſchiebſel erſcheint die in
ſich wichtige Unterſuchung über das Jahr
des letzten Aufenthaltes Pauli in qeruſalem
und feiner Romreiſe. Über die Zeitbe-
ſtimmung des Lebens und Todes Chriſti
ſchweigt der Derfaffer ſich aus. Für eine
allſeitige Unterſuchung dieſer ſchwierigen
Fragen müßte wohl ein ganzer Band ge-
ſchrieben werden; doch hätte P. Kugler
feinen beſern eine weitere Freude bereitet,
wenn er zwanzig, dreißig Seiten darauf
verwendet hätte, uns wenigſtens die haupt;
ergebniſſe der modernen Forſchung über
die Fragen, wann iſt Chriſtus geboren und
wann geſtorben, in ſeiner kräftigen Art
vorzuführen. — Tatſächlich finden wir in
der Abhandlung über die letzten Jahre
Pauli die einzige Berührung mit dem
Chriſtentum und der Titel „Don Moſes bis
Paulus“ befremdet deshalb ein wenig,
etwa wie wenn einer eine Keiſebeſchrei⸗
bung von Gaza bis Damaskus ſchrieb,
ohne geruſalem zu erwähnen. Möge eine
neue Auflage diefe bücke ausfüllen. Wenn
der werte Derfalfer dazu noch die Pro⸗
phetie Daniels über die verſchiedenen nach ·
einander folgenden Regierungen und über
die fiebzig Wochen unterſuchte, hätten wir
in diefem Werke den feſten chronologiſchen
Untergrund für eine neue Geſchichte des
Dofkes Iſrael, feiner Entſtehung und feiner
Seſchicke in Paleftina und Babulonien bis
zum Anfang des Chriſtentums.
P. Auglers Buch iſt aber fo ſchon voll von
Neuigkeiten im beſten Sinn des Wortes,
voll anregender Darſtellungen. Allen
vom Derfaffer wenn auch geſchickt ver-
teidigten Anſichten können wir freilich
nicht beipflichtigen, fo 3. B. einem Jahres-
anfang im Frühling ftatt im Herbſt zur
geit der Könige. Sehr überraſchend kommt,
daß P. Kugler feine früher als unbedingt
fiher behauptete, weil auf aſtronomiſchen
Daten beruhende Anficht über die Zeit der
erſten Dunaſtie von Babel jetzt geändert
hat. Selbſt Ungnad hatte ſich, wenn auch
mit Dorbehalt, dieſer Anſetzung ange⸗
ſchloſſen. Man kann alſo in der Chrono»
logie nicht vor ſichtig genug fein. Die ori⸗
ginelle Derteidigung der Zeitfolge Esra
llehemia hat auch den dadurch ſcharf
kritiſierten ehrwürdigen P. von Honacker
als Gegner auf den Plan gerufen (Revue
biblique Oktober 1923; Forſetzung 1924).
Das alles hindert aber nicht, den großen
Wert der Unterſuchungen Ruglers voll
anzuerkennen.
Was fo oft in Predigten, und ſogar
bibliſchen Dorlefungen fehlt, ift der Ein-
druck von Wirklichkeit. P. Kugler iſt
tief in das geſchichtliche beben des jüdiſchen
Dolkes eingedrungen. Wer ihm zu folgen
vermag, wird das Alte Teftament mit er ·
neutem Intereſſe und vermehrter Achtung
leſen, und wenn er Prediger iſt, auf der
Kanzel es fruchtbarer verwerten können.
P. Hugo Bédenot (Weingarten).
Giturgie
Parfd, Dr. Pius, Aus Brevier und
Meßbud. Piturgiſche Perlen für das Dolk.
Regensburg 1923, Röſel & Puſtet.
1. Der Sottesdienſt der hl. Nacht 8° (94 8.)
2. Die Trilogie der Karwoche „ (169 8.)
3. Die Giturgie des Ofterfeftes. „ (97 8.)
4. Die Pit. d. Fronleichnamsfeſtes, (96 8.)
5. Das kirchl. Morgen u. Uachtgebet (71 8.)
Dicht bloß im Meßbuch, auch im Brevier
der ſtirche [ind koſtbare Schätze verborgen.
Es iſt deshalb freudig zu begrüßen, wenn
man dem Volk „liturgifche Perlen“ aus
beiden bieten will.
es gibt nun verſchiedene Wege, zum
Berftändnis liturgiſcher Gebete zu führen.
Parſch fieht vom lateiniſchen Texte ganz
ab, er bringt nur eine deutſche Überfegung,
die ſich fließend lieſt, wenn fie auch hie
und da in die Breite geht. Vor allem iſt
er beſtrebt, die Welt der Pſalmen zu er ⸗
fchließen: durch Gliederung der Lieder, ÜUber⸗
ſchriften, Hervorhebung beſonders wichtiger
Derfe, namentlich aber durch getrennte,
eingehende „Giturgiſche Erklärungen” der
78
Pſalmen. Das Hauptverdienſt der Bänd-
chen liegt wohl im praktiſchen Nutzen dieſer
„Erklärungen“. Freilich muten gerade fie
dem Volke“ viel, mitunter zuviel zu. Auch
find die Bändchen, vom 5. etwa abgefehen,
für privates Beten beftimmt ; der Geiſt der
kirchlichen Zemeinſchaft, aus dem diefe
Gebete doch entſtanden find und auch ver-
ſtanden werden wollen, ift bei der Erklä-
rung kaum genügend berückſichtigt. Be;
dauerlich iſt auch, daß die Eigenform der
Refponforien zu Gunſten leichterer Der-
ſtändlichkeit ganz aufgegeben wurde. Die
Unterſcheidung von wichtigen und un⸗
wichtigen Pſalmverſen in den Trauermetten
iſt nicht genügend begründet und läßt ſich
in diefer Art kaum mit liturgiſchen Srund ;
ſätzen vereinen. Ferner vermißt man Ein ⸗
führungen in den Feftgedanken und in die
Stellung des Feſtes im Kirchenjahr.
Trotz dieſer Ausſtellungen glauben wir,
daß dieſe Bändchen Gutes ſtiften werden.
Sie bieten, das möge hier bemerkt werden,
nur die Texte des rõ miſchen Breviers, nicht
etwa auch die. des Benediktineroffiziums.
Das erſte Bändchen enthält die Weih-
nachtsmatutin und das Engelamt. Das
zweite, wohl das verdienſtvollſte, führt
trefflich ein in den Geift der Trauermetten,
ihren geſchloſſenen Aufbau mit fortſchreiten⸗
der dramatiſcher handlung vom ÖÜlbergs-
leiden über Golgotha zum Nuferſtehungs⸗
wunder; leider find die Laudes nur im
Auszug geboten. Das dritte Bändchen
enthält die kurze Matutin, Gaudes, Meſſe
und Defper des Oftertages, ſowie die Le»
ſungen und Refponforien der Oſterwoche.
Das vierte erſchließt uns das Kunſtwerk
des Fronleichnamsoffiziums (Deſper, Ma-
tutin und baudes). Wer das kirchliche
Morgengebet der Sonntagslaudes und
das Abendgebet der komplet vom Sams-
tag und Sonntag verſtändnisvoll beten
will, greife zum fünften Bändchen.
Der Bottesdienft an unſeren Hochfeſten
im Benediktinerorden. Erftes Bändchen:
Weihnachten, lateiniſch und deutſch mit
Erklärungen hrsg. von Mönchen der Erz⸗
abtei Beuron 12° (XVI u. 128 8.) Beuron
1923, Runftoerlag.
Es iſt kein geringes Derdienft der Abtei
Maria Daach, daß fie vom Jahre 1910 au
durch P. Pla zidus von Spee die Litur-
74
gie der Hauptfefte in ihrer benediktinifchen
Form in zehn Bändchen weiteren Rreifen
zugänglich machte. Da dieſe Hefte ver-
griffen ſind, hat nun die Erzabtei Beuron
mit Veröffentlichung einer Bändchenreihe
„Der Gottesdienſt an unſeren Hochfeſten
im Benediktinerorden“ begonnen. Das
erſte Bändchen behandelt das Weih⸗
nachtsfeſt und enthält nach einer Ein»
führung in den Geiſt des Feſtes die erſte
und zweite Defper, Matutin und Laudes,
ſowie alle drei Meſſen, ſämtliche Texte la ·
teiniſch und deutſch mit vorausgeſchickten
Erklärungen. Im Unterſchied zu den
Parſch'ſchen Ausgaben iſt hier die Erklä-
rung der Pſalmen abſichtlich in engen Sren⸗
zen gehalten, beſchränkt ſich im allgemeinen
auf die Angabe der Grundgedanken und
der Beziehung zum Feltgeheimnis; denn es
ſoll vor allem ein Textbuch, nicht Betrach-
tungsbuch ſein. Den tadelloſen Druck be⸗
forgte die Hherderſche Druckerei. Möchte
dem Unternehmen, das einem oft geäußer-
Wunſche nicht Weniger entgegenkommt,
ein guter Fortgang beſchieden ſein.
Das liturgiſche Tifchgebet. Benedictio
Mensae. 16° (46 8.) Münden 1923,
Theatiner:Derlag. III. —.25
Wenn der Apoftel (1 Kor. 10, 31, fo ift
die Angabe 8. 1 zu korrigieren) will, daß
das ganze Tagewerk des Chriſten zum
Gottes dienſt werde, ſo können wir in die⸗
ſem Wunſche den Keim des liturgiſchen
Tiſchgebetes erblicken. Durch dieſes Gebet
erhält das Familienmahl eine heilige Weihe,
wird zum Nachbild der altchriſtlichen biebes⸗
mahle (Hgapen), ja zum Abbild des himm⸗
liſchen Hochzeits mahles.
Das ſchön ausgeſtattete Büchlein in
Taſchenformat enthält nach einer kur⸗
zen Einführung von B. Ambrofius Stock
in Maria aach die liturgiſchen Tifchgebete
lateiniſch und deutſch ſamt den wechſelnden
Einfhaltungen, wie fie für die verſchiede⸗
nen Zeiten des Kirchenjahres vorgeſchrieben
find. Da und dort find die Texte den
Bedürfniſſen der „häuslichen Gewohn⸗
heiten“ zulieb ein wenig abgeändert. Ob
aber dadurch die Gebete, 3. B. an den Rar⸗
tagen, nicht an eindrucksvoller Kraft ver⸗
loren haben? Der monaſtiſche Ritus hat
für die Faſttage ein eigenes kurzes Gebet.
P. Pius Bihlmeyer (Beuron).
mengwaſſer, ., Commentarii in
Hymnos Breviarii. gr. 8° (XX u. 47 8.)
Beatty, P. H. (U. 8. A.) 1923, Archi-
abbatia S. Vincentii.
In dieſer Serie von Kommentaren zu
den humnen des Breviers iſt bereits das
fünfte Heftchen erſchienen. Es erklärt die
Humnen in festis B. Mariae Virginis et
S. Joseph. Don den bisher erſchienenen
Heftchen liegt uns 3. J. leider nur das erſte
vor, das den Prim- und Komplethumnus
behandelt. Der Derfaffer erklärt in deut⸗
licher Uberſicht und klarem ſchönen Gatein
die einzelnen Strophen der humnen zu⸗
nächſt ethumologiſch und grammatinkaliſch
und legt dabei den Text des monaſtiſchen
Breviers zugrunde unter Berückſichtigung
des Textes im rõmiſchen Brevier, ſodann
ſucht er die aſketiſchen und dogmatiſchen
Gedanken in den humnen herauszuſtellen
und gibt bisweilen eine in Gebetsform
gehaltene Juſammenfaſſung des ganzen
Inhaltes. Wer den humnus nach dieſer
Methode durchſtudiert, wird neben Be⸗
kanntem auch wieder manches finden, auf
das er bisher nicht aufmerkſam geworden.
Dieſe kommentare könnten alſo viel bei⸗
tragen zu einem befferen Derftändnis und
andächtigeren Beten des Breviers. Der
Derfaffer will mit der Herausgabe feiner
Rommentare nicht erſt Priefter und Alum-
nen mit der poetiſchen Schönheit und dem
gedankenreichen Inhalt der Hymnen be:
kannt machen, fondern [don &ymnafiaften,
die ſich für den künftigen Priefterberuf
vorbereiten. Ihnen follten neben den heid⸗
niſchen klaſſikern auch die chriſtlichen
Dichter vertraut werden; daß der Derfaffer
dabei die klaſſiſchen Dichter nicht unter⸗
ſchätzt, beweiſt der Umſtand, daß von
ihm gleichzeitig ſchon fünf Rommentar⸗
heftchen über Horaz erſchienen ſind.
P. Majolus Dieterich (Beuron).
Religion und Aſzeſe
Lippert, Peter, 8. 9., Das Weſen des
katholiſchen Menſchen. Drei Vorträge.
[Der katholiſche Gedanke, 5. Bändchen]. 8
(83 8.) München 1923, Theatiner-Derlag.
Man liebt es heute, nach der geiſtigen
Haltung der Menſchen verſchiedene Typen
aufzuſtellen. Deshalb nimmt es nicht
wunder, wenn ſich die Frage erhebt nach
einem tatholiſchen Menfchentyp. Antwort
auf eine ſolche Frage wollen die drei Dor-
träge GCipperts fein. Da die geiftige Be⸗
ſtimmtheit eines Menſchen abhängt von
der Wirklichkeit, in der er lebt und den
Derten, die er ſchafft, wird die Einftellung
des katholiſchen IUenſchen unter diefen bei-
den Befihtspunkten geprüft. Bewegung
in der Gebundenheit ift fein Weſen. Ge⸗
bundenheit, indem er feſthält an der Ob⸗
jektioität einer materiellen, geiftigen und
religiöfen Wirklichkeit, als einem Ulicht⸗Ich:
heteronome haltung. Bewegung dagegen
m feinem Schaffen, im Ausgleich der Span;
nungen, in die er kraft ſeiner Natur
hineingeſtellt if.
In begeiſternden Worten wird die Rus;
wirkung dieſer ſeeliſchen haltung in ein⸗
zelnen Gagen geſchildert. Mit Wucht drängt
ſch einem der tiefe Sinn des alten Wortes
von der anima naturaliter christiana auf.
Der katholiſche Glaube ruht auf der Natur,
erhöht und vollendet fie. In dieſem Sinne
kan man von einem katholiſchen Men-
ſchentup ſprechen. Er bedeutet eine Erhö-
hung und Vollendung der Menſchennatur.
Die einzigartige Stellung der Kirche im
ganzen Innenleben des Katholiken hätte
vielleicht deutlicher hervorteten dürfen.
bippert zeigt ein Ideal, das uns mit
Stolz und Dertrauen erfüllt. Zugleich aber
mahnt er uns, immer mehr ganze und echte
Katholiken zu werden. Möge das Büchlein
vielen Suchenden in die hände kommen. Es
wird aber auch ſolche, denen die Gedanken
nicht mehr ganz unbekannt find, mit neuer
biebe und Begeiſterung erfüllen.
bippert, P., 8. 9., Don Seele zu Seele.
Briefe an gute Menfchen. 12 (VI u. 256 8.)
Freiburg 1924, Herder. Geb. Il. 3.80
dem Wunſche vieler entprechend, hat
P. bippert die Briefe, die er für die Zeit
ſchrift „Seele“ ſchrieb, in einem Bänd-
hen vereinigt. Wohl faſt jeder, der einige
jener Briefe kennt, wird mit frommem
berlangen nach dieſem Büchlein greifen,
denn P. Pippert beſitzt in hohem Maße
das Charisma der Seelenleitung. Er hat
die große Babe, die Wahrheit zu ſagen,
ohne einem weh zu tun. Meiſtens fängt
et an, ſeine Sorgenkinder gegen ſich ſelbſt
zu verteidigen: Er zeigt, was fie alles
Butes haben. Dann aber enthüllt er ihnen
75
ihre wahren Fehler und gibt ihnen leichte
aber wirkfame Mittel an die Hand, dieſe
zu bekämpfen. All das tut er mit ſolcher
biebenswürdigkeit und Güte, mit ſolcher
Ehrfurcht für die Perſönlichkeit und das
‚Wirken Gottes in den Seelen, daß Reiner
ſich verletzt fühlen kann. Oft ſpricht aus
den Zeilen eine Klugheit, die unheimlich
wäre, wenn fie nicht im Dienſte der Liebe
ftände. Liebe aber ſpricht aus jedem Wort,
und das verheißt dem Büchlein einen Er-
folg, wie er wohl kaum einem anderen
geiſtlichen Buche in dieſem Jahre beſchie⸗
den ſein dürfte.
B. Willibrord Derkade (Beuron).
Fey, Mutter Klara, Advents- und
Weihnachtsbetrachtungen. 8° (XII u.
285 8.) Freiburg 1921, Herder.
Wem es um Höhenflug, Senfation und
Gefühlserfhütterung zu tun iſt, der wird
dieſes Buch unbefriedigt aus der Hand
legen. Wer aber lernen will, wie man
betrachten foll, und wie man aus dem
betrachtenden Gebet Anregung holen kann
zu einem ehrlichen Tugendſtreben, zu der
ſo notwendigen Kleinarbeit im Innern der
Seele, der wird aus dieſen „Betrachtungen“
reichen Nutzen ziehen und ſich an manchem
Goldkorn erfreuen, das da und dort ver⸗
borgen liegt. Die Derfafferin leitet ihre
„Töchter vom armen Rinde Jeſu“, für
welche dieſe Betrachtungen zunächſt ge-
ſchrieben find, dazu an, wie fie mit un-
abläffiger Treue an ihrer Gebensbefferung
arbeiten ſollen nach dem von ihr ange-
führten Worte des hl. Franz von Sales:
„Gehen wir nur immer vorwärts, ſetzen
wir ruhig einen Fuß vor den andern und
wir werden zum Ziele gelangen“ (15). Über
eine große Kenntnis des menſchlichen her
zens verfügend und immer mit den wirk⸗
lichen Derhältniffen rechnend, weiß fie bald
maßvoll anzueifern, bald mütterlich zu
tröſten. So fagt fie denen, die „zaghaften
Herzens“ find,: „Weißt du denn nicht, daß
die Sünden der ganzen Welt vor der Barm⸗
herzigkeit Gottes wie ein Strohhalm find,
den man in ein Feuer wirft, worin er
verzehrt wird und verſchwindet?“
Die Herausgeberinnen werden bei der
Pietät für ihre Stifterin ſich ſchwerlich dazu
entſchließen können, bei einer Neuauflage
Anderungen anzubringen. Vielleicht finden
76
fie aber folgende Punkte wenigftens der
Erwägung wert. Zu Beginn jeder Be-
trachtung ließe ſich deren Inhalt in einem
kurzen Schlagwort angeben. 50 praktiſch
8. 13 die Anwendung iſt, ſo iſt es doch
kaum anzunehmen, die Pharifäer und
Sadduzäer hätten es ſich gefallen laffen,
daß Johannes ihnen zurief: „Dipernbrut!
Wer wird eud zeigen, dem künftigen
Jorne zu entfliehen?“ Der Sag, Maria
habe lieber auf die Kottesmutterwürde als
auf den Schmuck der Jungfrauſchaft ver-
zichtet (74) iſt zwar auch anderwärts zu
leſen, wird aber dadurch nicht dogmatiſch
richtig. Die Wendung, „die Demut allein
geht durch“ (84) iſt nicht glücklich, ebenſo
(130) Johannes ſei von dem aus der Seite
geſu hervorftrömenden „Blut und Waſſer
übergoſſen“ worden. Die letzte Betrachtung
lehnt ſich an das Pſalmwort (37,18) an:
„Mein Schmerz iſt immerdar vor meinem
Ungeſichte.“ Wir hätten gern einen freu⸗
digeren Abſchluß des Ganzen gewünſcht.
Auch hätte mancher früheren Betrachtung
ein hellerer Klang und eine ſtärkere Be⸗
tonung der gerade im kloſter fo unent⸗
behrlichen Freude wohlgetan.
P. Dominikus Johner (Beuron).
Tüshaus, &., Vater Benediktus. 8°
(130 8.) St. Ottilien 1923, Miſſions verlag.
m. 3.—; geb. M. 4.—
Wir beſaßen bisher in der Hauptſache
drei Benediktusbücher (Brandes Staub,
Sauter und herwegen); ein viertes mit
freilich beſcheidenerem Umfange geſellt ſich
ihnen hier bei. In der Auffaſſung des
Heiligen weiſen alle vier erhebliche Unter-
ſchiede auf. Jedes ſpiegelt, möchte man
ſagen, St. Benedikts Bild fo wieder, wie
man es in der Umwelt des Derfaffers
erlebt und ſich vorſtellt. Es kommt nun
ganz darauf an, ob und wie weit dieſe
Dorftellung geſchichtlich und ſachlich be»
gründet iſt.
Das Büchlein von Tüshaus hat den
Titel: „Dater Benediktus“. Somit will es
keine vollftändige Gebens- und Charakter-
ſchilderung fein. Es hebt aus Gregors
d. Gr. zweiten Buch der Dialoge nur die
Füge und Seſchehniſſe hervor, die St. Bene;
dikt als milden, erbarmenden Vater er-
ſcheinen laſſen. 80 kommt es, daß von
achtunddreißig Kapiteln bei St. Gregor hier
nur acht herangezogen find. Eine Aus ⸗
wertung der heiligen Regel iſt leider nicht
geſchehen. Dem geringen Stoff iſt durch
dichteriſche kombination mancherlei nicht
ohne Geſchick hinzugefügt. So entſteht ein
literariſches Ganzes, das man benedikti-
niſche Fioretti nennen könnte. Dichtung
und Wahrheit ſind hier bewußt noch we⸗
niger geſchieden als in der zu Grunde
liegenden Quelle. Sie kleiden ſich dazu
großenteils ins Gewand einer ſpäteren Zeit.
Dadurch erklären ſich manche Anachro⸗
nismen, die ins Jahrhundert des hiſto⸗
tiſchen Heiligen nicht recht paſſen, Anachro⸗
nismen in der Geſamtauffaſſung, in der
teilweiſe ſüßlichen⸗ſubjektiven Religiofität,
in Einzelheiten wie der damals kaum
denkbaren verzierten Pergamenturkunde.
dem Tabernakel u. a., von der ſizilianiſchen
Plaziduslegende ganz abgeſehen. Trotzdem
wird das nette Büchlein, deſſen Bilder:
ſchmuck zur Deranfhaulidung des In:
halts beiträgt, ſicher ſeine Freunde finden.
Vor allem, wer nicht ſchon ein anderes
Benediktusleben kennt oder wem es nicht
darum zu tun iſt, ſich ein hiſtoriſch treues
Bild vom heiligen vor die Seele zu führen,
dem kann die poetiſch verklärte, fromme
und warme, zuweilen freilich etwas weiche
Eigenart von „Dater Benediktus“ viel
Freude und Erhebung bieten. Beſonders
in Jugend- und Dolkskreifen dürfte die
Derfafferin dem heiligen etwas von jener
Popularität zurückgewinnen, die er in
früheren Zeiten beſaß.
B. quſtinus Uttenweiler (Beuron).
Literatur und Runfl
Waſſerzieher, Dr. Ernf, Sprachge⸗
ſchichtliche Plaudereien. 8° (VIII und
288 5.) Berlin 1922, Ferdinand Dümmler.
M. 2.50; geb. M. 3.—
Wie die Bücher „Leben und Weben der
Sprache“ und „Bilderbuch der deutſchen
Sprade” (befpr. Benedikt. Monatfchrift III.
205) will auch diefes Buch ſprachgeſchicht⸗
liche Kenntniſſe in die weiteſten Kreiſe tra ·
gen. Es wird zweifellos ſeinen Zweck
erfüllen, ſobald das Bücher kaufen „wei:
teſten Kreiſen“ wieder möglich fein wird.
Denn das Buch enthält wirklich Röſtliche
Plaudereien über Dinge, die uns im Geben
täglich begegnen, deren Hamen wir im
Munde führen, die aber vielfach für uns
den tieferen Sinn verloren haben. Wer
eine nützliche und lehrreiche Unterhaltung
fadt, greife nach dieſer Schrift. Einige
Ungenauigkeiten wird man dem Nicht-
katholiken gerne nachſehen. Wir find
übrigens nicht verwöhnt. So enthält der
„Duden“ eine große Anzahl jämmerlicher
Erklärungen Ratholiſcher Worte; und viele
ſucht man bei ihm vergebens. In Hole
land erſchien 1902 von der Hand des be⸗
kannten Sprachfor ſchers A. W. Stellwagen
ein Büchlein mit der Aufſchrift:Roomſche
VDoorden“ (Ratholiſche Worte), ein nach
ahmungs würdiges Beiſpiel für uns in
deutſchland. Bei den „Plaudereien“ iſt
wir folgendes aufgefallen: Seite 7 wird
Beuron der Hauptſitz des Benediktiner
etdens in Deutſchland genannt, was zu-
siel gefagt iſt. Einer der Hauptſitze wäre
ſcon ſchmeichelhaft genug. Seite 20 heißt
es beim Worte Utopie vom großen Tho-
mas More, er ſei 1535 als hoch verräter
enthauptet worden. Ganz richtig, aber
bes Wörtchen verdiente wohl in Anfüh-
tungszeichen zu ſtehen. Huf Seite 109
wird das Ftonleichnamsfeſt das höchſte
katholiſche Feſt genannt, was unrichtig iſt.
es ſteht den drei hauptfeſten Weihnachten,
Oftern und Pfingften an Bedeutung nach.
Das Kapitel: Die Entftehung der Sprache
im bichte der Biologie würde man in einer
folgenden Auflage gerne vermiſſen, da es
gar fo hupothetiſch iſt und von Grundan-
ſchauungen ausgeht, die noch lange nicht
bewieſen find und deshalb nicht in „wei⸗
kfte ktreiſe getragen werden ſollten.
Groffe, Ernſt, Die oſtaſiatiſche Luſch⸗
malerei. [Die Kunſt des Oſtens, 6. Band!].
4 (52 8. mit 160 Tafeln) Berlin 1922,
Bruno Caffiter.
Es iſt immer ein hochgenuß, einem fei-
nen Menfchen zuzuhorchen, der mit größter
Sachkenntnis ſpricht von dem, was er liebt.
Denn er dazu noch in der Lage iſt, durch
Bilder ſeine Worte zu beleuchten und zu
behräftigen, fo iſt man doppelt beglückt,
beſonders wenn das, was uns gezeigt wird,
eme uswahl vom Beſten des Schönſten ift.
ernſt Broffe, der wie keiner die oftafia-
tiſche &unft kennt, fie an Ort und Stelle
diert, ſich während feines langen
Aufenthaltes im Reich der Mitte und in
77
Japan tief in den Geift der Bewohner ver⸗
ſenkt hat, ja ſich oſtaſtatiſch umzudenken
wußte, ſchenkte uns im vorigen Jahr ein
Buch, welches uns die Meifterwerke der
chineſiſchen und japaniſchen Tuſchmalerei
ſo nahe bringt, daß man ſich leicht in ſie
hineinleben kann. In feiner tiefſinnigen,
überaus lehrreichen Einführung weift Broffe
darauf hin, daß die chineſiſche und japa-
niſche Tuſchmalerei ein Ausdruck oftafia-
tiſcher Myftik, insbeſondere der des Jenis⸗
mus iſt, der aus einer Umſchmelzung tao-
iſtiſcher und buddͤhiſtiſcher Elemente ent ·
ſtand. Er weiß uns auch manches von
den einzelnen Malern und ihrer Kunſt⸗
und Debensauffaſſung zu erzählen, was
uns einen hohen Begriff von ihren mora-
liſchen Eigenfchaften gibt. Was man bei
den alt⸗oſtaſiatiſchen Tuſchmalern bewun⸗
dern muß, iſt die Jartheit, Feinheit und
Unmittelbarkeit ihres Gefühls, die meifter-
hafte Sicherheit und Leichtigkeit ihrer hand
und die geradezu geheimnis volle Unftoff-
licheit ihrer Runſt. Neben ihnen find
unfere Maler bei allen occidentalen Dor-
zügen, die fie letzterhand den Aguptern
und Griechen verdanken, rohe Klötze und
tappige maulwürfe. Don allen kommt
ihnen Rembrandt in ſeinem geheimnisvoll
abgetönten Radierwerk wie auch in feinen
Tuſchzeichnungen noch am nächſten. Als
ich den bambusſchneidenden Mann des
biang Rai auf dem Schutzumſchlag des
Groffefhen Buches Jah, kam es mir un»
willkürlich: „Schau Rembrandt!“ Dem
Verlag gebührt hohes bob für die pracht⸗
volle Ausftattung des Buches.
P. Willibrord Derkade (Beuron).
v. Acken, 9., Chriſtozentriſche Kirchen
kunſt. Ein Entwurf zum liturgiſchen Ge⸗
ſamtkunſtwerk. 8° (IV und 120 8. mit
Abbildungen). 2. Auflage Glaòbeck i. W.
1923, A. Theben.
Erft nachdem der erſte Aufſatz dieſes
Heftes gedruckt war, kam dem Unter⸗
zeichneten die 2. Auflage der Schrift van
Ackens in die hände. Sie enthält gegen-
über der 1. Auflage nur unweſentliche
Änderungen. 8. 97f. wird ein einſchrän⸗
kender Zufat gemacht, der auf die oben
8. 12 auch von mir vertretene Auffaffung
Rückſicht nimmt.
P. Fidelis Böſer (Beuron).
78
Aus dem Orden des hl. Benediktus
Trauer und Freude in Einſtedeln. Am 7. Dezember 1923 entſchlief nach langer,
leidvoller Krankheit Für ſtabt Thomas Boſſart von Einfiedeln. In ihren lummern
334 und 291 (292 und 294) brachten die „U. Zürcher Nachrichten“ und das Luzerner
„Vaterland“ mit großem Trauerrand von guten Kennern ausführliche Nachrufe, denen
wir leider nur dies entnehmen können: Raſpar Boſſart wurde geboren am 16. Sep-
tember 1858 in Altishofen (At. buzern). &ymnafiaf in Einfiedeln, 1877 dort ins
Noviziat aufgenommen, 1884, nach theol. Studien im Stift, zum Prieſter geweiht,
1886 nach weiteren zwei Studienjahren an der Gregoriana in Rom zum Dr. theol.
ernannt, danach acht Jahre Dogmatikpröfeffor in Einfiedeln und ein Jahr im Anſel⸗
mianum in Rom, wurde er 1895 von feinem neuerwählten Abte Rolumban zum
Dekan (Prior) ernannt und damit nach Schweizer klöſterbrauch für die innere Leitung
des Kloſters beſtimmt, in der er eine „Klugheit und Umſicht entfaltete, eine väterliche
biebe und Sorgfalt, eine feſte und doch milde Initiative und Ronfequenz, welche die
wahrhaft goldene Amtsführung des vortrefflichen Dekans Adefons hürlimann faft
vergeſſen und verſchmerzen ließen“. Am 30. Mai 1905 ward er zum Abte feines
Rlofters erwählt. Er führte als ſolcher fort, was zum Teil fein Vorgänger ſchon
begonnen hatte: die glänzende Reſtauration der Kloſterkirche und die Wafferverforgung
im ganzen Stiftsbereich. In erhöhtem Maße ſandte er feine Untergebenen an die
Hochſchulen in Freiburg und Rom, und nur die Krankheit hinderte ihn daran, eine
geplante neue land wirtſchaftliche Schule einzurichten. Im Weltkrieg übertrug ihm
das Vertrauen weiteſter Kreiſe die Rorreſpondenzvermittlung. Groß iſt ſchon
die Sorge für eine Ordensfamilie von über 150 Mitgliedern, mit den Stiftsſchulen.
den zahlreichen Pfarreien und Expoſtturen. hierin ſah er mit Recht feine Haupt:
aufgabe. „Darum ſuchte er vorab in feinen Untergebenen den echt benediktiniſchen
Geift zu erhalten und zu vermehren. Sie ſollten tüchtige Religiofen fein. Dafür
wirkte er in erſter Pinie durch fein Beiſpiel. Im Chor, bei den gottesdienſtlichen
Funktionen, die er vornahm, bei feinen Anſprachen an die verſammelte Ordens:
gemeinde, überall hatten feine geiſtlichen Söhne Gelegenheit, den tief religiöfen Sinn,
den echt monaſtiſchen Geiſt ihres Daters zu bewundern und nachzuahmen.“ In dem
Eifern für einen ſchönen, glänzenden Gottesdienſt, vor allem die würdige Feier des
Chordienftes, das öffentliche Pſalmgebet, „fühlte er ſich fo recht als Benediktiner,
dem im hl. Regelbuche gefagt iſt: ‚dem Gottesdienfte darf nichts vorangeſetzt werden“.
B. Albert Ruhn hat im „Daterland“ (Nr. 291) in vortrefflicher Charakteriſtik gezeigt,
wie dieſer wahre Oro ensmann, diefe „Johannesfeele, voll Liebe und Jartgefühl, dazu
von adlergleichem Aufſchwung und Höhenflug“ von drei Gedanken ausgefüllt war:
Seelſorge, Wiſſenſchaft, Einfiedeln. Schon die bloße Liebe zu feinem Meinraoͤsſtift
mit der ſchönen Kirche und dem Heiligtum U. b. Frau machte es ihm unmöglich, die
Wahl zum Abtprimas-Stellvertreter mit dem Recht der Nachfolge anzunehmen, die
1913 bereits auf ihn gefallen war. Ruch für den Poſten eines Wiener Nuntius ſoll
er einmal in Frage geftanden haben. — Ein ſchweres Tlierenleiden zehrte ſeit 1919
an feiner Pebenskraft; am 7. Dezember ift er ihm erlegen. Am 12. Dezember wurde
er in der Gruft beigeſetzt. Dier Biſchöfe ſtanden an feiner Bahre. Der Primas des
Ordens hielt die Funktionen, acht Abte, darunter die Erzäbte von St. Ottilien und
Beuron, folgten dem Zuge und viele geiſtliche und weltliche Würdenträger: ein treues
Jeugnis dafür, wie tief und allgemein die Liebe zu dem Derftorbenen und die Trauer
um ihn geweſen ift. — Der neue Abt Ignaz Staub iſt, wie wir der „Schweizeri-
[hen Kirchenzeitung“ (1923 Nr. 52) entnehmen, in Baar (Rt. Zug) am 19. Dezember
1872 geboren. hier beſuchte er die Dolks- und nachher die dortige Sekundar- und
Gateinfhule. Don da zog der junge Joſeph Thomas Staub ans Symnafium nach
Einfiedeln. Nach Beendigung der ſechſten Klaſſe bat er um Aufnahme ins Noviziat.
Seine Bitte wurde erfüllt. Am 8. September 1893 legte er als Frater Ignatius die
hl. Gelübde ab. Noch als Frater wurde er nach begonnenen und vollendeten Theologie⸗
ſtudien in Einfiedeln von feinem Abte nach Rom geſandt, um in St. Anſelm feine
theologiſche Bildung zu vertiefen. Dort weilte er 1898 — 1899. Am 16. Juli 1899
zum Prieſter geweiht, wurde er als Nushilfsſeelſorger und zur vollen Erlernung der
franzöſiſchen Sprache nach Devey (1899 - 1900) und dann nach Montreux (1900 - 1902)
geſandt, wo er als Dikar wirkte. Don 1902 1906 weilte PB. Ignaz an der Univerfität
Freiburg, wo er Geſchichte, Kunſtgeſchichte und geſchichtliche Hhilfswiſſenſchaften ſtudierte
79
und ſich den Doktorgrad an der philoſophiſchen Fakultät erwarb. Seine vorzügliche
Diſſertation war eine Arbeit über Dr. Johann Faber, Generalvikar von kionſtanz
1518-1523. In Freiburg erwarb ſich P. Ignaz auch beſondere Derdienfte um das
zuſtandekommen der Akademie St. Croix. Seit 1910 wirkte er als Profeſſor an der
duntaf, von 1915 an der Rhetorik; 1916 wurde er Stiftsbibliothekar, behielt aber
die Profeſſur für Geſchichte, die er ſchon ſeit 1906 zum Teil inne hatte. In den
lezten Jahren hat ſich P. Ignaz in das Kloſter Au bei Einfiedeln zurückgezogen, wo
et an einem Geſchichtslehrbuch für ſchweizeriſche Mittelſchulen arbeitete, das Schweizer⸗
geſchichte und Weltgeſchichte harmoniſch verbinden ſollte. Er erfüllte damit Wunfch
und Auftrag der geſchichtlichen Sektion des katholiſchen Dolksvereins. Die Geſchichte
des Mittelalters erſchien im gahre 1922. Am 19. Dezember, ſeinem Geburtstage.
ward P. Ignaz Staub im erſten Wahlgang zum Abt erwählt.
Aus Pannonhalma ſchreibt man uns: „Anfangs September 1923 hat unfere
ungariſche Kongregation auf Bitten der hauptſtadt Budapeſt dort ein humaniſtiſches
Symnafium eröffnet, zunächſt nur die erfte Alaffe. Die Schwierigkeiten, die bei der
Eröffnung zu überwinden find, find ziemlich groß, beſonders wegen der Wohnungs-
frage. Die erſten vier Patres wohnen vorläufig bei den Patres geſuiten im Rongre-
gationshaus. Dieſes Gumnaſtum iſt das achte unter den Ordensgumnaſten (Györ,
Däpa, Esztergom, Sopron, Röszeg, Pannonhalma, Romärom, Budapeſt). Die Mit⸗
brüder in Komärom (Komorn), die durch den Trianon ⸗Frieden unter tſchechoſ lowakiſche
herrſchaft gekommen find, müſſen ſchwere Erprobungen erdulden. Die Regierung hat
den dortigen Beſitz beſchlagnahmt, will das Priorat von Pannonhalma trennen und
wahrſcheinlich einer tſchechiſchen Abtei unterordnen. Zwei von den dortigen Patres
wurden im Frühjahr 1923 ausgewiefen und dürfen nicht mehr zurückkehren. — Auf
dem ungariſchen Katholikentag in Budapeſt (7.— 11. Oktober 1923) hat der Erzabt,
Dr. Remigius Bärdos in mehreren Sitzungen präfidiert und P. Prior, Dictorinus
Sttommer, eine glänzende Rede gehalten über gugendſchutz und Jugendſeelſorge. —
Unter den literariſchen Arbeiten der ungariſchen Benediktiner fei folgendes hervor⸗
gehoben: B. Engelbert Märzu, ſtaatl. (Schul) Mittelſchulinſpektor in Miskolcz, ver-
öffentlichte fein tiefes, wertvolles Werk über die Lehre des hl. Benediktus von der
Demut. Es macht weitere Kreiſe mit benediktiniſcher Aſzeſe bekannt. Abt Dr. Ire-
nus Zoltvany von Bakonybel ſchrieb ein Buch über Erotik und Giteratur; das
Derk behandelt die heikle Frage vom Standpunkt der katholiſchen Moral. P. Cae⸗
alius Bognär, Privatdozent an der Univerfität Budapeſt gab ein Werk heraus über
die Derttheorie. In der populär · hagiographiſchen Sammlung „Unſere Schutzheiligen“,
die ſchon über 90 heiligenleben in heften zu je 50 — 70 Seiten zählt, haben die Patres
Florianus Kühär, Elias Aemenes, Johannes Mijlaki, Theodorius Tliszler, Chruſoſtomus
kelemen, Odilo Pammer mehrere heiligenleben bearbeitet. Die Sammlung ift ſehr
befiebt beim ungariſchen Volke und wird in der Seelſorge viel Hilfe leiſten. Unter die
Oblaten des heiligen Daters Benediktus (Zentraldirektor P. Florianus) wurden ſchon
mehrere Mitglieder aufgenommen in der Metropole des ungariſchen „Alföld“, in
liecslemet und in der Stadt KRöszeg“. Über dieſe eine „aus den zahlreichen Auße-
rungen friſchen katholiſchen Lebens“ in Ungarn, und ihre Tätigkeit hat jüngſt
P. Peter v. Olaſz 8. J. näheres in den „Stimmen der Zeit” berichtet.
Dom St. Ulrichs⸗ und St. Ronrads-Jubiläum. Mönche waren fie nicht, aber
freunde der Mönche, auf eine Zeit Schüler zu St. Ballen und dort gern geſehene
Gäſte. 1923 haben beide heilige ein Jubiläum gefeiert. Bei St. Ulrich waren es
1000 Jahre, daß er Biſchof von Augsburg wurde, bei St. Konrad 800, daß er am
28. März 1123 von Papſt fialixt II. heiliggeſprochen, und daß fein heiliger Leib beim
etſten „Ronradifeft“ am 26. November des gleichen Jahres aus dem Grabe erhoben ward.
Aus Augsburg erfuhr man ſchon im Mai, daß der heilige Stuhl für den 4. Juli
und die ganze Oktav einen vollkommenen Ablaß gewährt habe. Nachdem dann tage
lang tauſend fleißige hände bis ſpät in den Abend die weiten hallen des Ulrich—
münſters feſtlich hergerichtet hatten, wurden an der Vigil des Feſtes, den 3. Juli,
in der Morgenfrühe die heiligen Reliquien von St. Ulrich und Afra aus ihren Grüften
ehrfürchtig erhoben. Mittags fanden alter Sitte gemäß die drei Defpern“ zu St. Ulrich,
St. Morig und im Hohen Dome nacheinander ſtatt. Abends läuteten ſämtliche Slocken
Augsburg eine Diertelftunde lang den Feſttag ein. Am Tage felbft war Pontifikal⸗
amt des greifen Diözeſanbiſchofs in St. Ulrich, abends dort bichterprozeſſion. An
80
den übrigen Tagen pontifizierten biſchöfliche Bäfte und Benediktineräbte. Am Sonn-
tag, den 8. Juli, zog nach dem Pontifikalamt des Weihbiſchofs die Reliquienprozeſſion
durch die Stadt, geführt vom Biſchof von Chur, der ſelbſt das „Ulrichskreuz“ trug,
feine Aſſtſtenz Kelch und Schweißtuch des Heiligen. Zwölf Subdiakone aus dem Welt:
und Ordensklerus ſtanden als Sargträger bereit, ihnen zur Seite eine Abteilung Reichs ⸗
wehr als Ehrenwade. Uach dem Gang durch die Stadt, als die Prozeſſton wieder in
die obere Mazimilianftraße einbog, nahmen der Weihbiſchof und die drei Abte von
- St. Stephan-Augsburg, St. Ottilien und Ileresheim den Sarg auf ihre Schultern, dem
hl. Ulrich ihre Derehrung zu erweiſen, und trugen ihn zurück ins Münfter. Den rüh⸗
renden Schlußakt des Jubiläums bildete am Abend des 11. Juli nach der Schluß⸗
predigt die Bergung der heiligen Reliquien in ihren Grüften. Bier Biſchöfe und eine
ganze Anzahl Prälaten hatten durch ihre Mitwirkung den Glanz der Tage erhöht.
Nicht weniger als achtzehn Predigten waren gehalten worden, an befonderen je eine
morgens über die fieben Gaben des göttlichen Geiſtes und abends über die acht Selig:
keiten des herrn. Ganze Gemeinden waren zum hl. Ulrich gepilgert, der Diözeſan ⸗
biſchof hatte, „des treuen Oberhirten Opfergeiſt für Gott, Kirche und Vaterland“ in
einem eigenen Hirtenbrief geprieſen (Augsburger Poſtzeitung, Feſtnummer, Ir. 151).
Ronftanz konnte naturgemäß feinem Jubiläum den hintergrund nicht bieten,
den Augsburg bot. Auch hat St. Konrad weder im beben noch im Tode die Bedeu-
tung eines hl. Ulrich gehabt. Aber was geſchehen konnte, geſchah, ſachlich wohl noch
mehr als in Augsburg. Seit dem 16. Januar 1922 war mit Eifer an der Wieder
herſtellung des Münſters gearbeitet worden. Staat und Kirche gingen dabei ein-
trächtig zuſammen; die Stadt lieh das Gerüſtholz und ſtiftete für die Stirnwand des
Chores eine Ronradiftatue. Prinz Maz von Baden ſchenkte als Hochaltarblatt eine
mächtige Salemer himmelfahrt Mariens v. J. K. Stauder. Wöchentliche „Feſtblätter“
als Beilagen zur „Deutfchen Bodenſeezeitung“ bereiteten ſeit dem 19. Oktober Derftand
und Wille, eine „Miſſtonserneuerung“ im Münfter die Seelen der Konſtanzer vor
zur würdigen Mlitfeier des „Feſttriduums“ vom 23.—25., bezw. mit Dorakt und
Schlußfeier, vom Abend des 22. bis zum Morgen des 26. November. Am Konradi⸗
fonntag fand mittags der feſtliche Jug mit dem Haupte des heiligen vom Münfter
nach „St. Stephan“ ſtatt, am Abend ein „Feſtakt“ im oberen Aonziliumsfaale mit
Feſtrede und Aufführung des Oratoriums „Mariä Heimgang“ von P. Gregor Molitor.
Der Diözefan-Erzbifhof von Freiburg und die Biſchöfe von Chur, Feldkirch, Rotten⸗
burg und St. Gallen als Rechts- bezw. Amtsnachfolger der Ronſtanzer Biſchöfe waren
erſchienen, dazu der Biſchof von Mainz als ehemaliger Metropolit. Fünf der Biſchöfe
hatten eine der insgeſamt fieben abends und morgens ſtattfindenden Predigten über⸗
nommen, die zweite hielt Prälat Sisler-Chur, die vierte Dr. Hartmann von St. Ulrich
in Augsburg. Erzabt Raphael war von Beuron gekommen, Abt Ansgar aus Wein;
garten, der Stiftung des Vaters St. Konrads, und kurz Dekan Athanafius aus Einfiedeln.
Der Biſchof von Bafel-Solothurn konnte wegen hohen Alters nicht erſcheinen. In einer
Feſtſchrift „Das St. Konradsjubiläum 1923“ haben KR. Sröber und A. Merk, Feſtblätter,
Feſtpredigten (leider nicht ſämtlich im vollen Texte), Feſtartikel und Feſtbericht zu ·
ſammengefaßt. Sie ift, wie das Felt ſelbſt es war, von den drei Gedanken beherrſcht:
Erinnerung an Konrad den heiligen, Andenken an die alte ehemalige Diözeſe und
glücklich erfolgte Renovierung des Münſters. Auch ohne das Dutzend guter Bild-
beigaben würde fie mancherlei Anregung vermitteln: kunſthiſtoriſch und Runftkritifc
liturgiſch und hagiographiſch. — Wahrlich, die Heiligen der Kirche ſterben nicht! Sie
leben fort durch ihr Beiſpiel, ſie wirken fort durch ihre Fürbitte. St. Ulrich und
St. ftonrad ſagen uns, daß es auch früher trübe Zeiten gegeben, und daß Gott
die Seinen noch immer väterlich geführt hat.
Über Abt 9oſ. Pothier (+ 8. Dez. 1923) und feine Bedeutung für den kirchlichen
Choral werden wir aus berufener Feder einen eigenen Nachruf bringen.
Unſere Beilage gibt eine Rundplaftik wieder (Original Gips, ca. 50 em Durch⸗
meſſer, in Beuron), die P. Defiderius (Peter) Denz 1858 in München auf die „Deutſche
allgemeine und hiſtoriſche Aus ſtellung“ brachte.
Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern),
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade,
gedruckt und verlegt vom Kunſtverlag Beuron.
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lugiter auxiliare tuo famulo, Dionysi,
abbati exsultanti animo sacra libaturo,
iam redimito auro sua tempora. Sancta patrona,
quaesumus, intercede tua prece pro patre nostro.
81
Die Familie als Grundlage
benediktiniſchen Mönchtums.
Don P. Sigisbert Mitterer (Schäftlarn).
lle katholiſchen Orden haben ein großes, gemeinſames Endziel:
die bis zum völligen Verzicht auf das eigene Ich gehende frei⸗
willige hingabe des Menſchen an Bott, um fein Reich in der Seele
immer vollkommener auszugeſtalten. In den Mitteln zur Erreichung
dieſes Zieles und namentlich in ihrer nach außen zutage tretenden
Wirkſamkeit im Dienſte der Kirche Chriſti ſtellen fie jedoch eine äußerſt
buntgeftaltete Dielheit von durchaus eigenartigen Individualitäten dar.
Der Bartäufer 3. B., der Franziskaner, der geſuit ſcheinen jedermann
klar zu erkennende Tupen katholiſcher Ordensleute zu ſein, und was
die Predigermönche oder die Barmherzigen Brüder für die ihnen vor⸗
wiegend entſprechende Berufstätigkeit halten, iſt klar verſtändlich in
ihrem Namen ausgedrückt.
Beim benediktiniſchen Mönchtum, das doch ſicherlich eine durchaus
ſelbſtändige Erſcheinungsform unter allen Orden iſt, bietet es aber
merkwürdigerweife eine gewiſſe Schwierigkeit den gerade ihm weſent⸗
lichen Charakter und die ihm vor allem eignende Arbeitsaufgabe kurz
aufzuzeigen. Tatſächlich hat der hl. Benedikt ſeine Mönche auch wirklich
weder zur Pflege eines beſtimmten, außerhalb des allgemeinen mo⸗
naſtiſchen Gebens gelegenen aſzetiſchen Ideals noch einer beſonderen
beruflichen Eigentümlichkeit verpflichtet. Darum wäre es [ehr ſchwer
irgendeine der klöſterlichen Tugenden als kennzeichnend gerade für die
Benediktiner herausgreifen zu wollen, ſo daß ſich auf ihr unſere Art
vielleicht ähnlich aufbaute wie etwa die der Kapuziner auf der Armut;
daher kommt es ſchließlich auch, daß ſich die Benediktiner nicht wie
andere Orden irgend einer Tätigkeit mit ausſchließlicher Vorliebe hin⸗
geben, ſondern daß fie ſich je nach Ländern und Zeiten bald dieſem
bald jenem der im Rahmen der katholiſchen Weltſeelſorge liegenden
Wirkungsbereiche widmen.
Man könnte bei einer flüchtigen Beurteilung darin einen mangel
ſehen. Dieſe breite Einftellung der benediktiniſchen Mönchsaſzeſe und
dieſe Dielfeitigkeit benediktiniſchen Schaffens beruht aber keineswegs
auf einer in unſerer UDerfaſſung liegenden Armut an ſtraffen, beſtimmten
Richtlinien und Grundſätzen, ſondern im Gegenteil auf einer ſehr wert:
vollen Geſchmeidigkeit und Anpaſſungsfähigkeit an alle zeitlichen und
räumlichen Umgebungen, in denen ein Benediktinerkloſter wirken ſoll.
Benedtktinifche Monatfchrift VI (1924) 3—4. 6
82
Wir halten es darum geradezu für das unſterbliche Derdienft unſeres
heiligen Stifters, daß er die Richtung unſerer religiöſen Betätigung
nicht auf die beſondere Betonung einer ganz beſtimmten Seite des
Tugendſtrebens eingeſtellt und unſer Wirken nach außen nicht einſeitig
an eine einzelne Berufsarbeit gebunden hat, ſondern daß er ſein Werk
auf eine Regel gründete, deren Hauptvorzug eben in ihrer ganz uni⸗
verfellen Brauchbarkelt für die religiöfen und kulturellen Bedürfniffe
aller Dölker und Zeiten liegt. 50 blieb der Benediktinerorden immer
in einer lebendigen Fühlung mit allen umgebenden Dolksgemeinfchaften
und erweckte bei der Außenwelt von jeher gerne den Eindruck einer
wohltuenden Großzügigkeit und Freiheit.
Der innere Grund nun, warum gerade unſer Orden die nach feiner
Regel lebenden Mönche jeweils über alle örtlichen und zeitlichen Ge⸗
bundenheiten hinweghebt und ihnen eine für alle Länder und gahr⸗
hunderte brauchbare Lebensnorm an die Hand gibt, iſt darin zu ſuchen,
daß ſich der hl. Benedikt als Derfaffungsprinzip feiner Stiftung der
naturgemäßeften Bemeinfchaftsform der menſchlichen Geſellſchaft über:
haupt bediente, der Familie. Nirgends äußern ſich ja die Lebens-
erſcheinungen in ſo bunter Mannigfaltigkeit wie in den einzelnen
Familien. Schon eine natürliche Familie muß eine ganz eigentümliche
Individualität fein: das liegt in ihrem Weſen. Ein gewiſſer Familien ⸗
partikularismus ſelbſt im Derband der ſtraffſten ſozialen Sroßeinheit,
des Volkes oder Staates, ift etwas Geſundes und gibt dem geſamten
beben friſche Abwechslung und kulturfördernde Rührigkeit.
Auch jedes Benediktinerkloſter bildet für fi) eine ſelbſtändige, auto-
nome Familie und trägt als ſolche alle in dieſer Tatſache liegenden
Entwicklungs- und hemmungsmöglichkeiten in ſich. Dieſes Familien:
prinzip unterſcheidet uns geradezu grundſätzlich von den meiſt zentra⸗
liſtiſch organiſierten neueren Orden, die ihre Wirkſamkeit weniger in
der Lebensäußerung des einzelnen Blofters, als in der vielfach ſehr
fruchtbaren Zuſammenfaſſung aller Kräfte unter einer Geſamtleitung
betätigen. Die dadurch erzielten, unleugbar großen Erfolge haben
auch bei uns ſchon manchmal zu einer Nachahmung dieſer Derfaffungs-
form verlockt. Aber ſolche Anpaſſungsverſuche an das ganz anders
geartete Gemeinſchaftsleben dieſer Orden bedeutete immer eine grund⸗
ſätzliche Derkennung unferes eigentlichen Weſens und brachten nie mehr
als nur vorübergehende Erfolge. Ein Benediktinerkloſter iſt eben nicht
fo faſt Glied eines großen Ganzen, als vielmehr ein ſelbſtändiger Orga;
nismus, deſſen Wirkſamkeit nicht davon abhängig iſt, inwieweit der
Geſamtorden als ſolcher durch das Einzelkloſter etwas leiſtet, ſondern
83
davon, wieviel die einzelne kiloſterfamilie ſelbſt an Werten ſchafft. Bei
einer Benediktinerabtei wird es immer darauf ankommen, ob ſie alle
von ihrer Umgebung jeweils gebotenen Arbeits- und damit Erfolgs-
möglichkeiten erkennt und ausnützt und ob fie ſich eine wertvolle,
bodenſtändige Familientradition zu ſchaffen weiß. Es gibt darum wie
in einem Volke fo auch im Benediktinerorden ſehr verſchiedenwertige
Familien. Sich zu einem Platze unter den altehrwürdigen, die Geſchichte
des Ordens ſchaffenden und fein Weltanſehen begründenden Kloſter⸗
familien emporzuarbeiten und ſich zu einem für die ganze kirche und
für die nähere und weitere Umgebung immer unentbehrlicheren gei⸗
figen Araftzentrum auszuwachſen, wird immer das Beſtreben aller
Benediktinerabteien ſein. a
er hl. Benedikt iſt nicht der Schöpfer des Mönchtums überhaupt;
die meiſten aſzetiſchen Einzelwerte ſeiner Regel ſind ja in langer
Erprobung ſchon von den ihm vorangehenden Mönchen des Morgen-
und Abendlandes gefunden worden. Er hat aber durch den von ihm
verſuchten Ausbau der ſchon beſtehenden Grundlagen das Kloſterweſen
des Oſtens vor einer drohenden Stagnierung und das Mönchtum des
Weftens vor einer bedenklichen Zerfplitterung bewahrt. Den zu un⸗
geſunder Übertreibung neigenden orientaliſchen Individualismus der
Einzelperfon erweiterte er zum Individualismus der einzelnen klöſter⸗
lichen Gemeinde und bereicherte dadurch die mönchiſche Aſzeſe mit den
in jeder Gemeinſchaft liegenden Tugendmöglichkeiten. Das fo auf eine
breitere, lebensfähigere Grundlage geftellte Mönchtum des Orients mit
feinem tiefen Jug zur Innerlichkeit konnte dann auch beruhigend auf
das noch in gärender Unraſt nach einer befriedigenden Lebensform
ſuchende europäiſche Mönchtum der unſtäten Dölkerwanderungszeit
wirken.
Es war wirklich von providentieller Bedeutung, daß Benedikt von
Nurfia erkannte, was feiner Welt vor allem fehlte, und daß er in
intuitiver Erfaffung des Notwendigen gar bald darauf hinarbeitete, in
ſeinen kilöſtern Mittelpunkte zu ſchaffen, die alles, was am bereits
vorhandenen Mönchtum noch Gutes war, und was unter den jungen
Dölkern Europas nach Vollkommenheit dürſtete, an ſich zogen. Bier
fanden die heimatloſen, unruhigen Menſchen jener Tage etwas, was
ſie vor allem brauchten, eine klöſterliche heimat, die jeden, der
ſich unter ihren Schutz begab, von der ungeſunden Unbeſtändigkeit
ſeiner Zeit heilte. Und es gab tatſächlich auch unter den ruhelos
wandernden damaligen Mönchen nicht bloß ſolche, denen ihr Gewand
6*
N
84
zum Deckmantel jeglicher Ungebundenheit diente; gerade in der Früh-
geſchichte der germaniſchen Chriſtianiſierung erſcheinen gar manche
diefer zu keinem beſtimmten kiloſter gehörigen Mönche als ſegensreich
wirkende Wanderprediger. Aber ihr Werk mußte, weil es nur zu oft
planlos und ohne Zuſammenhang mit einer größeren Bemeinfchaft
war, die ihre Schöpfung auch nach ihrem Weggang noch fortſetzte,
größtenteils ohne dauernden Wert bleiben. Solcherlei Mönche haben
wir wohl unter den »monachi peregrini« zu verſtehen, von denen der
hl. Benedikt im 61. Rapitel feiner Regel ſpricht, und denen er mit
Freuden einen dauernden Platz in feinen Alöftern gewährt wiſſen
wollte. Die Geſchichte unſeres Ordens iſt reich an Beiſpielen, daß
fromme Männer erſt nach langem Wanderleben und nach mancherlei
taftenden Derfuchen eine dauernde Heimat in einem Benediktiner kloſter
fanden und da unter dem Segen der Gemeinſchaft eine beſonders hohe
Stufe der Vollkommenheit erſteigen konnten. ö
Das war eine tiefe Erleuchtung, daß der heilige Stifter erkannte:
wer die beglückende Wohltat der benediktiniſchen Familienzugehörig⸗
keit empfinden will, auf den muß ihr Einfluß dauernd wirken können.
Und fo forderte der hl. Benedikt ein eigenes Gelübde des lebensläng⸗
lichen Derbleibens in dem Verband einer ganz beſtimmten £lofter-
familie: »stabilitas in congregatione«, Beftändigkeit im klöſterlichen
Verband. Dieſe Forderung ift etwas nahezu völlig Neues. Wohl hat
ſchon Cäſarius von Arles! von feinen Schülern ein Beſtändigkeits⸗
verſprechen verlangt; mit einem förmlichen Gelöbnis band aber erſt
der hl. Benedikt feine Söhne an die klöſterliche Familie. Und er mußte
dieſe Bedingung ſtellen; denn nur wenn ſich ſeine Schüler gewiſſer⸗
maßen gewaltſam der Derfuchung zur Unftätigkeit entriſſen, konnten fie
mit ihrer neuen monaſtiſchen Heimat genügend verwachſen. — Doch
wollte ſchon unſer heiliger Vater ſelbſt das ſegensreiche neue Geſetz
keineswegs überſpannt wiſſen: unter Umſtänden ſollte einem Abte
auch außerhalb des Falles der gewaltſamen Ausweifung eines völlig
unverbeſſerlichen Störers des Gemeinſchaftsfriedens die Möglichkeit
geboten ſein, einen feiner Söhne feines eidlich beſchworenen Zugehörig⸗
keitsvertrags zur Kloſterfamilie zu entbinden. Das war weiſe: die
beſte Selbſtprüfung und die ſtrengſte Erprobung ſchließen ja manchmal
eine Täuſchung nicht aus; da iſt es beſſer im Intereſſe des Befamt-
friedens oder der glücklichen Hherzensfreudigkeit der Einzelſeele, einen
ſonſt durchaus geſunden Grundſatz nicht bis zur ungeſunden Startheit
gl. P. Matthäus Rothenhäus ler, Die Beftändigkeit des Benediktiners. Ben.
Monatſchr. III (1921) 8. 354.
85
zu verfolgen und unter Umftänden ein einzelnes Glied der Familie in
Frieden anderswohin zu entlaſſen. — Und wenn es auch wahr iſt,
daß der Mönch ins kiloſter gehört, und fo ſehr der hl. Benedikt den
unfät wandernden Ordensmann haßte, fo ſieht doch ſogar feine Regel
ſelbſt den Fall vor, daß einmal ein Bruder in heiligem Gehorfam auf
längere oder kürzere Zeit aus dem Frieden feines Klofters in die Welt
hinausgeſchickt wird. Solch ein Aufenthalt unter dem Segen des geiſt⸗
lichen Daters und dem täglich ihn begleitenden Gebet der zurückgeblie⸗
benen Söhne der Rlofterfamilie unterſcheidet dieſen Mönch ganz weſent⸗
lich von den gleich im erſten Kapitel unſerer Regel ſo ſtrenge gerügten
„herumſchweifern“, den Gyrovagen. Das Maß dieſer „Freiheit im
zwange“ bedeutet zugleich auch das Maß der mit dem benediktinifchen
Mönchtum vereinbaren außerklöſterlichen Berufsarbeit. Jede Betäti⸗
gung, die den Mönch aus irgendwelchem Grund aus feinem Rlofter
führt, iſt erlaubt, ſolange ſie den Familienzuſammenhang nicht zerſtört
oder in gefährlichem Maße beeinträchtigt. Natürlich iſt eine Berufs⸗
arbeit um fo „benediktiniſcher“, je weniger fie den Mönch ſeiner
klöfterlihen Familie entzieht!.
Aber nicht jede klöſterliche Niederlaſſung ift ohne weiteres RR ERRR
einer Bemeinfchaft zur dauernden heimat zu werden. Zwiſchen einer
Benediktinerabtei und einem Benediktinermönch müffen ganz perſönliche
Beziehungen erwachſen: fie muß ihm fo teuer werden wie das Dater-
haus dem Binde. Darum haben ſich für die Anlage und den Ausbau
eines Benediktinerkloſters ganz beſtimmte Grundſätze herausgebildet.
man darf bis in die Geſchichte der allererſten Benediktinerklöſter
zurückgehen und wird die Tatſache beſtätigt finden, daß die Mönche
faſt immer einen außerordentlich feinen Blick für landſchaftliche Schön⸗
heiten gehabt haben. Der Ort, an dem ſich jemand fein Geben lang
heimiſch und glücklich fühlen ſoll, muß eben auch in dieſer hinſicht
vielen Anforderungen genügen können. Hatte der Gefchmack einer
früheren, namentlich orientaliſchen Frömmigkeit nicht ſelten ſchauer⸗
liche Wüften und Einöden bevorzugt, und mochten manche Einfiedler
eine gewiſſe Gleichgültigkeit, ja oft ſogar eine bewußte Vernachläſſi⸗
gung ihrer Wohnſtätte für Vollkommenheit gehalten haben, ſo lernte
das benediktiniſche Mönchtum grundſätzlich alch die ſchöne Candſchaft
als eine beſondere Gabe Gottes preiſen und lieben‘.
IR einmal ein geeigneter Platz für eine Abtei gewählt, fo ſoll die
Siehe P. Em. Heufelder, Priefter und Mönch (dieſes Heft).
’ Dal. P. M. Barthel, Der Anteil der Benediktiner an der sun des band⸗
ſchaftsbildes (dieſes Heft).
86
Rlofterheimat nach dem Wunſche des hl. Benedikt fo eingerichtet werden,
daß fie ihren Bewohnern in möglichſt vollem Sinne alles bieten kann;
fie follen gar nicht einmal verſucht werden, ſich mit der fie gefährden⸗
den Welt in Verbindung zu ſetzen; dieſe ſoll ihnen vielmehr in einem
größtmöglichen Maße entbehrlich werden. Darum foll das Kloſter
darnach trachten, im eigenen Betrieb für alle Bedürfniſſe feiner Ge⸗
meinde aufzukommen und ſich wirtſchaftlich tunlichſt unabhängig zu
machen. So wuchſen manche Benediktinerabteien zu wahren Kloſter⸗
ſtädten heran. Die ganze Anlage überragt von einer ſchönen kirche,
eingefriedet von den ſchützenden Kloſtermauern, umgeben von einem
ktranz von Wiefen und Feldern und Gärten, alles eingebettet in eine
oft paradieſiſche Landſchaft: das ift der typifche Anblick, den eine
benediktiniſche Anſiedelung oft genug dem Beſchauer bietet und der
wohl geeignet iſt, den mit ſtolzer Liebe zu erfüllen, der dieſes haus
feine Heimat nennen darf.
Schließlich liegt es gewiß in der Abſicht des hl. Benedikt, einem
mönchiſchen Heim feines Ordens über das ſchlechthin Notwendige hin⸗
aus, womit ſich eine ältere Obſervanz wohl begnügt hätte, noch ein
Mehr von Freudigkeit und Schönheit zu gewähren. Die innere Zu⸗
friedenheit und ein Bott wohlgefälliger Frohſinn feiner Söhne ſchienen
ihm wertvoll genug zu ſein, um gegen dieſen Preis ſogar auf manche
Forderung zu verzichten, die eine ſtrengere Vorzeit wohl geftellt hätie.
er wußte, daß ein gütiges Eingehen auf manche gewiß nicht durch⸗
aus notwendige, aber von der Mehrzahl der Menſchen gerne genoſſene
Bedürfniſſe ihm die herzen der ihm Anvertrauten weit und freudig
Iffnete, wenn es galt, jenen ſelbſtlos freiwilligen, freudigen Gehorſam
zu fordern, durch den ſich gerade ſeine Mönche hervortun ſollten, und
der ihm wertvoller ſchien als manche Übung einer den Menſchen durch;
aus nicht vor Mißmut und Traurigkeit bewahrenden Strengheit. Mit
weichlichem Luzus und ſchwächlicher Nachgiebigkeit hatten ſolche die
Heimatliebe feiner Kinder ſtärkende Jugeſtändniſſe gar nichts zu tun.
ie äußeren Bedingungen ſind ſo gegeben, um die einzelne Bene⸗
diktinerabtei ihren Bliedern zur klöſterlichen Heimat zu machen;
der Boden if geſchaffen, auf dem die Mönchsfamilie gedeihen ſoll.
Die belebende Seele dieſer heimſtätte ſollte aber ſo recht eigentlich
erſt der benediktiniſche Abt fein. Kloftervorftände gab es ſchon
vor dem hl. Benedikt, aber den innerlich ganz ausgereiften, im Bene⸗
diktinerabt verkörperten Typus des Obern hat erſt unſer heiliger
Stifter geſchaffen.
87
e
Der Benediktinerabt ift felber [don eine Frucht der monaſtiſchen
Familiengemeinſchaft, aus der er in durchaus natürlichem Wachstum
heranreift bis zu dem Tage, an dem deren Söhne ſich ihn in freier
Wahl zu ihrem Obern beſtellen. Unter geſunden Normalverhältniſſen
wird ſich auch immer an einem Glied der eigenen Gemeinde der dieſer
Familie tupiſche Charakter ſo glücklich mit den ſchon allgemein für
jeden Führer wünſchenswerten Fähigkeiten verbinden, daß ſein Träger
ganz naturgemäß zum berufenen Haupt jener Familie beſtimmt erſcheint.
Daß aber der Erwählte wegen ſeiner nahen Beziehungen zu denen,
die bis dahin feine Brüder waren, nicht bloß zum Älteften unter den
Söhnen des gleichen hauſes, nicht zum primus inter pares wird, das
verhindert die uns von unſerer heiligen Regel eingeſchärfte ganz be⸗
ſonders tiefe Ruffaffung von der hohen Würde des Abtes. Mit feiner
Wahl wächſt er nämlich über die Familie hinaus und wird zu ihrem
Dominus et Abbas «, zu ihrem herrn und Dater. Wir verbinden mit
dieſem Titel einen fo einzigartigen Inhalt, daß dieſer Name feinen
Träger geradezu weſentlich von den Obern anders organifierter kilöſter
und Orden unterſcheidet. Jentraliſtiſche Orden müſſen notwendig an⸗
ders geleitet werden als Benediktinerklöſter. Eine Doppelregierung
wird die Befehlsgewalt ausüben: fie werden zunächſt immer eine alle
Rlöfter umfaſſende, zentrale Oberleitung über ſich haben, bei der alle
Fäden zuſammenlaufen und die kraft ihrer univerſellen Amtsbefugniſſe
die ihr unterſtehende Bemeinfhaft ähnlich lenkt wie ein Kriegsherr
oder Generalftab feine Truppen. Dieſer Generalleitung nun werden
dem ganzen Sinn der Ordensverfaffung nach die an der Spitze der ein⸗
zelnen Rlöfter ſtehenden Obern in allem verantwortlich und geradeſo
unbedingt untergeordnet fein wie ein Unterfeldherr dem ktriegs herrn.
— Der Benediktinerorden kennt eine ſolche Organiſation nicht. Wir
haben keine mit einer oberſten Jurisdiktion ausgerüſtete Zentral»
behörde. Nicht der Orden als Ganzes ift Träger der Autorität, ſondern
der eingelne Abt, der den Grund ſeiner Befehlsgewalt in ſich ſelbſt
tägt und innerhalb des ganzen Ordens durch keinen über ihm ſtehen⸗
den Obern beſchränkt wird. Wenn äußere Notwendigkeiten im Laufe
der geſchichtlichen Entwicklung einzelne Gruppen von Abteien zu kon=
gregationen unter einem Präſes und in jüngſter Zeit ſämtliche Klöſter
unſeres ganzen Ordens unter einem Abt⸗Primas zuſammenfaßten, ſo
bezweckten ſolche praktiſche Einrichtungen im allgemeinen nur die
fufrechterhaltung einer guten klöſterlichen Zucht und einen leichteren
Derkehr der einzelnen häuſer unter ſich und mit Rom. Jeder Derfud,
darüber hinaus auf die Schaffung einer mit autoritativer Befehlsgewalt
88
ausgeſtatteten Zentralbehörde hinzuarbeiten, würde gewiß als unbene⸗
diktiniſch vom ganzen Orden abgelehnt. 50 wenig als der weltliche
Staat jemals die naturgemäße Autorität der Familien, aus denen er fi)
zuſammenſetzt, antaſten wird, ebenſo wenig wird auch ein durch irgend⸗
welche Gründe näher zuſammengeſchloſſener Derband mehrerer Abteien
an den Grundrechten der einzelnen klöſterlichen Familie rütteln können.
Und es muß fo fein: eine Familie kann kein außerhalb ihrer Ge-
meinſchaft ſtehendes haupt haben. Darum ift ein Benediktinerabt
zwar kein Machthaber oder General, der über einen ganzen Orden
Autorität ausüben kann, aber auch kein bloßer Beamter, der im Auf:
trag und nach dem Willen eines über ihm ſtehenden Obern ein ein⸗
zelnes lofter leitet: es gehört weſentlich zum Begriff feines Amtes,
daß er im Bereich ſeiner Familie letzten Endes höchſte und einzige
Autorität iſt. Dominus et Abbas vocetur, „Herr und Abt ſoll er ge⸗
nannt werden“, ſagt die heilige Regel im 63. ktapitel. Wir Benediktiner
erkennen dieſen doppelten Ehrennamen im vollen Umfang an: er iſt
uns mehr als ein bloßer Titel, er ift uns der Inbegriff jeder fittlid)
möglichen Autorität, die wir um fo mehr für eine ganz einzigartige
halten, weil jeder Abt für feine Familie der ſichtbare Träger der Nu⸗
torität Gottes ſelber ift, der durch ihn zu uns ſpricht. Wenn uns der
klöſterliche Gehorſam, zu dem ſich ein reifer Menſch freiwillig ver⸗
pflichtet, die vollendetfte Form der Selbſthingabe des vernünftigen
Geſchöpfes an feinen Bott bedeutet, dann iſt uns unſer Oberer gewiſſer⸗
maßen der Prieſter, durch deſſen hände die koſtbare Gabe des freien
menſchenwillens dem Allerhöchſten dargebracht wird. Der ſich frei⸗
willig opfernde Mönch wird zum Opferlamm des Opferprieſters. Man
muß es offen ausſprechen: der hl. Benedikt ſieht im Abte feiner Alöfter
den nur Gott verantwortlichen herrn des ungezwungen an den Opfer⸗
altar tretenden Mönches, von dem er im Namen Gottes das Opfer
rückhaltlos annimmt. Dieſes umfaſſende und faſt erdrückend ſcheinende
Anſehen eines einzelnen. Menſchen hat für uns nichts Beängſtigendes,
weil es gemildert wird durch die zarten Bande einer weſentlich zu ihm
gehörenden väterlichen Liebe. Jeder Benediktinerabt muß herr und
Vater fein: wäre er nur der kraftvolle Herr oder nur der milde Vater,
fo wäre er kein Abt nach dem Herzen des hl. Benedikt. Herr und Vater,
ja, das iſt fein lame! Dieſer Doppelname verhütet in gleicher Weiſe
ungeſunde Vertraulichkeit und weichliche Milde wie auch furchtſame
Scheu und unberechtigte Herrfchergelüfte. Nur ein Abt, der herr iſt und
Vater, garantiert mit menſchenmöglichſter Sewißheit einen dauernd
gefunden Beſtand der benediktinifchen kloſterfamilie.
89
Dem hl. Benedikt mag für feine Ruffaffung vom Obern feiner Klöſter
in beſtimmter Form die Geftalt des altrömiſchen Familienhauptes, des
»pater familias , vorgeſchwebt haben, in dem er ja die für feine Zeit
augenſcheinlichſte Verbindung einer ganz einzigartigen Autorität mit
naturgemäßer Datermilde ſehen konnte. Man kann tatſächlich die
Gewalt, die unſer heiliger Dater dem Abte zugeteilt wiſſen will, als
die aufs Religiöfe übertragene univerſelle väterliche Gewalt (»patria
potestas e) der Antike bezeichnen. Es iſt ganz unzweifelhaft, daß es
unferer Regel völlig entſpricht, wenn im Rlofter gar nichts ohne den
Willen des Haus vaters geſchieht, fo daß das geſamte Leben der klöfter-
lichen Familie durch feine möglichſt perſönliche beitung geregelt wird.
Es iſt durchaus im Sinne des hl. Benedikt gelegen, daß es im Betrieb
ſelbſt der größten Abtei keinerlei Autorität gibt, die nicht von der einzig
verantwortlichen Befehlsgewalt des Abtes übertragen iſt. Nach dem
herzen unſeres heiligen Stifters würde ein Abt geradezu zum Mietling
an feinem Haufe werden, wenn er in dieſer Nuffaſſung von feiner
Gewalt und feiner daraus erwachſenden Pflichten eine Lockerung
zuließe. Ja, fo ſehr foll der Abt die belebende Seele feines Kloſters
fein, daß ſich feine potestas nicht bloß auf alles Gefchehen und auf
alle Perſonen im Haufe, ſondern gewiſſermaßen auf die Regel ſelbſt
erſtreckt, zu deren ganz ſelbſtwerſtändlichem Erklärer er in all den
Fällen wird, wo es gilt deren oft bloß allgemein gefaßte Grund ſätze
praktiſch auf neue Zeit⸗ und Ortsverhältniſſe anzuwenden. Er ift, wie:
Abt Sauter gleich zu Beginn feiner „Kolloquien“! gewiſſermaßen pro⸗
grammatiſch ſagt, als haupt auch über die heilige Regel geſtellt, ähnlich
wie der Papſt das Haupt, der Erklärer und Anwender des Evangeliums
und der chriſtlichen Wahrheiten iſt. Daß er, der in der perſönlichen
Beobachtung ſeiner Regel niemandem verantwortlich iſt als ſeinem
Bewiffen, trotzdem dieſe Regel felber nicht bloß mit dem Munde lehrt,
ſondern tief im herzen trägt und im eigenen Wandel erfüllt, darin
deſteht nicht zuletzt der Kehorfam, den auch der Abt beſchworen hat.
beicht und gefahrlos kann dieſer Gehorſam des autonomen Abtes nicht
fein, fonft würde der hl. Benedikt, der die Menfchenherzen kannte wie
ſelten einer, feinen Nachfolgern in der klöſterlichen Daterwürde nicht
immer mit den ernſteſten Worten die furchtbare Derantwortung gegen⸗
über Bott vor Augen führen. Sie ift fo groß wie feine Machtfülle,
feine potestas: denn wie es im klloſter letzten Endes nur einen gibt,
der eine eigene Autorität hat, fo gibt es ſchließlich auch nur einen, der
eine direkte Derantwortung trägt. Auf den Abt fällt ja alles zurück,
was von ſeinen Untergebenen im Gehorſam geſchieht.
Sauter, B., Kolloquien über die heilige Regel. Freiburg“ 1907.
90
Es wäre ein ganz unwahrer Idealismus, wollte man behaupten,
dem Mönche erwachſe aus feinem freiwilligen Bekenntnis zu einer ſo
umfaſſenden Autorität feines Obern nicht oft eine gar ſchwere baſt.
Bei aller grundſätzlichen Opferfreudigkeit ift das Jod des Behorfams
nicht immer ſüß und die Bürde des Derzichtes auf den eigenen Willen
gar manchmal durchaus nicht leicht. Ja, dieſe Caſt könnte für einen
menſchen geradezu unerträglich werden, wenn ſich der Abt, allerdings
Jin völliger Derkennung des Geiſtes der auch von ihm befchworenen
Regel, darauf beſchränkte, bloß herr zu fein und nicht auch Vater.
Aber ſo ſehr man berechtigt iſt ohne ſchwächliches Drehen und Deuteln
von einer univerſalen Gewalt des Abtes zu ſprechen, fo ſehr muß auch
feine nicht weniger univerfale pflichtmäßige Liebe zu feiner klöſterlichen
Familie betont werden. Es darf nicht bloß ein wünſchenswertes Ak-
zidens fein, daß das Herrenrecht des Benediktinerabtes durch feine
Vatergüte gemildert wird, nein, eine ſolche Ergänzung [einer Gewalt
durch die Daterliebe iſt ein Wefensbeftandteil feines Amtes. Der Mönch
hat kraft ſeiner heiligen Regel nicht bloß eine Pflicht, ſondern ein un⸗
zweifelhaftes Recht darauf, ein Sohn ſeiner klöſterlichen Familie und
ſeines Abtes zu ſein. Dementſprechend gehört der Benediktinerabt
wohl weniger als irgend ein Oberer eines anderen Ordens ſich ſelbſt.
mit dem Tag ſeiner Wahl tritt er in ein ganz eigentümliches Dienſt⸗
verhältnis zu ſeiner Familie ein, das man ganz gut auch als einen
-Sehorfam bezeichnen Kann. Auf ihn läßt ſich vollſtändig anwenden,
was St. Auguftin einmal ſchreibt: „Wer an der Spitze des Volkes ſteht,
der muß vor allem überzeugt fein, daß er damit der Anecht der vielen
ift... . Vorgeſetzte find wir und zugleich kinechte; ſehen wir vor, dann
ſtehen wir vor (praesumus, sed si prosumus).“
Es iſt nur die nächſtliegendſte, wenn auch gewiß nicht immer leichte
Seite feiner Daterpflicht, daß vor allem er die ganze Menge der mate⸗
riellen Sorgen auf ſich nimmt, um allen das Notwendige reichen zu
können. Das Benediktinerkloſter ift ja kein großer Arbeitsbetrieb, in
dem der einzelne gegen Lohn ſchafft, ſondern eine Großfamilie, in
der der Dater zwar alle feine Kinder zur nützlichen Arbeit beizieht,
in der es aber keine Entlöhnungen nach lebloſen Tarifen gibt, ſondern
wo die geſamte Sorge für alle notwendigen Bedürfniſſe all ſeiner kinder
auf den Schultern des hausvaters liegt. Wie es nämlich ein natürliches
Recht des Kindes iſt, feinen Unterhalt von feinem Dater zu erwarten,
fo iſt es ein auf der hl. Regel (kap. 33) beruhendes Recht des Mönches,
daß fein geiſtlicher Dater für alles aufkommt, was er notwendig hat.
Darauf beruht ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen der monaſtiſchen
91
Armut eines Benediktiners und etwa der eines Franziskaners. Die
Armut, die der Heilige von Aſſiſi von feinen Söhnen fordert, ift die
heilige Sorgloſigkeit, die ſich überhaupt nicht um zeitliche Dinge küm-
mert, ſondern voll Dertrauen jeden Tag den ſorgen läßt, der die Lilien
des Feldes kleidet und die Döglein des himmels ernährt. Die Armut
des Benediktinermönches dagegen iſt die perſönliche Beſitzloſigkeit des
kindes, das alles vom Vater erwartet und dieſen ſich darum kümmern
läßt, wo er für alle das Nötige hernehmen ſoll. Mit dieſer benedik⸗
tnifhen Armut hängt es aus innerer Notwendigkeit zuſammen, daß
bei aller perſönlichen Eigentumslofigkeit des einzelnen Mönches das
Rlofter ſelbſt recht wohl ein Dermögen haben kann, ja recht eigentlich
haben muß, wenn anders die klöſterliche Familie nicht verelenden ſoll.
Das Eigentum des Benediktinerkloſters iſt aber Familien-, nicht Privat-
beſtz, und der Abt iſt der hausvater, der im Namen und für die not⸗
wendigen Bedürfniffe feiner Söhne darüber verfügt.
Es liegt auf der hand, daß eine nicht geringe Weisheit dazu gehört,
einen ſolchen oft bedeutenden Gemeinſchaftsbeſitz immer mit dem Jdeal
der perſönlichen klöſterlichen Armut in der vom hl. Benedikt ſo ſtreng
geforderten unbedingten Reinheit in Einklang zu bringen. Schon dieſe
feſtſtellung läßt vermuten, daß es Aufgabenbereiche des Vaters, des
Abtes gibt, die über die Sorge für die bloß materiellen Bedürfniſſe
feiner kinder weit hinausgehen. Wie ſchon in der natürlichen Familie
ein Dater den ihm erwachſenden Pflichten des vierten Gebotes nicht ge⸗
nügen würde, wenn er nur für das zeitliche Wohl der Seinigen ſorgen
wollte, fo würde auch der Dater der benediktiniſchen Familie feinem
beſchworenen Eide nicht nachkommen, wenn er feine Sorge nicht be⸗
feelte durch eine heilige Liebe zu all feinen Söhnen: erſt fie iſt der
Odem der klöſterlichen Semeinſchaft. Bloß materielle Fürforge müßte
beſchämend, niederdrückend auf die denediktiniſche Familie wirken und
müßte in allen das unbefriedigte Gefühl kalter Heimatloſigkeit erzeu⸗
gen. Erſt die heilige Liebe ſchärft das Auge des Haus vaters, daß er
in jedem feiner Söhne ein überaus köſtliches Pfand ſehen kann, das
Bott ſelbſt, die ewige Liebe, ihm anvertraut hat, damit er es in Treue
behüte. So ift jede einzelne Seele ihm in die Hand gefchrieben, in
fein herz gebrannt für alle Tage feines Lebens. 50 wird die Sorge
des Abtes von ſelbſt zur Seelſorge, die um jede Seele ſeiner Kinder
gegen alle feindlichen Mächte ringt und ihr nach Menfchenmöglichkeit
hilft, den Weg zu laufen, der in die himmliſche Heimat führt. Können
irgendwo die Bedingungen für eine ſolche väterliche Leitung und ſtän⸗
dige Hilfsbereitſchaft günſtiger fein? Das Familienverhältnis des Bene⸗
92
diktinerkloſters verſchafft ja dem Abt eine ganz individuelle kienntnis
feines Sohnes, und die lebenslange Dauer feines Daterberufes und
die gleichfalls erſt mit dem Tode erlöfchende Kindſchaft des Mönches
gewährleiſtet eine folgerichtige, weder durch Sprunghaftigkeit noch
durch Übdereilung unvorteilhaft beeinflußte Seelenleitung.
Daß der Abt keines feiner Rinder von feiner Daterliebe aus⸗
ſchließen darf, iſt ſelbſtverſtändlich. Ebenſo einleuchtend iſt aber auch,
daß ſeine Sorge nicht allen in gleichem Maße gilt. Schon die heilige
Regel ſelbſt empfiehlt feiner Liebe vor allem die ſogenannten ſchwieri⸗
gen Charaktere, denen er wie der gute Hirt des Evangeliums bis zur
Selbftverdemütigung nachgehen ſoll, um fie ſchließlich durch den Zwang
der unbefieglichen Liebe doch noch zu retten. Beſondere Fürſorge muß
er dann all denen zuteil werden laſſen, die wegen Krankheit oder
Alter einer außerordentlichen Pflege und Betreuung bedürfen und um
deretwillen ſogar die Strenge der klöſterlichen Übung in jedem not⸗
wendigen Maße gemildert werden darf. Aber die zarteſte Diebe des
Vaters gehört wohl mit Recht der monaſtiſchen Jugend, den eigent-
lichen „Rindern“ des hauſes. Die Erziehung dieſer Jugend wird eine
der ſchönſten Aufgaben des Hausvaters fein, in der er ſich von an⸗
deren Gliedern der Familie wohl unterſtützen aber nicht erſetzen laſſen
kann. Darum kennt der Benediktinerorden grundſätzlich keine großen
Noviziatshäuſer, wo man den jungen Nachwuchs ganzer Provinzen
gemeinſam im Geiſte eines Ordens unterweiſt. Bei uns iſt die per⸗
ſönliche Erziehungsarbeit im Schoße der eigenen Familie unter mög⸗
lichſt perſönlicher Leitung des eigenen Abtes geradezu eine Forderung
unferer benediktiniſchen Eigenart. Jeder einzelne Mönch muß eben
in den Geiſt gerade ſeines hauſes hineinwachſen und wird in Sonder⸗
heit vor allem von der tupiſchen Art feines Abtes ſelbſt vieles an⸗
nehmen. Es beſteht eine Familienähnlichkeit zwiſchen dem Dater und
dem Sohn der klöſterlichen Familie, die ihr Vorbild in der natürlichen
Familie hat und die ein Abbild jener übernatürlichen Ahnlichkeit iſt,
welche die Glieder der großen Gottes familie als Rinder ihres himm⸗
liſchen Daters an ſich tragen.
Auch in der klöſterlichen Familie gibt es ein hinauswachſen der jungen
Mönche über ihre monaſtiſchen Rinder» und gugendjahre. Solchen
mannbar gewordenen Söhnen gegenüber wird die Liebe des Vaters
zu der feinen Tugend der gerade dem Benediktinerabt fo recht eigen:
tümlichen discretio, das iſt zu einer gewiſſen Ehrfurcht des Abtes
vor dem freiwillig ſich ihm unterwerfenden Willen freier Menſchen.
Dieſer zu Männern gewordenen Söhne wird er ſich als wertvoller
93
helfer bedienen können, die ihm gar manche Daſt des klöſterlichen
haushaltes freudig abnehmen und die er an vielen ſeiner Sorgen teil⸗
nehmen laſſen darf. Dieſe helfende und beratende Unterſtützung von
ſich weiſen zu wollen, wäre ebenſo unbenediktiniſch wie ein Streben
von Benediktinermönchen nach einer Parlamentariſterung und Demo⸗
kratiſterung unſerer altehrwürdigen Familienverfaſſung. Beides unter-
gräbt in gleicher Weiſe eine der lebensnotwendigſten Bedingungen
unſerer Semeinſchaft, das gegenfeitige Dertrauen. Erſt dieſes ganz
perſönliche Dertrauen ermöglicht ja fo recht die Betätigung eines
ſpezifiſch benediktiniſchen Gehorſams. Es wäre wohl unrichtig, den
klöfterlihden Gehorſam überhaupt als beſonderes Merkmal des Bene-
diktiners zu bezeichnen; nein, der iſt notwendiges Hllgemeingut jeg⸗
lichen Ordenslebens. Aber eine ganz eigenartige Färbung hat der
benediktiniſche Gehorſam doch: er trägt nicht jenen ſtrammen, faſt
militäriſchen Charakter an ſich, den zentraliſtiſche Ordensgemeinſchaften
fordern müſſen und der gewiß nicht leichter ift als der unfrige, da er
ja nur zu oft feinem ganzen Weſen nach einer dem Sehorchenden
perſönlich unbekannten, ferner ſtehenden Autorität geleiftet werden
muß. Dem gegenüber iſt unfer Gehorſam viel individueller und kann
darum viel leichter zu jener inneren Vollkommenheit ausreifen, die
unſer heiliger Dater vom benediktiniſchen Sehorſam vorausſetzt. Wie
ſoll doch nach dem hl. Benedikt dieſer Sehorſam beſchaffen fein? Nicht
furchtſam vor allem und zaghaft, ſondern kühn und mutig im Glau⸗
ben: wie follte ſich auch banges Zögern und mutloſe Furcht zwiſchen
Rind und Vater ſtellen können? Nicht lau und gleichgültig, ſondern
voll heiligen Eifers und Derlangens nach den ewigen Gütern. Nicht
langſam und träge, ſondern ſchnell und feurig in der Liebe zu Chriftus,
der ſelber für uns gehorſam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode
am kireuze. Iſt es uns nicht von unſeren monaſtiſchen gugendtagen in
die Seele geſchrieben worden, daß gerade durch den Mund unſeres geiſt⸗
lichen Daters dieſer Chriftus, unſere hoffnung, gewiſſermaßen perfönlich
zu uns ſpricht? Und aus gutem herzen und freudigem Gemüte komme
er ſchließlich, da ja nur einen fröhlichen Geber Gott lieb hat. Wann
iſt die Erreichung dieſer letzten Endes einzigen poſitiven Anforderung,
die unfer hl. Benedikt an feine gehorchenden Söhne ſtellt, leichter mög⸗
lich, als wenn ſich der Mönch in den Kindſchafts- und Daterſchafts⸗
gedanken unſerer heiligen Regel hineingelebt hat? Da ſchwindet von
ſelber das Grundübel alles klöſterlichen Lebens, der lähmende Stolz
und der felbftgefällige hochmut und an feine Stelle tritt die Grund—
tugend jeder chriſtlichen Frömmigkeit, die kindliche Demut.
94
Diefe eingehende Unterſuchung über das Weſen des Benediktiner⸗
Abtes war notwendig; die richtige Einſtellung zu den anderen Gliedern
feiner Gemeinſchaft wird ſich für den Mönch ganz von ſelber daraus
ergeben. Wenn nämlich uns Benediktinern unſer Oberer im vollen
Sinne Vater iſt, dann find wir als feine Söhne im vollen Sinne einander
Brüder. Schon frühere zönobitiſche Formen des Mönchtums haben
den Gedanken der Bruderſchaft für das kloſterleben aſzetiſch verwertet;
er lag ja zu nahe, ſobald einmal ein geſchloſſener Derband Gleich;
ſtrebender ſich fand. Aber er entbehrte ſo recht eigentlich der letzten
inneren Begründung, folange der Obere des Rlofters nicht voll und
ganz als Vater aller Mönche angeſehen wurde. Erſt den Benedik⸗
tinern wurde darum der Mitbruder wirklich bedeutend mehr als bloß
ein Mitarbeiter im gleichen Beruf oder ein Mitkämpfer in der gleichen
Schlachtreihe: als die geiſtigen Söhne vielleicht ein und desſelben Abtes
für ihre klöſterliche Familie geboren, in jahrelanger Unterweiſung
und praktiſcher Übung mit dem kiloſter verwachſen und mit feiner
Familieneigenart vertraut, werden ſie untereinander tatſächlich zu gei⸗
ſtigen Brüdern. St. Benedikt hat darüber nicht viel Worte verloren. Wer
den von ihm fo klar und beſtimmt herausgearbeiteten Datergedanken er⸗
faßt haben würde, dem mußte ja dann ganz von ſelbſt auch der wert⸗
volle Gedanke der geiſtigen Bruderſchaft lebendig werden. Zwei viel-
ſagende Sätze hat er aber doch gerade dem brüderlichen Leben in feinen
klöſterlichen Familien geweiht: der eine Grundſatz iſt gewilfermaßen
nur die ſprichwörtlich gewordene Formulierung des Bibelwortes: Du
ſollſt deinen Nächſten lieben wie dich ſelbſt. St. Benedikt ſagt: Quod
tibi non vis fieri, alii ne feceris! „Was du nicht willſt, daß es dir ge⸗
ſchehe, das füge auch keinem anderen zu!“ (Rap. 70.) Der letzte Hauch
der Selbſtſucht wird unſerer Bruderliebe aber erſt genommen, wenn
wir den zweiten programmatiſchen Satz praktiſch in die Tat umſetzen:
Sibi invicem obediant fratres! „Die Brüder ſollen ſich gegenſeitig Ge⸗
horſam leiſten!“ (Rap. 71.) Wenn im £lofter ein Bruder den anderen
in reiner Geſinnung, »casto amore, und alle ihren Dater und Abt in
aufrichtiger und demütiger Bingebung, sincera et humili caritate-
(Rap. 72) lieben, dann gilt der klöſterlichen Familie wirklich der Preis
des Pſalmwortes: Ecce quam bonum et quam iucundum habitare
fratres in unum. „Siehe wie ſchön und angenehm iſt es, wenn Brüder
einträchtig bei einander wohnen!“ (Pf. 132, 1). So wird die bene⸗
diktiniſche Klofterfamilie zum menſchenmöglichſten Abbild der um
unſern himmliſchen Vater geſcharten Familie aller Rinder Gottes,
der Gemeinſchaft der heiligen.
95
Driefter und Mond.
Bon P. Emmanuel heufelder (Schäftlarn).
W. man auch im einzelnen das Weſen des Mönchtums beſtimmen
mag, letztes Ziel und eigentlicher Inhalt des monaſtiſchen Jdeals,
auch im Orden des hl. Benediktus, ift und bleibt die reſtloſe Hingabe
des Menfchen an Gott, verwirklicht in einem Leben nach den evan⸗
geliſchen Räten. „Der Ordensſtand ift eine Art holocaustum, ein, Sanz⸗
opfer, durch das ſich einer mit allem, was er iſt und hat, vollſtändig
Bott zum Opfer bringt!.“ Am greifbarften drückt fi) dieſe uneinge⸗
ſchränkte Hingabe des eigenen Ich im klöſterlichen Gehorſam aus, im
Opfer des Willens. Der hl. Benedikt fieht in dieſem fo ſehr den Bern
des Ordenslebens, daß er feine Mönche Armut und kteuſchheit gar
nicht mehr eigens geloben läßt; wer den eigenen Willen hingegeben
hat, für den iſt der Verzicht auf die äußeren Güter und auf die freie
berfügung über den Leib ſelbſtverſtändlich. Dafür baut Benedikt durch
zwei andere Gelübde gleichſam eine Schutzmauer auf, die das mo⸗
naſtiſche Ideal der völligen hingabe an Bott gegen jeden Angriff ſichern
und vor den Schäden bewahren ſoll, an denen das Mönchtum ſeiner
deit vornehmlich krankte: vor der Deräußerlichung und vor der Un-
beſtändigkeit. Einem veräußerlichten Sarabaitentum gegenüber, das
nur die äußere Form ohne den inneren Geiſt des Mönchtums hatte,
läßt er feine Mönche durch das Gelübde eines „neuen Lebenswandels“,
der conversio morum, verſprechen, ſich wirklich innerlich Kott zum
Opfer zu bringen; gegenüber der Unbeſtändigkeit aber, wie fie in ex⸗
tremſter Weiſe durch das Byrovagentum verkörpert war, ſoll das
Belübde der Beharrlichkeit, der stabilitas, einen halt bieten, durch das
der Benediktiner zeitlebens an einen ganz beſtimmten gottgeweihten
klöſterlichen Derband gleichſam „gefeſſelt“ wird. Das Derharren in
feiner klöſterlichen Familie, die stabilitas in congregatione, iſt für den
Mönch das Unterpfand der stabilitas cordis, der Beharrlichkeit des
herzens, der ſtändig dauernden Bingabegefinnung. Dieſe beiden Ge⸗
lübde find es, die dem Benediktinerorden gegenüber anderen Formen
des Mönchtums feine beſondere Eigenart gegeben haben; fie haben
in der benediktiniſchen Gemeinfchaft eine heilige Opfergemeinſchaft von
Brüdern begründet, die vom Geiſt der Botteskindfchaft zu einer Familie
Juſammengeſchloſſen, in gemeinſamer hingabe durch ihren Vater, den
Abt, ſich Zott als Opfer darbringen.
St. Thomas. S. th. II II. q. 186 a. 7: Religionis status est quoddam holo-
caustum, per quod aliquis totaliter se et sua offert Deo.
96
Dieſe benediktinifche Gemeinfhaft war zunächſt eine caiengemein ·
ſchaft und ſollte nach der Abſicht des Stifters auch nichts anderes ſein.
Nun brauchte aber dieſe Gemeinſchaft von Anfang an Priefter zur
Befriedigung ihrer ſeelſorglichen Bedürfniſſe; wollte man daher nicht
ganz auf fremde Prieſter angewieſen ſein, ſo mußte man Glieder der
eigenen Gemeinſchaft dazu weihen laſſen. Auch begehrten ſchon zur
Zeit des hl. Benedikt ſolche, die bereits Prieſter waren, Aufnahme in
das Kloſter. So entftand eine Derbindung von Prieſtertum und Mönch⸗
tum und damit war auch die Frage gegeben, in welchem Verhältnis
beide zueinander ſtünden. Wenn man das von den Prieſtern im kloſter
handelnde 60. und 62. Kapitel unſerer Regel lieſt, fo kann man ſich
des Eindrucks nicht erwehren, daß der hl. Benedikt, der wohl ſelbſt
nicht Prieſter war, von Prieſtern unter ſeinen Mönchen eine gewiſſe
Gefahr für die Reinerhaltung des monaſtiſchen deals befürchtete, die
beſonders den klöſterlichen Gehorſam betreffen konnte. Mit der ganzen
Schärfe und Beſtimmtheit, die er immer dort anwendet, wo es ſich
um grundſätzliche Fragen handelt, betont er wiederholt, daß die Würde
des Prieftertums in keiner Weiſe zu einer Rusnahmeſtellung im kloſter
führen dürfe, daß ſich die Prieſtermönche vielmehr vollſtändig in den
Organismus feiner klöſterlichen Semeinſchaft einzufügen hätten und in
allen Stücken, beſonders auch in Bezug auf äußere Betätigung des
Prieſtertums, wie die übrigen Mönche ohne Einſchränkung unter dem
Sehorſam ſtünden. Ein Prieſtermönch, der ſich nicht willig in die
Gemeinſchaft einordnet, ſoll nach vorheriger Mahnung unnachſichtlich
aus dem Kloſter entfernt werden; man foll in ihm dann nicht den
Priefter ſehen, ſondern nur den Rebellen: »non sacerdos sed rebellio
iudicetur<. Die Frage nach dem Verhältnis von Prieſter- und Mönchtum
erſcheint ſomit in der Regel St. Benedikts für die Praxis im Sinne einer
völligen Unterordnung des Prieſtertums unter das Mönchtum gelöft.
Solange die Prieſtermönche die Ausnahme bildeten und in ihrer Tätig⸗
keit im wefentlichen auf die Seelſorge der klöſterlichen Semeinſchaft
beſchränkt blieben, ſolange konnte dieſe praktiſche Löfung vielleicht
genügen. ge mehr aber die Zahl der Prieſter über die Bedürfniſſe des
Rlofters ſelbſt hinausging und je mehr infolgedeſſen prieſterliche Tätig⸗
keit nach außen in den Wirkungsbereich des kloſters aufgenommen
wurde, um fo mehr mußte es ſich zeigen, daß dieſe praktiſche böſung
eine Reihe ſtrittiger Fragen in ſich ſchließt. M eine ſolche Unterordnung
des Prieftertums unter das Mönchtum grundſätzlich berechtigt? Er—
ſcheint dabei das Prieſtertum nicht faſt als eine bloß äußere Zutat
zum Mönchtum? Müßte nicht viel eher das monaſtiſche Meal, To
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hoch man es auch ſtellen mag, vor der alles überragenden und von
Bott ſelbſt verliehenen Würde des Prieſtertums zurücktreten? Aann
insbeſondere die ſeelſorgliche Betätigung grundſätzlich an den Willen
eines Obern gebunden ſein, der vielleicht ſelber gar nicht Prieſter iſt,
oder gilt nicht vielmehr der Satz, daß vor allem die Seelen gerettet
werden müſſen: »salus animarum suprema lex«? Ift ſchließlich über-
haupt eine über die ſeelſorglichen Bedürfniſſe der klöſterlichen Gemeinde
hinausgehende Dereinigung zwiſchen Prieftertum und Mönchtum mög:
lich, oder muß bei einer folchen Derbindung notwendig das eine oder
das andere deal abgeſchwächt werden?
Es hat Zeiten gegeben, in denen man dem Mönchtum jede Berech⸗
tigung zu prieſterlicher Seelſorgsarbeit abſprach, ja die Mönche für
„unwürdig des prieſterlichen Amtes“ erklärte !. Dieſe Anficht iſt freilich
längſt widerlegt durch eine mehr als tauſend jährige, von der Kirche
ſelbſt anerkannte Verbindung von Prieftertum und Mönchtum und ein
ebenſo langes, überaus fruchtbares ſeelſorgliches Wirken von Priefter-
mönchen. Es gab andere Zeiten, in denen man den Mönchen zurief:
„heraus aus euren Chorftallen! Treibt mehr Seelſorgsarbeit!“ Solchem
Drängen gegenüber drohte das monaſtiſche Ideal den ſelbſtändigen
Wert, den es doch ſicher hat, zu verlieren und zu einem bloßen Mittel
der Seelforge zu werden. Die Löfung all dieſer Fragen iſt nicht nur
für den einzelnen Prieſtermönch und fein prieſterliches Wirken von
höchſter Bedeutung, ſondern ſie iſt auch entſcheidend für die Frage,
worauf ein Priefterorden als Ganzes fein Hauptaugenmerk zu richten
hat, auf die Derwirklichung des monaſtiſchen Jdeals oder auf äußere
priefterliche Betätigung.
Um nun das richtige Derhältnis zwiſchen Prieſtertum und Mönchtum
zu erkennen, müſſen wir uns über den weſentlichen Inhalt und die
eigentliche Aufgabe der beiden Berufskreife klar fein. Das Weſen
des Mönchtums iſt als reſtloſe hingabe an Gott eindeutig genug be⸗
fimmt.. Der Inhalt und die Aufgabe des Prieftertums kann wohl
dahin zuſammengefaßt werden, daß es die Fortſetzung des Hohen⸗
prieſterrums Chriſti ift nach dem Wort des Beilands: „Wie mich der
bater geſandt hat, fo ſende ich euch“ (Joh. 20, 21). Dieſes Prieſtertum
chriſti iſt aber fo umfaſſend, daß nur der Gottmenſch geſus Chriftus
ſeloſt als der Hoheprieſter deſſen ganzen Reichtum nach allen feinen
Seiten hin verwirklichen konnte. Die einzelnen Nachfolger Chriſti, die
cap. 25 Sunt nonulli C. 16 qu. 1; fälſchlich Bonifaz IV. zugeſchrieben. — vgl.
auch die Schriften Ruperts von Deutz: Altercatio monachi et clerici Pl 170, 537,
Epistola, qua ratione monachorum ordo praecellit ordinem clericorum ebd. 669.
Benediktiniſche Monatſchriſt VI (1924). 3-4 7
98
diefes fein Prieſtertum fortſetzen, werden immer nur die eine oder die
andere Seite des Prieſtertums Chriſti tatſächlich darſtellen und in be⸗
ſonderer Weiſe ausprägen können, ohne indes die anderen ganz aus⸗
zuſchließen. Darum gibt es in unſerer Kirche nicht nur verſchiedene
Grade der prieſterlichen Gewalt, abgeftuft nach der Ordnung der Hier:
archie, ſondern auch verſchiedene Formen des einen Prieſtertums. Erſt
in ihrer Seſamtheit bringen dieſe verſchiedenen Grade und Formen
alle Seiten des Hohenprieftertums Chriſti zum Ausdruck, erft in ihrer
Seſamtheit ſetzen fie das ganze Prieſtertum Chriſti in feinem über-
ſtrömenden Reichtum und feiner umfaſſenden Fülle fort. Paulus nennt
die Prieſter „Diener Chriſti“ (1 for. 4, 1). Der Priefter iſt Diener Chriſti
im gleichen Sinn wie einft die menſchliche Natur des Hheilands während
feines Erdenlebens Dienerin, Organ feiner Bottheit war: instrumentum
divinitatis, wie die heiligen Däter und die Sottesgelehrten fagen.
Chriſtus aber bediente ſich ſeiner menſchlichen Natur nicht nur, um
das Wort Gottes zu verkünden und um Gnaden auszuteilen, alfo zu
unmittelbarer Seelforgstätigkeit; er bediente ſich ihrer vor allem, um
in ihr ein prieſterliches Opfer zu haben, das er dem Vater darbringen
könne. Er will auch jetzt nicht bloß den Mund feiner „Diener“ ge⸗
brauchen, um zu lehren, ihre hände, um zu fegnen und die Gnaden-
mittel auszuſpenden; er will ſich ihrer Natur gleich der ſeinigen auch
bedienen, um fort und fort ein prieſterliches Opfer zu haben und ſo
„an ihrem Fleiſch zu erſetzen, was an ſeinen Drangſalen mangelt“
(Kol. 1, 24). Wenn die Fortſetzung der erſten Aufgabe vor allem dem
Weltprieſter zufällt, wenn in ihm Chriſtus vor allem als der Seelſorger
fortleben will, ſollte dann nicht die Derbindung des Prieſtertums mit
dem Mönchtum, mit jenem Stand der Kirche, deſſen Weſen reſtloſe Hin⸗
gabe an Gott, holocaustum für Gott iſt, den Sinn haben, daß im
Prieſtermönch Chriſtus vor allem ſein prieſterliches Opfer fortſetzen will?
Wenn dem fo iſt, dann iſt die Derbindung von Mönchtum und Prieſter⸗
tum nicht mehr etwas Zufälliges und Hußeres, ſondern wirklich eine
organiſche Einheit. Der Prieſtermönch ift dann kein Zwitterwefen, er ift
kein Weltpriefter im Ordensgewand, und das Rlofter ift nicht eine Der-
einigung von Seelſorgern; das Prieſtertum iſt aber auch keine bloße.
Zutat zum Mönchtum. Die prieſterliche Gewalt ift feine Weihe, feine
ktrönung und Vollendung: obedientiae suscipiat coronam, sacer-
dotalem stolam«, wie Rupert von Deutz fagt!. Das monaſtiſche Geben
ermöglicht dem Prieſtertum erſt voll und ganz, wie der göttliche Meiſter
' Com. in Regulam S. Benedicti II, 9. Pl. 170 (1854) 516 D. Siehe auch
Odilo Wolff, mein Meifter Rupertus. Freiburg 1920. Kap. 15, 187 ff.
99
Priefter und Opfer zugleich zu fein: „Sanzopfer” durch die reftlofe
hingabe feiner ſelbſt in Armut, Reufchheit und Gehorſam. Das Priefter-
tum hinwiederum gibt dem Opfer des Mönchs zur tieferen Derpflich-
tung gewiſſermaßen die „Weihe“: es verwandelt das holocaustum des
Mönds in ein prieſterliches sacrificium mit prieſterlicher Bedeutung
und Wirkung, zur Fortſetzung des prieſterlichen Selbſtopfers Chriſti.
In dieſer Auffaffung liegt auch die Löſung all der Fragen, die fi
aus der Vereinigung von Prieftertum und Mönchtum ergeben haben.
es iſt wirklich eine Vereinigung zwiſchen beiden möglich, die ſowohl
dem Prieſterideal, als der Fortſetzung der Sendung Chriſti, wie auch
dem monaſtiſchen Jdeal, als der reſtloſen hingabe an Gott, gerecht wird.
Das Prieſtertum wie das Mönchtum verpflichten beide den Priefter-
mönch zur Erftrebung des einen Zieles: ganz Opfer zu fein in voll»
kommener Nachfolge Chriſti. Darin liegt die weſentliche Berufsaufgabe
des Prieſtermönches. Und weil diefes Opfer im Sehorſam gipfelt,
darum kann der Prieſtermönch jede weitere prieſterliche Tätigkeit, ins⸗
befondere jede ſeelſorgliche Betätigung auch nur im Gehorſam gegen
die Ordensregel und den Willen feines Obern ausüben. Würde er
über den Sehorſam hinausgehen, fo würde er damit feiner weſent⸗
lichen Berufsaufgabe, Opfer zu ſein, untreu werden. Das bedeutet
keine Unterordnung des Prieſtertums als ſolchem unter das Mönd)-
tum, ſondern nur die Unterordnung deſſen, was für den Prieſtermönch
nicht weſentlich iſt, unter das, was das eigentliche Weſen ſeines Be⸗
rufes ausmacht. Es hat feinen tiefen Sinn, wenn der Mönch auf
den Titel feines Profeßgelübdes, in titulum professionis, nicht für den
Dienft in der Diözeſe, servitii dioeceseos, geweiht wird und wenn
er am Schluß der Prieſterweihe als Neuprieſter nicht dem weihenden
Biſchof, ſondern feinem Ordensobern Behorfam gelobt, in deſſen hände
er bei der Profeß fein „Opfer“ niedergelegt hat. Wenn fo das „Opfer:
fein” beim Prieſtermönch gegenüber der äußeren prieſterlichen „Tätig⸗
keit“ als Weſensaufgabe betrachtet wird, fo bedeutet das keinen Derluft
' Damit wird aber der Prieſtermönch bei der Ausübung der Seelforge nicht zum
willenloſen Werkzeug in der hand des Obern, der ſelbſtverſtändlich ſeinerſeits für
alle feine Befehle und Anoroͤnungen auch in dieſem Punkte verantwortlich iſt. Wenn
der Obere einem Mönch einmal eine Seelſorgsarbeit zuweiſt, fo überträgt er ihm zu⸗
gleich auch die Derantwortung dafür, daß er dieſe Aufgabe nach beftem Können zum
heil der Seelen ausführt. Dieſe ſelbſtändige Derantwortung hat der Mönch
unter Umftänden fogar feinem Obern gegenüber zu vertreten, folange dieſer ihn in
feiner Stellung beläßt, gerade in Kraft des Gehorſams, der ihm befiehlt, feine
ganze Perſönlichkeit in den Dienſt einer Aufgabe zu ſtellen, die ihrer Natur nach
ſelbſtändige Ausführung verlangt.
7 *
100
für die Seelſorge. Im Gegenteil: felbft wenn der Prieſtermönch keine
andere prieſterliche Tätigkeit ausübte, als daß er täglich im heiligen
Meßopfer fein perſönliches Opfer mit dem prieſterlichen Opfer Chrifti
vereinigte, ſo würde er doch eine fruchtbare Tätigkeit zum heil der
Seelen entfalten. Mit Paulus erſetzt er in ſeinem Fleiſch, „was an
den Drangfalen Chriſti mangelt für feinen Leib, die Kirche“ (Kol. 1, 24).
Er gibt ſich fo mit Chriftus „für die kirche hin, um fie zu heiligen“
(Eph. 5, 26). Wenn aber der Wille Gottes im klöſterlichen Gehorſam
den Prieſtermönch wirklich zu äußerer prieſterlicher Tätigkeit ruft, dann
wird er um ſo ſegensreicher und nachhaltiger wirken, je vollkommener
er ſeine eigentliche Weſensaufgabe, mit Chriſtus Opfer zu ſein, vorher
ſchon verwirklicht hat und auch während ſeiner äußeren Tätigkeit ver⸗
wirklicht. Die Geſchichte aller Orden, nicht zuletzt des Benediktiner⸗
ordens beweiſt das. Einer erhöhten apoſtoliſchen Wirkſamkeit nach
außen ging immer voraus eine Erneuerung des inneren Lebens, eine
erhöhte Pflege der hauptaufgabe: Opfer zu ſein. Wenn aber über der
äußeren Arbeit das Weſentliche des Mönchsberufes vergeſſen wurde,
ging bald auch wieder die äußere Wirkſamkeit zurück. Im prieſter⸗
lichen beben Chriſti ſelber dürfen wir eine Beſtätigung dieſer Gedanken
ſehen. Seine „ſeelſorgliche“ Tätigkeit war auch beſchränkt durch den
Willen des Vaters, durch das Opfer, das der Sehorſam gegen dieſen
von ihm verlangte. Nur drei gahre ſeines Erdenlebens galten der
unmittelbaren Seelſorgstätigkeit. Er kann nicht wirken, wie er will,
ſo ſehr ſein herz von Eifer für das heil der Seelen glüht, ſondern
er muß warten bis „feine Stunde gekommen iſt“ (Joh. 2, 4). Er iſt „nur
zu den verlorenen Schafen des hauſes Ifrael geſandt“ (Mt. 15, 24),
nicht zu den Heiden, obwohl ſich ihm hier ein viel fruchtbareres Acker:
feld dargeboten hätte. Wie ſchlugen ihm in Samaria alle Herzen ent:
gegen! Aber er durfte nur zwei Tage bleiben. War es ein Derluft für
die Seelſorge oder hat nicht gerade dieſes ſein „Opfer“ die Seelſorgsarbeit
der anderen befruchtet? „Bewahrheitet ſich hier nicht das Wort: „Der
eine ſät, der andere erntet“? Ich fandte euch aus zu ernten, wo ihr nicht
gearbeitet habt; andere haben gearbeitet, und ihr ſeid in ihre Arbeit ein⸗
getreten“ (Joh. 4, 37 f.). Die Art, in der der hl. Benedikt das Derhältnis
von Prieſtertum und Mönchtum beſtimmt hat, enthält ſomit die einzig
richtige böſung. Das Prieſtertum entbindet den Mönch nicht vom klö⸗
ſterlichen Gehorſam und von der Regel, ſondern verpflichtet ihn noch
mehr dazu. Als Prieſter muß er erſt recht „Sanzopfer“ fein, muß er
wiſſen, daß er ſich fortan weit mehr der klöſterlichen Zucht zu unterſtellen
hat: sciens se multo magis disciplinae regulari subdendum (fßtap. 62).
101
Wenn nun auch in diefer Weiſe Priefterideal und monaſtiſches Ideal
fi wirklich organiſch und harmoniſch verbinden zur beſonderen Berufs⸗
aufgabe des Prieſtermönchs, Sanzopfer zu fein, fo bleibt doch die Tat⸗
ſache beſtehen, daß der Benediktinerorden urſprünglich eine Laien⸗
gemeinſchaft war und nach der Abſicht des Stifters auch ſein ſollte.
Bedeutet nun die Entwicklung des Ordens zur einer ausſchließlichen
prieſtergemeinſchaft keinen Gegenſatz wenigſtens zu der beſonderen
Form, in der ſich nach der Wee des hl. Benedikt das monaſtiſche Ideal
in feiner Stiftung verwirklichen follte? IM nicht dadurch dieſe feine
Stiftung etwas weſentlich anderes geworden? Jſt insbeſondere die
ausgedehnte prieſterliche Hußenarbeit fo vieler kilöſter noch mit der
Regel des hl. Benedikt vereinbar oder muß, um dieſe Tätigkeit aus⸗
üben zu können, der urſprüngliche Sinn dieſer Regel umgedeutet und
ihr weſentlicher Gehalt aufgegeben werden?
etwas Neues war die Umwandlung in eine prieſtergemeinſchaft
fiherlih. Aber fie bedeutete keinen Verzicht auf St. Benedikts Ideal,
ſondern nur deſſen Weiterführung und Vollendung. Ruch ohne äußere
Anläffe wie etwa den Prieftermangel zur Zeit Gregors des Großen,
der den Papſt zur Weihe von Mönchen ſchreiten ließ, wäre ſie wohl
gekommen. Das Prieſtertum gibt nämlich nicht nur dem Mönchsideal
im allgemeinen, d. h. der reſtloſen hingabe an Gott, feine Weihe und
Erfüllung, es bedeutet gerade für die beſondere Eigenart, in der dieſes
Neal in der Stiftung des hl. Benedikt verwirklicht werden ſoll, die
&rönung und Vollendung.
das Benediktinerkloſter iſt feiner Idee nach eine Familie, eine Ge⸗
meinſchaft, die jenes vollkommene Einsfein, um das der heiland in
einem hohenprieſterlichen Gebet (Joh. 17, 23) fo innig gefleht hat, voll
und ganz verwirklicht, eine Gemeinfchaft, bei der die Hingabe an Bott
durch den klöſterlichen Gehorſam in der Hhingabe und brüderlichen Liebe
der Glieder der Gemeinſchaft untereinander ihre ſchönſte Auswirkung
und Beſtätigung findet.! Daß das bloße theologiſche Studium eine
diel tiefere Erfaſſung dieſes Bemeinfchaftsgedankens ermöglicht, ſoll
nur angedeutet werden. Welche Erkenntniſſe vom Weſen und Zweck
aller Gemeinſchaft auf Erden tun ſich auf, wenn wir eindringen in das
Beheimnis der Gemeinſchaft der drei göttlichen Perſonen in der Trinität,
in das Geheimnis der Dereinigung Bottes mit dem Menſchen in Chriftus,
in Gnade und Glorie, in das Geheimnis der „Semeinſchaft der hei⸗
ligen!“? Dieſes Semeinſchaftsideal kann eine Prieſtergenoſſenſchaft ſchon
gl. Heilige Regel Rap. 72. Dgl. den Auffag: Der Einheitsgedanke im kirchlichen
beben der jenem: und Ofterzeit (diefes Heft).
102
deshalb viel vollkommener verwirklichen, weil fie der Euchariftie, dem
Urquell aller kirchlichen Einheit am nächſten ſteht. „Die Eudyariftie
iſt das Sakrament der Einheit der Kirche, da es Chriſtus enthält, in
dem die ganze Kirche geeint und gefeſtigt iſt; daher iſt die Eudhariftie
gewiſſermaßen Urſprung und Band der Liebe!“. Die Euchariftie iſt die
tiefſte Quelle der keuſchen Bruderminne, der caritas fraternitatis casta,
mit der die Mönche ſich gegenſeitig lieben und der lautern, ehrfürchtigen
Liebe zum Obern, der sincera et humilis caritas, mit der fie ihrem
Vater begegnen ſollen. Durch das Gemeinſchaftsopfer mit der Aom-
munion und durch das damit weſentlich verbundene Gemeinſchafts⸗
gebet, durch den Vollzug der Liturgie alſo, werden die Glieder der
klöſterlichen Gemeinde erſt eine Familie von Brüdern im Dollfinn des
Wortes, fie werden blutsverwandt durch das von allen genoffene Blut
Chrifti, fie werden ein Leib, unum corpus, geeint unter einem haupt,
nämlich Chriftus und feinem Stellvertreter, dem Abt, qui Christi agere
vices in monasterio creditur (Regel ap. 2). Das „Derharren im Gebet
und in der Gemeinſchaft des Brotbrechens“ macht, daß alle Glieder der
klöfterlichen Familie gleich den erſten Chriften „ein herz und eine Seele“
(Hpoſtg. 4, 32) find. Zu dieſer engen Derbindung mit dem wirklichen
beib Chrifti in der Euchariftie kommt noch, daß eine Semeinſchaft von
Prieſtern viel tiefer eingegliedert iſt in den Organismus ſeines muſti⸗
ſchen Leibes, in den Organismus der ktirche. Das Prieſtertum iſt gleich⸗
fam das Herz der Kirche, das herz des muſtiſchen Leibes Chriſti. Durch
die prieſterliche Weihe haben die Glieder der klöſterlichen Semeinſchaft
am Lebensprinzip der kirche, dem hl. Geift, dem Geift der Liebe und
der Einigung den unmittelbarſten Anteil. Das Leben der klöſterlichen
Semeinſchaft wird ein beben ganz in und mit der Kirche, der Gemein:
ſchaft der heiligen auf Erden. Das Rlofter wird ſelber eine Gemein:
ſchaft der Heiligen, eine Kirche im kleinen, eine lebendige Zelle im
großen muſtiſchen Organismus, die, wenn ſich ihre Gebenskraft voll
entfalten kann, nun nicht mehr bloß das Leben des Leibes der Kirche
in ſich aufnimmt, ſondern felber wieder Quelle neuen Lebens wird zum
Wachstum des ganzen Leibes der kirche. Wenn die kirche den kflö⸗
ſtern, nachdem ſie einmal zu Prieſtergemeinſchaften geworden waren,
die Exemtion verlieh, fo war das nicht etwas Außeres und Zufälliges,
ſondern es entſprach dem Weſen der benediktiniſchen Familiengemein⸗
(haft. Durch die Exemtion iſt der Abt eine hierarchiſche, mit einer Art
St. Thomas ſagt irgendwo: Eucharistia est sacramentum ecclesiasticae
unionis, continens illum in quo tota ecclesia unitur et consolidatur seil. Chri-
stum; unde Eucharistia est quasi quaedam caritatis origo et vinculum.
103
biſchöflicher Rechtsgewalt ausgeſtattete Perfönlichkeit: der Ordinarius
feines Blofters, das mit ihm in etwa eine Diözeſe bildet. Erſt wenn
ſo der Abt auch die volle prieſterliche Gewalt über feine Rinder hat,
kann ſich das benediktiniſche Meal einer Familie, das die Kirche ja
ſchon längſt anerkannt hatte, ehe es ſich mit dem Prieſtertum verband,
das Ideal einer Opfergemeinſchaft von Brüdern unter einem Vater mit
väterlicher Dollgewalt ganz entfalten zum Heil der ganzen Kirche.
50 hat die Derbindung von Prieftertum und Mönchtum in unſerem
Orden dem Jdeal des hl. Benedikt keinen Eintrag getan, ihm vielmehr
erſt feine kkrönung und Vollendung gegeben. Sie hat unferen Orden
auch zu einer umfaſſenden prieſterlichen Außentätigkeit, zur Seelſorge
im weiteſten Sinn geführt. Es lag ja auch gerade in feiner Eigenart
ſo viel feelforgliche Araft, daß er ganz von ſelber zum apoſtoliſchen
Wirken kommen mußte. Der hl. Benedikt hat ſeiner Stiftung keine
beſtimmte Außentätigkeit als Lebenszweck gegeben; jede Tätigkeit,
auch die Seelſorge, ift dem Benediktiner angemeſſen, foweit fie ſich —
und das iſt die Grenze, die nicht überſchritten werden kann, — im Rah-
men der benediktiniſchen Familiengemeinſchaft ausüben läßt. Darum
muß jede Tätigkeit, auch eine prieſterlich⸗ſeelſorgliche, die den Mönch
für dauernd aus dieſer Gemeinſchaft herausreißen würde oder doch für
fo lange Zeit, daß er feiner Zemeinſchaft entfremdet werden müßte,
aus dem Wirkungsbereich unſeres Ordens ausgeſchloſſen und anders
gearteten Derbänden überlaſſen werden!. Dafür gibt es aber auch
feelforgliche Betätigungen, die nicht nur keine Hemmung erfahren
durch die ſtrenge monaſtiſche Semeinſchaft eines Benediktinerkloſters,
ſondern zu deren Ausübung gerade De Semeinſchaftsideal ganz
beſonders befähigt.
Solch eine „benediktiniſche“ Seelſorgstätigkeit, wenn ich fo Jagen
darf, ift einmal die Jugenderziehung. Der Orden hat fie nicht ohne
Grund von feinen erſten Anfängen an, noch zu Lebzeiten feines Stifters,
gepflegt. Die naturgemäßeſte Erziehung iſt an ſich die in einem idealen
Elternhaus, in einer idealen Familie. Aller Erziehung außerhalb des
Eiternhaufes fehlt etwas, was ihr eben nur die Familie geben kann.
' Wenigftens gilt dies für das Ganze des Kloſters. Wie weit unter befonderen
Umſtänden einzelne Mönche für beſondere Miſſtonen äußerlich und örtlich aus
dem Familienbande im Gehorfam heraustreten können, zeigt u. a. das Beiſpiel der
heiligen Miffionäre, eines hl. Bonifatius und anderer, denen niemand den echt klöſter⸗
lichen Sinn abſprechen wird. Dieſer offenbart ſich übrigens nicht zuletzt darin, daß
fie immerwährend bemüht find, den Fuſammenhang mit dem Kloſter, aus dem fie
ausgegangen, zu wahren und ſich und anderen, wo fie hinkommen, eine Rlöfter-
liche heimat zu ſchaffen.
104
Wenn aber überhaupt irgendwo außerhalb der natürlichen Familie
und des Elternhauſes, dann kann die Familienerziehung wohl von
ſolchen erſetzt werden, die ſelber in einer ſo lebendigen Familien⸗
gemeinſchaft ſtehen wie die Glieder eines Benediktinerkloſters. ge
mehr der Benediktiner vom Jdeal feines Ordens erfüllt iſt, je mehr
er die Derwirklichung dieſes Jdeals in feiner eigenen Kloſter familie
erlebt, umſo mehr wird er als Erzieher zwiſchen ſich und den ihm
Anvertrauten ein Verhältnis väterlich⸗dienender auf der einen und
kindlich⸗ergebener Liebe auf der anderen Seite herzuſtellen willen, das
ein Abbild jener Semeinſchaft iſt, in der Abt und Brüder im Rlofter
miteinander verbunden find. Der Geift der Ordensgemeinde, der „Beilt
der Rindſchaft“ ſtrömt über auf die der Ordensgemeinde Anvertrauten,
fo daß dieſe gleichſam eine Erweiterung der Kloſterfamilie darſtellen
und ſich im Schatten des heiligtums wirklich als kinder wie zu
Baufe fühlen können.
neben der gugenderziehung hat der Benediktinerorden ebenfalls von
Anfang an eigentliche Seelſorge ausgeübt im weiteſten Sinn und in den
verſchiedenſten Formen direkter und indirekter Seelſorge. Auch diefe
Seelforgsarbeit erhält wie die Erziehungstätigkeit durch den Geiſt des
Ordens einen eigenen Charakter. Sie iſt „benediktiniſche“ Seelſorge,
d. h. Seelſorge aus der benediktiniſchen Semeinſchaft heraus. Das
kirchliche Recht nennt Pfarreien, die irgend einem Klofter angegliedert
find, „inkorporiert“. Die benediktiniſche Seelſorge kann dieſes Wort
in ſeinem vollen und tiefen Sinn nehmen: ſie betrachtet die Pfarrei
als wirklich dem kloſter „einverleibt“. Die Pfarrgemeinde ift wie die
zur Erziehung übergebene Jugend gleichſam nur eine Fortſetzung der
klöſterlichen Semeinſchaft, eine Erweiterung des klöſterlichen Orga⸗
nismus. Und das ideale Ziel dieſer Seelſorge iſt: im Gemeinſchaftsgeiſt
des Kloſters, im warmen Hauch einigender brüderlicher Liebe kiloſter
und Pfarrei zu einer Einheit, zu „einem muſtiſchen Leib“ zuſammenzu⸗
ſchließen. Die Pfarrgemeinde ſoll wirklich ans kiloſter gefeſſelt werden,
fie ſoll im &lofter einen herd des religiöfen und weiterhin des geiſtigen
und kulturellen bebens überhaupt finden. Das kloſter ſoll gleichſam
ein „Heim“ werden für die Pfarrkinder und nicht nur für dieſe, ſondern
ſchließlich für alle, die ein heim ſuchen und brauchen, für alle müden
Seelen, für alle Bedrängten und Notleidenden, eine Stätte, die das
Wort Pax=-Friede! nicht nur als Wahlſpruch über dem Eingang trägt,
ſondern die auch ein Born des Friedens iſt für alle, die ſich nach dem
Frieden ſehnen. Der Familiengeiſt, der in dieſem Mittelpunkt der
Pfarrgemeinde lebendig iſt, ſucht vor allem die Familien der Pfarrei
105
zu durchdringen und in ihnen Seiſt von feinem Geiſt zu erzeugen und
ein echt chriſtliches Familienleben, ein Gemeinſchaftsleben im Geiſte der
Botteskindfchaft zu wecken. Die Erneuerung der Familien gilt als eine
der wichtigſten Aufgaben der modernen Seelſorge. Der Orden, der ganz
auf dem Gedanken der Familie aufgebaut iſt, in dem jedes einzelne
kiloſter eine Familie bildet mit all dem Glück und all der Innigkeit,
aber auch mit all den Schwierigkeiten einer wirklichen Familie, muß hier
wohl beſonders fruchtbar wirken können. Weil Kloſter und Pfarrei
fo eng miteinander verwachſen find, daß fie einen Leib bilden, darum
hängt eigentlich das Sedeihen der Pfarrei, die kraft des religiöſen
bebens in ihr ab von dem Geiſt, der im ganzen Rlofter herrſcht. Die
benediktiniſche Seelſorge iſt darum auch in dem Sinn „Gemeinſchafts⸗
ſeelſorge“, daß jeder Mönch, nicht nur der, der unmittelbar in der
deelſorge beſchäftigt iſt, mit der dem kloſter „einverleibten“ Pfarrei
mitleben, ſich für den Erfolg der Seelſorgsarbeit mit verantwortlich fühlen
und durch fein Beten und Opfern, durch ein Leben im Geiſte des Ordens
ihr Wachstum und Gedeihen fördern muß; eine Tatſache, die den ein⸗
zelnen ebenſo beglücken kann wie fie ernſt zugleich iſt.
es iſt übrigens nicht notwendig, daß dem Kloſter eine Pfarrei im
kirhenrechtlichen Sinn angegliedert iſt. Es kann auch ohne alle recht⸗
lichen Befugniſſe benediktiniſche Gemeinſchaftsſeelſorge in der entwickel⸗
ten Art ausüben auf viel weitere Strecken als die renzen einer Pfarrei
je reihen können; es kann ſich eine geiſtige Gemeinde angliedern
und für fie Mittelpunkt und heimat fein, eine geiſtige Gemeinde, die
ihr emeinſchaftsleben mitlebt, vor allem durch die Teilnahme an ihrem
Bemeinfchaftsgebet und ihrem Gemeinſchaftsopfer. In ſolchem Beift
haben die Söhne des hl. Benediktus auch ſeit mehr als einem gahr⸗
tauſend ſo ſegensreich „benediktiniſche Miſſion“ geübt: ſie ſtellten wie
hochragende Burgen ihre Klöſter ins Land hinein als Stätten des
Bebetes und des Opfers und heiliger Bruderliebe, als Brennpunkte
des religiöſen und kulturellen Lebens für die nähere und weitere
Umgebung, als Araftzentren, die alles an ſich zogen und alles mit
ihrem Überſchuß an Lebenskraft bereicherten. Auch heute arbeitet
denediktiniſche Miſſion in diefem Sinn. Erſt dort iſt die eigentliche
Miſſtons arbeit abgeſchloſſen und ihr erfolg geſichert und erſt dort die
apoſtoliſche kraft, die in unſerm Orden liegt, voll ausgenützt, wo
inmitten des neugewonnenen Gebietes lebens kräftige klöſterliche Ge-
meinſchaften erſtanden ſind, aus denen nun fort und fort wie aus
einer nie verſiegenden Quelle der Seiſt der Sotteskindſchaft ausſtrömt
auf alle, die im Bannkreis einer ſolchen Gemeinſchaft leben.
|
106
Benediktiniſche Seelforge hat noch eine Eigenart, die mit der eben
entwickelten zuſammenhängt und die aus dem anderen Gelübde ent⸗ |
ſpringt, das neben dem der „Stetigkeit“, stabilitas, der benediktiniſchen
Drofeß eigentümlich iſt, aus dem Gelübde des „neuen Lebenswandels“,
der con versio morum. Die Sache bezeichnet zwar im Grunde das Ziel
aller Orden, ja aller Chriften, den Mönch aber verpflichtet das Belübde
zu befonderer unabläffiger Einkehr in fi ſelbſt. Dadurch ward jene
Atmoſphäre des Friedens, der Ruhe und der Innerlichkeit geſchaffen, in
der das benediktiniſche Familienideal ſich erſt voll entfalten konnte.
Dieſe geiſtige Stimmung wirkt auch in der Außenarbeit, auch in der
ſeelſorglichen Tätigkeit des Benediktiners nach. Sein Arbeitsgebiet ift
nicht großartige Organiſation auf den verſchiedenen Gebieten des kirch⸗
lichen Lebens, nicht machtvolles Auftreten nach außen, auch nicht
Abwehr und ftampf. Sein Wirken iſt im allgemeinen ſtiller und
geräuſchloſer, daher oft auch weniger beachtet und geſchätzt. Er be⸗
vorzugt die Seelſorgsarbeiten, die dem Geift der Innerlichkeit mehr
entſprechen, die gleichſam als die Fortſetzung feines Innenlebens nach
außen erſcheinen können. Das Gelübde der Sittenbekehrung ver⸗
pflichtet ihn zu unermüdlicher Arbeit an ſeiner eigenen Seele, an
der Verinnerlichung und Dertiefung feines eigenen religiöfen Lebens.
Darum liebt er mehr die ſtille Seelſorge für die Einzelſeele in und
außerhalb des Beichtſtuhles. Er widmet ſich mit Vorliebe der Der:
tiefung und Höherführung des religiöfen Lebens auch feiner Mit⸗
menſchen. Er ſucht ſeine eigene Sehnſucht nach Innerlichkeit in andern
zu wecken und ihnen die Tiefen jenes Lebens zu erfchließen, das „mit
Chriftus verborgen iſt in Sott“ (Hol. 3, 3). So rechtfertigt ſich der Wahl⸗
ſpruch des Ordens Pax: Friede! auch in feinem ſeelſorglichen Wirken.
Wenn nicht alles täuſcht, dann geht durch unſere Zeit ein Drang
nach Derinnerlichung und Vertiefung und ein immer ſtärker werdendes
Sehnen nach Semeinſchaft unter den Menſchen, vor allem nach reli⸗
giöfer Semeinſchaft im Sinn des Urchriſtentums. Benediktiniſche Seel:
ſorge, die ganz aus dem Geiſte des Ordens flöſſe und die alle in ihr
ruhenden Kräfte der Innerlichkeit und der Semeinſchaft fruchtbar machte,
müßte dieſer doppelten Sehnſucht wohl reichſte Erfüllung bringen Rönnen.
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Karfreitag.
Bei den Menſchen iſt es meift fo, daß Undank, Verkennung, Mißtrauen,
Lieblofigkeit ihr Herz verhärten und verſchließen. Dem Heiland hat all
dieſes Bittere das herz nur noch mehr geöffnet, ſo weit geöffnet,
daß der letzte Blutstropfen daraus floß als Opfer der Liebe.
107
Vom Sinn des Mönchtums.
Don P. Hotker Würmſeer (Schäftlarn).
as Mönchtum hat viele Gegner, die es für finnlos, ja widerſinnig
halten und ihm deshalb ſeine Berechtigung abſprechen möchten.
Und doch könnte ſchon ein Blick in die Religionsgeſchichte [re eines
anderen belehren. Das Mönchtum iſt wohl keinem Stadium der reli⸗
giöfen Entwicklung der Menſchheit völlig fremd; es iſt ſtets in irgend
einer wenn auch primitiver oder verzerrter Form zu finden, wo immer
religiöfes Semeinſchaftsleben herrſcht. Dieſe Tatſache wird kaum anders
erklärbar fein als durch die Annahme, daß das Mönchtum organiſch
aus der lebendigen Gemeinſchaftsreligion herauswächſt und ſonach mit
dieſer in der menſchlichen Natur ſelbſt wurzelt. Damit iſt aber von
vornherein deſſen Sinn und Dafeinsrecht gegeben: denn die Natur, ſagt
Ariftoteles, tut nichts umſonſt, nichts ſinnlos. Die Frage iſt nur: worin
beſteht denn dieſer Sinn des Mönchtums? Was will die religiöfe Natur
der Menſchheit — und damit Gott, der ja hinter der Natur ſteht, — wenn
ſie das Mönchtum aus ihrem Schoße hervortreibt? So geſtellt, ſchließt
die Frage wohl ſelbſt ſchon jede Antwort als zu eng aus, die im
Möndtum nur einen Stand zur heiligung des Einzelnen fieht. Der
tieffte Sinn des Mönchtums kann mit dieſer Anſicht nicht wohl ge⸗
troffen ſein; ja wer weiß, ob ſich auf dieſem Standpunkt die Berech⸗
tigung des Mönchtums überhaupt halten läßt; denn wenn die Armut
und Keuſchheit für den einzelnen nur Rat, alſo nicht notwendig find,
um die gottgewollte Vollkommenheit zu erreichen, darf er ſich dann
grundſätzlich der Zeugung und Erzeugung, der Produktion von beben
und bebensgutern, worauf die Geſellſchaft doch Anſpruch erheben kann,
entziehen? Wir meinen, wenn das Mönchtum nicht in einer ſittlichen
Pflicht gründet, die der Geſellſchaft aus ihrer religiöfen Natur heraus
zukommt, dann darf der Einzelne jenen Anſpruch der Geſellſchaft nicht
ohne weiteres beiſeite ſetzen und Wege gehen, die er gar nicht zu gehen
braucht, um fein Heil zu erreichen. Aber was ſoll das für eine Gemein⸗
ſchaftspflicht ſein, in der das Mönchtum gründet und kraft der die
Seſellſchaft das Mönchtum nicht bloß als berechtigt anerkennen, ſon⸗
dern fogar als gottgewollt hegen und pflegen muß? In der Antwort
auf dieſe Frage muß der Sinn des Mönchtums liegen; denn die Pflicht
iſt Gottes Wille, und was Bott will, iſt der Sinn alles Seins.
Die religiöfe Natur des Menſchen, d. h. die mit der Schöpfung ge⸗
gebene Hinordnung der menſchlichen Natur auf Bott als ihr Endziel
fordert die vollkommene Liebeshingabe des Menſchen an Bott. Dieſe
108
Hingabe wird dem Willen Gottes gemäß ſumboliſch im Opfer zum
Ausdruck gebracht. Darum iſt das Opfer bei allen Völkern und zu
allen Zeiten, auch im Chriſtentum der höhepunkt der religiöfen Betä-
tigung. Weil aber die Menſchen eine Gemeinfchaft bilden, die mehr
“iR als die Summe aller Individuen, fo genügt es nicht, wenn alle
menſchen einzeln ihre Hingabe an Kott im Opfer betätigen, ſondern
es muß auch die Menſchheit als Gemeinſchaft, als Banzes, ein 8emein⸗
ſchaftsopfer Bott darbringen. Der einzelne Menſch nun kann feine Bin=
gabe nur unvollkommen durch ein Sachopfer zum Ausdruck bringen,
dadurch, daß er auf ein But verzichtet, um es Bott ausſchließlich zur
Verfügung zu ſtellen. Die Menſchheit als Sanzes dagegen hat die
Möglichkeit, Gott ein weit vollkommeneres Symbol ihrer hingabe
darzubringen, indem fie auf den Gemeinſchaftsdienſt einzelner ihrer
Glieder, insbeſondere auf deren Mitwirkung an der Zeugung und Er:
zeugung verzichtet, ſie damit ausſondert und ausſchließlich für den
unmittelbaren Dienft Gottes beſtimmt. Die Menſchen, die auf dieſe
Weiſe durch vollkommene Armut und Keuſchheit von den übrigen
menſchen ausgeſchieden und ganz ausſchließlich Gottes Eigentum ge:
worden find, find das Gemeinſchaftsopfer, zu dem die Menſchheit als
Ganzes verpflichtet iſt, ein wirkliches „Menſchenopfer“, aber „im Geiſt
und in der Wahrheit“, nicht in der Überſpannung und Verzerrung,
in der das dunkle Bewußtſein dieſer Opferpflicht durch die Blutopfer der
Beiden feinen Ausdruck gefunden hat. Daß nur ein „Menſchenopfer“ der
Opferpflicht der Menfchheit genügen kann, dafür iſt das ſicherſte Zeichen
das Opfer Chriſti. Es liegt nun allerdings in der Natur diefes „Menſchen⸗
opfers“, daß es nicht ohne weiteres von der Gemeinſchaft dargebracht
werden kann. Der einzelne hat ja ebenſo ein Recht auf die Gemeinſchaft
wie die Gemeinfchaft auf ihn. Wenn darum auch die Gemeinſchaft als
ſolche zu dieſem Gemeinſchaftsopfer verpflichtet iſt und alle Einzelglieder
wohl in irgend einer Weiſe dabei mitwirken müſſen, fo kann doch
daraus weder ein Recht der Bemeinfchaft abgeleitet werden, irgend
eines ihrer Glieder gegen feinen Willen zu dieſem ſtellvertretenden
Gemeinſchaftsopfer zu beſtimmen, noch eine Pflicht für einen einzelnen
menſchen, gerade ſich zu dieſem Opfer zu machen und ſich für die Be-
meinſchaft hinzugeben. Für den einzelnen kann das immer nur Sache
der perſönlichen Freiheit fein, keine Pflicht, ſondern nur ein „Nat“. Die
Bemeinfchaft kann nur — und muß es auch kraft ihrer Opferpflicht —
durch Steigerung des religiöfen Semeinſchaftslebens in den einzelnen
die Liebe zur ausſchließlichen hingabe an den Dienſt Gottes wecken und
durch offenes und tatkräftiges Wohlwollen gegen die ſich Opfernden
109
deren Entſchluß erleichtern und fördern. Wenn freilich einmal Glieder
der Gemeinſchaft unter deren Mitwirkung das ſtellvertretende Opfer
für die 6emeinſchaft übernommen haben, dann hat die Gemeinſchaft
auch einen Anſpruch darauf, daß dieſes Opfer tatſächlich ſei, was es
fein ſoll: ein wirkliches Husgeſchiedenſein aus der Gemeinſchaft unter
wechſelſeitigem Verzicht auf das, was naturgemäß an die Gemeinſchaft
bindet: Zeugung und Erzeugung, eine „ausſchließliche Hingabe des
ganzen Lebens an den unmittelbaren Dienft Gottes, ein wirkliches
holocaustum, ein „Sanzopfer““. 50 ergibt ſich denn als die gott:
gewollte Aufgabe des Mönchtums, die Opferpflicht der Menſchheit als
Bemeinfhaft zu erfüllen. Der Sinn des Mönchtums ift Welt⸗
opfer zu ſein, Opfer im Namen der Welt und für die Welt mit all
den Zwecken, die das Opfer überhaupt hat: dem Zweck des Lobes
Bottes und der Dankfagung für die Gnaden der Welt, der Bitte für
die Welt und vor allem der Sühne. Das letzte Moment prägt dem
Mönchtum ein beſonderes Merkmal auf: es wird zum Stand der Büßer,
die ſühnen für die eigenen Sünden, wie für die Schuld der Welt.
Aus dieſem Sinne des Mönchtums im allgemeinen ergibt ſich jetzt
von ſelbſt die Aufgabe, die der einzelne Mönch zu erfüllen hat, ergibt
ſich der Inhalt feines Lebens: er hat die Opferidee in fi) zu verwirk⸗
lichen, er ſoll die Opfergabe der Welt ſein. Damit er nun als Opfer
überhaupt für Gott „annehmbar“ ſei, muß er natürlich die nach dem
Dachstumsgeſetz der Heiligkeit von ihm zu fordernde Vollkommenheit
„befigen. Aber das macht ihn eigentlich nicht zum Opfer als ſolchen.
Die Jdee des Opfers realifiert er erſt damit, daß er einmal feine Nus⸗
ſonderung durch Armut und Keuſchheit bis in die tiefſten Gedanken
hinein fortſetzt, und vor allem dadurch, daß er das „Ausfchließlidy-Bott-
gehören“, das „Unmittelbar⸗Gott zu eigen fein“ ganz zu verwirklichen
ſucht. Dazu iſt das Mittel der mönchiſche Gehorſam. Die Eigenart
dieſes mönchiſchen Opfergehorſams liegt nicht darin, daß er ein „un⸗
bedingter“ und allſeitiger Behorfam iſt — in dieſer Weiſe muß doch
wohl jeder Menſch dem erkannten Willen Gottes gehorchen — ſondern
vielmehr darin, daß er fo, wie das Opfer ein unmittelbares „Gott⸗zur⸗
berfügung⸗ ſtehen“ bedeutet, ein Gehorchen unmittelbaren „Erhorchens“
und gerade deshalb auch ein ſofortiges und bedingungloſes Befolgen
des göttlichen Willens iſt. Dieſe Unmittelbarkeit der Bindung an den
göttlichen Willen, die notwendig aus dem Sinn des Opfers, das ja
Bott unmittelbar in die hände gegeben fein ſoll, ſich ergibt, iſt alfo
St. Thomas. S. th. II II. q. 186 a. 1: Religiosi dicuntur illi, qui se totaliter
mancipant divino servitio, quasi holocaustum Deo offerentes.
110
das Charakteriftiikum des mönchiſchen Sehorſams. Und dieſer Be-
horſam iſt demnach die Seele, das Weſensprinzip des Mönchtums,
das, was den Mönch erſt eigentlich zum Opfer werden läßt. Armut
und kieuſchheit ſondern ihn aus und machen ihn zum Gemeinſchafts⸗
opfer, aber nicht zum Opfer als ſolchem; hierin liegt ihre weſentliche
Bedeutung, nicht etwa bloß darin, daß ſie Hilfsmittel zur Heiligung
find. Um aber die Mee des mönchiſchen, des unmittelbaren Gehorſams
voll verwirklichen zu können, wird ſich der einzelne Mönch praktiſch
einen Stellvertreter Bottes wählen müſſen, dem er feinen unmittelbaren
Behorfam entgegenbringt. Und damit wächſt die klöſterliche Gemeinſchaft
organiſch aus der Opferidee hervor. Nach all dem ift die UDollkommen⸗
heit des Mönches ſelbſt in keiner Weiſe von der allen gebotenen ver⸗
ſchieden, das Beſondere liegt vielmehr darin, daß er auf Grund der
Opferpflicht der Menſchheit ſich ausſchließlich dem unmittelbaren Dienſt
Gottes widmet. Allerdings muß ſich für ihn gerade aus feinem Opfer⸗
charakter ein neuer Derpflitungsgrund und damit ein neues Motiv
zum Streben nach Heiligung ergeben. Er hat ſich nicht bloß für ſich,
ſondern auch für ſeine Mitmenſchen zu heiligen. Und eben deshalb
iſt es eigentlich auch ganz in der Ordnung, wenn die Welt ein fo
ſcharfes Auge auf das Tun und Laffen der Mönche hat; vorausgeſetzt
natürlich, daß ſie das Mönchtum wirklich als ihr Opfer betrachtet.
Außer den ſogenannten evangeliſchen Räten erſcheint nun immer
wieder als beſonderes Weſensmerkmal des Standes der Dollkommen-
heit auch das Gebet. Wie ordnet ſich dies in den Opfergedanken ein?
Daß Gebet zur perſönlichen Heiligung erforderlich und deshalb doppelt
notwendig iſt für den Mönch, braucht nicht weiter betont zu werden.
Damit wäre aber noch keine deutlich ſichtbare Beziehung zum Opfer
gegeben. Dieſe ergibt ſich voll und ganz erſt aus der Eigenart des
Mönches als „Menſchenopfer“. Ift er nämlich wirklich eine „vernunft⸗
begabte“ Opfergabe, dann kann und darf er nicht ſtumm wie ein bloßes
Sachopfer in Gottes hände gelegt fein, ſondern muß auch das Geiſtige
am Opfer zum Ausdruck bringen. Er muß dann, weil gerade die
Sprache das Zeichen des Geiſtes ift, dem herrgott auch ſagen, daß er
Opfer iſt und was er als Opfer ſoll; er muß fein Opfergebet — und das
iſt Gemeinſchaftsgebet — beten, wie auch Chriftus im liturgiſchen Gebet
der kirche fein Opfergebet als den köſtlichen Wohlgeruch feines Opfers
vom Altar zum Dater emporſteigen läßt. So ift alſo das Gemeinſchafts⸗
gebet des Mönches durchaus keine bloße Zufälligkeit, etwas rein äußer-
lich Gewordenes. Es iſt tief innerlich mit feiner hingabe als Menſch⸗
heitsopfer verbunden und gehört ſonach weſentlich zum Mönchtum.
111
as bisher gefagt wurde, war ohne Beziehung zur Übernatur, zum
Chriftentum, zur Kirche. Es follte eben auch einmal die natürlich⸗
religiõſe Derwurzelung des Mönchtums hervorgehoben und dieſes ſo
tiefer und weiter zu begründen verſucht werden. Aber was bedeutet
nun die Übernatur für das Mönchtum? Um es kurz zu ſagen: es
findet darin feine Vollendung, feine Aufnahme und Fruchtbarmachung
als Opfer. Es findet in der ÜÜbernatur d. h. konkret in der Kirche [eine
Dollendung; denn wenn es wahr ift, daß der unmittelbare Sehorſam
das Wefensprinzip des Mönchsopfers iſt, dann iſt es klar, daß dieſes
erſt im Gehorſam gegen die heilige Rirche!, in der allein unmittelbar
Bott ſpricht und daher allein unmittelbar Bott gehorcht wird, ſich
wahrhaft vollenden kann. Dor allem aber wird dieſes Opfer erſt in
der kirche wirklich für Gott annehmbar, weil es in ihr mit dem Opfer
Chrifti vereinigt ihm dargebracht wird, um „zu erſetzen, was am Leiden
chriſti noch fehlt“ (Rol. 1, 24). Und weil nun wirklich annehmbar, nimmt
auch die kirche an Gottes Statt die Opfergabe der Welt tatſächlich
an, indem ſie dieſelbe „konſekriert“, heiligt und damit die Opfergabe
vollends zum sacrificium, zum „Opfer“ macht in einer gewiſſen Ana-
logie mit dem heiligen Meßopfer, in dem ja auch mit der „Wandlung“
die Opfergabe von Bott angenommen wird. Gerade der Vergleich mit
dem heiligen Meßopfer zeigt endlich auch, wie es eines der wunder⸗
ſamſten 8e heimniſſe der göttlichen Liebe iſt, die Gaben, die wir ihm
ſchenken uns als Gnade wieder zurückzugeben, all unſere Opfer in
Sakramente zu wandeln und damit fruchtbar zu machen für unſer
heil. So macht er auch das Mönchsopfer der Welt zu einer Segens⸗
quelle für die Menſchheit. Opfer fein bedeutet: in Gottes Hände gelegt
ſein zu ſeinem unmittelbaren Dienſt. Was Gott mit ihm tut oder es
tun heißt, iſt ohne Belang für das Opferſein, wenn nur am Opfer und
durch das Opfer ganz und allein der unmittelbare Wille Gottes ge⸗
ſchieht. Nun iſt für uns die ſichtbare Erſcheinung Gottes die heilige
kirche. Ihre hände find Gottes hände. In ihre hände iſt alſo das
Möndsopfer gelegt, ihr gehört es ganz und gar, fie kann tun, was
fie will mit ihrem Opfer. Das ändert am Opfercharakter nichts; denn
diefer beſteht ja im ausſchließlichen und unmittelbaren Dienſt der
kirche, d. h. Gottes. Und weil die kirche die Epiphanie Gottes iſt,
darum tut ſie nun auch mit ihrem Opfer, was Gott tut: ſie gibt es der
opfernden Menſchheit als Sakrament zurück, d. h. macht das Mönch⸗
tum fruchtbar zum heil und Segen der Welt und zwar ſo, wie es
die Welt gerade braucht; und daher ſtammt die Derfchiedenheit der
Durch Vermittlung der von ihr approbierten „Regeln“ und Obern.
112
einzelnen Arten des Mönchtums. Das Mönchtum iſt eins als Opfer,
verſchieden als „Sakrament“.
Was hat nun das benediktiniſche Mönchtum für eine „ſakramentale“
Aufgabe? Es kann keine bloße „Jeit“-Hufgabe haben, ſonſt wäre
es längſt verſchwunden in feiner Eigenart. Es muß dem Ewigen im
menſchen dienen; und das Ewige in uns iſt „der Beift der kindſchaft
Gottes“. Dieſen „Geift des Chriſtentums“ in die Welt zu tragen oder
in den herzen lebendig zu machen iſt wohl die weite Miſſion des
benediktiniſchen Mönchtums; die Menſchen das „Rindwerden“ lehren
durch Rede und Beifpiel ift feine umfaſſende Aufgabe. Umfaſſend, denn
ſo iſt benediktiniſches Mönchtum nichts anderes als die „Schule des
Chriſtentums“. „Rind fein“ aber lernt man nur an und in der Familie
und darum die „benediktiniſche Familie“. Die Familienverfaſſung liegt
alſo in der Aufgabe des benediktiniſchen Mönchtums begründet, aber
nicht im Weſen des Mönchtums überhaupt. Zum Mönchtum als
ſolchem gehört nur das Opfer⸗ſein; zum chriſtlichen Mönchtum das
Opfer- ſein in den göttlichen händen der kirche. Alle religio iſt alfo
demütige Dienerin der kirche und damit „Magd des Herrn“.
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Gemeinſchaft.
10" menſchen lernen zu wenig vom lieben Gott. Sonſt müßten
wir doch ſchon längſt an der Art, wie er Gemeinſchaft hält mit
uns, geſehen haben, wie wir Gemeinſchaft halten ſollen mit ihm und
unſeren Brüdern.
IM es denn nicht Gottes erſte Tat, wenn er in Gnadengemeinſchaft
mit uns treten will, daß er uns armſeligen Menſchenkindern ſein Herz
ausſchüttet, uns feine heimlichſten Seheimniſſe anvertraut, die ver:
borgenſten Gedanken ſeiner unergründlichen Tiefen offenbart? Freilich
it es in unſerer Sprache nur wie rührendes Rinderftammeln, ein
Reden, das wir kaum deuten können. Aber was kann er, der
Unausſprechliche dafür?
Wenn aber dem ſo iſt, warum wollen wir dann nicht glauben, daß
auch unſere Gemeinſchaft mit Bott auf eine betende Herzoffenbarung
ſich gründen und all unfere Bruderliebe mit einem „Sich⸗aufſchließen“
beginnen muß? Und warum wollen wir nicht verſtehen, daß unſere
erfte Tat das „Beichten“ fein muß, wenn wir würdig zur Gemeinſchaft
uns kehren wollen? Balbufus.
&& 3 8
113
Rlöfterliher kommunismus.
Don P. Maurus Xaverius Deindl (Schäftlarn).
m. dem Feuer einer religiöfen Idee wird in den Tagen der Gegen-
wart für den Kommunismus Propaganda gemacht. Die Grund-
forderung dieſer kommuniſtiſchen Propaganda iſt die Beſeitigung des
Privateigentums; denn im Privateigentum liegt nach kommuniſtiſcher
behre die letzte Wurzel aller fozialen Derelendung, aller Ausbeutung
und jeglichen Unheils. Mark meint vom kapital, daß es „von kiopf
bis Zeh, aus allen Poren, blut⸗ und ſchmutztriefend“ ſei.
Den gleichen Gedankengang wie dieſe kommuniſtiſche Propaganda
ſcheint der heilige Ordensvater Benediktus zu verfolgen, wenn er im
J. Kapitel feiner heiligen Regel vom Privateigentum ſagt: „vor allen
Dingen“ mũſſe einmal „dieſes Caſter mit der Wurzel aus dem Rlofter
ausgerottet“ werden, oder wenn er im gleichen kapitel den Sonder⸗
deſtz ſogar als „ſchlimmſtes Lafter“ bezeichnet.
Indeſſen, ſo ſehr ſich der kommunismus von heute und der klöſterliche
kommunismus nach der Regel des hl. Benediktus zu berühren ſcheinen,
ſo himmelweit find fie in Wirklichkeit voneinander verfchieden.
Eine klöfterlihe Bemeinfchaft ift, volkswirtſchaftlich geſprochen, ein
kommuniftifches Staatsweſen im Rleinen, wo auf Sondereigentum
grundſätzlich und feierlich verzichtet und unter Leitung der Obern bei⸗
fung unb Verbrauch ſtreng geregelt, jedem die Arbeit und jedem die
erholung auf körperlichem und geiſtigem Gebiet zugeteilt wird. Aber
feine Entftehung verdankt dieſer klöſterliche kommunismus ſicher nicht
dem Beſtreben, durch eine neue Wirtſchaftsordnung die menſchliche
beſellſchaft zu reformieren, ſondern genau im Gegenteil, dem Wunſche,
der menſchlichen Gefellfhaftsordönung überhaupt zu entweichen, um
ganz und ungeteilt einem hohen religiöſen Jdeal leben zu können. Der
klöſterliche kommunismus geht hervor aus der vollen Unbekümmertheit,
der vollendeten Unabhängigkeit des inneren Menſchen gegenüber den
äußeren Dingen. Der Urſprung des klöſterlichen ktommunismus iſt
alſo eine Welt der reinen Innerlichkeit. „Wenn ich nur dich habe, mein
herr und Gott, was frage ich nach allem andern.“ „Was nützt es dem
Menfhen, wenn er die ganze Welt gewinnt, wenn er aber Schaden
leidet an ſeiner Seele“ (Mt. 16, 26).
gat ſomit der klöſterliche ktommunismus feine Wurzeln in einer
Rundſätzlichen Abkehr von der Welt, ſo verdankt hingegen der weltliche
Kommunismus von heute ſeine Entſtehung einer grundſätzlichen Welt⸗
verbefferung und Weltumgeſtaltung. „kommunismus“, heißt es in einer
Bewediktinifche Monatſchrin VI (1924) 3—4. 8
114
Programmſchrift, „ift eine Jdee, wie fie herrlicher und größer feit dem
Chriftentum nicht wieder gedacht worden iſt, und vor dieſer großen Jdee
mũſſen alle Schranken fallen: die ſogenannte gute Sitte, die Religion eic.
Wir müſſen Utopiſten ſein; denn Utopie iſt das große gaſagen zu
unſeren heiligen, ganz diesſeitigen, unumſtößlichen Zielen.“
Rlöfterliher kommunismus und weltlicher kommunismus, das find
zwei durch und durch verſchiedene Arten, die Dinge zu ſehen, zwei
einander ganz fremde pſuchologiſche Einftellungen, die zu einer völlig
entgegengeſetzten Weltanſchauung und Ethik führen mülfen.
Klöſterlicher Kommunismus iſt idealiſtiſches Denken im höchſten
Sinn des Wortes, unbedingte Anerkennung des Erſtgeburtsrechtes des
Geiltes gegenüber der Materie, indem klöſterlicher kommunismus die
reſtloſe Auswirkung einer religiöfen Idee darftellt.
Der weltliche kommunismus von heute ift Materialismus, näher
ausgedrückt materialiſtiſcher Monismus, dem alle Erſcheinungen des
Geifteslebens nichts weiter find als der Widerſchein der jeweiligen
Wirtſchaftsverhälniſſe; im beſonderen gilt die religiöfe Idee als „die
große Aluſion und Beifteskrankheit der Menſchheit“.
Unter der herrſchaft dieſes Markſchen materialiſtiſchen Dogmatismus
ſtehend macht der weltliche kkommunismus in ſeiner Ethik zum Selbſt⸗
zweck, was im klöſterlichen kommunismus nur Mittel zum Zweck ift.
Die neue Geſellſchaftsordnung, des weltlichen kommunismus nämlich,
ſoll in der Gerechtigkeit und Liebe ihre ethiſchen Fundamente haben.
Und dieſes Reich der Gerechtigkeit und Liebe iſt der Inbegriff des
irdiſchen Paradieſes. Mit anderen Worten: die diesſeitige Slück⸗
feligkeit, ethiſch gegründet auf Gerechtigkeit und Liebe, ift das erſte
und letzte, was der weltliche kommunismus erſtrebt.
Ganz anders hingegen die ethiſche Einftellung des klöſterlichen
Hommunismus. Dieſes irdifche Dafein iſt nur Durchgang zu höherem
beben; das Rlofter iſt gleichſam die Werkſtatt, wo der nach Doll:
kommenheit Strebende in biebe und Gerechtigkeit ſich heranbilden muß
zum „Dollalter Chriſti“ (Eph. 4, 13). Dieſes ſittliche deal nun iſt un⸗
denkbar ohne hohe Derantwortlichkeit; denn frei und ungezwungen
wählt der Mönch ſich dieſes fein Lebensideal.
Wo aber bleibt das Derantwortlichkeitsgefühl, die vielgeprieſene
Freiheit im kommuniſtiſchen Zukunftsſtaat? Man nehme die Menſchen⸗
natur, wie ſie in Wirklichkeit iſt, und nicht, wie ſie ſein ſoll, und es
liegt auf der hand, daß das kommuniſtiſche Syftem bei feinen dikta⸗
toriſchen Zwangsmaßregeln Menſchen hervorbringen wird, denen das
Verantwortlichkeitsgefühl verengt, ja gelähmt iſt. Und je folgerichtiger
115
die kommuniſtiſche Lehre im Leben ſich auswirkt, deſto mehr wird
fie Wille und Freude zur Arbeit ſchwächen, deſto mehr wird fie Maß⸗
halten und Opfer zu hohlen Worten machen. Ausgerechnet dieſe ſozi⸗
alften Tugenden werden vernichtet durch die kommuniſtiſche Bewegung,
welche ſich doch gerade die ſoziale Menfchheitsbeglückung auf die Fahnen
geſchrieben hat. hierin zeigt ſich am handgreiflichſten die Blutleere des
weltlichen kkommunismus; und hierin liegt ſeine große Irrlehre, viel⸗
leicht iſt das die Irrlehre der neuen Zeit überhaupt, daß man das
ſchlichte Wort der heiligen Schrift außer Acht läßt: „Das herz des
llenſchen ift zum Böſen geneigt von Jugend auf“ (Sen. 8, 21). Man
leugnet die erbſündliche Schuld und glaubt dadurch weiſe zu ſein, aber
„indem fie ſich weiſe wähnten, find fie Toren geworden“ (Röm. 1, 22).
Und die Freiheit im kommuniſtiſchen Zukunftsſtaat? Die Unter-
drückung der Perſönlichkeit, welche man fo gern dem monaſtiſchen
Prinzip zum Vorwurf macht, dürfte ein Rinderfpiel fein, gegenüber der
Derkümmerung, der die freie ſittliche Perſönlichkeit unter dem kommu⸗
niſtiſchen Iwangsſuſtem anheimfallen würde.
killöſterlicher kommunismus und weltlicher kommunismus begegnen
ſich ſcheinbar in der ſittlichen Forderung der allgemeinen Bruderliebe.
doch meinen beide etwas anderes damit. Der weltliche kommunismus
derſteht unter Bruderliebe die allgemeine Menfchenliebe, die ſich mit ÜUber⸗
gehen aller Zwiſchenſtufen fofort an die größte Aufgabe wagt: das Ge-
ſamtleben ſo zu ordnen, daß jedem ſein Recht werde. Dieſe Bruderliebe
aber iſt abſtrakt, lebensfremd; und deshalb fallen dieſe Propheten der
lllenſchenliebe, welche verächtlich auf die Derkündigung der chriſtlichen
llächſtenliebe herabſehen, fo leicht in das Gegenteil: den Menſchenhaß.
Ebenfo ſchön, wie treffend ſagt Ricarda Huch einmal: „Die ſogenannte
Menfhenliebe tritt gern auf als Erſatz der ſchwindenden Nächſtenliebe,
und man findet oft, daß je volltönender einer die Forderungen der
Menfhenliebe verkündet, er feinen Nächſten deſto gewiſſenloſer ver⸗
nachläſſigt.“ Atmet ſchon das kommuniſtiſche Manifeſt tiefen Haß, ſo
witd das aber noch weit übertroffen von dem geradezu dämoniſchen
haß, den der Aommunismus von heute verkündet, wahrlich ein Haß,
der auch vor der blutigſten Revolution nicht zurückſchreckt. „Die Re⸗
dolution diskutiert nicht mit ihren Feinden, fie vernichtet dieſelben,“ heißt
es in einer Aundgebung Lenins. Eine kommuniſtiſche Programmſchrift
don 1919 ſchließt mit den Worten: „Zum Kampf! Es gilt eine Welt zu
erobern und gegen eine Welt anzukämpfen. In dieſem letzten Alaffen-
kampf der Weltgeſchichte um die höchſten Ziele der Menſchheit gilt dem
feind das Wort: Daumen aufs Auge und linie auf die Bruſt!“
8*
116
Wie fo ganz anders ift doch im klöſterlichen kkommunismus das
ſoziale Juſammenſein geordnet! Da ift kein Wortſchwall von all⸗
gemeiner Menſchenliebe, ſondern ganz einfach ſagt die heilige Regel:
„Sie ſollen einander in Ehrfurcht zuvorkommen, die Gebrechen, ſeien
es körperliche oder geiſtige, gegenſeitig mit größter Geduld ertragen,
im Wetteifer einander gehorchen. Reiner ſtrebe nach dem, was er für
ſich, ſondern nach dem, was er mehr für andere nützlich erachtet. Die
brüderliche Liebe follen fie in reiner Seſinnung erweifen, Zott in Liebe
fürchten, ihrem Abte in aufrichtiger und demütiger Hingabe zugetan
ſein, Chriſtus durchaus nichts vorziehen, der uns alle zum ewigen
beben führen möge“ (Rap. 72). Wie gotterleuchtet find dieſe Worte,
welch ernſte Aufgaben ſchließen fie in ſich, und zugleich wie gut kennen
fie das Menſchenherz! Liebe ift Bejahung, Haß iſt Derneinung. Das
unterſcheidet den klöſterlichen vom weltlichem Rommunismus.
Rlöfterliher kiommunismus heißt unbedingtes, rückhaltloſes Ya:
fagen zu den Forderungen eines höheren, geiſtigen Lebens. Weltlicher
ktommunismus heißt unbedingtes, rückſichtsloſes Neinſagen zu dem
Ideal einer höheren Welt. Klöſterlicher kommunismus beruht auf dem
Heilandswort: „Mein Reich iſt nicht von dieſer Welt“ (Job. 18, 36).
Weltlicher kommunismus iſt aufgebaut auf den Satz: „Mein Reich iſt
nur von dieſer Welt.“
Es ift in den wirtſchaftlich⸗ſozialen Kämpfen der letzten Jahre einmal
das ſchöne Wort geſprochen worden: „Wir brauchen für die heutige
Welt eine neue kiraft der Liebe.“ Die Stätten des klöſterlichen kiommu⸗
nismus ſollen Orte fein, wo ſolche Liebe, wie fie St. Paulus im 13. Ka⸗
pitel des erſten Korintherbriefes ſchildert, noch eine heimat hat mitten
in einer Welt, die nur dem Haß lebt und der rückſichtsloſeſten Selbſt⸗
ſucht. Groß iſt die biebesſchuld, welche das Chriſtentum der zerrütteten
Welt von heute zu zahlen hat; denn weil eben ſoviele, die ſich Chriften
nennen, des Meiſters größtes Gebot außer Acht gelaſſen, darum iſt der
Haß und die Verbitterung ins Rieſenhafte gewachſen.
Wenigſtens auf die Klöfter ſoll man hinweiſen können wie man
einft in den Tagen des Urchriſtentums auf die erſten geſusnachfolger
hingewieſen hat: „Seht, wie ſie einander lieben!“ Und wenn im
Haushalt der Natur nichts an kraft verloren geht, ſollte es in der
ſittlichen Welt ſo ganz anders ſein? Sollte nicht vielmehr auch da
die Betätigung der echten heilandsliebe der haßzerriſſenen Welt in
irgend einer Weiſe zugute kommen? „Nun aber“, ſpricht der Dölker:
apoftel, „bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe dieſe drei; die größte unter
ihnen iſt indes die Diebe“.
117
der Anteil der Benediktiner
an der Geftaltung des Dandſchaftsbildes.
Don P. Martin Barthel (Schäftlarn).
eben den kräften der Natur, die bald mit der Urgewalt kurzer
Augenblicke, bald mit der unermüdlichen Zähigkeit langer Jahr:
taufende an der Beftaltung der Erdoberfläche arbeiten, ift es der Menſch,
der durch feine Aulturtätigkeit neue Formen in das Landſchaftsbild
hineinträgt. Wer eine Wanderung durch das ſüdliche Bayern! vom
Donauftrand bis zum Fuße der Alpenberge unternimmt, wird wieder⸗
holt auf Gegenden ſtoßen, denen erſt der Menſch durch ſeiner hände
Shaffen ihr charakteriſtiſches Gepräge gegeben hat; und nicht ſelten
fmd es Stätten, die ſchon in frühgeſchichtlicher Zeit von benediktinifcher
kultur berührt wurden. Es mag um das 7. oder 8. Jahrhundert ge⸗
weſen fein, als St. Benedikts Söhne anfingen im bauriſchen Alpen⸗
dorland ſich niederzulaſſen, das damals noch weithin mit rieſigen,
dunklen Urwäldern oder mit ausgedehnten, düſteren Mooren bedeckt
vor und das die ungeftümen Bergſtröme noch ohne jegliche Behin⸗
derung durch Menſchenwerke durchfloſſen. Menſchen lebten noch nicht
allzu viele dortſelbſt, Dorffluren waren ſparſam und manche einſame
Winkel gabs, die das Volk überhaupt nicht gerne betrat, weil es ſich
Unheimliches und Braufiges zu erzählen wußte von Unholden und
Befpenftern, die dort wohnten.
Doch die klugen, frommen Mönche fürchteten ſich gerade vor biefen
fillen Erdenwinkeln nicht; vor böfen Spukgeſtalten empfanden fie kein
bangen und die menſchenfernen Einſamkeiten waren ihnen recht eigent⸗
lich, ſelige Einfamkeiten“, beatae solitudines, wo fie ganz beſonders gut
der eigenen heiligung nach des heiligen Daters Benedikt Regel leben
konnten. „Eine ſtille Stätte, einladend zu einem eifrigen Mönchsleben
war ihm lieb“, berichtet Biſchof Rribo von Freiſing von St. Rorbinian;
und des heiligen Brüder teilten dieſe Liebe. Wo hätten fie auch die
Aufgabe der Selbftvervollkommnung in heiliger Sammlung beſſer
erfüllen können als in der Einfamkeit unter dem Rauſchen der Tannen
und Fichten oder an den Ufern der brauſenden Bergflüſſe und ſtillen Seen
oder in den Tälern, in die von ferne her die Schneegipfel der Alpen
grüßten? Wo wäre die Seelenruhe und die innere Feſtigkeit (stabilitas)
Südbauern wurde in den Mittelpunkt der Betrachtung geſtellt, weil feine älteſte
Kultur zum guten Teil einen ausgeſprochen benediktiniſchen Charakter trägt. ? Locum
secretum et ad cultum religionis vitae delectabilem amavit (Vita Corbiniani c. 23).
118
mehr geſichert geweſen als weit weg von der Halt und den Sorgen
des Lebens, das nie ruhen kann, und von den Mienfchenftraßen, die
alle fo gerne von Sott wegführen?
Nicht allzu ſchnell mögen die erſten Mönche ſich endgültig zur Wahl
eines Platzes für das zu bauende Rlofter entſchieden haben. Für eine
Benediktinerabtei genügte nicht die nächſtbeſte Einöde und menſchen⸗
ferne Waldeinſamkeit, in die wohl ein Einſiedler ſich vergraben konnte,
oder wo, wie ehedem in den Lauren Hguptens vielleicht heilige Alt-
väter ihre Schüler in tiefer Beſchaulichkeit und ſtrenger Buße hätten
leiten mögen. Ein Benediktinerkloſter ſollte mehr ſein: es mußte einer
monaſtiſchen Familie zum dauernden Heime werden können, zu dem
einer geradezu ein perſönliches Derhältnis zu gewinnen vermochte.
Da durften die Sendlinge, die der Dater, der Abt ausſandte um für eine
junge Tochter familie einen Platz zu ſuchen, ſchon wähleriſch fein.
Benediktiniſche Aſzeſe ift nicht finſter und mürrifch, fie liebt die Freude
und die Zufriedenheit und verzichtet lieber ein wenig auf kiaſteiung
und Abtötung als auf glückliche Augen und frohe herzen. Und ſo
zogen die Boten des Daters aus und durchſtreiften das weite Alpen⸗
vorland, und fie ſteckten das Areuz nicht eher in einen Boden, als bis
fie einen Platz gefunden hatten, wo die Natur des lieben Gottes fo
ſchön war, daß die fernen Brüder ſich gewiß würden eingewöhnen
können, wenn der Hausvater im heiligen Gehorfam ſie ausſchickte.
Ein zwingendes Schema gab es da nicht: bald fanden fie einen Berg⸗
gipfel, von dem aus man weit in die Lande ſchaute und wo man
dem großen Gott faſt in feinen blauen himmel ſah; bald fanden ſie
ein Seeufer und einen hügel daneben, von dem aus die Brüder ſpäter
auf die ſpielenden Wellen würden hinabblicken können, die ſo ruhelos
waren wie Menſchenherzen; dann trafen fie auf ein Felfengeklüfte,
fo wunderbar ſchön in feiner Wildheit wie Monte⸗Haſſino ſelbſt oder
auf ein weites Tal, in welches das kommende Rlöfterlein ſich hinein⸗
ſchmiegen würde in wonniglicher Heimlichkeit. Und wenn fie dann ins
Alofter zurückkamen nach langen Wochen und dem Vater und den har⸗
renden Brüdern von all dem Schönen erzählten, das ſie gefunden, dann
wählte der Abt für feine aus ziehenden Söhne vom Schönen das Schönſte,
damit fie auch in der Fremde würden heimiſch werden könen.
Und die Wahl war meiſt glücklich: die Benediktiner haben Plätze
gefunden für ihre kilöſter, wo es heute noch jedem Naturfreund warm
wird um die Seele. Oder bedeuten Namen wie Berchtesgaden,
Chiemfee, Tegernfee, Schtierfee, Ettal, Scharnitz, Aochelfee
und Dutzende andere nicht ebenſoviele Juwelen des Berglandes? Und
119
dürfen wir Shäftlarner nicht förmlich begeiſtert fein auf unſer ſchönes
Jarkloſter? Seh von München nach Süden und [hau etwa von der
fonrabshöhe bei Bayerbrunn in das plötzlich ſich öffnende Tal, das
die Jar mit Urkraft in die Schotterebene des HUlpenvorlandes geriſſen
hat! Du wirſt dich auch nicht ſatt ſehen können an dieſem Bild wie
(hon foviele Taufende, die ganz trunken wurden vor lauter Schauen
auf die märchenhaften Schluchten und Wälderirrſale mit ihrem Yauber-
piel von nächtigem Dunkel und goldenen Lichtern. Und dann blick
in die Ferne, wo die Gipfel der Alpen über Duft und Wolken herüber-
grüßen alle zuſammen, ſoweit fie Bayerns Mark gen Süden ſchirmen!
Und mitten hinein in dieſe Pracht ſchmiegt ſich unſer heim, mein klo⸗
ſter, deſſen Kind ich bin. Nicht aufoͤringlich iſts und ſchreiend, nein mild
und wohltuend, nicht zu hoch und nicht zu niedrig, nicht zu zierlich,
ſo daß es verſchwände in dieſer großen Umgebung und nicht zu grob
und maſſig, als daß es ſich aufdrängte. Und du kannſt mein Heim
betrachten, wenn im Frühling die Jſar durchs Tal raſt in ihrer tollen,
wilden Schönheit, oder wenn im Sommer das kiorn reift auf den Fel⸗
dern meines Rlofters, oder wenn im herbſt alle Buchen bluten an den
hängen um mein Tal, oder wenn im Winter die Fichtenwälder klingen
im Rauhreif: mein &lofter bildet immer ein wunderbares Ganzes mit
der umgebenden Natur.
Dir find ſtolz auf unſer liebes heim: aber all unſere Mitbrüder in
den anderen Rlöftern dürfen es geradefo fein: das Nachbarſtift Andechs
fügt fi) nicht minder herrlich in das Landfchaftsbild feines lieblichen
Seegeſtades wie Ettal, das mit feinem gedrungenen Auppelbau in
ſeinem engen Hochtal den wuchtig wirkenden Bergen angepaßt iſt.
Oder wo gibt es in ſeiner Art ein zweites Bild, das man dem ein⸗
ſamen, ſtill in feiner kanonartigen Donauſchlucht verborgenen Welten⸗
burg an die Seite ſtellen könnte? Und wer möchte es bezweifeln, daß
man in einer der alten Aibteien heimatfroh werden kann, welche die
donau begleiten und ſo einzigartig unter dem Banne dunkler Berge,
unendlicher Ebenen und eines majeſtätiſchen Stromes ſtehen? Doch
man käme an kein Ende, wollte man all jene Plätze aufzählen, deren
landſchaftliche Schönheiten fo recht zum erſtenmal von Benediktiner⸗
mönchen entdeckt worden ſind.
hatten unſere Vorfahren einmal den Platz gefunden, von dem fie
mit faſt inſtinktivem Feingefühl erkannten, daß etwas in ihm lag,
was ihn berufen erſcheinen ließ, der klöſterlichen Familie ein Dauer-
heim zu werden, dann gingen ſie hurtig daran, ihm ein ganz beſtimmt
benediktiniſches Gepräge zu geben. Ein rüſtiges Werken und Schaffen
120
ſetzte alsbald ein, um möglichſt ſchnell ein echtes heim nach eigener
Art erſtehen zu laſſen. Der heilige Dater Benediktus hatte recht wohl
gewußt, daß es feinen Rindern nicht frommt, lange außerhalb eines
kiloſters leben zu müſſen; Weltluft iſt ja Gift für die Mönche. Drum
ſchrieb er ihnen in ihr Familiengeſetzbuch den Satz: „Ein Kloſter aber
ſoll, wenn es irgendwie ſein kann, ſo gebaut werden, daß der Brunnen
und die Mühle und der Garten und alle möglichen handwerke inner⸗
halb des Kloſterbezirkes ſelbſt betrieben werden, damit die Mönche
ſich nicht draußen aufzuhalten brauchen; denn das tut ihren Seelen
gar nicht gut.“ Ei, die böſe Welt wollten fie ſchon ferne halten: und
ſo zogen ſie um den ſauber gerodeten Platz, auf den die Abtei zu ſtehen
kommen ſollte, eine ſchützende Mauer, die nicht bloß böſe Menſchen
und räuberiſches Getier, ſondern mehr noch den ſchlimmen Geift der
Derweltlihung abwehren konnte vom Haufe Gottes. Und dann ſcholl
in den umliegenden Wäldern die Akt und loderte der Brand im Ge⸗
ſtrüpp und gab Raum und Holz zum Bau fürs haus des Herrn und
für die Wohnungen der Brüder. Einfach war alles anfänglich, aber
fleißig arbeiteten die Mönche und Wirtſchaftsgebäude erſtanden und
Felder wurden angelegt und Mühlen klapperten gar bald, den gol⸗
denen Ertrag der erſten Ernte zu mahlen. Und der Fluß mußte es
ſich gefallen laſſen, daß man ihm ſeine ungeſtüme Bahn einengte durch
Pfahlgeflecht und Dämme und daß man Brücken über ihn ſchlug. Ein
Sträßlein wurde wohl gezogen durch den Wald, daß der Prieſter
hinauskonnte zu den Menſchen, ihre noch rohen Herzen mit chriſtlicher
Lehre zu betreuen, oder damit von draußen der Pilgrim den Weg fand ins
Kloſter, fi Hilfe und Troft zu holen. Nie raſteten die Brüder: Werk:
ftätte neben Werkftätte erftand, wenn kundige Männer der frommen
Gemeinde ſich anſchloſſen, eine eigene Kloſterſchule wurde wohl gar
gebaut, wenn brave Leute ihre Kinder dem Heiligtum weihten, ein
Pilgerhaus wurde eröffnet am Tore, damit kein Fremdling ungeſtärkt
vorüberziehen müffe am Rlofter. Wenn dann die Zahl der Brüder ſich
mehrte, dann wagte man ſich an einen Neubau des Münſters aus
künſtlich behauenem Stein, mit ragendem Turm, von dem die Glocken
über die Wälder hinriefen zu den fernen Dörfern, und mit farbigen
Bildern in den gewölbten Fenſterniſchen. Und wenn ein Bruder einmal
ins Mutterkloſter geſchickt wurde, aus dem man ausgezogen, dann
brachte er wohl Samen heim, daß man kräuter und Blumen draus
ziehe im Kloſtergarten und heilſame Pflanzen fürs Arankenftüblein
und die kiloſterapotheke; oder man gab ihm edle Reifer mit, daß der
Gärtner ſie pfropfe auf die ſaueren Wildlinge aus den umliegenden
121
Wäldern oder gar köſtliche Reben, wenn ſonnendurchglühte hänge am
Rlofter nach Süden hinſchauten. Grund und Boden waren nicht teuer
rings um die erſten bayrifchen Benediktinerklöſter; meiſt fand ſich ein
freigebiger Stifter, der den Mönchen von feinen Wäldern ſchenkte und
ſeinen Wieſen und Weiden und heiden, daß die fleißigen Brüder ſie
umwandelten in ertragreiche Felder und kicker und Baumgärten. Es
gab Zeiten, wo ſich Adelige und Biſchöfe und Bauern förmlich zu
übertreffen ſuchten, um dem nahen Stifte etwas von ihrem Beſitztum
zuzuwenden, damit fie fo Anteil bekämen am Gebete der Brüder. Ruch
durch glücklichen Tauſch ließ ſich des Rlofters Gut abrunden und durch
kauf erweitern; denn ſparſam waren die Mönche und fleißig die rũh⸗
rigen hände; ein reicher Gönner fand ſich gar wohl auch, der dem
Münfter das nötige Geld ſchenkte wie der Bayernherzog dem hl. Ror⸗
binian, der damit im ſchönen Südtirol ein Kloſter ſich bauen konnte
und ein kirchlein und ſchützende Mauern. „Und eine ganze Reihe von
Weinbergen konnte er noch damit anlegen und einen Baumgarten für
den Obſtbau“, erzählt Rribo in feinem Leben des heiligen.
Darf ich erzählen, wie mein Klofter feine Dandſchaft geſtaltete,
als der fromme Prieſter Waltrich es ſtiftete im Jahre des Heiles 762?
Wo heute üppige Wieſen ſich breiten und fruchtbare Felder, da war
die Jar damals noch unumſchränkte Herrin. Geradeſo ſah es noch
aus, wie dort, wo flußaufwärts auch heute der wilde Gebirgsſtrom
noch nicht in den beſänftigenden Zwang der Kultur genommen worden
it. Kiesbänke und Schotterhalden und dürftige Flußauen bedecken
dort das Tal noch auf Rilometerbreite und ſchaffen das charakteriſtiſche
Bild der Jſarlandſchaft. Dieſen Typus haben unſere Altvordern aller⸗
dings gänzlich geändert; aber es müßte ein Natur fanatiker fein, der
ihnen daroh grollen wollte. Die traurigen Steinwüſten find ver⸗
ſcwunden und die dürftigen Heideinſeln und die Tümpel und Gräben
und Moorwinkel. Auch die Ifar muß ſich bequemen, etwas fanftmütiger
zu fein und ſich an Gehorſam und Zucht zu gewöhnen, folange fie durch
unſer Kloſtertal fließt; und nur ſelten vergißt fie fi) fo weit, daß fie
id) in Frühlingszeiten über den birkenbeſtandenen Damm hinauswagt,
ber ihr die renzen zieht. Es braucht eben nicht immer Zerftörung
zu bedeuten, wenn der Menſch ſich anſchickt, in die ungezähmte Natur
einzugreifen. Mönchshände vernichteten gewöhnlich keine Schönheits⸗
werte, veredelten vielmehr meiſt, was ſonſt ungepflegt und unentfaltet
geblieben wäre. Was die Benediktiner und in ſpäterer Zeit die Prämon⸗
ſratenſer aus dem Schäftlarner Talbecken gemacht haben, entſchädigt
teichlich für das, was an Urwüchſigkeit und Unberührtheit ſchwinden
122
mußte. Einer, der von Naturſchönheit etwas verſteht, R. h. France,
hat ein Büchlein gefchrieben!, worin er wegen der feinen Unmutslinien
und des harmoniſchen Juſammenwirkens von Fluß, Wald, Wieſen,
Felswänden, Auen und höhen die Schönheit unſeres Tales geradezu
klaſſiſch nennt. Würde man fi) aus dieſer Candſchaft all das, was
die Arbeit der Mönche geſchaffen hat, wegdenken, ſo würden wohl die
allgemeinen Linien bleiben, die rohe Naturgewalt des ungebändigten
Gebirgswaſſers würde ihr aber das Ruhig⸗Anmutige ihres heutigen Aus:
ſehens nehmen. Man kann ohne Überhebung ſagen, daß die jetzige 6e-
ſtaltung unſeres Talbeckens unumſtritten das Werk unſerer Väter iſt.
man darf das Geſagte auf die allermeiſten bauriſchen Klöſter an⸗
wenden. Welche freundliche Candſchaftsbilder hat, um nur zwei Bei:
ſpiele heraus zugreifen, das mitten in unwirtlichen Bergwäldern und an
ungaſtlichen Seeufern gegründete Tegernſee oder das in die Sumpf:
gebiete des Alpenvorlandes hineingebaute Benediktbeuren aus
dieſen Wildniſſen hervorgezaubert?
Kann es noch Wunder nehmen, wenn die Anfiedelungen der Mönche
zum Unziehungspunkt auch für andere Anfiedler wurden, fo daß ſich
gar häufig ein kleiner Ort, ein Dorf oder eine Stadt entwickelte? Dabei
trugen faſt all dieſe Klöſter das Beſtreben in ſich, ihren Wirkungs⸗
bereich immer weiter auszudehnen; beinahe jede der alten Abteien
gründete in ihrer näheren und weiteren Umgebung Filialen, die ihrer⸗
ſeits wiederum zu Mittelpunkten eines neuen Wirtſchaftslebens wurden.
Schäftlarn war 3. B. nur eine Tochterniederlaſſung des Freiſinger
Domkloſters und hatte als Schweſterfilialen noch Jſen, Scharnitz,
Schlehdorf, Schlierſee und Innichen. Jedes dieſer Klöfter wurde
ſeinerſeits wieder zu einem kulturellen Jentrum mit einer ganzen Reihe
von neuen Zellen und Höfen und Anfiedelungen. Durch. die heute fo
rührig betriebene Ortsnamenforſchung hat die neuere Geſchichtsſchrei⸗
bung bei vielen hunderten von größeren oder kleineren Orten einen
unzweifelhaften urſprünglichen Zuſammenhang mit mönchiſcher Aultur:
tätigkeit nachgewieſen. Bei einem fo fruchtbaren Außenwirken unferer
Rlöfter mußte allmählich ein ganzes Land ein vollkommen verändertes
Nusſehen bekommen; die bandſchaft mußte förmlich einen, mönchiſchen“
Charakter annehmen. Bei unſerm bauriſchen Alpenvorland war das
tatſächlich der Fall; bildete ſich doch hier ein ganzes Netz von Kloſter⸗
anſiedelungen, ſo daß man ſcherzweiſe im Mittelalter ſagen konnte, man
könne vierzehn Tage darin herumreiſen und jeden Mittag und Abend
in einem anderen Stifte ſpeiſen. In dieſem ſogen. „Pfaffenwinkel“ gibt
' Wanderungen in der Umgebung Münchens. München 1920, Bruckmann.
123
es heute kaum einen irgendwie bedeutenderen Ort, der nicht die Spuren
benediktiniſcher Kultur aufweifen konnte. Gerbert von St. Blaſien
konnte feiner Zeit feiner großen, dreibändigen „Seſchichte des 8SHHwarz⸗
waldes“ den Untertitel: „einer Kolonie des Benediktinerordens“ geben
und wollte damit die hohen Derdienfte der vielen Benediktinerklöfter
um die Aultivierung und Derchriſtlichung dieſes abgelegenen Gebirgs⸗
landes hervorheben. Wie er den ganzen Schwarzwald gewiſſermaßen
als eine große Siedelung des Benediktinerordens kennzeichnen konnte,
ſo wird auch der Hiſtoriker, der einmal die Seſchichte der frühbau⸗
riſchen kirche ſchreiben wird, mit Recht behaupten dürfen, der Geiſt des
benediktiniſchen Mönchtums habe das Ausfehen der bajuwariſchen
erde von Grund aus geändert.
eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee ee e eee eee e eee eee eee eee e eee ee eee e eee e eee eee ee eee eee eee
Seelenfrühling.
Un weiß ich, lieber Bott, warum du menſchenherzen geſchaffen.
Du haft es mich durch den Brief dieſer begnadeten Seele erkennen
laſſen. Du wollteſt den aufbrechenden Frühling der vom Strahl deiner
biebe berührten Menſchenſeele ſchauen und im Paradies ihrer blü-
henden Herrlichkeit luſtwandeln. Und ich meine faſt, du ſchickeſt nur
deshalb immer wieder den Winter des beides über deine Rinder, um
immer wieder dieſen Frühling aller Frühlinge in deine ſeligen Augen
zu trinken, um immer wieder das entzückendſte all deiner Wunder zu
ſehen: dieſes wonneſame Nufbrechen alles verborgenen Lebens, dieſes
glückſelige Wachwerden aller heimlichen Anofpen unter dem zarten
hauch deiner Gnade. Und ich denke ſogar, dein ganzer himmel iſt
nichts anderes als ein einziges Aufbrechen unſerer herzen zu dir, ein
ewiger Frühling der Liebe. 2
fiber dies eine, lieber Gott, verftehe ich nicht: warum du mich,
gerade mich nun ſchon ſo oft bei der hand genommen haſt und einen
Blick voll ſtrömenden Glückes in ſolche Paradiesgärten von auf⸗
blühenden Menſchenherzen tun ließeſt. Ich bin doch böſe, böſer als
alle meine Brüder. Oder doch, ich verſtehe es, ich weiß es: gerade
weil ich böfe bin. Du willſt mir in deiner ehrfürchtigen und liebevollen
Weife ſagen: wann endlich wirft auch du deine finftere Seele meinem
bichte, meiner Gnadenfonne öffnen; wann endlich wirft auch du Früh⸗
ling werden? Ach Gott, nun muß ich voll Scham meine Seele ver⸗
bergen, weil fie fo winterlich iſt. Draußen bricht der Frühling auf, und
meine Freunde ſtehen ſchon über und über voll Blüten, und ich — Gott
verzeih mir und hilf mir! Denn wenn nicht alle Frühlingsſonnen deiner
biebe über mich kommen, bleibe ich ewig Winter. Balbulus.
23 38
3 —
*
—
Sigisbert / Abt des Kloſters Schäftlarn
Im Jahre des Herrn 1924.
125
Schäftlarn.
Don P. Sigisbert Mitterer (Schäftlarn).
eit Stutz! auf die hervorragende Bedeutung des germaniſchen
Eigenkirchenweſens aufmerkſam gemacht hat, iſt viel bicht in die
ältefte deutſche kirchengeſchichte gekommen. Nuch für die Urgeſchichte
der bauriſchen Benediktinerklöſter muß ſeitdem eine ganz neue Be⸗
trachtungsweiſe geübt werden.
Es war ein ungemein dichtes Netz von Klöſtern und Zellen unferes
Ordens, das ſich über das agilolfingiſche Bayern hinzog, ſo daß da⸗
mals das ganze Land einen ſo eigentümlich benediktiniſchen Charakter
trug, daß Faſtlinger? feine Unterſuchung über die wirtſchaftliche Be⸗
deutung der Klöfter dieſer Periode mit vollem Recht folgendermaßen
ſchließen konnte: „Der Geiſt des Mönchtums, der Geiſt der Benediktus-
tegel hatte das Angeſicht der bajuwariſchen Erde erneuert.“ Da iſt es
nun geradezu auffallend, daß die weitere Entwicklung dieſes hoffnungs⸗
vollen benediktiniſchen Lebens das nicht gehalten hat, was fie verſprach.
Denn man eine Gifte der zweihundert Jahre ſpäter auf dem gleichen
Boden noch beſtehenden Tliederlaffungen zuſammenſtellen will, fo iſt
man förmlich überraſcht von der Tatſache, daß von all den vielen
übteien und Zellen der Agilolfingerzeit um die gahrtauſendwende
kaum noch ein kleiner Bruchteil beſtand. Alle anderen ſind verſchwun⸗
den oder in den Beſitz neuer Orden übergegangen. Man hat ſich daran
gewöhnt, den Nöten der Ungarnzeit die Schuld an dieſem unbeſtreit⸗
baren Niedergang zuzuſchreiben. Das dürfte nicht ganz berechtigt ſein.
gewiß mögen jene ſchrecklichen Befchehniffe vieles dazu beigetragen
haben, den Juſammenbruch zu beſchleunigen. In ihnen liegt aber keine
erklärung dafür, warum denn unſer Orden befremdlicherweiſe die
ihm doch ſonſt eigentümliche Anpaſſungsfähigkeit an die zeitlichen Not⸗
wendigkeiten nicht zu entfalten wußte. Es läßt ſich unmöglich glauben,
daß die benediktiniſchen Gemeinden der Dorungarnzeit faſt ohne Rus⸗
nahme eine bei aller Furchtbarkeit doch nur den äußeren Beſtand der
klöſter vorübergehend gefährdende Not nicht zu überwinden gewußt
hätten, wo doch unſer Orden früher ſchon und auch ſpäter gar oft in
manchen Ländern aus ähnlichen Drangſalen auch nicht ſchwächer, ſon⸗
dern nicht ſelten nur innerlich ftärker hervorgegangen iſt. Der eigent-
liche rund des fo allgemeinen Zuſammenbruches muß tiefer liegen.
Stutz, U., Die eigenkirche als Element des mittelalterlich⸗germaniſchen Kirchen
rechtes. Berlin 1895. Faſtlinger, M., Die wirtſchaftliche Bedeutung der bau⸗
tiſchen Alöfter in der Zeit der Agilulfinger. Freiburg 1903.
126
Faſt all dieſe Klöfter waren innerlich unbenediktiniſch geworden und
konnten darum die im gefunden Benediktinertum liegende Widerſtands⸗
kraft gegenüber ſolchen äußeren £rifen nicht mehr aufbringen. Für ein
Benediktinerkloſter iſt es geradezu weſentlich notwendig, daß es nach
innen und außen frei und unabhängig feinen Charakter als ein familien-
mäßig organifiertes 8emeinweſen entfalten kann. Ein Benediktiner⸗
kloſter kann ſeinem ganzen Weſen nach niemanden „gehören“ als nur
der eigenen Familie ſelbſt; es kann niemanden unterſtellt ſein als ſeinem
eigenen Abt; und es kann für niemanden arbeiten als für ſich ſelbſt
und im Bereiche des eigenen hauſes. Nimmt man ihm dieſe unbe:
dingte Selbſtändigkeit, ſo nimmt man ihm etwas für ſeinen Beſtand
Weſentliches und darf dann auch nicht erwarten, daß es trotz dieſer
Derftümmelung die gerade in feinem Familiencharakter liegende un⸗
verwũſtliche Lebenskraft entfaltet.
Die benediktiniſchen Niederlaffungen der Agilolfingerzeit waren nun
in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht ſelbſtändig, ſondern in einem
oft ſehr weitgehenden Maße abhängig; ſie „gehörten“ jemandem, waren
Eigenklöfter. Das Weſen des Eigenklofters beſteht wie bei der Eigen⸗
kirche darin, daß ſich irgend jemand einen rechtlichen Eigentumstitel
auf das kloſter oder die Kirche erwirbt und auf Grund dieſes An-
ſpruches darüber verfügt wie über irgend ein anderes ihm eigentümlich
zugehöriges Grundftück oder Gebäude, das er verſchenken oder ver⸗
kaufen, vertauſchen oder vererben kann ganz nach Belieben. kirche
oder kiloſter werden fo für ihn zu einer wirtſchaftlich rentierenden
Rapitalsanlage. Der die Eigenkirche verſehende Geiſtliche und der das
Eigenklofter leitende Abt gelten dem Grundherrn als verantwortliche
Angeſtellte, für deren Unterhalt er aufkommt und die er nicht ſelten
ganz nach freiem Ermeſſen ernennt oder abſetzt. Darum war es nicht
immer reiner Idealismus, was einen Dandesfürſten oder einen reichen
Adeligen zur Gründung eines Rlofters veranlaſſen konnte. Nicht ſelten
gingen mit einer gewiß nicht gering zu ſchätzenden Frömmigkeit auch
recht wohl überlegte wirtſchaftliche Erwägungen hand in hand. Daß
die ktirche, ſobald ſie einmal in Bauern feſten Fuß gefaßt hatte, gar
bald den Kampf gegen alle im Beſitze von Laien ſich befindenden
kirchlichen Eigengüter aufnahm, lag ſehr nahe, und die frühbauriſche
Kirchengeſchichte iſt darum auf weite Strecken nichts anderes als ein
ſtändiges Ringen zwiſchen der Kirche und den weltlichen Grundherren.
Für die innere Freiheit der Klöfter wurde aber auch durch den Sieg
der die kirchliche Autorität vertretenden Biſchöfe manchmal gar nichts
gl. oben: Die Familie als Grundlage benediktiniſchen Mönchtums.
127
gewonnen, weil viele Abteien durch fie keineswegs frei und unab⸗
hängig, ſondern nun einfach von den Bistümern in Eigenbefig ge⸗
nommen wurden. Solange an der Spitze der altbauriſchen Diözeſen
noch Biſchöfe ſtanden, die ſelber aus dem Benediktinerorden hervor⸗
gegangen waren und neben der biſchöflichen auch noch die äbtliche
Würde in einem der großen Domklöſter bekleideten, ließ ſich das noch
ertragen. ge mehr ſich aber dieſe Domklöſter in weltliche Ranonikate
umwandelten, um ſo weniger monaſtiſche Anregung konnte vom Dom:
ſtifte auf die Filialklöſter ausgehen. 50 ſanken dieſe allmählich immer
mehr zu bloßen wirtſchaftlichen Domänen herab, die von einem nur
mit Erlaubnis, wenn nicht gar einfach auf den Befehl des Biſchofs
hin aufgeſtellten Abte geleitet wurden, und deren Erträgniſſe mehr oder
minder dem Biſchof zufloſſen. Da gelang es ſogar den unter dem
Einfluß eines weltlichen herrn ſtehenden Eigenklöftern oft noch leichter,
fd) zu einer lebensfähigen benediktiniſchen Familie auszuwachſen;
denn mit der fortſchreitenden Chriftianifierung des Landes fette ſich
die Anfiht immer mehr durch, daß es kein kirchliches Eigentum in
baienhänden geben könne. So erklärt ſich auch die intereſſante Tat-
ſache, daß von den biſchöflichen Eigenklöftern nahezu kein einziges
ſobiel bodenſtändige Kraft aufbrachte, um die wirtſchaftliche Erſchüt⸗
terung der Ungarnzeit zu überſtehen, während ſich von den weltlichen
eigenklöſtern bis zu den Ungarneinfällen doch gar manches innerlich
ſchon ſoweit gefeſtigt hatte, daß es die notwendige Lebenskraft auf»
brachte, um jene Stürme zu überdauern und den Fortbeſtand des bene⸗
diktiniſchen Gebens zu ermöglichen.
es mag verwunderlich erſcheinen, warum dieſe Ausführungen mit
dem Titel „Schäftlarn“ überſchrieben wurden. Mit einem Derftändnis
des frühbauriſchen Eigenkirchenwefens erklärt ſich aber ohne weiteres
auch die Seſchichte des erſten Zeitabſchnittes unſeres kfloſters.
Das von dem zum altbauriſchen Adelsgeſchlecht der huoſi gehörigen
Priefter Waltrich gegründete Rlofter Schäftlarn wurde nämlich 762
von feinem bisherigen Herrn in aller Form für ewige Zeiten dem
Fteifinger Biſchof zu eigen übertragen’. Die Rirchenpolitik des Frei-
ſinger Domklofters ging damals grundſätzlich darauf aus, ſich im Bereich
ſeiner Diözefe einen ganzen Kranz ſolcher Filialklöſter anzufchließen,
um an ihnen wirtſchaftlich einen wertvollen Rückhalt zu haben und um
Den Einzelnachweis behalte ich mir für eine andere Gelegenheit vor. Ut in evum
permansisset ad domum sancte Marie ad Frisingas, ut nos et fratres nostri ibidem
habuissemus caput et tuitionem capitis. Mon. Boic. VIII, 363 (Stiftungsurkunde).
128
durch fie die Paftorierung des ausgedehnten Sprengels zu erleichtern.
Jſen, Scharnitz⸗Schlehdorf, Innichen, Schlierſee, hugiberts⸗
münfter waren die anderen frühbauriſchen Klöſter, die geradeſo wie
Schäftlarn noch im Laufe des achten Jahrhunderts zu Freiſingiſchen
Eigenklöftern wurden!. Schäftlarn ſcheint darunter eine verhältnis⸗
mäßig große wirtſchaftliche Selbſtändigkeit genoſſen zu haben; doch
darf man auch hier annehmen, daß gar nichts ohne Juſtimmung des
Abt-Bifchofes in Freiſing geſchah. Ja manchmal berichten uns die Ur:
kunden von wirtſchaftlichen, nur unſer Kloſter betreffenden Geſchäften,
die der biſchöfliche Brundherr erledigte, ohne den Schäftlarner Abt auch
nur beratend beizuziehen. Er konnte das auch tun; denn jener war
ja nur der Stellvertreter des Biſchofs. Dieſe Stellvertretung verſchaffte
den erſten Älbten unſeres hauſes übrigens auch eine große Ehre: fie
durften im Umkreis ihres Kloſters in gewiſſem Umfang rein biſchöf⸗
liche Rechte im Namen ihres Ordinarius ausüben und erhielten zu
dieſem Zwecke als chorepiscopi ſogar die biſchöfliche Weihe. Aber
fibte im ſtreng benediktiniſchen Sinn waren fie doch nicht, und ihr
Blofter war bei aller Gunſt, deren es ſich von ſeiten der Freiſinger
Biſchöfe erfreuen mochte, eben doch nur eine domſtiftliche Filiale und
keine vollwertige Familie. Darum iſt auch Schäftlarn trotz des nicht
geringen Umfanges ſeines Wirtſchaftsbetriebes ſo wenig wie irgendein
anderes Freiſinger Eigenklofter imſtande geweſen, die ſchweren Drang:
ſale der Ungarnzeit zu überſtehen und fein Eigenleben zu retten. Das
Domkloſter feinerfeits tat kaum etwas, in dieſem ktampf um Sein
oder Nichtſein ſeinen Filialen das Durchhalten zu erleichtern: hatte es
ja gewiß ſelbſt hart genug um feine wirtſchaftliche Exiſtenz zu ringen.
Es bediente ſich vielmehr in den Tagen der Not unbedenklich der letzten
Mittel feiner Eigenklöfter, mochten dieſe darob auch zugrunde gehen.
So verlangte Biſchof Dracholf (907 - 926), der Jeitgenoſſe des Bayern:
herzogs Arnulf, von den drei Rlöftern Moosburg, Ifen und Schäft:
larn neben der Ablieferung der ganzen wertvolleren Rirchenzier die
Barbezahlung von nicht weniger als 400 Talenten in Bold und Silber.
Daß ſich unter ſolchen Laften der leiſtungsfähigſte Wirtſchaftsbetrieb
verbluten mußte, iſt begreiflich. Inwieweit die einzelnen Klöſter unter
einem unmittelbaren Überfall feindlicher Horden zu leiden hatten,
wiſſen wir nicht mehr. Es iſt nicht ſehr wahrſcheinlich, daß die im
allgemeinen den großen Heerſtraßen folgenden Reiterſchwärme gerade
bis zu jedem der oft tief in den Bergen oder in einſamen Tälern
' Dgl. 8. Mitterer, Das Freiſinger Domkloſter und feine Filialen. Feſtſchrift
zum Freiſinger Korbinianus-Jubiläum 1924.
129
verftechten &löfter den Weg fanden; es mag vielmehr nicht ſelten nur
in unmittelbarer Auswirkung die ſchlimme Zeitlage am Untergang
der Klöſter ſchuld geweſen fein, weil eben ihre wirtſchaftliche Ceiftungs-
fähigkeit wegen der ftändigen Üderforderungen allmählich auch dort
zuſammenbrechen mußte, wohin kein Feind direkt kam. Zeit ſich
vollends das Domkloſter um dieſelbe Zeit allmählich ſelber auflöfte
und in ein weltliches Ranonikat umwandelte, mußten die fo unſelig
enge mit ihm verknüpften Filialklöſter immer mehr einer gerade da⸗
mals doppelt notwendigen Befruchtung ihres klöſterlichen Innenlebens
durch das Domſtift in zunehmendem Maße entbehren. Erſt dieſe zu der
wirtſchaftlichen Not hinzukommende geiſtige Derarmung beſiegelte den
Untergang: kein einziges der freifingifchen Eigenklöfter hat feine bene⸗
diktiniſche Eigenart über die Ungarnzeit hinaus zu wahren vermocht.
Um 930 hörte Schäftlarn auf, ein ſelbſtändiges Benediktinerkloſter
zu fein. Nur einige Ranoniker lebten noch dort, um für den Seel-
ſorgsbedarf der Umgebung aufzukommen und das domſtiftliche Be⸗
ſtztum zu verwalten. Erſt zweihundert Jahre ſpäter wurde das klöſter⸗
liche beben in Schäftlarn wieder erneuert. Aber Benediktiner waren
es nicht mehr, die es weiterführen ſollten; vielmehr übergab der Frei⸗
finger Biſchof Otto der Große 1140 das Kloſter dem damals in junger
Blüte ſtehenden Orden der Prämonſtratenſer, deſſen Söhne in
Schäftlarn bis 1803 wirkten. Auf die Geſchichte dieſer nichtbenedik⸗
tinifhen Periode unſeres hauſes ſoll hier nicht näher eingegangen
werden!. Es iſt die Geſchichte eines mittelgroßen ſüddeutſchen Kloſters,
das nie beſtimmend und bahnbrechend in die kirchlichen und ſtaatlichen
beſchehniſſe eingegriffen hat, das aber an feinem Platze und in feinem
Arbeitsbereich Gutes ſchuf, wo es nur konnte und das zum Segen
derer wurde, mit denen es ſein Beruf zuſammenführte. Es iſt die
beſchichte eines klöſterlichen Derbandes, der ſchwere Zeiten äußeren
Unglückes und zeitweiſe inneren Mißgeſchickes ebenſo kannte wie
Perioden äußerer Entwicklung und geiſtigen Hhochſtandes. Es iſt die
beſchichte eines kiloſters, das — ich darf es mit Stolz ſagen — feinem
Berufe gefliſſentlich nie untreu wurde, ſondern das in ruhiger äußerer
und innerer Aufwärtsentwicklung begriffen war und alle Gewähr
geboten hätte, noch lange Zeit wirken zu können zur Ehre Gottes
und zum heil der Menſchen. Da wurde es 1803 das unglückliche
Opfer einer glaubensloſen Zeit.
Der verftorbene Subprior unſeres Kloſters P. Geo Abſtreiter hat in feiner
1916 erſchienenen „Seſchichte der Abtei Schäftlarn“ vor allem die prämonftratenfifche
deit unſeres Baufes ſehr ausführlich behandelt. Selbftverlag des Alofters (223 8.)
Benedikttniſche Monatfchrift VI (1924), 3-4. 9
130
Diele Klöſter find damals in ihrem oft uralten Beſtand vernichtet
worden. Nicht in all dieſen häuſern hat man das traurige Geſchäft
der Plünderung und Derſchleuderung fo gründlich betrieben wie bei
uns. Schäftlarn war eine der erſten Abteien außerhalb Münchens,
welche die privilegierten Räuber heimſuchten. Da waren fie noch nicht
fo erfättigt wie bei manchen Rlöftern, die man etwas ſpäter erſt auf⸗
hob, und wo ſich von dem Hausrat, der Kirchenzier, den Büchern und
Bildern doch gar manches erhielt, bis in ſpäteren Tagen wieder Mönche
die entweihten Räume bezogen. In Schäftlarn fanden unſere Mit⸗
brüder bei ihrer Ankunft 1866 kaum etwas anderes mehr vor als
ein leeres haus. Das Stift hatte in der ſo viele gahre dauernden
Jeit feiner Profanierung ſo manche Herren ertragen müſſen, die in
dem Gotteshaus nichts anderes ſuchten als eine gute Rente für ihre
in das Unternehmen geſteckten Gelder.
König Ludwig I. von Bayern machte nach kräften wieder gut,
was fein Dater gefehlt hatte. Er errichtete am 17. Mai 1866 auf An-
raten des damaligen Münchener Erzbiſchofs Sregorius v. Scherr,
der vor ſeiner Berufung nach München Abt in Metten geweſen war,
aus ſeinen Privatmitteln Schäftlarn wieder und gab es den Bene⸗
diktinern. Es war ein gar ſchwaches Reislein, das damals im alten
Rlofter des hl. Dionuſtus und der hl. Juliana wieder neu gepflanzt
wurde, damit es nach Benediktinerart in ruhiger, ſteter Entwicklung
heranwachſe. Die damalige bauriſche Benediktinerkongregation hatte
beim beſten Willen nicht die Macht, mit genügenden äußeren und
inneren Mitteln an den Ausbau ihres jungen Rlofters zu gehen. Es
fehlte nahezu an allem, um gleich mit Araft an eine wirklich frucht⸗
bare Betätigung auf allen Arbeitsfeldern zu ſchaffen, für die das neue
Kloſter beſtimmt war. Die äußere Not hat ſich inzwiſchen wohl etwas
gehoben. Es gelang im Laufe der Jahre, wenn auch mit ſchwerſten
Opfern, die Güter des alten Rlofters in weitem Umfang wieder zu
erwerben, ſo daß der materielle Beſtand einer benediktiniſchen Familie
geſichert erſcheint. Auch einen äußeren Wirkungskreis hat ſich Schäft⸗
larn allmählich geſchaffen. Inftitut und Progumnaſtum erfreuen ſich
zuſehends der Wertſchätzung vieler. Aber Erziehungs- und Lehrtätigkeit,
wie auch die Pfarrſeelſorge voll auszubauen, daran hindert uns noch
die viel zu geringe Zahl der Glieder unſerer Familie. Möchte Gott zum
gubeltage unferem greifen Dater einen hl. Bernhard ſenden mit vielen
Gefährten. Ihm wäre es das größte Snadengeſchenk. Ruch wir haben
keinen ſchöneren Wunſch für unſeren greifen Abt als den des Pfal-
miften (Pf. 127, 6): Videas filios filiorum tuorum!
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Weißer Frühlingskrokus.
kirokusblũte, filberbetaut,
Von der Sonnenſehnſucht geboren,
Selige Unſchuld, vom Lichte zur Braut
bor den Frühlingsblumen erkoren.
Trink denn, Braut, das bräutliche Licht
Bis zum letzten ſcheidenden Schimmer:
Bald kommt die Nacht und wer weiß, ob ſich nicht
deine Blätter ſchließen für immer.
Seele, Seele, fieh, das biſt Du,
Dieſe zarte, ſilberne Blüte —
Du, meine Seele, was ſchließt Du Dich zu
bor dem Lichte göttlicher Güte?
Öffne, Seele, öffne Dich weit,
Tu Dich auf der ewigen Sonne!
Öffne den lielch — und im Rind der Zeit
keimen Ewigkeiten voll Wonne.
P. notker Würmſeer.
131
9*
132
Der Einheitsgedanke im Rirdlichen Geben
der Faſten⸗ und Ofterzeit.
Don P. Emmanuel heufelder (Schäftlarn).
t omnes unum sint, . consummati in unum, „Daß alle eins fein
möchten, .. vollkommen eins!“ fo betete unſer Erlöfer (Job. 17,
21. 23), als er Abſchied nahm von den Seinen. Die Erfüllung dieſer
Bitte war ſein größtes Anliegen in jener Stunde, gleichſam die gute
Meinung, mit der er in den Tod ging. So hatte ja der Ratfchluß des
göttlichen Willens gelautet: „in der Fülle der Jeiten in Chriſtus alles
wieder unter einem haupt zuſammenzufaſſen, was im himmel und
was auf Erden iſt“ (Eph. 1, 10), eine große wundervolle Einheit herzu⸗
ſtellen nicht nur zwiſchen Bott und den Menſchen, ſondern auch zwiſchen
den Menſchen untereinander. Wir würden darum die Faſten⸗ und
Oſterzeit, die in beſonderer Weiſe der Erinnerung an unſere Erlöſung
und ihrer Fruchtbarmachung für uns geweiht iſt, nicht im Sinn Chriſti
feiern, wenn wir nicht den großen Gedanken dieſer Einheit in uns
lebendiger werden ließen. Es iſt von tiefer Bedeutung, daß die Kirche
ihre lieder gerade in dieſer Zeit zum Empfang der heiligen Sakra⸗
mente der Buße und des Altares ruft, zur Oſterbeicht und zur Oſter⸗
kommunion. Dieſe beiden Sakramente, im Geiſte Chriſti und der Kirche
empfangen, ſind die hervorragendſten Betätigungen des kirchlichen
Gemeinſchaftslebens und die fruchtbarſte Mitarbeit an der Derwirk:
lichung der Heilandsbitte. |
Man möchte meinen, es gebe nichts fo Perſönliches, nichts, was fo
einzig und allein das eigene Ich und fein unmittelbares Verhältnis
zu Gott anginge als die Sünde und ihre Tilgung in der heiligen Beicht.
Aber die Sünde iſt nicht bloß eine Beleidigung Gottes und eine Schä⸗
digung der eigenen Seele, ſondern auch ein Unrecht gegen die Mit⸗
menſchen, gegen die Semeinfchaft der Gläubigen. Alle Gläubigen bilden
ja nach dem hl. Apoftel Paulus (1. Kor. 12) einen Leib, fie find muſtiſch
Chrifti Ceib, und find gleich den Gliedern eines menſchlichen Leibes
miteinander verbunden. Wie nun das Gedeihen und Wohlbefinden
eines menſchlichen Leibes von der Geſundheit der einzelnen Glieder
abhängt, wie die Krankheit eines Bliedes den ganzen Leib arbeits:
unfähig machen oder ihn doch in der vollen Entfaltung feiner Gebens:
kraft hemmen kann, fo iſt es auch im großen Leib der kirche. Nuch
da „leiden, wenn ein Glied leidet, alle Glieder mit, und wenn ein Glied
ſich freut, freuen ſich alle mit“ (12, 26). Jede gute Tat, die von irgend
133
einem Glied des Leibes der Kirche getan wird, und fei fie auch noch
ſo verborgen, ſteigert die Lebenskraft des ganzen beibes; und jede
Sünde, die von irgend einem Glied desſelben Leibes begangen wird,
auch die geheimſte Gedankenſünde, ſchwächt den ganzen Leib. An
dem Platz, den das ſündige Glied im Leib der Kirche einnimmt, kann
das übernatürliche Leben nicht mehr friſch und kraftvoll pulfieren.
Bier ſtockt der Juſtrom der göttlichen Gnade entweder ganz, bei der
Todfünde, oder er fließt nicht mehr fo reichlich, bei der läßlichen Sünde.
Das durch die Sünde erſtorbene oder kranke Glied leiſtet nichts mehr
oder nicht mehr das, was es leiſten könnte und ſollte für den Auf-
bau und das Wachstum des Leibes der Kirche. So übt jede unferer
ſittlich guten wie ſittlich ſchlechten Taten ihre Wirkung aus nicht bloß
auf uns ſelber, ſondern auch auf die Semeinſchaft, der wir einge⸗
gliedert find. Darum find wir aber auch für unſer ganzes ſtttliches
Streben dieſer Gemeinſchaft verantwortlich. Chriftus hätte uns das
nicht greifbarer und wirkſamer zum Bewußtſein bringen können, als
dadurch, daß er jenem Sakrament, durch das wir Vergebung unſerer
Sünden erlangen, die Form eines Gerichtes vor dem Diener der Kirche
gegeben hat. Es handelt ſich bei der Sünde wirklich um eine Rechts⸗
verletzung zugleich gegenüber der Kirche, eine geiſtige Schädigung der
bemeinſchaft der Gläubigen. Darum muß der Sünder feine Schuld
nicht bloß vor Gott, ſondern auch vor dem Prieſter, dem Diener der
kirche, bekennen und abbitten und in der willigen Verrichtung der
vom Stellvertreter der Semeinſchaft auferlegten Buße Erſatz leiſten
auch für den Schaden, den er der Gemeinfchaft zugefügt hat. An die
Erfüllung dieſer Pflicht ift die Derzeihung der Sünde auch von Seite
Bottes geknüpft, und wenn auch eine Nachlaſſung der Sünde ohne
vorausgehendes Bekenntnis vor der Gemeinſchaft eintreten kann auf
Grund vollkommener Reue oder z. B. bei bosſprechung in Todesgefahr,
ſo iſt Dorausfegung für eine ſolche Nachlaſſung die Bereitwilligkeit,
das Bekenntnis und die Übernahme einer Genugtuung bei Gelegen⸗
heit nachzuholen. Die Pflicht, ein geſchehenes Unrecht nach Kräften.
wieder gut zu machen, hört aber nie auf, auch wenn das Unrecht
ſelbſt längſt verziehen iſt.
Im bichte dieſer Gedanken offenbart ſich uns erft, von welch tiefer
Bedeutung das Buß ſakrament für das Gemeinſchaftsleben des muſti⸗
(hen eibes Chriſti iſt. Es hat im Organismus der Rirche die Stö⸗
rungen in den Beziehungen der einzelnen Glieder zum Leib und zu
einander wieder zu befeitigen und alle Glieder, in denen das über:
natürliche Leben durch die Sünde erſtorben oder geſchwächt iſt, für
134
die Semeinſchaft wieder gefund und lebenskräftig zu machen.! Darum
ruft die Kirche gerade in der Faſten⸗ und Oſterzeit alle ihre Glieder
zur heiligen Beicht', darum ſieht fie in der Nichterfüllung dieſer Pflicht
eigentlich eine Losſagung von ihrer lebendigen Gemeinſchaft: an Oſtern
will fie ja Auferftehung feiern mit Chriſtus, ihrem göttlichen Haupt,
deſſen Leib fie if. Da ſoll Haupt und Glieder das gleiche göttliche
beben in ungeſchwächter kraft und Herrlichkeit durchſtrömen, ſodaß
wirklich „alle eins find“ in wahrer Oſterfreude. Um das zu erreichen,
faßt die Kirche in der Dorbereitungszeit auf Oſtern gleichſam alle ihre
Kräfte zuſammen zum Bampf gegen die Sünde, gegen alle Todes:
und ktrankheitskeime in ihrem Leib. Darum ihr eindringlicher Ruf
zum Bußgericht an alle ihre Glieder, darum ihr unabläſſiges Bitten
und Flehen in der Liturgie der Faſtenzeit, daß Gott alle Sünde von
ihr wegnehmen möge, darum ihr Büßen und Entſagen, „auf daß die
Schuld der übrigen Zeiten durch gute Werke und reinigendes Faſten
gefühnt werde.“ Auf ſolche Weiſe „läutert Gott durch die jährliche
Beobachtung der vierzigtägigen Faſten feine Kirche“, fo daß fie dann
am Oſtertag „in ihrer ganzen Herrlichkeit, ohne Makel oder Runzel
oder etwas anderes, was ſie verunſtaltet, ganz heilig und unbefleckt“
(Eph. 5, 27) vor ihrem verklärtem Bräutigam ſteht, „der ſich in Liebe
für fie dahin gegeben hat, um fie zu heiligen“ (ebd. D. 25), und der
ſich nun in der Oſterkommunion aufs neue hingibt, um ihre heili⸗
gung zu vollenden, fie zur „Semeinfchaft der Heiligen“ im höchſten
Sinn zu machen. g
Die Oſter kommunion, die als die gemeinſame Kommunion des
ganzen muſtiſchen Leibes Chrifti, als die Aommunion aller, die über:
haupt noch Glieder der Kirche fein wollen, alle einzelnen kommu:
nionen des Jahres gleichſam zuſammenfaßt, ift die Arönung und Doll:
endung des kirchlichen Gemeinſchaftslebens, weil die vollkommenſte
Verwirklichung des heilandswortes: ego in eis et tu in me, ut sint
consummati in unum, „ich in ihnen und Du in mir, auf daß fie voll⸗
kommen eins ſeien.“ Durch die ſakramentale ktommunion iſt Chriſtus
in uns und wir find in ihm, fo wie der Vater in ihm iſt und er im
Vater. Das göttliche Leben, das vom Schoß des Vaters ausgeht in
den Sohn und im hl. Geift zurückflutet zu feiner Quelle, ſtrömt durch
den Genuß des Lebensbrotes auf uns über, erfaßt und durchdringt
uns als lebendige Rinder des lebendigen Gottes. „Wie mich der leben⸗
dige Dater geſandt hat und ich durch den Vater lebe, fo wird der,
8. die Note am Schluß. Can. 906 c. i c. ſagt zwar nur „wenigftens einmal im
Jahr“; praktiſch ergibt ſich die Oſterbeicht. St. Deo am 1. Faftenfonntag. * Oration ebd.
135
welcher mich ißt, durch mich leben“ (Joh. 6, 58). Unſere Lebens=
gemeinſchaft als Glieder des Leibes Chriſti wird dadurch hineingeſtellt
in die bebensgemeinſchaft des dreimalheiligen Sottes und fo zur
„Semeinfhaft der heiligen“ in der tiefſten Bedeutung des Wortes.
In der Einheit des dreieinigen Gottes iſt das Ideal der Gemeinſchaft
am vollkommenſten verwirklicht. Die Glieder dieſer göttlichen Ge⸗
meinſchaft ſind in der Einheit ihrer Natur ſo verbunden, durchdringen
und befigen ſich gegenſeitig fo vollſtändig, daß eine Perſon buch-
ſtäblich das alter ego der andern iſt; und doch hat dieſe Einheit
zugleich Raum für den überſtrömendſten Reichtum perſönlicher Selb⸗
ſtän digkeit und Eigenart. Der Sohn, der von ſich ſagt: „Ich und der
Dater find eins. Wer mich fieht, ſieht den Dater“ (Joh. 10, 30; 14, 9)
kann zu gleicher Zeit ſprechen: „Ehe Abraham war, bin ich“ (ebd. 8,58).
Die drei göttlichen Perſonen haben alle die gleiche unteilbare göttliche
Natur, und doch beſitzt fie jede Perſon in einer ihr allein eigenen Weiſe;
und gerade dieſer ganz perſönliche Beſitz der einen Perſon iſt wieder
der beſondere Reichtum der andern. In dieſe wundervolle Einheit
der Dreifaltigkeit nun wird die Dielheit der Glieder des Leibes Chrifti
aufgenommen durch die heilige kommunion, das Sakrament der
„Gemeinſchaft“. Und fo erhält unſer Gemeinſchaftsleben auf Erden
die kraft, ſich zu geſtalten nach jenem Urbild aller Bemeinfhaft im
himmel. Wenn wir „das Brot des Lebens“ (Joh. 6, 48) empfangen
und in diefem Brot den „lebendigmachenden Geiſt“ (ebd. U. 64), dann
find wir nicht mehr bloß ein Leib, ſondern auch ein Geiſt, wie Dater
und Sohn ein Geiſt ſind; wir ſind dann: unum corpus et unus
Spiritus (1 Hor. 10, 17; Eph. 4, 4). Damit ift des heilands hohe⸗
prieſterliches Gebet in ſeiner Abſchiedsſtunde erfüllt: „Ich bitte für die,
die an mich glauben werden, daß fie alle eins find, wie Du Vater
in mir und ich in Dir, daß fie eins find in uns.“
50 laßt uns denn die knie beugen vor dem Vater, von dem jede
Bemeinfhaft im himmel und auf Erden den Namen hat (Eph. 3, 15)
und beten, was die ktirche betet nach Empfang der Oſterkommunion
am Oſtertag als Poſtkommunio: Gieße uns ein, o herr, den Geiſt
deiner Liebe, damit die, die Du mit den öſterlichen Sakramenten
geſättigt haſt, durch Deine Güte ganz eines Sinnes werden mögen.
durch unſern herrn geſus Chriftus, Deinen Sohn, der mit Dir lebt
und herrſcht in der Einheit eben des Heiligen Geiſtes!, Gott von Ewig-
keit zu Ewigkeit. Amen.
ein hinweis auf Pfingſten! Der Triumph des Geiſtes ift der Triumph Chrifti.
Ben. Monatſchr. IV (1922) 191 ff.; vgl. auch Salzburger, Kath. Rirhenztg.” 61 (1921) 147.
136
Anmerkung.
Die Ruffaffung des Bußſakramentes, von der Seite 134 die Rede war, könnte
vielleicht auch bicht werfen auf einige ſchwierige Fragen der Dogmatik des Buß⸗
ſakramentes. — Im chriſtlichen Altertum war die Idee vom muſtiſchen Leib Chriſti
und von der Aufammengehörigkeit aller Gläubigen als Glieder dieſes Geibes viel
lebendiger als in ſpäteren Jahrhunderten. Ob nicht das der Srund iſt, warum im
chriſtlichen Altertum das öffentliche Bekenntnis der Sünden vor der verfammelten
Gemeinde und die öffentliche Bußleiſtung gegenüber der geheimen Beicht und der
geheimen Buße klarer und deutlicher hervortritt? Das öffentliche Bekenntnis vor
der ganzen Gemeinde, nicht bloß vor dem mit der fakramentalen Dergebungsgewalt
ausgeftatteten Diener der Kirche drückt ja den Gedanken der Verantwortlichkeit
gegenüber der Gemeinſchaft viel greifbarer und wirkungsvoller aus. Der hl. Jakobus
fordert (5, 16) die Gläubigen förmlich auf: „Bekennet einander eure Sünden!“
Dann läge ſchließlich auch der Uaienbeicht, die jahrhundertelang als Erſatz der
Prieſterbeicht in Notfällen eifrig geübt wurde und die noch Thomas von Aquin
quodammodo sacramentalis nennt (Suppl. q. 8 a. 2), der tiefe, ſchöne Gedanke zu
Grunde, daß durch ein ſolches Bekenntnis vor einem Glied der Kirche wenigſtens
einigermaßen der Schuld, die man durch die Sünde der G6emeinſchaft gegenüber hat,
Genüge getan wird, wenn auch bei ihr von einer eigentlichen, ſakramentalen bos ·
ſprechung nicht die Rede fein kann. Albert der Große nennt bezeichnend die
bos ſprechung, die er einer ſolchen Beicht zuſchreibt, eine Cos ſprechung aus der Ein-
heit des Glaubens und der Liebe, ex unitate fidei et caritatis< (In sent. IV
dist. 17 q. 2 a. 58). Bei der Diakonenbeicht wäre das in noch höherem Grad
der Fall, weil ja der Diakon als geweihtes Glied der Hierarchie ſchon wirklich ein
mit geiſtlicher Gewalt ausgeftatteter Vertreter der Kirche iſt, wenn er auch noch keine
eigentliche, ſakramentale Abſolutions vollmacht befitt.
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Andern hat er geholfen,
Sich ſelbſt kann er nicht helfen.
Ja, das kann fie nicht, die ganz reine, die ſelbſtloſe Giebe: ſich ſelber helfen in
ihrer eigenen Not. Uur den anderen kann fie da helfen.
Und doch liegt vielleicht gerade in dieſem Unvermögen der Liebe, ſich ſelbſt zu
helfen, ihr tiefſtes Glück und ihre höchſte Seligkeit. Selig, wer geben darf: Geben iſt
feliger denn Nehmen. Aber jetzt hat ſelbſtloſe Giebe nicht mehr die große Seligkeit
des Gebens. Nicht mehr? O jetzt erſt doppelt: jetzt darf fie andern helfen, die Selig-
keit des Gebens zu erfahren.
O wie ſelig mußt Du fein, hilfreicher Gott, der Du allen gibſt — O wie ſelig.
auch Du, hilfloſer Heiland am Kreuz, dem alle alles geben dürfen!
% % *.
137
Der Weg zur Kirche.
Don P. Hotker Würmſeer (Schäftlarn).
s geht eine große Sehnſucht nach der Kirche durch die Welt. Woher
kommt das? Daher, daß viele Menſchen an einer unfeligen Welt
die alleinſeligmachende kraft der Wahrheit erkannt haben und des⸗
halb nun aufrichtig nach Wahrheit ſuchen. Aller Wahrheit Fülle aber
it in Chriftus, der ſich ſelbſt die Wahrheit nennt. Und der lebendige
Chriftus iſt unſere kirche. Darum muß alles ehrliche Streben nach
Wahrheit, wie die Waſſer dem Meere, fi der Kirche zuwenden, muß,
wenn auch noch ſo verborgen, zur Sehnſucht nach der Kirche werden.
Aber wie wird dieſe Sehnfucht ihre Erfüllung finden? Auf welchem
Wege kommt die ſuchende Seele zur Kirche? Chriftus ſagt es: „Ich
bin der Weg, die Wahrheit und das beben.“ Die Kirche iſt „der
lebendige Chriſtus“, alſo iſt für uns die Kirche „der Weg und die
Wahrheit“, Ziel und Weg zugleich: ein merkwürdiges Paradoxon,
mit dem ſich die Apologetik bis heute nicht befreunden kann. Aber
ſchon St. Ruguſtin hat grundſätzlich deſſen Löfung gegeben: Per ho-
minem Christum ad Deum Christum, das gilt wie für den hiſto⸗
ichen Chriſtus fo für den myftifchen Chriftus, d. h. die kirche. Auch
die Kirche iſt in der tatſächlichen Erſcheinung, wie fie ſelbſt dem Nicht⸗
gläubigen gegenübertritt, der Weg zur Anerkennung deſſen, was hinter
dieſer ſichtbaren Geftalt ſich verbirgt; das Geſchöpfliche an ihr iſt der
Weg zum Glauben an das Göttliche in ihr; die Kirche als „Natur“
it der Weg zu Kirche als „Übernatur“. Und das ſcheint uns auch
St. Auguſtins Weg zur Kirche geweſen zu fein, wenn auch nicht fo
punkt für Punkt, wie es im folgenden zu formulieren verſucht wird.
I.
Aus der Erkenntnis des Schöpfers und dem Bewußtſein der Willens⸗
fteiheit folgt die unbedingte Pflicht, nach dem Willen des Schöpfers
zu leben, alſo zunächſt nach deſſen Willen zu forſchen. Dieſer Wille
bottes muß aus der menſchlichen Natur zu erkennen fein. Weil aber
bie menſchliche Natur ihre volle Entfaltung nicht im einzelnen findet,
ſondern nur in der Menſchheit als einem ſozialen und hiſtoriſchen
6anzen, darum kann auch der Wille Sottes niemals vom einzelnen
Dieſer Auffag, wie auch der „Dom Sinn des Mönchtums“ behandelt nicht ganz
leichte theologiſche Fragen. Der Derfaffer will daher in beiden nicht ſchon ein ab⸗
geſchloſſenes wiſſenſchaftliches Endergebnis bieten; er möchte nur anregen zu eigener
und fremder Weiterarbeit.
138
voll erkannt werden, ſondern nur einer ſozial⸗hiſtoriſchen Gemein:
ſchaft ganz zum Bewußtſein kommen, und zwar dieſer umſo klarer
und reicher, je tiefer fie in der Geſchichte wurzelt und je weiter fie
die Mitwelt umſpannt. Daraus folgt für den einzelnen um ſeiner
ſelbſt willen, aber ebenſo der Derantwortung wegen, die jeder für
feine ſuchenden Mitmenſchen hat, die Pflicht, eine ſolche Gemeinſchaft
mitzukonftituieren, um von ihr als einer ſittlich⸗religiöſen Autorität
bindende Regeln zur vollen Erfüllung des göttlichen Willens zu er⸗
halten. 50 wird alfo die unbedingte Pflicht, nach dem Willen des
Schöpfers zu leben, für den einzelnen zur Pflicht, ſich einer ſittlich⸗
religiöfen Autorität anzuſchließen und zwar naturgemäß jener, die ihm
durch hiſtoriſche Tiefe und Weite der Bemeinfchaft die Gewähr gibt,
daß ſie den Willen Gottes am vollſten erfaſſen kann, und durch die
fittlide Dollkommenheit ihrer Mitglieder zeigt, daß fie dem ſittlich⸗
religiöfen Fortſchritt des einzelnen auch wirklich dienen will. Daß
dieſer Anſchluß nur an eine rein theiſtiſche Autorität geſchehen kann,
verſteht ſich von ſelbſt. Erhöht wird dieſe Pflicht für die meiſten, wenn
nicht für alle Menſchen durch die ererbte und erworbene Schwäche
des Intellektes und des Willens, die wenigſtens darin ſich äußert,
daß es unmöglich erſcheint, neben der notwendigen Alltagsarbeit viel
zu „philoſophieren“ und ſich dem Einfluß einer unmoraliſchen Um:
gebung ganz zu entziehen. Eine ſittlich⸗religiöſe Autorität allein kann
dieſe Schwäche ausgleichen. N
Die allgemein erkannte Pflicht, ſich einer ſittlich⸗ religiöſen Autorität
anzuſchließen, wird natürlich praktiſch zunächſt zur Pflicht, nach einer
ſolchen Autorität zu ſuchen. Als kiennzeichen find von vornherein
gegeben: hiſtoriſche Tiefe, foziale Weite der Semeinſchaft bei aller
autoritativen Einheit, ſitiliche Vollkommenheit der Glieder je nach
deren gutem Willen und als philoſophiſche Dorausfegung der reine
Theismus. Nun ift es wohl, nicht ſchwer zu erkennen, daß die ka⸗
tholiſche kirche alle dieſe Kriterien einer natürlichen ſittlich⸗ religiöſen
Autorität in einem Ausmaße in ſich vereinigt wie keine andere ber:
artige Autorität. Das wird beſtätigt durch die aufrichtige Bewun⸗
derung und tiefe Achtung, die viele Andersgläubige vor der „hiſto⸗
riſchen Erſcheinung“ der kirche haben. Für den kiatholiken aber muß
es ohne weiteres klar fein, daß feine Kirche, eben weil fie ihm über:
natürliche Autorität iſt — fo gewiß als ſonſt überall die Gnade auf der
Natur aufbaut — auch jene natürliche Autorität in ſich ſchließt, d. h.
daß fie nicht bloß übernatürliche Kirche iſt, ſondern ebenſo auch „Natur⸗
Rirche.” Darin liegt gerade das Menſchlich⸗Geſchöpfliche an der Kirche,
l PEN ER,
139
das der menſchlichen Natur Chrifti entſpricht und ebenfo wie diefe nach
8t. Ruguſtin der Weg zum Glauben an das Göttliche wird.
Beſteht alſo einerſeits die Pflicht, ſich einer ſittlich⸗religiöſen Nu⸗
torität anzuſchließen, anderſeits die Gewißheit, daß die katholiſche
kirche in ihrer natürlich⸗hiſtoriſchen Erſcheinung die geſuchte über⸗
ragende Autorität iſt, fo ergibt ſich daraus nach dem Geſagten für
jeden, der den Willen des Schöpfers als bindend anerkennt, die Not⸗
wendigkeit, ſich der katholiſchen kirche zunächſt als „natürlicher“
Autorität anzuſchließen.
II.
nun aber — und hier ſetzt etwas vollkommen Neues ein — ſteht
der Suchende vor der merkwürdigen Tatſache, daß ihm dieſelbe Au-
torität, an die er ſich nach dem aus der Natur erkannten Willen
Bottes anſchließen ſoll, mit der größten Beſtimmtheit erklärt: fie
könne und wolle ihn nicht als Glied in ihre „natürliche“ Gemeinſchaft
aufnehmen, außer er würde ſie zugleich als „übernatürliche“ Autorität
anerkennen. Die kirche gibt ihm alſo tatſächlich nur dann die Mög⸗
lichkeit, feiner Gewiſſenspflicht zu genügen, wenn er eine als Bedingung
erſcheinende Forderung erfüllt. Was nun?
es kann kein Zweifel ſein, daß die ganze Schwere der Pflicht, ſich
der kirche als natürlicher Bemeinfchaftsautorität anzuſchließen, nun
auf der Erfüllung dieſer Bedingung laſtet; wie immer, wenn eine
pflichtgemäße handlung an eine moraliſch und phuſiſch erfüllbare
Bedingung gebunden iſt. Es kommt alfo in unferem Falle nur darauf
an, ſich Gewißheit zu verſchaffen, ob die als Bedingung empfundene
forderung der Kirche, fie als übernatürliche Autorität anzuerkennen,
moraliſch und phuſiſch erfüllbar iſt; und die Pflicht fie zu erfüllen,
iſt dann zweifelsohne in ihrer ganzen Schwere gegeben.
Die Frage, deren bejahende Antwort die volle Pflicht auslöſt, die
katholifche Kirche als übernatürliche Autorität anzuerkennen, ift alſo
einzig noch dieſe: iſt die Forderung der Kirche, ſie als übernatürliche
Autorität in ſittlich⸗religiöſer hinſicht anzuerkennen, überhaupt erfüll-
bar? mehr als die Gewißheit der Erfüllbarkeit dieſer Forderung iſt
nicht notwendig, um die Pflicht, fie zu erfüllen, voll und ganz auszu=
loſen. Und mehr als die Erfüllbarkeit braucht deshalb auch nicht er⸗
wieſen zu werden. Aber wann iſt dieſe Forderung der kirchlichen Au=
torität erfüllbar? Offenbar dann, wenn kein moraliſches Bedenken
beſteht, den entſprechenden Willensakt zu ſetzen und der Intellekt
keinen Grund hat, die in der Forderung liegende Behauptung der
kirche, daß fie jene übernatürliche Autorität ſei, für unwahr zu halten.
140
Ein moraliſches Bedenken könnte wohl nur der haben, der die all-
gemeine Notwendigkeit einer fittlichereligiöfen Autorität überhaupt
nicht anerkennen, ſondern auf einen extrem autonomen Standpunkt
ſich ſtellen wollte, oder wer immer noch der unſachlichen Meinung
wäre, die kirche verfolge mit jener Forderung außermoraliſche oder
gar unmoraliſche Zwecke. Der Intellekt aber hätte nur dann Grund,
die genannte Behauptung der Kirche für unwahr zu halten, wenn er
überzeugt wäre, daß „übernatürliche Tatſachen“ überhaupt unmöglich
ſeien, oder wenn die Kirche ſich für ihre Behauptung, daß ſie auch
übernatürliche Autorität fei, auf bloß natürliche Gründe ſtützen wollte.
Denn das iſt von vornherein klar, daß eine Behauptung, die über
alles Menſchenmögliche hinausgeht, ſich nicht auf menſchenmögliche
Tatſachen gründen darf. Aber die Kirche tut das auch nicht, fie be⸗
ruft ſich vielmehr ausdrücklich auf „gottgefügte Tatſachen“, die, evi⸗
dent erkannt, ihre Behauptung ſogar evident beweiſen würden. Aber
eben weil die Behauptung nicht evident zu ſein braucht, um jene For⸗
derung und Bedingung der ktirche erfüllbar zu machen und damit
allein ſchon die Pflicht auszulöſen, die Übernatürlichkeit anzuerkennen,
deshalb brauchen auch die Wunder nicht evident erkannt zu werden.
Es genügt vollkommen, wenn dieſe Wunder ſo ſicher als beweiſende
Tatſachen erkannt ſind, daß die genannte Behauptung der kirchlichen
Autorität für wahr gehalten werden kann, d. h. glaubbar wird. Das
iſt aber ſchon der Fall, wenn erkannt wird, daß die außerordentlichen
Tatſachen, auf welche die kirche ſich beruft, von Gott „gefügt“, alſo
Wunder ſein können. Denn ſchon in dieſem Fall muß man ſich ſagen:
Die Behauptung der Kirche kann wahr fein; fie kann deshalb auf
ihre Autorität hin geglaubt werden. Daß aber eine Tatfache von Gott
gefügt fein kann, wenn ſie, für die menſchliche Dernunft unerklärbar,
mit einem fittlid:religiöfen Zweck ſich verbindet, ift für jeden klar,
der nicht alles ÜÜbernatürliche in der Welt von vornherein für un⸗
möglich hält. Als eine ſolche „wunderbare“ Tatſache, die den Anſpruch
der Kirche auf Übernatürlichkeit glaubbar, ihre Forderung, dieſelbe
anzuerkennen erfüllbar und damit den vollen Anſchluß an ſie zur
ſicheren Pflicht mache, bezeichnet die kirche ſelbſt ihre eigene Exiſtenz.
In der Tat geben ſelbſt Nichtgläubige zu, daß in der Entſtehung des
Chriftentums und damit auch der ktirche ein „irrationaler Faktor“ ſich
nicht ausſchalten laſſe, daß ein „unerklärbarer Reſt“ bleibe. Dasſelbe
gilt ebenſo vom Beftand der ktirche. Dieſes Jugeſtändnis iſt nach dem
Geſagten genügend, um für jeden, der nicht alles Übernatürliche grund⸗
ſätzlich ablehnt, den Anſpruch der Kirche auf übernatürliche Autorität
141
glaubbar und ihre Forderung auf Anerkennung derſelben erfüllbar zu
machen. Wenn aber dieſe Forderung der Kirche auf Anerkennung
ihrer übernatürlichen Autorität, die als Bedingung erſcheint, um ſich
ihr als natürlicher Autorität anſchließen zu können, erfüllbar iſt, dann
fällt ja die ganze Schwere der Pflicht, ſich ihr als natürlicher Auto-
tität anzuſchließen, auf die Erfüllung dieſer Bedingung; d. h. es iſt
unabweisbare Pflicht, die Kirche als übernatürliche Autorität anzu⸗
erkennen, und damit unabweisbare Pflicht, den letzten Schritt auf dem
Deg zur ktirche, den Schritt in die katholiſche Kirche zu tun.
Man ſieht aus dem Ganzen, daß das letzte treibende Motiv immer
und überall die ſittliche Pflicht ift, die freilich nur durch jenen in ſich
übernatürlichen und darum gnadenhaften Anſpruch der Kirche auf
Übernatürlihkeit zu ihrem übernatürlichen Endziel emporgetragen
wird. Daraus ergibt ſich als praktiſch wichtigſte Folgerung: Es kommt
beim Weg zur Kirche alles auf das ſitiliche Pflichtgefühl, auf das
demiffen an. Wer kein zartes Sewiſſen hat, der kann nicht zur
kirche kommen. Und darum iſt die conversio morum, die Bekeh-
rung der Sitten, notwendige Bedingung zu jeder conversio fidei.
das heißt natürlich nicht, man müſſe nach einer Überzeugung leben,
die man noch nicht hat — obwohl das theoretiſch geſprochen am
ſchnellſten zum Ziele führen müßte. Das aber iſt erforderlich, daß man
nach dem jeweiligen Stand der Erkenntnis immer ſofort ſein beben
einrichtet. Nur wer ſo „die Wahrheit tut, kommt zum Licht.“
Freilich, die menſchliche Schwäche iſt groß und würde wohl bald
die Schritte zur Kirche erlahmen laſſen, wenn nicht von dieſer ſelbſt
ein geheimnisvoller Zug ausginge, der die Seelen je näher, deſto
mehr mit ſanfter Gewalt an fie bindet. Es iſt die Kraft jenes di-
num quoddam, wie der hl. Thomas es nennt; jenes „göttlichen
etwas“, das vom Antlitz der kirche ſtrahlen muß wie vom Antlitz
des Beilandes. Das entzündet in reinen Herzen, die ja allein in dem,
was ſie ſchauen, das Göttliche empfinden können, eine zarte Liebe,
die den Schritt beflügelt, wenn anders Dante recht hat, daß die Liebe
die menſchen wie „die Sonne und die Sterne bewegt.“
Rind, fo wie der Sonnenftrahl
Dom Blumenkelch den Tropfen Tau,
80 wird der herr auch dir einmal
Die Seele von den Augen blau
In Diebe und in Ehrfurcht küſſen. Balbulus.
142
Abt Sigisbert Giebert von Schäftlarn.
(Von der Schriftleitung.)
m 7. April diefes Jahres feiert im ſchönen Ifartale, ſüdlich von Mün⸗
chen, das Kloſter Schäftlarn voll Freude das goldene Prieſter⸗
jubiläum feines hochwürdigſten herrn Abtes. Geboren zu Augsburg
am 25. Januar 1851 ward Franz Xaver Liebert erſt Symnaflaft bei
den Benediktinern von St. Stefan, dann nach der Reifeprüfung ihr
Novize. Am 28. Januar 1872 legte er in die hände von Abt Raphael
mertl die einfachen Gelübde ab und wurde am 7. April 1874 von Biſchof
Pankratius v. Dinkel zum Prieſter geweiht. Lange Jahre wirkte er
ſegensreich in feinem Mutterkloſter als Lehrer, Seminarpräfekt, Se⸗
kretär des Abtes, ktuſtos der Stiftskirche, Jellerar und Derwalter des
Rloftergutes bechhauſen und ſtieg nach und nach zur Würde eines
Subpriors und Stiftspriors empor. Als die Rapitularen des Kloſters
Schäftlarn ihn am 5. Oktober 1904 zu ihrem prior regiminis wähl⸗
ten, fiel ihm der Abſchied von feinem Hheimatkoſter ſchwerer als manche
ahnten. Am 3. mai 1910 wurde er als erſter Abt beſtätigt und an
feinem Namenstag, den 11. Juli, von ftardinal Franziskus v. Bettinger
feierlich benediziert. Faſt die hälfte ſeiner Prieſterjahre hat Abt Sigis⸗
bert fomit den Söhnen feiner Abtei das Brot des Lebens und der
Lehre gebrochen. Es iſt daher wohl in der Ordnung, daß es fie drängt,
ihrer Diebe und Dankbarkeit lauten Ausdruck zu verleihen. 8o find die
eigentlichen Nufſätze dieſes Heftes entſtanden: eine Feſtſchrift, wenn
man will und eine kleine „Pſuchologie des Benediktinerordens,“ wenig:
ſtens ein wertvoller Beitrag zu einer ſolchen. Sie reden von der Familie
als der Grundlage benediktiniſchen Mönchtums, vom Prieftertum als
ſeiner wunderbaren Ergänzung. Sie zeigen das Mönchtum in Bezie⸗
hungen zu Menſchheit, Staat und Heimat. Sie weiſen endlich darauf
hin, wie das Mönchtum trotz feiner befonderen Lebensform letzten
Endes nichts iſt noch fein will als reftlofe Derwirklichung der all⸗
gemein⸗chriſtlichen Grundidee von der großen Einheit im Erſtandenen:
in Chriftus und der Kirche. Freudig hat die kiunſt das ihrige getan, den
Feſtglanz zu erhöhen. Auch wir haben herzlich gern ein weniges dazu
beigetragen und meinen, unfere beſer werden wie der gubilar mit uns
den Schäftlarnern Mönchen für die ſchöne Babe Dank willen.
Anſpielend auf das Alofterwappen: in Blau ein golden Schifflein mit
zwei goldenen Rudern, hat ſich Abt Sigisbert als Wappenſpruch das
Wort der Jünger ausgewählt: Die salva nos perimus, „herr, rette
uns, ſonſt gehen wir unter!“ Solange der Geiſt, der aus dieſen Blättern
ſpricht, in St. Benedikts Klöftern lebt, wird gewiß keines von ihnen
innerlich untergehen. Und Welt und ktirche werden — wir dürfen es
zuverſichtlich hoffen — den Segen verſpüren, der noch immer von gott⸗
liebenden und gottgeliebten klöſterlichen Familien ausgegangen iſt.
a 38 8
143
kleine Beiträge und Hhinweiſe
Die Sonntagsepifteln in der Predigt.
D⸗ Evangelium, das Wort des Herrn, bildet den höhepunkt des Gebets und
Predigtgottesdienſtes der Dormeffe. Ihm gilt auch mit vollem Recht die haupt⸗
aufmerk ſamkeit und die ſorglichſte Pflege des Predigers. Wir find deshalb Profeſſor
killmann dankbar, daß er den Evangelien des Kirchenjahres zwei Bände exegetiſch ·
homiletifher Erläuterungen gewidmet hat, die fie in neuem Licht erſcheinen laſſen.
Wenn nun auch das Evangelium den höhepunkt der Vormeſſe darſtellt, fo iſt damit
nicht gefagt, daß es immer und allein den Gegenftand der Predigt bilden müſſe; denn
gerade auch hier hat die Erfahrung den Grundfag beſtätigt: Quotidiana vilescunt.
Der hat übrigens den Sinn des herrn tiefer erfaßt als feine Apoftel, ein hl. Paulus?
Darum führt die heilige Kirche auch fie als Lehrer ein in den Bottesdienft der Dor-
meſſe, und der Prediger verdient vielen Dank, der es verfteht, ihre behre dem Geiſt
und herzen feiner Fuhörer nahe zu bringen. Das ift freilich Reine leichte Aufgabe.
es hat feine Gründe, wenn die Epifteln nicht oft zum Gegenſtand der Predigt gemacht
verden. Wir brauchen eben einen Führer, ſonſt finden wir uns in der Bedankenwelt
der Epiſteln oft nicht leicht zurecht, zumal in der des Geiſtesrieſen Paulus, der am
haufigften in der Dormeffe der Sonntage als Pehrer auftritt und uns faſt erdrückt
mit dem Reichtum und der Tiefe feiner Ideen. |
Um es nun gleich zu Jagen: ich wüßte keinen geeigneteren Führer als wiederum
killmann. Er hat in den beiden Bänden „Die ſonntäglichen Epiſteln““ ein Werk
geſchaffen, das ich in der hand jedes Predigers wiſſen möchte und derer, die es werden
ſoallen. Der Derfaffer gibt zunächſt in einem Stichwort den Srundgedanken der jewei⸗
ligen Epiftel an. Dann folgt die Überfegung der Perikope und zwar in fließendem
deutſch. Wenn man weiß, welche Freiheiten ſich 3. B. die Franzoſen geſtatten, Schrift⸗
tegte lichtvoll uud ſchön in ihrer Sprache darzubieten, dann brauchen wir uns wirklich
nicht aus übertrieben ängſtlicher Treue gegen das Original mit einer ſchwer genieß⸗
baren Überfegung abzufinden. Der Derfaffer ſelbſt braucht das um fo weniger als er
ju fofort den griechiſchen Text vorführt mit wortgetreuer Überfegung nebenan. Das
it nicht überflüſſig aus einem anderen Grunde: Tillmann will uns nämlich nicht die
ode heerſtraße altbekannter Auslegungen voranſchleppen, noch auch mit mehr oder
deniger geiſtreichen Einfällen der eigenen Phantaſie uns überraſchen; dazu braucht
5 fteilich keinen Urtext. Er will den Apoftel hören laſſen wie er zu den Gläubigen
ſpricht, die feines Wortes bedürfen. Den Apoftel felbft zu hören in möglichſt unge-
kübter klarheit und Friſche, das iſt's, was uns lockt; die Mahnungen, die er unſeren
korfahren im Slauben gab, fo wie fie gemeint waren, auf uns heute anzuwenden,
dazu find wir willig und bereit. Dieſem Bedürfnis kommt der Derfaffer entgegen,
indem er dem Urtext eine Erklärung folgen läßt, die den Gedankengang des Apoſtels
in underfälſchter Treue und ungebrochener Araft zur Geltung bringt. Textkritik,
leuteſtamentliche Philologie und Geſchichte haben in den letzten Jahrzehnten das Der-
ſtändnis der Sprache und der Ideen der heiligen Briefſchreiber, ſowie der Page und
ſelſchen Bedürfniſſe der Briefempfänger weſentlich gefördert. Tillmann verwendet
die Ergebniffe der neuteſtamentlichen Wiſſenſchaften ausgiebig, ohne uns mit deren
Interſuchung zu ermüden. Ganz beſonders kommen dieſe Ergebniſſe zu ſtatten einer
ganzen Reihe bibliſch⸗theologiſcher Ideen und Begriffe, deren volle Bedeutung arg
zawiſcht war. Man geſtatte einige von ihnen anzuführen: Der Tag des Herrn;
as heil; das Anziehen unſeres Herrn Jeſus Chriftus; die Elemente der Welt; Glaube,
Giebe, hoffnung; die chriſtliche Aſzeſe; die chriſtliche Auffaſſung des irdiſchen Berufes;
qq en a er A
'Tilimann, F., Die fonntäglihen Epifteln im Dienfte der Predigt erklärt. Zwei Bände. Düſſeldorf
2 und 1923, Schwann. N
144
das Zeugnis von Waſſer, Blut und Geiſt für Chriftus; der Gottesknedht; das Der:
hältnis des Chriften zum Staate; die chriſtliche Freiheit; das Leben; die Bedeutung
der Taufe; Fleiſch, Geiſt, Sotteskindfchaft; die Mitwirkung mit der Gnade; SGeſetz
und Geſetze; der muſtiſche Leib Chriſti uſw. Dieſe Stichworte laſſen wohl ahnen,
welch reichen Schatz theologiſcher Erkenntniffe das Werk des Derfaſſers erſchließt
Wir möchten nur wünſchen, daß er durch ein vollſtändiges Sachregiſter leichter zu⸗
gänglich gemacht würde.
Was wir aber am meiſten ſchätzen an der Erklärung des Derfaffers, das iſt der
klare Blick, mit dem er die Sedankenmaſſe einer Perikope überfieht und die ſichere
Hand, mit der er uns durch fie hindurchführt. Mag uns beim erften Durchleſen
einer Epiftel deren Inhalt noch fo unklar, ja verwirrend vorkommen, hier wird ge:
ſchieden und geſondert, fo daß ein überſichtlich geordnetes Ganze vor unſern Augen
liegt. Auch aus der verwirrenden Menge von Erklärungsverſuchen, von denen nicht
zu oft der eine oder andere angeführt wird, weiß Tillmann mit glücklichem Griff
jenen zu faſſen, der der begründetſte und vernünftigſte zu fein ſcheint. Wir müffen
geſtehen, der Ezeget hat es verftanden, dem Prediger in die hand zu arbeiten. Die
Erklärung der Perikope erleichtert es dieſem ſehr, ſich in ihr zurechtzufinden, ihren
Sinn und Gedankengang ſicher zu erfaſſen und für das praktifche Leben unferer
Tage fruchtbar zu machen. Der eben genannten Aufgabe ſchenkt der Verfaſſer im
letzten Teile feiner Erklärung noch beſondere Aufmerkfamkeit. Es werden aus jeder
Epiftel drei, vier Punkte hervorgehoben und ihre Derwendbarkeit für die Predigt
dargelegt. Allerdings nimmt der Exeget dem Prediger die Arbeit nicht ganz ab.
Deſſen eigene Sache iſt es, die Punkte zu erwägen und homiletiſch auszugeſtalten.
Recht oft birgt ein einziger dieſer Punkte fo viel Lebenskraft in ſich, daß er bei
geſchickter Bearbeitung allein dazu fähig iſt, zu einem wirkſamen Motiv, einer ein-
drucksvollen Predigt auszuwachſen. Der Prediger hat ja Gelegenheit, dieſelbe Epiftel
im bauf der Jahre immer wieder zu verwerten; jedes Jahr aufs neue einzudringen
in den unerſchöpflichen Gehalt der Perikopen und jedes Jahr neue Schätze zu heben
zum eigenen Nutzen und zum Beften der Gläubigen.
Studium vorab der heiligen Schrift, Erwägung mit Gebet und Predigt: das iſt
eine Trilogie, die wie nichts anderes das Leben des Prieſters reich und glücklich und
ſegensvoll machen kann. Wir möchten deshalb ſchon den Alumnen der theologiſchen
Ronvikte und der Prieſterſeminare empfehlen, fi durch Tillmann in die Welt der
Berikopen einführen zu laſſen, damit fie in ihr ſchon in etwa heimiſch geworden dem
praktiſchen Leben entgegengehen können. P. Paurentius Rupp (Weingarten).
Aus der liturgiſchen Bewegung in öſterreich.
G Len ende des Krieges reifte in zwei Männern, dem berühmten Ethnologen
P. Wilhelm Schmidt 8. D. D. (St. Sabriel, Mödling) und dem Regulierten Vatera ·
nenſiſchen Chorherrn Pius Parſch (Stift Alofterneuburg) der Plan zu liturgiſcher
Arbeit in Öfterreih, den fie nach Beendigung der Feindfeligkeiten jeder an feiner
Stelle ausführten.
Bon Oſtern 1919 an gab P. Schmidt heraus: „Das feierliche hochamt“, Kleine
Heftchen, die jeweils den vollftändigen feſten und beweglichen Teil einer 8onn ⸗ und
Feſttagsmeſſe enthielten. Der volle Erfolg blieb wohl deshalb aus, weil keine litur⸗
giſche Schulung vorausgegangen war.” Um fo größer wurde die Anregung, die von
dieſen ſchlichten heftchen ausging. Sie wurden fozufageu der Anftoß zur öſterrei -
chiſchen liturgiſchen Bewegung.
Wie überall, jo waren es auch hier die Gebildeten und die Jugendbewegung, die
die liturgiſchen Jdeen zuerſt aufgriffen. Der Kontakt mit dem katholiſchen Geiſtes ·
leben und der liturgiſchen Bewegung Deutſchlands, das innere Bedürfnis nach einer
Frömmigkeit großen Stils und die Einjicht in die ſehnenden Notwendigkeiten der Zeit
145
waren bei ihnen am ftärkften. Dem P. Schmidt ging bei feiner Arbeit für die Aka-
demiker zur Seite der Seckauer Mönch P. Dirgil Redlich. Es ift bezeichnend für die
praktiſche Art, mit der man die liturgiſche Arbeit anfaßte, daß man bald zur Missa
recitata (Chormeſſe) kam. Im herbſt bildete ſich unter Wienern Akademikern eine
liturgiſche Semeinde. Sie beſchließen ihre Meßfeier mit einem gemeinſamen Früh⸗
ſtück als Agape. Uachher ift Anſprache, meiſt Erklärung der Meſſe. Studentenſeel⸗
ſorger Dr. Harl Rudolf iſt beiter und Pfleger dieſer Deranftaltungen. Die Bewe⸗
gung griff 1922 über auf die in „Jung Öfterreih” und „Neuland“ geeinte katho-
liſche Mittelfhuljugend. Zu den Chormeſſen kamen da auch bald liturgiſche Abende,
an denen die Liturgie des folgenden Tages oder größere Riten beſprochen werden,
und die ihren Ausklang finden in der gemeinſam geſungenen Aomplet. Das bewußte
diel der liturgiſchen Beſtrebungen unter der Jugend ift, die liturgiſche Erkenntnis
in Erleben umzuſetzen und beides fruchtbar zu machen für das geiſtliche und das
Alltagsleben: der liturgiſche Menſch.
p. Pius Parſch bereitete fein liturgiſches Wirken in kloſterneuburg vor durch
1919/20 abgehaltene Bibelabende. In der Faſtenzeit 1920 entſtand ein liturgiſcher
Zirkel, darin die heilige Meffe, auch ihrer geſchichtlichen Entwicklung nach, fowie die
biturgie der hauptfeſte beſprochen wurden. Semeinſame Feier der liturgiſchen Muſte⸗
tien machte den Firkel zur Bemeinde. In der ſog. „volksliturgifdyen Meffe“, (Typ,
Klofterneuburg) glaubt man eine Form gefunden zu haben, die Derftändnis, mit
feier und engen Anſchluß an die handlung des Prieſters fördert.“ Don 1922 an
durden in der Liturgiegemeinde die einzelnen Meßformulare erklärt. Ein deutſches
Direktorium erleichtert die tägliche Benützung des Reßbuches. Seit 1923 ging man
dazu über, das Brevier ergänzend zum Meßbud treten zu laſſen. P. Pius Barſch
ſchuf in feiner Sammlung: „Hus Brevier und Meßbuch““ das Hilfsmittel dafür. Die
Beftrebungen &lofterneuburgs finden ihre Pflege vorab in den Liturgie-Gemeinden,
die nach Kloſterneuburger Mufter auch anderswo eingerichtet wurden.
Weitere Areife können durch dieſe fo gründliche Kleinarbeit erft ergriffen werden,
wenn der Weltklerus ſich der Aufgabe annimmt und „Liturgie Gemeinden“ ein-
richtet. Ihn dafür zu intereffieren, ift für 1924 die Gründung liturgiſcher Prieſter⸗
zirkel in Husſicht genommen: Deus benedicat!
! geht in neuer Auflage. In ein Heftchen, das das Ordinarium enthält, legt man Blätter mit den wech ⸗
ſelnden Teilen des Meßformulars ein. Zu beziehen durch: Miſſtonsdruckerel St. Gabriel, Mödling, bei Wien.
* Eine Hinführung zur Liturgie gab p. Schmidt dann in feinem Buche: „Der deutſchen Seele Not und heil“
Paderborn, Schöningh; ſ. dieſe Zeitfchrift IV (1922) 236; vgl. ebd. 386. Befchrieben in Parſch, Rlofter-
neudurger Citurgiekalender für 1924 75 ff. Trotz großer Derfchledenheiten eine gewiſſe Ähnlichkeit mit Guar
dinis Semeinſchaftlicher Nehandacht. Don jetzt ab bildet es den Hauptbeſtandteil des Olturglekalenders (4 ff.)
"Regensburg, Röſel und Puſtet. Bisher erſchienen 5 Bändchen, Nehe Januar- Februar -Heſt 8. 73.
Athanafius Winterſig (Maria - Paach).
0 biturgiſche „Ueuerungen“ am Rhein.
Im Dezember 1923 brachte in ihrer Nummer 933 die Kölniſche Dolkzeitung eine
Ankündigung, die manch einen freuen wird, weil fie zeigt, wie das Derftänönis für
die alte Zelebrationsweife der heiligen Meffe an höchſter Stelle Anerkennung findet:
„Weihnachten im Dom. Im hohen Dom beginnt die Chriftmette, mit der eine
kurze Feſtpredigt verbunden wird, um 12 Uhr nachts (nicht wie bisher um 4 Uhr
morgens). Um 9½ Uhr wird der herr Kardinal ein feierliches Pontifikalamt halten
und zwar, damit die Gläubigen der heiligen handlung beſſer folgen können, am
Pfarraltar in der Mitte des Domes zum Volke hingewendet, wie es alt⸗
kirchliche Sitte war uud heute noch mancherorts, beſonders in Rom (8. Peter) ge-
Mäuchlich iſt. Bei fpäteren Gelegenheiten ſoll der Pfarraltar außerdem noch einige
Stufen höher gelegt werden. Uach dem Pontifikalamt hält ſeine Eminenz eine An⸗
ſprache von der Nähe des Pfarraltares aus.“ B. Joannes Vollmar (Maria - Oaach).
146
Bücherſchau
Religions kunde
Cumont, Franz: Die Myfterien des
Mithra. Ein Beitrag zur Religionsge-
ſchichte der römiſchen Kaiferzeit. Hutori⸗
ſierte deutſchs Ausgabe von Georg Gehrich.
Dritte vermehrte u. durchgeſehene Auflage
beſorgt von Kurt Patte. Mit 21 Abbild.
im Text und auf 2 Tafeln, ſowie einer Karte.
8° (XV und 248 8.) Leipzig und Berlin,
Teubner 1923. M. 3.50; geb. M. 4.50.
Das treffliche, durch Gründlichkeit und
ſilarheit ausgezeichnete Werk von Cumont
erſcheint nunmehr ſchon in 3. deutſcher Auf ⸗
lage, die von R. Oatte ergänzt und ver-
eſſert ift. Anhänge berichten über die neu-
gefundenen Monumente und Texte. Thema
des Buches iſt eine der großen Auseinander-
ſetzungen zwiſchen Orient und Okzident, die
die Befchichte nicht zur Ruhe kommen laſſen
und beſonders auf religiõſem Gebiete frucht;
bar und wichtig find. Auch die Unionsbe-
ſtrebungen mit den orientaliſchen kirchen
ſind hier einzureihen. Der abendländiſche
Geift fühlt die lotwendigkeit einer Ergän-
zung. Das wachſende Derftändnis für das
Mönchtum und die Liturgie lenkt den Blick
immer wieder in den Orient, ihr Heimat-
land. Um aber den chriſtlichen Orient zu
verſtehen, muß auch der vorchriſtliche ſtu⸗
diert werden. Beſonders der Myfterienge-
danke, im neueren Abendlande allzuſehr
vernachläſſigt, im Orient immer gehütet,
muß bis injfeine Wurzeln verfolgt werden.
Dazu kann auch dies Buch dienen, wenn
auch C. ſelbſt oft allzu Kühl urteilt und
über dem orientaliſchen Wuft und Aber⸗
glauben das bleibend Wertvolle zu wenig
hervorhebt. Uber das Verhältnis zwiſchen
den Mithrasmuſterien und dem chriſtlichen
Glauben und Kulte urteilt C. im allgemei-
nen beſonnen; ein tieferes Eindringen in
das Chriſtentum hätte ihn wohl die Unter
ſchiede noch ſchärfer ſehen laſſen.
P. Obo Caſel (Maria- aach).
Bröhl, Richard, Ruratus: Die Aöventi-
ſten und ihre ehren. Eine Widerlegung
der adventiſtiſchen Angriffe gegen die kath.
Kirche. gr. 8°(1285.) Breslau 1921, Goerlich.
Eine wirklich gründliche Darſtellung der
Irrtümer und Methoden der Aöpentiften,
zugleich eine eingehende, gediegene Wider⸗
legung der einzelnen Gehrpunkte, mit denen
die Sektierer unſer Volk zu verführen fu»
chen. Im Kampf, den der Seelforger heute
gegen den Aöventismus zu führen hat,
wird ihm die Broſchüre eine gute Hilfe ſein.
P. Benedikt Baur (Beuron).
Geben geſu
Felder, Dr. P. Hilarin, O0. m. Cap.:
deſus Chriftus. Apologie feiner Mleffia-
nität und Bottheit gegenüber der neueſten
ungläubigen geſus⸗Forſchung. 1. u. 2. BB.
2. Aufl. 8° (VIII u. 522 8.; VI u. 582 8.)
Daderborn 1920 und 1921, F. Schöningh.
Seb. M. 10.80 und I. 9.—
Der erſte Band, der jetzt bereits in 3. Auf:
lage vorliegt, behandelt „das Bewußt ·
fein geſu“ von feiner göttlichen Sendung
und Natur: Fefus hat ſich als Sottmeſſias
betrachtet und bekundet. Nach einer Ein⸗
leitung, welche Kurz über den Stand der
Frage orientiert, werden im erſten Ab⸗
ſchnitt die Quellen: Echtheit und Slaub⸗
würdigkeit der Evangelien, beſprochen
(19/143). Der zweite Abſchnitt unterſucht
das meſſtaniſche (144/290), der dritte das
göttliche Bewußtfein geſu (291, 500). — Der
zweite Band prüft „die Beweife geſu“
für die von ihm behauptete Meffianität
und Sottesſohnſchaft. Dabei kommt im
erſten Abſchnitt die Perſon geſu zur Sprache:
feine pſuchiſche Seſundͤheit (19/90), feine
geiſtige Hoheit (90/179), feine ſittliche Doll-
Rommenheit (180/290). Im zweiten Ab-
ſchnitt werden die Beweiſe für das meſſta⸗
niſche und göttliche Selbftbewußtfein und
Selbftzeugnis geſu, d. h. die Werke geſu auf
ihren Wert unterſucht: Wiſſenſchaft und
Wunder (291/356); Wiſſenſchaft und
Evangelienwunder (357/472); Wiſſenſchaft
und Auferftehung Jeſu (472,551).
Ergebnis der Unterſuchungen: „So füh-
ren auch die verzweifelten Anftrengungen,
welche der moderne Unglaube macht, um
das meſſianiſche und göttliche Bewußtfein
Jeſu zu leugnen, unwiderſtehlich zurück
zur Überzeugung, daß geſus ſelbſt ſich als
erlöſermeſſtas und wahren Gottes ſohn
gewußt und geoffenbart hat“ (I. 508).
Der zweite Band ſchließt mit dem Ra-
pitel: „Bankerott der ungläubigen und
Triumph der gläubigen Chriſtusforſchung
(l. 552/66).
In der Tat, P. Felder erbringt unwider-
leglich den Beweis, daß das titanenhafte
Unterfangen der ungläubigen, rationali⸗
ſtiſchen und moderniſtiſchen beben · geſu ·
Forſchung in all feinen ungezählten Arten
und Abarten kläglich in ſich ſelbſt zu⸗
ſammengebrochen ift. Man ſtaunt, mit welch
klarem und ſicherem Blick U. das über-
reiche, verworrene Material der neueſten
beben · qeſu - Forſchung geſichtet und ver ·
arbeitet hat. Er hat es verſtanden, die
dielen hiſtoriſchen, ezegetifhen, philoſo⸗
phiſchen, pſuchologiſchen und methodiſchen
fragen, die in Betracht kommen, ins rechte
bicht zu rücken und zu bewältigen. Und
dies alles vornehm, in edler gefälliger
Sprache. Das an den modernen Gedanken-
zängen, Behauptungen und Ideen berech ·
tigt iſt, anerkennt er unumwunden. Aber
mit derſelben Unparteilichkeit deckt er den
Irrtum auf und weift ihn ab, geſtützt auf
Beweiſe und Sründe.
P. Felder hat uns eine wahrhaft zeit⸗
gemäße, glänzende Apologie Chrifti ge-
ſchenkt. Er hat uns zugleich ein herrliches
Bild der Perſon, der Pehre, der geiftigen
und ſittlichen Hoheit Chrifti gezeichnet, das
uns immer neu entzückt, je tiefer wir es
in uns aufnehmen. Wir möchten wün⸗
ſcen, daß ſich fein Werk in den händen
unferer jungen Theologen, unferer Geift-
lichen und aller jener findet, die ſich für die
eniheidende Frage: „Was dünkt euch von
chriſtus? (Matth. 22, 42) zu intereffieren
haben. Es bietet reiche Anregung und
Ausbeute für religiös · wiſſenſchaftliche Vor ·
näge über die gegenwärtig beſtehenden
Stiftologifchen Fragen.
dan Binneken, F., 8. J.: Der ganze
chriſtus. Das katholiſche Heilands bild.
Berechtigte Uber ſetzung aus dem Hollän-
kichen von ID. E. Winkel 8. J. 16°
628) Berlin 1923, Verlag der Germania.
I. —. 40; geb. IM. —.60.
der Derfaffer unterſucht den tiefſten
Deſensunterſchied zwiſchen der katholiſchen
147
und der proteſtantiſchen Auffaffung des
Bildes, das uns die Evangelien von der
Perſon geſu entwerfen. „Der weſentliche
Unterſchied zwiſchen Proteſtantiſch und
Katholiſch liegt darin, daß der Katholik
in Lehre und Leben den ganzen Chriftus
umfaßt und ihm nachfolgt, während jeder
Proteſtant nur einen Bruchteil von Chriſtus
beſitzt und bekennt, den er ſich perſönlich
ausgewählt hat“ (49). D. verfteht es, das
Heilandsbild als die harmoniſche Der-
einigung der verſchiedenſten Gegenfäge
zu zeichnen. Er tut es mit Araft und
wohltuender Wärme.
P. Benedikt Baur (Beuron).
Religion und Geben
Altchriſtliche Gebete. 12° (208 8.) Mainz
1922, M. Srünewald⸗ Verlag. Geb. M. 3.15
Viel Liebe hat dieſe Gebete aus weit
zerſtreuten Quellen der Heiligen Schrift, der
alten ftirchenväter und der orientaliſchen
biturgien zuſammengetragen; großes Be-
ſchick hat fie in gute deutſche Form ge-
bracht und auf die Sebetsbedütfniſſe des
täglichen Lebens (Morgen-, Abend-, Meß»,
Beicht⸗, Rommuniongebete ufw.) verteilt.
In einer Einführung ſpürt ein feinſinniger
Beobachter dem Beift der gebotenen Stücke
nach und hebt beſonders den katholiſchen,
alle und alles umfaſſenden Gemeinſchafts⸗
ſinn, die edle Einfachheit und gemeſſene
Sicherheit hervor. Der tiefe Schacht, aus
dem dieſe urkräftigen, altchriſtlichen Ge-
meinſchaftsgebete hervorquellen, iſt ihm
das charismatiſche, ſchöpferiſche Gebet der
Urkirche. Im heiligen Benedikt ſteht er
den „Heiligen der liturgiſchen Sebets⸗ und
Gebenshaltung ſchlechthin“ (20); das fiebte
Kapitel feiner Regel bildet den Schluß der
Texte. Wer reinen, kerngefunden, altchriſt⸗
lichen“ Beift auf ſich wirken laffen will,
dem empfehlen wir das Büchlein, deſſen
Ausftattung klaſſiſch vornehm gehalten iſt.
Vielleicht lernt er dabei die ruhigeren, ge⸗
drängten Gebetsformen unſerer römiſchen
biturgie umſo mehr ſchätzen und lieben.
Gute Bebetbüdher zu ſchaffen, hat ſich der
M. ⸗ Grünewald · Verlag überhaupt u.a. zum
Biel geſetzt. Dem oft beklagten Sebetbuch⸗
elend haben zwar weithin abgeholfen und
helfen ab zahlreiche handausgaben und
148
Überfegungen der offiziellen kirchlichen
Bücher. Aber wenn auch Vorbild für alles
private Beten, kann und will die GCitur-
gie nicht feine Schranke fein. Die Sonne
hat ihre Protuberanzen und das Meer
ſeine Wellen: Die liturgiſche bedarf der
privaten Andacht wie die private der
liturgiſchen bedarf. Deshalb begrüßen wir
es ſehr, daß in der Sammlung: „Religiöfe
Seiſter“ eine eigene (2.) Reihe „Gebetstexte
vorgefehen und durch Kardinal Newman
vielverheißend eröffnet ift („Bott und die
Seele. Gebete und Betrachtungen“. 11.—
20. Taufend, geb. I. 3.15 und höher). Don
newman ſtammen ebenfalls die beiden
kleinen, gut gekleideten Büchlein: „Der
Maimonat“, kurze, ſehr anſprechende
Mailefungen im Anſchluß an die laure⸗
taniſche Litanei (3.— 10. Tſd., geb. I. 1.20)
und die tiefempfundenen „Rarfreitags-
betrachtungen mit den allumfpannen-
den „Fürbitten“, denen der Rarfreitags⸗
liturgie nachgebildet, ſamt kleinem „Areuz-
weg” (1.— 5. Aufl. geb. I. 1.20). Eine
ergreifende Rreuzwegandacht ift vor allem
auch: „Der Kreuzweg unſeres herrn
und Beilandes” von R. Guardini
(1922, 21.— 30. Aufl. geb. 1.05), dargereicht
nach zehnjähriger Selbſterprobung und
eingeleitet mit einer warm empfundenen
Wertung dieſer „Volksandacht“. Guardini
lehrt uns das beiden Jeſu tief verftehen
und unfer Geid in Jeſu Leid willig, ja
freudig ertragen. Allerdings eignet ſich
fein „Kreuzweg, wie er felbft meint, „Kaum
zum gemeinſchaftlichen Gebet, ſondern wohl
nur zur ſtillen Derfenkung”. Umgekehrt
ſcheint nach dem uns vorliegenden Pro-
ſpekt, weil aus dem Beten der Gemein-
ſchaft entſprungen, auch für deren Beten
ausnehmend geeignet: „Der hl. Kreuz-
weg /, den ſoeben P. Anfelm Manfer im
Theatinerverlag herausgibt (geb. M. 1.20)
„mit liturgiſchem Rreuzwegtext beſtehend
aus Worten der heiligen Schrift und Ge-
beten der biturgie“. Auch er iſt nicht von
geftern. Er hat fogar in etwa Vorgänger,
ſomit in feiner Art Tradition. Er erläu-
tert vierzehn rührend ſchöne, gemütstiefe
Fieſolebildchen in Tiefdruck, wie von P.
Dippert S. g. ſchon vorher in wohllauten⸗
den Worten und wegweiſenden Gedanken
„Der hl. Rofenkranz” an hand von
fünfzehn vierfarbigen Bildchen desſelben
unvergleichlichen Fra Angelico erläutert
ward (1923, 6.— 16. Tfd. M.1.—). Lauter
kleine Büchlein aber feine. Nur vor einem
hüte man ſich: vor einem Spieleriſchen in
der Frömmigkeit. Das gilt nicht für llew ·
man, Guardini, P. A. Manfer, P. Lippert;
wohl aber ſei es geſagt für etwaige
billige Nachahmer!
P. Pius Bihlmeuer (Beuron).
Solowjeff, W.: Drei Reden. Dem Inden ·
ken Doſtojewskus gewidmet. Verdeutſcht
von Th. Gräfin v. Peſtalozza. 8° (61 8.)
Gange, SE.: Wladimir Solowjew. Eine
Seelenſchilderung. 882 8. mit Bildnis).
Spalding, J.: Grundſätze chriſtlicher
bebens führung und erziehung. lÜber-
tragen von J. Hheneka. 8° (144 8.) 10., 12.
und 11. Band der Sammlung „Religiöfe
Seiſter“. Mainz, M. Srünewald-Derlag.
Solowjeff verfügte über eine feltene
Schärfe philoſophiſchen Denkens, beſaß
einen großen geiſtigen Weitblick, war durch
perſõnliche Freundſchaft mit Doftojewsky
verbunden, nahm aber in ſeiner Stellung
zum Abendlande eine dieſem grundſätzlich
entgegengeſetzte haltung ein. Alle dieſe Ei-
genſchaften laſſen ihn beſonders geeignet
erſcheinen, uns mit Doſtojewskus Gedöan·
kenwelt bekannt zu machen. Es war des⸗
halb ein glücklicher Griff, feine drei, dem
Andenken Dofiojewskys gewidmeten Re
den ins Deutſche zu übertragen. Sie bedeu-
ten eine. vorzügliche Einführung in die
Gektüre der Werke dieſes ruſſiſchen Dich-
ters. Und dieſe bedürfen notwendig einer
ſolchen.— In kongenialer Weiſe hat 8.
Doftojfewskys Grundideen herausgehoben.
Nur die Hauptlinien, die großen Geſichts
punkte will er aufdecken. Gerade das iſt
aber der große Dorzug diefer Ausführungen
und läßt auch Doftojewskys Größe in hel⸗
lem Gicht erſcheinen. Man ſieht, wie weit
er feiner Jeit vorausgeeilt iſt und wie
hoch er über feiner ganzen Umwelt ftand.
Den einen Zweifel kann man allerdings
nicht unterdrücken, ob D. tatſächlich feine
Aufgabe ſchon in dieſer Klarheit erkannt
hat. Seine Schriften machen dieſen Ein-
druck nicht. Es mag bei ihm mehr ein
unbewußtes Ahnen geweſen ſein, und nur
ein fo klarer und ſcharfer Kopf wie 8. ver-
mochte das dunkel Erkannte in eine kri-
ftallklare Form zu faffen. — In religiõ ·
fen Fragen kommt allerdings die ortho;
dok · kirchliche Stellung des Reoͤners noch
demlich zum Dorfchein. Die ÜUberſetzung
wird dem Schwung und der Kraft, die alle
Reden beleben, vollkommen gerecht.
bange verſteht es, den ebengenannten
Philoſophen in feiner eigenften Art zu ge;
ben. Solowjew widmete einen großen Teil
ſeines Studiums der Seſchichte der Philo-
ſophie und ließ das eigene Denken be⸗
fruchten von den größten Beiftern alter
und neuer Zeit. Daòurch wird das Der-
Rändnis feiner eigenen Philoſophie er-
ſchwert. O. iſt bemüht, foweit das in dem
gegebenen Raum möglich iſt, hintergründe
und Parallelen aufzuweiſen; die ganze
Arbeit iſt herausgewachſen aus einer gu»
ten ienntnis der modernen Geiſtesrich⸗
tungen und Seiſtesentwicklung. Das un»
terſcheidet dieſes Bändchen von früheren
der gleichen Sammlung. Es fett eine
zemlich große Vertrautheit mit philofophi-
chen Fragen voraus. Die äußeren Gebens-
ſchickſale Solowjews werden mit Abſicht
übergangen, ſoweit fie nicht für eine „See;
lenſchilderung“ von Bedeutung find. Es
berührt aber angenehm, daß neben der
Philoſophie des großen Ruſſen auch feine
fo anziehende Per ſönlichkeit zur Seltung
kommt. Die weit freilich der Oſten über ⸗
haupt geeignet iſt zur geiſtigen und be⸗
fonders religiöfen Klärung des Weſtens
beizutragen, dieſe Frage mag offen bleiben.
Es iſt kaum möglich, in einigen Sätzen
den Reichtum und die ganze Schönheit des
11.Baänddhens anzudeuten. 8 pal ding war
emer der bedeutend ſten Bifchöfe Amerikas
im verfloſſenen Jhdt. Er erwarb ſich um
das Hufblühen katholiſchen Lebens und
katholifcher Erziehung unſchätzbare Der-
dienfte. Das Beheimnis feiner Erfolge ift
feme Per ſönlichkeit. Sie tritt in dieſen ge⸗
fammelten Vorträgen uns prächtig, lebens.
friſch, ur ſprünglich entgegen. Das iſt das
Koftbarfte daran. „Worte haben nur dann
unwider ſtehliche Kraft, wenn fie aus dem
herzen Bott ähnlicher Männer kommen“
(89). Sp. Ihöpft aus einer reichen Erfah⸗
rung, darum iſt alles was er ſagt, abge⸗
klärt, lebenswahr, praktiſch. Eine Neube⸗
lebung mag das Büchlein vor allem für
ſolche fein, denen ſchon einmal in einſa⸗
mer Stunde ein heimlicher Aweifel das
Dertrauen auf die eigene Kraft und die
149
Sieghaftigkeit ihres Glaubens trüben zu
wollen droht. Wie unmöglich eine Erzie⸗
hung ohne Glaube und wie nur der Glaube
fähig iſt, die Welt zu überwinden, iſt nicht
die letzte und geringſte Erkenntnis, die
dieſe Zeilen vermitteln können. Erziehung
braucht Ideale. „Bott iſt das Ideal, oder
es gibt keines“ (94); die Geſchichte der
jüngften Zeit hat es uns klar gezeigt.
P. Willibrord Derkade (Beuron).
v. Dunin-Borkowski, 8t.,8.3.:5chöp-
ferifhe Liebe. Ein Weg zur ſittlichen
Vollendung. 8° (205 8.) Berlin 1923,
Ferd. Dümmler. M. 4.—; geb. M. 5.—
ein Buch, geſchrieben von einem tiefzn
Renner der menſchlichen Seele, beſonders
auch der Seele des werdenden jungen
Mannes. So erreicht es feinen Doppel⸗
zweck vollkommen: einerfeits die „Ab-
hängigkeiten und Juſammenhänge der Tu⸗
genden“ zu zeigen, anderſeits die Freund.
ſchaft zwiſchen chriſtlicher und Vernunft ⸗
ethik aufzuweiſen. Wenn auch „ohne die
gelehrte Gangart und Sprache lehr mäßiger
Darbietungen“ verfaßt, bietet das Buch
doch auch dem Theoretiker in der Tugend»
lehre reiche Anregung. Die chriſtliche Wahr-
heit, daß die Liebe die Seele aller Tugend
iſt, ohne die es keine wahre Tugend gibt,
iſt hier weniger logiſch als pſuchologiſch
dargelegt, aber mit einer lebenswahren
Pſuchologie, die leichter überzeugt als kalte,
lebensfremde Logik. An Hand des drei⸗
zehnten Kapitels im erſten Korintherbrief
wird „ein Tugendkreis aus pauliniſchen
Elementen“ aufgezeigt; dabei wird bewußt
den Worten des Apoftels ein weiterer In-
halt gegeben, als ihn dieſer urſprünglich
damit verband. Was hier über Zuverficht,
Ehrgeiz, Demut und Güte geſagt wird, ift
wirklich packend. An dieſe „Schöpfungen
der Liebe im Einzelleben“ ſchließen ſich die
„Schöpfungen der Liebe im Semeinſchafts⸗
leben“, die ſich bis zur Weltgemeinſchaft
auswachſen. Im letzten Abſchnitt werden
die „Harmonien und Disharmonien der
biebe“ behandelt, wobei auch die geſchlecht⸗
lichen Fragen eine ebenſo taktvolle als
tiefe und geſunde Behandlung finden.
Dieſer ganze Teil gehört wohl zum Beſten
des guten Buches, wenn auch manche Fra-
gen, wie die der Enthaltſamkeit, nicht
reſtlos gelöſt ſind, es wohl auch nicht ſein
150
follen. Eine Frage drängt fi aber dem
beſer des Buches auf: werden Jungens —
auch tiefe und reife Jungens - dieſes Buch
verſtehen? Dafür ſcheint die Sprache zu
gedrängt, die tiefe Sedanken in Kurzen,
inhaltsſchweren Sätzen unmittelbar an⸗
einander reiht. Aber auch wenn der Junge
das Buch jetzt noch nicht ganz verſtehen
ſollte, wird es ihm doch weite, ſchöne Hus
blicke öffnen in das Sonnenland chriſtlicher
biebe und ihrer Schöpfungen, und wird
ihm ſo ein Führer auf dem „Weg zur
ſittlichen Vollendung“ werden.
Das Buch reiht ſich würdig an dem
„Reifenden beben“ und der „Füh-
renden Jugend“, die 1922 in dritter
bzw. zweiter, durchgeſehener Auflage er-
ſchienen, denen im dritten Jahrgang dieſer
Jeitſchrift (67 u. 249) mit Recht hohes Lob
zuteil wurde. Schade, daß der Verfaſſer
in feinen „Sebeten und Gedanken für
die ftudierende Jugend“ (Münſter
1922, Aſchendorff) fo wenig den Gemein-
ſchaftsgedanken und den Opfercharakter
der Liturgie verwertet — er wäre damit
dem tiefen Sehnen der betenden Jungend-
ſeele noch näher gekommen und hätte ihr
Wege gewieſen zum innigen Anfchluß an
den in der Kirche fortlebenden und forte
opfernden Chriſtus, der ja die lebendige
Quelle und das deutlichſte Bild der Schöp⸗
feriſchen Liebe ift.
P. Adalbert v. Heipperg (Beuron).
ſtirchliches handbuch für das katho⸗
liſche Deutſchland. Tiebft Mitteilungen
der amtlichen Zentralftelle für kirchliche
Statiftik. In Verbindung mit 5. Auer,
U. hilling, W. Marx, J. Sauren und
A. Väth 8. J. Herausg. von hermann
H. Arofe 8. J. 11. Band: 1922/1923
(VIII und 407 8.) Freiburg 1923, Herder.
geb. M. 6.50
Das kirchliche handbuch kommt in dieſer
Jeitſchrift hiemit erſtmals zur Beſprechung.
In den acht Abteilungen des vorliegenden
11. Bandes ſteckt wie in allen feinen Dor-
gängern eine Unſumme von Mühe und
Fleiß, von Angaben und Aufklärungen
über kirchliche und kirchenpolitiſche Der:
ſonen, Geſetze und Verbände.
Abt. 1 „Organifation der Seſamtkirche“
führt in Kürze die hierarchie vor nach dem
Beftand von Ende März 1923, ſowie die
diplomatiſche Vertretung des Apoſtoliſchen
Stuhles und bei demfelben. — In Ab. 2
ſtellt U. Hilling die kirchliche Seſetzgebung
und Rechtſprechung des Jahres 1921/22
nebſt der einſchlägigen ſtaatlichen muſter⸗
giltig zuſammen. — Abt. 3 befaßt ſich mit
der kath. Heidenmiſſton. P. Väth berichtet
u. a. über die verlorenen und gegenwär⸗
tigen deutſchen Miſſtonsfelder. — Abt. 4
„Ronfeffion und Unterrichtsweſen“ hat
keinen geringeren als den gegenwärtigen
Reichskanzler Dr. Marx zum Verfaſſer.
Dieſer beſpricht überſichtlich die heiß um ſtrit⸗
tene Schulfrage. — Der vielgeſtaltigen cari-
tativ-fozialen Tätigkeit und dem vielver-
äftelten katholiſchen Dereinswefen Deutſch⸗
lands gilt Abt. 5, bearbeitet von dem ſach⸗
kundigen 8. Auer. — Abt. 6 „konfeflions-
ftatiftik und kirchliche Statiftik Deutfch-
lands“ behielt ſich wieder der bewährte
Fachmann P. Arofe vor. Aus ihren Er-
gebniſſen ſei hier u. a. hingewieſen auf den
Rückgang des Seelſorgeklerus und der
Theologen bei Junahme der Seelenzahl;
beſonders ungünſtig liegt das Verhältnis
in den Diözeſen Breslau und Meißen.
Unter den männlichen Orden ſtanden 1922
in Deutſchland die Franziskaner an Zahl
der häuſer und Prieſter an der Spitze, an
Mitgliederzahl die Benediktiner. — Abt. 7
„Organiſation der katholiſchen kirche in
Deutſchland“, bearbeitet von 9. Sauren
bietet Angaben über die Biſchöfe, Dom-
kapitel, Diözefanbehörden und ⸗anſtalten,
ferner iiber die religiõſen Orden und ihre
NUiederlaſſungen in den einzelnen Diözeſen.
— Abt. 8, hrsg. vom gleichen J. Sauren,
enthält reichſte ſtatiſtiſche Angaben.
In einer Zeit, in der das kirchliche Hand-
buch um feine Exiſtenz kämpft, muß jeder
Wunſch nach Ergänzungen verſtummen.
Immerhin ſei für beſſere Tage aufmerk⸗
ſam darauf gemacht, daß einige An⸗
gaben über katholiſche behranſtalten (Sum ·
nafien, Realſchulen, TIormalfdulen, Han-
delſchulen, Penſtonate für Mädchen uſw.).
ferner eine Abteilung über Ratholiſche
Giteratur, in der beſonders alle wichti⸗
geren Sammelwerke und Zeitfchriften auf ·
geführt werden ſollten, nützlich wären.
Es wäre gut, wenn fo in einem Kirch-
lichen Jahrbuch wenigſtens kurz auch die
mehr „Rulturellen“ Auswirkungen des
religiöſen bebens zur Darſtellung kämen.
Deigert, Joſeph: Die Volksbildung
auf dem Land. [Schriften des Zentral-
bildungsausſchuſſes der katholiſchen Ver⸗
bände Deutſchlands. 2. Heft] 8° (192 8.)
m. Gladbach 1922, Dolksvereins-Derlag.
-Das Dorf entlang. Ein Buch vom
deutſchen Bauerntum. 4. und 5. Auflage.
(XIV u. 470 8.) Freiburg 1923, Herder.
Seb. II. 12.—
1. Klar und lichtvoll ſetzt der um die länd⸗
liche Wohlfahrtspflege hochverdiente Der-
faſſer in dieſer gediegenen und lehrreichen
Schrift auseinander, was Bildung und
Volksbildung iſt. Er zeigt dann, daß der
Bauer eine Bildung braucht, die ihn wirt⸗
ſchaftlich hebt, ihn befähigt auch als Be-
meinde und Staatsbürger ſowie als Be-
noſſenſchaftler erſprießlich mitzuarbeiten,
-die ihn an feinem Stande Freude fin⸗
den läßt —, ihn religiös vertieft und ver⸗
imerlicht, ihn lehrt, ſein Geben reicher und
ſchöner zu geſtalten. Er beſpricht ſodann
die Schwierigkeiten, die vielfach dieſe Bil-
dung hemmen: Stumpfſinn, Gleichgültig ⸗
keit, Unluſt zum bernen, ſowie die Bil
dungs mittel, von denen er mit Recht dem
Familienleben, der Fachſchule, dem Jugend⸗
vereinsleben, dem Dorfheim für die Er⸗
wachſenen, der religiöfen Beeinfluſſung be⸗
ſonderen Wert beilegt. Vollen Beifall ver-
dient fein Verlangen nach Pflege ſchöner
Volkslieder, um zotige fernzuhalten, und
überhaupt nach Förderung des inneren
bebens, um ein Gegengewicht gegen rohes
driebleben zu ſchaffen. Die in Ziel, Aus-
dehnung, Bildungsmitteln und Erfolg ſtark
umſtrittene Dolkshochſchule möchte er für
teifere Jugendliche den Bauernvereinen,
dem Volks verein ufw., bzw. religiöfen Or-
den zuweiſen. Ein eigener Übſchnitt iſt
noch der Dolksbücherei und dem Lefen ge⸗
widmet. Es find heilſame Wahrheiten, die
Deigert vorhält, und reichlich erwogene
Hichtlinien, die er gibt, deren Beachtung
und Befolgung großen Segen bringen kann.
Mögen ſie deshalb das geiſtige Eigentum
techt vieler werden.
2. „Nun, wer wird denn leſen dein Buch?
Ich fürchte: weder der Bauer noch der
Belehrte. — Ich wollt', es verachtet es
keiner; ja ich hofft‘, daß es manchem die
Kenntnis mehrt.“ So der Derfaffer in
den Dorwortverfen feines Buches „Das
Dorf entlang“. Seine Beforgnis, das um-
151
fangreihe Werk werde keine Abnehmer
und Gefer finden, erwies ſich als unberech ·
tigt: iſt es doch ſchon in 4. und 5. Auf-
lage erſchienen.
bebensfriſch und anſchaulich bietet es
faft überreichen Stoff aus der Kulturge⸗
ſchichte der Dergangenheit, aus zahlreichen
Belegen der Volkskunde der Gegenwart
und beſonders auch aus der eigenen Beob-
achtung und Erfahrung. Die Wertſchätzung
des Bauernſtandes zumal beim Bauern ſel⸗
ber, aber auch bei allen andern Ständen
und Klaſſen des Volkes zu mehren, ift ihm
Herzensſache. Bewährtes Alte in Lebens-
weiſe, kleidung, Wohnung, Sitte möchte er
erhalten helfen und beklagt deſſen Schwin-
den. Da aber auch große Mißftände, die ehe;
dem den Bauernſtand ſchädigten, be⸗
hoben find, haben deſſen Angehörige
und Freunde guten Grund, fi mit der
Gegenwart auszuſöhnen und der Zukunft
hoffnungsvoll entgegenzuſehen.
In vier Büchern behandelt W. Bauern-
leben, arbeit, charakter und „familie.
Biezu kommt in der 4.— 5. Auflage eine
zutreffende Jeichnung des Bauers im
Weltkrieg und in der Revolution. Dicht
und Schattenſeiten werden wahrheitsgetreu
vorgeführt und umſichtig beurteilt. Ernft-
lich wehrt er der übermäßigen Vandflucht.
Trefflich Kennzeichnet er den Ackerbau
als eine Schule der Religiofität (III, 3).
liernige Sinnfprühe würzen die Gefung.
Wenn nach ſeinen Mahnungen der Fami⸗
lienfinn und das Familenleben gepflegt
wird, bewahrheitet ſich der haus ſpruch:
„Wer für die Freude außer dem Haufe we⸗
nig zahlt, zu dem kehrt ſie unentgeltlich ein.“
„Schweig, leid und lach! — Geduld über-
windt alle Sach.“ ö
Bei der Erwähnung heidniſcher Sagen,
abergläubiger Meinungen und Gebräuche
könnte wohl etwas geſchieden und gekürzt
werden, hingegen wäre in dem wichtigen
Buche über die Bauernfamilie in den Ra-
piteln: Bauernkinder, bäuerliche Dienſt⸗
boten, Uachbarn, manches Beachtenswerte
beizufügen. Ju günftig beurteilt der Der-
faffer doch wohl die Licht- und Aunkel-
ftuben. Möge es ihm möglich werden,
das geplante, grundlegende Werk über den
Bauernftand in Bälde herauszugeben.
P. Hieronymus Riene (Beuron).
2 K ZR
152
Zu unferen Bildern.
Ga treue Freunde des Kloſters Schäftlarn aus der Schweiz haben es ermöglicht,
dieſes Heft mit Bildſchmuck zu verſehen. Zwei Künſtler erſten Ranges: Pro-
feſſor Otto Hupp in Schleißheim bei München und Auguſtin Pacher, Kunſtmaler in
münchen, haben zum goldenen Prieſterjubiläum des Abtes Sigisbert Liebert von
Schäftlarn die drei prachtvollen Zeichnungen geliefert.
Das erfte Bild (von Profeſſor Hupp) zeigt eine im Mittelalter ſehr beliebte
dufammenftellung: die Patrone des Klofters Schäftlarn beſchützen in dem Wappen
das Stift. Schon in der Stiftungsurkunde des alten Benediktinerkloſters vom
1. November 762 wird der hl. Dionus als Patron der Kirche erwähnt. Es ift der
hl. Dionys von Paris, der für feinen Glauben enthauptet wurde und deſſen Feſt in
jedem Jahr am 9. Oktober hochfeierlich begangen wird. Neben dem heiligen Biſchof
erſcheint etwas [päter die hl. Juliana als Patronin. Dieſe nikomediſche Jungfrau
und Martyrin hat nach der Legende den Teufel bezwungen (nämlich in den Der:
ſuchungen) und führt darum einen Teufel an der Kette als ExRennungszeichen. Ihre
Verehrung wurde in Schäftlarn wohl durch die Freiſinger Biſchöfe eingeführt, denen
das ftloſter anfangs unterſtand. Der Sturm der Säkulariſation hat mit den Prü-
monſtratenſern (von 1140 1803) auch ihre Derehrung unterdrückt. Erft Abt Sigis:
bert gab der hl. Juliana ihre frühere Stellung zurück, und ſeit dem 16. Februar
1917 wird ihr Feſt in Schäftlarn jedes Jahr feierlich begangen. Zwiſchen dieſen beiden
Heiligen ſehen wir das Klofterwappen: in Blau ein goldenes Schifflein mit zwei
goldenen Rudern. Dieſes Wappen läßt ſich ſeit 1450 nachweiſen.
Das zweite Bild (von Auguft Pacher) zeigt in reichen biſchöflichen Gewändern
den hl. Dionus, der fein haupt auf dem Evangelienbud trägt, während auf dem
Körper das verherrlichte Haupt ſichtbar wird. Links vom Beſchauer ſehen wir vor
einem äfte- und blätterreichen Baum das blutige Schwert. Beide erinnern an das
bekannte Wort: Sanguis Martyrum — Semen Christianorum. Rechts vom Be⸗
ſchauer grüßt die ſchöne Kloſterkirche. Unten ſehen wir das Rlofterwappen.
Das dritte Bild (wiederum von Profeſſor Hupp) iſt ein rein heraldiſches. Es
zeigt das Klofterwappen in Verbindung mit dem Abgswappen: von Rot und Silber
gefpalten, darauf ein goldenes 8. Der Schild iſt geſchmückt mit Mitra und Stab:
beide von fo ſchöner binienführung, daß man ſich daran nicht ſatt ſehen kann.
Jeder von den beiden Künſtlern hat in dieſen Jeichnungen etwas Dollkommenes
in feiner Art geboten: es find zwei echte hupp⸗Bilder und ein ebenſo echtes Pacher ⸗
Bild. Die Mönche von Schäftlarn aber freuen ſich hoch, daß die Erinnerung an das
ebenfo frohe wie ſeltene Feſt des goldenen Prieſterjubiläums ihres hoch verehrten,
kunſtſinnigen Abtes durch ſolch herrliche Bilder für alle Zeiten in würdiger Weiſe
feſtgehalten wird. Die lateiniſche Wiömung unter dem Textbilde ſtammt von Dr.
B. hermann Bourier aus dem Stifte St. Stefan in Augsburg, der nun ſeit faſt
zwanzig Jahren feine befte Kraft unſerem leutearmen Kloſter zur Verfügung ſtellt.
Ohne ſeine unermüdliche Mitarbeit hätte der hochwürdigſte herr Jubilar die drückende
Laft feines Amtes wohl ſchwerlich bis zur Stunde tragen können. Deshalb muß
das, was ein Zeichen des Dankes an unſern Herrn und Vater fein foll, auch ein
Zeichen des Dankes an P. hermann Bourier fein und damit auch an deſſen Profeß-
kloſter, dem Schäftlarn ja auch den Abt verdankt, an St. Stefan in Augsburg.
P. N. Ulrich (Schäftlarn).
K Zu
herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern),
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade,
gedruckt und verlegt vom Runftverlag Beuron.
( enanDν is ung ui oui) — aynpg asucınag
wanmag un uoa nouapRy z Jaagno) mund 18
153
Abtbiſchof Waldo,
der Begründer des goldenen Zeitalters der Reichenau.
Don P. Emmanuel Munding (Beuron).
er 25. April des Jahres 724 wird in den Urkunden und Jahr:
büchern der Reichenauer Geſchichtsquellen als der denkwürdige
Tag überliefert, an dem der heilige Abtbiſchof Pirmin als Glaubens⸗
bote bei feiner Wanderung aus dem Frankenlande nach Alamannien
kam und auf der Bodenſeeinſel feſten Fuß faßte. Er brachte ihr zu
dem koſtbaren Gute des Glaubens, das wohl ſchon römiſche Anſiedler
in diefe Gegend getragen hatten, auch die Segnungen des kloſterlebens.
Sicher iſt, daß Karl Martell dem Wanderbiſchof am 25. April 724
die Infel Reichenau zur ‚Rloftergründung geſchenkt hat. Der fruchtbare
kloſterſtifter, mit deſſen Uamen die Gründungen oder Erneuerungen
von Schuttern, Gengenbach, Schwarzach in Baden, Hornbach, Altaich,
pfävers, Murbach, Maursmünſter, Neuweiler u. a. mit Recht oder
Unrecht verknüpft ſind, ahnte wohl nicht, daß ſeine Stiftung auf der
blühenden Inſel ein Jahrtauſend überdauern werde.
In dieſer langen Zeit hat die Infelabtei der guten und böſen Tage
viele geſehen, die beſten in ihrer Jugendblüte, die ſchlimmſten in ihrem
Breifenalter. Denn die letzten Jahrhunderte ihres Beſtehens erzählen
fat nur von ſchweren Kämpfen um ihre Selbſtändigkeit mit dem
konſtanzer Bistum. Ihr Ringen war das einer Sterbenden, die ihre
letzten kräfte zuſammenrafft, das erlöſchende Geben zu retten. Um⸗
font! Die Lebenskraft der Elfhundertjährigen erlag vollends, als am
30. märz 1757 der Biſchof von KRonſtanz durch eine ktommiſſton die
Mönche zwang, ihr heim zu verlaſſen, und endgültig vom Kloſter
Befig nahm. Im Jahre 1803 erfolgte dann die eigentliche „Säkulari⸗
ſation“, und 1809 kam die Reichenau an Baden. Aufgehoben, ihrer
Mönche und Bücherſchätze beraubt, liegt die Reichenau ſeit gut einem
Jahrhundert im Todesſchlafe. Doch ihre ehrwürdigen Mauern, die
überrefte ihres Kunſtſchaffens, die Geiſtesdenkmale ihrer handſchriften
tufen laut jene goldenen Zeiten in die Erinnerung zurück, da fie des
edelſten Cebens reichſte Fülle ſelbſt genoß und anderen neidlos mitteilte.
In jenen Tagen lebten ihre größten Äbte; fie ließen das Infelklofter
in dem dreifachen Ruhmesglanz eines Lebens einzig für Tugend,
Wiſſenſchaft und kiunſt erſtrahlen.
Diefe Sonnentage jugendfriſchen Schaffens und höchſter Blüte des
Tugend» und Beifteslebens der Reichenau heraufgeführt zu haben, ift
vorwiegend das Derdienft des Abtbiſchofs Waldo, des ſiebten Nach⸗
Benedikttniſche Monatfchrift VI (1924) 5—6. 10
154
folgers des hl. Pirmin in Reichenau. Er war eine überragende Per:
ſönlichkeit. Er übte einen nicht gewöhnlichen Einfluß auf den Bang
der Jeitereigniſſe aus. Wo wir ihm begegnen, ſehen wir ihn in hohen
Stellen; immer hat er ſchwierige Aufgaben zu löſen, und das meiſt
im Huftrage Karls d. Sr., der mit kiennerblick auch ihn zu einem
Werkzeuge für die geiſtige Erneuerung feiner Zeit erwählte. Trotz
dieſer Bedeutung Waldos fließen die Quellen über ihn recht ſpärlich.
Eine Ausnahme bilden nur die Nachrichten über fein Wirken in
Reichenau. Das iſt verſtändlich: für die Infelabtei iſt Waldo von
geradezu bahnbrechender Bedeutung geweſen. Er hat dem Bodenſee⸗
kloſter klare und feſte Wege für fein Schaffen auf Jahrzehnte hinaus
gewieſen. Ja er hat zuſammen mit feinem unermüdlichen Bibliothekar,
dem Mönch Reginbert, den Grund zur höchſten Blüte der Reichenau
gelegt. 50 erſcheint es verlockend, in dieſem Jubeljahr der Brün:
dung Reichenaus vor zwölfhundert Jahren Waldos zwanzigjähriges,
erfolgreiches Wirken, durch das er ſich den Ehrennamen eines Be:
gründers des goldenen Zeitalters der Reichenau verdient hat, in den
weitverſtreuten Quellen zu verfolgen und zu einem geſchloſſenen Bilde
zu vereinigen.
IJ. Familie und Heimat.
Wel gehörte einem deutſchen, zu Macht und Einfluß empor⸗
gewachſenen, ſehr vornehmen, ja höchſtwahrſcheinlich mit den
ftarolingern verwandten Geſchlechte an. Über feine nächſten Vorfahren
hat uns die Geſchichte leider Reine Nachrichten aufbewahrt. Wohl aber
kennen wir noch eine Reihe von hervorragenden Derwandten Waldos,
die im ſiebten und achten Jahrhundert eine bedeutende Rolle ſpielten.
Zu ihnen gehören Wetti, behrermönch von Reichenau, Brimald, Abt
von St. Gallen, ein außergewöhnlich begabter Mann, Hetti und Tiet⸗
gaud, erzbiſchöfe von Trier, und Warentrudis, Äbtiffin von Pfalzel
bei Trier.
Wetti wurde von Jugend auf in Reichenau erzogen. Er hatte den ſpäteren übt
biſchof Heito zum Lehrer, den [päteren Abt Erlebald zum Mitſchüler und unzertrenn-
lichen Gefährten feiner Studien. Nachdem er auch auswärts bei einem „Schotten
lehrer“ fein Wiſſen bereichert hatte, kehrte er heim und ward von Abt Beito wegen
feiner Bildung und tiefen Kenntnis der Heiligen Schrift zum Lehrer der Reichenauer
Schule beſtellt. Er war ſelbſt ſchriftſtelleriſch tätig. Eine ſchon beſtehende, aber in
barbariſcher Sprache abgefaßte Lebensbefchreibung des hl. Gallus hat er umgearbeitet
und Abt Sozbert von St. Sallen (816-837) gewidmet. Unſterblich machte er feinen
Namen durch ein berühmtes Geſicht, das er drei Tage vor feinem Tode (+ 4. Nov. 824)
1 Den wiſſenſchaftlichen Uachweis für die folgenden Ausführungen erbringt eine
Studie, die der Derfaffer im Laufe des Jahres in den „Texten und Arbeiten, heraus-
gegeben von der Erzabtei Beuron“ zu veröffentlichen gedenkt.
155
ſchaute. Er durchwanderte im Geiſte die Reiche des Jenſeits und erblickte dort be»
kannte Perſönlichkeiten der jüngſten Vergangenheit, darunter den im kampfe gegen
die hunnen gefallenen Grafen Gerold als Martyrer in der Herrlichkeit des Himmels.
karl d. Br. hingegen ſah er für feine Fehler im Reinigungsorte büßen. Mit Mönch
Wetti war Waldo ſehr nahe verwandt. Das bezeugt Heito, der unter Abt Waldo
Mönch von Reichenau war und fein Nachfolger als Biſchof von Bafel und Abt der
Reichenau wurde, einer der fünf, denen Wetti ſterbend die Jenſeitsgeſichte erzählte.
Wetti war nach Walahfrids Zeugnis feinerfeits mit Abt 6rimald von St. Sallen
verwandt; er war vielleicht ſogar deſſen Bruder und nach Egon der Bruderſohn
Waldos. Dann wäre Waldo der Onkel von Wetti und Srimald geweſen. Ohne
zweifel war aber Grimald ein Sprößling aus ſehr vornehmer Familie. Sein Name
Brimoald oder Grimald iſt in der Familie der fränkiſchen Großen und Hausmeier
ſeht verbreitet. Zu den Großen zählt ihn mit Recht der wahrheits liebende Walahfrid.
Brimald wurde ſchon von Jugend auf am Hofe Karls d. Sr. und Ludwigs d. Fr.
erzogen. Es war aber Sitte, daß Knaben vorzugsweiſe aus hochgeltellten Familien
nach der erſten Schulbildung an den hof des Königs geſchickt wurden, um ſich hier
weiter auszubilden. Stufenweiſe ſtiegen fie dann zu den Hofämtern empor, ſelbſt
zu den höheren. Sie wurden Grafen, Äbte und Biſchöfe. Srimalds Laufbahn war
denn auch die eines fränkiſchen Großen. Seine Perſönlichkeit trat deutlich unter
buoͤbig dem Deutſchen hervor, noch deutlicher als die Waldos unter Karl dem Großen.
Srimald war gleich Waldo ein Mann von großen Anlagen. Er war Dichter, Dehrer
md Gelehrter und tat viel für die Wiſſenſchaft. Sehr verdient machte er ih um
die Reinerhaltung und Verbreitung der Urſchrift der Benediktinerregel, um Bücherei
und Schreibſchule, um das wiſſenſchaftliche und innerklöſterliche beben St. Sallens,
um die Runft durch Bauten in feinen drei Abteien St. Gallen, Weißenburg und Ell-
wangen. Als Staatsmann ſtand er Ludwig dem Deutſchen in der Regierung des
Keiches tatkräftig zur Seite. Er ſtarb den 13. Juni 872 und hinterließ ein Andenken,
das ſeines großen Verwandten Waldo würdig war.
6timalds Onkel Hetti war nach dem zuverläffigen Jeugniſſe der Grabinſchrift
feiner Schweſter Warentrudis ein Edelgeborener aus einem auſtraſiſchen Geſchlechte,
nach Mark, dem Derfaffer der Geſchichte des Erzſtiftes Trier, ſogar mit der kaiſer⸗
lichen Familie verwandt und ein fränkiſcher Großer. Hetti ſtand in den innigften
Beziehungen zu Ludwig d. Fr., wie Waldo zu Karl d. Gr. und Grimald zu Ludwig
dem Deutſchen. Unter Cudwig wurde er Erzbiſchof des wichtigen, uralten Biſchofs⸗
ſtzes Trier (814 — 847), wo die Karolinger ihre angeſtammten Erbgüter hatten. Er
war als Raiſerlicher 8enoͤbote in Fragen det kirchlichen Reform tätig, auch als Rat
und Bevollmächtigter des Raifers in kirchlichen und ſtaatskirchlichen Angelegenheiten,
3 B. in der Zulaſſung Unfreier zur Prieſterweihe, in der Abſetzung und Wieder-
einſetzung des Erzbiſchofs Ebbo von Reims. Endlich ſtand Hetti mit Biſchof Drogo
don Met, einem Bruder Ludwigs, dem ſterbenden Kaiſer bei, als dieſer auf einer
Rheininfel bei Mainz verſchied.
Stimalds Bruder, Tietgaud, wurde Hettis Nachfolger auf dem erzbiſchöflichen
Stuhl von Trier (847 863). Auch er ſtand in hervorragender Dertrauensftellung
und war in Freundſchaft mit dem Herrfcher verbunden. Er nahm den hohen Rang
eines Primas der belgiſchen kirchenprovinz ein. Im Ehefcheidungsftreit König Pothars
ſpielte er eine traurige Rolle. Er ließ ſich für die ungerechte Scheidung bothars von
ſeiner rechtmäßigen Gemahlin, der Königin Thietberga, zu Sunſten Waldradas ge»
winnen. Sein unkanoniſches Vorgehen führte feinen Sturz herbei. Auf einer römi⸗
ſchen Synode 863 unter dem Dorfige des Papſtes Nikolaus I. wurde er abgeſetzt;
er mußte ſich von nun an mit der Paienkommunion begnügen. Er war vielleicht
dothats Gewiſſensrat, da er bezeugt, der Rönig habe feine Dergehungen durch viele
Tränen, achtwachen, Bußwerke und Almoſen gefühnt. Mit Erlaubnis Hadrians II.
durfte er im Kloſter des hl. Gregor in Rom wohnen und beſchloß dann wahrſcheinlich
867 in Italien fein beben. er
156
endlich hatte Srimald noch zwei Tanten, hettis Schweſtern, die Äbtiffin Waren:
trudis und die Nonne hulindis. Sie lebten im Kloſter Pfalzel, das drei Meilen
nördlich von Trier am linken Mlofelufer lag. Pfalzel war aber ein hochadeliges
Nonnenkloſter. Das zeigt ſchon die ganze Sründungsgeſchichte. Aus einem mero-
wingiſchen Rönigspalaſt war es entſtanden, daher fein Namz palatiolum, deutſch
„Pfalzel“. König Dagobert hatte die Pfalz in ein Nonnenkloſter umgewandelt.
Erfte Dorfteherin wurde Adela, vielleicht Dagoberts Tochter, jedenfalls aber eine Frau
aus vornehmem fränkiſchem Geſchlechte Auſtraſiens. Dritte Äbtiffin war Warennudis,
Bettis Schweſter.
In Trier und Umgebung, wo hettis Familie ſo mächtig war, lagen
nun aber karolingiſche Erbgüter. Huch Pfalzel gehörte nachweislich
dazu. Es war Eigentum des Bausmeiers Pippin des Mittleren, von
dem es HUdela durch Taufchvertrag erworben hatte. So wird es wahr:
ſcheinlich, daß Hettis Familie, damit auch Waldo, mit den kiarolingern
ſelber verwandt war. Ein wahrer kern müßte demnach trotz der
Formfehler in dem Bericht jener Urkunde ſtecken, die Karl d. Gr. für
die Abtei Pfävers auf Derwenden Waldos, damals Abtbiſchofs von
St. Denis, ausgeſtellt haben ſoll. In ihr nennt Rarl Waldo feinen
Bruder, jedenfalls in dem weiteren Sinne eines nahen Verwandten.
Daraus erklärte ſich dann auch das einzigartige Vertrauen, das er
Waldo zeitlebens ſchenkte. Wie etwas ſpäter Abt Adalhard von Corbie
unter die primores palatii, die „Erften am Hofe“ zählte und in die
Pläne des Raifers eingeweiht war, weil ihn die Bande des Blutes
mit ihm verknüpften, ebenſo gehörte Waldo nach dem Berichte der
Übertragung des heiligen Blutes nach Reichenau (aus dem Anfang
des zehnten Jahrhunderts) zu den primores regis, zu den „erſten
oder den Großen beim König“. Dieſe primores bildeten die oberſten
Kreiſe in der Umgebung des herrſchers. Sie nahmen die erſten Stellen
im Reiche ein oder erſchienen auch ſonſt durch Macht und Reichtum
einflußreich, wie wir das bei Waldos Verwandten, hetti, Tietgaud
und Grimald feſtſtellen konnten.
Waldo genoß im vollſten Maße die Stellung eines „Großen“ und
intimen Vertrauten bei Karl dem Großen. Dieſer verlieh ihm nad):
einander die bedeutendſten Abteien des Reiches, Reichenau und St.
Denis, und dazu noch die zwei wichtigen Bistümer Bafel und Pavia.
namentlich die Derwaltung von Pavia war in jener Zeit bei Karl, der
ja kaum zwei Jahrzehnte zuvor das Langobardenreidy erobert hatte,
ein Dertrauenspoften erften Ranges. Schon vor feiner Erhebung zum
Abte von Reichenau hatte Waldo König Karl wertvolle Vertrauens-
dienfte als baiolus geleiſtet, d. h. als „vertraulicher Gefchäftsträger"
in ſtaatlichen und kirchlichen Angelegenheiten oder als Erzieher und
Berater von Barls jugendlichem und noch unerfahrenem Sohne, könig
157
Pippin von Italien. Jedenfalls ftand Waldo zu Pippin und deſſen
Gemahlin in nahen Beziehungen. Als Rat des Kaiſers hatte er Ein⸗
fluß auf die Beſetzung von hohen ktirchenämtern. 50 wurde 3. B.
Beito auf feinen Vorſchlag hin von Karl zum Biſchof von Baſel und
Abt der Reichenau erhoben. Das größte Dertrauen bewies ihm Rarl
indeſſen, indem er ihn zu feinem Beichtvater und Gewiſſensrat erwählte.
Er ſchätzte an dem Abte der Reichenau nicht nur feine geiſtige Be⸗
deutung, ſondern auch feinen kirchlichen Sinn, feine Gottesgelehrſam⸗
keit und Frömmigkeit. Natürlich übte er in dieſem Dertrauensamte
einen großen Einfluß auf den Hherrſcher aus. Dies kam äußerlich ſchon
dadurch zum Husdruck, daß Waldo bei Karl Zutritt hatte, ſelbſt wenn
der herrſcher noch ruhte. Im Reichenauer Wappenbuch der Äbte hielt
ein Schreiber es daher auch für wichtig genug, Waldos Stellung als
Beichtvater Karls durch einen beſonderen Nachtrag zu verewigen.
War Waldo mit den kiarolingern verwandt, fo dürfte feine heimat
an einem Orte zu ſuchen fein, wo die ktarolinger eine Pfalz oder
Büter beſaßen. Nun weiß uns Soldaſt, ein ſonſt freilich nicht gerade
zuoerläffiger Gewährsmann, zu berichten, Waldo ſei aus Jürich ge⸗
bürtig, wo Karl d. Gr., fein Sohn Ludwig d. Fr. und fein Enkel Ludwig
der Deutſche, der Gründer des kiloſters St. Felix und Regula, wie auch
in Trier und an anderen oſtfränkiſchen Orten (alfo in Auftrafien)
königliche Pfalzen beſeſſen hätten. Da die kiarolinger in der Trierer
gegend und in Auftrafien überhaupt tatſächlich begütert waren,
fo mag auch die Nachricht, die Rarolinger hätten eine Pfalz in Zürich
gehabt, auf Wahrheit beruhen. Dann könnte Waldo recht gut in
Zürich feine heimat verehrt haben. gedenfalls weiſen die Namen
Daldo oder Walto, wie die feiner Derwandten Grimald, hetti, Tiet-
gaud und Warentrudis auf deutſche Heimat hin.
II. mönch und Abt in St. Gallen.
on Waldos Jugendzeit wiſſen wir faſt nichts, und das Wenige,
das wir erfahren, iſt nicht ſicher verbürgt. Er war vielleicht noch
em Schüler des hl. Otmar, der als neuer Abt in St. Ballen in wenigen
gahren ſehr viele zum kiloſterleben anlockte und nach Walahfrids
geugnis als ihr Gehrmeifter aufs beſte leitete. Otmar war von ktönig
Pippin im Jahre 720 zum Abte von St. Ballen beſtellt worden und
führte dort 747 oder 748 die Regel des hl. Benedikt ein. Hier hat
Daldo mit der Bildung jedenfalls auch die von feinem Lehrer Otmar
eingeführte hl. Regel angenommen. Dielleicht ift er jener „Watto“,
der unter Abt Otmar in St. Gallen Gelübde ablegte. In dem Nugen⸗
158
blick, da er aus dem Dunkel der Derborgenheit ins Tageslicht der
Geſchichte tritt, iſt er ſchon Mönch, Diakon und Urkundenſchreiber.
In den Jahren 770 - 782 hat er als Diakon von St. Gallen achtzehn
Urkunden geſchrieben und unterſchrieben. Die ſchönen, klaren Schrift⸗
züge der bekannten karolingiſchen kileinſchrift des ausgehenden achten
Jahrhunderts verraten eine gewandte Hand. Der Schönſchreiber ver:
ſtand es, einen gewiſſen Schwung mit kiraft zu verbinden. Jedenfalls
hat er mehr Urkunden geſchrieben, als uns ein glückliches Ge⸗
ſchick erhalten hat. Die letzte Urkunde von feiner Band iſt in Obern⸗
dorf am 11. Januar 782 ausgeſtellt. Dann verſchwindet der Diakon
und Urkundenſchreiber plötzlich und macht dem Abt Waldo von
St. Gallen Platz. Er war nämlich ein Mann von hoher Weisheit, wie
der Mönch Ratpert von St. Ballen zu berichten weiß; deswegen wurde
er von feinen Mitbrüdern mit Juſtimmung kiarls d. Gr. zum Abte be⸗
ſtellt. Waldo blieb indeſſen nur anderthalb gahre im Beſitz der neuen
Würde. Er geriet bald mit Biſchof Egino von kionſtanz (781 —811)
in einen Rechtsſtreit, der ſich um die Freiheit der Abtei vom Bistum
drehte. Der Biſchof hielt die Abtei in dem von ſeinem Vorgänger
Johannes übernommenen Abhängigkeitsverhältniſſe. Er konnte ſich
zu feinen Gunften auf eine im Jahre 780 zu Worms ausgeſtellte
Urkunde berufen. Der neue Abt gab ſich aber damit nicht für beſiegt.
Nun wurde, wie wiederum Ratpert berichtet, Karl als Schiedsrichter
angerufen. Der Baifer entſchied, offenbar auf Grund des beftehenden
Rechtsverhältniſſes, zu Bunften Eginos, beftätigte alſo den Mönchen
die freie Abtswahl nicht, ſondern verlangte, Waldo folle in Abhängig:
keit von Egino die Abtei regieren. Waldo war aber ein Mann, der
den Drang nach ſelbſtändiger Entfaltung ſeiner hohen Geiſtesgaben und
die ktraft zu Broßem in ſich verſpürte; gewiß hatte er auch große
Pläne, was ſein erfolgreiches Wirken in Reichenau ſpäter bewies.
Es waren nicht unberechtigte herrſchgelüſte, die ihn zu feinem Ban:
deln beſtimmten, ſondern die feſte Überzeugung, daß eine große Abtei
nur in Unabhängigkeit von außen ihr Leben ganz entfalten könne.
Er fühlte ſich durch den ablehnenden Entſcheid in der Verwirklichung
ſeiner idealen Ziele zu ſehr gehemmt und konnte ſich nicht dazu ver⸗
ſtehen, in ſolcher Gebundenheit das äbtliche Amt weiterzuführen. Er
verzichtete alſo mit ktarls Genehmigung auf fein Amt als Abt von
St. Gallen und zog ſich im Jahre 784 in die Reichenau zurück. An
feiner Stelle wurde ein Weltprieſter namens Werdo zum Albte ein:
geſetzt. Werdo mußte aber Mönch werden und ſein äbtliches Amt
in Abhängigkeit von Biſchof Egino führen.
159
9 mr
III. Abt von Reichenau (786 — 806).
Die Abtei und ihre Mönche. — Auf Reichenau trug damals ein
ehrwürdiger Greis namens Petrus den Abtsſtab (781 786). Unter
ihm widmete ſich Waldo wie ein einfacher Mönch eifrig dem Studium
der HI. Schrift und glänzte bald als eines der herrlichſten Geſtirne in
der Reichenauer Schule. Kaum anderthalb Jahre vergingen jedoch, da
waren die Tage des greiſen Abtes Petrus gezählt; am 21. Februar 786
farb er. Waldo wurde zu feinem Nachfolger erwählt. Die Abts
weihe und Beſtätigung der Exemtion Reichenaus holte ſich der neue
Abt gleich feinem Vorgänger in Rom bei Papft Hadrian, wenn wir
den Reichenauer Jahrbüchern glauben dürfen. Zum zweitenmale nun
zum Abte erhoben, ſollte Waldo dieſe Würde bis zu ſeinem Tode be⸗
kleiden und zunächſt in Reichenau als achter Abt ſeit der Gründung
volle zwanzig gahre lang die ſegensreichſte Wirkſamkeit entfallen und
das kloſter zur höchſten Blüte bringen (786 - 806). Was er in St.
Ballen fo ſehr angeſtrebt haben wird, die Freiheit der Abtei vom
Honſtanzer Bistum, das hatte hier ſchon Abt Petrus durch den Einfluß
und die Zunſt des Grafen Gerold und feiner Schweſter, der Königin
hildegard, bei Karl d. Br. erlangt. 80 konnte der neue Abt ohne
Schwierigkeit frei von den Mönchen gewählt werden und völlig un=
abhängig von Ronftanz feine Abtei regieren. Seine Wahl geſchah
nach Oehem, dem ſpäten Chroniften der Reichenau (+ nach 1511), mit
Diffen und Willen Rarls d. Gr. Der Raifer hatte Waldo nämlich
feine Sunft bewahrt und ihn wohl ſchon bei feinem Übertritt auf
die Reichenau zum Nachfolger des greiſen Abtes Petrus auserſehen.
heito bezeichnet die ganze Art der zwanzigjährigen Regierung
feines Dorgängers als vornehm, und die Reichenauer Jahrbücher rüh⸗
men dem Abte Regententugenden nach, wie Klugheit, väterliche Güte,
drömmigkeit, Beſcheidenheit und Seſchick. Raſch mehrte ſich unter
ihm die Fahl der Mönche. Nach der Chronik des Gallus Oehem und
den Reichenauer Geſchichtswerken des 16., 17. und 18. Jahrhunderts
hätte die Reichenau damals durch den untadeligen bebenswandel von
Abt und Mönchen ſehr viele, ſelbſt Dornehme und Biſchöfe angelockt,
in die Abtei einzutreten und der Leitung des neuen Obern ſich zu
unterſtellen. P. Eufebius Manz gibt in feinem Geſchichtsabriß des
17. Jahrhunderts mit Berufung auf das uralte Reichenauer Totenbuch
die Jahl der unter Abt Waldo aufgenommenen Mönche auf 649 an.
Und der Reichenauer Prior P. Maurus Hummel hat um das Jahr
1736 die Zahl der um 790 unter Waldo lebenden Kloſterinſaſſen auf
640 berechnet. Sind wir auch nicht imſtande, dieſe ſpäten Nachrichten
160
2
auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen, fo geben fie doch Zeugnis für die
Überlieferung, daß der Zuwachs an Mönchen unter Waldo ſehr groß
war. Zu den Neueintretenden gehörten außer einer guten Unzahl von
Prieſtern, deren Namen uns Oehem erhalten hat, die Biſchöfe Lam:
bert aus Italien, Harterich aus Sachſen (nach Egons Meinung Biſchof
von Verden), wohl auch Biſchof hadward von Minden, endlich Egino
von Derona. Auch Gelehrte nahmen um dieſe Zeit das Mönchsgewand
in Reichenau. Schon unter Abt Petrus war ein Edelfrid aus dem
ſächſiſchen Hochadel, hervorragend durch hohe Geiſtesgaben, eingetreten.
Er ſoll um 790 gewirkt haben; er ſchrieb einige Bücher in ſächſiſcher
Sprache und erlangte fo einen berühmten Namen. Andere wurden
erſt unter Waldos Schulung zu tüchtigen Gelehrten und Lehrern, fo
daß kiarl d. Br. eine Reihe von Biſchöfen und Abten der Reichenau
wie einer Pflanzſtätte entnehmen konnte. Unter denen, die Reichenau.
ſelbſt hervorbrachte, ragen neben Beito, Wetti, Srimald und Tatto
vor allen. Reginbert und Walahfrid Strabo hervor. Mit dieſen Männern
haben Waldo und feine nächſten Nachfolger reiches geiftiges Leben ge
weckt und literariſches Schaffen mächtig gefördert, Schulweſen, Schreib⸗
kunſt, Bücherei, überhaupt das wiſſenſchaftliche Geben in Reichenau auf
eine höhe gebracht, die ſelbſt dem Fernſtehenden Bewunderung abnöftigt.
Gründung der Bücherei. — Waldos größte Bedeutung liegt auf
wiſſenſchaftlichem Gebiete. Er förderte in der Reichenau beſonders ihre
Schreibftube, wo zahlreiche handſchriften geſchrieben und nach aus:
wärts entliehen oder verkauft wurden. Er iſt zwar nicht der erſte, muß
aber als der eigentliche Gründer der berühmt gewordenen Reichenauer
Bücherei angeſehen werden. Der Stifter des kiloſters, der hl. Pirmin,
ſoll ſchon fünfzig Bücher aus Frankreich mitgebracht haben. Abt Etto,
Pirmins Nachfolger, konnte die nach Pfävers, Altaich und Murbach
entſandten Mönche neben anderem Notwendigen auch mit Büchern
ausftatten. Unter Abtbiſchof Johannes (759 — 782) oder Abt Petrus
(782 - 786) brachte der uns ſchon bekannte Edelfrid einige Bücher
in ſächſiſcher Sprache mit. Abt Petrus ſelber bereicherte, von Rom
heimkehrend, das kiloſter durch einen Pſalter der Septuaginta. Noch
heute beſitzen die Büchereien von Stuttgart, heidelberg, Karlsruhe,
Schaffhauſen und Genf vorwaldoniſche Reichenauer Handſchriften.
Immerhin lauten die Nachrichten über Handſchriften ſpärlich und die
Jahl der erhaltenen iſt nicht allzu groß.
Ein ganz anderes Bild entrollt uns die Periode unter Waldo (786
bis 806) und ſeinen vier nächſten Nachfolgern, die eigentlich nur ernten,
was er geſät hatte. Oehems Nachrichten werden jetzt mit einem Male
161
fo reichlich und beſtimmt, daß man den Eindruck der Gleichzeitigkeit
feiner Quellen mit dem Erzählten gewinnt. Wir hören da viel von großen
und zahlreichen Büchererwerbungen. ga den größten Teil der Nach⸗
tichten über Waldos Regierungszeit bildet bei Oehem das Derzeichnis
all der Bücher, die unter dem Abte nach Reichenau kamen; vielleicht
find allerdings hier fpätere Büchererwerbungen gleich mitangefügt.
Waldo war nicht nur ſelbſt ein hervorragender Geiſt, er war ſo
glücklich, einen ihm ebenbürtigen helfer zu finden, der ſeine Abſichten
voll zu würdigen und wohl auszuführen verſtand. Dieſer Helfer war
ein Mönch feines kiloſters: Reginbert.
Gleich groß und bewundernswert als Mönd) wie als Lehrer und Schreiber ſtand
Reginbert der Bücherei und Schreibſchule nicht nur unter Waldo, ſondern auch unter
feinen Hachfolgern Heito, Erlebald, Ruadhelm und Walahfrid vor. Man darf, ohne
die Bedeutung dieſer großen Äbte abzuſchwächen, ruhig behaupten: Hätten fie einen
Reginbert nicht an ihrer Seite gehabt, fie wären kaum zu ihren glänzenden Erfolgen
gelangt. Ihm verdankt Reichenau zum Gutteil ſeinen unſterblichen Ruhm. Umgekehrt
waren dieſem ſeltenen Menfchen auch die Zeiten, in denen er lebte, und die Der-
hältniffe, unter denen er wirkte, ausnehmend hold. Damals herrſchte das kraftvolle
Zeſchlecht der Karolinger. Karl d. Gr. führte eben damals feine Erneuerungspläne
durch. Reichs mehrer und Reichsbefeftiger, war er zugleich Neubegründer eines geiſti⸗
gen Reiches von Religion und Volksbildung, Kunſt und Wiſſenſchaft, Liturgie und
Möndtum. Ruch auf der Reichenau ſelbſt war dem Schaffen eines Reginbert damals
alles günftig wie nie zuvor und nie mehr nach ihm. Die Abtei war nun unabhängig
vom Ronftanzer Bistum. Mit Abt Petrus hatte eine neue Zeit begonnen: die Zeit
der freien Abte. Waldo war der erfte, der die ſüßen Früchte der errungenen Freiheit
genießen durfte. In einer Zeit der geiftigen Freiheit und Mündigkeit tritt alſo Regin-
bert auf, und das fofort als erfolggekrönter Gelehrter, Meifter der Wiſſenſchaften,
der Schreibkunſt und Schule, als Mittelpunkt der geiftig Regſamen. Waldo, fein Abt,
war gleich ihm bedeutend und tüchtig. Beide verſtanden ſich vortrefflich und ſtützten
fi) gegenfeitig. Reginbert überlebte feinen erſten Gönner und Abt, er durfte die
Tage des höchſten Glanzes ſehen und mitherbeiführen. Sein großer Geift, fein Talent,
ſein unermüdlicher Fleiß fanden die mächtigſte Förderung unter den vier nächſten
Äbten, die alle ein und dasſelbe große Ziel im Auge behielten: ein Geben für Gott
und für die Verbreitung edlen Wiſſens jeglicher Art und edler Rünfte im Dienſte
gottes. Dieſes Doppelgepräge iſt auch dem beben Reginberts aufgedrückt. Er wollte
als Mönch wie als Gelehrter nur Gott dienen und ihn verherrlichen, ganz im Geifte
der Regel des heiligen Benedikt, die verlangt: „Es ſoll in allem Gott verherrlicht
werden“ (Rap. 57). Er vergaß auch über dem Gelehrten niemals den Mönch. Sein
Diffen machte ihn nicht hochfahrend; es war ihm eher ein Weg zu Nächſtenliebe,
Demut und Gehorſam. Ernft und ſtreng konnte er ſich äußern gegen Derderber oder
Diebe feiner geliebten Handſchriften. Er wollte eben den Bücherbeſtand des Kloſters,
vielleicht noch mehr als andere Güter, „wie geheiligte Altargeräte“ angeſehen wiſſen
gemäß der Weiſung feines Ordensvaters (Regel, Rap. 31). Don feinem wahrhaft
rührenden Verhältnis zu den Erzeugniffen feines Fleißes und von der edlen Gefinnung,
in der er arbeitete, geben noch heute Eintragungen Jeugnis, die er in den Büchern
anbrachte. So hat er ſich in einer Handſchrift folgendes ſchöne Denkmal geſetzt:
Im Tlamen des Daters und des Sohnes und des heiligen Beiftes. x und . Dieſes
Buch (libellum) habe ich der Schreiber Reginbert, der Diener der Diener Gottes, mit
Wiſſen und Willen meiner Vorgeſetzten (seniorum) zum Dienfte Gottes, der heiligen
- Maria fowie aller übrigen Heiligen, denen man auf der Reichenau dient, durch eigenen
162
Fleiß und Schweiß zuſtande gebracht (confeci). Ich bitte nun, man möge es zum
Gebrauch der Brüder, die dort dienen, beſtimmen und aufbewahren. Und bei der
Liebe Gottes flehe ich, von keinem ſolle es irgend einem aus dem Rlofter verſchenkt
oder ausgeliehen werden, es hätte denn dieſer dort eine Beſcheinigung und ein Treu⸗
pfand (fides et pignus) hinterlegt, (das da verbliebe), bis er das Buch wohlbehalten
und in gutem Juſtand (sanum et salvum) an feinen Ort zurückgeliefert hat.“
Unermüdlich ſorgte er für die Bereicherung der Bücherei durch Tauſch und Schen-
Kung. Seine Mitbrüder trieb er an zum Abſchreiben von Werken; nicht wenige
verdankt das Kloſter feiner eigenen hand. Nach den Reichenauer Jahrbüchern find
es über vierzig große Bücher, die er in ausnehmendem Fleiß neben den Arbeiten
als Bibliothekar und Dorftand der Schreibftube zuwege brachte. Die Kraft zu ſolchen
beiſtungen fand er in jener echt mönchiſchen Geſinnung, die einer feiner Mitbrüder
am Schluſſe einer mühſam geſchriebenen Handſchrift in die tröſtlichen Worte faßte:
„Jede Arbeit hat ein Ende; doch ihr Lohn iſt ohne Ende.“
Aus Reginberts Zeit, unter den übten Waldo, Beito, Erlebald, Ruaödhelm und
Walahfrid kennen wir nicht weniger als vier bis fünf Bücherverzeichniſſe, ein Zeichen,
welchen Wert man dieſen Schätzen damals ſchon beimaß. Das älteſte Verzeichnis
von 415 Bänden, das offenbar den Grundſtock der Reichenauer Bücherei bildete,
ſtammt zwar erſt aus den Jahren 821 - 822, alfo aus Heitos Zeit; aber ein Gutteil
dieſer Bücher, wenn nicht der größte Teil, iſt jedenfalls ſchon von dem ſammelfleißigen
Waldo erworben worden. Unter Erlebald (822 838) und Ruadhelm (838 — 842)
mehrte ſich dann der Bücherbeſtand noch bedeutend. Die zwei oder beffer drei Der:
zeichniſſe zählen zuſammen 121 Bände. In den Jahren 835 - 842, unter Ruadòhelm,
legte Reginbert ein neues, übrigens nicht mehr vollſtändig erhaltenes Verzeichnis
von 42 Handſchriften an, die er ſelbſt unter den übten Waldo, Heito, Erlebald und
Ruadhelm mit deren Erlaubnis geſchrieben oder von Freunden zu Geſchenken er-
halten hatte oder hatte ſchreiben laſſen. Ein viertes Verzeichnis von 353 Bänden iſt
wohl in den Jahren 840 - 852 geſchrieben. Doch wir müffen von Reginbert zu Waldo
zurückkehren, mit deſſen Regierung dieſe ſechzigjährige Slanzzeit ihren Anfang nahm,
um den Zuwachs der Bücherei unter ihm zu verfolgen.
Aus der Zeit, in der Waldo die Reichenau innehatte, aus der Wende
des achten und neunten Jahrhunderts, beſitzen wir eine beträchtliche
Anzahl Handſchriften. Die einen ſind Reichenauer Erzeugniſſe: von
ihnen haben ſich Bände in Karlsruhe, beiden, Rom, St. Gallen, St. Paul
in Kärnten, Berlin, aon und anderswo erhalten; andere — und es [ind
nicht wenige - tragen zu fremdartiges Gepräge, als daß fie von Reiche⸗
nauer Mönchen oder Schülern Reginberts geſchrieben ſein könnten.
Diefe erhielten Waldo und Reginbert durch Rauf oder Gefchenk aus
fernen banden, aus Frankreich, Italien, Irland oder anderen Schreib⸗
ſtuben, wie aus St. Ballen. Don auswärts kamen unter Waldo Bücher
nach Reichenau aus Pavia, wo er Biſchof war und von der Gemahlin des
Rönigs Pippin mit einem Antiphonar bedacht wurde, aus St. Martin
in Tours, wo der gelehrte. Abt Alkuin wirkte. Da dieſer feine Bücher
aus der angelſächſiſchen heimat kommen ließ, ſo iſt es leicht begreiflich,
daß man in Reichenau während der hochblütezeit (786 — 849) Bücher
in angelſächſiſcher Schrift und alkuiniſche Werke verſchiedenſten Inhalts
las. Auch durch Wohltäter und Schenkungen mehrten ſich die Bücher ⸗
163
ſchätze. Eine Frau Ata, vermutlich vornehmer herkunft, Gemahlin eines
Adelhart von Stain, ſchickte ein koſtbares, ſilberbeſchlagenes Meßbud)
in die Reichenau. Biſchöfe und Prieſter, die damals in größerer Jahl
eintraten, brachten vielfach Bücher mit, beſonders Sakramentarien,
Bußbücher, kirchenrechtliche handſchriften und anderes mehr. Manche
handſchrift, deren Schriftgepräge auf Italien, beſonders das nord⸗
italiſche Derona hinweiſt, wird wohl durch Egino auf die Reichenau
gekommen fein. Ein gewiſſer Drutmund, Bruder des Mönches Ello von
fltaich, brachte, wohl aus Bauern, einige gute Bücher mit. Huch die
Priefter Monachus, Ansger, Pruninc, Ello, Hatto, Crahalith, Adam,
hiltimar, Sigimar, Framminus und der Mönch Theotaſt kamen mit
Büchern auf die Reichenau, der Prieſter hovamann mit einem Meßbuch.
Man findet deren Namen großenteils im Reichenauer Derbrüderungs-
und Totenbuch wieder. Ruch von dieſen auswärtigen Reichenauer hand⸗
ſchriften haben ſich zu St. Paul in Kärnten und Karlsruhe, vielleicht
noch in Stuttgart und an anderen Orten einige erhalten.
Bildung und Geiſtesleben. — Schon die Geſchichte der Bücherei
ſpricht deutlich für die wiſſenſchaftliche Regſamkeit der Reichenau zur
geit Waldos; mehr noch vermag uns der Inhalt der gefammelten
reihen Bücherei zu ſagen. Wir verſuchen, aus ihm heraus ein Be:
ſamtbild der Reichenauer Geiſtesbildung unter Waldo zu gewinnen.
Die heilige Schrift, ihr Text und ihre Erklärungen, wurden natur⸗
gemäß vor jeder anderen Literaturgattung bevorzugt. Beſonders reich
war man mit den beſten exegetiſchen Werken der namhaften Däter
und frühmittelalterlichen Schrifterklärer des ganzen Alten und Neuen
teftamentes verſehen. Außer den bekannten und überall gelefenen
Werken der vier großen Kirchenväter: Ambrofius, hieronumus, Augu-
ſtinus und Gregor, den Erklärungen Mdors von Sevilla und Bedas
ſind u. a. vertreten die Dichtung des Afrikaners Drakontius (fünftes
bis ſechſtes Jahrhundert) und die Pſalmenerklärung KRaſſiodors. Auch
die Griechen ſchätzte man in Reichenau, wie das die Homilienüberſetzung
des Origines zum hohenlied, Johannes Chruſoſtomus zu Matthäus
und Gregor von Nazianz in Auszügen beweiſen. Die Geheime Offen⸗
barung, dieſes geheimnisvollſte und dunkelſte Buch der heiligen Schrift,
ſcheint auf die Mönche eine beſondere Anziehungskraft ausgeübt zu
haben. Der kommentar des hl. Beda, eine anonyme Abhandlung
de septem sigillis, d. h. „über die ſieben Siegel“, und die Erklärung
des afrikaniſchen Biſchofs Primaſtius von Hadrumet (ſechſtes Jahrh.)
bezeugen das (Primafius hat feinem Kommentar zur Geheimen Offen⸗
barung den Text der alten afrikaniſchen kirche zu Grunde gelegt,
164
wodurch er für uns befonderen Wert erhält). Eine Art Evangelien:
harmonie von dem ſpaniſchen Presbyter und Dichter Juvencus, die ſich
in ihren Hexametern eng an den Evangelientert anſchließt, hat ſich
gleichfalls unter den Reichenauer Schätzen erhalten. Auch an bibliſch⸗
exegetiſchen Werken über einzelne Fragen, über den Juſammenhang
des Alten und Neuen Teſtaments, die Übereinſtimmung der Evangelien-
berichte, Sinn und Deutung der heiligen Schriften fehlt es nicht.
Aus dem Gebiete der Liturgie find uns verhältnismäßig wenig
Handſchriften erhalten geblieben. Sie dienten eben praktiſchen Zwecken
und waren deshalb wohl nicht in den Fächern der allgemeinen Bü⸗
cherei aufbewahrt, ſondern im Gebrauch der Sakriſtei und der ein⸗
zelnen Prieſter und Mönche. Man beſaß indeſſen jedenfalls eine
größere Anzahl gottesdienſtlicher Bücher, weil die zahlreichen Prieſter
der Abtei zur täglichen Meßfeier mindeftens einer guten Anzahl Sakra⸗
mentarien und Lektionarien bedurften. Huch traten, wie wir ſahen,
zur Zeit Waldos eine Reihe von Biſchöfen und Prieſtern ein, die häufig
Bücher, ſelbſt viele Bücher mitbrachten. Don allen dieſen mag jeder
ein Sakramentar und Lektionar beſeſſen haben, vielleicht auch ein
Bomiliar und Legendar für Meßfeier und Breviergebet. Beute find
uns nur noch wenige Hand ſchriften erhalten, die in die Zeit der äbt⸗
lichen Regierung Waldos fallen können: Zwei Sakramentare iriſcher
Schreibart, ein Taufritus, ein homiliar, drei begendare und eine Leidens:
geſchichte der hl. Agatha; dazu humnen auf Chrifti beiden, Maria, die
Heiligen, für Faſten und Oſtern, Abhandlungen und Erklärungen zur
Meßfeier, zum Meßritus, zur Taufe, ferner über die hierarchie, ſo⸗
dann das Werk des hl. Martin von Braga (6. Jahrhundert) über
den Zeitpunkt der Oſterfeier. Beſonders beliebt und geſchätzt waren
erläuternde Abhandlungen über das Daterunfer und die verſchiedenen
Slaubensbekenntniſſe (das apoſtoliſche, nizäniſche, konſtantinopoli⸗
taniſche, toletaniſche, athanaſianiſche und andere), weil fie viel zur
Belehrung der Täuflinge und Betauften dienten. Dom Daterunler
find die vielgeleſenen Werke Cyprians, Nuguſtins, des hl. Hieronymus,
Bedas, Alkuins und anderer noch erhalten.
Aus dem Schatze der ſonſtigen Däterfchriften find ebenfalls nur
wenige aus diefer Zeit auf uns gekommen. Aus dem Gebiete der
Dogmatik kannte man u. a. die Werke des hl. Hilarius und des
Fauſtinus über die Dreifaltigkeit. Polemiſch und apo llogetiſch find
die Werke des hl. hieronumus gegen Jovinian über Jungfräulichkeit,
Faſten und Himmelslohn für die Chriften, gegen Belvidius über die immer⸗
währende Jungfrauſchaft Mariä, fein Apologeticum an Pammachius,
1
*
In Zu: „
}
1
165
des hl. Ambrofius Briefe an die Raifer Dalentinian und Theodofius,
Ndors Werk über den katholiſchen Glauben gegen die Juden, des
Digilius von Thapfus Werk gegen Eutyches (5. Jahrhundert).
An kirchenrechtlichen Werken find vorhanden die kianonen⸗
ſammlungen des Dionuſius- Hadrian, die ſogenannten pſeudoiſidoriſchen
Dekretalen, ferner Ranones, die man aus der hl. Schrift zuſammen⸗
ſtellte, ſpaniſche Konzilienentfcheidungen von Toledo und Braga, Dekre⸗
talen der römifchen Biſchöfe, weiterhin verſchiedene Bußbücher, darunter
das des Iren Aummean. Urſprünglich hatte Reichenau auch noch eine
Sammlung iriſcher, griechiſcher, afrikaniſcher und galliſcher Kanones.
Dazu kommen der Briefwechſel zwiſchen Auguftin, hieronumus und
Papft Damafus, Auszüge und Stücke aus den Brab- und Weihe⸗
inſchriften des Papſtes Damaſus, den Predigten Leos d. Gr., aus
Auguftin, 3. B. den Soliloquien und Retraktationen, aus Bieronymus,
dor, beſonders deſſen Etymologien, aus Beda und Gregor d. Gr.
und einige Briefe des römiſchen Stadtpräfekten 8ummachus an Raifer
Theodoftus (5. Jahrh.). Aus der Mönchsliteratur iſt nur weniges
zu nennen: Benediktiniſche Regelbruchſtücke, des hl. Antonius Leben,
verfaßt vom hl. Athanaſius, Raffians beliebte Institutiones und Col-
lationes und des Mönches Evagrius Anſprache an die Zönobiten
(5. Jahrhundert). Mehr aſzetiſches Gepräge haben verfchiedene Ab⸗
handlungen über die Demut, Buße, Geduld, Liebe, über Stolz, Schwel⸗
gerei, Unmäßigkeit, Begierlichkeit und die acht Hauptlafter.
Daneben wurden auch weltliche Wiſſenszweige nicht verſchmäht.
Dies beweiſen das noch erhaltene alamanniſche Geſetzbuch, vielleicht
auch ktaſſiodors Werk über die fieben freien Künſte, die auch im ein⸗
zelnen vertreten find: Die Grammatik vertritt Donatus und des Ser⸗
gius Erklärung dazu, ebenſo Phokas, Pompejus und andere. Die
Dialektik iſt vertreten durch Alkuin, die Rhetorik durch Donatus und
Alkuin; die Dichtkunſt durch zwei Arbeiten über das Metrum und
durch die Derskunft Aldhelms; die Muſik u. a. durch die anonyme
Abhandlung: de mensura fistularum, die Gerbert ſchon abgedruckt
hat, die Geographie durch die Notitia Galliarum aus dem fünften
gahrhundert, eine Art Reichseinteilung im vierten und fünften gahr⸗
hundert, den Laterculus des Polemius Silvius, in etwa ein Geſchichts⸗
und Naturwiſſenſchaftskalender (6. Jahrhundert) und die Aosmo-
graphie des Nethicus (7. Jahrhundert). Auch des Plinius Naturkunde
und einiges aus der Aſtronomie hat ſich erhalten. Aus dem Gebiete
der Geſchichte find verblieben Hegefipps Jüdifcher krieg und des Dares
von Phrugien Geſchichte des Untergangs von Troja, vielleicht eine
166
Völkertafel, Chroniken von Hieronymus, Jdacius, Gregor von Tours,
Fredegar und einem Anonymüs, Paul Warnefrids Langobarden-
geſchichte, eine anonyme Aufzählung der Apoftelgrabftätten; aus der
Chronologie u. a. das Werk des Chronographen Julius Hilarianus „über
die Weltdauer“ (de cursu temporis, 4. Jahrhundert). Die Philologie
ift vertreten durch Runen, althochdeutſche Überrefte und Bloffare; Ariſto⸗
teles durch fein Werk über die kategorien und de interpretatione, die
neuplatoniſche Philoſophie durch die Ifagoge des Porphurius (3. Yhrh.).
So ſtellt ſich die Bildung auf der Reichenau unter Abt Waldo
aus den Überreſten dar. Waldo und Reginbert waren offenbar
keine engherzigen Seiſter. Alles was Religion, Zunft, Wiſſenſchaft
dem Menſchengeiſte Edles, Schönes und Wahres boten, war ihrem
Sammeleifer willkommen und fand im Inſelkloſter verſtändnisvolle
und warme Aufnahme; entſprechende Bücher wurden mit Freuden
der Sammlung eingereiht.
Ob Waldo ſelbſt Handſchriften geſchrieben hat, wiſſen wir nicht.
Die Reichenauer Jahrbücher des ſechzehnten Jahrhunderts erwähnen
einen verlorenen Pſalter Waldos und vermuten, daß er wohl mit
anderen Büchern zur Zeit des Ronftanzer Konzils verſchwunden ſei.
Dieſer Pſalter kann von Waldo ebenſogut geſchrieben als erworben
fein. Jedenfalls aber zeugt er für feine Bücherliebe und dürfte als
Beweis dienen, daß Waldo, der Abt, eine eigene Bücherei beſaß, wie
es von den Abten Brimald und Hartmut von St. Gallen nachgewieſen
iſt; denn beide vermachten ihre Handbücherei ihrem Klofter.
Bemühungen um den echten Regeltekt. — Nach Waldos Zeit
unter Abt Heito (817) ſandte Reginbert die Mönche Brimald und Tatto
nach Rachen auf die Regelfynode und ließ durch fie den Urtext der Bene:
diktinerregel für das Kloſter beſchaffen. Kein Geringerer als Karl d. Gr.
ſelbſt hatte die Muſtervorlage, eine genaue Abſchrift nach der Urſchrift
des hl. Benedikt, aus dem Erzkloſter Monte Kaſſino beſorgen laſſen.
Bald nach 787, als eben Waldo Abt von Reichenau geworden
war, iſt ſie gefertigt worden. Sie ſollte nun im ganzen Franken⸗
reiche an die Stelle der bisher gebrauchten Teztgeftalt treten. Es if
bezeichnend für den Beift der Reichenau, daß uns gerade aus iht
genaue Nachrichten über die Einführung des echten Textes und dieſer
Text ſelbſt erhalten find. Die koſtbare Handſchrift liegt heute als
Rodez 914 auf der Stiftsbücherei zu St. Sallen. Wie fie iſt, wurde fie von
den beiden Reichenauer Beauftragten Brimald und Tatto mit einem
erläuternden Begleitbrief an ihren Lehrer Reginbert nach Reichenau
geſchickt. War Waldo damals ſchon ein paar Jahre tot, fo muß ihm
167
trotzdem ein Derdienft an dieſem Werke zuerkannt werden. Beito,
fein Nachfolger als Abt, und Reginbert, Brimald und Tatto waren
ja feine Mönche. Waldo war nicht nur ihr Abt, ſondern auch ihr
behrer geweſen. Unter ihm waren ſie zu tüchtigen Männern und
tefflichen Meiſtern herangewachſen, die nun in feinem Geiſte weiter
wirkten und fo auch in Stand geſetzt waren, den neuen Regeltezt in
der Reichenau einzuführen. Außerdem hatte Waldo wohl ſelbſt deſſen
Einführung vorgearbeitet. Wir beſitzen in kodez 6333 der Münchener
Staatsbibliothek noch Bruchſtücke einer Benediktinerregel, die in die
deit der erſt werdenden Textverbeſſerung einen Einblick gewähren.
Bier liegt bereits ein Übergangstext vor, der teilweiſe ſchon mit dem
reinen Nachener Text geht, wenn er ſonſt auch noch Lesarten der
verderbten Teztgeftalt bietet. 50 haben die Schüler wohl nur voll»
endet, was unter dem Meiſter ſchon begonnen war. In derſelben
Münchener Handſchrift, die den genannten Miſchtekt bietet, findet ih
auch der Brief, den karl d. Gr. an Papſt Hadrian ſchrieb, um Waldos
Erhebung zum Biſchof von Pavia durchzuſetzen. Das wird kein leerer
Zufall fein, ſondern ein Fingerzeig, daß der Abt der Reichenau an
Barls Reformen für den Regeltezt nicht unbeteiligt war.
Waldo und Alkuin. — Unter den Reformmännern Rarls d. Gr.
im Frankenreiche nimmt eine Dorzugsftellung Alkuin ein. Alkuin
erhielt von Karl im Jahre 796 die Abtei St. Martin in Tours, um
von dort aus den wiſſenſchaftlichen Beift neu zu beleben. Er recht⸗
fertigte die Beſtrebungen des Herrſchers glänzend. Wie Waldo die
Reichenau, fo brachte Alkuin St. Martin zu hoher Blüte. Tours wurde
im baufe des neunten Jahrhunderts Sitz jener berühmten Schreibſchule,
deren Werke wir ob ihrer unübertroffenen Schriftſchönheit noch heute
in vielen Handſchriften dewundern. Alkuin hatte aber jedenfalls
ſchon vor ſeiner Erhebung zum Abte im Frankenreiche eine hervor⸗
ragende Lehrtätigkeit entfaltet. Groß war der Zulauf zu ihm, be⸗
ſonders von Mönchen. Er wurde u. a. Lehrer des feligen Rhabanus
Maurus, der wiederum Walahfrid Strabo zu feinem Schüler hatte.
8o durfte Alkuin die zwei größten Gelehrten der kiarolingerzeit
fine Schüler nennen. Ob Waldo und Alkuin einander perſönlich
kannten, wiſſen wir nicht. Aber es iſt anzunehmen, daß fie in jenem
engeren treiſe von Gelehrten und Dichtern ſich kennen lernten, die am
hofe klarls ſich zuſammenfanden. Sicher ſtanden die beiden Abteien
Reihenau und Tours miteinander in Beziehungen, als Waldo und
Alkuin in ihnen regierten. Unter Waldo ſandte der Mönch Odilleoz,
auch Vadilleoz geheißen, durch feinen Bruder Nuno Bücher und kioſt⸗
168
7
barkeiten von Tours nach Reichenau. Odilleoz war wie Nuno ein
leiblicher Bruder jenes Heito, der unter Waldo als Mönch in Reichenau
lebte und Waldos Nachfolger wurde; in feiner Jugend war er auf
der Reichenau erzogen und in der dortigen kiloſterkirche Bott geweiht
worden, fiedelte aber ſpäter nach St. Martin zu Tours über. Die
beiden Brüder ſcheinen von Alkuin auch ſonſt als Boten im Derkehr
mit befreundeten Klöſtern verwendet worden zu ſein. Wie Nuno nach
Reichenau zu Abt Waldo geſchickt wurde, fo Odilleoz nach Murbach;
denn diefer brachte im Jahre 796 Alkuin Grüße und Nachrichten aus
Murbach, das wie Reichenau eine Pirminftiftung war. Ruch heito
ſcheint ſpäter mit Alkuin in Derkehr getreten zu fein. Er fandte,
wahrſcheinlich als Abt des Klofters, die Mönche Wetti und Erlebald
zu Alkuin, der ſie in den heiligen Schriften und in den ſieben freien
fünften unterrichtete. Wenigſtens ift es höchſt wahrſcheinlich, daß
Alkuin jener von Walahfried erwähnte „Schottenlehrer“ war, bei dem
fie ihr Wiſſen ſich aneigneten. Dies erklärt uns wiederum, warum
Alkuins Werke in Reichenau ſo gut vertreten find.
In den Jahren 780 — 800 erließ Harl d. Sr. zwei kiapitularien zu
Sunften der Studien. Das eine Rundfchreiben, die »epistola de lit
teris colendis«, nach einigen 787 erlaffen, empfiehlt und verlangt
gediegenes Studium, geht alſo mehr auf den Inhalt, während die
»epistola generalis« (786 - 800) einen der Wiſſenſchaft würdigen, ge:
bildeten Stil fordert, alſo mehr die Form im Auge hat. Die Männer,
denen er die Durchführung diefer Erlaffe anvertraute, waren zwei Äbte
und ein Mönch: der oben genannte Alkuin von Tours, der Geſchichts
ſchreider Paul Warnefrid, Mönch von Monte kaſſino, der in den
Jahren 782— 786 an KHRarls Hof weilte, und vor allem Abt Baugulf
von Fulda, an den der erſte Brief gerichtet war. Unter dieſen wiſſen⸗
ſchaftlichen Reformen nimmt die Einführung des echten Regelteztes
einen hervorragenden Platz ein. In ihren Mönchen Reginbert, Tatto.
Srimald erwies ſich die Reichenau den edlen Beſtrebungen des Kaiſers
gewachſen. Indeſſen ſind dieſe drei nicht die einzigen wiſſenſchaftlich
bedeutenden Mönche der Abtei aus jener Zeit. Auch heito, Erlebald
und Ruadhelm, Waldos nächſte Nachfolger im äbtlichen Amte, waren
bedeutende Männer. Sie alle legten durch ihr Wirken und ihren Er:
folg beredtes Zeugnis dafür ab, wie gut es der Abt verſtand, ſeine
Mönche für geiſtige Beſtrebungen zu erziehen und eine neue Zeit,
ja das goldene Zeitalter des Inſelkloſters heraufzuführen, das weit
ins neunte Jahrhundert hineinreichte und in ſolchem Glanze nie wie⸗
der aufleuchten ſollte. (Schluß folgt)
169
O beata Trinitas.
Dom Sinn und Werden des Dreifaltigkeitsfeftes.
Don P. Sturmius Regel (Beuron).
| Be sit sancta Trinitas, fo hebt die Feſtmeſſe am Sonntag
nach der Pfingſtwoche an. „Gepriefen ſei die heilige Dreifaltigkeit
und ungeteilte Einigkeit; denn fie hat ihr erbarmen an uns erwieſen.“
die Stelle ſpielt an auf Tobias 12, 6. Der Pſalmiſt ſetzt alsbald ein:
hen, unſer Herr, wie herrlich iſt dein Name auf dem ganzen
erdenrund!“ (Pſ. 8, 2.) ktaum kürzer könnte man den Grundgedanken
bes Feſtes wiedergeben, kaum ſchöner einführen in die Geſinnungen,
die uns an dieſem Tage beherrſchen ſollen.
zwei Dinge beſagt dieſer Feſteingang: daß wir Gott loben ſollen,
und warum wir Gott loben ſollen: weil er Barmherzigkeit an uns
etzeigt hat. Wenn ſich Gott offenbart, fo iſt das immer Büte, wenn
u ſich fortſchreitend offenbart, von uns Menſchen aus geſehen, fort⸗
ſcreitende Güte. Dem heiden hat er ſich kundgetan in der Natur;
den Juden hat er in übernatürlicher Offenbarung feine Einzigkeit ge⸗
lehrt, uns Chriften in unendlicher Güte durch feinen eingeborenen Sohn
einen Blick tun laſſen in ſein innergöttliches, ſein dreieiniges Weſen.
Bott iſt Beift. Wenn er ſich enthüllt, enthüllt er ſich unſerem Geiſte.
Bott iſt Tat. Wenn er ſich offenbart, offenbart er ſich werktätig. Wie
haben ſich die Edelſten unter den heiden abgemüht, einen wahren
bottesbegriff und eine würdige Gottesvorſtellung zu gewinnen, die
dem Derftande genügt und das herz nicht unbefriedigt läßt! Mußte
nicht lauteres, folgerichtiges Denken ſchon auf einen über weltlichen
und zugleich inner weltlichen, urperſönlichen Bott ſchließen? Wo Bott
id) dem Glauben kundtat und in heiligen Reden zum Menſchen ſprach
wie im Judentume, da war der Menſch ſchon ſelig in der Gewißheit
der bloßen Einzigkeit Gottes. Wie können wir es fo deutlich feſt⸗
ſtellen an den religiöſen Größen des jüdifchen Dolkes! Aber find nicht
ſelbſt viele aus dem auserwählten Volk nach Ausweis des Alten
ſeſtamentes immer wieder abgewichen von dem Jdeal der Derehrung
des einen und einzigen Gottes? Wie hätte erft der Menſch, ſich ſelbſt
überlaffen, die Dorftellung furchtbarer Dereinfamung vollſtändig bannen
können, die ſich immer einſchleichen wird, wo Gott bloß als einzige
Perfönlihkeit in unnahbarer Erhabenheit gedacht werden muß! Wie
konnte man einem ſolchen Bott zuſtreben mit ganzem, reſtlos lieben⸗
den erlangen? Daß Bott iſt, it notwendig: Gott kann nicht nicht⸗
fein. Aber auch wie Gott ift, fo iſt er notwendig: Bott kann nicht
Benediktinifche Monaiſchriſt VI (1924). 5-6. 11
170
anders=fein als er iſt. Könnte Gott nicht⸗ſein, wäre er nicht Gott;
er wäre nicht der denkbar Dollkommenfte, er wäre nicht das ewige
beben. Könnte Gott anders ſein als er iſt, er wäre wieder nicht Gott;
er wäre ein Gott, er wäre nicht Bott. Vor der Selbſtoffenbarung
Gottes ift keine Nenſchenvernunft auf den Gedanken gekommen, Bott
könne drei⸗ einig fein: eins der Weſenheit nach, dreifaltig in den Per⸗
ſonen. Und auch nach der Offenbarung vermag keine Vernunft das
unfaßbare Geheimnis zu ergründen. Aber ein erhöhter, unfagbarer
Friede ruht ſeitdem für den Glaubenden in dem Gedanken an Gott
und eine weit größere Sehnſucht, ihn zu ſchauen, wie er iſt. Alles
Heidentum, neues wie altes, wird ftets in Pantheismus oder Atheis⸗ |
mus landen müſſen; wem Gott ſich nicht offenbart, der bleibt ihm
innerlich ewig fern. Geprieſen ſei alſo die heilige Dreifaltigkeit und
ungeteilte Einigkeit, weil fie Barmherzigkeit an uns erzeigt hat!
Bott iſt Tat. Er hat ſich in Werken geoffenbart, nicht bloß in
Worten. Des Vaters ewiges Selbſterkennen, fein weſensgleicher Sohn,
iſt Menfdy geworden und hat unter uns gewohnt. Chriftus hat uns
durch feine heilige Menſchheit als Chriften mit Bott verbunden. Und
als er heimgegangen war, da hat er fein Derfpredhen gelöſt: „Ich
will den Dater bitten, daß er euch einen anderen Beiſtand gebe, der
ewig bei euch bleiben ſoll, den Geift der Wahrheit, den die Welt nicht
empfangen kann, weil ſie ihn nicht ſieht und kennt.“ Er hat uns
den heiligen Beift geſandt, den göttlichen Liebeshauch, damit er uns
belebe und in uns bitte mit unausſprechlichem Flehen. Dürfen wir
uns deſſen nicht von herzen freuen, müſſen wir es nicht?
Aber iſt deshalb ſchon ein Feſt der heiligſten Dreifaltigkeit ge⸗
geben? Es find nun faſt 600 Jahre her, daß Papſt Johann XXII.
1334 den Sonntag nach dem Pfingſtfeſt zum Dreifaltigkeitsfefte für die
ganze Kirche beſtimmt hat. n die 1000 und mehr Jahre aber liegen
die erſten Anfänge zurück. Da hat viel Liebe und Frömmigkeit zu-
ſammengewirkt, bis es ſoweit kam, und große Andacht iſt dann aus
dem glücklich vollendeten Feſte entſprungen. Eines iſt freilich nicht
zu leugnen: ein Feſt unter anderen Feſten, das Gott ſelbſt zum Segen⸗
ftande hat, ift etwas ſehr Auffälliges, ja ganz Ungewöhnliches.
In der römiſchen Mutterkirche wäre ein ſolches Feſt wohl nie
entſtanden. „Ein Feſt iſt ja doch das Gedächtnis einer Tatſache, die
fi) in der Zeit ereignet hat, und deren Erinnerung und Einfluß gerade
dadurch wach erhalten werden ſoll. Doch die ganze Ewigkeit hindurch,
vor aller Schöpfung lebt und regiert Bott, Dater, Sohn und heiliger Seiſt.
Da war kein beſonderes Ereignis zu feiern, das ſich abgrenzen ließ.“
171
„Es war nicht die Art der alten kirche, ſchon gar nicht die der römiſchen,
erſtlich Dogmen dem Auge des Geiſtes und Herzens zu bieten. heilige
Beheimniffe vor allem wollte man dem körperlichen Ohre gleichſam
hörbar und dem leiblichen Auge ſichtbar vorführen.“ Der Benediktiner
menard hat zwar gemeint?, „es kann kein Zweifel darüber beſtehen,
daß man einſtmals in Rom ein Dreifaltigkeitsfeſt gefeiert und nach
mals es unterlaſſen hat“. Er war dabei von der Tatſache ausgegangen,
daß ihm die angeblich von Papſt Pelagius eingeführte bezw. von
dem Papſt als uraltes römiſches But bezeichnete Dreifaltigkeits⸗
präfation in keinem der gedruckten oder handſchriftlichen älteren
Sakramentare als bloße Sonntagspräfation außer am Sonntag nach der
Pfingſtwoche begegnet ſei. Nach dem Mitrale! hätte Papft Gregor
der Große ſchon geſtattet, „daß wir der Dreifaltigkeit eigens ſängen
und ihr auch kirchen errichteten“; aber auch für Gregor VII., auf den
man’ hier ſchloß, fand man keinen Beleg. Dagegen beſitzen wir in
einer Dekretale Alexanders III.“ ein Dokument, das nicht nur die
Auffaffung feiner Zeit, ſondern ſicherlich die Tradition der römiſchen
kirche überhaupt wiedergibt: „Ein Feſt der allerheiligſten Dreifaltig-
keit”, ſagt auf Anfrage der Papſt, „wird nach den Bräuchen ver-
ſchiedener Gegenden von den einen an der Pfingſtoktav, von den an-
deren am erſten Sonntag vor dem Advent des herrn gefeiert. Die
tömiſche Hirche hat es jedoch nicht in Brauch, daß fie zu irgendeiner
zeit ihr eigens ein Feſt feiert, da man ja täglich ‚Ehre ſei dem Vater
und dem Sohne und dem heiligen Beifte‘ betet und ſonſt ähnliches,
was ſich auf die Verherrlichung der Dreifaltigkeit bezieht.“ hätte der
Papft den letzten Satz belegen wollen, hätte er fo ziemlich alle be⸗
deutenderen Gebete der Kirche anführen können: das Gloria, das
Credo, die Orations⸗ und Humnenſchlüſſe, die Liturgie der heiligen
meſſe, der Sakramente und Sakramentalien von der Taufe bis zum
Begräbnis.
Bilt es heute als ausgemacht, daß das Felt nicht römiſchen Urſprungs
if, fo herrſcht noch keine völlige klatheit darüber, wie es diesſeits
der Alpen entftand. Man nimmt an, daß das Feſt gewachſen und
geworden, nicht „gemacht“ iſt. Da und dort ging ein Lichtlein auf, bis
ſchließlich erſt einzelne ktirchenſprengel, zuletzt durch Übernahme des
Beftehenden die ganze katholiſche Rirche an dieſem Tage in Feſtglanz
erſtrahlte. Oft und früh iſt das Gegenteil behauptet worden. Den
Brief eines gewiſſen Catulf’ an ftarl den Großen hat man oft erwähnt,
gelegentlich auch überſchätzt; niemand weiß ja, ob ſeine Anregung,
karl möge für fi und die ganze Chriſtenſchar einen Tag im Jahre
11*
172
„nach dem Faſten“ zur Verehrung der heiligen Dreifaltigkeit und Einig:
keit, ſowie der heiligen Engel und heiligen beſtimmen, irgendwelche
Beachtung gefunden hat. Mit Ehren wird in der Geſchichte des Drei⸗
faltigkeitsfeftes immer der Name Alkuin genannt werden. Alkuin hat
die heute noch gebrauchte Feſtmeſſe zuſammengeſtellt — Epiftel und Evan:
gelium waren nicht immer die gleichen. In feinem kleinen „Sakra:
mentar“ findet fie ſich als allgemeine Meſſe für den Sonntag. Seiner
»Invocatio ad ss. Trinitatem«“ entſtammen auch das fünfte Refpon:
ſorium und ſämtliche neun Antiphonen der Matutin im römiſchen
Brevier. Das monaſtiſche Brevier entnimmt dazu u. a. noch die elfte
Matutinantiphon feinem Symbolum io. Gelegentlich hat er fogar als
Derfaffer des Offiziums gegolten, als Urheber des Feſtes ernſt⸗
haft wohl nie. Anders ſteht es mit Stephan von Lüttich (+ 920).
In der allgemeinen Feſtverbreitung hat Stephan ſicher große Verdienſte.
Ift er aber der Urheber des Feſtes? M büttich nicht nur der Quellort
des Fronleichnamstages, ſondern auch des Dreifaltigkeitsfeftes? Be:
rufene Rritik'!! hat dem jüngſten Vertreter diefer Annahme zugeſtanden,
er habe den Beweis erbracht, daß Stephan der Urheber unſeres jetzigen
Offiziums ſei, d. h. der Befamtheit von Antiphonen und Reſponſorien.
„Text und Melodie herausgegeben von Ruda zeigen uns, daß es bis
auf geringfügige Abweichungen das nämliche Offizium iſt, das wit
auch heute noch gebrauchen“! ?. Anders dagegen ſtehe es mit der Be:
hauptung, auch das Feſt habe in Cüttich feinen Urſprung genommen
und ſei von da aus mit feinem heutigen Ralenderdatum und dem von
Stephan verfaßten Offizium in die Seſamtkirche übergegangen. Daß
es vor Stephan noch kein eigenes Offizium gegeben habe, ſei anzu⸗
nehmen; daß es vor ſeinem Offizium noch keinen Dreifaltigkeitstag
gegeben, wäre erſt noch zu beweiſen. 8o blieben die Mutmaßungen
von Dom b. Beauduin über den „Urſprung des Dreifaltigkeits⸗
feftes“ '’ vorerft zurecht beſtehen. Nach ihm entſtand zwar das Feſt im
neunten bis zehnten gahrhundert, aber unbekannt wo und wie, eigent⸗
lich mehr ungewollt. An Weihetagen, den Quatemberſamstagen be⸗
gannen die Funktionen abends; ſie zogen ſich hinein bis in den
Sonntag. Die Folge war »Dominica vacat«, das heißt ein Sonntag
ohne eigenen ſonntäglichen Gottesdienſt. Da gab es eine liturgiſche
Lücke. Man war gezwungen, fie auszufüllen. Bier taten nun Alkuins
„Votiv-Meffen“ die beſten Dienſte. Der erſte Sonntag nach Pfingſten
war ſo ein Sonntag nach einem Quatemberſamstag. Da ſtahl ſich
die Meſſe gleichſam unvermerkt auf den freien Tag. Das geſchah
vielerorts: ehe man ſichs verſah, war ein Dreifaltigkeits ſonntag ent
173
fanden: aus der Meffe von der heiligen Dreifaltigkeit war ein Feſt
geworden. Was man einmal liebgewonnen, wollte man nicht mehr
miſſen. Bald ſprach ſich die eine und die andere Sunode, beſonders
in Deutſchland und Frankreich, für Einführung des „Feſtes“ in ihrem
Sprengel aus, ganze Orden machten ſich zu deſſen Träger. Unter dem
Widerſtand, der gegen die Neuerung einſetzte, begann man ſich damals
grund ſätzlich zu fragen, was eigentlich an dieſem Sonntag zu feiern
ſei: ein Dreifaltigkeitsfeſt, die Pfingſtoktav oder der laufende Sonntag,
der erſte nach Pfingſten. Als private Andacht aufgekommen — non
tam ex auctoritate quam ex devotione!!— erwiefen ſich Feſtmeſſe und
Feſt aber ſtärker als die liturgiſche Tradition. Die Umſtände wurden
der allgemeinen Einführung ſchließlich beſonders günftig, als der Sitz
der römiſchen Kirche in jene Gegenden verlegt wurde, in denen man
„Dreifaltigkeit“ feierte. In der Romferne übernahm zu Avignon
Papft Johann XXII. das eigentlich romfremde Feſt für die geſamte
kirche. Papſt Benedikt XIII. hat (nach Martene!?) dann näherhin be⸗
fimmt, man ſolle es feiern wie Weihnachten und Oſtern. Sehr zu
bedauern ift, daß man die Einführungsbulle des Papſtes Johannes
anſcheinend früh ſchon nicht mehr kannte; fie wäre wohl von hohem
Wert geweſen.
Am Schluſſe feiner kleinen Studie macht Dom CL. Beauduin die
Bemerkung: „Wenn ich offen meine Meinung ſagen darf, ſo bedauere
ich, daß der römiſche Brauch, bezeugt durch Alexander III., ſich nicht
zu behaupten vermochte. Nachdem es nun einmal anders iſt, freue
ich mich jedoch, daß das Feſt durch Pius X. zum Range der I. Klaſſe
erhoben worden iſt.“ Man kann dem Liturgiker, der hieraus ſpricht,
feine Gefühle unſchwer nachfühlen. Man wird aber auch Thalhofer!
nicht leicht Unrecht geben können, wenn er ſagt: „Die Tatſache, daß
ein beſonderes Feſt zu Ehren der heiligſten Dreifaltigkeit entſtehen
und trotz mancher Schwierigkeiten ſich ſogar einbürgern konnte“, zeigt,
„daß eine geſonderte Feſtesfeier zu Ehren dieſes Zentralgeheimniſſes
unſerer Religion dem chriſtlichen Empfinden durchaus entſprechend war.“
Wenn man ſich eines wünſchen dürfte, wäre es vielleicht dies, daß
der Sonntag in dem Feſte völlig aufginge, daß wir, ähnlich wie an
Oſtern und Pfingſten, kein Feſt der heiligſten Dreifaltigkeit an einem
Sonntag, ſondern einen Sonntag der heiligen Dreifaltigkeit befäßen.
Es iſt ja keine beſondere, es iſt die Jdee aller Sonntage, die uns an
dieſem Tage ausgeſprochen nahegebracht wird: der Wille, Bott anzu⸗
beten und zwar den dreieinigen Bott. Tag der Gottesverehrung, des
einen und einzigen Gottes war im Alten Bunde der letzte Wochentag,
174
der Sabbat. Im Neuen Bunde rückte unfere Gottesverehrung auf den
erſten Tag der Woche vor: Tag der chriſtlichen ift der Sonntag. Er
ift der Schöpfungstag, an ihm ward Licht: er ift der Tag der Nufer⸗
ftehung Chrifti, der vollendeten Erlöfung, an ihm ward Geben; er iſt
der Tag der Beiftesfendung, an ihm ward die Liebe Gottes ausgegoſſen
in unſere herzen, an ihm ward uns Heiligung. Man darf gewiß nicht
ſagen, wie das Ältere!’ tun, an Weihnachten ſei in der Geburt des
Sohnes der Vater, an Oſtern in feiner Auferftehung der Sohn, an
Pfingſten in feiner gnadenvollen Ankunft der Heilige Beift geſondert
verehrt worden. Erft Papſt Ceo XIII. hat eine ſolche Ruffaſſung wieder
als irrig bezeichnet. Aber das eine darf man wohl ſagen, daß nach
dem dreiſtrophigen humnus der drei großen Feſte des Kirchenjahres
ein verklingendes liturgiſches Gloria Patri aus dem Munde der Be:
ſamtheit faſt wie eine Notwendigkeit erſcheinen will. Das würde einen
Dreifaltigkeitsſonntag am kirchlichen gahresſchluß vollauf rechtfertigen.
Aber auch an der Stelle, an der das Feſt heute ſteht, ſteht es gut.
Rupert von Deutz!“ weiß uns für die heutige Stellung eine ſinn⸗
reiche Erklärung. Er ſagt, unmittelbar nach der Geiſtesſendung habe
der Glaube und das Bekenntnis der heiligſten Dreifaltigkeit begonnen;
darum müßten auch wir unmittelbar nach der Pfingſtwoche unſeren
Glauben an die allerheiligſte Dreifaltigkeit gleich feierlich bekunden.
Wohl war es der Pfingſttag ſelber, an dem es gegen dreitauſend
menſchen nach Petri gottbegeiftertem Bekenntnis „das Herz durchſchnitt“,
fodaß fie die Apoftel fragten: „Brüder, was ſollen wir tun“ und ſich tau⸗
fen ließen auf den Namen geſu Chriſti, Dergebung ihrer Sünden zu er⸗
langen und die Babe des Heiligen Beiftes zu empfangen. An der Oktav
von Epiphanie wird die Taufe geſu noch einmal geſondert gefeiert,
am erſten Sonntag nach der Oktav die Hochzeit zu Kana; die Kirche
hält diefe Ereigniſſe einer deutlicheren liturgiſchen Betonung mit Recht
für wert. „Parther, Meder, Elamiter, Bewohner von Meſopotamien,
Judäa, kappadozien, Pontus, Aleinafien, Phrugien, Pamphulien, Hgup⸗
ten, den Landftrihen Lybiens gegen Curene hin, Pilger aus Rom,
Quden und Profelyten, £reter und Araber“ ſtanden am erſten Pfingſt⸗
fefte ſtaunend da und reihten ſich ein in die Schar der Chriſten. In
Wahrheit ward damals nach der Predigt Petri über Jefus, der vom
Vater den verheißenen Beift empfangen und ihn ausgegoſſen hatte, die
katholiſche Kirche grundgelegt, die Kirche „über den Erdkreis hin“.
Noch waren die Apoftel nicht hingegangen in alle Welt, dem Befehl
des auferftandenen Heilandes gemäß alle Dölker zu lehren und fie
zu taufen im Namen des Daters und des Sohnes und des heiligen
175
Beiftes, da kamen ſchon die Völker zu ihnen. Wahrlich diefe Wirkung
des Pfingſtfeſtes iſt auch groß genug, daß ihrer an der „Oktav“ im
Preis des dreieinigen Gottes eigens gedacht wird.
Als der Arianismus ſich breit machen wollte, da ließ der hl. Am⸗
brofius in Mailand feine humnen auf die heilige Dreifaltigkeit fingen.
lach Deo XIII.?“ hat die Kirche das Feſt eingeſetzt, „um ihre Söhne in
der Reinheit des Glaubens zu erhalten“. Grande carmen istud est,
quo nihil potentius: „Jawohl, das iſt ein berückendes Lied: nichts
wirkt ſicherer als dieſes“, kann man auch vom Feſte ſagen, wie Am⸗
brofius?! von feinen Liedern. In einer Zeit der Derwifchungen läßt es
uns mit der unzweideutigen Klarheit feiner beſungen und Lieder keinen
zweifel darüber, was wir vor aller Welt bekennen: Bott iſt eins in
der Natur, dreifach in den Perſonen.
Wenn auch Anbetung der erſte Zweck des Tages iſt, fo kommt
unfere perſönliche Heiligung dabei nicht zu kurz. „Die Bedeutung des
dogmas vom dreieinigen Bott für das ſittliche Geben der Gemeinſchaft“
haben wohl wenige fo tief und ſchön und gedrungen zugleich dar⸗
geſtellt wie Romana Guardini??: Das ſittliche eben der Bemein-
ſchaft ruht auf zwei entgegengeſetzten Formen der Seelenhaltung und
Seelendewegung: auf Bingabe und Zurückhaltung unter der leitenden
Jbee der Gemeinſchaft. Durch Hingabe treten wir heraus aus unferer
Enge, ohne fie keine Liebe. „Die vollkommene hingabe, die nichts
mehr für ſich allein behält, hat eine neue, beide Perſönlichkeiten um⸗
faſſende Einheit geſchaffen.“ Die Jurückhaltung der Seele dagegen
bewahrt uns vor Selbſt⸗ und Fremdvernichtung. Sie macht ehrfürchtig
halt „vor jener Grenze, die wie die eigene fo die fremde Perſönlich⸗
keit umſchließt.“ Sie will „keine Selbſtmitteilung erzwingen und er⸗
ſchleichen, ſondern nur als freie Gabe empfangen“. Auf Erden iſt es
das größte Glück, ein herz und eine Seele zu fein. Im dreieinigen
Bott it höchſte Einheit mit höchſter Selbftändigkeit verbunden. „Ein
abſolutes Derftehen iſt zwiſchen Dater und Sohn; ein vollkommenes
Lieben verbindet fie im heiligen Seiſte.“ Aber „wenn auch alles in
Bott gemeinſam ift, eines nicht: die Perſonen. Sie beſtehen unver⸗
wiſcht, unvertauſcht, in abſoluter Unantaftbarkeit. Der Dater ift nicht
und in keiner Weiſe der Sohn, und von beiden unverwechſelbar unter-
ſchieden iſt der heilige Geiſt“.
Immer iſt die liebende Derfenkung in das Urgeheimnis?! unferes
criſtlichen Glaubens imſtande, eine entſprechend empfängliche Seele
für die Fruchtbarkeit der Ideen von wahrer Gemeinſchaft zu begeiftern.
Niemals aber vermag fie das mehr, als wenn wir als freie, voll⸗
176
wertige Perfönlichkeiten in einmütigem Preiſe vor Gott in heiliger
Gemeinſchaft uns zuſammenfinden. „Sib Einheit“, ruft St. Auguſtin?
aus, „und es ift ein Volk, nimm die Einheit und es ift eine Maffe!....
Alſo laßt uns den herrn preiſen und feinen Namen in Einheit ver⸗
herrlichen! Einheit tut not, jene himmliſche Einheit, jene Einheit, in
der Dater und Sohn und heiliger Geift eins find. Seht, Brüder, wie
uns die Einheit empfohlen wird: Bewiß, dreifaltig iſt unſer Bott. Der
Vater ift nicht der Sohn, der Sohn nicht der Vater, der heilige Geift
nicht Vater, nicht Sohn, ſondern beider Beift. Und doch find dieſe
Dreifaltigkeit (ista tria) keine drei Götter, keine drei Allmächtigen,
fondern ein allmächtiger Bott: Die heilige Dreifaltigkeit, ein einiger
Gott; denn ‚Ein=heit‘ tut not. Zu dieſer „Ein- heit“ aber gelangen wir
nur, wenn wir als viele ein herz haben.“
Alſo ſei geprieſen die heilige Dreifaltigkeit und ungeteilte Einigkeit;
wir wollen fie loben, weil fie ihr Erbarmen an uns erwieſen hat!
Anmerkungen.
Pr. Sutranger, Das Kirchenjahr X (mainz 1881) 108 und 9. A. Daniel,
Thes. hym. I (1855) 51 und Migne Pl 151, 807 — * Tiote 401 zum Liber sacramen-
torum s. Greg. Pl 78, 392. Dagegen Binterim, Denkwürdigkeiten V (1838) 268. —
® Micrologus cp. 60 Pl 151, 1020 C; c. invenimus 71 dist. I. de cons. ſtammt
nach Richter Friedberg (bezw. Blondel) nicht von Pelagius II., der Zufat »quas longa
retro vetustas in Romana Ecclesia hactenus servavit» dort nicht einmal in den
Apparat aufgenommen. — Lib. 8 cp. 1 Pl 213, 387 A/B; die bezeichnende Stelle
ſteht bei Migne in Klammern; auch Durandus hat fie Rationale lib. 6 cap. 114
n 6/7. — Les questions liturgiques 2 (1911/12) 382 — ® c. quoniam in parte 2
X, de feriis I, 9 wurde feit Marteöne (De antiqu. eccl. rit. IV, 28, n 22) wegen
feiner Erwähnung im Mikrologus vielfach Alexander III. (+ 1181) abgeſprochen und
Alexander II (+ 1073) zugewiefen; weil es aber erft in der zwiſchen 1210 und 1215
entſtandenen Compilatio II. ſtehe, in der Compilatio I. von 1191 dagegen noch
fehle, halten andere an Alex. III. feſt und verlegen Ap. 60 des Mikrologus in eine
Ipätere Jeit als Ap. 14, das einen Jeitgenoſſen Gregors VII. (T 1085) vorausſetzt.—
Pl 96, 1366 B: tellner, heortologie (Freiburg 1906) 8. 88 Anm. 2 meint, „daß
da von keinem Feſt der Dreifaltigkeit, ſondern nur von ihrer Verehrung im all-
gemeinen die Rede ift“. — — „ Pl 101, 445 8; 54 ss fiehe unten 8. 188; 57 C. —
11-18 Les quest. lit. 8 (1923) 139 ff. (D. J. Kreps): Revue liturg. et monast. 8 (1923)
279 ff. (D. R. P[rooft]) zu Auda, Ant.: L'ecole musicale liegeoise au Xe siecle.
Etienne de Liege. Bruxelles 1923. — Les quest. lit. 2 (1911/12) 380/83. —
Micrologus cp. 60 PI 151, 1020 B. — * a. a. 0. — '° Bandbud der Kathol.
Giturgik 15 (1912) 665. — 3. Bſpl. Durandus a. a. O. n 1. - Enzyklika Di-
vinum‘ illud vom 9. Mai 1897. Leonis XIII. Pont. Max. Acta vol. 17 (Romae
1898) 128 f.; vgl. Benedikt XIV. De serv. Dei beat. etc. lib. IV. p. II. cp. 30. n 3.—
De div. off. l. 11, cp. 1 Pl 170, 293 ss. — “ a. a. O. pg. 129. — serm. ctr.
Auxent. n. 34 (ep. 21) Pl 16, 1017 C. — * Theologie und Glaube s (1916)
400/406; jetzt „Auf dem Wege“ (Mainz 1923) 86/94. — * Geo XIII. a. a. O. pg. 128
anfpielend beſonders auf Tertullian Advers. Prax. cp. 31 Pl 2 (Paris 1844) 196. —
2 sermo 103 (al. de verb. Dñi 28) cp. III (n 4) Pl 38, 614 s.
177
Glaubensleben und ſittliches Verhalten.
Don P. Alois mager (Beuron).
liebe der Glauben ein bloßes Führwahrhalten der geoffenbarten
Wahrheiten, er vermöchte die innere Umwandlung des Menſchen,
wie ſie das Chriſtentum anſtrebt, nicht zu vollziehen. Die geoffenbarten
Wahrheiten müſſen zu Motiven des Handelns werden. Der Wille muß
in ſeiner tiefſten Wurzel erfaßt und auf das neue Ziel hingelenkt
werden: auf den Bott der Liebe. Die Glaubenswahrheiten treten als
Forderungen an den Willen heran. Das Glaubensleben ſoll ſich aus⸗
wirken im ſittlichen Derhalten des Einzelmenſchen und der Gemeinſchaft.
Befordert wird ein Leben nach dem Glauben. Was will dies heißen?
Das natürliche ſittliche Derhalten iſt beſtimmt durch die Regeln und
beſetze der Dernunft, wie fie ſich von Fall zu Fall in der Stimme des
Bewilfens offenbaren. Die Grundlage des natürlichen ſittlichen Der-
haltens ift die Gerechtigkeit: Jedem das Seine. Jeder ift darauf be»
dacht, das in Befiß zu nehmen, was ihm gehört, ohne daß der andere
in feinem Recht geſchädigt wird. Das gilt vom Einzelmenfchen wie
von der Gemeinſchaft. Justitia fundamentum regnorum, Gerechtigkeit
it die Grundlage der Staaten. Gerechtigkeit beruht auf dem Grund⸗
fat, daß ich für das, was ich gebe, etwas Bleichwertiges empfange.
Die Offenbarung geht weit darüber hinaus. Sie zieht die Gerechtigkeit
hinauf zu den höhen der Liebe. Diebe fordert ſcheinbar das Gegenteil
von dem, was die Gerechtigkeit verlangt. In der Liebe ift Beſitzen
hingeben und hingeben Beſitzen. Diebe iſt der Inhalt der Offenbarung,
Begenftand des Glaubens. Soll der Glaube in unferem ſittlichen Der-
halten ſich auswirken, fo muß unfer Geben Liebe werden. Darum
ſagt der hl. Thomas ſchlechthin: Die Vollkommenheit des drift-
lichen bebens beſteht in der Liebe. Einmal ſpricht der Heiland:
80 einer mich liebt, hält er meine Gebote. Und in der Bergpredigt
hat er die Gebote aufgeſtellt, die zur vollendeten Verwirklichung der
Liebe führen. Sich innerlich los machen von hab und But, von Beſitz
und Anfehen. Die Armen im Beifte find die Bürger des himmelreiches.
licht Sewalt und äußere Macht führen zu Erfolg, ſondern Sanftmut,
nachgiebige Liebe erobern die Welt. Nicht Aug um Aug, Jahn um
Jahn, ſondern feinen Feind lieben. Nicht den, der mich ſchlägt, wieder
ſchlagen, ſondern ihm Gelegenheit geben, feinen Mut ganz an mir
zu kühlen. Erſt dann find wir Binder des Vaters im Himmel, erſt
dann find wir wahre Rinder der katholiſchen kirche.
die heiligen waren es. Darum verkörpern ſie das Jdeal, dem wir
entgegenftreben ſollen. Bei ihnen ging das Glaubensleben ins ſittliche
178
Leben über. Ein Ideal ſoll begeiftern, zur Nachahmung locken. Darf
man der modernen Welt den Heiligen als ein von allen anzuſtrebendes
Vorbild vorftellen? Stoßen fie nicht vielmehr ab, dieſe weltflüchtigen
und weltfremden Geftalten, die Welt, Ceib und Kultur verachten, ja
haſſen? Wo blieben Wiſſenſchaft und Aunft, Kultur und Fortſchritt,
politiſche Größe und wirtſchaftliche Weltgeltung? Würde dieſe ſchöne
Erde nicht zu einem Schauplatz, wie ihn in der erſten chriſtlichen Zeit
die Wüfte mit ihren Einſiedlern dot? Das wäre das Jdeal, dem die Welt
entgegengehen muß, unfere Zeit mit ihren unerhörten Fortſchritten auf
allen Gebieten menſchlichen Könnens? Was foll das Chriſtentum, die
katholiſche Kirche mit ihrem fittliden Jdeal, das die Menſchheit rück⸗
wärts, anſtatt vorwärts führt? 8o denken die modernen Menſchen.
Sie laſſen die Heiligkeit als eine außergewöhnliche Erſcheinung gelten.
Ja, fie übt eine Art poetiſchen Zauber auf fie aus. Unſere Zeit iſt ſehr
empfänglich für Reize des Ungewöhnlichen, Beheimnisvollen.
Wir könnten all die vielen Fragezeichen, welche die moderne Zeit
hinter das Heiligenideal macht, mit einer Segenfrage beantworten:
Wohin führten denn Wiſſenſchaft und Kultur und politiſche Macht⸗
beſtrebungen? Führten nicht ſie in die furchtbare Weltnot, die heute
wie eine unheilvolle Gewitterwolke über den Dölkern hängt? Führten
nicht fie in die Not der Seelen und Dölker, in den wirtſchaftlichen und
ſozialen Barikerott, in die politiſche Auflöfung? Alles ſucht und drängt
nach einem Husweg aus dieſem entſetzlichen Chaos. Gerade die Jdeale,
die unſere Zeit anbetete, verfagen. Sie können keine Rettung bringen.
Wie ein Ahnen geht es den Beſten unſerer Zeit auf, daß nur eines
unſere Rettung fein kann, entſchiedene und folgerichtige Derwirklichung
der Liebe. Liebe aber ift das Weſen der Heiligkeit, weil fie der Inhalt
der chriſtlichen Offenbarung iſt. Heiligkeit kann deshalb nicht etwas
ſein, was nur Sache einiger weniger außergewöhnlicher Menſchen wäre.
Sie leuchtet als Ideal allen ohne Ausnahme voran. Allen gilt der
pauliniſche Rusſpruch: Das iſt der Wille Gottes: eure Heiligung. Und
für alle betete Chriſtus in feiner Abſchiedsſtunde: Heilige fie in Wahr-
heit! Es wäre an der Zeit, die Scheu vor der heiligkeit und den
Heiligen endgültig zu überwinden. Wir müſſen uns immer mehr damit
vertraut machen. Es muß uns zur Selbſtverſtändlichkeit werden. Die
heiligen müffen unferer Zeit menſchlich noch viel näher gebracht werden.
Bier hat die Lebensbeſchreibung der Heiligen eine große bedeutſame
Aufgabe zu erfüllen. Die Heiligen verwirklichten auf Grund derſelben
Dorausfegungen, in denen wir uns befinden, das Gebot der Liebe.
Sie gelangten zu jener Verinnerlichung, die die Einzelfeele vollendet;
179
fie waren aber zu gleicher Zeit auch vollendete Gemeinſchaftsglieder.
Sie lebten das Leben der Rirche, gingen ganz im Intereſſe für Chrifti
Stiftung auf. Eine von der Theologie geführte Pſuchologie des Heiligen
lebens würde unwiderleglich den Beweis erbringen, daß wahre Inner-
lichkeit und Heiligkeit nur in der katholiſchen kirche möglich iſt. Denn
nur hier iſt das Problem Einzelſeele und Gemeinſchaft in ſchönſter
harmoniſcher Weiſe vollkommen gelöft.
biebe nur kann den Husweg aus der Weltnot der Gegenwart weiſen.
Die Gerechtigkeit allein vermag es nicht; nur die zur Liebe verklärte
Gerechtigkeit. Nicht umſonſt fordert die katholiſche kirche in ihrem
oberften haupt ohne Unterlaß die Dölker auf, in der Regelung der
Dölkerbeziehungen nicht bloß Gerechtigkeit, ſondern vor allem Liebe
walten zu laſſen. Wir müffen mit der Derwirklichung der Liebe, mit
dem heiligwerden ernſt machen.
Wenn wir an unſere Zeit unmittelbar die Forderung des heilig⸗
werdens ftellen, fo ſagen wir damit keineswegs, daß jeder ein „hei⸗
liger“ werden müſſe d. h. den Grad von heiligkeit erreiche, der den
heiligen im kanoniſchen Sinn ausmacht. Dazu verpflichtet uns kein
Gebot. Derpflichtet aber find wir, immer voranzuſtreben. Und unfer
Streben muß ſich in der Richtung bewegen, an deren Ende die heilig⸗
keit ſteht. Sie muß unfer Ziel fein, wenn wir auch N unſerer
bebenszeit nicht ſoweit gelangen.
Die innere Umwandlung des Menſchen zur Ciebe iſt nicht etwa
Sache eines ſchöpferiſchen Augenblickes. Denn ſonſt müßte mehr Liebe
in den Menfchen vorhanden fein. Die Erkenntnis iſt vielfach da, auch
der gute Wille. Und doch ſtellt ſich die Liebe nur langſam ein. Es
gilt, große Binderniffe, Hemmungen zu überwinden. Don Natur aus
find wir gar nicht auf die Liebe eingeftellt. Liebe iſt ein Ziel, das
uns erſt geoffenbart werden mußte. Don Natur aus zielt unſer ganzes
Streben auf einen Egoismus, der von der Gerechtigkeit geregelt iſt,
d. h. einen Egoismus, der den Egoismus der anderen gelten läßt. Dieſe
geregelte Selbſtſucht iſt zwar der Liebe nicht entgegengeſetzt, aber fie
it felber keine Liebe. Wir befinden uns aber nicht im Juſtande der
reinen Natur. Die Sünde unſerer Stammeltern trug die Unordnung
in unſere menſchliche Natur. Ihr Streben geht ſeitdem gegen die
Berechtigkeit. Die Erbſünde hob zwar die Gerechtigkeit nicht auf,
aber ſchädigte fie in ſchwerer Weiſe. Dieſe verkehrte Zielftrebigkeit iſt
der Liebe unmittelbar entgegengeſetzt. Und weil fie auf einer freien
Willenstat unſeres Stammvaters beruht, deshalb iſt ſie eine Schuld.
50 befinden wir uns alle von Geburt an in einem Juſtand, der der
180
Liebe entgegengeſetzt if. Das Streben unſerer Natur geht in einer
der Liebe entgegengeſetzten Richtung. — Wir dürfen nie vergeſſen, daß
hier Liebe immer im Sinn der Offenbarung genommen werden muß.
Was die Menſchen fonft Liebe nennen, ift pſuchologiſch nicht mehr,
als was das heidniſche Altertum unter Liebe verftand: im beften Fall
ein geläuterter, durch die Berechtigkeit geordneter Egoismus. Die Auf:
gabe der antiken Gemeinſchaft war alfo Reine pofitiv das Leben der
Einzelfeele fördernde, fondern nur negativ: das Leben des Einzelnen
gegen den anderen zu ſchützen. Ihr Ziel war: Die Gerechtigkeit
gegen die gerechtigkeitsverletzenden Inſtinkte der Menſchen zu wahren.
In dieſer Beziehung ſtellt das Reich der Römer ein Jdeal dar. Mit
unvergleichlicher Pſuchologie hat es der hl. Auguſtin in feinem Gottes-
ftaat herausgearbeitet. Was der Staat zwiſchen den Einzelmenſchen
verhinderte, übte er ſelber ſchrankenlos gegen andere Staaten aus.
Da gab es kein Geſetz, keine Gerechtigkeit. Selbſt heute beſitzen wir
noch kein Dölkerrecht im eigentlichen Sinne, geſchweige denn ein Der-
hältnis der Liebe zwiſchen den Völkern untereinander.
Der hl. Johannes faßt all die erbſündigen Inſtinkte in der drei⸗
fachen Sucht der Augenluft, der Fleiſchesluſt und Hoffart des Lebens
zuſammen. In dieſen Bahnen verläuft das ſeeliſche beben, wenn es
ſich ſelber überlaffen bleibt. Strebt alſo die Natur in der der Liebe
entgegengeſetzten Richtung und ſoll die Liebe in den Menſchen Leben,
Wirklichkeit werden, ſo muß zuerſt eine gewaltige, negative Arbeit
geleiftet werden. Die Natur muß gehindert werden, in der der Liebe
entgegengeſetzten Richtung zu ſtreben. Das Ankämpfen gegen dieſes
Streben unſerer Natur nennen wir Abtötung. Erft in dem Grad,
in dem die Überwindung der verkehrten Zielftrebigkeit gelingt, kann
die Liebe ſich pofitiv betätigen. Die Liebe wird uns als freies Snaden⸗
geſchenk Gottes in der Taufe eingegoſſen. Sobald der Geiſt erwacht,
der freie Gebrauch der Vernunft eintritt, iſt dieſe Snadengabe gefährdet.
Der Wille ſteht immer in Gefahr, der Zielrichtung der verkehrten Natur
nachzugeben. Geſchieht es in einer ſchweren Sache, iſt die Liebe ver⸗
loren, das ewige beben verſcherzt. Darum iſt jeder Chrift, wie der
hl. Thomas ſagt, abſolut verpflichtet, jede Handlung, die in dieſer
Richtung geht, zu unterlaffen. Unter Derluft des ewigen heiles iſt
jeder gehalten, das der Liebe Entgegengeſetzte zu meiden. Das if
ſtrenges Gebot, alles andere fällt nicht unmittelbar unter ein Gebot.
nicht einmal die hemmungen, die die Liebe erſchweren, fallen darunter.
Sie zu befeitigen, iſt bloßer Rat. So iſt nach dem hl. Thomas die
Aneignung fremden Butes durch ein Gebot verboten. Das hängen
181
am eigenen Beſitz kann ein Bindernis fein, um zur Liebe zu gelangen,
ift aber der Liebe nicht entgegengeſetzt. Es befteht kein Gebot, ſich
davon loszumachen. Hur freiwillig gelobte Armut verpflichtet dazu.
Hußerehelicher Geſchlechtsverkehr iſt, weil der Liebe entgegengeſetzt,
durch ein Gebot unterfagt, das eheliche beben kann ein gewiſſes Hinder⸗
nis für die innere Dollkommenheit fein. Sich davon zu enthalten, ift
nur ein Rat. Nur freiwillig gelobte Jungfräulichkeit verpflichtet zur
Ehelofigkeit. Wenn es fi um Sünde handelt, iſt es durch ein Gebot
unterſagt, ſeinem eigenen Willen zu folgen. Seinen eigenen Willen
zu tun, iſt ſonſt nicht verboten. Freiwillig darauf zu verzichten, iſt
ein Rat. Er wird durch das Gelübde des Gehorſams erfüllt. Das
Gelübde der Armut richtet ſich gegen die Augenluft, die buſt zu be⸗
ſitzen; das Gelũbde der Reufchheit gegen die Fleiſchesluſt; das Gelübde
des Sehorfams gegen die Hoffart des Lebens.
Wenn das ſtrenge Gebot nur die Verpflichtung auferlegt, die ſchwere
Sünde zu meiden, d. h. jenen Grad von Selbſtbeherrſchung, Enthaltſam⸗
keit, Abtötung zu erwerben, der den Rückfall in die ſchwere Sünde
ausſchließt, iſt es dann nicht zuweit gegangen, das heiligwerden als
Ideal für das ſittliche Streben aufzuſtellen? Die allererſten Anfänge
des heiligwerdens liegen doch ſchon dies ſeits der Grenze, die das ſtrenge
Bebot zieht. Denn es fordert ja nur negativ die Meidung der Sünde.
Sie aber verlangen ſchon pofitive Arbeit, nicht bloß Meiden der Tod⸗
ſünde, ſondern Fortſchritt in der Tugend. Und trotzdem behaupte ich, die
menſchheit muß aus dem Bewußtſein herausgeführt werden, als be⸗
ſtände das chriſtliche beben nur im Meiden der ſchweren Sünde. Rein
theoretiſch, moral⸗kaſuiſtiſch ließe ſich ja der Fall denken, daß jemand
ſich auf dieſer Linie hielte, die eben die ſchwere Sünde ausſchließt.
Praktiſch⸗pſuchologiſch aber liegt die Sache nicht fo einfach. Um einen
ſeeliſchen Zuſtand zu erreichen, der pſuchologiſch den Willen dauernd
hindert, ſchwer zu ſündigen, dazu bedarf es ſchon eines verhältnis⸗
mäßig großen Fortſchrittes im Tugendleben. Zu dieſem Grad poſitiver
Tugend find wir aber ſtreng verpflichtet. Und es gibt in dieſem Tugend⸗
ſtreben nie einen Punkt, wo man Halt machen könnte, weil er die
Bewißheit böte, daß er die ſchwere Sünde ausſchließt. Stillftand wäre
Rückgang. Rückgang aber wäre ſchon jenfeits der Linie, wo die ſchwere
Sünde nicht mehr ausgeſchloſſen iſt. Alſo wir ſind zu einem poſitiven,
nie aufhörenden Tugendſtreben verpflichtet. Sind nun die Mehrzahl
der Chriſten wenigſtens auf dieſer höhe, die das Gebot verlangt?
Wenn wir die Seelſorge fragen, erhalten wir eine wenig erfreuliche
Antwort. Ich gebe gerne zu, daß ſubjektiv — und dies iſt doch das
182
entſcheidende — bei weitem nicht fo viele ſchwere Sünden geſchehen,
als man objektiv annehmen müßte. Dielleicht muß ich aber doch
jenen zuſtimmen, die meinen, die Mehrzahl der Chriſten befänden ſich
nicht auf jener geforderten Tugendhöhe. Man wird einwenden, daß
das Sakrament der Buße dazu eingeſetzt iſt, immer wieder Verzeihung
der Sünden zu gewähren und der Seele von neuem die Diebe zu
ſchenken. Weit verbreitet iſt das Bewußtſein, als genüge zu einem
chriſtlichen Geben die bloße Bereitwilligkeit, immer wieder im Sakra⸗
ment Verzeihung ſeiner Sünden zu erbitten. Rein theoretiſch, moraliſch⸗
kaſuiſtiſch wäre eine ſolche Seelenhaltung denkbar, praktiſch⸗ pſucho⸗
logiſch aber beſtehen doch ernſte Bedenken. Um im Bußſakrament
die Derzeihung der Sünden und die Liebe Gottes wieder zu erlangen,
bedarf es einer beſtimmten Seelenverfaſſung, nämlich einer gewiſſen
Art von Reue mit feſtem Dorfag. — Wahre Reue zu erwecken, ſtößt
auf große pſuchologiſche Schwierigkeiten. Wer eben nicht ernſt macht
mit feinen Dorfäßen, d. h. jenen Brad von Tugend zu erſtreben, der
den Rückfall in die Todſünde verhindert, der wird nicht leicht jene
ſeeliſchen Dorausfegungen beſitzen, die eine wahre Reue ermöglichen.
Rardinal Newman ſpricht in dieſer Frage Gedanken aus, die gerade
unferer Zeit ſehr zur Beherzigung zu empfehlen find. Es ſchleicht
ſich leicht das Gewohnheitsmäßige, Mechaniſche in den Sakramenten⸗
empfang ein. Der öſterliche Sakramentenempfang iſt äußerlich leicht
erfüllt, ob aber auch innerlich?
Wie ſchwer es iſt, die Umwandlung in der Menſchheit zu vollziehen,
daß bei den pofitiv Berichteten die Liebe Weltgeſetz wird im Einzelfeelen=
leben wie in der Gemeinſchaft, zeigt uns die Geſchichte des Chriſten⸗
tums. So ſehr war die Menſchheit durch die Erbſünde in das Oeibliche,
in die Außenwelt, in die Derkennung der Einzelperſönlichkeit verſtrickt,
daß es Jahrhunderte brauchte, bis die Sklaverei abgeſchafft, das freie
Selbſtbeſtimmungsrecht des Einzelmenfchen im Prinzip anerkannt war.
Beweis vor allem ſind die ungeheuerlichen, übermenſchlichen Anſtreng⸗
ungen, welche die Chriften der erſten gahrhunderte machen mußten,
um aus dem Negativen heraus zur vollkommenen Liebe, zur Heiligkeit
zu gelangen. Nur Weltflucht, ja Weltverneinung, Derneinung des
eigenen Leibes konnten dorthin führen. Das macht nicht das Weſen
der Heiligkeit aus. Das Weſen der heiligkeit iſt die Liebe. Wir er⸗
ſchrecken heute faſt vor den Strengheiten der Wüſtenväter. Die um⸗
wandelnde kiraft, die das Chriſtentum in all den Jahrhunderten be⸗
tätigte, zeigt ſich auch in dem Wandel, der ſich hier vollzog. Die
überſtarke Betonung der äußeren Abtötung trat mehr und mehr zu⸗
183
rück; dieſe ſelber verlor an Bedeutung. Die größere Notwendigkeit der
inneren Afzefe wurde umſo mehr geltend gemacht. Der ſtarke Rückfall
ins heidniſche, den die Renaiſſance offenbarte, rief zwar als Gegen-
wirkung in der Aſzeſe neue Strengheiten hervor; dafür ſetzte aber
damals zugleich eine Wendung in der inneren Einftellung ein. Die
ganze neuere Aſzeſe iſt ſchließlich bewußt darauf aufgebaut: Nicht
Weltflucht, nicht Dernihtung des eigenen Leibes, ſondern geordnete
Beziehungen zu Welt und Leib! Das iſt unleugbar ein Fortſchritt im
Sinne des Chriſtentums. Wir bejahen die Welt, bejahen auch das
Recht des Leibes, bejahen fie mutig aus der Fülle der Liebe. Ich kann
hier bloß andeuten. Aus dieſer ſicheren Einftellung entſpringen auch
alle jene neueren Beſtrebungen, die eine Umgeſtaltung bezw. Erwei⸗
terung des Ordensideals bezwecken. Die Derwirklihung der evan⸗
geliſchen Räte ſchien einer weithin herrſchenden Nuffaſſung nur durch
Weltflucht, durch völligen Derzidt auf die Welt möglich. Heute da-
gegen hält man ein Leben nach den evangeliſchen Räten erreichbar
auch mitten im Bineingeftelltfein in die Welt, nicht nur in dem äußeren
berzicht, ſondern in jedem inneren Cosgelöftfein von der Welt. Man kann
nicht zweifeln, daß hier der Geiſt der evangeliſchen Räte eine Miſſion
zu erfüllen beginnt, die für die Erneuerung des religiöfen Lebens
in den Einzelfeelen wie in der Gemeinſchaft von noch nicht überſeh⸗
barer Bedeutung wird.
Soll die Welt erneuert werden, dann müſſen an erſter Stelle unſere
Bebildeten einen lebendigen Glauben, ihre kirchliche Gefinnung im ſitt⸗
lichen Geben und Derhalten zur Auswirkung kommen laſſen. Die gei⸗
ſtige Entwicklung, in der wir heute ſtehen, verlangt, daß als poſitives
Ideal des ſittlichen Lebens das Beiligwerden, d. h. die größtmögliche
Verwirklichung des Gebotes der Liebe angeſtrebt wird. Dorausfegung
dazu aber iſt der Geift der Abtötung, nicht fo ſehr der äußeren, als
vielmehr der inneren, der Selbſtbeherrſchung in allen Dingen. Wir
ſahen, das Weſen der Heiligkeit ift die Liebe. Die Abtötung ift nur
Weg, Mittel dazu. Sie iſt in ihrer Ausübung zeitgeſchichtlich bedingt.
Das, was an den heiligenleben vielfach abſtößt, iſt gerade das zeit⸗
geſchichtlich Bedingte. Werden wir eben moderne heilige! Die haben
nichts Abſchreckendes. Ich glaube, das unruhige Suchen und Taſten
auf religiöfem Gebiet, wie es in unſerer Zeit ſich äußert, kann nur
befriedigt werden, wenn ihm pſuchologiſch die Wege zum heilig⸗
keitsideal gewieſen werden.
Der hl. Thomas läßt die Ordnung der Liebe, wie er es nennt, folgende
“ Stufenfolge einhalten: Gott, wir ſelber, der Nächſte, der eigene Leib.
184
Die biebe zu Gott wird ſich betätigen vor allem in einem ſtarken
inneren Gebetsleben. Wichtig aber ift, daß die Liebe zu Gott den Weg
einhält, der uns Erlöſte mit Bott verbindet. Chriſtus muß im Mittel-
punkt unferes religiöfen bebens ſtehen. Chriſtus aber lebt fort in der
katholiſchen Kirche. Die Liebe zur Kirche iſt das ſelbe wie die Liebe zu
Chriftus. Chriſtus lebt in der Kirche weiter durch die Euchariftie und
das unfehlbare Lehramt. Im Mittelpunkt unferer Sottesverehrung
muß die Euchariftie, Meſſe mit kkommunion, ſtehen. Und wir kennen
ja den tieferen Sinn dieſes Seheimniſſes. Das Mark unſeres privaten
Gebetes wird alſo das liturgiſche, das kirchliche Semeinſchaftsgebet fein.
Ferner muß unſer ſtitliches Derhalten voll und ganz durchdrungen
fein vom tiefſten Derftändnis für das unfehlbare Lehramt der kirche.
Die katholiſche kirche hat allein das wahre, denkbar vollkommenſte
Verhältnis zu Zott. de tiefer wir einwachſen als Glieder in den Leib
der liche, umſo vollendeter wird unſer Verhalten zu Gott. ge voll-
kommenere Gemeinſchaftsglieder wir werden, umſo wirkſamer betä⸗
tigen wir die Liebe zu uns felber. Zur vollendeten Innerlichkeit und
Reife der Perſönlichkeit gelangen wir nur in der Gemeinſchaft, alſo
als lebendige Glieder der katholiſchen kirche. Wenn nun auch die
Gemeinſchaft als bindende Macht an die Einzelfeele herantritt, um fie
zur vollen Entfaltung zu bringen, ſo bleibt der entſcheidende Faktor
im Einzelfeelenleben etwas, was im Innerſten der Perſönlichkeit lebt:
Das Gewiſſen. Das Bewilfen iſt immer die letzte Inſtanz, die im Einzel⸗
fall über den ſittlichen Wert oder Unwert der menſchlichen Handlung
entſcheidet. Die Derantwortung für feine Entſchließungen muß letzten
Endes jeder ſelber tragen: die Bemeinfchaft kann und darf niemals
das Gewiſſen erſetzen. Ohne freien Willen, der vom Gewiſſen geleitet
wird, kann keine Deränderung im geiſtigen Menſchen vor ſich gehen,
auch die Umwandlung zur Liebe nicht. Wenn das Gewiſſen nach ſorg⸗
fältiger Überlegung zu einer Auffaffung käme, die der Autorität ent»
gegengeſetzt wäre, müßten wir dem Gewiſſen folgen. Rardinal Newman
hat dieſem Gedanken einen ungewöhnlich ſcharfen Ausdruck verliehen.
Wir dürfen aber nie vergeſſen, daß einer unfehlbaren Autorität
gegenüber ein Widerſpruch zwiſchen Autorität und Freiheit ſachlich
nur für ein irriges Sewiſſen entſtehen kann, und daß auch ſonſt nur
große Geiſtesfreiheit ohne alle Gefahr im Einzelfalle ſich gegen die
Autorität und für die „Freiheit“ entſcheidet. Das ſetzt nicht geringe
innere Dollkommenbheit voraus, die ohne fortwährende Selbſtverleug⸗
nung und innere Abtötung nicht errungen werden kann. Wir haben die
heiligſte Pflicht, an der Norm der Autorität unſer Gewiſſen zu bilden.
185
Damit find die Grundſätze angegeben, nach denen das heute fo wich⸗
tige Problem „Autorität und Freiheit“ zu löſen ift. Die Cöfung diefes
problems iſt von entſcheidender Bedeutung für das ſittliche Derhalten.
Wenn wir als lebendige Glieder der kirche den Sinn des unfehlbaren
behramtes innerlich uns ganz zu eigen gemacht haben, wird „Autorität
und Freiheit“ kein Problem mehr für uns ſein. Im Anſchluß an das
unfehlbare Lehramt wird erſt das Gewiſſen zur vollen Freiheit auf⸗
gehen. Solange wir einen inneren Gegenſatz, gleichſam etwas Feind⸗
liches im kirchlichen Lehramt empfinden, folange find wir eben noch
nicht tief genug in das beben der kirche eingewachſen. Gerade der
Umftand, daß das kirchliche behramt zu Aundgebungen veranlaßt iſt,
die den modernen Menſchen ſtoßen, beweiſt nur das eine, wie wenig
tief fo viele Ratholiken das kirchliche beben und Bewußtſein in ſich
zur Auswirkung kommen laſſen. Wären alle ſich bewußt, daß fie in
gewiſſem Sinn Mitträger der Unfehlbarkeit ſind, inſofern nämlich der
Papft nur unfehlbar iſt als das ſichtbare haupt der Kirche, deren
Blieder zu heißen unfere Freude iſt: es gäbe keine kirchlichen Ent»
ſcheidungen, die unſerm Fühlen zuwider liefen. Wohin Freiheit und
Bewiffen führen, wenn fie losgelöſt werden aus dem Rahmen der.
bindenden Macht der Gemeinſchaft, offenbart uns die moderne Geiſtes⸗
entwicklung, wie fie von Renaiſſance und Reformation ausging. Wo
immer in der katholiſchen kirche ähnliche Bewegungen auftauchen,
die ewiſſensfreiheit und Einzelſeelentum fo betonen, daß die Autorität
verneint wird, muß mit aller Folgerichtigkeit dagegen Stellung ge⸗
nommen werden. Nicht weniger aber wären diejenigen zurückzuweiſen,
die in gänzlicher Derkennung des Weſens der Autorität, diefe fo in
den Vordergrund rücken wollten, daß kein Raum mehr für das Einzel-
gewiſſen bliebe. Es gibt Menſchen, die nicht lange fragen, wie ein
Satz, ein Buch gemeint iſt, alſo das Recht des Bewilfens nicht lange
gelten laſſen, die nur nach dem äußeren Wortlaut gehen und danach
das Verhältnis zum kirchlichen Lehramt bewerten. Es kommt doch
zunächſt auf den Sinn an und nicht auf den bloßen Wortlaut. Es
iſt Pflicht, dieſen erſt feſtzuſtellen, ehe man zum ſchwerſten Dorwurf
der Nichtübereinſtimmung mit dem Glauben ſchreitet. Wollte man ſich
nur an den Wortlaut halten, ſo müßten ſelbſt Teile der hl. Schrift,
vorab die Paulusbriefe, verdächtigt werden.
Die Liebe der Einzelfeele zu ſich ſelber muß ſich vor allem in der
Einhaltung der goldenen Mitte zwiſchen Freiheit und Autorität bewäh⸗
ten. Es iſt ein erfreuliches Zeichen für die Seſundheit der jüngeren Gene
ration, daß fie von innen heraus nach Bindung und Autorität verlangt.
Bene diktiniſche Monatſchriſt VI (1924) 5-6. 12
186
Ich deutete bereits an, daß wahre Gewiſſensfreiheit nur dort ſich
entfalten kann, wo Selbſtbeherrſchung, Abtötung geübt wird. Es
erhebt ſich von neuem für die Einzelſeele die Aufforderung zum heilig⸗
keitsideal. Nicht nur äußere Abtötung, vor allem innere Abtötung im
Haushalt des innerſeeliſchen bebens wird zur Notwendigkeit. Franz
von Sales hat endgültig mit der Anſchauung gebrochen, als wäre das
vollkommene Leben nur für die Bewohner der Klöſter. Jeder ift ver⸗
pflichtet, in welchem Stand er auch ſein mag, die Vollkommenheit
anzuſtreben. Stand und Beruf können kein hindernis bilden. Das
ganze menſchliche Leben muß verchriſtlicht werden, das kann aber
nur geſchehen, wenn jeder Stand, alle Bezirke des wenſchnchen Lebens
vom Chriftentum durch und durch ergriffen find.
Don der Art und Weiſe, wie die Nächſtenliebe verſtanden und ge⸗
übt wird, hängt die Neugeſtaltung und innere Erneuerung der ſchwer⸗
erſchütterten ſozialen Ordnung ab. Gerade in der ſozialen Ordnung
ſteckt noch ſo viel heidentum, wie es nur wenige ahnen. Da herrſcht
eben doch noch, wenn auch in ſehr verfeinerter Form, der Klaſſen⸗
und Raftengeift. Praktiſch herrſcht noch der Gedanke, daß ein großer
Teil der Menfchheit eben nur zum Dienen beſtimmt iſt, jene Rang⸗
ordnung der Menſchen, wie fie im heidniſchen Altertum beſtand. Gerade
heute iſt es von beſonderer Wichtigkeit, daß im Verhältnis der Men⸗
ſchen zueinander Liebe alles durchdringe. Der Heiland felber hat uns
das Beiſpiel gegeben, welches unſere Gefinnung gegen unfere Mit⸗
menſchen ſein ſoll. Seine ganze Abſchiedsrede im Abendmahlsſaal
fließt wie ein immer mächtiger ſich drängender Strom der Liebe. Als
er über die Liebe zum Nächſten, den Inhalt des Grundgeſetzes feines
Reiches zu ſprechen begann, zeigte er uns durch die Tat, worin dieſe
Liebe beſteht. Er umgürtete ſich mit einem binnen, kniete nieder und
wuſch feinen Jüngern die Füße. Das muß unfere Gefinnung den Mit⸗
menſchen gegenüber ſein, daß wir uns als ihre Diener fühlen, ihnen
die niedrigſten Dienſte zu erweiſen bereit find, weil es das wahre
Verhältnis zwiſchen uns und unſern Mitmenſchen iſt. Wie weit ent⸗
fernt find wir von dieſem deal! Und doch wird ſolange keine Er-
neuerung der ſozialen Derhältnilfe eintreten, als wir nicht beginnen,
es in die Tat umzuſetzen. Damit habe ich vielleicht an die dring⸗
lichſte Frage der Gegenwart gerührt.
Noch weniger Liebe als die Menſchen zu den Menſchen, zeigte der
Staat gegen ſeine Untertanen. Es fehlte überall an biebe. Warum
gab es eine franzöſiſche Revolution? Warum wütet in Rußland der
Bolſchewismus? Warum ift unſer Daterland immer noch vom Rommu-
187
nismus bedroht? Weil es an Liebe, vielfach ſogar an Gerechtigkeit
gerad. kein Stand, kein Menſch iſt von Natur zum Dienen be⸗
ſtimmt. Wir haben kein Recht, von andern uns bedienen zu laſſen.
das Gegenteil gebietet die Liebe, Wir follen den andern dienen. Gewiß
jede Gemein ſchaft iſt ein Organismus, in dem die verſchiedenſten Teile
und Syfteme ineinander gefügt find. Bein Teil kann das fein, was
der andere iſt. Es könnte aber auch kein Teil ohne den anderen be⸗
ſtehen. Alle Teile ſind in dieſer Beziehung gleichwichtig. geder Teil
bat das Recht zu feiner vollen und freien Entwicklung. Dazu muß
ihm das Banze verhelfen. Alle Teile dienen. Auch in diefer Beziehung
hat keiner einen Dorzug vor dem anderen. de höher, geiſtiger ein
lllenſch iſt, umſo tiefer ſoll er von der Sefinnung durchdrungen ſein,
daß er nur Diener der anderen iſt. Denn im Reiche der Liebe iſt
herrſchen Dienen und Dienen herrſchen. Das iſt nicht bloß Redens⸗
ort, das iſt die reine Wirklichkeit. Ein Hherrſchen, das nicht Dienen
it, wäre in der Tat kein herrſchen. Der Heiland ſagt: Ich bin nicht
gekommen, um bedient zu werden, ſondern um zu dienen. Jeder
Träger der Autorität, der nicht dieſe Geſinnung in ſich verwirklicht,
fehlt gegen feine Aufgabe. Nur eine Autorität, deren Ziel Dienen
if, erreicht ihren Zweck. Die Autorität hat noch mehr die Pflicht, im
dienen aufzugehen als die Untergebenen. Sie muß ganz Liebe fein.
Im nationalen und internationalen Leben gelten dieſelben Srund⸗
fe wie für das Verhältnis zwiſchen Einzelmenſch und Gemeinſchaft.
Auch, hier muß das Geſetz der Liebe zum Durchbruch kommen. Nicht
der sacro egoismo führt zur nationalen Größe. Wie der Einzelmenſch,
ſo hat jede Nation das unveräußerliche Recht, ja die Pflicht, ihre
Eigenart voll zur Entfaltung zu bringen. Je vollkommener dieſes
diel erreicht wird, umſo mehr wird zum Weltwohl beigetragen. 80
aufgefaßt iſt Nationalismus und Patriotismus etwas durch und durch
Chriſtliches. Er muß aber die Entfaltung der nationalen Eigenart zu⸗
gleich als ein Mittel betrachten, den anderen Nationen umſo voll⸗
kommener dienen zu können. Wenn alle Nationen von dieſem Geiſt der
Liebe befeelt wären, dann wäre der Völkerbund das ſelbſtverſtändlichſte
Bild der Welt. Nirgends herrſcht weniger Liebe, als im nationalen
und internationalen Leben. Da gebietet noch der Geift des heidentums.
Wollen wir unſerem Vaterland wirkliche und bleibende Dienſte lei⸗
fen, dann muß unſer politiſches Denken und Handeln von der Liebe,
nicht bloß von der Gerechtigkeit getragen ſein. Wären wir alle voll⸗
bewußte Rinder der katholiſchen ktirche, dann könnte auch unſer po⸗
litiſches Denken nicht anders als katholiſch fein. Hatholiſchſein aber
12°
—
188
heißt: in und aus der Liebe leben. Pax Christi in regno Christi,
„der Friede Chrifti im Reiche Chriſti“, das hat unſer jetziger Heiliger Dater
zu feinem Regierungsprogramm gemacht. Friede ift der Ausfluß der
Liebe, und Liebe bildet die Seele des Reiches Chriſti. Caſſen wir unfer
fittliches Derhalten im nationalen und internationalen Leben von diefen
Grundſätzen beftimmen, dann wird Friede, weil Liebe die Dölker unter:
einander verbindet. Nur von der katholiſchen kirche kann die Welt:
erneuerung ausgehen. Machen wir den Beginn damit! Verwirklichen
wir in uns durch Glauben die Liebe!
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Anrufung der heiligſten Dreifaltigkeit.
(Die neun Matutin-Antiphonen des römiſchen Breviers.)
Adesto, unus Deus omnipotens,
Pater, Filius et Spiritus Sanctus.
Te unum in substantia, Trinitatem
in personis confitemur.
Te semper idem esse, vivere et
Sei zugegen, einziger Gott, allmächtiger
Vater, Sohn und heiliger Geiſt.
Dich bekennen wir als eins in
der Weſenheit, als Dreifaltigkeit in den Per⸗
Dich bekennen wir als immer glei» [fonen.
intelligere profitemur.
Te invocamus, te laudamus,
te adoramus, o beata Trinitas.
Spes nostra, salus nostra, honor
noster, o beata Trinitas.
Libera nos, salva nos, vivi-
fica nos, o beata Trinitas.
Caritas Pater est, gratia Filius,
communicatio Spiritus Sanctus,
o beata Trinitas.
Verax est Pater, veritas Filius,
veritas Spiritus Sanctus,
o beata Trinitas.
Pater et Filius et Spiritus Sanc-
tus [una substantia est],
o beata Trinitas.
ches Sein, beben und Erkennen.
Dich rufen wir an, Dich loben wir,
Dich beten wir an, ſelige Dreifaltigkeit.
Unſere Hoffnung, unſer heil, unſere
Ehre, ſelige Dreifaltigkeit.
Befreie uns, erlöſe uns, belebe
uns, ſelige Dreifaltigkeit.
biebe ift der Dater, Gnade der Sohn,
Semeinſchaft der heilige Geift,
ſelige Dreifaltigkeit. |
Wahrhaftig ift der Dater, Wahrheit
der Sohn, Wahrheit der heilige Seiſt,
ſelige Dreifaltigkeit.
Vater, Sohn und heiliger Geift
[das ift eine Weſenheit!,
ſelige Dreifaltigkeit.
feine, freie Auswahl aus Alkulns „Invocatio ad ss. Trinitatem“ (I. PI 101, 55 A; 11-56 (Ay B; 111-55
B, C, B). Il, 1 umſtellt hier laudamus und adoramus, III, 1 ſagt Filius für Christus (vgl. 2 for. 13, 13:
die klarſte trinitarifche Formel beim Apoftel). III, 3 ſchaltet ein „una substantia“ ein. Die „Invocatio“
lehnt ſich an die dem Calus M. Dictorinus Afer bald zu- bald abgeſprochenen Dreiſaltigkeitshumnen an
(PI 8, 1139 ss.); fie findet ſich wörtlich im Libellus Precum (PI 101, 1409 s.), ſtark benützt in der hin-
reißenden Confessio fidei (ebd. 1027 ss vgl. befonders P. I, cap. 1; 26 und 28), dorther IR aus cap. 30
(1047 A) vielleicht die Magnifikat-Antiphon der zweiten Defper entnommen. (Siehe auch Pl 40, 967 ss.)
% *
— nn
189
Dom goſeph pothier und ſeine Bedeutung
für den gregorianiſchen Choral.
Don P. Dominikus Fohner (Beuron).
er UDolksſchullehrer goſeph Pothier zu Bouzemont im franzöfifchen
bothringen konnte es nicht ahnen, daß fein Sohn Joſeph, der
ihm am 7. Dezember 1835 geboren wurde, einmal die Achtung der
ganzen katholiſchen Welt erlangen werde. Er ſelbſt gab ihm aber
die erſte Dorbereitung für feinen Lebensberuf, indem er den Knaben
bei dem täglichen Hochamt oder Requiem fingen oder doch mitfingen
ließ und ihn fo ſchon früh mit dem damaligen Choral vertraut machte.
Wenn der Choral zu neuem Leben erwachte, oder richtiger, aus den
alten und beſten Handſchriften zu neuem beben und lebendigem Dor-
trag erweckt wurde, fo war das das Derdienft des [päteren Dom
Pothier. Bevor wir jedoch feine muſikaliſche Tätigkeit würdigen, fei
in wenigen Strichen fein Lebenslauf gegeben.
Im Jahre 1858 zum Prieſter geweiht, trat er 1859 in das Bene⸗
diktinerkloſter Solesmes ein, wurde 1893 Prior der Abtei Liguge, 1895
ſolcher der Abtei St. Wandrille, 1898 dort zum Abte geweiht; 1901 mußte
er, von der franzöſiſchen kiloſterſtürmerei vertrieben, in die Verban⸗
nung und fand endlich nach zweimaligem Wechſel zu Conques in Bel⸗
gien einen dauernden Zufluchtsort, wo er auch am 8. Dezember 1923
im hohen Alter von 88 Jahren ſtarb. Seine letzte Ruheſtätte erhielt
er auf dem Friedhofe der Benediktinerabtei Clerf in Duxemburg.
Die lienntniſſe, die ſich J. Pothier in der heimatkirche und im Prieſter⸗
ſeminar erworben hatte, erhielten eine ganz einzigartige Entfaltung, als
er in Solesmes mit dem geiſtesgewaltigen Dom Bueranger zuſammen⸗
traf und von ihm in das tiefere Derftändnis der Liturgie eingeführt
wurde. Das dort aufblühende liturgiſche beben mußte das Verlangen
erwecken, auch die liturgiſchen Gefänge in einer Faſſung zu erhalten,
die auf die alten Quellen zurückging und der Zeit eines hl. Gregor d. Gr.
möglichſt nahe kam. Dieſes Verlangen wurde umſo lebendiger, als
die damaligen Choralausgaben nur allzuweit von dem entfernt waren,
was hiſtoriſcher und äſthetiſcher Sinn fordern mußten. So erhielt Dom
Pothier den Auftrag, an der Herausgabe liturgiſcher Gefangbüdyer
mitzuarbeiten, mit der ſich ſchon früher fein Mitbruder Dom gausions
beſchäftigt hatte. Nun begann ein emſiges Arbeiten. Man beſuchte
verſchiedene Bibliotheken des In⸗ und Auslandes, ſchrieb alte hand⸗
ſchriften ab, verglich ſie miteinander und bemühte ſich, der urſprüng⸗
lichen Cesart möglichſt nahezu kommen. Einige kleinere Arbeiten
190
wurden veröffentlicht. Aber erft nach zwölf Jahren angeſtrengter Arbeit
war das Manufkript für den Liber Gradualis, der die Meßgefänge
enthält, der Hhauptſache nach fertiggeſtellt. Warum kam es nicht zur
Veröffentlichung? Verſchiedene Gründe mögen da mitgeſprochen haben.
Die Freunde der Liturgie werden aber nicht wenig überraſcht fein,
wenn fie hören, daß allem Anſchein nach Dom Bueranger ſelbſt gegen
die Veröffentlichung war, weil er eine Choralausgabe mit verkürzten
Melodien vorzog und, nach dem bisher unwiderrufenen Worte des Dom
Pothier ſehr naheſtehenden Profeſſor A. Saftoue, ne goütait pas
du tout la restitution integrale du chant gregorien!. Zu denken
gibt jedenfalls der Umſtand, daß das Braduale erſt nach dem Tode
Guèrangers erſcheinen konnte.
Ein hindernis war vielleicht auch die 1868 bei Puſtet in Regens⸗
burg erſchienene Choralausgabe, die ſogenannte Medicaea, ein Nach⸗
druck des im 17. gahrhundert in der Druckerei des Kardinals Medici
in Rom hergeſtellten Sraduale. Heute beſteht kein Zweifel mehr dar:
über, daß dieſe Ausgabe die überlieferten Choralmelodien in willkürlicher
Weiſe verkürzt, zu unnatürlichen Gruppen zuſammengezwängt, Wieder:
holungen derſelben Melodie an verſchiedenen Stellen mit unglaublicher
Inkonſequenz behandelt hat, kurz, daß ſie „aus tauſend Wunden
blutet“’. Aber damals lagen die Dinge anders. Die Medicaea glänzte
eine Zeit lange in der Aureole einer Arbeit Paleſtrinas, die ihr aber
die geſchichtliche Forſchung wieder abſprach. Sie wurde vor allem
getragen durch wiederholte Sutheißung von Seiten der Ritenkongre⸗
gation, durch ein dreißigjähriges Druckprivileg und mehrere Erlaſſe
der Päpſte Pius IX. und Leo XIII. Überdies erſchien am 10. April
1883 ein Dekret der Ritenkongregation, das ſich gegen die Richtung
Dom Pothiers ausſprach, und die auf dem Rongreß von Arezzo
(1882)? zu Gunften der traditionellen Wiederherftellung des Chorals
vorgebrachten Wünſche in aller Form verwarf.
Umſo auffallender iſt es, daß im folgenden Monate des ſelben
Jahres der Liber Gradualis des Dom Pothier „für den Gebrauch der
franzöſiſchen Benediktinerkongregation“ im Auftrage des Präſes dieſer
Rongregation und mit dem Imprimi potest des Biſchofs von Tournai
erſcheinen konnte. Während der langen Jahre war Pothier eifrigſt
bemüht geweſen, feine Arbeit nach jeder Seite hin zu vervollkommnen.
In der Tat überragt fie um Turmeshöhe alles, was bisher an Choral⸗
Les questions liturg. 9 (1924) 33. ? Archiv für Muſikwiſſenſchaft 2 (1919) 134.
Über dieſen Kongreß berichteten ausführlich, aber da und dort etwas einfeitig die
Fliegenden Blätter für katholifhe Kirchenmuſtk 17 (1882) 113 ff. und 18 (1883) 12 ff.
191
ausgaben vorhanden war, ſtützte ſich auf die alten, ja älteften Quellen
und berührte ſchon durch ihr Notenbild überaus wohltuend. Welche
Schwierigkeiten zu überwinden waren, welch ein Mut und welche
Tatkraft zur Fertigſtellung dieſer Arbeit erfordert wurde, das hat vor
mehreren Jahren ſchon der damalige P. Raphael Molitor O. S. B.,
nunmehr Abt von St. Jofeph-Gerleve, eingehend dargetan!.
Dem Graduale ließ Dom Pothier in kurzer Zeit eine Reihe anderer
Veröffentlichungen folgen: 1886 das Offizium für die drei letzten Tage
der Karwoche, 1887 das Totenoffizium, 1888 das Process ionale mona-
sticum, im ſelben Jahre die Variae preces, 1891 den Liber Antipho-
narius, der 1897 eine 2. Auflage erhielt, während der Liber Gradualis
ſchon 1895 eine 2. Auflage erlebt hatte. Nur ein Benediktinerfleiß
konnte all dieſen Arbeiten und Mühen gerecht werden, zumal von
gegneriſcher Seite ſchwere Vorwürfe, ja ſogar die Anſchuldigung der
Reßerei erhoben wurden. Aber Pothier ließ ſich nicht verwirren und
nicht abſchrecken. Er wußte, daß er der Wahrheit diente. Und der
Tag blieb nicht aus, an dem alle Welt die Wahrheit feiner Sache
erkennen und der Statthalter Chriſti ſelbſt ihn auf den Veuchter er⸗
heben und ſein Lebenswerk krönen ſollte.
Schon Geo XIII. hat in feinen fpäteren Jahren den Arbeiten Po-
thiers Anerkennung gezollt. Der Liber Gradualis wurde 1889 im
franzöſiſchen Seminar in Rom eingeführt. Der geſuitenpater De Santi
führte ihn im römiſchen Seminar ein und unterrichtete den heiligen
Dater über den wahren Stand der Dinge. Zu dem liturgiſchen und
gregorianiſchen Kongreß anläßlich der 13. gahrhundertfeier der Thron:
beſteigung Gregors d. Gr. 1890 wurde auch Dom Pothier eingeladen
und vernahm am Schluſſe derſelben aus dem Munde des Papſtes deſſen
volle Zufriedenheit darüber, daß der Gefang des hl. Gregor zu feiner
„urfprünglichen Reinheit wieder zurückgeführt worden fei“. Nun war
Hrezzo wieder gutgemacht und erſt recht, als die Ritenkongregation
ihr damaliges Dekret in aller Form wieder zurücknahm. Das Breve
endlich, in dem Leo XIII. am 17. Mai 1901 dem Abte Delatte von
Solesmes rückhaltloſes Lob für die praktiſchen, theoretiſchen und
paläographifchen Arbeiten der Benediktiner ſpendete, war auch eine
offizielle Anerkennung der Arbeiten Pothiers.
Sein Stern begann aber im hellſten Lichte zu leuchten, als Pius X.
am 4. Ruguft 1903 den päpſtlichen Stuhl beſtieg. Das berühmte
Motu proprio vom 22. November 1903, der Rechtskoder der Rirdyen-
muſik, ſetzte auch den traditionellen Choral wieder in ſeine Rechte ein.
ghiſtoriſch⸗ politiſche Blätter 1905 I 827 ff.
192
Dom Pothier hatte allen Grund, dem heiligen Dater in einem eigenen
Schreiben dafür zu danken. Zugleich bot er ihm feine Dienſte an,
die vom Papſt in dem Breve vom 14. Februar 1904 dankbar ange⸗
nommen wurden, weil Dom Pothier über ungewöhnliche liturgiſche
ktenntniſſe verfüge und um den Choralgeſang ſich in leuchtender Weiſe
verdient gemacht habe. Vorher ſchon hatte ein Dekret der Ritenkon-
gregation vom 8. Januar 1904 die der Medicaea bewilligten Vorrechte
zurückgenommen, während ein Dekret derſelben fongregation vom
24. Februar 1904 die von den Benediktinern von Solesmes heraus⸗
gegebenen Choralbücher anerkannte. Seine eigentliche Weihe erhielt
der traditionelle Choral bei der Papſtmeſſe am 11. April 1904, bei
der er durch 1200 Seminariſten und Ordensleute Roms zum Vortrag
kam. mit Recht bemerkt dazu Dom Mocquereau in dem Nach⸗
ruf, den er feinem Lehrer Dom Pothier in der Revue gregorienne
9 (1924) 5. 34ff. widmet, in dem auch alle auf deſſen beben und
Wirken bezüglichen Daten überſichtlich zuſammengeſtellt ſind, „wer
hätte noch vor wenigen Jahren an eine ſolche Feier auch nur denken
können?“ Wie muß Dom Pothier an dieſem Tage aufgejubelt haben,
als die vor allem durch feine Bemühungen zur urfprünglichen Rein⸗
heit zurückgeführten Choralgeſänge durch die Hallen von St. Peter
klangen, fo wie fie wohl zu den Zeiten des heiligen Papſtes Gregor d. Gr.
geſungen worden waren. Vierzehn Tage darauf, am 25. April 1904,
verkündete ein Motu proprio den Entſchluß Pius X., eine neue Choral⸗
ausgabe zu veranſtalten, und ernannte zu dieſem Zwecke eine eigene
kiommiſſion, deren Vorſitz Dom Pothier übertragen wurde. Es tauchte
nun der Dorfhlag auf, man ſolle in der ganzen katholiſchen Kirche
die Choralbücher der Benediktiner etwa fünzig Jahre lang in Gebrauch
nehmen, unterdeſſen würde man in Solesmes das geſamte Quellen
material nochmals auf das gewiſſenhafteſte durcharbeiten und dann,
den älteſten Hhandſchriften folgend, eine Lesart herſtellen, die auch der
ſtrengſten paläographiſchen und philologifchen Rritik gewachſen wäre.
Der Vorſchlag hatte manches für ſich. Denn das Quellenmaterial war
infolge der ausgedehnten und ſyſtematiſchen Studien und Reifen der
Benediktiner von Solesmes ganz gewaltig angewachſen und von paläo⸗
graphiſch geſchulten Kräften nach einer ſtrengen Methode geſichtet und
geordnet worden. Faſt jede Neume hatte ihre befondere Tabelle nach
den Handſchriften aller Jahrhunderte und aller Länder. Aurz, ein
kritiſcher Apparat! ftand zur Verfügung, der alles übertraf, was
gl. darüber: Die Benediktiner von Solesmes und ihre Arbeiten zur Wiederher ·
ſtellung des traditionellen gregorianiſchen Chorals. Gregoriusblatt 29 (1904) 95 ff.
193
Dom Pothier bisher hatte verwerten können, und da und dort zeigte
es ih, daß die Abſchriften von Manufkripten, die einige feiner Mit⸗
arbeiter angefertigt hatten, nicht immer ganz zuverläſſig waren. Es
ſei hier auch nicht verſchwiegen, daß er mehr Aünftler als Archäologe
war. Gewiß war fein Meal die Rückkehr zu den alten Quellen. Aber
er wollte ſich doch die Freiheit waren, in ſtrittigen Fällen oder auch
nur bei gewiſſen melodiſchen Härten einer ſangbareren Lesart den
Vorzug geben zu dürfen. Streng wiſſenſchaftliche Methode war gerade
nicht feine Hauptſtärke. 50 hatte obiger Vorſchlag manches für ſich.
Er ſchloß aber auch die Sefahr in ſich, daß die gerade mächtig ein⸗
ſetzende Choralbewegung während des 50⸗jährigen „Moratoriums“
wieder verebben werde. Leider ergab ſich nun eine Spannung mit
unerquicklichen Auswirkungen. Auf der einen Seite ſtanden die Archäo⸗
logen, von Dom Mocquereau geführt, die unbedingt überall die älteſte
besart herſtellen wollten und auch die Erklärungen Pius X. ganz in
dieſem Sinne deuten zu müſſen glaubten !. Auf der andern Seite wollten
die Traditionaliften unter Dom Pothier den Choral auch nach den alten
handſchriften herſtellen, da es ſich aber um eine praktiſchen Zwecken
dienende Ausgabe handle, dürfe man auch eine jüngere Lesart vor⸗
ziehen, wenn dieſe eine wirkliche Derbefferung bringe. Der Streit
innerhalb der päpſtlichen Choralkommiſſion wurde immer heftiger.
Schließlich appellierte man an den heiligen Stuhl. Die Antwort vom
24. Juni 1905 ſprach ſich gegen die extrem archäologiſche Auffaſſung
aus, übertrug die Redaktion der Datikanifchen Choralausgabe dem
bisherigen Präſidenten der päpſtichen Choralkommiſſion, Dom Pothier,
und erweiterte deſſen Befugniſſe. Dieſer überfiedelte nun nach Rom.
8o ehrenvoll der neue Auftrag für ihn war, fo bedeutete er doch die
tatſächliche Auflöfung der Choralkommiſſion. Die ganze Arbeit laſtete
nun auf den Schultern Pothiers und ganz weniger Mitarbeiter, unter
denen der tatkräftige Dom L. David genannt zu werden verdient.
Unter dieſem Zwiefpalt war ein ganz freudiges Schaffen nicht möglich.
Aber auch jetzt wieder bewährte Dom Pothier feine Ausdauer, die
vor keiner Schwierigkeit zurückſchreckte. Am 12. März 1908, am Feſt
des hl. Gregor d. Gr., konnte er das fertiggeftellte Datikanifche Gra⸗
duale dem heiligen Vater überreichen, der fofort aus ihm einen In⸗
troftus vorſang. Am 8. Dezember 1912 erhielt das Antiphonale die
Beſtätigung der Ritenkongregation. Vorher ſchon waren das Toten-
offizium (1909) und der Cantorinus mit der Pſalmodie (1911) er:
ſchienen. Dom Pothier hatte auch die Gefänge für die karwoche ſchon
8. Rassegna gregoriana. 4 (1905) Sp. 289 ff.
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vorbereitet, hatte fie auch drucken laſſen. Aber zur Veröffentlichung
kam es nicht. Was war geſchehen? Gewiß hat der greife, aber un⸗
ermüdliche Arbeiter dieſe Entſcheidung ſchmerzlich empfunden, und
noch mehr mußte es ihn ſchmerzen, als er ſah, daß nun ſeine Arbeit
für beendigt angeſehen wurde, und eine neue Choralkommiſſion zur
Fortſetzung der Vaticana unter dem Vorſitze des Abtes Ferretti ernannt
wurde. 50 mußte er mit feinen Mitarbeitern im Jahre 1912 Rom
verlaſſen und zog ſich in ſeine Abtei Conques in Belgien zurück. Er
befaß Seelengröße genug, um dieſe Enttäuſchung mit männlichem mute
zu tragen. Das im Jahre 1922 erſchienene Offizium für die Karwoche
und Oſterwoche mit feinem archaiſtiſchen Gepräge zeigt, daß die Grund⸗
ſätze für die Redaktion der Daticana ſich etwas verändert hatten. Der
Hiſtoriker wird dies nicht bedauern, dem hochverdienten Choralforſcher
hätte man aber von Herzen einen ſchöneren Lebensabend gegönnt, der
überdies noch durch die Schrecken des Krieges geſtört wurde.
Die Wiederherſtellung der alten Melodien bleibt das Hauptverdienſt
Dom Pothiers. Seine Forſchungen gaben ihm aber auch das Recht,
als Gehrer der Geſchichte des Chorals und vor allem des Dortrages
des Chorals aufzutreten. Wie wenig wußte man doch davon, als er
nach Solesmes kam! Entweder ſang man Pfundnoten in ſchwerfällig⸗
ſter Form oder hämmerte doch jede Note ohne einen Gedanken an
begato oder Phrafierung, oder man haſpelte die Noten herunter in
überſtürzter Art und man ſchien ganz vergeſſen zu haben, daß der
Choral Gebet iſt und als Gebet vorgetragen werden ſoll. Gerade das
betztere hat Dom Pothier vor allem in der Schule St. Benedikts er⸗
lernt und dieſen Geiſt all feinen Schriften und auch all feinen Zuhörern
einzuhauchen verſtanden. Er war kein Redner von Gottes Gnaden,
er konnte nicht zündend wirken, aber ſeine Worte kamen wie ſanfter,
warmer Regen und waren von nachhaltiger Wirkung. In Solesmes
hatte er Jahre lang die Aufgabe, die Novizen in den Choralgeſang
einzuführen. Unter dieſen befand ſich auch der nachmalige Abt Bene⸗
dikt Sauter von Emaus. Er hat mit feinem formvollendeten Dor-
trag und feinem Büchlein „Choral und Liturgie“, das in den ſechziger
Jahren (1865) erſchien, und unter dem Titel „Der liturgiſche Choral“
1903 neu aufgelegt wurde, feinem Mleifter Ehre gemacht. Beuron
freut fi, ihnen beiden an dieſer Stelle für all ihre Anregungen und
die Einführung und Einfühlung in den Choral öffentlich Dank fagen
zu dürfen und ſich als gelehrigen Schüler beider zu bekennen.
Die Früchte feiner Studien hat Dom Pothier zuſammenfaſſend nieder:
gelegt in feinem Werke Les melodies gregoriennes, das 1880 bei Desclee
195
in Tournai erſchien. 50 gediegen, fo klar und warm hatte bisher noch
niemand über den Choral und ſeinen Vortrag geſchrieben. Kein Wun⸗
der, daß das Buch damals berechtigtes Auffehen erregte und bis heute
noch an ſeinem Werte nichts eingebüßt hat, wenn auch die Forſchungen
der letzten Jahrzehnte in untergeordneten Punkten einige nderungen
wünſchenswert machen. P. Ambroſius Rienle hat ihm ſeinerzeit
eine ausführliche Würdigung zuteil werden laſſen und im Anſchluſſe
daran auch andere kleinere hiſtoriſch⸗kritiſche Aufſätze des Derfaffers
beſprochen. Beſonderer Dank gebührt dem ehemaligen Beuroner Ran:
tor aber dafür, daß er das Werk ſelber in fließender Überſetzung auch
dem deutſchen Leferkreife zugänglich gemacht hat unter dem Titel:
„Der gregorianiſche Choral, feine urſprüngliche Geſtalt und geſchicht⸗
liche Überlieferung“ (Tournai 1881, Desclöe).
Don der literariſchen Fruchtbarkeit Dom Pothiers zeugen ſodann
die zahlreichen Artikel, die er in der Revue du chant grégorien ver-
öffentlicht hat. Faſt von deren erſten Anfängen (1892) bis in die letzten
gahre hinein erſchien kaum eine Nummer, die nicht einen Nufſatz aus
feiner Feder gebracht hätte. Das abſichtliche Vermeiden eines ſtreng
wiſſenſchaftlichen Tones und die geruhſame Breite, mit der er zu er⸗
zählen verſteht, hat etwas Wohltuendes; da und dort nimmt man
auch einige Wiederholungen gerne in kauf. Eines aber atmen alle
dieſe Artikel: eine große Ehrfurcht vor den heiligen Gefängen und
echt liturgiſchen Bebetsgeift. häufig kommt Dom Pothier auf den
Rhuthmus des Chorals zu ſprechen. Dieſer iſt nach ihm der ora⸗
toriſche Rhythmus und wird durch die Akzentuierung und Phrafierung
des Textes beſtimmt. Bei ſullabiſchen Befängen, die über jeder Silbe
nur eine, ſelten zwei bis drei Noten tragen, iſt die Regel leicht an⸗
wendbar. Nicht ſo bei reicheren Befängen. Und doch ſchreibt Pothier':
„Bei reicheren Befängen find es wieder die Worte, die immer noch
die Ordnung des Rhuthmus beſtimmen. Bei den neumenreichen Stellen
ahmt die Gruppierung der Tleumen jene der Worte nach und erſetzt fie.“
In dieſer Auffaffung konnten ihm viele nicht mehr folgen. Vor allem
war es auch hier wieder fein Mitbruder Dom Mocquereau, der in
verſchiedenen Artikeln und Schriften und beſonders in der von ihm be⸗
gründeten Pal&ographie musicale entſchieden anderer Meinung iſt. Man
ſprach ſogar von zwei Schulen, von Alt⸗Solesmes und Neu-Solesmes.
Begen dieſe Unterſcheidung legten beide Parteien Derwahrung ein? und
Vierteljahrſchrift für Muſikwiſſenſchaft I (1885) 238 ff. Revue du chant gre-
gorıen 17 (1909) 186. ? Rassegna gregoriana 8 (1909) 434 ff. und Revue du
Chant gregorien 17 (1909) 193.
196
fagten, es handle ſich nur um unbedeutende Schattierungen im Dor:
trag. Derfolgt man aber die Artikel in den Zeitſchriften beider Nich⸗
tungen, in der Revue du chant gregorien (Dom Pothier) und in der
Revue gregorienne (Dom Mocquereau), fo ift man leider genötigt, da
und dort von Schatten, nicht bloßen Schattierungen zu reden.
Dem Choralforſcher und Choraltheoretiker ſteht der Choralkom⸗
poniſt ebenbürtig zur Seite. Seine Cantus Mariales (1903), auch einige
Stücke der Variae Preces haben die Lebenskraft des alten Chorals
von neuem erwiefen. Sie fingen ſich ein ins Herz und ſtimmen zu freu:
diger Marienverehrung. mit Recht rühmt an ihnen Abt Raphael
Molitor „ein feines rhuthmiſches Gefühl und ein ausgeſprochenes
Talent für geſangvolle, weiche und innig fromme Melodien.“
Vielleicht iſt aber eine andere Gabe noch höher einzuſchätzen, nämlich
der Feinfinn für Anpaſſung alter Melodien an die Texte neuerer Feſte
oder von Proprien verſchiedener Diözefen und Orden. Bisweilen ſchelnt
die Anpaſſung das Original zu übertreffen. Es ſei nur erinnert an
die Digilie des Feſtes Mariä Empfängnis und an die Feſtmeſſe ſelbſt.
Die Gottesmutter hat ihren Sänger dafür wohl beſonders belohnen
wollen. Am Digiltage ihres Feſtes ift Pothier in dieſes Leben ein-
getreten. Am Feſte der Immaculata hat er dieſes Geben verlaffen
und hat — fo hoffen wir — nun den Lohn empfangen für fein uner⸗
müdliches, an Opfern reiches, aber immer opferfreudiges Schaffen im
Dienſte Sottes. Nun darf er wohl ſchon im himmliſchen geruſalem
den Liedern lauſchen, die dem könige erklingen, dem fein ganzes
beben geweiht war.
Andere ſind in ſeine Arbeiten eingetreten. Aber er verdient den
namen, den auch Pius XI. ihm in dem Beileidstelegramm an die
Abtei gegeben, der er Jahre lang ein treuer Hirte und Vater geweſen:
Er iſt der Wiederherſteller des gregorianiſchen Chorals.
0 0 neee. „ „-
een eee ee e eee eee eee ee eee ee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee ee tee eee eee tee e eee e eee ee eee eee eee DOOR „ee
Wege zum Choral.
(Hach „Choral und Liturgie” Rap. 6: Unde regeneratio?)
m Choral fingen zu können, braucht man mufikalifches Gehör,
einige techniſche kenntnis und Übung, vornehmlich aber Fröm-
migkeit und geſunden Sinn. Um gut Choral ſingen zu können, muß
man das Genannte in erhöhtem Grade beſitzen und überdies Latein
verſtehen und Sinn haben für die kirchliche Liturgie. Um endlich voll:
kommen Choral ſingen zu können, bedarf man zu alledem perſönlicher
Heiligkeit; denn der Choral ſtammt von heiligen und iſt ſelbſt ein
heiliger Gefang, ſowie eine umbildende Macht, die zur Heiligkeit führt. |
* 197
Eine Romfahrt vor bald 25 gahren.
Reiſeerrinnerungen von Abt Plazidus Blogger (Augsburg.)
IJ.
ls junges Paterchen, friſch vom letzten philologiſchen Examen weg,
noch ohne Areuz und ohne Sorgen, durfte ich anno 1900 mit einer
illuſtren, aber auch ſehr luſtigen Reiſegeſellſchaft zur Einweihung von
St. Anſelmo das erſte Mal im Leben nach der ewigen Stadt fahren.
Seitdem habe ich die Siebenhügelſtadt nicht wieder geſehen und da
ich nicht weiß, ob dies je wieder der Fall ſein wird, mache ich beim
herannahen des doppelten gubeljahres 1925 nochmals die Reife im
Beifte. Ich will mich hüten, allgemein Bekanntes zu wiederholen und
H. de Waals Rompilger auszuſchreiben; nur perſönlich Erlebtes und
manche Kleinigkeiten, die anderswo nicht aufgezeichnet ſind, möchte
ich hier berichten.
Don unſerer fechsköpfigen Reiſegeſellſchaft find nur mehr zwei am
beben: der hochwürdigſte Herr Biſchof Dr. Leo v. Mergel von Eich⸗
ſtätt, damals Abt von Reiten, und eben der Schreiber. Alle übrigen
haben ſchon die große Reiſe in die ewige Stadt da oben hinter ſich;
ja einer, P. Gregor Meyer, Subprior von Metten, machte fie noch
vor Antritt unferer Fahrt ad limina Apostolorum. Als wir nämlich
an der Digil von Simon und Juda (27. Oktober 1900) im Münchner
hauptbahnhof eingeſtiegen waren, traf den bereits im 64. Lebensjahre
ſtehenden Mitbruder noch vor Abgang des Zuges im Wagenabteil ein
Schlaganfall, ſo daß ihm das Rundreiſebillett buchſtäblich aus der
hand fiel und er, vorher noch mit der absolutio in extremis verſehen,
tot zurückgelaſſen werden mußte. Die anderen Teilnehmer an der
Romfahrt waren mein eigener Abt Dr. Eugen Bebele von St. Stephan
und Präſes der Bayerifchen Benediktinerkongregation, Abt Rupert III.
Meßenleitner von Scheyern und fein Begleiter P. Martin Jof. Nignherr.
Die zwei letzteren trafen erſt am 29. Oktober in Bozen zu uns, wo wir
im nahen Gries inzwiſchen die überaus herzliche Gaſtfreundſchaft des
verſtorbenen „Bnädigen herrn“ Ambrofiusll. Steinegger genoffen hatten.
Dann gings vorüber an Padua, dem wir erſt am Rückweg einen kurzen
Beſuch abftatteten, hin zur alten Gagunenftadt, die uns merkwürdige
Begenfäße bot: die prächtige goldene Stiege im Dogenpalaſt und die
düſteren Kerker der Pozzi, die herrlichen Chorſtühle in 8. Giorgio
maggiore (Wahlort Pius VII.) und die wahrhaft apoſtoliſche Armut
der dortigen Mitbrüder. Einen alten Bekannten ſahen wir, ohne es
zu ahnen, zum letzten Mal, den Blockenturm von 8. Marco; er ift
inzwiſchen wie fo manches Alte eingeſtürzt, aber mit feinem Wieder-
aufbau ging es etwas raſcher als mit dem jetzigen europäiſchen
„Wiederaufbau“. Am 30. Oktober gegen Mittag fagten wir Denedig
bebewohl und fuhren per Lagunen⸗Droſchke, will ſagen in einer Gondel,
zum Bahnhof. Obwohl der Bondelführer uns aufforderte, es ſolle ſich
einer auf den Stuhl inmitten der Gondel ſetzen, „damit die barca beſſer
gehe“, wollte ſich keiner dieſem ſehr verdächtigen Ausftattungsftück
193
anvertrauen; denn auf der Binfahrt hatte fi herr Abt von Metten
auf einen ähnlichen Stuhl geſetzt, nicht ahnend, daß er — wie vielleicht
noch mancher Nachfolger — als Schadenerſatz „für Jerbrechen des
Stuhles“ eine Lira zu zahlen haben würde. Erſt nach Mitternacht
kamen wir an der Station Goretto an. In zwei offenen Wagen mit
grobleinenen Sardinen zogen uns geduldige Mauleſelein den heiligen
Berg hinan. Nach kurzer Nachtruhe hatten wir das Glück, in der
»Casa santa« das heilige Opfer feiern zu dürfen. Ein italieniſcher
Pilger fragte mich da, auf das Sitter an der Rückwand deutend, ob
hier der heilige Erzengel Gabriel hereingekommen ſei. Sein Gewiſſen
und das meinige ſchonend antwortete ich, ich ſei fremd und könne
es nicht ſagen. Indeſſen hat uns alle das Geheimnis der Menſch⸗
werdung, das hier ſo hoch verehrt wird, und das Bewußtſein, daß
Tauſende hier ſchon Erhörung gefunden, tief ergriffen und zu ver⸗
trauensvollem Gebete angeſpornt. In der deutſchen Kapelle, die eben
von Profeſſor Dudwig Seitz herrlich ausgemalt wurde, war alles noch
voll Gerüſte. Nachmittags nach 4 Uhr befanden wir uns bereits an
einem anderen, nicht minder berühmten Heiligtum, in Aſſiſi. Eben
läuteten die Glocken das morgige Allerheiligenfeſt ein. Wie ein zweites
nazareih lag das Städtlein oben am Berghang; der ganze Zauber
natürlicher und übernatürlicher Schönheit ſchien über ihm ausgegoſſen.
Die Eindrücke, die ich im lieblichen Portiunkulakirchlein, am Grabe
meines heiligen Taufpatrons, in 5. Francesco, und abends beim Mond⸗
ſchein im ehemaligen Klöſterlein der hl. klara, in 8. Damiano emp:
fangen, wirken bis heute noch nach. Trotz aller Poeſie fehlte es
indeſſen nicht an Proſa. Da die herren Hbte ihre Bruſtkreuze immer
offen auf der Straße trugen, hielt faſt buchſtäblich jeder Dorübergehende
die hände bettelnd entgegen. Der Allerſeelentag brachte uns endlich
gegen 3 Uhr nachmittags in die ewige Stadt, wo uns zwei Fiaker, die
ſich trotz Überforderung noch die »salita ardita« (den „ſteilen Anſtieg“)
eigens honorieren ließen, glücklich hinaufbeförderten nach St. Anſelmo.
II
Gott lohne es dem ſeligen Abtprimas Hildebrand von Bemptinne
noch im Grabe, daß er feinen Mitbrüdern ein fo prächtiges Heim
auf einem der ſchönſten Punkte der Roma eterna errichtet hat! Heißen
Dank dem großen Papft Deo XIII., welcher der freigebige und weit:
blickende Förderer und Bönner dieſes Werkes war! Dem großzügigen
Plan der Bauanlage, der vom ſeligen Primas ſelbſt entworfen war,
entſprach der großzügige Geift im Innern, den alle Säſte von nah
und fern bewundern lernten, wenn auch nicht alle von Anfang an
davon überzeugt zu ſein ſchienen. Denn manche Mitbrüder hatten
ſich draußen in der Stadt Quartier geſucht, um nicht, wie ſie meinten,
in St. Anfelmo zu ſehr eingeengt zu fein. Die Ärmften! Wir haben
ſie herzlich, aber brüderlich ausgelacht, weil ſie immer den weiten Weg
zum Aventin zurücklegen mußten und obendrein ihre Furcht völlig
unbegründet war. mit dem klaren Blick des ehemaligen Offiziers,
deſſen Sporen zuweilen unter dem Habit noch zu klirren ſchienen, hatte
199
der Abtprimas richtig erkannt, daß die Hbte von allen Teilen des
Erökreifes zuſammengekommen waren, um ſich gegenfeitig kennen
zu lernen und auszuſprechen. So bot er alles auf, ihnen den Auf
enthalt in St. Anfelmo möglichſt angenehm und heimiſch zu machen.
Selbſt die Küche war international, ſo daß auch hier keiner zu große
Opfer bringen mußte. Gelegenheit zur Nusſprache gab es in Fülle,
fogar bei Tiſch, wo mittags und abends vom Schweigegebot diſpenſtert
wurde. In den Unterhaltungsſtunden ging es ſehr heiter und ge⸗
mütlich zu, und man darf ohne Übertreibung ſagen, daß ſich die vielen
Söhne des hl. Benedikt, die von allen Richtungen der Windroſe hieher
geeilt waren, in St. Ainfelm trotz der Derfchiedenheit der Satzungen,
der Nationalität und der Sprache als Glieder einer einzigen großen
Familie fühlten und zuſammenfanden.
Der erſte Morgen (3. Nov.) in Rom war außer dem ſchlechten Wetter
für mich noch beſonders unfreundlich. Die Tücken des römiſches Klimas
nicht kennend hatte ich mich erkältet und mußte ſtatt an den Altar ins
Bett. Als Entſchädigung bekam ich aber die Wohltat einer überaus
aufmerkſamen £irankenpflege zu koſten, was auf der Reife doppelt
wertvoll iſt. Dem freundlichen Bruder Krankenwärter und dem nimmer:
müden Gaſtmeiſter (beide von Beuron) heute noch ein herzliches „Der:
gelt's Bott“! Die Herren übte machten an diefem Tage bei Regen und
Wind einen Beſuch in Trefontane, der Marterſtätte des Dölkerapoftels,
und brachten mir von den dortigen Trappiſten in liebens würdiger Weiſe
ein Gläschen Eukalyptusgeift mit. Am Tage danach (Sonntag, 4. Nov.)
— post hoc, non propter hoc — konnte ich die Keiſegeſellſchaft
bereits nach St. Paul „außerhalb der Mauern“ begleiten, wo wir zu⸗
gleich die für die Gewinnung des Jubelablaffes vorgeſchriebenen Kirchen⸗
deſuche begannen. Der freundliche damalige Abt⸗ Ordinarius Bonifaz
Oslaender zeigte uns in eigener Perſon die konſtantiniſche Inſchrift,
welche das Grab des Apoftels unter dem Hochaltare deckt: PAVLO
APOSTOLO MART. Das ſchönſte und längſte Cobgedicht könnte
nicht ſo gewaltig wirken wie dieſe drei wahrhaft klaſſiſchen Worte
in ihrer wuchtigen Einfachheit: Dem Apoftel Paulus, dem Mlartyrer.
Vas die Inſchrift verſchweigt, ergänzt die einzigartige Baſilika mit
ihren rieſigen Raumverhältniſſen und ihrer glorreichen Geſchichte. Glück⸗
liche Mitbrüder, die zu Hütern eines ſolchen Heiligtums beftellt find!
III.
Die Tage, die uns bis zur Einweihung von St. Anfelmo (11. Nov.)
noch frei blieben, benützten wir zu einer Fahrt nach Süden.
Montag 5. Nov. brachte uns die Bahn nach der Station kaſſino. Das
gleichnamige Städtchen (einſt „San Germano“) und der Berg, der hinter
ihm anſteigt, waren in dichten Nebel gehüllt. Doch als unfer Fuhr⸗
werk über die hälfte des Berges hinter ſich hatte, bot ſich uns ein
unvergeßliches Schaufpiel: Unter uns lag in einem Meer von weißen
nebelwolken die Stadt, durch die wir ſoeben gefahren waren, ober
uns lachte der italieniſche himmel mit ſeinem entzückenden Blau, aus
dem uns droben vom Berge herab das Erzkloſter unſeres Ordens
200
entgegengrüßte. Treffender hätte kein Maler den Segenſatz zwiſchen
Weltleben und Kloſterleben darſtellen können. Da der damalige Erzabt
Bonifaz Maria frug eben auf einer Sammelreiſe für das »Soccorpoe,
die Unterkirche, in Amerika weilte, empfing uns der gelehrte Prior
Ambroſius Amelli (jetzt Abt von St. Maria in Florenz) aufs herzlichſte.
Er gab uns den eben dort weilenden Hltmeiſter der Beuroner Kunſt⸗
ſchule, P. Defiderius enz, zum Führer, welcher uns auch die intereſ⸗
ſanten Pläne zur Husſchmückung des Grabes unferes heiligen Ordens⸗
vaters (»Soccorpo«) zeigte. Im altehrwürdigen Turm aus St. Benedikts
Zeit (» Torretta⸗), wo wir am nächſten Morgen das heilige Opfer
feiern durften, feſſelte mich ungemein das Antlitz des fterbenden hei⸗
ligen. Die ganze Schönheit des hrechenden Auges habe ich weder vor⸗
noch nachher auf irgend einer Reproduktion ſo wiedergegeben gefunden,
wie fie dort im Original ſich darbot. Dom berühmten Arkadenkreuzgang
(dem »Paradiso«) vor der Kirche konnte ich am Abend die ſtille Pracht
des ſüdlichen Himmels bewundern, der ſich in dieſer Weltabgeſchieden⸗
heit über dem Kloſter und der dahinter liegenden Bergwildnis wölbte.
Ich weiß nicht, war es Wirklichkeit oder nur ein Gebilde meiner durch
die geſchichtlichen Erinnerungen beeinflußten Phantaſie: mir ſchien es,
als ob da oben die Sterne doppelt ſo groß und doppelt ſo nah wären
als bei uns. Mit dem geiftigen Auge habe ich ſicher recht geſehen.—
Weil wir ſo bequem den Berg heraufgefahren waren, mußten wir
zur Buße den Abftieg auf der, Eſelsſtraße“ wagen, die ſich an Holperig⸗
keit kaum übertreffen läßt; wenigſtens war es damals ſo. Don den
bunten Bildern, die uns dann Neapel und ſeine Umgebung bot, will
ich nur Weniges berichten. Dom Belvedere des ehemaligen kiartäuſer⸗
kloſters San Martino aus konnten wir beſtätigen, daß das Schiffer⸗
lied »Santa Lucia« nicht übertreibt, wenn es ſingt: Dove sorrider
volle il creato, „Wo der Schöpfer ſein Lächeln zeigen wollte“. Aller⸗
dings ragt in dieſes Paradies die ernfte Geftalt des UDeſuv herein, der
gerade damals „keinen uten“ rauchte, weshalb wir darauf verzich⸗
teten, dem Herrn einen ſpeziellen Beſuch abzuſtatten. Wir begnügten
uns, fein Jerſtörungs- und Erhaltungswerk in Pompei zu betrachten.
Obwohl am Eingange in die Ruinenſtadt groß angeſchrieben war,
daß es dem ſtaatlichen Auffeher unter Strafe der Entlaſſung verboten
fei, Trinkgelder anzunehmen, und obwohl es auf jedes Eintrittsbillett
noch eigens gedruckt und im Reiſehandbuch zu leſen war, ſpielte ich
den ungläubigen Thomas. Wir hatten auch kaum die Rampe paſſiert,
als ein weißgekleideter „Custode“ mit dem Säbel an der Seite ſich
uns vorſtellte und uns ſagte, er habe die Fremden zu führen und zu
ſchützen. „Daß ich die Herren führe, iſt meine Pflicht; ob ich ſie raſch
und gut führe, ift meine Sache.“ »Capisco« war die Antwort. „Wir
verſtehen Sie.“ Weil er Wort hielt, bekam er gerne am Schluß einige
„maccheroni für feine kinder“. Durch das Binterpförtchen, zu welchem
er uns hinausließ, gelangten wir auf kürzeſtem Wege zum ſüdlichſten
Punkt unferer Reife, zu dem in neueſter Zeit fo berühmt gewordenen
Heiligtum U. 0. F. von Valle di Pompei, der wir unfere kindliche hul⸗
digung darbrachten. — Wie ein ſchreiender Gegenſatz zur herrlichen
201
Natur und Runft erſchien in Neapel die Bevölkerung ſchmutzig, zer⸗
lumpt, lärmend, trinkgeldſüchtig und diebiſch. Das hat uns vielfach
den reinen Genuß verdorben. Inzwiſchen habe ich allerdings mein
damaliges hartes Urteil ziemlich gemildert und das reiche Gemüts⸗
leben, den ſprudelnden Humor und die rührende Genügfamkeit der
Neapolitaner beſſer ſchätzen gelernt.
IV
Mitwoch 7. November abends / 9 Uhr waren wir wieder in Rom.
Am nächſten Tage durften wir in einer öffentlichen Nudienz bei
St. Peter zum erſtenmal den Heiligen Dater ſehen. Monſignore Nagel,
der damalige freundliche Rektor der Anima und ſpätere Kardinal⸗
erzbiſchof von Wien, hatte uns dazu Karten verſchafft. Obwohl die
Audienz auf „ 12 angefagt war, fanden wir uns ſchon um 10 Uhr
ein, um Platz zu bekommen, mußten aber bis 121, Uhr warten.
beider glich der Petersdom während dieſer Zeit mehr einem Konzert-
faal als einem Gotteshaus, und als endlich der Stellvertreter Chrifti,
eine ehrwürdige Greiſengeſtalt, faſt eine Wachsfigur, hereingetragen
wurde, da vergaßen die (meift italienifchen) Pilger ganz, daß fie in
der Kirche waren. »Evviva il Papa-Re« tönte es wie aus einem
Munde; die Menge fiel auf die Anie, viele weinten vor Freude. —
Don den Wanderungen zu den Mufeen und heiligen Orten der Sieben⸗
hügelſtadt will ich ſchweigen; denn dieſe Eindrücke gehören zum Ge=
meingut aller Rompilger und ſind ſchon oft geſchildert worden. Nur
von dem, was man bloß einmal erleben kann, will ich reden: von
der Einweihung des großen internationalen Rollegs unſeres Ordens,
von St. Anfelmo und den damit zuſammenhängenden Veranſtaltungen.
Der Name Deos XIII. wird für immer mit der Geſchichte des knſel⸗
mianums verknüpft bleiben. Der große Papft war fein geiſtiger Vater.
deshalb wollte er auch am Ehrentag des Kollegs dieſem einen ganz
beſonderen Erweis feiner huld und Liebe zukommen laſſen, indem
er feinen Staatsſekretär Rardinal Rampolla ſandte und ihn bevoll⸗
mächtigte, eine »Missa papalis- zu halten. Den Kardinal hatte ich
mir als ſelbſtbewußten, ſtramm auftretenden römiſchen Prälaten vor⸗
geſtellt. Wie war ich enttäuſcht, als am Dorabend der ktirchweihe
(Samstag 10. Nov.) nachmittags 4 Uhr zur „Beſichtigung“ (recognitio)
der heiligen Reliquien eine hohe, edle Geſtalt erſchien, die in ihren
noch faſt jugendlichen Zügen ganz das Bepräge der Milde und Er⸗
gebung trug, ja beinahe einen Stich ins Müde hatte. Als es mir am
12. November vergönnt war, den lebhaften geiſtvollen Greis Papſt
beo XIII. aus der Nähe zu ſehen, der einen Einfchlag von Geſchäf⸗
tigkeit hatte, da wurde mir klar, daß die — namentlich in einem Teil
der deutſchen Preſſe — gegen „Rampolla“ geſchleuderten Dorwürfe wohl
weniger auf den kiardinal als auf feinen Herrn und Meiſter gemünzt
waren. Als ich vollends hörte, der Kardinal führe ein ſehr innerliches
beben und habe vom heiligen Vater das Privileg des hl. Philipp Neri
erhalten, die Privatmeſſe nach der heiligen Wandlung bis zu einer
Stunde auszudehnen, um ungeſtört mit dem euchariſtiſchen Heiland
Benediktiniſche Monatfchrift VI (1924), 5—6. 13
202
reden zu können, da verehrte ich ihn im ſtillen als einen werdenden
»Santo«. Dieſe Dorftellung wurde gerechtfertigt und ergänzt durch
die ſpäteren Ereigniſſe. Die Tiara war Rampolla 1903 trotz des öfter-
reichiſchen Detos ſicher, doch demütig lehnte er fie aus freien Stücken
ab. Jurückgezogen und vergeſſen widmete er im Schatten der Peters⸗
kirche die letzten Lebenstage ſeiner geliebten Wiſſenſchaft, um noch im
Tode den bitteren Kelch feines Beilandes zu leeren. Dor der Welt
wurde Rampolla erſt 1914 voll gerechtfertigt, als in Benedikt XV.
feine Schule die Regierung der ktirche übernahm.
Vor den heiligen Reliquien wurde alle Stunden der Nacht von eigens
dazu beſtimmten Mönchen die betreffende Matutin mit Daudes gebetet.
Ich verſchlief richtig meine Stunde und kam gerade noch recht, um früh
2 Uhr zelebrieren zu können. Der Apparat zu einer ſolch gewaltigen
Feier war rieſenhaft. Jeder Dernünftige wird es daher entſchuldigen, wenn
trotz ſorgfältigſter Dorbereitung und trotz der vielen Jeremonienmeiſter
(man ſprach von 19 „päpſtlichen Jeremoniaren“) nicht alles bis aufs
kleinſte klappte. Die eigentliche Rirchweihe begann um 8 / Uhr, die
„Missa papalis« erft um ½ 1 Uhr, zur „ Erfriſchung“ kam man erſt um
3 Uhr. Don unſerer Reifegefellfhaft durfte anfangs nur P. Martin
in die ktirche, weil er das Prozeſſtonskreuz trug. Während der Bar-
dinal den Bauptaltar, Erzbiſchof Domenico Serafini nebſt Biſchof Rude⸗
ſindus Salvado die beiden Nebenaltäre in der Oberkirche konſekrierten,
weihten der Primas, die Präſtdes und einige bevorzugte Prälaten die
Altäre in der Unterkirche. Unſeren Präfes, meinen herrn Abt Eugen
traf der Altar des hl. Michael und der übrigen heiligen Engel. Die
dabei verwendete vergoldete Kelle wird heute noch als koſtbares An⸗
denken in unſerem Kloſter aufbewahrt. Da, wie gefagt, manches nicht
aufs Härchen ſtimmte, wurde ich unvermutet zum Erſatz⸗Reliquien⸗
träger befördert und freue mich heute noch, daß ich mit drei anderen
Mitbrüdern die „teure Laft“, das »pondus pretiosum«, zum Hoch-
altare tragen durfte. Großartig wurde die ganze Feier aber eigentlich
erſt bei der päpſtlichen Meſſe mit der vorausgehenden Terz. Was
bisher an vielen Orten zerſtreut war, ſammelte ſich in dem dicht⸗
gefüllten, neugeweihten Gotteshaus. Epiftel, Evangelium, Sanktus und
einige andere Partien wurden lateiniſch und griechiſch geſungen. Etwa
72 Mitren, ergänzt durch einen griechiſchen Biſchof und einen Abt
mit &ronen, das griechiſche Rolleg mit Paramenten, Prieſter in Plu-
vialien oder mit dem Meßkleid über den Chorrock bildeten außer dem
lateiniſchen und griechiſchen Altardienſt die große Aſſiſtenz des päpſt⸗
lichen kardinallegaten — wahrhaft ein Bild der katholiſchen Einheit,
wie man es außerhalb St. Peter ſelten ſieht. Daß an die Geduld der
Sänger und des Klerus und namentlich des Rardinals ſehr hohe An⸗
forderungen geſtellt wurden, läßt ſich begreifen. Rampolla ſoll trotz
feiner großen Liebe für St. Anſelmo (hatte er ja ktirchenfenſter geſtiftet)
den Ausſpruch getan haben: „Meine erſte Kirchweihe, aber keine zweite
mehr!“ Unſerm armen „Bruder Eſel“ tat nach dieſen Anſtrengungen
natürlich auf das »Rinfrescamento« die ſpäte „Erfrifcehung” wohl not,
die nach der kirchlichen Feier für etwa 700 Perſonen in verſchiedenen
203
Sälen angeboten wurde. Wenn allerdings der „Messagero“ zu be⸗
richten wußte, daß „ſich alle, vom Kardinal bis zum letzten Abbatino
fatt gegeſſen hätten“, kann ich ihn nachträglich verſichern, daß wir
wegen der mangelhaften Belieferung durch die römifchen Kaffees, die
für die „Erfriſchungen“ zu ſorgen hatten, nicht auf unſere Rechnung
kamen. Dagegen vereinigte uns am Abend, da wir wieder unter
uns waren, ein gemütlicher, trauter Familientiſch.
V.
Uwergeßlich wie der 11. November wird allen Teilnehmern der
12. November (Montag) bleiben. Die Hbte, deren Begleiter, die
Profefforen von St. Anſelmo und viele andere Söhne des hl. Bene-
diktus waren auf ½ 12 Uhr zur Audienz in den Thronfaal des Vatikan
geladen. Nachdem der mit vielen Orden geſchmückte, von ſeinem
Kaplan und einem blauen Bufaren begleitete Erzabt von Martins
berg hippolut Feher eine kurze Privataudienz erhalten hatte, erſchien
beo XIII. um 12 Uhr inmitten feiner kinder. ga, er war ganz „Vater“.
gede ſteife Etikette war beifeite gelaſſen; wir durften im gewöhnlichen
Anzug kommen, die kibte nur das Areuz über dem Skapulier. Der
Neunzigjährige trippelte vorwärts gebeugt herein; die raſchen Schritt⸗
chen ſchienen auf die Schwächen des Alters zu deuten. Segnend ſprach
er ungefähr: »Damus benedictionem huic præclarae coronae Abba-
tum«, „Wir ſegnen dieſe herrliche Derſammlung von Hbten“. Nach-
dem er ſich geſetzt, rief er »Surgite (Surdfchite), surgite« „ſteht auf“
und hieß uns näherkommen. „Wie Rinder um den Vater, fo ſcharten
ſich die ſchwarzen Beftalten der Mönche um den Abt der kbte, der
ihrem Orden wahrhaft väterliche Liebe und Güte erwieſen hat“, ſchrieben
ſpäter die St. Benediktus⸗ Stimmen (1901, S. 30) in einer ſehr wahr-
heitsgetreuen Schilderung dieſer Audienz. Abtprimas de hemptinne verlas
nun lang ſam und deutlich eine warmgehaltene italieniſche Dankadreſſe,
worauf der Papſt gerührt auf lateiniſch erwiderte. Da ich als „Statiſt“
große Bewegungsfreiheit hatte, eroberte ich mir ein ausgezeichnetes
Plätzchen neben einem Schweizergardiſten, der zur Rechten des Papſtes
dicht am Throne ſtand. So ſah ich das Bild des greifen Leo aus
nächſter Nähe und hörte alles aufs beſte. körperlich ſchön war der
hochbetagte eigentlich nicht. Er ſchien nur aus haut und Knochen
zu beſtehen, die Ohren ſtanden weit ab, der Scheitel war kahl, der
Mund auffallend breit. Aber aus den tiefen NAugenhöhlen blitzten
noch zwei friſche geiftreiche Auglein, in welche die ganze Seele des großen
Papftes ergoffen ſchien. Wie er vorwärts gebeugt, eine filberne Tabaks⸗
doſe in der hand, den Worten des Primas lauſchte und manchmal,
ob aus Schwäche oder als Zeichen der Zuſtimmung weiß ich nicht,
den Mund öffnete, ſah er wirklich aus wie ein liebes altes Däterchen
inmitten feiner Rinder. Als er aber feine Rede begann, die er ih
mit groß geſchriebenen Lettern, wie ich es gut unterſcheiden konnte,
aufnotiert hatte, da richtete er ſich auf, ſtreckte wie ein Rhetor die
Rechte aus und ſchien fi für einige Augenblicke wieder ganz als
Papft zu fühlen. Der in den Annales Ecclesiasticæ (1900 p. 478)
13*
204
veröffentlichte offizielle Tezt ift etwas „friſtert“; denn manches entging
dem altersgebeugten Mann, der öfters zitternd das Manuſkript vor
die Augen hielt: er trug nämlich keine Brille. Er wünſchte, daß die
Ordensjugend in St. Anſelmo, das er hatte erbauen laſſen, im Sinne
des Aquinaten ausgebildet werde und den Geiſt ihres Stifters wieder
in ihre Alöfter zurücktrage. Darnach gab Leo mit zitternder hand,
aber mit feſter Stimme den päpſtlichen Segen. Als nun der Primas
die einzelnen Bifchöfe, Präſides und Äbte vorftellte, wurde es erſt
recht gemütlich. Das Gedächtnis des Heiligen Vaters und feine Sprach—
kenntnis legten treffliche Proben ab. Zum neuernannten Erzbiſchof
Domenico Serafini von Spoleto, bisher Generalabt der Sublazenſer
Kongregation, ſprach er: „Ich habe einen tüchtigen Mann auserwählt
für dieſes Bistum; es bedarf eines ſolchen ſehr.“ Zu unſerem Präſes,
Abt Eugen von Augsburg: »Semper floruit ordo Benedictinus in
Bavaria et magis (madſchis) florescat«, „Immer hat der Benediktiner⸗
orden in Bayern geblüht und er blühe noch mehr.“ Zum zweiten
Tiroler-Abt (von Fiecht?): »Laudavi Tirolenses et laudo«, „Ich habe
die Tiroler ſtets gelobt und lobe fie wieder.“ Zum Abtbiſchof Sal⸗
vado von Neu-Nurſia in Auftralien: „Es tut mir leid, Nuſtralien nicht
genannt zu haben, aber es war in, dissitis et longinquis regionibus‘
eingeſchloſſen — es liegt eben fo arg weit weg!“ Zum Abt von Monte
Vergine (die dortigen Mönche ſind als Nachfolger der Wilhelmiten
weißgekleidet): „Der Habit ift weiß, aber der Herkunft nach ſeid Ihr
ſchwarz.“ Zum Abt von Marſeille: „Der Biſchof von Marſeille iſt ein
ausgezeichneter Biſchof in Gallien. Überbringe ihm meinen Segen;
ich liebe ihn ſehr.“ Ob der ſterbende Biſchof dieſe väterliche Botſchaft
noch erhielt, weiß ich nicht. Zum Abte von Cava: „Dor 70 Jahren
bin ich in Cava geweſen.“ Dem kranken Abt Benedikt Menges, der
kein ganzes Jahr mehr leben ſollte, erteilte er einen beſonderen Aranken=
ſegen, ebenſo dem Primatialſekretär Dom Didier⸗Caurent von Liguge
(ſtarb ſchon 1902). Den Präſes der Engliſchen Kongregation Abt, jetzt
ktardinal Gasquet fragte er nach dem Stand der Reform. Zum Abt
Edmund Ford von Downfide ſagte der Papſt, er möge Sorge tragen,
daß der alte Geiſt in den engliſchen Klöftern auflebe; die Benediktiner
ſollten England zur Rirche zurückführen helfen. Bei den öſterreichiſchen
Rlöftern erwähnte Leo deren „Reichtum“. Als er den Erzabt Plazidus von
Beuron nach dem Stand feiner Kongregation fragte und ſich über
deren großen Zuwachs freute, meinte der Erzabt: „Am Anfang waren
wir unſer bloß zwei.“ »Dio vi ha benedetti« „Gott hat euch geſegnet“,
antwortete der Papſt. Eine kurze, aber eindrucksvolle Illuftration für
die Macht des Behorfams und für die Kraft des apoſtoliſchen Segens,
den die beiden Wolter nach Deutſchland mitbekommen hatten. Nach den
Prioren kamen auch wir übrigen an die Reihe. Für jeden hatte der
gemeinſame Vater der Chriſtenheit ein liebes Wort oder ein kleines
„Tätſchchen“ auf die Wange. Faſt eine Stunde hatte die Audienz
gedauert. Die meiſten von uns ſollten den Papſt nicht wieder ſehen.
Aber die Ereigniſſe und Umwälzungen in den zwanzig Jahren nach
ſeinem Tode laſſen das Bild, das wir von ihm mitgenommen, nur
205
noch größer erfcheinen. Diele feiner herrlichen Rundfchreiben, die man
zu feinen Lebzeiten bloß oberflächlich las, ftudiert man jetzt genau
und erkennt, wie Geo XIII., mit außerordentlichen natürlichen Geiſtes⸗
gaben ausgeſtattet und dazu von Gottes Hand geführt, von hoher
Warte aus uns fpäteren Geſchlechtern die Wege wies, die wir in den
kommenden trüben Tagen zu gehen hättten.
Dom großen Papſt ging es zu feinem treuen Mitarbeiter Kardinal
Rampolla. Auf die warmen Dankesworte des Primas erwiderte er
mit einer beredten Schilderung des Aventin und feiner Geſchichte. Er
begrüßte „dieſe herrliche corona Abbatum“, welche den ganzen bene⸗
diktinifchen Erdkreis repräſentiere. »Mancano soltanto gli Abati dell’
Oriente«, „Es fehlen nur noch die Äbte des Oſtens“, fügte Rampolla
mit lebhafter handbewegung hinzu. In der Tat war es ein Lieblings-
wunſch Leos XIII., die Benediktiner in den Orient fenden zu können,
weil ſie vor dem Schisma geſtiftet ſeien und durch ihre Pflege der
biturgie Anknüpfungspunkte zur Wiedervereinigung der getrennten
orthodoxen Brüder mit der Mutterkirche beſäßen. Bat der Papſt auch
hier ſchon Wege gewieſen? Wenn die Waſſer der roten Sintflut im
ruſſiſchen Oſten ſich verlaufen haben, wird dieſe Frage dann nicht
vielleicht an unſeren Orden herantreten? |
Improviſiert, aber um fo herzlicher war der dritte Beſuch, den wir
im Datikan hierauf machten, nämlich bei dem, der das »ECce nos
reliquimus omnia, „Sieh, wir haben alles verlaſſen“ zuerſt geſprochen
und fo in gewiſſem Sinn der Dater des Ordenslebens geworden iſt.
In ſtilles Gebet verſunken knieten fie da alle zwanglos untereinander
am Grabe des hl. Petrus, junge, hoffnungsfreudige Mönchlein und
ergraute, wetterfeſte Deteranen, die ſich in fernen Miſſionsgebieten er⸗
probt oder die Bitterkeiten eines heimiſchen Aulturkampfs mitgemacht
hatten, Männer der Wiſſenſchaft, Seelſorger, Jugendbildner, Organi-
ſatoren, tiefinnerliche Seelen. Möchten fie doch alle an dieſer einzig⸗
artigen Stätte neuen Mut für die Opfer ihres erhabenen Berufs ge⸗
ſchöpft haben und neue Liebe zu Petrus und feinem Stuhle!
Wie eine Selbſtverſtändlichkeit fügte ſich den vorausgegangenen
Ereigniffen das Felt aller Benediktinerheiligen am folgenden Tage
(Dienstag, 13. Nov.) an. Abtprimas Hildebrand hielt das feierliche
Pontifikalamt. Bei der vorausgehenden Terz erhielt das ktapitel dieſer
hore eine ganz eigene Färbung, wenn man den Abtprimas inmitten
ſo vieler Mitbrüder ſah. Er wurde zum Abbild des heiligen Ordens⸗
vaters, der da oben von ungezählten treuen Söhnen, die Gott ihm
innerhalb 1400 gahren geſchenkt, umgeben war. Durfte nicht auch er
mit einem gewiſſen Rechte fingen: »ECce ego et pueri mei, quos
dedit mihi Dominus, „Sieh mich und meine Rinder, die mir der
herr geſchenkt hat!“ Nach dem Evangelium hielt der Rektor von
St. Anfelmo Dom Laurentius Janffens, jetzt Titularbiſchof von Beth:
ſaida, eine prächtige lateiniſche Anſprache, in welcher er die Alumnen
dafür zu entſchädigen ſuchte, daß ſie nicht zur Audienz hatten mit⸗
gehen dürfen. „Ihr habt nicht hingehen dürfen, weil der HI. Vater
euch zu ſehr gelobt hat“, ſagte er beſänftigend. Don dem an das
206
Amt ſich anſchließenden »Ludus Academicus« mit feinen gediegenen
Darbietungen möchte ich die von Prior Amelli verlefene Stelle aus
einem Briefe ſeines in Amerika weilenden Erzabtes erwähnen, weil
fie ein neuer Beweis der brüderlichen Befinnung war, welche die ganze
Derfammlung erfüllte. „Obwohl“, fo hieß es, „der Erzabt von Monte⸗
kaffino als Nachfolger des hl. Benedikt eine Art Primat habe, fo be⸗
grüße er die Einſetzung eines Abtprimas doch mit freudigem herzen“.
Unvergeßlich iſt uns auch das Klavierſpiel des Biſchofs Salvado ge⸗
blieben. Er war als junger Mliffionär nach Auftralien gekommen und
da er arm war, veranftaltete er mit Hilfe guter Leute ein Klavier⸗
konzert, mit deſſen Ertrag er ein Paar Ochſen und einen Wagen kaufen
konnte. So fing er an, die tiefgefunkenen Nuſtralneger zu miſſionieren
und ihr Obdach unter freiem himmel und ihre ſeltſame Roft (Schlangen,
Würmer etc.) zu teilen. Jetzt am Ende feiner Laufbahn konnte er als
86jähriger Greis, als Abt und Biſchof eine blühende Abbatia nullius
(Abtei mit Diözeſanrechten) zurücklaſſen. Für den, der dieſe Dorgefchichte
kannte, hatte es einen eigenen Reiz, die beiden Klavierkonzerte mit⸗
einander zu vergleichen, als der muntere Greis ein Auftralnegerlied
zum beſten gab und es gewandt auf dem Klavier begleitete. Das
Thema des Liedes war allerdings nur Wilden-Poefie: Ein Tier wird
geſchlachtet, geröſtet, verzehrt! Biſchof Salvado ſollte nicht mehr heim⸗
kehren. Dem getreuen Nachfolger des Dölkerapoftels wurde ſchon
einen Monat ſpäter (29. Dez. 1900) der Troſt zuteil, am Grabe des
hl. Paulus ſein müdes haupt zur Ruhe legen zu dürfen. Nach dem
gemeinfamen Mittagsmahl, bei dem Abt Benedikt Bonazzi von Cava,
zwei gahre ſpäter Erzbiſchof von Benevent, dem hl. Dater „hundert
Jahre und darüber“ wünſchte, hielt Erzbiſchof Serafini die feierliche
Pontifikalveſper, an die ſich die Totenveſper anſchloß. Am nächſten
Tag (Benediktinerallerſeelen) ſang der erſt am Sonntag vor ſeiner
Romreiſe benedizierte Abt Caurentius Garkin von Douai (Woolhampton)
das Requiem für die verſtorbenen Mitbrüder in der Unterkirche. Die
meiſten der damals anweſenden kibte find inzwiſchen ganz in die Gruft
hinuntergeſtiegen, weshalb ich dem römiſchen Photographen heute noch
etwas zürne, daß er erſt am 15. Nov. (Donnerstag) auf dem Plan
erſchien, nachdem inzwiſchen ſchon viele Teilnehmer die ewige Stadt
verlaſſen hatten. Gewandt war dieſer Lichtbildner, das muß ich ſagen.
Als der kritiſche Moment des Anipfens kam, da hub er in Latiums
Sprache an: »Dixi: unum-duo-ter!«. Die Wirkung dieſes klaſſiſchen
Datein zittert heute noch auf manchem Geſicht des Lichtbildes nach.
St. Anſelmo mit all feinen regelmäßigen Bewohnern hatte in den
letzten Wochen und Tagen feine kräfte aufs höchſte angeſpannt und
alles aufgeboten, den lieben Säſten und Mitbrüdern aus aller Welt
ein trautes Beim zu bereiten. 8o hat es niemand dem Abtprimas
verübeln können, wenn er an den Schluß des Feſtprogramms (Ponti⸗
fikalamt und Prozeſſion nebſt Mittagsmahl bei St. Paul, Defper und
Tedeum bei St. Anfelm Sonntag, 18. Nov.) die Worte aus den Aönigs:
büchern ſetzte: „Und am achten Tage aber zogen ſie freudig wieder heim
in ihre Sezelte“ (1 kön. 8, 66). Jedermann begriff die Berechtigung
8 207
dieſes zarten Winkes. Da unſere Zeit drängte, konnten wir nicht bis
zum 18. Nod. bleiben, ſondern verabſchiedeten uns noch am 15. Nov.
‚geht ſollt es halt noch gut hinaufgehen“, zum Himmel hinauf, meinte
beim Abſchied unſer hochwſt. herr Präſes. „Nun“, tröftete ihn der
Abtprimas, „wenn jemand ein Baus baut, dann ſetzt er auch den Dach⸗
ſtuhl darauf; der liebe Bott macht es nicht anders“. Schon drei Jahre
ſpäter (am 8. Auguft 1903) ſollte ſich dies Wort an meinem teuren
Dater in Chriſto bewahrheiten. Zehn Jahre darauf (13. Auguft 1913)
folgte ihm der Primas im Tode nach. Er hatte tatſächlich einen guten
Teil feiner Befundheit feinem Lebenswerk zum Opfer gebracht. Den
letzten Stoß verfegte ihm feine Reife nach Amerika, die er für St.
Anfelmo unternommen hatte. Als er da ganz inkognito mit feinem
treuen Sekretär P. Hilarius auf der heimreiſe nach Rom eines Abends
in Augsburg eintraf, ſagten wir uns: „Er iſt ein gebrochener Mann.“
Und ſo war es auch. N
Zum Abſchied durften wir noch dem griechiſchen Pontifikalamt im
Griechiſchen Kolleg St. Atanafio beiwohnen, das Leo XIII. wohl aus
den obgenannten Gründen unſerem Orden anvertraut hatte. Dort
waren wir auch zum Mittagsmahl geladen, bei dem ich mitten unter
den griechiſchen Alumnen aus Sizilien, Rorfika, Kalabrien uſw. zu
fiten kam und Gelegenheit hatte, ihre ſonngeſchwärzten Geſichter,
ihre zulinderförmige Ropfbedeckung und ihr überſprudelndes ſüdliches
Temperament zu ſtudieren. Während eines griechiſchen humnus,
ähnlich den Laudes Hincmari, mußten wir aufbrechen und fuhren
zur Bahn. Unter ſtrömendem Regen bei einbrechender Dämmerung
ſagten wir der ewigen Roma Lebewohl. Die folgenden Tage, an
denen wir in Florenz und Genua ſchöne Stunden verlebten, brachten
uns immer weiter nordwärts. Im Dom zu Mailand konnten wir am
Sonntag den 18. November einer Predigt des Kardinals Ferrari lauſchen,
der den Noͤvent, welcher im ambrofianifchen Ritus ſchon ſechs Sonn=
tage vor Weihnachten beginnt, eröffnete. Welch großes Anfehen dieſer
Kirchenfürſt, der ſich den hl. Karl Borromäus zum Vorbild nahm,
genoß, zeigte ſpäter fein großartiges Leichenbegängnis, bei dem Freund
und Feind dem ſelbſtloſen guten Hirten ungeteiltes Lob ſpendete.
prächtig war die Prozeffion, bei welcher die Pfarrer von Mailand
rote Pluvialien und einen Stab mit ſilbernem knopf trugen. Vor und
nach dem Himmel mit dem klllerheiligſten gingen je zwölf Torzenträger;
Frauen waren nur drei dabei und zwar ſchritten ſie mit ſchwarzem
Schleier vor dem himmel einher wie altrömiſche Matronen. Am Montag
den 19. November ging es durch den St. Sotthardtunnel hinein in das
Reich des Nebels, der die Berge dicht einhüllte. Umſo freundlicher
ſtrahlten die Befichter der gaſtfreundlichen Mitbrüder in Einfiedeln,
wo wir Raſt machten. Der damalige Herr Dekan und jüngſt ver⸗
ſtorbene Fürſtabt Thomas Aquin Boſſart erzählte uns, daß er 1885 mit
P. Hieronymus Hbiſcher an der Gregorianiſchen Univerfität in Rom
ſtudiert habe. Eines Tages ſeien fie auf dem heimweg von der Gre⸗
goriana dem Titularabt Tofti begegnet, der aus feinem Wagen ſtieg
und ſie fragte, woher ſie kämen. Er bedauerte, daß wir Benediktiner
208
keine eigene hochſchule hätten und verſprach zum heiligen Vater Leo
zu gehen und ihm den Vorſchlag zur Gründung eines internationalen
Benediktinerkollegs zu machen. Etwas ſpäter brachte Abt Fintan
Mundwiler von St. Meinrad den beiden „Einfiedlern“ in 8. Ba⸗
filio, wo fie wohnten, die frohe Kunde, der Papſt habe dem gelehrten
Abt Toſti verſprochen, er werde nicht ruhen bis dieſes Werk zuſtande
gekommen ſei. Es hatte ja auch Abt Bonazzi von Cava in ſeiner
Tiſchrede bei St. Anfelmo am 13. November ſich freudig gerühmt, daß
er dabei geweſen, wie der erſte Entſchluß zur Errichtung des Anſel⸗
mianums gefaßt worden ſei. Da St. Anſelmo im Mittelpunkt der
Reiſeerinnerungen ſteht, dürften dieſe kleine Einzelheiten nicht ohne
Intereſſe fein, zumal wir Zeugen waren, wie gut Toſti und Geo XIII.
ihr Derfprechen eingelöſt und wie herrlich mit Gottes hilfe der ein-
fache Wunſch in die Wirklichkeit umgeſetzt wurde.
Dienstag, 20. Nov. durften wir bei der lieben Snadenmutter das
heilige Opfer feiern und eilten weiter über Feldkirch nach Mehrerau,
wo wir aufs gaſtfreundlichſte von den Söhnen des hl. Berhard emp⸗
fangen wurden. Der Tag der Opferung Mariä (Mittwoch, 21. Nov.)
brachte uns endlich in unſer liebes Bauernland zurück. In Buchloe
mußten wir uns trennen. Faſt hätte der herr Abt von Metten uns
eine böſe „Nachkirchweih“ bereitet. Nachdem der hochwürdigſte herr
ohne Begleiter in feinem lieben Rlofter angekommen war, erkrankte
er lebensgefährlich am Tuphus und mußte die heiligen Sterbſakramente
empfangen. Doch Gott, der ihn für den Stuhl des hl. Willibald vorher⸗
beſtimmt hatte, erbarmte ſich ſeiner und ſo konnten Seine Biſchöflichen
Gnaden von Eidhltätt im vorigen Jahre 1923 in voller Rüſtigkeit das
goldene Prieſterjubiläum feiern. Ad multos annos!
Mögen dieſe ſchlichten Plaudereien einen kleinen Beitrag zum kom⸗
menden Silberjubiläum von St. Anſelmo bilden und ihm zu den alten
Freunden recht viele neue hinzu erwerben!
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Paulusleſung (zum 29. Juni).
30h. Chruſoſtomus: Homilien zum Römerbrief, Einleitung.
Wan ich die Briefe des hl. Paulus vorleſen höre, wie das ſo häufig geſchieht
(wöchentlich zweimal, oft drei⸗ und viermal, falls Feſte von hl. Marterern
einfallen): dann bin ich entzückt beim Alange dieſes geiſtigen Trompetenſchalles, mein
Herz jubelt, und ein wahres Verlangen glüht in mir, wenn ich dieſe teure Stimme
erkenne; ja faſt wird mir die Geſtalt des Apoftels leibhaft vor die Sinne gezaubert,
und ich ſehe ihn, wie er ſpricht. Zugleich aber ergreift mich Schmerz und Wehmut,
daß nicht alle dieſen Mann kennen, wie er es verdient, ja daß viele ihn gar ſo
wenig kennen. Das kommt nicht von mangelnder Begabung her, ſondern davon, daß
man mit dieſem heiligen Mann nicht fortwährend verkehren will. Denn auch bei
mir beruht die Bekanntſchaft mit ihm, wenn ich eine ſolche beſitze, nicht in Geiltes-
kraft und Verſtandesſchärfe, ſondern auf beſtändigem Umgang mit dem Manne,
auf einer heftigen Zuneigung zu ihm. Den Freund kennt vor allen andern der
Freund: er iſt ja Gegenftand feiner herzensſorge .. (Rom. Brevier am 2. Sonntag n. erſch.)
& &
209
Eine Schule des geiſtlichen Gebens.
Des Abtes Garcia de Cisneros Exercitatorium spirituale.
Don P. Benedikt Baur (Beuron).
er moderne Menfch redet viel vom religiöfen „Erleben“. In der
Tat hat der Ausdruck auch einen guten, ja ſehr guten Sinn. Es
genügt nicht, daß die geoffenbarte Wahrheit leiſe, leiſe an die Türe
unſeres Beiftes pocht und rein verſtandesmäßig von uns aufgenommen
wird: fie muß die ganze Seele, Derftand und Willen und das tiefſte
Innere, das Gemüt erfaſſen und mit Licht und Leben erfüllen. Die
Seele muß in der religiöfen Wahrheit eine Quelle inneren Wachstums,
einen Erreger neuen, höheren, fruchtbaren bebens in ſich aufnehmen;
fie muß durch fie wachſen. Als lebendige kraft muß die fo aufge⸗
nommene Wahrheit dann das Handeln beſtimmen, es bereichern und
geſtalten. Die Wahrheit muß Lebensziele zeigen und die Wege ebnen
zu dieſen Zielen. Sie muß Entſchlüſſe wecken, Mut und Luft, die Ent»
ſchlüſſe zu Taten werden zu laffen.
Diefem berechtigten Streben kommt in hohem maße Garcia de
Cisneros entgegen. Benediktiner in Valladolid, wurde er 1493 nach
dem kiloſter Montſerrat geſandt, das altehrwürdige Heiligtum Spa⸗
niens vor äußerem und innerem Derfall zu bewahren. Dort leitete
er das Klofter und machte es zu einem Deuchtturm benediktinifchen
bebens. Um das geiftige Leben feiner Mönche zu fördern, ſchrieb er
für fie fein »Exercitatorium spirituale«. Unter dem Titel „Schule des
geiſtlichen Lebens auf den Wegen der Beſchauung“ ift es letztes Jahr
in der Sammlung der „Bücher für Seelenkultur“ bei herder in Freiburg
deutſch erſchienen. Überſetzt iſt es von M. Raphaela Schlichtner, einer
Benediktinerin vom Nonnberg in Salzburg, eingeleitet von P. Erhard
Drinkwelder aus St. Ottilien, der über „Garcia de Cisneros, O. 8. B.
(+ 1510) und feine ‚Übungsfchule des geiſtlichen Lebens“ bereits im
dritten Jahrgang diefer Zeitſchrift (8. 289 ff.) geſchrieben hat.
Das Innerfte und Tiefſte, was Abt Garcia de Cisneros feinen geiſt⸗
lichen Söhnen zu bieten hat, ift in feinem Exercitatorium zufammen-
geſtellt. Was dieſe „Schule“ für den modernen Menſchen ſo wertvoll
macht, ift nicht fo ſehr der Inhalt, den Cisneros aus den beſten Der-
tretern der alten Afzefe und Muſtik ſchöpft und den uns fo viele an⸗
dere aſzetiſche Schriften ebenfalls bieten, als die Methode. Die reli⸗
giöſe Wahrheit ſenkt ſich als Gebenskeim nur dann in die Seele, wenn
fie till und ruhig auf den Menfchen einwirken kann, wie die Sonne
mit ihrem Licht und ihrer Wärme auf das Blümlein der Au. Aber
eben das fehlt dem religiöfen Geben unferer Tage: die Zeit, die Ruhe,
die „Selaſſenheit“. Zum Stillhalten und zum Zeithaben, zu eben dieſer
inneren „Ruhe und Gelaſſenheit“ erzieht uns die Weisheit, die in dieſer
Schule wirkt. Nicht die Wahl eines Gebensftandes, auch nicht die Er⸗
neuerung des Geiſtes im bereits gewählten Stand bezwecken des Abtes
„Übungen“. Sie erſtreben eine ganz allmähliche, langſam in orga—
niſchem Wachſen den ganzen Menſchen bleibend erfaſſende und er⸗
210
neuernde Umgeſtaltung des Menſchen in Bott. Der Schüler des Mei-
ſters Cisneros ift fi ſelbſt überlaffen. Er ringt ih nicht in kurz⸗
befriſtetem hartem Willens kampf zu kräftigen Dorſätzen durch, er ſteckt
ſich nicht Schritt für Schritt ein neues Ziel. Er hat von Anfang an
nur ein Ziel vor Augen: bäuterung und Liebe.
Die Zeit, die der Schüler täglich auf ſeine Übung zu verwenden hat,
it nicht lang: eine halbe Stunde Betrachtung und eine Diertelftunde
geiſtliche Leſung. Für Anfänger empfiehlt Cisneros die Zeit am Mor:
gen, für den Fortſchreitenden die ſtille Abendſtunde „nach der Komplet“.
Eine Woche dient der Vorbereitung und allgemeinen Orientierung in
Form einer geiſtlichen Cefung am Morgen (Kap. 1 — 11). Dann be:
ginnen die eigentlichen Betrachtungen des Weges der Läuterung
(Rap. 12 - 18). geder Tag hat nur eine einzige Betrachtung. If die
erſte Woche mit ihren ſieben Betrachtungen zu Ende, ſo wird die ganze
* a
Reihe der Betrachtungen Woche für Woche wiederholt, bis die bau-
terung hinreichend fortgeſchritten iſt. Durch die Wiederholung des
an ſich ſchon ſehr beſchränkten Stoffes unterſcheidet ſich dieſe „Schule
des geiſtlichen Lebens“ von anderen ähnlichen Anleitungen; fie gerade
ſichert ihr den Erfolg. Die kap. 19 — 22 bieten den Stoff für die geift-
liche beſung. — Nach Dollendung der Betrachtungen des Weges der
GCäuterung folgen die des Weges der Klärung. Es find wiederum
fieben. Sie handeln von den Wohltaten Gottes (Rap. 23). Die Be⸗
trachtungsreihe wird beliebig oft wiederholt. Den Stoff für die geiſt⸗
liche Cefung liefert die Heilige Schrift und die „Nachfolge Chriſti“. In
der letzten Woche der „Klärung“ tritt an Stelle der bisherigen fieben
Betrachtungen die Erwägung des Daterunfers (Rap. 24). Als geiſt⸗
liche Cefung dienen in dieſer Woche kiap. 25 und 26. — Es folgen die
Betrachtungen für den Weg der Einigung, wiederum ſieben, die
Woche für Woche wiederholt werden (kap. 27). Die Rap. 28 — 48
enthalten die geiſtliche Lefung für dieſe Zeit. Sie geben eine theo⸗
retiſche Einführung in die „Beſchauung“, auf die der Schüler in den
vorausgehenden Übungen praktiſch vorbereitet worden war.
Mit kap. 49 beginnt der zweite Teil des „ehrganges“. Er be:
handelt „das beben und beiden geſu als Stoff der Beſchau—
ung“. Auf ihn folgt in den Kap. 61 — 68 ein dritter Teil, der „die
Hhinderniſſe und Hilfsmittel der Beſchauung“ beſpricht. Die
Betrachtungen des zweiten Teiles (Rap. 49 — 60) find nicht mehr an
einzelne Wochentage geknüpft. Als entſprechende geiſtliche Lefung
find Rap. 61 - 68 gedacht. Ob nun der einzelne in den vorausgehen⸗
den Betrachtungen ſo weit gelangt iſt, daß er ſich im zweiten Teil bis
zur Beſchauung erhebt, hängt ja nicht vom Stoff ab noch auch von der
methode, ſondern vor allem von Gottes Gnade. Cisneros folgt auch hier
den Grundſätzen der traditionellen Muſtik, daß man ſich durch ein geeig⸗
netes Gebetsleben auf die Beſchaulichkeit vorbereiten kann. Er findet es
als den normalen Verlauf des geiſtlichen Lebens, daß das betrachtende
Gebet, gewiſſenhaft geübt, im allgemeinen zum Affektivgebet und zum
eigentlich beſchaulichen Gebet führt. Die Stoffe des zweiten Teiles ſollen
den Beſchaulichen in der Übung der Beſchauung erhalten und fördern.
211
Wir haben hier ſomit in der Tat eine „Schule des geiſtlichen Lebens“,
die uns erziehen will, daß wir auf dem Weg einer geſunden Betrach⸗
tung langſam voranſchreiten bis zu den höhen der Beſchauung. Der
ganze Stoff, den Cisneros uns vorlegt, könnte in etwa einem Jahr
durchgeübt werden. Bei vielen wird ein gründliches Eindringen mehr
deit in Anſpruch nehmen, vielleicht einige Jahre. Dann kann aber
der Stoff in Wahrheit in die Seele eingedrungen, ihr in Fleiſch und
Blut übergegangen ſein. Dann ſind ihr auch die religiöſen Wahr⸗
heiten wirklich zum religiöfen „Erlebnis“ geworden. Sie „lebt“ davon
und iſt an ihnen gewachſen.
Des Abtes Programm lautet alſo: Vertiefung des inneren Menſchen,
Dertiefung des Glaubensgeiſtes und des Geiſteslebens auf der Grund⸗
lage der Däterüberlieferungen. Wir finden in feinen Unterweiſungen
etwas von der wohltuenden Ruhe und Milde der Alten, von ihrem
weißen Maßhalten, ihrer gottinnigen Einfalt, ihrer Tiefe und Weite.
Das entzückt und macht die Unterweiſungen jedem verſtändlich.
In der wertvollen Einführung zur wohlgelungenen deutſchen Über⸗
ſetzung handelt P. Erhard Drinkwelder u. a. über „ die geiſtlichen Ubun⸗
gen des Garcia de Cisneros und das Exerzitienbüchlein des hl. Jgnatius
von bouola“. Bier deckt er den grundlegenden Unterſchied zwiſchen
Cisneros und Jgnatius auf. Bei Jgnatius handelt es ſich um eine
zeitweiſe ausſchließliche Beſchäftigung mit Gebet und Betrachtung. Die
Berufsarbeiten ſollen ſoweit wie möglich ausſcheiden. Jeder Tag um⸗
faßt bei ihm mehrere, zuweilen fünf Betrachtungen. Den Mittel⸗ und
höhepunkt bildet die Wahl eines neuen Lebensftandes oder die Wahl
einer neuen Auffaffung und Erfüllung des bereits gewählten Standes.
Alles iſt zunächſt auf die eigene Tätigkeit des Exerzitanten unter An-
leitung eines Exerzitienmeiſters eingeſtellt; nur ſelten kommt die, Muſtik“
zu ihrem Rechte, fo in der erhabenen Schlußbetrachtung über die gött⸗
liche biebe. Garcia de Cisneros dagegen ſucht, wie die hl. Thereſia
um die Mitte des 16. gahrhunderts es tut, ſeinen Schüler direkt zum
Streben nach der Beſchauung und nach muſtiſchen Gnaden zu erziehen.
Seine Übungen zielen nicht auf beſtimmte Einzelvorſätze ab, ſondern
auf Herzenslauterkeit und Gottesliebe, alles andere überläßt er dem
Wirken der göttlichen Gnade. Deshalb follen die Ubungen keine bloß
beſtimmte Zeit hindurch gehalten werden: fie ſollen dauernd und für
immer dem täglichen Leben und der täglichen Berufsarbeit ſich ein⸗
gliedern. Er kennt mit dem hl. Bonaventura für einen Tag nur einen
Betrachtungsgegenſtand, nur eine Betrachtung. Er kennt auch keine
beſtimmte Dauer der „Betrachtung“. Eine Betrachtung am Morgen mit
„praktifchen Dorfägen“ iſt ihm fremd. Gegenüber dieſem weſentlichen
Unterſchied treten gewiſſe Ähnlichkeiten des Exerzitienbüchleins des hl.
Jgnatius mit dem Exercitatorium des Cisneros als nebenſächlich zurück.
Wir zweifeln nicht, daß die „Schule des geiſtlichen Lebens“ viele
von ihrer Haft und Unruhe und ſeeliſchen Unfruchtbarkeit erlöſen und
dadurch im Innenleben in hohem Maße fördern kann. Uns ſcheint,
daß der Benediktiner von Montſerrat aus dem 15. gahrhundert mit
ſeinem ſtillen Weſen uns Modernen nahe, ſehr nahe ſteht.
212
Rleine Beiträge und Hinweiſe
Mittelalterliche Buchmalerei.
D. angeſehenſte und fruchtbarſte Schule deutſcher Buchmalerei im Mittelalter blühte
von 970 — 1030 auf der von den grünen Wellen des Bodenſees umſpülten
Benediktinerinſel Reichenau. Die höchſten Würdenträger beehrten die klöſterlichen
Maler mit ihren Aufträgen: Die Erzbiſchöfe von Köln und Trier, die Kaifer Otto III.
und heinrich II., Papſt Gregor V. Zu den Meifterwerken der Schule zählt auch die
Bamberger Apokalypfe, ein Geſchenk der Raiferin Aunigunde an das Kollegiatftift
St. Stephan in Bamberg, die 5. Wölfflin kürzlich in 2. Auflage herausgegeben hat!.
Der anerkannte Deuter der neueren Runft hat ſich den beſonderen Dank aller Kunſt⸗
hiftoriker dadurch gefichert, daß er es unternommen hat, auch einmal ein Denkmal
mittelalterlicher Buchmalerei form- und kunſtgeſchichtlich zu behandeln. Das Urteil
hierüber hat ſich nämlich in den letzten hundert Jahren ſtark gewandelt. Fr. Kugler
fand die Zeichnung der Apokalupſe „verſchroben — manieriert“ und eine verwandte
Prachthandſchrift der Münchener Bibliothek, elm. 57, „formlos und widerwärtig“. Auch
Döge und haſeloff konnten ſich fünfzig Jahre ſpäter in ihrer Bewertung noch nicht frei ⸗
machen von den Maßſtäben einer naturaliſtiſchen Kunft. Man gab der plaſtiſch⸗
modellierenden Darſtellung unbedingt den Vorzug vor der linear ⸗ platten und betrachtete
eine flächenhafte Zeichnung, die die Ginie aus Überzeugung ſchematiſtert, als Verfall.
Die mittelalterliche Malerei bewertete die dreidimenfionale Darſtellungsweiſe anders
als wir es zu tun pflegen. Räumliche Perſpektive und plaſtiſche Körpermodellierung
wurden bewußt abgelehnt zugunſten einer flächig linearen Zeichnung. Überall iſt
die Wirkung nicht auf die einzelne Figur abgeſtellt, ſondern auf die Bilderſcheinung
im Ganzen: Der Rhythmus der Flächenverteilung, die großen Richtungsgegenſätze,
die allgemeinen Linienzufammenhänge haben das erſte Wort. Getrenntes wird
in einheitlichem Zuge verbunden, die Figur lebt von ihrer Beziehung zur Nebenfigur
und die Geſamtheit der Figuren von ihrer Beziehung zur Fläche. Die Beuroner Aunft
beruht großenteils auf denſelben Stilprinzipien.
Die monumentalen Wirkungen, worauf dieſe Malerei ausgeht, kommen auch in
der Farbe zum Ausdruck. Durchweg ins Kühlere gebrochen und vereinfacht in der
Wahl der Töne, beſttzt das Kolorit eine ſtrenge Einfalt und Gebundenheit. Die ver-
wendeten Deckfarben wirken flach. Fläche ſteht gegen Fläche.
Die Wiedergabe der Miniaturen in Originalgröße verdient ebenfofehr Anerken-
nung wie die Derwendung des gelblichen, warm getönten Papiers der Tafeln, wodurd)
die Wirkung der Bilder weſentlich erhöht wird. So beſitzen wir, nicht zuletzt dank
dem Wagemut des Verlags, eine Mufterausgabe eines mittelalterlichen Meiſterwerkes
deutſcher Buchmalerei aus der hand eines unſerer größten Runftkenner.
Was Wölfflin formgeſchichtlich erklärt, den flächenhaften Stil der mittelalterliche
Buchmalerei, das ſucht K. Pfiſter in feiner Schrift „Die mittelalterliche Buch;
malerei des Abendlandes“ geiſtesgeſchichtlich zu ergründen. Leider geſchieht
das nicht mit der wiſſenſchaftlichen Methode, die Wölfflin eigen iſt. Pfiſter betrachtet
die mittelalterliche Buchmalerei „als Ausdruck der Ganzheit des katholiſchen Mittel ⸗
alters. Ein erſtes Mal foll der Derfud gewagt werden, das Schaffen eines gahr⸗
taufends als Ausftrahlung religiöſer Difionen zu deuten. Aus der Unbedingtheit
der chriſtlichen Lehre hat ſich die Buchmalerei eine Form geſchaffen, die fern von
aller Realität, jenſeits von Perſpektive und Atmoſphäre lebt und den unwirklichen
und unirdiſchen Sinn der Offenbarung ausdrückt. Dieſe Abſtraktionen find nicht
um ihrer ſelbſt willen geſchaffen, ſondern dienen dazu, den Geiſt der Gehre
ſinnfällig zu machen.“
Es war unausbleiblich, daß die übernatürliche Weltanſchaunng der katholiſchen
Rirche ihren Kunſtwerken einen ausgeſprochen religiöfen Charakter aufprägte, doch
213
geſchah das nur felten unter Derkennung der von Gott gewollten natürlichen Ord⸗
nung. Die von Pfiſter angeführte Auffaffung iſt einſeitig und ſtark übertrieben.
Viel tiefer iſt M. Dvorak in feiner bekannten Abhandlung: Idealismus und Natura-
lismus in der gotiſchen Skulptur und Malerei? in die Geiſtes verfaſſung des Mittel
alters eingedrungen und hat ihren Einfluß auf die bildende Kunſt richtiger dargelegt.
Ruch er betont, vielleicht etwas über Gebühr, die vorwiegend ſpiritualiſtiſche Grund⸗
lage der altchriſtlichen und frühmittelalterlichen Gebensauffaffung; feit dem 12. Jahrh.
aber beginne ein bewußter Ausgleich zwiſchen der übernatürlichen und der natürlichen
Weltoroͤnung, der beſonders in den Meiſterwerken der franzöſiſchen, deutſchen und itali⸗
eniſchen Skulptur des 13. Jahrh. fo großartig zum Ausdruck gekommen iſt.
Das ganze Gebiet der deutſchen Buchmalerei von der germaniſchen Stammeszeit
bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts faßt Fr. Jacobi in einem kurzen, ſuſtema⸗
tiſchen Abriß zufammen‘ An der hand von zahlreichen Bildproben legt er die
charakteriſtiſchen Stilmerkmale in der Entwicklung der deutſchen Buchmalerei dar.
Die anziehende Aufgabe iſt mit Sorgfalt durchgeführt. Die Stilanaluſe erſtreckt ſich
nicht nur auf die großen Epochen und Malerſchulen, ſondern auch auf die wichtigſten
Einzelheiten der Ornamentik, der Initialen, der Figuren, der Gewandung, des Raumes
und der Landfchaft. Etwas einſeitig iſt die Auswahl der Bildproben, die vorwiegend
baueriſchen und ſüddeutſchen Malerſchulen entſtammen. Als Ganzes bildet das
Büchlein für alle Aunftliebhaber, ſeien fie Aunfthiftoriker, Künſtler, Kulturhiſtoriker
oder Theologen eine vortreffliche Einführung in die deutſche Buchmalerei. Das umſo⸗
mehr, als eine reiche Bibliographie über die einſchlägige Literatur beigegeben iſt.
Der Derlag hat mit der vornehmen Ausftattung das Werkchen zugleich zu einem
Mufter moderner deutſcher Buchkunſt erhoben.
Die Bamberger Apokalypfe, Eine Reichenauer Bilderhandſchrift vom Jahre 1000. 4“ (38 8.
mit 63 bichtdrucken und 2 farbigen Tafeln). München 1921. Rurt Wolff Derlag. ° München 1922, BHolbein-
Verlag. gr. 4° (40 8. mit 4 farbigen und 36 Schwarzdrucktafeln). ! Biftorifche Zeitfchrift, Bd. 119 (1918). Derſ.,
kunſtgeſchichte als Geiſtesgeſchichte. München 1924, R. Pieper, 5.43 ff. 1 Die deutſche Buchmalerei in
ihren ſtiliſtiſchen Entwicklungsphaſen. 8° (136 8. mit 70 Tafeln und Abbldg.) München 1923, F. Bruckmann,
P. Adalbert Schippers (Maria-Paach).
Almanach catholique francais pour 1924.
W. haben in Deutſchland ſeit 1908 unſer wiſſenſchaftlich wertvolles „Kirchliches
Handbuch“; Frankreich veröffentlicht ſeit 1920 unter dem Patronate des Co-
mitè catholique des amities frangaises a l’etranger« feinen äußerft geſchickt abge⸗
faßten „Almanach“. (Paris 6e. Bloud & Gau, 3, Rue Garanciere). Mfgr. Baudrillart
hat ihn wieder mit der Gewandheit des Franzoſen und der Zielficherheit des Eiferers
für feine Nation eingeleitet. Er findet feine Art „gut franzöſiſch“: „lächelnd und ernft
zugleich“; feinen Zweck beſtimmt er dahin: er wolle Inland und Ausland bekannt
machen mit dem gegenwärtigen katholiſchen Frankreich. Rein Zweifel, dieſes Ziel
wirb zum guten Teil erreicht. Das religiöfe, ſoziale, künſtleriſche, literariſche Geben
Frankreichs zieht im Flug an uns vorüber, nicht einmal Rechts- und Gefunöheits-
pflege, Wandern und Sport find ganz vergeſſen. Das religiös-kirchliche beben wächſt
überall und erhält ſich in den beſonderen Diözeſaneinrichtungen, das geiſtige geht
allenthalben von einzelnen Hulturſtätten und Führergeſtalten aus. Über das eine wie
das andere erhalten wir genügenden Auffhluß; beſonders dankbar begrüßt man das
kleine „Biographiſche Lexikon der bedeutendſten Persönlichkeiten des katholiſchen
Frankreich“, das Uame, Stellung, wichtigſte Werke und, klug genug, auch den Wohn-
ort angibt. In manchem ſetzt der neueſte „Almanach“ die vier früheren voraus; in
allem ift er lehrreich. Die fünf Franken, die er koſtet, iſt er wert. Die Aufforderung
Baudrillarts an andere Länder durch ähnlich einfache „Kalender“ Frankreich leichten
einblick in ihr Weſen und Wirken zu geben, verdiente ſchon deshalb auch bei uns
Beachtung, weil wir ſo etwas brauchten, um erſt einmal einander recht kennen zu
lernen, woran noch viel fehlt. B. Sturmius Regel (Beuron).
214
Bücherſchau
Heilige Schrift und Leben geſu
Schöpfer, Dr. Ämilian: Seſchichte des
Alten Teftaments. Mit befonderer Rück.
ſicht auf das Derhältnis von Bibel und
Wiſſenſchaft. 6. Auflage. 2 Halbbände.
gr. 8 (VIII, XVI u. 752 8.) München 1923,
Verlag Iatur & kultur. Je M. 10.—
Seit das gediegene „Handbuch zur bib-
liſchen Seſchichte“ von Schuſter und Holz ·
ammer (Freiburg 7 1910) vergriffen iſt,
hatten wir in deutſcher Sprache kein Werk
mehr, das die gebildeten Gaien raſch und
zuverläſſig aufklärte über den gegenwär-
tigen Stand der zahlreichen, oft ſchwierigen
Fragen, die bei der Schriftlefung auftauchen
können. Mit der neueſten 6. Auflage feiner
„Eeſchichte des Alten Teſtaments“ hat uns
Schöpfer ein ſolches Hilfsmittel geſchenkt.
Wieviel Detailkenntniſſe, aber auch wieviel
Beſchränkung in der Auswahl des Stoffes
verlangt ſolch ein Werk, das ein wirklich
zuverläſſtger Führer durch die modernen
Bibelfragen und ein Helfer in der Dertei-
digung der gläubigen Nuffaſſung der Bei-
ligen Schrift und ihrer Grenzgebiete ge⸗
nannt werden kann! Beſonders angenehm
berührt bei dieſem Buch der große Zug,
der durchs Ganze geht. Uber dem wiſſen ·
ſchaftlichen Kleinkram, mit dem ſich die
modernen Geiſter vielfach abplagen müſſen,
vergißt man ſonſt ſo leicht die großen
binien, die Gottes weiſe Dorfehung der
Geſchichte der Menſchheit, beſonders der des
auserwählten Sottesvolkes, eingezeichnet
hat und die das Alte mit dem Ueuen Te-
ſtament verbinden. Schöpfer wandelt hie⸗
rin ſo recht in den Bahnen, die einſt Abt
Baneberg ging in feiner immer noch wert⸗
vollen „Geſchichte der bibliſchen Offenba⸗
rung? (Regensburg 3 1876). Einen breiten
Raum nimmt bei ihm auch das apolo-
getiſche Moment ein. Was die mo-
derne Geſchichts⸗ und Uaturwiſſenſchaft
gegen die bibliſchen Berichte vorbringt,
wird kritiſch beleuchtet und ſachgemäß
widerlegt. aum eine wichtigere Frage
iſt dabei überſehen.
Es ſei geſtattet, aus dem reichen Inhalt
des Buches einzelnes beſonders hervorzu-
heben. Die Grund ſätze, die über das Ver ·
hältnis von Bibel und Wiſſenſchaft an
der hand der neueſten kirchlichen Ridt-
linien aufgeftellt werden, dienen zur Be
ruhigung ängftlier Gemüter. Zum erſten ·
mal ift in das Werk ein anſchaulich ge
ſchriebener Abſchnitt aufgenommen über
den „Schauplatz der heiligen Geſchichte,
band und Leute“. Da tauchen Dölker vor
uns auf, die man vor 20 Jahren Raum
dem Namen nach kannte und die doch
uralte eigene Rulturen befaßen (die Su-
merier, Amorrhiter, Hethiter, Mitani). Aus-
führlich wird der Gefer über chronologiſche
Fragen unterrichtet, meiſt auf Grund der
Forſchungen von P. Kugler 8. J. (fiehe
Januar - Heft 8. 72), fo über die Chrono»
logie der Urgeſchichte, der Patriarchen,
Richter ⸗ und Aönigszeit, wozu noch am
Schluß „Sunchroniſtiſche Tafeln“ kommen.
Mit Intereſſe lieſt man, was der Derfaffer
zu ſagen weiß über die verwickelten Fra ·
gen, die mit dem Schöpfungsbericht zu
fammenhängen (Bibel und Deſzendenz ·
theorie), über die Sintflut, die ſogenannte
Dölkertafel, die bibliſche Urgeſchichte und
die babuloniſch- aſſuriſchen Mythen, das
altteſtamentliche Prophetentum im allge ;
meinen und die Propheten Ifaias und Da-
niel im befonderen.
Das Buch würde an praktiſcher Braud-
barkeit gewinnen, wenn noch mehr Stich⸗
wörter im Inhalts verzeichnis aufgenommen
wären. Auch wünſchte man über manche
Fragen mehr zu erfahren, 3. B. über den
muſtiſchen Sinn (8. 182), die Sionsfrage
(8. 388 f.), über die nachexkiliſchen reli
giöfen Strömungen bei den Juden. Wären
manche Exkurſe in den alten Grundſtock
mehr eingearbeitet, 3. B. die inner und
außenpolitiſche Geſchichte der Rönigszeit.
würde das die Ülberfichtlichkeit des Buches
erhöhen. Bei der Behandlung der Penta ;
teuchfrage wäre heutzutage, wo das Well;
hauſen'ſche Syftem mit feinen entwick ·
lungsgeſchichtlichen Dorausfegungen durch
die Reſultate der neuen orientaliſchen Fot ·
ſchungen vollſtändig erſchüttert if, ein
[härferes Auseinanderhalten zu wünfden
zwiſchen ihm und der Quellenſcheidungs⸗
theorie, wie fie nur auf Grund literar-
kritiſcher Beobachtungen angenommen
wird. Ruch ſollte der beſer mehr Auf-
ſchluß erhalten über die Schwierigkeiten,
welche die ſogenannten Doppelberichte be;
reiten, damit er auch Werken wie der
„ gexateuch-Sunopſe“ von Eißfeldt gegen ·
über in etwa urteils fähig werde. Dieſe
Rus ſtellungen und Wünſche wollen indes
dem Buche als Sanzem Reinen Eintrag
tun. Es verdient im Gegenteil in feiner
neuen Geftalt wärmfte Empfehlung.
D. Bius Bihlmeyer (Beuron).
Klug, Dr. Ignaz: Der Beiland der Welt.
Ein Chriftusbild. 7.— 12. Taufend. RI. 8°
(IV und 696 8.) Paderborn 1923, Ferd.
Schöningh. Seb. I. 7.80
er, der Eine, iſt uns immer noch der
große Unbekannte, ſo oft wir auch ſeinen
Namen im Munde geführt und feine Ge⸗
ſchichte geleſen haben. Er ift ein Mlyfte-
tum, das große Muſterium, das heute
noch undurchſchaut unter den Menſchen
ſteht. Seine Gebensbefchreibung wandert
balb 2000 Jahre durch die hände der
Menfhen, ein Seſchlecht gibt ſte dem an-
dern weiter; aber auch wir ſtammeln noch
hilflos die Worte der Evangeliften nach,
ſtammeln und können nicht faſſen, nicht
begreifen. Und doch iſt das Wort Kar-
dinal lewmans fo wahr, das Alug mit
Recht auf das Titelblatt feines Heiland
buches geſetzt: „Iſt es nicht unleugbar, daß
das wirkliche Geben perſönlicher Religion
bei uns Ratholiken in einer inneren
Kenntnis der Evangelien liegt? Es iſt
Charakter und Gehaben unſeres Herrn,
Seine Worte, Seine Taten, Seine beiden,
Seine Werke, die wirklich Nahrung un⸗
ſerer Andacht ſind und Richtung unſerem
beben.“ Ein Tropfen der Erkenntnis geſu
ft uns größere Labfal als Ströme der
Weltweisheil. Darum müſſen wir jedem
Autor dankbar fein, der uns die Schale
bietet, mit der er geſchöpft hat aus den
ewigen Quellen der Evangelien.
klug hat die Babe der Einfühlung in
die Feit · und Lebens verhältniſſe Jeſu. Die
profanen und bibliſchen Wiſſenſchaften
in mühſeliger Forſcherarbeit Roſt⸗
bares Material aus den Steinbrüchen der
verſchiedenen Wiſſensgebiete herausge-
ſchafft und in gelehrten Werken aufge-
215
häuft. klug hat die harten, ungeſchlachten
Maſſen mit ſchöpferiſcher Geſtaltungskraft
verarbeitet und ein kunſtvolles Ganzes
daraus geſchaffen, das uns hoch erfreut.
Mit bilohafter Anſchaulichkeit tritt geſus
vor uns inmitten ſeiner Umwelt. Wir
ſehen und hören ihn auf fie einwirken
und dieſe auf ihn. So begreifen wir man ⸗
ches Warum ?, das wir ſonſt ſchwer in uns
trugen. Der Verfaſſer hat eine Muſter⸗
leiſtung edler Populariſterung der Wiffen-
ſchaft vollbracht, lehrreich für geiſtliche
Schriftſteller und Prediger.
lug denkt ſich moderne menſchen als
beſer der Evangelien, moderne Menfden,
die in einer von Zweifeln und Bedenken
gefhwängerten Atmoſphäre leben. Mit
großem Geſchick begegnet er den Einwürfen
der ungläubigen Kritik. So kann die aus-
gehungerte Seele — und waren die Seelen
je fo ausgehungert wie in unſeren Tagen? —
in Ruhe genießen vom Brote, das vom
Himmel gekommen iſt, und ſchöpfen aus
den Quellen, die zum ewigen beben ſpru⸗
deln. Exegetiſch ſicher, pſuchologiſch fein⸗
fühlend verſteht er es, Wort und Beifpiel
des Erlöſers dem ſinnenden Gemüte des
heutigen Menfchen nahezubringen, bald in
lockender bald in zündender Sprache. Mag
auch der häufig pathetiſche Stil manchen
beſer Klugſcher Schriften etwas ermüdet
haben, wir zweifeln doch nicht, daß ſein
Werk vom heiland viel edle Erbauung,
geſund aufgeklärte Religiofität, erquik -
kende Friſche des inneren Lebens und
Strebens zu vermitteln im Stande ift. Vor
allem möchten wir wünfchen, daß die Per⸗
ſon Jeſu ſelbſt dem Lefer noch lieber und
teuer würde, da es Klug vorzüglich ge⸗
lungen iſt, die erſchütternde Tragik ſeines
irdiſchen Lebenslaufes ergreifend zum
Bewußtſein zu bringen.
nor, goh. B.: Pauliniſche 8entenzen.
kl. 8° (156 8.) Limburg 1922, Steffen.
Geb. M. —.75
— Pfalterium. Kurze Erklärung der
Pſalmen und Rantika der Wochenoffi⸗
zien des römiſchen Breviers für Kleriker
und Ordensleute. 2. Auflage. 8° (176 8.)
Ebenda 1923. Seheftet IM. 2.—; ge⸗
bunden M. 2.50
1. Sedanken des hl. Paulus zu ver-
breiten, iſt das ſehr löbliche Bemühen
216
des Derfalfers. Ausgewählte Derfe aus
deffen Briefen, in zeitlicher Aufeinander-
folge und kurz charakterifiert, werden aus
genützt in praktiſchen Uutzanwendungen:
ein Beiſpiel liebevollen Derfenkens in den
Geift des hl. Paulus, das zur Uachahmung
beſtens empfohlen werden kann.
2. Damit das Breviergebet nicht zur
‚ Laft oder mechaniſchen Leiftung werde,
ſucht der Derfaffer ihm Beift und Leben
einzuhauchen. Er wendet dem Hauptteil
des Brevieres, den Pfalmen, feine Auf-
merkfamkeit zu und würdigt fie als Be⸗
ſtandteile des heiligen Offiziums. Ein
Tagesgedanke ſoll den Beter begleiten, je⸗
doch ſo, daß weder ihm noch den Texten
ein Zwang auferlegt wird. Schon die erſte
Auflage des Schriftchens wurde als praktiſch
brauchbar anerkannt; die zweite verdient
dieſe Empfehlung in erhöhtem Maße.
P. Laurentius Rupp (Weingarten).
Philoſophie und Theologie
Donat, J., 8. 9.: Logica. Ontologia.
Psychologia. [Summa philos. christ.
t. I., III., V.] ed. 4a & 5a emendata et
aucta. 8° (X u. 227; VIII u. 259; VIII u.
4748.) Innsbruck 1922, 1921, 1923, Rauch.
poſchmann, Dr. Bernhard: Kirchen⸗
buße und correptio secreta bei Nu-
guftinus. [Sonderaböruck aus den Dor-
leſungsverzeichniſſen der Akademie zu
Braunsberg]. gr. 8° (86 8.) Braunsberg
1923, ermländiſche Verlagsdruckerei.
1. Die Vorzüge des Pehrbuches der Philo;
ſophie von P. Donat, deſſen 7. und 8. Band,
allgemeine und beſondere Ethik, bereits im
3. Bande dieſer Zeitſchrift (8. 400) be⸗
ſprochen wurde, ſind in der Ueuauflage
gewahrt, trotzdem, bezw. weil der Derfaffer
nicht unbedeutende Veränderungen vorge⸗
nommen hat. Denn dadurch hat das Werk
an Klarheit und Dollftändigkeit nur ge=
wonnen, ſo daß wir jetzt in ihm raſch
auch über die neueſten philoſophiſchen
Fragen unterrichtet werden. Dies gilt ins⸗
beſondere von der „Pſuchologie“. P. Do-
nat berührt hier u. a. den Intuitionismus
(Bergſon, Scheler), den hupnotismus, den
Okkultismus (Theoſophie, Spiritismus,
Telepathie, Hellfehen, Zweites Geſicht), das
Unterbewußtſein, die Temperamente uſw.
Überhaupt wird die experimentelle mit
der ſcholaſtiſch⸗ rationalen Pſuchologie in
glücklicher Weife verbunden. Wir wünſchen
der Ueẽauflage den verdienten Erfolg.
2. In vorliegender Schrift nimmt Poſch⸗
mann zu Adam: Die geheime Kirchenbuße
nach dem hl. Ruguftin (1921; vgl. dieſe eit ·
ſchrift 1923 8. 133) Stellung. In der haupt⸗
ſache hält er ſeine Anſicht aufrecht: Für
Auguftinus gibt es nur eine Art der kirch⸗
lichen Buße. Sie iſt in ihren Weſensbe⸗
ſtandteilen dieſelbe, ob öffentliche oder ge⸗
heime Vergehen vorliegen. Immer gehören
zu ihr Exkommunikation und Rekonzili⸗
ation. lach Adam kennt Auguftinus neben
der öffentlichen auch eine geheime Buße:
jener iſt die Exkommunikation eigentüm ;
lich, bei der geheimen fällt fie weg. Adam
gibt zu, daß auch bei der geheimen Buße
eine „Trennung vom Altar“, das iſt vom
Empfang der heiligen Luchariſtie, ſtatt⸗
gehabt habe. Er meint aber, dieſe ſei nicht
als Exkommunikation zu bewerten, weil
ſte nicht den Charakter einer kirchlichen
Strafe habe. So will denn P. den Beweis
erbringen, daß dieſe Trennung vom Altar
bei geheimen Sünden ebenſo als Exkom⸗
munikation zu faſſen ſei wie bei der voll⸗
öffentlichen Buße.
Dem Sewichte der Gründe, die Poſch⸗
mann für ſeine Theſe beibringt, kann man
ſich ſchwerlich entziehen; insbeſondere
ſcheint er den Beweis erbracht zu haben,
daß die Exkommunikation, das Weſens⸗
merkmal des öffentlichen Bußweſens, eine
Forderung der altkirchlichen Disziplin war,
die Auguftinus vollkommen anerkannte.
Daß Auguftinus aus ſeelſorglichen Srün⸗
den von dieſer Disziplin abgewichen wäre,
müßte durd klare pofitive Jeugniſſe un»
zweideutig dargetan werden. Die Deutung
der in Frage kommenden Auguftinustezte
durch Adam iſt indes keine in dem Grade
ſichere, daß man daraus auf eine durch
Auguftinus eingeführte geheime Kirchen ⸗
buße ſchließen müßte. Die Auslegung von
de fide et op. 26, 48, die Poſchmann gibt,
iſt entſchieden möglich.
P. Benedikt Baur (Beuron).
Bagiographie und Biographie
Döring, P., C. 8. 8 p.: Dom guden zum
Ordensſtifter. Der ehrw. P. bibermann
und die Gründung der afrikaniſchen Mif-
fion im 19. Jahrhundert. (XII u. 351 $.)
Druck und Verlag Miſſtonshaus. Knecht⸗
ſteden 1921.
Rainer, P. Joh. Bapt., O. F. m.: Der
hl. Franz Solan. Patron der Franzis»
kaner-Miffionen. herausgeg. von P. Th.
Kogler, O. F. M. 8 (352 8.) Wiesbaden
1921, Rauch.
1. Das Geben des P. Pibermann iſt ſchon
mehrfach beſchrieben worden, vor allem
von Kardinal Pitra und mehr volkstümlich
von P. Paplace. P. Döring ſtützt fi auf
feine Vorgänger, bringt aber auch aus
weiteren Quellen Ergänzungen. Niemand
wird ſein Werk aus der hand legen, ohne
reichlich erbaut und gehoben zu ſein. Wun⸗
der der Gnade geſchehen zu allen Zeiten;
ein auffallendes Beiſpiel aus neuerer zeit iſt
die Bekehrung und das Geben des P. Piber ·
mann (+ 1852). In Zabern als Sohn des
dortigen Rabbiners Lazarus O., eines fa-
natiſchen Talmudiſten geboren, für das
Rabbinat im väterlichen Geifte erzogen,
kam Jakob (als Chrift: Franz Paul Maria)
b., gleich vieren feiner Brüder zum chriſt⸗
lichen Glauben, blieb ihm im Kampf mit
der Rindesliebe treu, ja wurde in ihm
ein heiliger. In ſchweren körperlichen
beiden (Fallſuchf) und vielen ſeeliſchen (bef.
Furcht, verworfen zu ſein, Berufsängſte u. a.)
erprobt, bei der Gründung der Genoſſenſchaft
für die verlaſſenen Afrikaner, zu der er
fi) innerlich angetrieben fühlte, hart be»
drängt, erwies er fi in allem als voll»
kommen williges Werkzeug in der Hand
Bottes. Mit eingegoffenen Gaben ausge⸗
ſtattet war er ein fruchtbarer aszetiſcher
Btiefſchreiber und geſchätzter Seelenführer,
der durch Entſagung zur Vereinigung mit
Bott zu führen ſuchte, und ein ſorgſamer
beiter feiner „Genoſſenſchaft vom unbe-
flekten herzen Mariä”, der er 1848 durch
die Dereinigung mit der dem Erlöfchen.
nahen Kongregation vom hl. Geiſte ſtaat⸗
liche Anerkennung und die ſehr nötige
materielle Sicherung verſchaffte. Der VDer⸗
faſſer macht uns auch bekannt mit den
erſten Mitarbeitern und den opfervollen
Anfängen der Miſſton. Seite 221 heißt es
„unendliche Miſſtonsgebiete“ ſtatt ausge-
dehnte; 8. 225 „Gukas in Alexandrien“
Ratt Markus; 8. 229 unklar „ monaſtiſch
verſchleiert , über Goreto müßte man heute
wohl etwas anders ſchreiben als 8. 152
Benediktinifche Monatſchriſt VI (1924), 5—6.
217
geſchehen iſt. Das auch reich mit Ab⸗
bildungen ausgeſtattete treffliche Pebens⸗
bild ſei warm empfohlen. |
2. Don der nur Tatſächliches darbieten-
den bebensbefchreibung Lieber manns fticht
P. Rainers Werk ſtark ab. Die lebens-
geſchichtlichen Angaben über den in Süd-
fpanien und Südamerika (TC ukuman und
Peru) erfolgreich wirkenden Heiligen treten
hinter dem ſte umrahmenden Beiwerk des
Berfaffers vielfach ſtark zurück. Gar oft
hält er ein in der Fortführung der Lebens ·
geſchichte ſeines helden, um, wie er einmal
ſagt, „unfer Leben nach der vorgelegten
Elle zu meſſen, um wie viel unſere Demut
[oder fonft eine andere Tugend] zu kurz
ift und wie fie geſtreckt werden muß, daß
fie das richtige himmelsmaß erlangt.”
Seine Alban Stolz nachgebildeten morali⸗
ſterenden Beigaben find meiſt friſch und ge-
wandt in bilder ⸗ und farbenreicher Sprache,
mitunter etwas urwüchſig derb geſchrieben
und enthalten treffliche und kernhafte as ·
zetiſche behren. 8o kann die Schrift als Er ·
bauungsbuch wohl Nutzen ſtiften; geſchicht⸗
lich führt Rainer nicht hinaus über Ida
hHellinghaus (Hus allen Zonen 8. Bändchen;
Trier 1912) und früher ſchon P. Melanius
Binger (Wien 1877).
P. Bieronymus Riene (Beuron).
Rnor, goh. B.: Die hl. Cherefia. Ihr
beben, Wirken und Charakter mit einer
Blütenlefe aus ihren Schriften. 8° (III und
1248.) Wiesbaden 1924, Rauch. Geb. M. 3.—
Der Derfaffer beabſichtigte nicht, eine Bio
graphie der großen heiligen zu ſchreiben.
Uach einer kurzen Darſtellung ihres Ge-
bens und Wirkens bietet er vielmehr in
katechetiſch · homiletiſcher Art eine Überſicht
über deren Tugenden, belegt mit Aus-
ſprüchen und Beiſpielen. Dabei kam es
ihm nicht darauf an, das außerordentliche
Snadenleben der großen Muſtikerin dar-
zulegen, ſondern zu zeigen, daß ihr ganzes
religiõſes beben ruhte auf der zuverläf-
ſigen Grundlage echt chriſtlicher Tugenden,
die für alle beachtens⸗ und nachahmens⸗
wert find. Ganz in dieſem Sinne beſchenkt
uns der zweite Teil des Büchleins mit einer
Auswahl trefflicher Gedanken der heiligen,
die dem beben und Streben des Chriſten
Schwung und Richtung geben können.
D. Caurentius Rupp (Weingarten).
14
218
S. Augustini Confessiones. Die Ge-
ſchichte einer Renſchenſeele. Auf Srund⸗
lage der Mauriner Ausgabe in Auswahl
herausgeg. und erläutert von Oberftudien-
direktor Dr. Wolffhläger-Münfter und
Studienrat Aoch- Dortmund. Aſchendorffs
Rlaffiker-Rusgaben] 2 Boch. I. Text, II. Ex-
läuterungen. 12 (XXXII und 568. mit
Bild u. 84 8.) Münfter 1923 und 1924,
Aſchendorff. Kart. M. —.75; M. —.85
AuswahlausAuguftiinsConfessiones.
herausgegeben von A. Aurfeß.
Quellen zum Geben Barls des Großen.
Hrsg. Dr. 8oswin Frenken [Eclogae
graecolatinae fascic. 1 & 2]. kl. 8° (je
32 8.) Leipzig 1921, Teubner.
Neben des hl. Baſilius, „Mahnworte an
die Jugend“ (1900!) quſtins Apologien
(1912) und einer neueften Zufammen-
ſtellung lateiniſcher chriſtl. Hymnen (1922)
enthalten nun die Aſchendorffſchen Schul;
bücher auf Grundlage des Maurinertextes
mit Heranziehung der Löwener Ausgabe
und der beiden Anöllfhen, „wo fie eine
Derbefferung bieten“, als viertes (Doppel) -
bändchen chriſtlicher Literatur eine offenbar
forgfältig abgewogene Tertauswahl aus
Auguftins „Bekenntniffen“ und einen ver-
hältnismäßig breit angelegten kommentar
dazu. Die inhaltreiche, feitenlange „Ein⸗
leitung“, wie die weitherzig wegweiſende
Diteraturangabe (die Tezt-Doll-Aus-
gaben find leider nur im Vorwort ge⸗
ſtreift) zeigen, daß die Herausgeber, wie
fie es auch ausdrücklich betonen, über die
Schule hinaus einen weiteren Leferkreis
von einzelnen und Zirkeln berückſichtigen
und erhoffen. — Die kleine billige Auswahl
aus den „Bekenntniſſen“ von A. Kurfeß
war den Herausgebern bekannt. Sie be⸗
hält neben der Neuausgabe Verdienſt und
Wert. Es ſpricht für ſein ſicheres Gefühl,
daß die Ueuherausgeber kein Kapitel ſei⸗
ner Auswahl ganz übergehen konnten.
Doch erlaubte ihnen der reichlicher zur
Verfügung ſtehende Raum, bedeutend mehr
zu bringen und Auguftins ſeeliſche Ent⸗
wicklung ſo beſſer aufzuzeigen. Warum ſie
im Gegenfa zu Kurfeß den zähen Rampf
(Buch 8, 11) geſtutzt und aus 9, 10 gerade
den Edelftein herausgebrochen haben,
iſt nicht recht erſichtlich. Denn in der
ganzen Weltliteratur iſt der Aufftieg des
Geiftes zur ewigen Wahrheit wahrſcheinlich
nie ſo wunderbar beſchrieben worden.
Im Zuſammenhang mit furfeß ſei auch
auf den 2. Faſzikel der Eclogae verwie-
fen, die Quellen zum Leben Karls d. Er.
hrsg. von Dr. Soswin Frenken, eine recht
ſchöne Zufammenftellung aus Einhart,
Notker Balbulus, Alkuin, Dupus von Fer-
rieres, die auch das oben 8. 168 genannte
Runöfchreiben Karls über die Studien in
den Klöftern enthält, und an der nur
eines zu bedauern iſt, daß jede Rechen ·
ſchaft iiber die Textunterlage fehlt.
Bierbaum, Dr. ma: Papft Pius XI.
Ein Gebens- und Zeitbild. 8° (181 8. mit
20 Abbildungen). Köln 1922, Bachem.
Forbes, F. A.: Papſt Pius X. Ein
bebensbild. Deutſche Bearbeitung. 8°
(180 8. mit Titelbild). Freiburg 1923,
Herder. Geb. M. 3.50
1. Welcher gute Sohn möchte nicht um
die bebens ſchickſale feines Vaters wiſſen,
welcher Aatholik hörte nicht gern vom
heiligen Dater reden? Das „Lebens- und
Jeitbild“, das uns aus dem deutſchen
Campo santo in Rom durch Ma Bier ·
baum zukam, ift eine Juſammenſtellung
aus Mitteilungen, Erlebtem und Erlefenen,
mitunter befonders in den perfönlidhen
Erlebniffen etwas breit, aber immer unter-
haltlich und anregend. Das gut mit
Bildern ausgeſtatte Seſchenkwerk erfüllt
als erfte Überfchau vollauf feinen Zweck.
2. Der Name Pius ift ein Programm:
Das Andenken an unſeren unvergeßlichen
Heiligen Dater Pius X. lebt in ihm fort,
dem der Schmerz um feine finder am be»
ginnenden Weltkrieg das herz gebrochen
hat. Alle Saiten unſerer Seelen Klingen
wieder, wenn wir die deutſche Bearbeitung
des ſchlichten, aber warmen Lebensbildes
von F. H. Forbes zur hand nehmen. Es iſt
mit dieſem Buche faſt wie mit ſeinem Bilde:
Rönnen wir Pius X. ins Antlitz ſchauen,
ohne die Reinheit ſeines Wollens und die
Tiefe feines Wefens in uns hineinzutrinken?
In St. Peter hat man ihm ein Denkmal
errichtet; die einen ſagen, es fei ſchön, die
andern, es ſei nicht der zehnte Pius. In
unfer aller Herzen ſteht ihm ein Denkmal
ſchöner denn Marmor, unvergänglicher
als Erz. Eine große Freude iſt es dem
Orden St. Benedikts, dem Papſt Pius
äußerlich und vor allem innerlich ſo nahe
ftand, daß einer feiner Söhne, der Dallum-
broſanerabt D. Benedetto Pierami von
8. Prassede, zum Poftulatur feines Selig»
ſprechungs prozeſſes ernannt ward. Möchten
wir an Pius X. erleben, was er ſelber
im Sinne ältefter „Kanoniſationen“ kühn
gewagt hat: eine Seligſprechung unter Zeit-
genoffen! Himmel und Erde würden für
einen Augenblick zuſammenfließen und bei
Taufenden das Bewußtfein geftärkt, daß
das Beiligwerden auch uns Beruf und Ziel
ift. P. Sturmius Regel (Beuron).
Ordensgeſchichte
kick, O., Die ehemaligen ſtabilen RIö-
ſter des Bistums Paſſau. 8° (367 8.)
Baſſau 1923, Schweickelberg, Kloſterverlag.
lach feinen eigenen Worten wollte der
Derfaffer „die Mitglieder der ehemaligen
ſtabilen Klöſter im Gebiete des Bistums
Baſſau der Dergeffenheit entreißen und
dadurch zugleich einen kleinen Beitrag zur
Seſchichte dieſer im Jahre 1803 aufgeho-
benen, um ſtirche und Staat hoch verdienten
Hlöſter liefern“ (S. II. Mit emfigem Fleiße
hat er zu dieſem Zwecke aus den verſchie⸗
denſten Quellen das Material zuſammen⸗
getragen. Die Benediktinerklöſter Asbach,
lliederaltaich, Dornbach; das Benediktine⸗
tinnenkloſter Niedernburg bei Paſſau, die
Jiſter gien ſerklõſter Aldersbach, Fürſtenzell,
Raitenhaslach: das Chorherrenſtift St. Ti»
kola bei Paſſau und die Prämonftratenfer-
klöfter Oſterhofen und St. Salvator find
in dem ſtattlichen Bande zuſammengefaßt.
Wohl möchte man vielleicht wünſchen, daß
dieſe klöſter noch eingehender behandelt
worden wären, wie dies P. Lindner in
feinen ſüddeutſchen Profeßbüchern getan
hat. Doch auch ſo darf man ſich über das
Bebotene nur freuen. Beſonders begrüßens⸗
dert iſt die Beigabe von gahreskatalogen
der Mitglieder der einzelnen Klöſter. Diefe
Stichproben aus verſchiedenen gahrhun⸗
derten geben ein anſchauliches Bild von
dem wechſelvollen Schickſale der Kloſter⸗
gemeinden. So zählte z. B. Hiederaltaich,
um nur das größte Kloſter zu nennen, im
gahre 1256 44 Konventualen, 1335 deren
57, 1433 noch gegen 40, 1546 dagegen nach
den furchtbaren Stürmen der Reforma-
tionsjahre nur noch 7. Im 17. und 18. Jahr-
219
hundert erholte ſich das Kloſter ſoweit, daß
es im Jahre 1731 wieder 60 Ronventualen
fein eigen nannte und im Jahre der Auf-
hebung 1803 nicht weniger als 57 Mönche
in der Gemeinde zählte. — Dieſer Kleine
Ausſchnitt allein zeigt ſchon, welch wert⸗
volle Ausbeute für die Ordensgeſchichte
aus einer [cheinbar trockenen Material-
ſammlung, wie fie das vorliegende Werk ent-
hält, gewonnen werden kann. Mögen uns
daher auch für andere Diözefen unferer deut-
ſchen Heimat ähnliche Werke in entſagungs⸗
vollem Sammelfleiße geſchenkt werden. Es
diente zu einer vertieften Kenntnis unſerer
ſtloſter - und Ordensgeſchichte.
P. Albert Schmitt (Weingarten).
Jeitgeſchichte
Schlund, Dr. Erhard, O. F. m.: Ueu⸗
germaniſches Heidentum im heutigen
Deutſchland. gr. 8° (72 8.) münchen
1924, Dr. Fr. Pfeiffer & Co.
Der Derfaffer ift der Anſicht, der Krieg,
den das Chriſtentum gegen das altgerma⸗
niſche heidentum geführt hat, ſei niemals
ganz abgeſchloſſen worden, als Kleinkrieg
habe er nach dem allgemeinen Sieg des
Chriftentums weitergedauert. „Männer,
denen Wodan lieber war als Chriſtus“,
ſagt er, „gab es wohl immer“; und er
fügt hinzu: „Heute ſcheint es nun, daß
dieſer Jahrhunderte dauernde Kleinkrieg
wieder zu einer offenen Feloͤſchlacht werden
möchte“. P. Schlund ſucht das zweite zu
beweifen, indem er die verſchiedenſten Der-
treter der deutſch⸗ völkiſchen Bewegung zu
Wort kommen läßt. Da erfährt man vie⸗
les, was in Erſtaunen ſetzt und empört,
manches aber auch, was zur Gewiſſens⸗
erforſchung antreibt. Traurig iſt es, zu
ſehen, wieviel guter Wille und ideales
Streben hier wieder in die Irre geht. Ob
wir Ratholiken alles getan haben, es zu
verhindern? Schwerlich! Daher der Rat
des Derfaffers: „Möchten [befonders] die
Ratholiſchen Prieſter und Theologen nicht
bloß die nicht⸗katholiſchen Sekten,
ſondern auch die nicht- chriſtlichen Rir-
chengründungen ſtudieren und bekämp⸗
fen“. Es iſt wirklich ein Buch aus der
Zeit für die Zeit.
P. Willibrord Derkade (Beuron).
K&K K 8
14*
-
220
Aus dem Orden des hl. Benediktus
Um die Salzburger Univerſität.
m 12. November 1923 beging zu Salzburg die dortige theologiſche Fakultät durch
Feſtgottesdienſt in der Kollegienkirche und Feſtakt in der Aula academica die
Jubelfeier ihres dreihundertjährigen Beſtehens bezw. der Bründung der ehemaligen
Salzburger Benediktiner-Univerfität. „Iſt es nicht ein fragwürdiges Unterfangen“,
meinte bei dieſem Anlaß Domkapitular Chr. Greinz in der Salzburger „Katholiſchen
ktirchenzeitung“ (Nr. 46 vom 15. Uov.), „das Andenken an ein der Vergangenheit
anheimgefallenes Inſtitut wieder aufzufriſchen, das ſchon ſeit mehr als 100 Jahren
zu beſtehen aufgehört hat und überdies noch in Wort und Schrift der Gegenwart
geringſchätzig und abfällig beurteilt wird...“ Den Vorwurf der Bedeutungslofigkeit
weiſt er ſelber als ungerecht zurück; die Annahme, daß die alte Univerſität über-
haupt nicht mehr beſtehe noch auch in altem Glanze je wieder aufleben könne, wider ⸗
legen einmal der Fortbeſtand der theologiſchen Fakultät und dann die eifrigen Be ·
mühungen, gerade jetzt, allem Trübſinn zum Trotz, von neuem an die Nusgeſtaltung
der alten Benediktiner -Univerſität heranzutreten.
Rein Geringerer als der frühere Salzburger Moralprofeſſor und derzeitige Bundes ⸗
kanzler für öſterreich, Prälat Dr. Ignaz Seipel war es, der dieſen Optimismus in die
Feftverfammlung hineintrug. „Als vor 300 Jahren“, fo führte er u. a. aus, „ein Salz-
burger Fürft- und Erzbiſchof die Univerfität gegründet hat, ſtand das Heilige Römiſche
Reich und mit ihm ganz Europa am Beginn der größten Wirren. War doch ſchon
jener Krieg im Gange, den die ſpätere Zeit den Dreißigjährigen nennen mußte. Gott
ſei Dank ſehen die Menſchen nicht in die Zukunft, und wenn fie auch aus der Er-
innerung her, die ihnen die Vergangenheit bietet, ſorgenvoll ſein könnten und darum
verzagt fein möchten, fo werden fie es nicht tun, wenn fie Vertrauen. haben auf
Gott, der ein Werk, das mit gutem Willen begonnen iſt, ganz gewiß fegnet... Ich
denke, Gott hat dieſe Fakultät nicht als abſterbenden Überreft der alten Univerfität
ſolange ſtehen laſſen, ſondern als eine Keimzelle für eine neue Alma mater Salis- 3
burgensis. Die Zeiten find vorbei, ich glaube nicht nur für den Augenblick, ſondern
wahrſcheinlich für immer, in denen der Staat alles allein machen kann und in denen
der Staat alles für ſich allein machen will. Auch als [der Gründer der ehemaligen
Univerfität] Paris Lodron Salzburg regierte, hat er nicht mit feinen Kräften allein
die Univerfität aufrichten können; er hat ſich an andere gewandt, an die Benediktiner:
äbte des Reiches. Wieder ſtehen wir an einer Jeitenwende, wahrhaft glaube ich an
einer Zeitenwende, nicht an einem Zeitenende! Wenn jetzt wieder von Salz
burg aus ein Ruf erſchallt, beizutragen, daß die hieſige hochſchule wachſen und ge⸗
deihen kann, und wenn dieſer Ruf an Sie, hochwürdigſte Äbte, als an die erſten
gerichtet wird, dann zeigen Sie fi würdig Ihrer Ahnen, dann verzagen Sie nicht
in ſchwerer Zeit und helfen Sie, daß hier in Salzburg eine große rühmliche Pflanz
ftätte für alle wiſſenſchaftliche Arbeit, aber hauptſächlich für die theologiſche Beiftes- ·
arbeit erhalten bleibe oder neu erbaut werde.“
Die alſo aufgerufenen Hochwürdigſten Herrn Abte, ihrer vierzehn an der Zahl:
vier von der Bayrifchen, neun von den beiden Oſterreichiſchen Aongregationen und
der Olivetanerabt von Tanzenberg beſchloſſen noch am gleichen 12. November 1923
im Sinne der Aufforderung und gemäß dem Wunſche des hl. Apoſtoliſchen Stuhles
und der Kongregation der Regularen, beim Stift St. Peter in Salzburg ein eigenes
u
Ordensftudienhaus für die ſtudierenden Kleriker der Benediktinerftifte Öfterreihs
und Bayerns zu errichten und dieſes wenn möglich ſchon im Jahre 1924 zu eröffnen. ni
Hand in Hand damit ſolle durch den Orden die Hebung der theologiſchen Fakultät
und deren Ausgeftaltung zu einer theologiſch⸗philoſophiſchen hochſchule ins Auge gefaßt
221
und in engſter Fühlungnahme mit der Bundesregierung und dem beftehenden
Trofefforen-Rollegium der Fakultät die nötigen Schritte dazu unternommen werden.
Anläzlich der Ginzer Domweihe kamen die Abte zahlreicher öſterreichiſcher und
reichsdeutſcher Benediktiner · und Zifterzienferklöfter zu neuen Beratungen über das
hochbedeutſame Unternehmen zuſammen. Eine groß angelegte „Aonföderation“, die
alle Benediktiner · und Zifterzienferklöfter deutfcher Zunge, alſo außer den beiden
Öfterreihifchen und der Baueriſchen auch die Ottilienſtſche, Schweizeriſche und Beuroner
fongregation umfaßt, ſoll die Gründung und den geſamten Ausbau des gemeinſamen
Salzburger Studienkollegs ſicherſtellen. Im Geiſte der heiligen Ordensregel werden
darin die jungen Aleriker erzogen und in den philoſophiſchen und theologiſchen Fä⸗
chern unterrichtet. Die neue Lehranftalt wird auch das Recht bekommen, die aka-
demiſchen Grade zu verleihen.
ſtirche und Staat haben aufgefordert, die alte Benediktiner - Univerſität zu neuem
beben zu erwecken. Die deutſchen Benediktiner und Zifterzienfer werden tun, was
in ihren ktrãften ſteht, das ſchwierige Werk zu wagen. Alles werden auch fie nicht
leiſten können. Sie geben daher den Ruf, der an fie ergangen iſt, weiter an ihre
Mitbrüder in allen Ländern und an ihre Freunde allüberall und fordern fie auf,
auch ihrer ſeits mitzuhelfen beim Juſtandekommen des wichtigen Werkes, deſſen reicher
Segen — Bott gebe es — in nicht zu ferner Zukunft mittelbar und unmittelbar Hun-
derten und Tauſenden zugute kommen möge! Gaben für den Ausbau der Univerfität
entgegenzunehmen und fie weiterzuleiten iſt der hochwürdigſte herr Erzabt von Beuron
gern bereit. Nan kann ſolche Sendungen aber auch unmittelbar richten an den hoch⸗
würdigſten Herrn Abt von St. Peter und Präſes der St. Joſefs- Benediktiner -Ron⸗
gregation Dr. Petrus Klotz O. 8. B., St. Peter in Salzburg. St. K.
Abtei vom HI. Kreuz zu Herſtelle a. d. Weſer.
N: „monaſtiſche Frühling“ unferer Tage, fo verheißungsvoll für die Kirche, hat
eine neue Blüte gezeitigt: Seit dem Benediktusfeſte 1924 befteht wieder eine
Benediktinerinnenabtei an den ſchönen Ufern der Oberweſer, wo einſt in den blühend-
ften Tagen der deutſchen Rirche fo viele Mlänner- und Frauenabteien erftanden (vgl.
Ben. Monatſchr. Sept. 1922). Das ſchöne und ſehr warm gehaltene Breve des BI.
Daters Pius XI., durch das die neue Abtei errichtet ward, nimmt darauf Bezug:
Papſt Pius XI. zum ewigen Gedächtnis. Im Zachſenlande blühten einſt ſehr viele
Klöfter von Söhnen und Töchtern des heiligen Patriarchen Benediktus. An der Spitze
Rand das ſächſiſche Cor veu, eine Tochterabtei des galliſchen Corbeia, in den nörd⸗
lichen Ländern hochberühmt durch Frömmigkeit, Wiſſenſchaft und Apofteleifer.
Alle diefe Klöfter gingen in dem ſchlimmen Sturme der lutheriſchen Reformation
und der Säkulariſation der KRirchengüter zugrunde. Nicht weit von Corvey liegt
herſtelle an der Weſer, an einem Orte, wo nach manchen ſchon der hl. Bonifatius,
der Apoſtel der Deutſchen, das Evangelium gepredigt hat. Jedenfalls erbaute im
gahre 797 ftarl der Große, als er den götzendieneriſchen Sachſen den Namen Chrifti
brachte, auf dem Bügel von Herſtelle eine Pfalz und beging dort in feierlicher Liturgie
die Muſterien der Weihnacht und der Oſtern. Bon jener Zeit an ſtand auf der höhe
des Hügels eine chriſtliche Kirche, die aber im 17. Jahrhundert in den Kriegswirren,
die das ganze Land heimſuchten, vollftändig zerſtört wurde. Später bauten aus
hõxter vertriebene Franziskaner zu Berftelle ein Alofter und eine Kirche unter dem
Titel des hl. Antonius von Padua. Als auch dieſe zu Beginn des 19. Jahrhunderts
ungerechterweiſe vertrieben worden waren, zerfielen die heiligen Gebäude wieder.
erſt im Jahre 1898 kamen Benediktinerinnen aus Duxemburg und gaben den Ort
feiner heiligen Aufgabe zurück. Unter Führung und Leitung der vor kurzem ver-
ſtorbenen Frau Priorin Margareta Blanchè ſtrebten fie die vollendete Durchführung
des monaſtiſchen Lebens mit ſolchem Eifer an, daß das Klofter nach fo vielen Wechſel⸗
fällen, nach ſo dieler Unbild, die ihm von den Zeitläufen und Menfhen zugefügt
222
worden waren, in neuer Friſche ergrünte. Damit aber das fo glücklich begonnene
Werk auf einer ſoliden Grundlage ruhe, baten die genannten Ordens frauen den Erz ⸗
abt von Beuron um die Eingliederung in die um den Benediktinerorden hochverdiente
Bongregation von Beuron. Dieſer überlegte die Sache mit den Affiftenzäbten reiflichſt
und ging dann gerne auf den Wunſch ein, nachdem er zuerſt in gebührender Weiſe
die Zuſtimmung des Apoſtoliſchen Stuhles eingeholt hatte.“ Nach dieſer geſchichtlichen
Darlegung folgt die feierliche Beſtimmung des BI. Vaters, durch die er das Kloſter
der Beuroner Aongregation einverleibt und dem Biſchof von Paderborn die Erhebung
des Kloſters zur Abtei überträgt (dies geſchah alsbald durch gütiges Schreiben des
hochwürdigſten herrn Biſchofs Kaſpar Klein). „Diefer fo errichteten Abtei aber“, fährt
das Breve fort, „geben wir den Titel a sancta Cruce (vom heiligen Areuz), weil
das Areuz des Herrn von alters her in Herftelle in hoher Verehrung ſtand, und aus
dem Wunſche heraus, daß durch dieſes Zeichen des Kreuzes das monaſtiſch⸗ bene
diktiniſche beben in Sachſen und in der Diözefe Paderborn in neuem Glanze wieder:
aufſtrahle“. Nach der juriſtiſchen Schlußformel folgt das Datum, das Siegel mit dem
Fiſcherring und die Unterſchrift des Kardinalſtaatsſekretärs. |
Dem päpftlichen Schreiben brauchen wir kaum etwas beizufügen. Doch ziemt es
ſich, mit Kurzen Worten auf die hervorragende Frau zurückzukommen, die der BL
Vater ſelbſt mit rühmenden Worten als die geiſtliche Gründerin des neuen Gottesbaues
bezeichnet: die am 29. Dezember 1923 verftorbene Frau Priorin Margareta Blanche.
Ihre Perſon trägt ja etwas Vorbildliches an ſich, vorbildlich für ihre Abtei, die nur
in ihrem Geifte weiterleben wird, vorbildlich für alle Kinder St. Benedikts, da fie
die ſpezifiſch : benediktiniſchen Grundzüge in feltener Reinheit verkörperte; vorbildlich
für alle Rinder der Kirche, die ſich ja gerade in unſern Tagen wieder neu befeſtigen
will in dem bewährten Geifte der alten Kirche und des Mönchtums. Vorbildlich war
dies Leben nicht durch äußeren Glanz, durch eine in die Augen fallende Leuchtkraft,
ſondern gerade durch feine Einfachheit und ſtille Sröße. Das Streben nach dem Echten,
Weſentlichen, Kernigen war dieſer Frau angeboren und entfaltete ſich immer mehr
“unter dem Wehen der Gnade und dem Einfluffe eines ganz reinen Strebens nach
Gott. Gerade weil fie Zott allein ſuchte, Jah fie fo tief den Wert des benediktiniſchen
Weges zu Gott ein, der ja auch von allem abfieht, wo ſich das Ich irgendwie täufchend
einmiſchen könnte, und der unter „Führung des Evangeliums“ die Straßen Gottes
zieht in Reinheit des Herzens, in Einfalt, Demut und Gehorfam. Wie St. Benedikt
ſuchte auch die Priorin immer mehr alles Unweſentliche, bloß Gefühlsmäßige, rein
Subjektive durch den großen, weiten, einfachen Geiſt der heiligen Regel zu erfegen.
Wie aber der heilige Dater Benediktus neben der täglichen, nüchternen Arbeit am
Tugendgebäude auch dem Schwunge des herzens ſein Recht läßt, aber nun allen
Idealismus, alle Schönheitsfreude und allen Drang der Liebe in den großen Strom-
lauf der kirchlichen Liturgie leitet, fo fand die Priorin Margareta auch den ſchönſten
Ausdruck ihres Bebetseifers, ihrer glühenden Kottesliebe in dem kirchlichen Gebete.
Da konnte die ſo einfache, praktiſche Frau in heiliger Beſchauung ſich ganz entzücken
in der Betrachtung der göttlichen Weisheit und Liebe. Beſonders teuer war ihr das
Myfterium der heiligen Meſſe, zumal der Augenblick, wo in bedeutungsvollem Schwei ⸗
gen das Geheimnis der Erlöfung auf dem Altare fi muſtiſch vollzieht. Da wurde
ihre jungfräuliche Seele ſelbſt ein Altar, auf dem ihr Opfer ſich mit dem des Heilandes
und der Kirche verſchmolz. Hier im heiligen Opfer und im göttlichen Offizium fand
fie alle Schätze der göttlichen Wahrheit und Liebe. „0 Ifrael, wie groß ift das haus
Gottes, und wie ungeheuer fein Beſitztum! Groß iſt es und ohne Grenzen, erhaben und
ohne Maß!“ (Baruch 3.). Auch wir wollen hier nur andeuten, was es war, das die
Frau Priorin zu dem Wunſch bewog, ihrem Haufe den feften Beſttz der Schätze zu
ſichern durch den Anſchluß an eine monaſtiſche Kongregation. So wandte ſie ſich
ſchließlich an den hochwſt. Hh. Erzabt in Beuron. Das Weitere fteht oben im Breve.
Aber was das Breve nur leicht berührt mit den Worten „vor kurzem verſtorben“,
muß hier noch weiter ausgeführt werden, weil es zu dem Bilde der geiſtlichen Grün»
223
derin von Herſtelle gehört. Uicht umſonſt wünſchte fie ſich als Titel der Abtei das
heilige Kreuz. Bewußt hat ſte für das große Werk den Tod auf ſich genommen.
In den beiden der letzten Monate und den furchtbaren Schmerzen ſprach fie immer
wieder: „Alles für unſere große Sache!“ „Jetzt kommt es bald!“ Sie war eine wahr ⸗
hafte Mutter, die das Leben für ihr Kind hingab; fie wußte, daß ein geiſtlicher Bau
nur auf dem Kreuze ruhen kann. 80 war der Tod die Vollendung ihres Lebens,
beides ein Opfer für Gott.
Wie fie es vorausgeſagt, wurde das ſchwierige Werk der Eingliederung ihres
Rlofters bald nach ihrem Tode verwirklicht. Schon etwa 14 Tage [päter war die
entſcheidung da. Doch dau;
erte es noch bis zum St. Bene⸗
dintustage, bis das Breve
ſelbſt aukam und der feier⸗
liche Akt der Eingliederung
und Profeßübertragung ſich
vollziehen konnte. Es war, als
ob St. Benedikt felber feine
neuen Töchter aufnehmen
wollte. Hohe, heilige Freude
ſchwebte an dieſem Tage über
dem Haufe Gottes. Segnend
ſchaute auch die verſtorbene
Mutter auf ihre Töchter herab.
Eine Granitplatte über dem
eingang erzählt, daß an dem
Orte, wo einſt der mächtige
Kaiſer Rarl feine Pfalz beſaß,
jetzt Bott ſelbſt feinen Palaſt
gegründet und ihn St. Bene;
dikt anvertraut hat; daß in
ihm die Chöre gottgeweihter
Jungfrauen dem Gamme fol»
gend Lieder fingen. Darüber
glänzt das Wappen der neuen
Abtei: mit feinem Spruche,
Super flumina præparavit eum« eine finnige Stilifierung und Symbolifierung der
bandſchaft: die goldene, kreuzüberragte Gottesburg auf dem heiligen Berge, feſt
gegründet über den unruhigen Gewäſſern der Welt. O. C.
P. Maurus Rinter zum 60-jährigen Profeßiubiläum.
m 5. April waren es 60 Jahre, daß P. Maurus Rinter die feierlichen Belübde ab-
legte. Es iſt dies ein willkommener Anlaß. dem hochwürdigen Jubilar, der ſich
um den Orden des hl. Benedikt große Derdienfte erworben hat, einige Zeilen zu widmen.
einfach und ſchlicht iſt der äußere bebensgang. Geboren am 21. Februar 1842
in Brünn (Mähren) trat Joſef inter im Jahre 1852 in das Symnafium feiner
Daterftadt ein. Hier lernte er die Geſchichte des altehrwürdigen Benediktinerordens
kennen und wurde für dieſen ſo begeiſtert, daß er bereits nach der ſiebten Klaſſe
um Aufnahme in das nahe Benediktinerkloſter Raigern bat. Am 7. Auguft 1859
wurde er von Abt Gunther Raliwoda als Fr. Maurus eingekleidet. Im Noviziate
ſetzte er ſeine humaniſtiſchen Studien fort, ſo daß er im Juli 1860 mit ſehr gutem
Erfolge maturierte. Am 5. April 1864 legte er die feierliche Profeß ab und emfing
am 4. Juni 1864 die heilige Prieſterweihe. Im Oktober 1864 wurde P. Maurus
Hk und zwei Jahre ſpäter Archivar des Stiftes, welche Ämter er bis in die
üngſte Zeit verwaltete.
Iberaus fleißig arbeitete P. Maurus in feiner Stellung als Bibliothekar und
ürchivar. Der Bücherſchatz erhöhte ſich unter ihm von ungefähr 28000 Bänden
auf 85000; er richtete durch Anlage von Katalogen die Bibliothek modern ein, fo
daß Raigern in dieſer Beziehung den großen Alöftern kaum viel nachſteht. Don
feiner Tätigkeit als Archivar zeugen die verſchiedenen Artikel und Schriften, die der
Jubilar im Paufe der Zeit verfaßt hat. Es ſei nur das Buch: »Vitae monachorum«
erwähnt, das die Biographie aller feit 1613 verſtorbenen Mitbrüder aus Raigern
enthält, eine emſige, Fleiß und Talent beweiſende Arbeit. — Aber auch über Rai⸗
gerns Kloſtermauern hinaus erſtreckte ſich feine Wirkſamkeit. Bor dem Jubeljahr
1880 tagte in Melk eine Derfammlung von Ordensbrüdern, die ſich über die Dor-
bereitungen zur Feier der 1400. jährigen Wiederkehr des Geburtstages St. Benedikts
berieten. Der anweſende Bibliothekar von Raigern machte den Vorſchlag, eine
224
Ordenszeitfchrift zu gründen. So entftanden (1880) die „Studien und Mitteilungen
aus dem Benediktinerorden”, deren Redakteur B. Maurus durch 32 Jahre war.
Welcher Wertſchätzung ſich der Jubilar im ganzen Orden erfreut, geht daraus her:
vor, daß er im Jahre 1900 vom Kolleg St. Anfelm zum Ehrendoktor der Philoſophie
ernannt wurde. Trotz all diefer Arbeiten half P. Maurus immer gern im der Seel:
forge aus. Beſonders in jüngeren Jahren war er als Prediger bei verſchiedenen
Anläſſen tätig. Der eifrige Prieſter wußte auch Laien für das kloſterleben zu be⸗
geiftern. und mehr als eine Uonne verdankt nächſt Gott ihm ihren Eintritt in ein
Kloſter. Kirche und Staat haben durch zahlreiche Ruszeichnungen das Wirken dieſes
tätigen Benediktiners gewürdigt. Doch vergaß P. Maurus nie, daß er in erfter
binie ein Mönch des hl. Benedikt iſt. Über dem „Benediktinerfleiß” vergaß er nie
den „Benediktinergeift“.
60 gahre find ſeit der feierlichen Profeß verfloſſen. Manches hat ſich geändert.
Mit tiefem Kummer ſah P. Maurus manches Unheil über fein Aloſter kommen.
Denn die traurigen Ereigniffe der letzten Jahre machten vor der Kloſterpforte nicht Halt.
Möge es dafür dem greifen Mönch vergönnt fein, in einer beſſeren Zeit das eiſerne Jubi-
läum zu feiern. Wenn es aber einmal Abend werden will, dann möge ſich ihm jenes
himmliſche bichtkloſter auftun, das alle Mönche umfaßt, die getreu nach der heiligen
Regel gelebt haben. Fr. Aelted Pexa O. Ciſt. (Kloſter Heiligenkreuz, Wien).
Siturgiſcher Rongreß in Mecheln 4.— 7. Aug. Nach der erfien „Liturg. Tagung“,
7.— 8. Juni 1910 in der Abtei Mont Céſar (Cöwen), fanden 1912 in Maredfous, 1913
in böwen „Liturgifhe Wochen“ ſtatt. Die für Auguſt! September 1914 angekündigten
„Diturgiſchen Exerzitien“ verhinderte der rieg. Uach dem Waffenſtillſtand begann
ein neues Leben. heuer, 1924 feiert die Göwener Abtei ihr 25. jähriges Gründungs ·
jubiläum; bei dieſem Anlaß ſoll vom 4.— 7. Auguſt in Mecheln, von wo ſeinerzeit die
erſte Anregung ausging und wo Kardinal Mercier fein 50- jähriges Priefterjubiläum
begeht, ein großer, durchaus praktifcher „Oiturgiſcher Kongreß“ ſtattfinden, der nichts
geringeres anftrebt als eine Derbrüderung der franzöſiſchen und holländiſchen Träger
liturgiſcher Beſtrebungen. Je ein Tag behandelt „Die religiöfe Unterweiſung durch die
biturgie. Die Erneuerung des Pfarreilebens. Geiſtliches beben und Liturgie. Oiturgiſche
Rünfte.” Geplant iſt eine Ausftellung kirchlicher Aunft und ein Choralkurs. Dom goſeph
Areps, der Generalfekretär, Mont Cefar Löwen, ift zu weiteren Huskünften gern bereit.
— — . —ů—ů
Unſere Beilage gilt dem hl. Pirmin. Nach der Legende (Dita I Rp. 6—7 ARSS
Nov. II pg. 38) hatte er ſich vom reichen Alemannen Sintlaz die Reiche nau für
eine Aloftergründung erbeten. Der Grundherr hatte ihn gewarnt: fie ftarre von Se⸗
würm und keines Menſchen Fuß habe fie je betreten. „Dem Herrn gehört die Erde,“
hatte Pirmin geantwortet und „alles was darauf iſt,“ und ſchon den erſten Glaubens-
boten hätte Gott die Gewalt verliehen, hinwegzuſchreiten über Skorpionen und gif-
tiges Teufelszeug. Dann war er hinübergefahren auf die Inſel. Alsbald ſeien da die
ſchauderhaften Weſen vor ihm gewichen und hätten ſich in den Bodenſee geſtürzt.
Drei Tage und drei Nächte ſei deſſen Spiegel von ihnen bedeckt geweſen. Pirmin,
fo erzählt die Legende weiter, habe dann die Inſel landͤſchaftlich und geiſtig in ein
Paradies umgewandelt. — Mit betendem Munde und bebender Geſtalt ſchreitet der hei ·
lige auf unſerem Bilde machtvoll voran, Kreuz und Arummftab in den händen: ein
ſinnreiches Symbol der Segnungen von Glaubenspredigt und chriſtlichem Mönchtum.
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Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern),
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade,
gedruckt und verlegt vom Kunſtverlag Beuron.
Orcagna / Mariä Heimgang
Relief am Tabernakel von Or San Michele zu Florenz
Photographie: Rlinari, Florenz.
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Mariens Gebensabend und ihr ſeliger Tod.
Gedanken zum 15. Auguft.
Bon P. Willibrord Derkade (Beuron).
Mori mihi lucrum! — Sterben ift mir Gewinn!
Is geſus am Kreuze ſtarb, war Mariens Dauf noch nicht vollendet.
Sie mußte noch lange leben hier auf Erden, bis die junge Kirche,
das Pflänzlein, das aus der offenen Seite Chriſti hervorgeſproßt war,
ihrer entbehren konnte. Wir wollen ein wenig bei dieſem letzten Lebens-
abſchnitt Mariens verweilen, um dann ihren ſeligen Tod zu preiſen.
goſeph von Nrimathäa und Nikodemus nahmen mit Dorſicht und
Ehrfurcht den Leichnam des herrn aus den Armen feiner Mutter und
wickelten ihn in leinene Tücher. Darauf legten ſie ihn in das Grab.
Wie innig dankbar muß Maria dieſen Männern geweſen ſein, be⸗
ſonders dem goſeph von Arimathäa, der fein neues Grab dem hei⸗
land ſchenkte.
Das Evangelium ſpricht nicht davon, daß Chriftus nach feiner Auf»
erſtehung auch feiner Mutter erſchienen ſei. Unſer natürliches Gefühl
ſagt uns aber, daß dies wohl ſicher der Fall geweſen ift. Dielleicht
hat Maria wie Magdalena den heiland nicht erkannt, bis der Herr
das eine Wort ſprach: „Mutter“, nicht mehr „Weib“ wie noch vom
Areuze herunter, ſondern: „Mutter“. Welche Freude, welches Glück —
aber doch noch keine volle Freude und kein volles Glück! Dafür war
die Todesſtunde Chriſti noch zu nah, dafür hatte die Todesnot, die
Maria unter dem Kreuze mit ihrem Sohn durchlitten, noch zu tiefe
Spuren in ihrem Herzen zurückgelaſſen. Manchmal wird wohl bei aller
Freude ein tiefer Seufzer aus der Bruſt der ſchwergeprüften Mutter
aufgeſtiegen ſein. Und welch eine Sehnſucht muß gerade in jenen
deiten Maria nach dem himmel gehabt haben, welch ein Verlangen,
aufgelöft und bei Chriſtus zu fein. Manchmal war wohl der Liebes-
drang ihres Herzens fo heftig, daß fie den Sinnen entrückt wurde
und in Verzückung geriet. Da mag Gott ſie wunderbar getröſtet und
ihr wieder Mut zum Leben eingegoſſen haben
Dann kam der Tag der Himmelfahrt des Herrn. Eine neue Freude
für die Mutter, die nur an das eine dachte: das Glück ihres Sohnes,
das Glück der erlöften Seelen, denen jetzt der himmel geöffnet wurde.
Und darauf ſehen wir, wie Maria inmitten der Apoſtel die herab⸗
kunft des hl. Geiſtes erwartet. Es kommt der Tröfter, den geſus
verſprochen hat. Er gießt auch über fie die Fülle feiner Gaben aus.
Da ging das Wort Chrifti in Erfüllung: „Wer hat, dem wird gegeben
Benediktinifhe Monatſchriſt VI (1924) 7—8. 15
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werden“, und da keiner ſo reich an Gnaden war wie die Mutter Gottes,
erhielt auch keiner mehr als fie, und eine Gnade erhielt Maria be⸗
ſonders: die Kraft, zu lehren und zu lieben.
Don nun an wuchs der Einfluß der Mutter des Herrn beſtändig
und ihre Derehrung nahm immer mehr zu. War fie nicht die leben⸗
dige Überlieferung von geſu Jugendzeit und von all dem, was er
getan und geſprochen hatte, bis er nach dem Willen des Daters fein
öffentliches Leben antrat? hatte fie nicht alle feine Worte in ihrem
Herzen aufbewahrt und erwogen? Und nun Chriſtus geſtorben und
auferftanden war und der hl. Geiſt fie erleuchtet hatte, bekam ſo
manches verhüllte Wort des Herrn erſt feinen eigentlichen, tiefen Sinn.
80 konnte Maria aus der Fülle ſchöpfen und hatte vieles mitzuteilen
und zu überliefern. Im übrigen fiel ihr wohl das Amt zu, überall zu
vermitteln und manchmal auch zu verſöhnen und zu beſchwichtigen. die
Jünger des herrn waren feurige Männer, und da tat manchmal wohl
ein Wörtchen der weiſeſten Jungfrau und der Königin des Friedens not.
Sicherlich wirkte ſchon ihre Gegenwart beruhigend und beſänftigend.
Wie müſſen wir uns das innere Leben der lieben Mutter Gottes
vorſtellen während der letzten Jahre, die fie auf Erden weilte? Jh
meine, um davon einigermaßen einen Begriff zu bekommen, müſſen
wir das heranziehen, was die Heiligen und die großen Meiſter des
geiſtlichen Lebens über die höchſte Stufe der Beſchauung gelehrt und
geſchrieben haben. Ich will verſuchen ein Bild zu geben von einer
Seele, die bis zu jener höchſten Stufe emporgeſchritten iſt. Niemand
erſchrecke jetzt; es kommt nichts Schweres! Auf dieſer Stufe wird dos
Außerordentliche einfach, ja faſt natürlich.
In einer ſolchen Seele wohnt im Tiefinnerſten ihres Geiſtes, gleich⸗
fam wie in einem Flammenmeer, die heiligſte Dreifaltigkeit: Vater,
Sohn und Hl. Seiſt. Und die Seele erkennt, daß alle drei Perfonen
nur eine Weſenheit, eine Macht, eine Weisheit und nur ein Bott
find. Sie erkennt das aber nicht mit den Augen des Leibes oder
mittelſt der Einbildungskraft, ſondern mit den Augen des Geiſtes. Das
was der Heiland geſagt hat: „Wer mich liebt, wird mein Wort halten
und mein Dater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen
und bei ihm Wohnung nehmen“, das erfährt eine ſolche Seele an
id) und in ſich auf handgreifliche Weiſe. Sie ſchaut Bott im Spiegel
ihrer Seele, zwar nicht immer in der gleichen Klarheit, aber fie ver:
liert nie das Gefühl feiner Gegenwart, auch nicht bei äußerer Tätig:
keit. Sie gerät dadurch in vollkommene Dergelfenheit ihrer ſelbſt. Sie
it ein Geift mit Gott geworden; nicht mehr fie lebt, ſondern Bott
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lebt in ihr. Sie macht ſich keine Sorgen mehr, fie weiß, daß Gott
ihre Angelegenheiten als die ſeinigen betrachtet. Wohl regt ſich bis⸗
weilen in ihr ein zärtliches Derlangen nach dem Himmel, fie will aber
auch ganz gern noch auf Erden bleiben, wenn es Gottes Wille iſt
und ſie den Seelen nützen kann. Sie hat nur einen Wunſch, ver⸗
einigt mit Bott zu fein und den Seelen zu dienen. Sie wird ſich
immer mehr bewußt, was Gott alles für ſie getan hat, und das gibt
ihr immer wieder neue Araft, für Bott zu wirken und für Gott zu
leben. Sie ift nicht ohne kreuz und Leiden, doch ſtört das ihren
Frieden nicht mehr. Es ſind ja nur kurze Stürme, die ſchnell ver⸗
gehen, dann tritt wieder Ruhe und Frieden ein. Eine ſolche Seele
wird von Gott ſtändig erleuchtet, entflammt und zur Tätigkeit an-
geregt und dann wieder in ihre Ruhe hinübergeführt. Ihr Leben
verläuft im Wirken für Gott und im Ruhen in Gott, und das eine
wird vom anderen nicht mehr gehemmt, ſondern ſtets gekräftigt.
80 ähnlich muß die innere Derfaffung der Mutter des Herrn ge»
weſen ſein. Sie war innerlich ganz beruhigt und ſtill und voll
der Liebe zu Bott und dem Nächſten.
Und wie war ihr Tod, ihr ſeliger heimgang? Es war ein ſchmerz⸗
loſes Sterben. Sie, die unter dem kireuze das herzdurchdringende
Schwert gefühlt, die vollendete Todesnot mit ihrem Sohne gekoſtet
hatte, ſollte nicht zum zweitenmal das Todesſchwert fühlen. Mariens
Tod war ein Entſchlafen, ein einfaches Zurücktreten des ſinnlichen
bebens, wodurch der Beift befreit ward und auch für den Leib ein
beſſeres beben angebahnt wurde.
Mariens Tod war ein Liebestod! Chriftus holte feine Mutter
heim und lockte feine Braut mit Worten der Liebe, wie wir fie im
hohenliede Salomos finden:
erheb dich, meine Freundin, meine Schöne, komme bald!
Dorüber ift die Winterszeit, der Regen ift vergangen.
Schon zeigen ſich die Blumen, und der Gefänge Zeit ift da.
O laß deinen Anblick mich genießen, o laß mich deine Stimme hören;
Denn deine Stimme iſt fo füß, dein Anblick ift ſo liebevoll.
Erheb dich, meine Freundin, meine Schöne, komm doch!
Wer wird die Wonne ſchildern, die dieſe und ähnliche Worte in
dem Geifte Mariens hervorriefen. Nun war alfo die Stunde des Wieder⸗
ſehens da. Sie war fo ganz ergeben geweſen in den Willen Gottes,
ſo ganz die Magd des herrn, daß fie ihr Elend, ihre Derbannung
nicht mehr ſo ſtark empfunden hatte. Aber da ſie jetzt eingeladen
wurde zur Hochzeit des Lammes, da wurde fie ſchwach vor Liebe zu
dem, der ihr Gott war und ihr Sohn zugleich. In der Liebe zu Chriſtus
15˙
228
wirkten bei Maria Natur und Gnade zuſammen. Stark war ihre Mutter⸗
liebe, das Werk der Natur, ſtärker noch ihre Gottesliebe, das Werk
der Gnade. Auf einmal empfand fie ſo ganz, wo fie war und wo
ſie nicht war.
Wenn ein Schiff den hafen verläßt, dann werden nach und nach
die Taue und kietten gelöſt, mit denen es am Ufer befeſtigt lag. Dann
ſetzt es ſich in Bewegung, und für alle, die auf dem Schiffe ſind, ſcheint
das Land langſam zurückzuweichen, mehr und immer mehr, bis es
endlich ganz verſunken iſt im weiten Meere. 8o wurden auch die Bande
allmählich gelöſt, die den Beift Mariens an ihren Körper gefeſſelt
hielten, und langſam nahm der Beilt der Jungfrau-Mutter feinen Flug.
Langfam, aber immer mehr verſchwand alles Irdiſche ihrem Blicke,
bis er ſich nur noch von Ewigkeit und Ewigem umfloſſen ſah! Die
engel ſtaunten und riefen: „Was iſt's, was dort heraufkommt aus der
Wüſte gleich Rauchſäulen, wie Duft von Murrhe und von Weihrauch?“
Es war der Geift Mariens, der vom Feuer der Liebe verwandelt und
verklärt gleich duftendem Weihrauch zum Himmel emporſtieg. Es war
die Seele der ewigen Jungfrau, die ſich ſacht und ohne Gewalt von
ihrem unverſehrten Leibe löſte, fo wie der Duft der Lilie feinem Kelche
entſtrömt. Und die Erde ſandte ihre koſtbarſte Babe zum Himmel
empor, weinend und ſchluchzend, aber in unendlicher Dankbarkeit, eine
ſolche Frucht getragen zu haben. Maria war tot, aber durch ihre
Liebe und Reinheit hatte fie den Sieg über den Tod davongetragen.
Die du nie der Erde angehörteſt,
ſondern immer voll des himmliſchen watſt,
bitte für uns jederzeit,
und in der Stunde unferes Todes. Amen.
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Blühende Rakteen.
Ein Stachelkaktus, maffig, hochgewachſen, blüht in feiner Gottes:
herrlichkeit mit prächtig aufgeſprungener, langer, leuchtender Blüte.
Und ſieh, ein wunderſames Duften geht von dieſer Blüte aus, ſtark
und lieblich, und durchzieht geheimnisvoll den weiten Raum. f
Wer hätte das gedacht, daß ſolch ein ſchier häßliches Gebilde ſovie!l
Schönheit in feinem Innern birgt! Und doch erblüht die wunderſame
Blüte aus dem innerften Triebe des unförmigen Bemwädjles. 9
Bald iſt die Pracht erloſchen. Wieder ſteht die Pflanze ſtill, und
niemand ahnt ihr inneres Geben. Pflanze, ich kann dich nicht mehr
häßlich ſehen. Pflanze, du bleibſt mir lieb: ich habe dich geſchaut in;
deiner ſchönſten Zier. Geheimnisvolles Geben, bleib mir Symbol!
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KRulturſchaffen und Chriftentum.
Von P. Alois mager (Beuron).
enn die Offenbarung in einer vom Glaubensleben getragenen
Sittlichkeit der Einzelfeele wie der Bemeinfchaft ein ganz neues
Ziel gewieſen hat, das über jede geſchaffene Natur hinausliegt, dann
ſtellen wir uns mit Recht die Frage: Wie hat ſich der Einzelmenſch,
der in der Gemeinſchaft der kirche die Offenbarung der Liebe durch
den Glauben in feinem ſittlichen Derhalten auswirken läßt, zu den
Rulturaufgaben der Menſchheit zu ſtellen: zu Aunft und Wiffen-
(haft und zum wirtſchaftlichen Leben. Handelt es ſich hier nicht
um Gebiete, die die Kirche vielleicht nicht gerade ausſchaltet, aber doch
nicht fo bewußt pflegt, wie es intenfives Kulturſchaffen erfordert?
biegt in der Abtötung, im Verzicht, den die Kirche predigt, nicht ſchon
eine Derneinung der Natur mit Einſchluß des menſchlichen Leibes, die
doch eigentlicher Segenſtand alles Kulturſchaffens iſt? Umgeſtaltung
der Natur und der äußeren Lebensbedingungen, lichtvolle, logiſche
Oroͤnung der äußeren Natur und der menſchlichen Lebensverhältniſſe
betrachten Techuͤik, Kkunſt und Wiſſenſchaft als ihr eigenſtes Werk.
Wenn wir uns erinnern an die eigenartige Einftellung des antik⸗
heidniſchen Menſchen, an fein ſchickſalhaftes Verflochtenſein in die
Gemeinſchaft und Natur, fo werden wir begreifen, daß „Kultur“ die
höchſte Leiftung der antik⸗heidniſchen Menſchheit war. Sie vergötterte
die Natur. Ihr war Kulturſchaffen, wenn auch nicht gerade Kult,
Bottesdienft, fo doch unmittelbar mit ihm verwandt. Ault und kultur
floſſen aus einer Wurzel, ſtrömten demſelben Ziele zu. Das Chriften-
tum verlegt den Schwerpunkt der Menſchheit aus der bloßen Natur
in eine höhere, geiſtige, übernatürliche Welt. Das Chriſtentum iſt
feinem Weſen nach naturabgewandt, mit dem Antlitz der Welt der Offen-
barung zugekehrt. Dieſe Schwerpunktverfchiebung kann aber nur lang»
ſam, organiſch vor ſich gehen. Wir ſehen denn auch, wie dort, wo
dies nicht beachtet wurde, unter dem Einfluß des Chriſtentums die
Dergötterung des Objekts in Dergötterung des Subjekts umſchlägt.
Eine Betonung des Subjekts bis zur Verneinung des Objekts, wohin
Renaiſſance und Reformation führten, iſt ebenſo unchriſtlich wie es
die Derſklavung des Subjekts unter das Objekt im antiken Heidentum
war. Das Chriſtentum will harmonie herſtellen zwiſchen Objekt
und Subjekt, allerdings ſo, daß die Natur dem Geiſte, das Objekt
dem Subjekt dient, nicht umgekehrt. Schon aus dieſer grundlegenden
Tatſache folgt, daß die Kirche die Natur nicht verneint, alfo ihrem
Wefen nach wenigſtens nicht kulturfeindlich fein kann.
230
noch mehr! Wenn das Chriftentum auch aus der übernatürlichen
Welt des Geiſtes kommt und ſich an den Menſchen inſofern er geiſtig
iſt wendet, fo ſchließt es damit die körperliche Erſcheinung der Menſch⸗
heit, die Natur nicht von ihrem Aktionsradius aus. Durch die Um⸗
geſtaltung der Seele ſtrebt das Chriſtentum auf eine Umgeſtaltung auch
des Leibes, der in der Auferftehung teilnehmen ſoll am Leben und
den Eigenfchaften des Beiltes. Ja, nach dem hl. Paulus geht dieſe
Verklärung über auf die Außenwelt. Denn die ganze Schöpfung ſeufzt
dem Tag des Offenbarwerdens der Kinder Gottes entgegen. Ein um:
geſtaltendes Prinzip wirkt im Chriſtentum vom wahren We-
fen der Gottheit her auf die geiſtige Menſchenſeele, von da
auf den Leib und die lebloſe Schöpfung. Das Chriftentum, die
katholiſche Kirche kann alſo ihrem Weſen nach nicht kulturfeindlich,
fie muß vielmehr poſitiv kulturſchöpferiſch fein und das in einem ganz
neuen, höheren Sinne.
Und die katholiſche Kirche iſt kulturſchöpferiſch. Stehen aber damit
die geſchichtlichen Tatſachen nicht im Widerſpruch? Trat mit dem Chriſten⸗
tum nicht eine Abkehr von der Welt, zum wenigſten eine Gleichgültig⸗
keit für alle Diesſeitskultur in die Erſcheinung. Um nur eines zu
nennen: ſprach nicht gerade aus dem Leben derjenigen, die mit dem
Chriftentum folgerichtig Ernſt machten, geradezu eine Derachtung alles
Irdiſchen, vor allem auch des Leibes? Man weiſt auf die Däter der
Wüſte, auf die Säulenſteher, die Einſiedler hin. Das Ordensleben,
das doch eine berufsmäßige Verwirklichung der chriſtlichen Idee dar⸗
ſtellt, ſei aufgebaut auf dem Gedanken der Weltverachtung. Daß dieſe
Behauptungen in der Nusſchließlichkeit, mit der fie vorgetragen wer⸗
den, nicht ſtimmen, läßt ſich geſchichtlich leicht beweiſen. War das
Mönchtum, zumal das morgenländiſche, in ſeinen Anfängen, von einer
einſeitigen Weltverachtung geleitet, fo zeigt das abendländiſche Mönch⸗
tum wie es der hl. Benedikt gründete, bzw. fo machtvoll förderte,
deutlich, daß die Welt nur deshalb verneint wird, damit ſie im wahren
Sinn bejaht werden kann. Wohl ſcheiden die Mönche St. Benedikts
aus der Welt aus, aber nicht um in einſamen Höhlen ſich einem aus⸗
ſchließlichem Leben der Abtötung und Beſchauung hinzugeben. Sie
ſchließen ſich zu einer vortrefflich organifierten Gemeinſchaft zuſammen,
die ſich die römiſche Staatsform anpaßt. Es bildet ſich eine Welt,
ein Staat im kleinen, aufgebaut auf den Grundſätzen des Chriſten⸗
tums. Nach der Benediktinerregel ſollen im kloſterbereich alle Werk⸗
ſtätten bis herab zur Mühle ſich befinden. Seine Klöſter bilden id
ſelbſt genügende Semeinweſen. Die Tagesordnung iſt zwiſchen Gebet
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und Arbeit fo eingeteilt, daß tagsüber möglichſt viel Zeit zur Arbeit
bleibt. Es gibt keine Arbeit, die im Benediktinerkloſter nicht zu Ehren
käme. 50 wurde gerade St. Benedikts Orden zu einem einzigartigen
kiulturträger, der die Kulturſchätze vom Altertum ins Mittelalter hinüber⸗
rettete. Seine Klöfter wurden zu auserleſenen Aulturftätten. Schon
allein der Benediktinerorden von der Gründung bis in die Glanzzeit
des Mittelalters iſt alſo eine wirkſame Widerlegung der ſogenannten
Aulturfeindlichkeit der Kirche. Wo wäre heute die europäiſche Kultur,
wäre die Kirche nicht geweſen!
Sobald wir das eigentliche Ziel der Kirche ins Auge faſſen und die
Umſtände und Dorausſetzungen, an die fie anknüpfen mußte, kann
über das Kulturverhalten der Kirche und jedes einzelnen kein Zweifel
mehr beſtehen. Wir haben die antik⸗heidniſche Weltanſchauung bereits
kennen gelernt. Die Außenwelt, die Natur iſt ihr das Ewig⸗ Bleibende,
Söttliche. Ihr hat der Menfh ſich zu fügen. In der Gemeinſchaft
hat der einzelne ewigen Beſtand und Fortdauer. Der Menſch hing
mit allen Faſern am Objekt, an der Außenwelt. Das Subjekt war
bedeutungslos. Die pſuchiſchen Tätigkeiten waren alle nach außen,
auf das Objekt gerichtet. Nicht bloß das. Durch die Erbſünde war
eine Unordnung in die menſchliche Natur gekommen. Wir haben be⸗
reits davon geſprochen. Die Kultur der alten Welt war in dieſem
Bereich eingebettet. 80 hoch wir auch die antike kultur einſchätzen
mögen, es laſtet auf ihr das Dunkel des Schickſals. Wir find ge»
wohnt, nur die bichtſeiten dieſer Kultur zu ſehen. Und wir ſehen in
fie unſere eigenen Jdeale hinein. Aber die Nachtſeiten dieſer Kultur!
Diefe Abgründe von Derworfenheit, Menſchenentwürdigung, vollendeter
Unſittlichkeit. Was menſchlich und natürlich gut war, nahm die Kirche
in ſich auf, um es mit dem Sauerteig des Übernatürlichen zu durch⸗
dringen. Sie nahm das römiſche Recht, um ſich ſelber eine ge-
ſicherte, natürliche Grundlage zu ſchaffen. Sie nahm die griechiſche
Philoſophie, um durch fie dem Offenbarungsinhalt eine logiſch⸗
ſyſtematiſche Faſſung zu geben, ohne ihm den Charakter des Über⸗
natürlichen zu rauben. Sie eignete ih die kunſtformen der Antike
an, um durch fie ihren Seiſt in die herzen der Menſchen zu tragen.
War die Kirche auch nicht unmittelbar kulturſchöpferiſch, To gab fie doch
dem menſchlichen Geiſt völlig neue, unerhörte Inhalte und Anregungen.
Aus dieſem Beift heraus erhielten die alten Aunftformen ein ganz
anderes Leben, das die alte Form nach und nach umbildete zu einem
entſprechenden Ausdruck ihres neuen Gehaltes. Wir können es in
der Entwicklung der Bauftile anſchaulich verfolgen. Auf Schritt und
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Tritt gewahren wir hier die Coslöfung des Einzelmenſchen von dem
naturhaften Zwang unter die Außenwelt, unter die Herrfchaft des
Stoffes. Gewaltig hoch türmt der freigewordene Menſchengeiſt die
Steinmaſſen in der Sotik empor zu einer Höhe, die beinahe einer
Aufhebung der Schwerkraft gleichkommt. Es ift wunderbar zu ſchauen,
wie die wuchtigen Steinmaſſen unter den Geſetzen des Geiſtes ſich
auflöfen, man möchte ſagen, vergeiſtigen. Die Derfelbftändigung des
Einzelmenſchen aber darf nie ſoweit gehen, daß ſie die bindende Macht
des Objektes ganz verneint. Sie müßte ſich ins Chaos verlieren und
von neuem in Unfreiheit geraten. In dem Augenblick überſchreitet
die Entwicklung die Grenze, die das Chriftentum zieht. In Renaiffance
und Barock offenbart ſich ſchon das gänzliche 8ichunabhängigmachen des
Einzelmenſchen vor aller Bindung. Don da an nimmt die Kunſt einen
unchriſtlichen Charakter an. Unchriſtlich aber iſt zugleich auch un⸗
natürlich, daher das Bizarre, Unausgeglichene der nachfolgenden Kunſt.
Und wie war die Kirche kulturſchöpferiſch tätig auf ſozialem Be-
biet! Sie erſt hat die Arbeit zu Ehren gebracht und ihr eine gewiſſe
Würde, einen hohen Adel verliehen. Sie erſt zeigte, wie die Arbeit
ein Ausfluß der Perfönlichkeit iſt, wie fie an Wert und Würde in dem
Grad gewinnt, als der Sinzelmenſch in ihr feine Perſönlichkeit ent⸗
falten kann. Sie lehrte die Menſchen, wie fie auf der anderen Seite
erſt in der Arbeit zur wahren inneren Freiheit, zur vollen Entwick⸗
lung der Perſönlichkeit gelangen. Die Arbeit wird zum mächtigen
Hilfsmittel in der Miſſion der kirche, in der inneren Umwandlung der
Einzelmenſchen und der ganzen Menſchheit. Sie konnte nicht mit einem
Schlag die ſoziale Ordnung der Antike umſtoßen. Paulus tritt energiſch
gegen jene auf, die aus dem Grundſatz der chriſtlichen Freiheit gegen
die beſtehende ſtaatliche und ſoziale Ordnung ſich auflehnen! Jeder
bleibe in dem Stand oder Beruf, in dem er zum Chriſtentum übertrat.
Und doch zeigt ſich auch hier die umwandelnde Macht der Kirche, in⸗
dem ſie den Einzelmenſchen immer mehr verſelbſtändigte, ſeine Per⸗
ſönlichkeit zur Geltung brachte. Die Sklaverei wandelt ſich allmählich
in Börigkeit um, und aus der Hörigkeit wird langſam Unabhängigkeit
und Selbſtbeſtimmung. Wie überall, ſo kam es auch hier zu einem
kritiſchen Punkt. Die Derfelbftändigung der Einzelmenſchen überſchritt
die Grenze, artete aus in ſchrankenloſen Subjektivismus. Dagegen
muß die kirche auftreten, weil ihre Miſſton gefährdet wird. Und die
Welt von heute fühlt felber, daß der Subjektivismus zur Auflöfung,
zur Gefährdung unferer ganzen Kultur, zum Untergang des Abend⸗
landes führt. Das Abendland wird nicht untergehen; ſeine Kultur
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wird ſich weiterentwickeln. Tatſache aber ift, daß nur die Kirche
jenes Element enthält, das eine Weiterentwicklung bewirken, das
Abendland vom Untergang retten kann: nämlich jenen Gemeinſchafts⸗
gedanken, der die Einzelmenſchen zur vollen Entfaltung gelangen läßt,
fie dabei aber fo bindet, daß fie nicht im Subjektivis mus ſich verlieren.
Die eine große Aufgabe hat die Kirche erfüllt: fie hat den Einzel-
menſchen erlöft von Naturzwang, vom Aufgefogenfein durch die antike
Bemeinfhaft. Jetzt wird die Erfüllung des zweiten, viel weniger
ſchwierigen, weniger langwierigen Teiles der Aufgabe einſetzen: Aus»
geſtaltung der Gemeinſchaft, wie fie den innerlich verſelbſtändigten
Einzelmenfchen entſpricht. Danach verlangt mit ungeſtümem Pochen
unſere ganze Zeit. Sie wird nirgends anderswo die Erfüllung ihrer
Sehnſucht finden als in der Kirche; denn nur die kirche trägt in ſich
die Kraft zu dieſer gemeinſchaftſchöpferiſchen Tätigkeit. Im Zeitalter
des ſchrankenloſen Individualismus war die kiirche rückſtändig; fie
war es, weil ſie es ſein mußte. Und weil ſie es war, darum wird ſie
in Jukunft an der Spitze marſchieren. Denn die Zukunft gehört der
kirche. Alle diejenigen, die mit heiler meinen, die katholiſche Kirche
hätte ihre Kraft erſchöpft, ſich ſelber überlebt, haben ſich irreführen
laſſen durch die proteſtantiſche Auffaffung, als wäre die ſcheinbare
Rückſtändigkeit der Kirche in der Zeit des Individualismus Schwäche
und Unfähigkeit geweſen. Die Kirche hat in der Weltgeſchichte eine
kulturſchöpferiſche Arbeit geleiſtet, wie ſie einzigartig, unvergleichlich
daſteht. Wie erbärmlich nehmen ſich dagegen die Derfuche aus, die
heute vielfach gemacht werden, den Buddhismus dem Chriſtentum eben⸗
bürtig an die Seite zu ſtellen! Laut wird es ausgeſprochen, daß der
Buddhismus das Prinzip der Bruderliebe zuerſt aufgeftellt habe. Geben
wir einmal zu, er hätte es getan — ich ſtelle es entſchieden in Abrede,
daß er das Geheimnis der Nächſtenliede kannte — ſo blieb es bloße
cheorie. Indien ſteht heute ſozial noch auf demfelben Niveau wie
zur Zeit der Entſtehung des Buddhismus. Das Kaftenwefen legt heute
noch ebenſo ſchwet die Ketten auf den Einzelmenfchen. Welch menſchen⸗
unwürdiges Daſein!
Huch in der Wiſſenſchaft war das Chriſtentum bahnbrechend durch
die Impulſe, die es dem menſchlichen Denken gab. Ich gehe nicht
auf Einzelheiten ein. Nur folgendes möchte ich zur Erwägung geben:
Wäre der Menfdy in der Naturgebundenheit geblieben, in die er im
heidentum verfklant war, wie hätte er dann den Standpunkt ein⸗
nehmen können, von dem aus allein die neueren Wiſſenſchaften mög⸗
lich wurden. Dieſe Beherrſchung der Natur, wie ſie in der Wiſſenſchaft
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und in der Technik der Neuzeit zum Ausdruck kommt, war nur mög:
lich, weil der Menſch von der Natur erlöft und immer mehr auf feinen
eigenen Geiſt geſtellt wurde. Erſt der geiſtig ſelbſtändige Standpunkt der
natur gegenüber ermöglicht Naturbeherrſchung. Wenn auch die kirche
mit dem Individualismus nicht die Grenze überſchritt, wo die Wiſſenſchaft
in geiſttötendes Spezialiſtentum auszuarten beginnt, ſie war es, die
die kraft zum Auffhwung der Wiſſenſchaften vermittelte. Es wäre
intereſſant zu zeigen, wie die Umwandlung des phuſikaliſchen Welt-
bildes genau der Umwandlung in der ſozialen Ordnung entſpricht.
Auch die Geſchichts⸗ und Geiſteswiſſenſchaften im heutigen Sinn hat
erſt der Geift des Chriſtentums geſchaffen. Nur in der Derſelbſtändi⸗
gung des Einzelmenſchen konnte jene Entfernung vom Menſchheits⸗
geſchehen gewonnen werden, ohne die innerer Zuſammenhang und
Fortſchritt niemals geſchaut werden können. Auf allen Bebieten der
kultur war die ktirche die Trägerin der Kraft, die den Fortſchritt ſchuf.
Steckt aber in dem Vorwurf, es wäre die ktirche in ihrer Aſzeſe
wenn auch nicht gerade kulturfeindlich, ſo doch kulturgleichgültig, nicht
ein wahrer Bern? Die Einzelmenſchen und die Gemeinſchaft waren
durch die Erbfünde in einer ungeordneten Weiſe in die Natur ver-
flochten. Wir ſahen, wie die dreifache Luft den ganzen Menſchen be⸗
herrſcht und in dieſe Richtung zieht. Die große Aufgabe des Chriften-
tums war es, die Menſchheit zunächſt von innen und außen her ſo
zu feſtigen, daß fie, im gröbſten wenigſtens, dieſe erbſündige Richtung
überwand. 5o ging viel Kraft der Kirche in dieſer negativen Arbeit
auf. Und die erbſündigen Inſtinkte ſind in der Menſchheit ſo mächtig,
daß einzelne Menſchen ihrer nicht anders herr werden konnten als durch
den Verzicht auf den Gegenſtand der dreifachen Luft. Sie trennten
ſich fo vollkommen wie nur möglich — ja verpflichteten ſich durch ein
Gelübde dazu — von dem, was die böfe Luft reizen konnte. Sie
verließen die Welt, die Familie, Beruf und Stellung im öffentlichen
beben. Anders hätten fie das Ziel des Chriſtentums, die vollkommene
Liebe nicht erreichen können. Nur im Hinblick auf dieſes erhabene
Ziel erhielt ihre Feindſchaft gegen die Welt und den eigenen Leib einen
berechtigten Sinn. Nie hat die ktirche in der Weltflucht, in der Er⸗
tötung des eigenen Leibes ein Ziel, ſondern immer nur ein Mittel
geſehen. Wenn man nicht anders zur Beherrſchung der erbfündigen
Triebe gelangen kann, iſt dieſes Mittel nicht nur erlaubt, ſondern über
alles empfehlenswert. Solche Menſchen werden nur ſcheinbar der
ktulturarbeit entzogen. Denn gerade in ihrem ODerzicht verfügt die
kirche über Kräfte, die auf allen Gebieten kulturſchöpferiſch ſich
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betätigen. Wären die Wüſtenväter, die Orden nicht geweſen, die
Miffion des Chriſtentums hätte auch auf kulturellem Gebiet nie den
großen Fortfchritt nehmen können. Die kirche kann niemals Aultur-
beſtrebungen fördern, die zu neuen Reizmitteln der dreifachen Luft
werden. Dagegen muß fie kämpfen, davor ihre Glieder ſchützen. Sie
kann nie eine Aulturbewegung ſtützen, die zu ungerechten Beſitzver⸗
hältniffen, zur Lockerung der Sittlichkeit, zur Auflöſung der Autorität
führt. Bier wird die Kirche „kulturfeindlich“, hier wird fie zu einem
ehernen Damm gegen dieſe „Kulturwogen“, aber zum Segen der
Menfchheit, zur Rettung der wahren Kultur. Sie will auch hier die
rechte Beziehung zur Welt, zum eigenen Leib herſtellen im Sinn des
Chriſtentums, daß nämlich das Stoffliche untergeordnet ſei. Bis die
Kirche dieſes Ziel erreicht hat, wird fie häufig Zugeſtändniſſe machen
müſſen. Sie wird vieles dulden müſſen, was nicht ihrem Geift gemäß
iſt, nur um Schlimmeres zu verhüten. Die Umwandlung, die ſie in
der menſchheit vollzieht, kann eben nur langſam, organiſch vor ſich
gehen. 80 ließ die Kirche viele heidniſche Gebräuche beſtehen, ja
knüpfte an fie an, erfüllte und heiligte fie aber mit chriſtlichem Sinn.
Sie konnte es nicht hindern, daß ſich Chriſten ihnen mit noch mehr
oder weniger heidniſcher Befinnung hingaben. Trotz alledem wirkte
in ihnen der chriſtliche Seiſt. Anſtatt der kirche daraus einen Dor-
wurf zu machen, müßten wir vielmehr ihr unvergleichliches pädago-
giſches Geſchick bewundern. Auf jeden Fall bleibt es die größte Kultur-
errungenſchaft, daß fie den Einzelmenſchen aus dem Naturzwang er⸗
löſte, die Quelle des Geiftes in ihm erfchloß.
Wenn die Menfchheit aus dem Extrem des Individualismus wieder
in die bindende Gemeinſchaft der ktirche zurückkehrt, wird die Einzel⸗
ſeele jene Selbſtändigkeit beſitzen, die ſie nicht mehr in die Sklaverei
der Natur zurückfallen läßt. Dann könnte auch das Chriftentum mehr
pofitiv feine Aufgabe verwirklichen, alles mit Liebe zu durchdringen
und in Liebe umzuwandeln. Nicht Weltflucht, ſondern poſitives Auf-
ſuchen der Welt, um alles mit dem Geift der Liebe zu erneuern und
zu verklären. Rein Gebiet menſchlichen Dafeins und Wirkens ſoll es
mehr geben, wo die werktätige Liebe nicht vordrängte. Überallhin
ſoll die Liebe dringen. Es wurde früher bereits gefagt, daß beſon⸗
ders feit dem 16. Jahrhundert, vor allem ſeit dem hl. Franz von Sales,
das Leben der chriſtlichen Vollkommenheit mitten in der Welt ſich
immer mehr heimiſch macht. Poſitive Weltdurchdringung hat ſich das
Frömmigkeitsleben zum Ziel geſetzt.
Aus allen Aulturgebieten hat ſich die Entwicklung in den ſchranken⸗
236
loſen Individualismus, in unfruchtbare Dereinfamung verirrt. Überall
ertönt der Ruf nach einer überſinnlichen, höheren, geiſtigen Welt. Es
gibt aber nur eine wahre geiſtige Welt, das Reich der Liebe, das
nur im Glauben erſchloſſen werden kann. Für das Kulturverhalten
des Einzelnen in der Kirche lautet die entſcheidende Frage: kann es
überhaupt eine Kultur geben, die ihre ſchöpferiſchen Kräfte unmittel-
bar aus der Liebe zieht? Muß die Kultur nicht als ein Gebiet des
rein natürlichen Könnens betrachtet werden, von dem die Übernatur
ſorgfältig zu ſcheiden iſt? Oder wird auch hier die Vollendung darin
beftehen, daß ſich Natur und Übernatur zur innigſten Einheit ver⸗
ſchmelzen, ohne ſich gegenfeitig aufzuheben? Wäre alfo eine Wiſſen⸗
ſchaft denkbar, wo der Gegenſatz zwiſchen Glauben und Wiſſen ſo
ausgeglichen iſt, daß die Dernunft vom Standpunkt des Übernatüt⸗
lichen, von dem der Liebe aus alles betrachtet? Ein ſolcher Stand-
punkt liegt nicht nur im Bereich des Möglichen, ſondern muß in dem
Augenblick Wirklichkeit werden, wo die Einzelmenſchen das Gebot der
biebe in ſich und in der Semeinſchaft verwirklicht haben. Wiſſen⸗
ſchaft iſt eine Sache des Standpunktes. Das hat die moderne Wiſſen⸗
ſchaftsentwicklung tatſächlich gezeigt. ge vollkommener der Stand⸗
punkt ift, umſo vollkommener kann der Juſammenhang der Dinge
und des Geſchehens begriffen werden. Wer von Liebe erfüllt überall
nur Beziehungen der Liebe ſieht, dem muß die Schöpfung in ganz
neuer Weiſe ſich offenbaren. Es würde die Natur nicht mehr in der
antik⸗heidniſchen Stufenfolge erſcheinen, die vom Menſchen und der
ſublunariſchen Welt zu den Fixſternſphären und von da zum unbe:
wegten Beweger führt. Die ſichtbare Natur würde da nur die un⸗
terfte Stufe des Seins bedeuten. Don da würde man in das Geiltige
der Menſchheit und von da in die Welt der Liebe emporſteigen. Das
hätte zur Dorausfegung, daß Natur und Übernatur, Glauben und
Wiſſen Einheit geworden ſind, ohne daß das eine durch das andere
in ſeiner Eigenart aufgehoben wäre. Das ſind keine bloßen Phan⸗
taſien. Wer aufmerkſam die Entwicklung der Wiſſenſchaft verfolgt,
wird zur Erkenntnis kommen, daß nur eines aus dem Chaos führen
kann, in die die Wiſſenſchaften ſich zu verlieren beginnen. Darum
der Ruf nach Erneuerung der Wiſſenſchaft aus der Erſtarrung und
dem Spezialiſtentum zur großzügigen, alles zuſammenfaſſenden du:
ſammenſchau der Dinge und des Geſchehens. Der kirche gehört die
Zukunft der Wiſſenſchaft. Die Katholiken find mehr denn je zur poſi⸗
tiven Mitarbeit auf allen Gebieten des Wiſſens berufen.
bäßt ſich auch eine Kunſt denken, die organiſch aus dem Geift der
—
237
Liebe geboren wäre? Läßt ſich das Überſinnlich⸗Geiſtige überhaupt
in ſinnlich⸗anſchauliche Formen bringen? Das ift der tiefſte Sinn des
expreſſionismus und verwandter Richtungen, daß fie das Überſinnliche,
innerlich Erlebte äſthetiſch zur Anſchauung bringen wollen. Gerade der
Ezpreffionismus als unmittelbarfter Ausdruck der neueſten Entwicklung
zeigt, wie auch die Aunft an einem Wendepunkt angelangt iſt. Alle
Begenftandsgebiete, aus denen die kiunſt ſchöpfte, find erſchöpft. Es
bleibt nur noch das Überſinnliche, höhere, Geiſtige. Die moderne Welt
aber hat den Weg dorthin verloren. Was ſie für Geiſt hält, iſt bloße
Magie, darum das Magiſch⸗Bizarre des Expreſſionismus. Die Kunſt
verliert ſich ins Chaotiſche. Es gibt nur einen Zugang in die wahre
Zeiſtwelt, in das Reich der Liebe, den Glauben. Wenn der Glaube
nicht die Seele des menſchlichen Schaffens und durch ihn die Liebe
gleichſam zur zweiten Natur, zur Übernatur des Menſchen wird, geht
die Kunſt in die Irre. Selbſtverſtändlich kann die Aunft Geiſtiges,
Übernatürliches nie unmittelbar zur Darſtellung bringen. Sie müßte
zur bloßen Sumbolik werden. Das iſt auch nicht gemeint, wenn wir
von einer Wiedererneuerung der kunſt aus dem Geiſt der Liebe ſprechen.
Ein ktünſtler, der feine ihm eigentümliche Begenftandswelt ganz aus
biebe, als der Seele ſeiner Seele ſchaut, ſieht eben alles neu. Es ſtrahlt
die biebe in fie hinein, und durch fie ſchaut er die Welt erſt in ihrem
wahren Sein und ihren eigentlichen Formen. Denn die Seele der
Schöpfung iſt die Liebe, aus der fie hervorging. Eine Wiedererneuerung
der Aunft kann nur von ſolchen ausgehen, die das Leben der Kirche
zu ihrem Leben gemacht haben. Nuch hier gehört die Zukünft der
katholiſchen ktirche.
Daß die Erneuerung des fosialen und wirtſchaftlichen be⸗
bens nur von der ktirche ausgehen kann, haben wir bereits geſehen.
die allein birgt in ihrem Schoß die gemeinſchaftsbildende Araft, die
geiſtig ſelbſtändig gewordenen, aber im extremen Individualismus
wieder in Anechtfchaft geratenen ESinzelmenſchen zu der Gemeinfchaft
zuſammenzubinden, die dem einzelnen die volle Entfaltung feiner Eigen-
art gewährleiſtet. In der Arbeiterbewegung verlangt ungeſtüm eine
große Menſchenmaſſe noch größere Selbſtändigkeit und Geltung ihres
Eigenwertes. Die Cöſung kann niemals von dort kommen, wo fie
Sozialismus und ktommunismus ſuchen. Dieſe führen wie der
ſchrankenloſe Subjektivismus nur zu neuer Sklaverei. Der Ausgleic)
zwiſchen Arbeit und Kapital kann wiederum nur von einer Gemein-
ſchaft kommen, deren Glieder durch die Liebe zur Einheit verbunden
ind. Nur die katholiſche Kirche ift als emeinſchaft auf dieſem Srund-
—
238
ſatz aufgebaut. Wir ſahen bereits, wie fie allein der Menſchheit die
Gemeinſchaft bringen kann, nach der fie ſich ſehnt. Was immer für
ſoziale Theorien man auch erſinnen mag, ſie können das ſoziale Chaos
nicht umwandeln. Nur die Liebe kann es. Das Geheimnis der Liebe
iſt übernatürlich. Es kann nur im Glauben erfaßt werden. Nur eine
Semeinſchaft, die auf Glaube und Liebe gegründet iſt, vermag die
Liebe in die Einzelfeelen zur größtmöglichen Entfaltung zu bringen.—
Wie man über die Frauenbewegung auch immer denken mag,
foviel iſt gewiß, daß die Frau immer noch nicht jene Selbſtändigkeit
beſitzt, die ihre Eigenart für Gemeinſchaft und Aultur voll auswertet.
Niemals aber kann die Stellung der Frau, wie ſie viele Vertreterinnen
der Frauenbewegung von heute als letztes Ziel anſtreben, die Göfung
bringen. Denn fie wäre nichts anderes als ſchrankenloſer Individua⸗
lismus und eine mechaniſche Gleichſtellung mit dem Mann, eine Stö⸗
rung ihrer Eigenart, die gerade zur Beltung gebracht werden ſoll.
nur aus dem Beilt der Liebe heraus wird dieſe Frage gelöſt werden.
nur die katholiſche Kirche wird das entſcheidende Wort ſprechen.
Charakteriſtiſch für unſere Zeit iſt, daß der Subjektivismus und
Individualismus, der über die Grenze hinausſtürmte, die das Chriſten⸗
tum ihm zog, auf der ganzen Linie am toten Punkt angelangt if.
Auflöfung ift die Folge. Nur eine Gemeinſchaft, die dieſe verfelbftän-
digten Individuen in der Liebe zuſammenzuſchließen vermag, kann
die Rettung bringen. Nur ſie iſt die Retterin vom Untergang, auch
für die kultur. Ja fie wird eine Aultur begründen, zu der alle ihre
Glieder un erfter Stelle beitragen müſſen. Aulturfhaffen auf allen
Gebieten aus dem GBeift des Glaubens und der Liebe heraus muß
unfere Cofung fein. Dann gehört auch die Zukunft der Kultur der
Kirche. Und die in Liebe verinnerlichten Einzelmenſchen, die in der
Einheit der Liebe die kirche bilden, find von innen heraus zu einer
pofitiven £ulturarbeit, wie fie noch nie geleiftet wurde, berufen. Was
der hl. Ruguſtin in feinem Gottesftaat ſchaute, wird empiriſche Wirklich⸗
keit in der katholiſchen ktirche: die in Liebe gegründete Gemeinſchaft.
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Edelmenſch und heiliger.
Religiöſe Innerlichkeit, ſittlicher hochſtand, intellektuelle Bildung, feeli-
ſcher Adel, künſtleriſcher Sinn, ſoziales und politiſches Derftändnis,
geſellſchaftliche Sewandtheit, geſchäftliche Tüchtigkeit, alles dies
überragt und verklärt von der reinſten, uneigennützigſten Bottesliebe:
das wäre der vollendete Menſch und der vollendete heilige.
(Rus Rademacher, Dernünftiger Glaube.)
239
Die Bedeutung des Humanismus
für die Ratholifche Erziehung.
Don P. Adefons Widnmann (Augsburg).
N" Orden St. Benedikts find zahlreiche humaniſtiſche Bymnafien
anvertraut und die humaniſtiſche Bildung ſpielt in ihm eine größere
Rolle als die realiſtiſche. M das nur Zufall? Beſchäftigt ſich der
benediktiniſche behrer mit dem Altertum nur ſo wie mit irgend einer
anderen Wiſſenſchaft? IM ihm die Frage: humaniſtiſche oder realiſtiſche
Bildung Herzensangelegenheit oder bloße Zweckmäßigkeitsſache? Es
wäre reizvoll zu unterſuchen, ob ſich in der Stellung des Benediktiner⸗
tums, der Schöpfung des Spätrömers Benediktus, zur Antike ein
Unterſchied gegenüber der anderer Orden aufzeigen läßt. Ich halte es
aber für notwendiger, hier zunächſt die Bedeutung des humanismus
für die katholiſche Erziehung überhaupt einmal zu beleuchten.
Was iſt für den heutigen Menſchen das Altertum? Für die Re⸗
naiſſance und die geſuitenſchule war es weſentlich Form, für uns
heutige iſt es faſt noch mehr Inhalt. Was wir heute klaſſiſche Bil⸗
dung nennen, iſt etwas weſentlich anderes als das, was im 16., 17.
Jahrhundert getrieben wurde. Das darf man nicht überfehen, fonft
kommt man nicht an die Wurzel der Frage. Den alten humanismus
hat die Kirche in ſich aufgenommen; hat fie auch den neuen aufge⸗
nommen, kann fie ihn aufnehmen? Damals war es eine Form, die
man als Gewand, als Zier dem eigenen Weſen beigeben konnte, jetzt
handelt es ſich um etwas anderes. Zwiſchen uns und der Renaiſſance
liegt die zweite Wiederbelebung, der Neuhumanismus. Ja, wenn man
die Auffaffung des Altertums bei den heute führenden Gelehrten
ins Ruge faßt, möchte man — ſo ſtark ift fie von der Nuffaſſung vor
etwa hundert Jahren verſchieden — faſt von einem dritten humanis⸗
mus reden. Immerhin iſt er aber mit dem zweiten ſo eng verbunden,
fo ſehr aus ihm hervorgewachſen und keimhaft in ihm ſchon ent⸗
halten, daß wir beide Erſcheinungen zuſammenfaſſen wollen. Immer⸗
mehr iſt durch dieſe neuere Entwicklung das Altertum als eine zu⸗
ſammenhängende Aultur vors Auge getreten. Alles hat Leben und
Farbe bekommen, was früher nur Merkwürdigkeit und Ruine war.
humaniſtiſche Bildung heißt heute nicht mehr: die alten Sprachen
verſtehen, die Grammatik handhaben können, erſt recht nicht dieſer
Sprache ſich zu praktiſchen Zwecken bedienen, ſondern: einen Blick
tun in das, was hinter dieſen Sprachen ſteht, hinter dieſer Kunſt,
240
hinter der griechiſchen Wiſſenſchaft. Die Frage: follen wir huma⸗
niſtiſch gebildet ſein, heißt heute: ſollen wir uns mit dem griechiſchen
Beift auseinanderſetzen oder nicht? Ganz von felber iſt mir ſtatt „antik“
„griechiſch“ in die Feder gefloſſen; denn das iſt ein weiterer weſent⸗
licher Unterſchied zwiſchen dem alten und dem neuen humanismus:
jener war vorwiegend lateiniſch, dieſer iſt griechiſch. Für jenen war
Rom Mittelpunkt der Welt, für dieſen iſt Rom auf vielen Gebieten
nur eine der vielen Stätten, die von Griechenland befruchtet find. Für
die Erziehung heißt alſo die Frage: Sollen und dürfen wir unſere
Jugend mit griechiſchem Beift durchdringen?
Wir müffen uns darüber klar fein, dieſer Geift iſt eine Kraft von
elementarer Größe. Er gleicht dem Feuer, das im Dulkan ſchlummert,
er iſt darin wohl keinem Ding auf Erden ähnlicher als dem deutſchen
Seiſt, der auch nicht ſoviel geliebt und gehaßt und gefürchtet wäre,
wenn er nicht eine unheimliche, aller Feſſeln fpottende Naturkroft
wäre. Hönnen wir mit dieſem Feuer umgehen, mit dieſem Geiſt, der
die Beftalt des Prometheus gebildet, der in Nietzſche gewirkt, der
dem jungen Schiller den Preis der Götter Griechenlands eingegeben
hat? Griechiſch und heidniſch: find das nicht für die hl. Schrift gleich⸗
lautende Worte? Täuſchen wir uns nicht! Hier handelt es ſich um
etwas viel Pockenderes als bei dem öden Materialismus, der den
Reim des Todes ſchon im Antlitz trägt und die viele Arbeit, die man
feiner Bekämpfung widmet, kaum verdient. Ein Häckel gewinnt ſeichte
menſchen, gewinnt Maſſen, allerdings. Aber auf tiefere Geiſter, die
ja dann doch wieder als Führer von überragendem Einfluß find, üben
nietzſche oder Horneffer, Leute, die aus den Quellen Griechenlands
getrunken und auf die Lieder Apollos und des Dionuſos gehört haben,
eine ganz andere Wirkung aus. Indeſſen, wenn hier die Gefahr größer
it, wenn es ſich um einen bedeutenderen Gegner handelt, fo iſt damit
noch nicht geſagt, daß es ſich auch ſchon um etwas dem Chriftentum
ſtärker Entgegengeſetztes handelt als im andern Fall. Vielmehr iſt es ja
doch die Regel, daß gerade das Derwandte ſich abſtößt. Dom Materia-
lismus zum Chriftentum iſt der Weg vielleicht leichter als von antik:
heidniſcher Denkweiſe aus: der Materialiſt kommt zum Gefühl feiner
beere und möchte fie füllen. Der andere aber hat in feiner Welt
anſchauung ſchon ſo vieles, was ihn begeiſtert, daß er nichts höheres
mehr zu bedürfen glaubt und die Türe verſchließt. Iſt hier das Ringen
ſchwerer, ſo iſt es hier auch nötiger und lohnender. hier gilt es nicht,
einen leeren, wüſten Erdſtrich zu gewinnen, den man erſt mühſam
bewäſſern und beſiedeln muß: hier lockt die Eroberung eines reichen,
241
—
wertvollen Landes. Hier handelt es ſich darum, Menfchen zu ge⸗
winnen, die ihrer eigenen Herrlichkeit zwar gar zu ſicher ſind, die
aber auch wirklich viel eigene Herrlichkeit in ſich tragen. Hier ſteht
Beift gegen Beift, Sottesgeiſt gegen Menſchengeiſt, der ja nach Gottes
Ebenbild geſchaffen iſt, der nur dadurch irrt — ob verſchuldet oder
unverſchuldet, ſpielt hier Reine Rolle — daß er ſich der Quelle feiner
herrlichkeit nicht oder nicht klar genug bewußt iſt.
Das Chriftentum weiſt über den Menſchengeiſt hinaus, aber es
leugnet nicht ſeine Herrlichkeit. Es leugnet auch nicht die Herrlichkeit
des Menſchen an ſich, im natürlichen Zuſtand, ohne die Gnade. Der
Stand der „bloßen“ Natur hat nach kirchlicher Lehre niemals wirklich
beftanden. Aber der Stand der „gefallenen“ Natur iſt ja in feiner Er⸗
ſcheinung von dem der reinen Natur nicht wie vom Stand der gnaden⸗
haft „erhobenen“ Natur weſentlich verſchieden. Daher iſt es denkbar,
daß unter beſonders günſtigen Derhältniffen auf Erden ein Zuftand
vorkommt, welcher an den Stand der bloßen Natur, der in ſeiner
Reinheit ſozuſagen ein Grenzfall iſt, nahe herankommt. Und es ſcheint,
daß Sott, der ja der Bott der Natur wie der Gnade iſt, gerade über
das Sriechenvolk den Segen feiner natürlichen Saben in einem
ſolchen Maße ausgeſchüttet hat, daß man fie für das natürliche Bebiet
als das „auserwählte Volk“ bezeichnen könnte. Dielleicht kommt das
manchem übertrieben vor: aber der ganze Zauber dieſer einzigartigen
Welt erſchließt ſich nur allmählich dem, der mühſam in ſie eindringt.
Es iſt keineswegs bloß die ktunſt des Wortes und der Hand, was
hier die Bewunderung des Betrachters weckt. Das Großartige an ihm
iſt gerade die Fülle von beben und Herrlichkeit auf den verſchiedenſten
Bebieten. Bier ſprudeln die Quellen unſerer Wiſſenſchaften, der Natur⸗
wiſſenſchaft und der Mathematik ſo gut wie der Philoſophie und Philo⸗
logie. Don hier empfängt unſer politiſches Denken mächtigſte Antriebe.
Die Vertiefung in die Welt der Griechen iſt alfo geeignet, dem men⸗
ſchen einen Begriff von der Herrlichkeit der bloßen Menſchennatur zu
geben. Die Frage iſt nun wiederum: Sollen wir unſerer Jugend zu
dieſem Einblick verhelfen, oder iſt er für ſie zu gefährlich? Sollen
wir unſern knaben und günglingen zeigen: das kann der Menſch
leiſten aus eigener £raft, oder ſollen wir fie nur darauf hinweifen,
wie menſchliche Kraft zum höchſten zu ſchwach iſt?
Die heutige Altertumswiſſenſchaft ſieht vielfach gerade darin das
erziehende der klaſſiſchen Bildung, daß ſie den Menſchen zur Freiheit
von menſchlicher und kirchlicher Bindung führt und auf ſich ſelbſt ſtellt.
Dieſer Geift iſt für den kirchlich erzogenen Jüngling, der an die hoch⸗
Benebiktiuiſche Monatſchriſt VI (1924), 7—8. 16
242
ſchule Rommt, etwas Neues. Er bereitet ihm nicht ſelten ſchwere Stun⸗
den. Schwierigkeiten für den Glauben entſtehen nicht allein oder auch
nur vorzugsweiſe aus den Einwänden der Naturwiſſenſchaft; die Aus-
einanderſetzung, namentlich auch die grundſätzliche, mit den Geiltes-
wiſſenſchaften iſt ungleich wichtiger. hier handelt es ſich nicht um
Stimmen, die ſagen: du brauchſt nicht zu glauben, du kannſt es dir
bequem machen, ſondern um ſolche, die dem jungen Menſchen zurufen:
du haſt es bisher bequem gehabt in deiner kirchlichen Bindung: du
warſt im Treibhaus, jetzt ſollſt du heraus an die friſche Luft. Du
darfſt dich jetzt rückhaltlos dem als richtig Angeſehenen hingeben, du
brauchſt nicht mehr den Dogel⸗Strauß ſpielen. Wir verſprechen dir
kein angenehmes beben. Im Gegenteil: wir führen dich in alle Qualen
des Zweifels. Aber wenn du mutig biſt, offenen Auges vorwärts⸗
gehſt, kommſt du einſt zur Ruhe des Mannes, der ſich eine Über⸗
zeugung ſelbſt erkämpft hat. Und dieſe Stimmen wirken um ſo ver⸗
wirrender, als es nicht angeht, einfach ihre Vertreter als böswillig
und ſtolz, alſo als ſittlich minderwertig abzutun. Man muß die Glut,
mit der ſich manche der reinen, freien Wiſſenſchaft hingeben und opfern,
nachfühlen können, um die ganze Schwere dieſer Frage zu empfinden.
Und dieſer Geiſt, fagen fie uns, iſt der Geift Griechenlands. Ich glaube,
daß in der Tat etwas von Griechenlands Geiſt in ihnen wirkſam iſt.
Und wir werden nur ſo zu einer uns befriedigenden Löſung kommen,
wenn wir zweierlei unterſuchen, ob in dieſer Begeiſterung für die Frei⸗
heit, für die eigene Araft nicht ein berechtigter Kern liegt, den wir
anerkennen, ja werten können, und ob es nicht etwas nur Zufälliges,
von dem Berechtigten, das zugrunde liegt, Trennbares iſt, was bei
dieſen Männern zur Ablehnung jeder „Kirchlichkeit“ führt. Es han⸗
delt ſich hier um den Gegenſatz „kirchlich⸗ unkirchlich“, nicht um den
Gegenſatz „gläubig⸗ ungläubig“. Man beruft ſich auf die riechen und
ſagt: Welch herrliche, freie Menfchen! Vielleicht können wir zugeben,
daß ſie es waren, und ſelbſt, daß es für ſie ſo ganz recht war: aber
folgt daraus ſchon, daß auch für uns jede kirchliche Bindung abzu⸗
lehnen iſt? Sie waren allerdings, möchte man ſagen, ſo unkirchlich
wie möglich; unkirchlich im Sinn von kirchenlos, nicht widerkirchlich.
Die Religion war Sache des einzelnen, der Familie und des Staates.
Der Priefter vertritt den Stamm oder Staat vor der Gottheit. Don
einer die ſtaatliche oder ſtammesmäßige Gliederung ſchneidenden, rein
religiöfen Gliederung iſt kaum etwas zu bemerken. Die Religion iſt
national. Damit hängt zuſammen: es gibt keine „dogmatiſche Bin⸗
dung“. Der Staat als äußere Macht kümmert ſich allerdings darum,
| 243
daß MM die äußern Pflichten gegen die Staatsreligion erfüllt. er
pepraft „Bottlofigkeit* (coc BeH. Aber niemand ift da, der dem einzelnen
für ſeine Sefinnung Dorſchriften machte, der ſich eine Gewalt über
ſein Gewiſſen zuſchriebe.
Kirchliche Bindung iſt für den Menſchen doch wohl nur unter der
Dorausfegung ein Gut, daß er den Urſtand verloren hat, dabei aber zu
übernatürlichem Ziel berufen if. Wäre er im urſprünglichen Gnaden⸗
Rand, fo wäre fie, mindeftens in diefer Form, kaum notwendig. Wäre
er gefallen, aber nur zu einem natürlichen Ziel beftimmt, fo wäre fie
wiederum nicht unbedingt notwendig, wenn auch infolge der Schwächung
der natur von Nutzen. Die Bedeutung kirchlicher Bindung wird ſich
für den einzelnen umſomehr verringern, je mehr ſich fein Zuftand dem
Stand der reinen, nicht erhöhten, aber auch nicht geſchwächten Natur
nähert, alſo eben jenem Juſtand, der zwar auf Erden nie ganz vor⸗
kommt, dem ſich aber, wie geſagt, unter beſonders günſtigen Um⸗
ſtänden der Menfch nähern kann, und dem ſich wohl das Griechen⸗
volk in feinen beſten Dertretern am meiſten genähert hat. Ebenfo
it das Auseinanderfallen, das Nebeneinander von Kirche und Staat
wohl bloß für den Stand der gefallenen und wiederhergeſtellten Natur
das Segebene, während im Stand der reinen Natur wie im Urſtand
das Natürliche das wäre, daß die ſtaatliche Ordnung zugleich auch
Trägerin des Aultes it. Wenn wir das bedenken, werden auch wir
uns an der freien Religion der Griechen freuen können: ſie iſt eben
für ihre Derhältniffe etwas Butes. Wir ſehen deshalb die kirchliche
Ordnung nicht als etwas Minderwertiges an: ſie iſt ja vielmehr das
einem höheren Stand, dem der Erlöſung Angemeſſene. Wir ſehen aber
auch die ktirchlichkeit nicht als das höchſte, als etwas Abſolutes an:
auch fie wird aufhören, wenn der neue himmel und die neue Erde
kommt. Wir müffen uns klar fein über den Maßſtab, mit dem wir
die Antike zu meſſen haben: es iſt der der Natur, nicht der der Gnade.
Und mit dem gleichen Maßſtab müſſen wir auch die Wiſſenſchaft, die
Wiſſenſchaft jeder Zeit meſſen: fie ift etwas Natürliches, d. h. an ſich
it fie das. In Wirklichkeit iſt ja die Wiſſenſchaft immer die Wiſſen⸗
ſchaft eines Menſchen, und daher wird der Zuſtand des Menſchen,
ſeine Stellung zur Übernatur immer auch auf ſein Wiſſen abfärben.
Aber wenn man ſich den Begriff einer Wiſſenſchaft an ſich bildet, fo
muß man fie ih auf ihrem Bebiet frei und unabhängig denken. Sich
dieſen Begriff der reinen Wiſſenſchaft zu bilden iſt nicht ohne Wert für
die Erziehung; denn was unfere Jugend bildet, ift nicht fo ſehr das beben
wie es nun einmal ift, mit all feinen Zufälligkeiten und £leinheiten,
16*
,
244
das find vielmehr die möglichſt rein aus ihm herausgefchälten kräfte. Eine
davon iſt die Wiſſenſchaft. Wenn wir ſie ſo als reinen Begriff nehmen,
dann ſollen auch wir fie als eine herrliche Bottesgabe anſehen, dann
werden auch wir den Glanz, der von der freien Wiſſenſchaft ausſtrahlt,
nicht als einen gottfeindlichen, ſondern als einen gottgewollten be:
greifen. Dann können auch wir ihn nutzen.
Nutzen aber wollen wir die Wiſſenſchaft nicht als etwas, das un⸗
verbunden neben der Übernatur ſteht, ſondern wir wollen bedenken,
daß alle Werke Gottes eine Einheit ſind, in der aus Natürlichem das
Übernatürliche herauswächſt und daher mit jenem ähnliche Züge trägt.
Die recht verſtandene Wiſſenſchaft iſt nicht nur etwas mit dem Glauben
verträgliches, ſondern ſogar mit ihm Derwandtes. Sie ift gleichſam der
Fuß eines Berges, der aus der Region der Natur in die der ÜUbernatur
anſteigt. Und da die Geiſteswiſſenſchaft ſich ihrem Begenftand nach näher
mit dem Inhalt des Glaubens berührt als die Naturwiſſenſchaft, fo
iſt gerade ſie als Führerin zum Glauben heſonders geeignet.
Ahnlich wie der Glaube iſt auch die Wiſſenſchaft nicht eine bloße
Tätigkeit des ſcheidenden Derftandes, ſondern fie verlangt auch andere
ſeeliſche Kräfte des Menſchen, namentlich auch ſittliche. Wer in der
Wiſſenſchaft wirklich aufbauen will, der muß ein ſittlicher Menſch und
ein Künſtler fein. Es gibt auch eine ars credendi, „eine &unft zu
glauben“, pflegte einer meiner Univerſitätslehrer zu ſagen. Ein junger
menſch ſtürzt ſich in die Wiſſenſchaft. Im erſten Augenblick leuchtet
alles ſo wunderbar ein, er lieſt dieſe und jene Abhandlung, und es
ſcheinen ihm alle Schleier von den Dingen zu fallen. Aber bald er⸗
fährt er, daß es kaum etwas gibt, das nicht auch beſtritten wird.
Er fängt an abzuwägen, Bründe gegen Bründe; aber oft möchte er
daran verzweifeln, jemals zu einer Löfung zu kommen. Die Fülle
der Wirklichkeit, die bei einer hiſtoriſchen Wiſſenſchaft wie der Alter⸗
tumswiſſenſchaft auf den Menſchen einſtrömt, droht ihn zu erdrücken.
Die Jugend übt fo gern kritik, fie möchte alles in Zweifel ſetzen,
was nicht mathematiſch bewieſen werden kann; jetzt erfährt ſie, daß
ſie Unmögliches verlangt: ſie lernt ſich beſcheiden. Soll ſie nicht müder
Zweifelſucht und damit der Unfruchtbarkeit verfallen, ſo kann nur
eine Art Glaube helfen, ein Entſchluß, trotz mancher noch bleibender
Bedenken, einer Anſicht den Vorzug zu geben. hier ift Aunft und
Tugend, hier wirkt richtiges Gefühl und ſittliche Kraft. Dieſes „Blau:
ben“ in der Wiſſenſchaft iſt nicht das theologiſche „Glauben“, aber es
it doch mit ihm verwandt und daher eine Hilfe zu ihm. Praktiſch
genommen iſt auch im übernatürlichen Gebiet der Weg für viele Men⸗
245
[hen der: fie müſſen ſich mit einer moraliſchen Sicherheit begnügen
und ihren Weg gehen. Das iſt nicht ſittlicher Mangel, ſondern Kraft.
Wenn fie dann tapfer fortſchreiten, dann wird ihnen als Cohn immer
größere Sicherheit zuteil. Etwas anderes: „Es gibt auch hier eine
Bunft und Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens“, est quædam etiam nes-
ciendi ars et scientia, fagt einmal 8. Hermann. Darin zeigt fi)
die Wiſſenſchaft als ausgezeichnete Erzieherin zur Demut, Wahrhaftig-
keit, Selbſtbeherrſchung. Der Menſch möchte wiſſen; es iſt ein Opfer,
wenn er ſagen muß: in dieſem und jenem Punkt muß ich einfach
anerkennen, daß ich hier nichts weiß. Ich darf mir nicht irgendeine
böſung konſtruieren, die der Sache ſcheinbar gerecht wird, ungefähr
gerecht wird: ſolang es mir nicht wohl iſt bei irgendeiner Oöſung,
muß ich fagen: nescio, „ich weiß es eben nicht“. Wer ſich dazu nicht
verſteht, deſſen wiſſenſchaftliche Tätigkeit mag blenden, aber ſie iſt
zuchtlos und unfruchtbar. Und oft muß ich nicht nur ſagen: ich weiß
das jetzt nicht, ſondern auch: ich habe mit den mir zur Verfügung
Rehenden Mitteln keine Möglichkeit, die Löfung je zu erreichen. Es
bieten ſich allerlei Dermutungen dar, es lockt, dies und jenes zu ver⸗
ſuchen; und doch weiß ich im innerſten herzen: auf dieſem Weg komme
ich zu keiner Cöfung, genug andere haben es nutzlos erprobt. Dann
heißt es auch darauf verzichten, auf ſolchem Weg weiterzugehen; denn
es wäre rein verlorene Zeit und Mühe. Dieſe „unſt des Nichtwiſſens“
iſt die rechte demut. Wahre Wiſſenſchaft lehrt ſie. Oft wird gegen
fie gefehlt. Gerade auch bei apologetiſchen Schwierigkeiten ift fie nötig.
man muß auch hier ſagen können: ich bin ſo ehrlich und bilde mir
nicht ein, das und das, worüber die gahrhunderte nachgedacht haben,
in ein paar Stunden mit meinem eigenen Wiſſen und Können, wenn ich
will, zu einer befriedigenden Cöfung zu bringen. Ich ſage offen: hier
liegt eine Schwierigkeit. Ich glaube, daß fie gelöft werden kann; aber
ich weiß einſtweilen keine Löſung. Vielleicht auch: unfere Zeit weiß
keine Cöfung; wir müſſen Beduld haben; vielleicht bringen kommende
Jahrhunderte Cicht in das Dunkel.
Bumanismus und Chriftentum verhalten ſich wie Natur und Über⸗
natur, wie Anftieg und Gipfel. Der Berg braucht den Unterbau. „Der
kopf darf nicht zu den Füßen ſprechen: Ihr ſeid mir nicht nötig.“
Die Übernatur baut auf der Natur auf, aber fie erſetzt fie nicht; eben
weil fie ganz anderer Art if. Nuch bei einem Aunftwerk iſt die klom⸗
poftion etwas höheres als die Beftaltung der einzelnen Teile, aber
fie erſetzt fie nicht. Gerade bei einer großartigen Rompofition iſt das
berſagen im £leinen beſonders ſchmerzlich. Es gibt Menſchen, die
246
durchaus ihre Sache auf Gott geftellt haben, aber in ihrer Sorge um
die Übernatur vergeſſen fie die Sorge um die Natur, und das macht
ſich in ihrem ganzen Weſen ſchmerzlich geltend; es ſtößt ab, und ihre
Dorbilölichkeit verliert ſehr an Araft. Man muß ſich mühfam das
Schöne an ihnen herausſuchen, es wirkt nicht unmittelbar. Es iſt
wie bei einem Gebäude: der Raum als ſolcher macht einen groß⸗
artigen Eindruck, aber die unbefriedigenden Einzelheiten ſtören einen
umſomehr. Gerade im ſittlichen Leben iſt die Aufgabe der Übernatur
nicht fo ſehr die, uns einzelne Dorfchriften zu geben, als uns anzu⸗
leiten, gleichſam den Seſamtbau richtig herzuſtellen, alles dem über⸗
ragenden Gottesgedanken einzugliedern. Die Einzelheiten dagegen
kann uns oft die weltliche Moral ganz ausgezeichnet lehren. Was
der bloßen Natur mangelt, iſt weniger die Erkenntnis und das Gefühl
für das Sittliche als die Kraft, es durchzuſetzen. Die Natur und die
Antike ſoll unſerer Jugend zunächſt Begriff und Gefühl für die har⸗
moniſche Bildung des Menſchen (xadoxayadia) geben, die dann ins
Übernatürliche hineinwachſen ſoll. Es gibt freilich im Chriſtentum auf
ſittlichem Gebiet vieles, was der Jugend leicht zugänglich iſt, leichter
als der GBeift des Altertums. Aber es bleibt doch wahr, daß das
Tieffte im Chriftentum etwas für die Jugend Schweres iſt, zu dem
eine Dorftufe erwünſcht iſt. Denn das Tiefſte, wodurch ein chriſtliches
Leben ſich von einem natürlich guten unterſcheidet, iſt doch wohl das
Bewußtfein der Snaden⸗ und Erlöſungsbedürftigkeit. Und das liegt
der Jugend fern. Jugend iſt Zeit der kraft, fie hat ganz natürlicher⸗
weiſe noch kein rechtes Derftändnis für die Demut. Das kann erſt
die bebenserfahrung geben. Wir ſollten nie der Entwicklung vor⸗
greifen wollen. Derftändnis für die Gnade ſetzt das Gefühl der Be⸗
dürftigkeit voraus. Allzuſtarkes Betonen der Unzulänglichkeit des
menſchlichen iſt bei jungen Leuten unnatürlich und angelernt. Daraus
ergibt ſich die Wichtigkeit der natürlichen Moral für ſie. „Solange
es bei ihrer Jugend nicht angeht, daß fie auf die Tiefe der Weisheit
der Heiligen Schriften hören, wollen wir ſie in anderen, aber nicht völlig
verſchiedenen Dingen, wie in einer Art Schatten⸗ und Spiegelbilder
einüben“, ſagt St. Baſilius (Dom Lefen heidniſcher Schriften).
Es handelt ſich hier um den weſensmäßigen Zuſammenhang
zwiſchen antikem und chriſtlichem Beift. Dieſer ift wichtiger als der
geſchichtliche. Wer bloß auf das Geſchichtliche achtet, für den iſt aller ⸗
dings die Antike auch von Bedeutung, aber mehr die ſpätere, helle⸗
nismus, Raiferzeit, Neuplatonismus. Er wird daher auch in der
Schule ſolches betont wiſſen wollen. Wem das Weſentliche am her⸗
247
zen liegt, und wer glaubt, daß es für die Jugendbildung nötiger ift,
daß ihr klare Typen vor Augen ſtehen, als daß fie ſich um Verſtehen
verwickelter geſchichtlicher Erſcheinungen — vergebens — abmüht, für
den bleibt das wichtigſte am Altertum doch das, was man das Klaſ⸗
ſſche nennt. Unſer Ziel iſt die Einfügung der Natur in die Übernatur.
Indem eine Fülle antiken Dorftellungsguts in die junge Chriſtenheit
einſtrömte, iſt eine ſolche Einfügung wirklich geworden. Da aber die
antike Welt nicht auf ihrem höhepunkt, ſondern in der Derfaliszeit
dom Chriftentum ergriffen wurde, konnte dieſe Derbindung nicht an⸗
ders als unvollkommen fein. Unfere Aufgabe iſt es daher, daran zu
arbeiten, daß ſie, wenn ſie von neuem entſteht, vollmommener werde.
Würden wir auf die Spätantike das hauptgewicht legen, fo hieße das
eine geſchichtliche Unvollmommenheit verewigen wollen. Wenn wir in
der Übernatur das Unvergängliche betonen, fo ziemt es ſich, daß wir
auch in der Natur das aufſuchen, was gewiſſermaßen etwas Unver-
gängliches iſt. Es ift gerade eine Gefahr moderner Wiſſenſchaft, daß
fe über dem Dorübergehenden, hiſtoriſchen, das Bleibende zu ver⸗
geſſen droht. Sie hat mit Recht die große Bedeutung des Relativen
herausgeſtellt; aber gerade je klarer ſie das tut, umſomehr iſt zu hoffen,
daß auch der Begriff des Abſoluten an kilarheit gewinnt. Und dann
wird ſich zeigen, daß auch für uns heute noch im weſentlichen gilt:
es heißt in der Jugenderziehung die zwei Höhepunkte der Übernatur
und der Natur, Chriſtentum und Antike zu vereinigen. Und zwar iſt
das etwas, was uns immer wieder als Aufgabe obliegt: das iſt
nicht irgend einmal ſchon geleiſtet worden. So oft es geleiſtet worden
it, iſt es nur unvollkommen geſchehen, in der Kirchenväterzeit, in
der karolingiſchen, in der barocken. Rarl den Großen und den Barock
hat man uns neuerdings als Vorbilder vor Augen geſtellt: fie find
es inſofern, als ſie nach dieſem Ziel geſtrebt haben. Aber ſie haben
es nicht ſchlechthin erreicht und können uns daher nicht ohne weiteres
die endgültige Löfung bieten. Wir dürfen nicht zufrieden fein, ihre
fortſetzer zu ſein, ſondern müſſen immer wieder zurück zu den Quellen.
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In Joſef Wittigs Daterhaufe hing an der Wand der Stube ein Bild von
Sottvater, der in feinen Armen das Kreuz hielt, daran fein Sohn geheftet
war; darunter ftand: „Alfo hat Gott die Welt geliebt, daß er feinen ein ⸗
geborenen Sohn für fie dahingab“. Da dachte der Dichter bei ſich, als er
noch klein war: „80 will auch ich die Welt von ganzem Herzen lieben,
wenn Bott fie alfo geliebt hat“. — Tat er Unrecht daran, daß er frühzeitig
begann, deshalb die Welt zu lieben? siehe „Das Schickſal des Wenzel Böhm.“
248
Abtbiſchof Waldo,
der Begründer des goldenen Zeitalters der Reichenau.
a Don P. Emmanuel Munding (Beuron).
(Schluß) |
N‘ hochblüte der Reichenau. Abt Waldo hat die Blütezeit des
wiſſenſchaftlichen Lebens auf der Reichenau begründet. Wollen
wir feine Derdienfte um die Förderung des geiftigen Lebens der Inſel⸗
abtei richtig würdigen, fo müſſen wir notwendig kurz auch einen Blick
werfen auf die Weiterentwicklung, die fein Bemühen unter feinen gleich⸗
gefinnten vier nächſten Nachfolgern im äbtlichen Amte nahm.
Heito (806 - 822) war es, der Brimald und Tatto den Urtext der
Regel aus der Nachener Vorlage für die Reichenau abſchreiben ließ;
er war es auch, der ſeine eigenen Bücher der Abtei vermachte. Sein
name überſtrahlt den Waldos. Er entſtammte einem vornehmen ſchwä⸗
biſchen Grafengeſchlechte, vielleicht dem der Nellenburger. Er war von
ſchlankem Wuchs, beredter Zunge, ſcharfſinnigen Beiftes, von allſeiti⸗
ger Bildung und feinſter Befittung. Unter ihm ſtand die Reichenauer
Schule auf ihrer Höhe, fo daß die Großen ihre Söhne dorthin ſandten,
um fie für ihren ſpäteren Beruf als Bifhöfe und Regenten vorbilden
zu laſſen. Selber glänzte er nach dem Zeugnis Walahfrids als Ge⸗
lehrter in der Wiſſenſchaft wie ein goldener Stern. Er war der Lieb:
ling kiarls d. Br. wie feines Abtes und Erziehers Waldo, auf deſſen
vorſchlag hin er um 802 - 805 vom Haiſer zum Biſchof von Baſel
und 806 auch zu ſeinem Nachfolger auf der Reichenau beſtellt wurde.
Er genoß auch ſonſt das Vertrauen des Baifers, der ihn 811 als Ge⸗
ſandten zu den Griechen auserſah. Zurückgekehrt beſchrieb Heito feine
Reife in einem leider verloren gegangenen Reiſeberichte (Hlodoëporicon),
der zu feiner Zeit und noch zwei Jahrhunderte ſpäter berühmt und
hochgeſchätzt war; denn Hermann der Lahme hat es der Mühe wert
gefunden, ihn eigens in ſeiner Reichenauer Chronik wie ein wichtiges
Ereignis zu verzeichnen. Erlebald (822 - 838), der zweite Abt nach
Waldo, vielleicht heitos Schweſterſohn, jedenfalls auch aus ſchwäbi⸗
ſchem Grafengeſchlechte entſproſſen, war ſchon als Siebzehnjähriger
in Reichenau eingetreten und dort, offenbar von Waldo, dem Lehrer
heito zur, Ausbildung übergeben worden. Später noch von einem
Schottenlehrer, wahrſcheinlich wie erwähnt von Alkuin, glänzend aus⸗
gebildet, wurde Erlebald nachmals in feinem £lofter u. a. der Lehrer
des mit ihm wohl nahe verwandten hl. Meinrad, mit deſſen Gebens:
geſchichte die Gründung des Klofters Einfiedeln enge n iſt.
249
Wie Waldo war auch Erlebald ein großer Bücherfreund. Er ließ in
Reichenau und St. Denis Bücher abſchreiben, und wohl zumeiſt unter
feiner Regierung wurden der Reichenau viele, beſondeks gottesdienft-
liche Bücher geſchenkt. Ru adhelm (838 — 842) hatte vor feiner Er⸗
hebung zum Abte ſelbſt Bücher geſchrieben und liebte fie ſehr. Auch
er erhielt als Abt Bücher zum Befchenke; zudem brachten unter allen
drei Abten viele Mönche und Priefter bei ihrem Eintritt Bücher mit, die
wir zum Teil noch heute in Karlsruhe beſitzen. Walahfrid Strabo
(842 — 849) endlich hat ſelbſt geſchriftſtellert und wertvolle Werke ver⸗
faßt, darunter das liturgiegeſchichtlich wichtige über Urſprung und
Entwicklung gottesdienſtlicher Gebräuche ſowie das Leben des hl. Gallus.
mit ihm findet die goldene Zeit der Reichenau ihren würdigen Ab⸗
ſchluß; denn nach ihm ſtand keiner mehr auf aus den Reichenauer
Mönchen, der ihm an Belehrfamkeit gleihgekommen wäre. Unter ihm
ſtarb auch Reginbert (846), der durch Jahre hindurch die Seele des
Reichenauer Geiſteslebens geweſen war. |
Mit der äußeren Bereicherung des Bücherbeſtandes erweitert und
vertieft ſich in diefer Zeit Wiſſen und Bildung im Inſelkloſter. Auf
allen Gebieten merkt man deutlich den Fortſchritt. So mehren ſich
nicht nur die theologiſchen Werke, ſondern auch beträchtlich die hand⸗
ſchriften über Philoſophie und freie Künſte, ſowie heidniſche Dichtungen.
Es gab Rätſel⸗Gedichte, Abhandlungen über Derskunft, Werke über
Sternkunde, Naturwiſſenſchaft im allgemeinen, Bauwefen, Heilkunde,
Deutfches Recht. Man las gern Weltgeſchichte, jüdifche, griechiſche,
römiſche und deutſche Geſchichte, Chroniken und Geſchlechtsbuͤcher der
alten Römer wie der neueſten Zeit der herrſchenden ktarolinger. Dabei
ſind uns die ſorgfältig gearbeiteten Bücherverzeichniſſe leider nicht ein⸗
mal mehr vollſtändig erhalten und manche Werke bloß mit ſehr all⸗
gemeinen Ausdrücken bezeichnet wie 3. B. Bücher über Derfchiedenes.
Wir dürfen darum ohne Bedenken noch eine gute Anzahl Werke hinzu⸗
rechnen und gelangen zur Überzeugung, daß ſich das geiſtige Leben
der Reichenau zu ſchönſter Blüte entfaltet hatte, als ihr in Walahfrid
der größte Belehrte vorſtand, den ſie je geſehen. Über dem Inhalt
wußten die Reichenauer Mönche auch die künſtleriſche Geſtaltung zu
würdigen und ſchriftſtelleriſche Ereigniffe der Vorzeit auch dann zu
retten, wenn fie ſelbſt mit deren Anſchauungen und Grundſätzen nicht in
allem einverſtanden ſein konnten. Das ſpricht für eine Geiſtesfreiheit
und Weitherzigkeit, die ebenſo unſterblich ſind wie die Werke ſelber.
Wahrlich, es iſt kein geringes bob für Waldo, ſolche Geiſtesrichtung
in feinem £lofter angebahnt zu haben.
250
Waldos Derdienfte um Bottesdienft und mönchtum. Doch
kehren wir zu dem Abte ſelbſt zurück. Seine Derdienfte erſchöpfen
ſich keineswegs in feinem Wirken für die Wiſſenſchaft. Auch um die
hebung des Bottesdienftes und den Glanz des Gotteshauſes, ſowie um
Förderung des Mönchtums innerhalb und außerhalb ſeiner Abtei war
er erfolgreich bemüht. Er ließ unter anderem den Altar des hl. Petrus
in der Reichenau reichlich mit Silber verzieren. Das nötige Silber
dazu hatte Odilleoz von Tours durch feinen Bruder Nuno auf die Infel
geſandt. Einmal beſuchte er mit mehreren [einer Mönche das kloſter
Schinen, das in einem Hochtal zwiſchen Unterſee und Rhein lag. Er
wollte dort beten und verband damit, wie es [cheint, eine Difitation
der Mönche und des Klofters. Hier traf er auch mit Egino von Hon⸗
ſtanz zuſammen, zu deſſen Sprengel Schinen gehörte. Als unabhängiger
Abt ſcheint er zu dem Biſchof in gutem Verhältnis geſtanden zu haben.
Egino nahm dort in feierlicher Form die Rekognition d. h. die kirch⸗
liche Prüfung der dorthin verbrachten Reliquien des hl. Marturers
Geneſius vor.
Auch in die Beftaltung der Mönchsliturgie ſcheint Waldo eingegriffen
zu haben. Wenigſtens find uns zwei Belübdeablegungsformeln unter
feinem Namen überliefert, die eine ſehr lang aber trotzdem nur zwei⸗
gliedrig, enthält nur die beiden Belübde der Beftändigkeit und des Be:
horſams; die andere ganz kurz aber dreigliedrig, fügt noch das Gelübde
eines ſittlichen Lebenswandels hinzu. Beide Formeln gehören dem Infel-
kloſter an. Das Reichenauer Derbrüderungsbudy, das heute auf der
Zentralbibliothek Zürich liegt, enthält fie und zwar in jenem Teile,
der wohl um 989 - 960 geſchrieben wurde. Die zweigliedrige Formel
hatte aus Flavigny ihren Weg nach Deutſchland, auch nach der Reichenau
gefunden; fie war jedoch bei Anlegung des Gelübdebuches ſchon nicht
mehr von praktiſcher Bedeutung; denn bereits die Namen der erſten
Mönche ſtehen hinter der neuen, kurzen, dreigliedrigen Formel. In
Reichenau hat man alſo wohl ſchon unter Waldo nicht mehr bloß
„Beſtändigkeit und Gehorſam“, ſondern auch „ſittlichen bebenswandel“
gelobt, wie es die Regel gebot (fap. 58). Vielleicht war es Waldo,
der die neue Formel, die der hl. Benedikt von Ainiane entgültig wieder
eingeführt hat, in der Reichenau zur Beltung brachte. Nach dieſer
Formel legten feine Mönche ihre Belübde folgendermaßen ab: „Ich
N. N. verſpreche Beſtändigkeit, Bekehrung meiner Sitten und Gehor⸗
ſam nach der Regel des hl. Benedikt vor Bott und feinen heiligen“.
50 wollte es die Regel: „Er gelobe bei der Aufnahme im Gottes:
hauſe in Gegenwart aller Beſtändigkeit, klöſterlichen Tugendwandel
251
und Behorfam vor Gott und feinen Heiligen“. Die Reform der Profeß-
formel hängt offenbar zuſammen mit der Einführung des reinen Regel»
tegtes aus der Nachener Muftervorlage. |
Derbrüdung mit St. Ballen. Wie es Waldo anſcheinend gelang,
mit Egino, feinem einſtigen Gegner, ein gutes Derhältnis anzubahnen,
fo trat er auch mit Werdo, feinem Nachfolger in St. Gallen, in freund⸗
ſchaftliche Beziehung. Waldo und Werdo ſchloſſen im Jahre 800 eine
feierliche Gebetsverbrüderung miteinander ab, die beide kilöſter aufs
engſte verband. Sie machte den Mönchen beider Abteien zum Geſetz,
ſich gegenſeitig beim Tode ihrer Mitglieder Mitteilung zukommen zu
laſſen und folgende Verpflichtungen auf ſich zu nehmen: 1. Sobald
die Nachricht vom Tode eines Mönches eingetroffen iſt, leſen die Prieſter
drei Meffen, die übrigen Brüder aber beten für ihn den ganzen Pfalter
und feiern die Digilien (wohl eine Art Totenoffizium, wie es heute
noch ũblich iſt); und alle ſollen gemeinſam ein Opfer darbringen. 2. Am
fiebten Tage beten alle dreißig Pſalmen. 3. Am dreißigſten Tage leſen
die Priefter eine hl. Meſſe, die Übrigen beten fünfzig Pfalmen. 4. Bei
den üblichen Totenvigilien zu Beginn jeden Monats wird aller Ver⸗
brüderten und beſonders noch des Oetztverſtorbenen gedacht. Dabei
bringen alle gemeinſam für jenen Derftorbenen und für alle zuſammen
ein Opfer dar. Danach lieſt jeder Prieſter eine hl. Meſſe, die übrigen
beten fünfzig Pfalmen. Außerdem ſoll jährlich am 14. November noch
ein gemeinſames gahrgedächtnis der einzelnen Derftorbenen (des ver⸗
floffenen Jahres) ſtatthaben, und jeder Priefter ſoll drei Meſſen lefen; die
übrigen Brüder beten den Pſalter; endlich findet noch die Vigil und
ein gemeinſames Opfer ſtatt. Hier liegt uns die älteſte bekannte Der-
brüderung vor, die St. Ballen mit einem anderen Kloſter einging. Die
Einrichtung der Bebetsverbrüderung gelangte dann gerade im 9. Jahr:
hundert zur hoher Blüte und voller Entfaltung. Vielleicht gebührt
Waldo und Werdo das beſondere Derdienft, durch ihr Beiſpiel einen
kräftigen Anſtoß zur Derbreitung und Beförderung dieſer echt chrift-
lichen und mönchiſchen Einrichtung gegeben zu haben. Jedenfalls wurde
diefe Tat der beiden UÜbte in beiden kilöſtern ſtets als eine Broßtat
hoch in Ehren gehalten; das Andenken daran erloſch nie und führte
zu einer zweimaligen Erneuerung dieſer Gebetsgemeinſchaft. Erſtmals
wurde fie 945 unter Otto d. Br. durch die Abte Alawich von Reichenau
und Bralof von St. Gallen erneuert, das zweite Mal 1145 unter
Frideolus von Reichenau und Werinharius von St. Gallen. Man las
dabei die Derbrüderung vom Jahre 800 in St. Sallen vor, wohin Abt
Frideolus eigens gekommen war.
252
Don äußeren Begebenheiten auf der Reichenau unter Abt
Waldo. Nicht viel iſt davon mehr zu erzählen. Ein Jahr vor dem
Abſchluß der Bebetsverbrüderung in St. Ballen ſah Reichenau das
Begräbnis eines Großen, deſſen name zu feiner Zeit hochgeprieſen
war, des ſchon genannten edlen Grafen Gerold. Er war der Bruder
der Rönigin hildegard, Schwager, Bannerträger und Ratgeber Karls
d. Gr. und Bannerträger von Bayern. Der kirche treu ergeben, hatte
er voll Glaubenseifer gegen die hunnen gekämpft. Wetti ſah ihn in
feinem Befichte in großer Herrlichkeit den Marturern beigezählt, nach⸗
dem er im kiampfe gegen die hunnen am 1. September 799 gefallen
war. Da er kinderlos war, hatte er große Stiftungen der Reichenau
zugewandt. Aus Dankbarkeit wurde er von den Mönchen in der
dortigen Marienkirche beſtattet. Waldo hat den edlen Mann ſicher
gekannt und wohl auch Stiftungen von ihm zu Gunſten des Kloſters
erhalten, wie bereits fein Vorgänger, Abt Petrus, die Gunft Gerolds
und hildegards erfahren hatte. Wir dürfen das ſchon deshalb an⸗
nehmen, weil Gerold auf der Reichenau [eine Grabftätte fand, und
gerade Wetti, Waldos Derwandter, ſein beben beſungen hat.
Im nämlichen Jahre, in dem Gerold in Reichenau begraben wurde,
fiedelte ein vornehmer Alamanne, Biſchof Egino von Verona, auf
die Reichenau über. Karl d. Br. heißt ihn im Jahre 811 in einer zu
Bunften der Reichenau ausgeſtellten Urkunde feinen lieben Derwandten.
Genauer betrachtet war er wohl mit kiarl nur verſchwägert, aber ſehr
wahrſcheinlich mit der aus ſchwäbiſchem Edelgeſchlechte ſtammenden
Rönigin hildegard verwandt. Er befaß in Alamannien, feiner Heimat,
3. B. im Oberamt Riedlingen in Württemberg, Güter, die er zum Teil
an die Reichenau vergabte. Seiner Gewohnheit gemäß war er jetzt
wieder in feine heimat gekommen; diesmal in der Abſicht, dauernd
dort zu bleiben und nicht mehr nach Derona zurückzukehren. Er bat
Waldo, den Abt der Reichenau, auf der Inſel wohnen zu dürfen. Es
wurde ihm erlaubt, und er erbaute ſich nun (799) im Nordoſten Zelle
und Kirche, errichtete eine Probſtei mit ſechs kianonikern und weihte
die neue kirche zu Ehren der Apoftelfürften Petrus und Paulus ein.
Durch feine Büter in Stand geſetzt, feine Stiftung vornehm auszu⸗
ſtatten, bereicherte er fie mit Bold, Silber und Edelſteinen, Kirchengerät,
gottesdienſtlichen Gewändern und aller zum Gottesdienſt erforderlichen
Jier, mit Büchern und vielen Reliquien. Er muß überhaupt gleich Waldo
auch ein großer Bücherfreund geweſen ſein. Noch heute befindet ſich
eine Egino⸗Handſchrift des achten bis neunten Jahrhunderts in der
Berliner Staatsbibliothek. Nuch in der Reichenauer Büchereigeſchichte
253
trafen wir auf feine Spuren in den mutmaßlichen Egino-Bandfchriften.
nach einem frommen Einfiedlerleben ftarb er am 27. Februar 802
und wurde in feiner Stiftung St. Peter und Paul zu Reidenau-
niederzell begraben. Sein noch erhaltenes Grab mit Inſchrift ſichert
ihm auf der Infel ein bleibendes Andenken. Egon nennt ihn ſelig
und behauptet, fein Grab ſei bis auf feine Zeiten durch Wunder ver⸗
herrlicht worden, und die Reichenauer gahrbücher wollen wiſſen, er
ſei der beſondere Patron aller Fieberkranken bis auf den heutigen
Tag. Es iſt gewiß kein Zufall, daß Egino ſich gerade zur Zeit, als
Waldo Abt der Reichenau war, dorthin zurückzog. Mit ihm war er
wohl ſchon in Oberitalien bekannt geworden. Waldo verwaltete ja
das Bistum Pavia, der Hauptſtadt des Langobarden=Reiches, zu einer
Jeit, wo Egino Derona innehatte. Beide waren Männer von den
gleichen Jdealen erfüllt, beide wie ihre Stellung beweiſt, Vertraute
Karls d. Br. Wohl 799 war es, daß Egino fein Bistum verließ, um
ſich auf die Reichenau zurückzuziehen. Faſt um die gleiche Zeit, wahr:
ſcheinlich um 800 — 801, hat dann auch der Abt der Reichenau von
der Derwaltung des Bistums Pavia ſich freigemacht; denn 801 er⸗
ſcheint in Pavia ein neuer Biſchof, Johannes I., wenn die Biſchofs⸗
liſten verläſſig ſind. Bei ſeinem Freunde konnte nun Egino die letzten
bebensjahre auf der ſchönen Bodenſeeinſel auf heimatlichem Boden,
fern von den Sorgen des Birtenamtes in ſtiller Muße verbringen.
Waren fie beide auch noch mit dem karolingiſchen Rönigshaufe ver-
wandt oder verſchwägert, Waldo durch Karl, Egino durch Hildegard,
ſo ſchlang dies ein neues Band der Freundſchaft um die beiden Männer,
und es wäre dann doppelt verſtändlich, warum Egino gerade auf der
Reichenau ſich zur Ruhe ſetzen wollte. — Das Beiſpiel Eginos wünſchte
ſpäter unter Abt Walahfrid Biſchof Ratold von Derona, Eginos
Nachfolger, nachzuahmen. Ruch er war Alamanne und mit karl d. Er.
verwandt. Nach Verzicht auf fein biſchöfliches Amt ſehnte er ſich gleich
feinem Vorgänger nach der Stille klöſterlicher Einfamkeit, erhielt aber
die Zuſtimmung des Reichenauer Abtes, auf der Inſel zu wohnen, nicht.
Doch durfte er ſich in ihrer Nähe anſiedeln. Ratold erbaute nun eine
delle und Kirche zu Ehren des hl. Petrus. Aus der Zelle wurde nach-
mals jene Stadt am Bodenſee, die heute noch feinen Namen trägt:
Radolfzell. Trotz der abſchlägigen Antwort des Abtes wurde auch
er ein Freund und Gönner des kloſters. Im Jahre 830 brachte er
den Leib des heiligen Evangeliften Markus unter dem Decknamen des
bl. Dalens und die Reliquien des hl. Seneſius auf die Infel. Er ſteht als
Wohltäter im Reichenauer Totenbuch am 13. September; Egon ſchätzt
254
ihn ebenſo ein wie feinen Dorgänger Egino, wenn er von feiner Regie⸗
rung fagt: „Ein heiliger folgte dem Heiligen im Biſchofsamte“.
Um die Wende des achten Jahrhunderts ſoll Waldo zuſammen mit
dem Grafen Hhunfrid von Churrätien auf den dringenden Wunſch Karls
d. Sr. eine Seereiſe nach Rorfika unternommen haben. Niemand wollte
die gefahrvolle Meerfahrt wagen. Da erklärte ſich der Abt bereit
dazu und bewog ſchließlich durch langes, eindringliches Jureden auch
den Grafen, mit ihm die Gefahren der Reife zu teilen und den Wunſch
des Raifers zu erfüllen, die heiligen Blut⸗ Reliquien abzuholen. Sie
brachten dann, wie es heißt, viele Reliquien, darunter eine Ampulle
- aus Onurſtein mit dem Blute Chrifti und einen Teil feines heiligen
ktreuzes nach Sizilien. Im dortigen kiloſter St. Anaftafia wäre das
heilige Blut von Harl d. Gr. abgeholt und für die Überbringung ſeien
beide reich entlohnt worden. Auf einen wahren Bern dieſer in der
Quelle des zehnten gahrhunderts noch des weiteren ausgemalten Er⸗
zählung weiſt die Tatſache hin, daß im gahre 799 ein Mönch von
geruſalem im Auftrage des dortigen Patriarchen Hönig Earl viele
Reliquien nach Nachen überbrachte.
noch als Abt von Reichenau erhielt Waldo ein neues Zeichen kaiſer⸗
lichen Dertrauens. Er gehörte zu jenen auserlefenen Großen, denen
ktarl die ſächſiſchen Beifeln in Obhut gab, die er zur Sicherung des
Friedens von den Aufftändifchen verlangt hatte. In Alamannien waren
es außer dem Abte der Reichenau nur noch die Biſchöfe von Baſel,
Ronftanz und Augsburg, denen fie anvertraut wurden. Dieſe SGeiſeln
waren ohne Zweifel ſächſiſche Edelinge, wohl aus den mächtigſten
und edelſten Seſchlechtern des Landes. Sonſt wären uns ſchwerlich
ihre Namen ſo ſorgfältig überliefert worden. Waldo hatte aus den
Oſtfalen für Hernald, den Sohn des Suithard, aus den Engern für
Ditmann, den Sohn des Osmann, aufzukommen. An Mittfaſten
oder ſchon im Januar 802 ſollten die Beifeln in Mainz dem Kaiſer
vorgeſtellt werden. N
Stiftungen und Schenkungen. — die glänzende innere Ent⸗
wicklung und die guten Beziehungen zur Außenwelt brachten es mit
ſich, daß der Abtei Stiftungen und Schenkungen von Gönnern zuteil
wurden. 80 mehrte ſich unter Abt Waldo von ſelbſt auch der äußere
Beſitz Reichenaus. Der uns ſchon bekannte Sraf Gerold bedachte
die Inſelabtei reich mit Schenkungen, beſonders im württembergiſchen
Oberland und Hohenzollern, aber auch in Baden, ſo 3. B. mit den Ort⸗
ſchaften Unlingen, Grüningen und Altheim im württembergiſchen Ober⸗
amt Riedlingen, ferner mit Tuttlingen, Nendingen, Mühlheim, Irren-
ö 255
dorf, Troffingen im Oberamt Tuttlingen, mit Dietfurt im Oberamt
Sigmaringen, mit Stetten am kalten Markt im Bezirksamt Meßkirch.
Biſchof Sgino ſchenkte für den Unterhalt feiner Stiftung St. Peter
und Paul auf Reichenau-Tliederzell die Ortſchaften Dürmentingen, Of»
fingen, Burgau, Dietelhofen und andere mehr im Oberamt Riedlingen.
bon den Bücherſchenkungen haben wir ſchon geſprochen. Aber
auch andere willkommene Baben brachten die eintretenden Biſchöfe
und Prieſter mit ins kiloſter. Biſchof Lambert aus Italien brachte kilein⸗
odien, Biſchof Harterich aus Sachſen allerei Schätze und Güter, der
Priefter Ansgar einen guten ktelch mit Patene. Die ſpäten Reichenauer
gahrbücher wollen noch wiſſen, daß „viele Weltleute, Männer und
vornehme Frauen, unter Waldo der ſeligſten Jungfrau von Reichenau
Reihe, Patenen, mit Bold und Silber verzierte Meßbücher ſchenkten.
8o blühte damals in Reichenau das Ordensleben aufs herrlichſte, und
das Lob feiner Mönche war bei Rönigen und Fürſten hochgeſchätzt“.
IV. Biſchof von Pavia und Baſel.
Waldos Tätigkeit beſchränkte ſich nicht auf die Reichenau. Während
er noch auf dem Infelklofter regierte, ward er von karl d. Br. zu
einem höheren Amte berufen, ohne daß er dabei feine äbtliche Würde
und Bürde hätte aufgeben müſſen. Im Jahre 774 hatte Karl das
bangobardenreich erobert und dem großen Frankenreiche als ſelbſt⸗
ſtändiges ktönigreich angegliedert. Nun bedurfte er eines geeigneten
Biſchofs für Pavia, die langobardiſche hauptſtadt. Er fand ihn in dem
Abte der Reichenau. 8o wurde Waldo, wahrſcheinlich im Jahre 791,
von Karl zum Biſchof von Pavia ernannt und auf dringende Dor-
Rellungen des Bönigs bei Papſt Hadrian von dieſem in Rom wohl
auch konſekriert. Wir haben oben ſchon erwähnt, daß aus dieſer Zeit
ſeinebe ſonderen Beziehungen zu Egino von Derona ſich herleiten mögen,
und daß er bereits um 800 — 801 die Verwaltung des Bistums in
andere Hände legte.
neben Pavia hat Waldo, ebenfalls noch als Abt der Reichenau,
auf Wunſch Barls d. Br. auch das Bistum Baſel vor 802 verwaltet.
Hanoniſch eingeſetzter Biſchof war er hier niemals; denn die älteften
Biſchofsliſten kennen ſeinen Namen nicht.
In beiden Sprengeln beſorgte er nur, wie der Bericht der Über⸗
tragung des heiligen Blutes nach Reichenau im zehnten Jahrhundert
erzählt, die laufenden Geſchäfte, bis eigene Biſchöfe eingeſetzt wären.
In beiden waren ſchwierige Aufgaben zu löſen. In Pavia erlaubte
ſich die weltliche Behörde Eingriffe in die biſchöflichen Rechte. Schlimmer
256
noch ſah es in Bafel aus. Hier waren die kirchlichen Derhältniffe feit
Jahrzehnten verwildert. Zucht und Ordnung waren abhanden ge⸗
kommen, Glaube und Sitte in Klerus und Volk nicht einwandfrei,
Unterricht und Gottesdienſt. vernachläſſigt. Die ſeelſorgliche Tätigkeit
ſtand nicht auf der höhe ihrer Aufgabe. Die kirchliche Rechtspflege
ließ ſehr zu wünſchen übrig. Zur Ausrottung fo vieler und tiefein⸗
gewurzelter Mißbräuche bedurfte es der ganzen kraft eines einzelnen
Mannes. Für Waldo war die baſt zweier Bistümer neben feiner Abtei
Reichenau auf die Dauer zu ſchwer. Deshalb bat er Barl um Ab⸗
nahme der beiden Bistümer. Er fand Gehör. In Pavia erſcheint dem⸗
gemäß im gahre 801 der Biſchof Johannes; für Baſel wurde 802
oder etwas [päter Heito zum Biſchof erkoren. Heito wußte mit ſicherem
Blick und kluger Tatkraft, beſonders auch durch ſeine noch heute er⸗
haltenen 25 trefflichen klanons den Übeln zu ſteuern.
V. Abt von St. Denis (806 — 814).
Auch auf der blühenden Reichenau ſollte Waldo den Abtſtab nicht
mehr lange führen. Karl d. Sr. fand es im Jahre 806 für angezeigt,
den verdienten Mann in die Abtei St. Denis bei Paris zu berufen,
die Waldo dann bis zu feinem Tode innehatte. Ohne Zweifel geſchah
dieſe Derfegung nur in vollem Einverſtändnis mit dem Erwählten
ſelbſt. Sie war eine ehrenvolle Beförderung und ein neues Zeichen
Raiſerlichen Dertrauens. Karl wünſchte jedenfalls durch Waldo das arg
herabgekommene St. Denis wieder in die höhe zu bringen. Daran
mußte ihm viel gelegen ſein. St. Denis war die erſte Abtei ſeines
weiten Reiches und hatte feit Jahrhunderten die Bunftbezeugungen
der herrſcher erfahren. Überdies war es Grabſtätte der Merowinger
und Rarolinger. hier falbte Papft Stephan die neuen herrſcher des
Frankenreiches zu Rönigen und verlieh damals der Abtei das einzig»
artige Vorrecht, ſich einen eigenen Biſchof weihen zu laſſen. Wer alfo
zu St. Denis die Abtswürde innehatte, gehörte zu den bedeutenſten
Prälaten des Reiches und übte demgemäß bei den lebenden Herrſchern
einen hohen Einfluß aus, wie er der Hüter der toten in den Königs⸗
gräbern war. Wir ſehen denn auch in Waldo wie in feinen unmittel-
baren Vorgängern und Nachfolgern nur Männer, die um ihrer per⸗
ſönlichen Bedeutung oder Derdienſte willen oder wegen Derwandtſchaft
mit den Barolingern an dieſen Poſten berufen wurden. Dor Waldo
regierte Abt Fulrad, einer der einflußreichſten Männer ſeiner Zeit
(750 - 784), nach dieſem Maginar (784 bis etwa 792), von Karl als
Geſandter beim Papſt, Rapellan und königlicher Sendbote verwendet,
257
dann der Cangobarde Fardulf (792 — 806), der die Abtei von Karl
zum bohne für die Rufdeckung der Derſchwörung Pippins des Buck⸗
ligen erhalten hatte.
Als ihm 806 Waldo nachfolgte, waren die Derhältniffe nicht darnach
angetan, daß ſie eine ruhige Regierung verſprachen. Dürfen wir Ma⸗
billon glauben, ſo war die klöſterliche Zucht ſchon unter Fardulf ſo
arg zerfallen, daß die meiſten Mönche die Regel St. Benedikts gar
nicht mehr kannten und nicht wie Mönche, ſondern wie klianoniker
lebten. Ob Mabillon aus der alten Quelle der Übertragung des heiligen
Blutes geſchöpft hat? Nach ihr führten die Mönche ein derart welt⸗
liches beben, daß Waldo ſich nur mit Waffengewalt den Eintritt ins
kapitel des ktloſters erzwingen konnte, dann aber, nachdem er ihren
dbermut und Trotz gebrochen hatte, fie ebenſo durch feinen frommen
Wandel zu gewinnen, wie durch ſeine weiſen Lehren und andauernden
mahnungen zu bereden wußte, ſich ihm willig zu unterwerfen. Dieſe
Schilderung von Waldos raſchen und guten Erfolgen in der Kloſter⸗
reform ift ohne Zweifel viel zu günftig ausgefallen. Tatſächlich waren
ſie weder allſeitig noch auch andauernd. Der eine und andere, vielleicht
eine ganze Partei, wie die Ereigniffe unter feinem Nachfolger nahe-
legen, ſcheint ſich nicht recht in die unbequeme Ordnung der wieder⸗
eingeführten Regel hineingefunden zu haben. Der Derfaſſer der Miracula
5. Dionysii, felbft ein Mönch von St. Denis, hat uns den Namen eines
dieser widerfpenftigen Mönche zum Andenken aufbewahrt. Er hieß
fliroardus und führte kein klöſterliches beben, ſondern übertrat die Regel.
Unter Waldos Nachfolger, dem Erzkaplan Hilduin (814 oder 815
dis 839), war dann die Zucht wieder vollends zerfallen. Indeſſen hat
hd) Abt Hilduin um die Wiederherſtellung der Ordnung mit hilfe Raiſer
Ludwigs, feines Bönners, ernſtlich bemüht. Er ließ eine Teilung der
Rloftergüter urkundlich feſtlegen, damit die Mönche keinen Anlaß
hätten, ſich zu beklagen und ſo die klöſterliche Ordnung umzuſtoßen.
In anderen klöſtern ſah es damals nicht beffer aus. Um dem allgemeinen
Übel abzuhelfen, griff man nun zu einem allgemeinen heilmittel. Die
Hachener Synode von 817 erließ eigene Beſchlüſſe für die Erneuerung
des benediktiniſchen Ordenslebens. Mit St. Denis insbeſondere be⸗
ſchäftigten ſich zwei Sunoden, die in den Jahren 829 und 832 in der
Abtei abgehalten wurden. Abt hilduin war für die Reform. Zu ihrer
durchführung wurden zwei Infpektoren aufgeftellt: der hl. Benedikt
von Aniane ſelbſt, der die Seele ganzen Erneuerungswerkes war, und
Abt Arnulf von Bermoutier. Doch gelang es auch jetzt nicht mit einem
Male, in dem ganz verkommenen Rlofter die Benediktinerregel und
Benebiktinifhe Monatfchrift VI (1924). 7—8. 17
258
die Zucht wiederherzuſtellen. Man fieht aus dieſen Derhältniffen, daß
die Schuld des Mißlingens der Erneuerung nicht fo fat an den Abten
Fardulf, Waldo und hilduin lag, als in dem damals en all⸗
gemeinen Verfall der Ordenszucht.
Sonſt hören wir recht wenig von Waldos Tätigkeit i in St. Denis.
Außer den äbtlichen Rechten wird er wohl auch die biſchöflichen aus⸗
geübt haben. Wenigſtens nennt ihn die früher erwähnte Pfäverſer
Urkunde von 807 ausdrücklich Biſchof und Abt von St. Denis in
Paris. Es liegt überhaupt nahe, zu glauben, daß Karl d. Gr. dem
Abt der Reichenau nach ſeinem Verzicht auf Paris und Baſel gerade
wegen feiner biſchöflichen Würde die Abtei St. Denis übertragen hat.
Daß der Kaiſer ihm auch in feiner neuen Stellung gewogen blieb,
geht aus dem Briefwechſel hervor, den er mit ihm unterhielt. Er“
verlangte brieflich durch Abt Waldo von dem gelehrten Rekluſen Dun⸗
gal aus St. Denis eine Erklärung über die doppelte Sonnenfinfternis
am 5. Juli und 30. November des gahres 810. Dungal ſeinerſeits gab
die erwünſchte Erklärung in einem langen Schreiben und ſandte dies
gleichfalls durch Waldo an den Raifer, der auch noch im ehrwürdigen
Greiſenalter die jugendliche Freude an Wiſſenſchaft und Aunft nicht
verloren hatte. Übrigens war man für aſtronomiſche Fragen am hofe
überhaupt beſonders eingenommen.
Seine alte Dorliebe für Handſchriften hat Waldo in St. Denis ge⸗
wiß nicht verleugnet. Hatte er früher als Abt von Reichenau viele
Handſchriften aus Italien, Frankreich und anderswoher bezogen, fo
hat er ſich nun wohl als Abt von St. Denis an feine früheren Abteien
gewandt, um neue Bücher oder Abſchriften für fein neues Kloſter zu
erhalten. Eine Spur davon ift uns in einer Pariſer Handſchrift aus
dem neunten Jahrhundert erhalten. St. Denis erſcheint zudem im
neunten gahrhundert, jedenfalls ſchon vor 830 und ſpäter mit Reichenau
verbrüdert; umgekehrt ließ Reichenau unter Abt Erlebald (822 — 838)
handſchriften in St. Denis ſchreiben. Das läßt vermuten, daß Waldo
und Hilduin auch den Bücherbeſtand der Abtei wieder gehoben haben
und ſchreibtüchtige Mönche, vielleicht auch eine Schreibſtube beſaßen.
Es hat ſich auch hier wieder eine Spur erhalten, die uns auf Beziehungen
von beſtimmten Handſchriften zwiſchen St. Denis-Reichenau⸗St. Gallen
unter Abt Waldo von St. Denis führt.
VI. Tod und Nachleben (29. März 813 oder 814).
nach einer fieben- bis achtjährigen Regierung ſtarb Waldo zu St.
Denis am 29. März 813 oder 814, zwei Monate nach ſeinem kaiſer⸗
259
lichen Freund und Gönner Karl d. Gr. Er wurde daſelbſt in einer
kleinen Apfide der Abteikirche begraben. Mit feinem Tode erloſch
indeſſen fein Andenken nicht. Lange Zeit wurde an feinem Grabe in
einer kleinen Niſche Tag und Nacht ein bichtlein unterhalten.
Die kunde von feinem Tode wird wohl bald auch auf die Reichenau
gedrungen ſein. Es iſt ſehr lehrreich zu ſehen, wie er dort in der
Erinnerung ſeiner ehemaligen Mönche fortlebte. Mönch Wetti, ſein
Derwandter (+ 824), ſchaute auch ihn wie er karl d. Br. und den
Grafen Gerold ſah in feinem berühmten Befichte. Er ſah den Abt
noch zehn Jahre nach feinem Tode zur Abbüßung feiner Nachläſſig⸗
keiten an einem Reinigungsorte, jedoch nicht zu ewiger Strafe leiden.
Auf einem Berggipfel war Waldo allen Rauheiten von Wind und
Wetter und Regengüſſen ausgeſetzt, um nach ſeiner Reinigung voll
Freude in den Hof des ewigen Königs eingeführt zu werden. Doch
ward ihm̃ während ſeiner Strafzeit geſtattet, einen Biſchof namens
Adelhelm, deſſen Bifchoffig unbekannt iſt, durch einen kleriker feines
Bistums namens Adam im Traume um Bebetshilfe zu bitten. gener
Biſchof aber, von dem Traumgeſicht in kienntnis geſetzt, verachtete es
als leeren gewöhnlichen Traum und kam dem Bittenden nicht zu hilfe.
deshalb wurde er nach ſeinem bald darauf erfolgten Tode derſelben
Strafe wie Waldo unterworfen. Man ſieht, die Reichenauer Mönche
wußten kritik zu üben. Umſo werivoller iſt es, daß trotzdem der
Name Waldos auf der Infel immer hoch in Ehren gehalten wurde. Im
berbrüderungsbuche ſteht er in der Gifte der Gründer ⸗Hbte, nach Petrus
an achter Stelle eingetragen. Auf einem alten Schnitt eines Reiche⸗
nauer Reliquiars des koſtbaren Blutes ſoll Waldo durch eine Infchrift
verewigt und zugleich ſelig genannt geweſen ſein.
die Vorzeit hat uns keine Geſchichte des Reichenauer Beiftesleben ũber⸗
liefert, und manches iſt durch der Zeiten Ungunſt und den Unverſtand
der Nachwelt für immer verloren gegangen, was uns zu einem treuen
Bild des fröhlichen Schaffens von ehemals verhelfen könnte. Aber
auch heute noch reden die prachtvollen Hhandſchriften der Reichenau
von Waldos erfolgreicher Tätigkeit, von dem regen wiſſenſchaftlichen
und mönchiſchen Leben, das er zuſammen mit Reginbert ins beben
gerufen hat. Mit vollem Recht darf er der Begründer des goldenen
deitalters der Reichenau genannt werden. Er hat für dieſe Seite
feines Wirkens das Cob verdient, das ihm ein Mönch der Reichenau
ſchon vor tauſend Jahren geſungen hat, und das noch jetzt in feinen
Werken leiſe weiterklingt: „Glückſeliger Mann! Nie wird die Welt,
ſolange ſie ſteht, müde werden, (auch) deinen Namen zu preiſen“.
17°
260
Himmliſche Buchführung.
Don P. Bernhard Seiller (Augsburg).
er Menſch denkt, Bott lenkt. Über allem menſchlichen Sinnen und
Sorgen, Wünſchen und Wollen ſtehen höhere Mächte, die oft
einen dicken Strich durch unſere Rechnungen machen, mögen wir nun
dieſe Mächte in ſataliſtiſchem Sinn als blindes Verhängnis (fatum)
oder in theiſtiſchem Sinn als weiſe und liebevolle Führung, als gött⸗
liche Dorfehung auffaſſen. Fataliſtiſch iſt die Aſtralreligion der alten
Babulonier; Sternmächte beſtimmen die Geſchicke der Welt und der
einzelnen Menſchen. Diefes Dorausbeftimmen wird als ein Auffchreiben
bezeichnet; wiederholt iſt die Rede von Schickſalstafeln und von einem
himmliſchen Schreiber (nabu). Der Sternglaube und die Sterndeutung
der Babulonier griff auch in die helleniſtiſche und römiſche Welt über;
auch in der chriſtlichen Zeit wucherte der aſtrologiſche Aberglaube
noch fort, obwohl die Kirche gegen ihn ankämpfte; ja das 14. und
15. Jahrhundert war die Glanzzeit der hofaſtrologen, von deren Aus:
ſprüchen nicht ſelten das Wohl und Wehe eines Landes abhing. Die
babuloniſchen Schickſalstafeln aber lebten wieder auf in der Form der
ſibulliniſchen Bücher; die Schickſalstafeln ſind jetzt vom Himmel auf
die Erde verlegt und künden in dunklen, prophetiſchen Sprüchen das
Schickſal der Welt. Eine ſolche Sammlung war zu Rom im Tempel
des kapitoliniſchen Juppiter niedergelegt und wurde in wichtigen An-
gelegenheiten zu Rate gezogen; Tarquinius Superbus ſoll ſie von der
Sibylle von Cumä erhalten haben. Heutzutage beſitzt man 12 Bücher
oracula Sibyllina in griechiſchen Hhexametern, teils jüdiſchen teils chriſt⸗
lichen Urſprungs, worin unter der Hülle der Prophetie die Geſchicke
von Ländern und Völkern, von Städten und Tempeln erzählt werden
und Mahnungen, Warnungen, Verheißungen eingemiſcht find.
Aber neben der Schickſalsaufzeichnung kannten die Babulonier
auch noch eine andere Art himmliſcher Buchführung, nämlich die über
die guten und böſen Taten der Menſchen. Daraus ſieht man,
daß die Schickſalsbeſtimmung nur den äußeren Menſchen betraf, während
das Endſchickſal der Seele von den Werken des Menſchen abhängig
gedacht wurde; der Gerechtigkeitsgedanke trug über die Schickſals⸗
idee den Sieg davon. Die Texte der Bibliothek Afurbanipals reden
von einer Tafel der guten Werke; der Sünder fleht im Gebete,
daß die Tafeln ſeiner Sünden zerbrochen werden mögen. Der
Gedanke an eine himmliſche Aufzeichnung der menſchlichen Werke
lebte lange im orientaliſchen Kulturkreis fort. In der apokruphen
261
Aipokalypfe Pauli wird gefagt, daß in den Abendſtunden von den
Engeln im Himmel alles aufgeſchrieben wird, was die Menſchenkinder
am Tage getan haben. Auch nach der Apokalypfe des Sophonias
ſczen am Himmelstor Engel und ſchreiben die Taten der Menſchen in
Buchrollen; ein Engel trägt dann die Rolle der guten Taten zu Gott,
damit er die Namen in das Buch der Gebendigen ſchreibe; ein
anderer engel aber übergibt die Rolle der böſen Taten dem Ankläger,
der die Menſchen, wenn ſie zu ihm hinabkommen, anklagen wird.
die Taten der Menſchen, die man ſich im himmel aufgezeichnet denkt,
find nun auch der Gegenftand des Berichtes; Bücher werden auf⸗
geſchlagen, und jeder wird gerichtet nach ſeinen Werken. ö
Was find aber dieſe Schickſalsbücher und dieſe Serichtsbücher an⸗
ders als ein Bild der göttlichen Allwiſſenheit? Unter dem
nämlichen Bilde wird uns das göttliche Wiſſen auch in den heiligen
Schriften des Alten und Neuen Teſtamentes veranſchaulicht; denn
ttoß ihrer Selbſtändigkeit lebt auch die Bibel in den Bildern des alt⸗
orientaliſchen Aulturkreifes und kann ihre Derwandtfchaft mit dem⸗
ſelben nicht verleugnen.
Als das ifraelitifche Dolk feinen unſeligen Tanz um das goldene
Ralb aufgeführt hatte, legte Moſes für die Derblendeten Fürbitte ein,
indem er ſprach: „Ach, dies Dolk hat eine ſehr große Sünde begangen;
denn es machte ſich goldene Bötter. Nun verzeihe ihnen ihre Sünde
oder, wenn du das nicht tun willſt, löſche mich aus deinem Buche,
das du geſchrieben haſt!“ (2. Moſ. 32, 32). Hier kann nur das Buch
der Cebendigen gemeint fein; Moſes will in feiner Liebe zum Volke
lieber die eigene Seligkeit verlieren, als daß das ganze Dolk von Bott
verworfen werde. Welch rührendes Beifpiel von Birtenliebe, dem ſich
das des hl. Paulus vergleichen läßt, wenn er (Röm. 9, 3) lieber ſelbſt
im Banne fein will, losgetrennt von Chriftus, ftatt feiner Brüder! —
Im 68. Pfalm (D. 29) ſagt David, das Vorbild des leidenden Meſſias,
von den verſtockten Sündern. „Sie ſollen getilgt werden aus dem
Buche der Lebendigen und mit den Gerechten nicht zuſammen—
geſchrieben werden.“ — Merkwürdig iſt eine Stelle aus dem 138. pſalm
(0.16): „Als ich noch unfertig war (im Mutterſchoße); ſahen mich deine
Augen, und in deinem Buche find alle Menſchen aufgezeichnet;
die Tage werden beſtimmt, ehe noch jemand darin iſt.“ Gott
ſteht hier an Stelle der Moiren oder Parzen, die des Lebens Faden
oͤrehen. — Der Prophet Ifaias ſchaut im Geiſte das Reich des Meſſias
und bricht in die Worte aus: „eder, der übrig geblieben in Sion und
übrig gelaſſen in geruſalem, wird heilig heißen, jeder, der zum
262
beben geſchrieben ift in geruſalem“ (4,3). Man kann hier an
das Buch der Lebendigen denken oder auch an eine Eintragung in
die Bürgerliften des Bottesreiches, wie auch Ezechiel (13, 9) von ſolchen
ſpricht, die in das Derzeichnis des Hauſes Ifrael nicht werden einge:
ſchrieben werden. — Der himmliſche Schreiber begegnet uns bei
Szechiel (9, 2). Der Prophet fieht ein Strafgericht über Jeruſalem herein⸗
brechen; von Norden her nahen ſechs Männer, jeder hat ein Mord⸗
gerät in der hand; aber einer unter ihnen iſt gekleidet in Leinwand
und trägt ein Schreibzeug am Gürtel; dieſer erhält den Befehl, den
Serechten in der Stadt ein Tau (liegendes Kreuz) auf die Stirnen zu
zeichnen, das fie vor dem Derderben retten ſolle. — Bei Malachias
(3,16) ſagen die Bottesfürchtigen zueinander: „Der Herr merkt auf
und hört. Und ein Denkbuch (lider monumenti) liegt geſchrieben
vor ihm über die Gottesfürchtigen, die feines Namens gedenken.“
Der Herr vergißt alſo die Seinigen nicht; denn ſie ſind eingetragen in
das Buch des Lebens. — Der Prophet Daniel verkündet „eine Zeit der
Drangſal, dergleichen nie geweſen; aber es werden alle gerettet werden,
die man ins Buch wird eingeſchrieben finden“ (Dan. 12, 1).
Derfelbe Seher Rennt aber außer dem Buche des Lebens auch die
Bücher des Cerichtes. In einer großartigen Difion ſchaut er das
Weltgericht und die Ankunft des Mleffias. Stühle werden hingeſtellt
und der „Alte der Tage“ und das Gericht ſetzt ſich; Bücher werden
aufgetan; die Weltreiche werden verurteilt. Dann kommt einer in
des Himmels Wolken, der Menſchenſohn; dieſem wird die Herrſchaft
übertragen für alle Ewigkeit; „feine Gewalt iſt eine ewige Gewalt,
fein Reich ein Reich, das nie zerſtört werden wird“ (Dan. 7, 9 — 27).
Wie im Alten Teftament fo finden wir auch im Neuen die himm⸗
liſchen Gerichtsbücher und das Buch des Lebens erwähnt. Ein Schick⸗
ſals⸗ und Gerichtsbuch iſt das Buch mit den ſieben Spiegeln in
der Seh. Offenbarung (5, 1): „Ich ſah in der Rechten deſſen, der auf dem
Throne ſaß, ein Buch, überſchrieben von innen und außen, verfiegelt
mit fieben Siegeln“. Nur das Lamm iſt würdig, zu nehmen das Buch
und zu löſen ſeine Siegel; denn es iſt getötet worden und hat uns
für Gott erkauft mit ſeinem Blute. Mit der Eröffnung der Siegel be⸗
ginnen die Strafgerichte. Huch das kleine Buch, das Offb. 10 er-
wähnt ift, it ein Schickſals⸗ und Gerichtsbuch. Es ſcheint das Straf⸗
gericht über geruſalem zu enthalten; der Seher muß es verſchlingen,
d. h. ſich vollmommen mit dem Inhalt desſelben bekannt machen: „Und
ich nahm das Büchlein aus der Hand des Engels und verſchlang es,
und es war in meinem Munde fo ſüß wie honig, und als ich es ver⸗
263
ſchlungen hatte, war mein Leib mit Bitterkeit erfüllt“. Süß war es ihm,
weil der Untergang geruſalems den Sieg des Chriftentums bedeutet,
bitter aber, weil es großes Unglück für fein Volk enthielt. — Das
bebensbuch begegnet uns im Evangelium des hl. Cukas (10, 20);
der herr ſagt zu feinen Jüngern: „Freuet euch nicht darum, daß euch
die Beifter unterworfen find, ſondern freuet euch, daß eure Namen
im himmel geſchrieben ſtehen!“ — Der Rpoſtel Paulus ſpricht
von ſeinen Mitarbeitern als von ſolchen, „deren Namen im Buche
des bebens ſtehen“ (Phil. 4, 3), und die Mitglieder der jungen kirche
nennt er die Erſtlinge, „die in den himmeln aufgezeichnet ſind“
(hebr. 12, 23). — Die übrigen Stellen, die für uns noch in Betracht
kommen, gehören alle der Geheimen Offenbarung an. „Wer über:
windet“, läßt der Herr an den Engel von Sardes ſchreiben, „der wird
mit weißen Gewändern bekleidet werden, und ſeinen Namen werde
ich nicht tilgen aus dem Buche des Lebens“ (de libro vitae,
ea is Bißiou Y, Lie; Offb. 3, 5). Auch von ſolchen iſt die Rede,
deren Namen nicht gefchrieben find im Buche des Lebens von An⸗
beginn der Welt (Offb. 17, 8). Im Zufammenhang mit den Gerichts-
büchern wird das bebensbuch genannt Offb. 20, 12. „Und ich ſah die
Toten, groß und klein, ſtehend vor dem Throne. Und die Bücher
wurden aufgetan und wieder ein Buch ward aufgetan, das Buch des
bebens; und die Toten wurden gerichtet aus dem, was geſchrieben
war in den Büchern nach ihren Werken.“ Das Lebensbuch wird als
das bebensbuch des Lammes bezeichnet Offb. 13, 8 und 21, 27.
im Schluſſe (Offb. 22, 19) warnt der Seher, von feinen Worten etwas
wegzutun; denn wer etwas hinwegtut, „deſſen Teil wird Bott hin⸗
wegtun vom Buche des Lebens“. — Dem Buche des Lebens könnte
nun logiſch ein Buch des Todes gegenüber geſtellt werden, ſo wie
man in der Metaphuſik dem Begriffe des Seins den Begriff des Nicht⸗
ſeins gegenüber ſtellt. Ein Buch des Todes iſt nicht notwendig; denn
die Streichung aus dem Buche des Lebens iſt gleichbedeutend mit dem
Tode der Seele, mit der Tilgung aus dem Gottesreich. Dieſe Toten in
ein Buch zu ſchreiben hat keinen Sinn und Zweck mehr; ſie ſind die
Ausgefchiedenen, und die Tore Jerufalems find ihnen verſchloſſen immer
und ewig. „Denn wer nicht gefunden wurde eingeſchrieben im Buche
des Lebens, der wurde in den Feuerpfuhl geworfen“ (Offb. 20, 15).
Da Bott will, daß alle Menſchen ſelig werden, fo find von vorn⸗
herein alle zur Seligkeit beſtimmt und in das Buch des Lebens ein-
getragen; allen ift das Reich Gottes geöffnet, für alle der Preis aus»
geſetzt; allen iſt das Geben verheißen, allen winkt die unverwelkliche
264
Krone. Aber der Menſch kann aus dem Buche des Lebens geftrichen
werden; die Eintragung ins Buch des Lebens iſt zunächſt nur eine
bedingte, abänderliche. Dieſe Eintragung zu einer feſten, unabänder⸗
lichen zu machen, iſt die Lebensaufgabe des Menſchen. Nur wenn
er ſich durch den Glauben und die Liebe an Gott anſchließt und als
guter Baum gute Früchte bringt, bleibt es bei dieſer Eintragung, und
fie wird von Bott als eine unwiderrufliche beſiegelt. gedem Menſchen
gibt Gott die hinlängliche Snade, er erwartet aber die Mitwirkung
des menſchen. Die Entſcheidung hierüber erfolgt beim Weltgerichte.
Im dies irae ſtehen die ernſten Worte: „Und ein Buch wird auf⸗
geſchlagen, drinnen iſt es eingetragen, wes die Welt ift anzuklagen.“
Don uns ſelbſt hängt es ab, ob wir im Buche des Lebens eingetragen
bleiben oder nicht; wir ſelbſt find es, die ihre Namen in das Buch
des Lebens ſchreiben:
Schreibt eure Namen in das Buch des Lebens;
Auf Tür und Wände ſchreibt ihr fie vergebens!
St. Johannes vom Kreuz: Die dunkle Nacht der Seele.
In einer Nacht gar dunkel, O Nacht, die mich beglückte,
Da ganz mein liebend Herz vor Inbrunft Wie lieb ich doch ob Morgenrotes-Scheine;
O hochbeglückte Stunde! Iglühte, Dein Dunkel ja mich führte "
entſchlich mit leiſem Tritte Jum ſeligſten Vereine,
Ich meiner tief in Ruh verſunknen Hütte. Wo ich, in ihn gewandelt, ward die ſeine!
Im ſichern Schutz des Dunkels An meinem blühnden Bufen,
War die geheime Leiter bald erftiegen; Den unverſehrt ich ſtets für ihn bewachte.
O hochbeglückte Stunde! Sank er in ſanften Schlummer,
Derhüllt und tiefverſchwiegen Indeß ich für ihn wachte, lfachte.
Sing ich, und ließ in Ruh die Hütte liegen. Und mit dem Cederzweig ihm Kühlung
O feligfte der Nächte, Und als Aurorens Atem
Da ich beherzt den dunkeln Pfad erklimmte, Sein lockig haar begann umherzu⸗
Da mich kein Blick erſpähte, Gieß ſanft um meinen Hacken [f[preiten,
Rein Licht den Tritt beſtimmte, [glimmte. Er feine Rechte gleiten,
Als das, das in der innern Bruſt mir Mir ſchwanden alle Sinn’ in Seligkeiten.
In dieſes bichtes Glanze Don heilger Wonne trunken,
Fand ſichrer ich als bei des Mittags Helle Durft ich mein haupt auf den Geliebten
Den Ort, wo meiner harrte Die Welt war mir entfunken, (lehnen;
Der Giebfte meiner Seele Geftillet all mein Sehnen,
Dort in der Öd, an unbetretner Stelle. Begraben unter Gilien harm und Tränen!
Diefe Blüte ſpaniſcher Brautmuſtik ward deutſch dargeboten von Relchlor von Dlepenbrock in feinem’
„dem geliebteſten Dater in Chriſto Johann Michael von Sailer“ gewidmeten „Geiſtlichen Blumenfraufß”
(3. Aufl. Sulzbach 1854, S. 172; 1. Aufl. ebd. 1839). Im Theatinerverlag München hat Du dolg Burchard
fieben Gedichte des Heiligen, darunter auch dieſes ſpaniſch und deutſch nach Storck und Diepenbrock geboten.
Er fchrieb ein „Nachwort“ dazu und „Erklärungen“ des Heiligen felber. Das vornehme Bändchen in Groß
oktav iſt eine ſinnreiche Einleitung und lockende Einladung zur angekündigten vierdändigen Ausgabe der
Werke des ſpaniſchen Myſtikers.
265
miſſionspflicht, Miffionswefen und -Giteratur.
Don P. Hieronymus Riene (Beuron).
1
Ene Umſchau in den Ländern der Erde und Erkundung des reli⸗
giöfen Bekenntniſſes der fie bewohnenden Völker ift nur zu ſehr
geeignet, uns mit Schmerz und Trauer zu erfüllen. Dielen Millionen
unſerer MRitmenſchen, die als heiden, Mohamedaner, Juden, Irrgläubige
leben, iſt die Sonne der Gerechtigkeit nicht aufgegangen oder wieder
verdunkelt worden. Liegt die Schuld einzig bei den Völkern, „wollen
fie die Finſternis lieber als das Licht“, oder fehlte es ihnen an Der-
kündern der frohen Botſchaft? Der herr will, „daß alle Menſchen
gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“; die Men⸗
ſchen aber können ihre Herzen der Wahrheit verſchließen. Mag aber
auch große Schuld die Un⸗ und Irrgläubigen, ihre turanniſchen Be⸗
herrſcher, ihre ſelbſtſüchtigen geiſtigen Führer treffen, nicht wenig Schuld
an der beklagenswerten religiöſen Weltlage fällt doch wohl auf die
-Chriftenheit zurück. Wie ſehr haben die Glaubens ſpaltungen und ihre
Auswirkungen das Miſſionswerk geſchädigt und ſchädigen es noch!
Wie verhängnisvoll wirkt der Zwieſpalt zwiſchen chriſtlicher ehre und
dem beben fo mancher Chriften, denen auch das Wort des Apoftels
gilt: „Durch eure Schuld wird der Name Gottes unter den Beiden
geläſtert!“ Nicht wenig hat dem Anſehen und der Wirkſamkeit der Miſ⸗
fion geſchadet der Eigennutz jener Regierungen und Mliffionare, die aus
politiſchen Zwecken und nationaliſtiſcher Sigennützigkeit miſſionierten.
Die ktirche hat von jeher Großes geleiſtet, um allen Völkern den
Glauben zu bringen und zu erhalten. Wer könnte die Blaubensboten
alle zählen, welche die Kirche, zumal die Päpſte ausgeſandt, bevoll⸗
mächtigt und ermutigt haben! Schon das Daſein einer eigenen Miſſions⸗
Rongregation, der Propaganda in Rom, bekundet, daß die Kirche auch
heute noch ihrer Miſſionspflicht ſich bewußt iſt. Aber hätte nicht noch
mehr geſchehen, noch Größeres erreicht werden können, wenn alle
Glieder der Kirche das Miſſionswerk mit dem ihm gebührenden Eifer
und Opfergeiſt umfangen hätten, wenn ſie ſtets durch ein lebendiges
Glaubens leben für ihre Mitmenſchen zu „Miſſionaren“ geworden wären?
Der Gedanke an unſere Miffionspflicht iſt ſtets eine Gewiſſensfrage
für uns und eine wirkſame Mahnung, den Glauben, den wir anderen
verkündet wiſſen wollen, ſelber zu üben.
Die Teilnahme an der Erhaltung und Verbreitung des katholiſchen
Glaubens iſt für uns eine wahre Pflicht. Die Kirche, deren Glieder
wir find, miffioniert auf Gottes Befehl. In feierlicher Weiſe hat ihr
Chriftus ſelbſt den Miffionsauftrag erteilt: „Mir iſt alle Gewalt ge⸗
gegeben im himmel und auf Erden. Gehet alſo hin und lehret alle
Dölker und taufet fie im Namen des Daters und des Sohnes und
des heiligen Beiftes und lehret fie alles halten, was ich euch befohlen
habe. Und ſiehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“.
Den „Zwölfboten“, den Apofteln, und den anderen Jüngern geſu galt in
266
erfter Cinie diefer Auftrag; mit ihrem Tode erloſch er nicht. Solange
es Dölker gibt, die zu belehren, zu taufen und in alle Wahrheit ein:
zuführen find, ſolange hat auch dieſer Auftrag Chriſti Geltung. Die
Kirche wäre ihrer Aufgabe untreu geworden an dem Tage, an dem fie
das Miffionswerk einſtellte. Sie darf auch nicht warten, bis man nach
ihr verlangt. „Wer den Auftrag hat: ‚Beht in alle Welt‘, kann nicht
warten, bis die Welt ihn ruft“ (Rard. Faulhaber). Pflicht des Papſtes
und der von ihm Bevollmächtigten iſt es: Blaubensboten auszuſenden;
Aufgabe und Pflicht der Befamtkirche aber: die Auszufendenden darzu⸗
bieten, ihre Ausbildung und Ausſendung, ſowie ihr Wirken zu ermög⸗
lichen. Es beſteht ſomit eine Miſſionspflicht für die ganze kirche, für
alle ihre Glieder. Alle können und follen dazu beitragen, niemand darf
ſich dem Miſſionsgebote ganz entziehen. Nur die wenigſten ſind ge⸗
eignet und berufen, in ferne Länder zu ziehen und dort ſelbſt als
Miffionäre tätig zu fein. Nicht Reiſe⸗ und Abenteuerluſt oder jugend:
liche Schwärmerei, ſondern Seeleneifer und hoher Opfergeiſt tut not,
ſowie körperliche und geiſtige Tüchtigkeit. Wenn nicht alle durch Ein⸗
ſetzung ihrer Perſon, ſo können doch alle am Werke der Glaubens⸗
verbreitung durch Bebet und Gaben teilnehmen. Ernſtlich erinnert,
Geo XIII. in feiner Enzyklika vom 3. Dezember 1880 an die Miffions-
pflicht: „Wir ermahnen uch dringend, Ehrwürdige Brüder, Euer Sinnen
und Trachten mit dem Unſrigen zu vereinigen, um eifrig, einmütig
und aus allen Kräften die apoſtoliſchen Miſſionen zu unterftügen.
Geben wir uns alle Mühe, den Miffionen wieder jene Mittel zu ver:
ſchaffen, welche der kirche von Anfang an zu Gebote ſtanden, nämlich
einerſeits die Derkündigung des Evangeliums durch Glaubensboten,
anderfeits die Gebete und Gaben frommer Gläubigen“. In ähnlicher
Weiſe äußerten ſich die Päpſte Pius X., Benedikt XV.? und neueftens
unſer jetziger Heiliger Dater Papſt Pius XI.
Der erſte, wichtigſte und wirkſamſte Beitrag iſt alſo das Gebet.
Dieſer Beitrag iſt allen möglich; er iſt zugleich ein hervorragendes Werk
der Selbſtheiligung, und ſeine Wirkſamkeit nimmt zu mit dem Wachs⸗
tum der Gnade und Tugend des Betenden. Die wahren Berufe zu
Glaubensboten und die aufrichtigen Bekehrungen ſind Wirkungen reich⸗
licher Snaden. Der Heiland will, daß wir bitten: „Bittet den Herrn
der Ernte“, ſpricht er, „daß er Arbeiter in feine Ernte ſende“ . Er
lehrte uns flehen: „Jukomme (uns) dein Reich.“ Wiederholt erſuchte
der Dölkerapoftel die Gläubigen um ihre Bebetshilfe für feine apo⸗
ſtoliſche Tätigkeit; fo die Theſſalonicher: „Meine Brüder, betet für uns,
daß das Wort des Herrn feinen Lauf habe und verherrlicht werde.
denn nicht alle find für den Glauben empfänglich.“ Oremus et pro
paganis, „laſſet uns beten auch für die heiden“, fordert uns in der
ktarfreitagsliturgie die Kirche auf; fie fügt die Bitte an: „Es möge
der allmächtige Bott die in heidniſcher Unwiſſenheit ſchmachtenden
1 Dgl. Arens, P. Pius X. und die Weltmiffion (Aachen 1919; f. unten).
* Dgl. Rundſchreiben unſeres hIft. D. Benedikt XV. über die Ausbreitung des Rath.
Slaubens auf dem Erökreis (30. November 1919: Maximum illud ). Autorifterte
Ausgabe, lateiniſch und deutſch (Freiburg 1920). ' Matth. 9, 38. II 3, 1.
267
Völker aus dem Götzendienſt befreien und fie vereinigen mit feiner
heiligen Kirche zum Preiſe und zur Verherrlichung feines Namens.“
Zum Gebet ſoll nach Möglichkeit die Babe, das Miſſionsalmoſen
treten. Das Miffionswerk kann nun einmal der materiellen Hilfs-
mittel nicht entbehren. Die Miffionsanftalten der Heimat wollen er:
halten, die Ruszuſendenden ausgeftattet fein. In den Miſſionsländern
find Kirchen und Schulen zu errichten; der Unterhalt der Miſſionäre,
Schweſtern, Batecheten und Lehrer erfordert, wenigſtens für den Un⸗
fang bedeutende Summen; für Waiſen⸗ und Krankenpflege u. a. mehr iſt
zu ſorgen. Die dafür nötigen Mittel werden am beſten und ſicherſten
durch die organifierte Hilfe der Miſſionsvereine beſchafft. Einem ſolchen
anzugehören follte Liebespflicht und Ehrenſache für jeden Katholiken
fein. Der Eifer und die Bebefreudigkeit vieler Andersgläubigen iſt
beſchämend für uns. Die erſten Chriſten find auch hierin vorbildlich (vgl.
Apoftg. 11, 29). Der Derzicht auf einen unnötigen Genuß, auf ein
vielleicht ſchädliches Dergnügen und das hiedurch Erſparte brächten
doppelten Gewinn. Übrigens bedarf es für einen guten kiatholiken
nicht der Betonung dieſer Pflichten. Wer felber für die Bnade des
Glaubens dankbar iſt und Bott und feinen Nächſten wahrhaft liebt,
der kann nicht gleichgültig bleiben angeſichts der Notlage ſo vieler
mitmenſchen. Geſchichte und Erfahrung bezeugen es, daß lebendiger
Glaube immer und überall ſich auch in der Liebe und Pflege des
Miffionswerkes betätigt hat. Ohne Zweifel müſſen ja die großen,
ſchreienden Bedürfniſſe in der Diaſpora des eigenen Landes zunächſt
Berückſichtigung finden, beſonders durch opferwillige Unterſtützung des
Bonifatius-Dereins. Das ſoll uns aber nicht abhalten, an dem Miſ⸗
ſionswerk in den Beidenländern nach beſten kräften mitzuwirken.
Dieſes Ciebeswerk wird die Sorge um die eigenen Dolksgenoffen nur
ſteigern und ihr Erfolg ſichern.
II.
Das katholiſche Miffionswefen hat in den letzten Jahrzehnten
einen fehönen, großen Hufſchwung erlebt. Neue Miſſtonsgebiete wurden
in Angriff genommen, auf andern regte ſich friſches beben. Namentlich
auch in Deutſchland hatte der Miſſionsgedanke von Jahr zu gahr
weitere lireiſe erfaßt und eine geſteigerte Teilnahme und hilfsbereit
(haft für die äußeren Miffionen gezeitigt. In Wort und Schrift, durch
Vorträge und Dereine, auf den allgemeinen katholikentagen und be⸗
ſondern Miſſionstagungen wurde mit Erfolg für die Miſſionen ge-
worben. In den akademiſchen Miſſionsvereinigungen gewann auch
unter den Gebildeten der Miffionsgedanke immer mehr an Boden.
An zwei Univerfitäten wurden eigene Pehrſtühle für Miſſionswiſſen⸗
ſchaft errichtet. Es entſtand eine eigene „ZFeitſchrift für Miſſions⸗
wiſſenſchaft“ und eine Fachliteratur von anderswo nicht erreichter
Mannigfaltigkeit und Bediegenheit. Zugleich wuchs die Zahl der ein-
heimiſchen Miſſionshäuſer und ihrer Zöglinge ſowie der ausgeſandten
Miffionäre und Schweſtern; die von ihnen beſorgten Miſſionsbezirke
ſtanden in erfreulicher Entwicklung, die Baben für die Miffionen floſſen j
268
reichlicher. Da kam der firieg. Er brachte ſchwere Hemmung und
beklagenswerten Rückſchlag. In unferen Rolonien wurden die Miſſio⸗
näre aus blühenden Stationen vertrieben, in anderen Miſſtonsgebieten
erfuhren ſie ſchuldlos vielfach eine geradezu ſchmähliche Behandlung.
Die Miffionshäufer der Heimat verloren zahlreiche Angehörige und
Zöglinge im Felde und kamen finanziell in große Not. Das alles
konnte den Mliffionseifer für einen Augenblick hemmen, erſticken konnte
es ihn nicht. Er nahm bald wieder neuen Auffhwung. Indeſſen blieben
ungeachtet des Einſpruches des apoſtoliſchen Stuhles gegen Artikel 438
des Derfailler Dertrages, der durch Ausfchließung der deutſchen Miſſio⸗
näre die kirchlichen Jurisdiktionsrechte verletzt, und ungeachtet aller
Bemühungen unvoreingenommener wohlwollender Perſönlichkeiten des
Auslandes die ehemaligen deutſchen Kolonien ganz und einige andere
Miffionsgebiete für deutſche Miffionäre vorerft geſperrt. In den ihnen
ſeither vom heiligen Stuhl zugewieſenen Arheitsfeldern in Südafrika,
China und Japan iſt faſt alles neu zu ſchaffen. Die Neuausrüſtung
und Neuausſendung der Miſſionäre erfordert allein ſchon hohe Sum⸗
men. Mutig find jedoch unſere Miſſtonäre wieder hinausgezogen, und
vielerorts laſſen ſchöne Anſätze ein gutes Gedeihen erhoffen. Um⸗
ſomehr obliegt nun uns, die wir in der Heimat blieben, die Pflicht,
die mutigen Glaubensboten nicht im Stiche zu laſſen, ſondern fie ge⸗
rade in dieſen ſchwierigen Zeiten tatkräftiger zu unterſtützen. „Frei⸗
gebigkeit für das heilige Botteswerk, die Miſſionen“, ſchrieb 1913
Biſchof henle von Regensburg in feinem Miſſtonshirtenbrief, „darf
auf den beſondern Segen Bottes rechnen“. Möge ſich das Lob des
heiligen Apoftels auch an den heutigen katholiſchen Chriſten bewahr⸗
heiten: „Ich gebe ihnen das Zeugnis: fie waren nach Kräften, ja über
ihre Kräfte [im Geben] willfährig.“
Daß der Miſſionseifer in Deutſchland erhalten blieb und ſich mehrte,
iſt neben den Bemühungen der miffionierenden Ordensgenoſſenſchaften,
vor allem der regen Tätigkeit des Franziskus-Xaverius-Dereins
zu danken. Das 1822 von der hochgeſinnten Pauline Maria Jaricot
zunächſt unter Arbeiterinnen einer Seidenfabrik zu Lyon begründete
„Werk zur Derbreitung des Glaubens“ war 1837 in Deutſchland unter
dem Namen „Franziskus-Xaverius-Derein“ durch den Hachener Arzt
Dr. Heinrich hahn eingeführt worden. Bis 1922 ein Privatunternehmen
unter franzöfifcher Leitung, ift der „Weltverein der Glaubensverbrei⸗
tung“ jetzt in einen kirchlich anerkannten, päpſtlichen Derein umgewan⸗
delt und feine Zentrale von Pius XI. nach Rom verlegt worden. Die
Oberleitung führt ein Generalrat, deſſen Mitglieder aus allen Nationen,
die zu dem Werke beiſteuern, von der Propaganda ernannt werden.
Der Sekretär der Propaganda ift jeweils Präfident des Dereines. Dem
Generalrat find die Zentralräte der einzelnen Länder unterſtellt. Alle
nationalen Miſſionsvereine follen ſich dem allgemeinen Miſſionsverein
anſchließen. Dieſe Weiſung befolgte alsbald der ſeit 1920 von der
Cyoner Zentrale getrennte Deutſche Derein und 1923 auch der baue⸗
riſche, nach feinem erſten Protektor könig Ludwig I. von Bayern
„benannte „Cudwig-Mliffionsverein“. Dieſer hatte fi nach erſt
269
fünfjährigem Beſtehen ſchon 1844 von Lyon losgelöft, und zwar auf
auf Betreiben des Königs, der erklärte: „Der Ludwig-Mliffionsverein
foll für unſere gemeinfame katholiſche Kirche fein und nicht ein Werk⸗
zeug franzöſiſcher Politik.“ Die Zufammenfaffung aller für das Wohl
der Miſſionen tätigen Dereine unter der Oberleitung der römiſchen
Propaganda und die neue großzügige Organiſation des Dereins der
ſlaubens verbreitung iſt als erfreuliches und ſegenbringendes Ereignis
zu begrüßen. 1923 fand in Rom die erfte Sitzung des Generalrates
ſtatt. Es wurden nicht nur die Miſſionsgaben verteilt, ſondern auch
zahlreiche praktiſche Fragen beſprochen, wichtige Grundſätze aufgeſtellt
und dadurch ein ſtarker Anſtoß zu eifriger und ſuſtematiſcher Arbeit
für die Miffionen gegeben. Die zweite Derfammlung im April dieſes
Jahres beſchränkte ſich, wie es ſcheint, auf die Gabenverteilung.
Dem großen Weltverein zur Verbreitung des Glaubens ſtehen noch
drei weitere allgemeine, von den letzten Päpſten warm empfohlene
miſſionsvereine als Hilfsvereine zur Seite. Zuerſt ift zu nennen der
Rindheit-Jefu-Derein, gegründet 1843 zu Nancy-Paris, der die
Rinder der katholiſchen Welt um das göttliche Kind ſchart, um mit
hilfe ihres herzlichen Sifers, ihrer Gebete und Almoſen heidniſchen
Rindern die heilige Taufe — wenn nötig den Loskauf — und chriſtliche
Erziehung zu vermitteln. Leo XIII. wünſchte, es möchten „alle chriſt⸗
lichen Rinder dem Rindheit=Jefu-Derein beitreten“. In Deutſchland ift
er ſeit Jahren in allen Diözeſen und faſt allen Pfarreien eingeführt;
ſeit 1921 iſt mit der Sammlung für ihn die des Schutzengelvereins zum
Beſten der Diaſporakinder und ihrer Schulen verbunden.
Auch der dritte allgemeine Miffionsverein, das Werk des hl. Petrus
(Opus pontificale S. Petri Ap.), entftand in Frankreich (1889). Er
ſammelt Gaben für Heranbildung eines einheimiſchen Alerus in den
Miffionsländern. Gutgeſtellte, opferwillige Katholiken übernehmen nicht
ſelten die Patenſchaft und Sorge für einen Randidaten des Prieſtertums
aus den Miſſionsländern. Es ift dies ein hervorragend ſchönes und
empfehlenswertes Werk. Ein zahlreicher und guter einheimiſcher Klerus
iſt den Miſſtonsländern äußerſt nötig. Mehr und mehr wird Europa
ſeine Prieſter ſelber brauchen. Es herrſcht heute ſchon in manchen
bändern Prieſtermangel. Prieſter aus fremden Nationen finden ſich
zudem oft, ſelbſt wenn fie die ſchwierigen Landesſprachen ganz be⸗
herrſchen, in den fo anders gearteten Sitten und Lebensgewohnheiten
weniger zurecht. Sie ſtoßen deshalb vielfach an, ohne es zu ahnen
und zu wollen, und erwerben ſich überhaupt nur ſchwer volles Der-
trauen. Kriege und politiſche Umwälzungen bringen, wie der Weltkrieg
zeigte, eine hemmung, ja gänzliche Stillegung der Miſſionstätigkeit für
auslän diſche Miſſionäre leicht mit ſich. Nur zu wahr iſt, was der Präfekt
der Propaganda karbdinal van Roſſum 1923 an die Obern der miſſionie⸗
renden Orden und kiongregationen ſchrieb: „Don höchſtem Intereſſe iſt
die Sorge für die Heranbildung eines einheimiſchen, bodenſtändigen
kilerus und Ordensſtandes .. (Dgl. Acta Ap. Sedis 1923, S. 369 ff.).
Der vierte allgemeine Miffionsverein ift der Prieftermiffionsbund
(Unio cleri pro missionibus; Consociatio cleri missionaria), der
270
Dorläufer in Deutſchland, Italien und Holland hatte, von Papſt Bene:
dikt XV. warm empfohlen und vom regierenden hl. Dater mit den
vorhergehenden 1922 zu einem päpftlichen Weltverein erhoben wurde.
Er hat zum Zweck, den kilerus mit Derftändnis und Eifer für das
miſſionswerk zu erfüllen. Die Prieſter haben doch an erſter Stelle
die Pflicht, den Miſſionsſinn zu wecken und zu fördern. Nur dann
werden fie aber dieſer Aufgabe gerecht werden, wenn fie ſelber ihre
Verpflichtung erkennen, tätige Mitarbeiter an dem großen Miſſions⸗
werk der ktirche zu fein. Einmal eingenommen für das große heils⸗
werk und begeiſtert, werden ſie Mittel und Wege zu finden wiſſen,
um in Schule, Chriſtenlehre, Predigt, Dereinsverſammlungen für die
Miffionen zu werben. In der Regel finden fie ein fruchtbares und
dankbares Feld für ihre Bemühungen.
neben dieſen vier Weltvereinen entſtanden zahlreiche beſondere
miſſionsvereine mit weiteren oder engeren Zwecken, fo der Afrika:
Verein, 1920 eingegangen, die St. Petrus-Claver⸗Sodalität, die Miſſions⸗
vereinigung katholiſcher Frauen und gungfrauen, katholiſcher Lehrer
und Lehrerinnen, der Akademiker, der junge „Verein für miſſions⸗
ärztliche Fürſorge“; ferner die hilfsvereine zur beſonderen Unterſtützung
einzelner Miſſionsorden und Miſſionshäuſer wie das Liebeswerk vom
hl. Benediktus (St. Ottilien), vom hl. Beift (Anechtfteden), vom hlſt.
herzen geſu (Hiltrup), vom hl. Paulus (Mariannhill), Franziskaner,
Mariſten⸗Miſſtonsvereine, Miſſionswerk vom hl. Roſenkranz (Domi⸗
nikaner), Pallotiner-⸗ Mitarbeiter uſw. Man mag dieſe Zerſplitterung
in etwa beklagen und eine ſolche Erſtarkung der allgemeinen Vereine
wünſchen, daß fie für alle Bedürfniffe aufkommen können. Don diefem
Ideal find wir aber noch weit entfernt, weshalb den einzelnen Unter⸗
ſtützungsbedürftigen nicht zu wehren iſt, zur Selbſthilfe zu ſchreiten.
Diele Menſchen möchten auch gern wiſſen, wohin ihre Gaben fließen;
und mancher legt ſeine Spende lieber in eine warme Hand als in
einen gefühlloſen Opferſtock. Möchten alle das Schlußwort des ſchon
erwähnten Schreibens des Präfekten der Propaganda beachten: „Bott
ſegne alle, die von heiligem Eifer bewegt in irgendeiner Weiſe dazu
beitragen, daß das Werk der Miſſionen, dieſes hervorragend apoſtoliſche
Werk, immer mehr gedeihe und immer mehr geſchätzt und geliebt werde.“
Der deutſche Zweig des Weltmiſſionsvereins hat ſeit 1921 im
Xaveriushaus zu Rachen feine Zentrale. Mit dem baueriſchen und
öſterreichiſchen Zweige iſt eine engere Derbindung durch die gemein⸗
ſamen Miſſionsorgane hergeſtellt. Die deutſchen Miſſionsorden und
miſſionsvereine find vertreten im „Miſſions ausſchuß der deutfchen
ktatholiken“, der eine Abteilung der kiatholikentage bildet und 3. It.
unter dem Dorſitz des Fürſten Oöwenſtein ſteht.
III.
Eine emſige und erfolgreiche Tätigkeit entfaltet, unterſtützt von
eifrigen Mitarbeitern wie den Patres Däth und Schütz 8. J., Dr. Berg
und anderen, der Generalſekretär des deutſchen Miſſionsvereins und
der Unio cleri, Dr. Louis in Rachen. Beſondere Derdienfte erwarb
271
er ſich um die dortige Mliiffionszentrale und um die Neuorganiſation und
Ausgeftaltung der Deröffentlichungen des Vereins. Dieſe ver-
dienen ernſtliche Beachtung und größte Verbreitung. Der Hachener
Xaverius-Derlag iſt zwar ein verhältnismäßig junger Derlag. Für die
Miffionsliteratur iſt es aber von nicht geringer Bedeutung, daß er faſt
ausſchließlich in ihrem Dienſte ſteht. Es iſt daher wohlbegründet,
feine Tätigkeit eigens zu berückſichtigen. Die Derdienfte anderer Ver⸗
leger, vor allem des Herderſchen Verlages, der uns früher ſchon eine
tteffliche Miſſionsbibliothek geſchenkt hat, ſeien darũber nicht vergeſſen.
Jeitſchriften, gahrbücher und ktalender.
1. „Die Weltmiffion der kathol. Kirche.“ Aluſtrierte Monats-
blätter des Dereins. An Stelle der „Jahrbücher“ getreten, iſt „Die
Weltmiſſion“ das eigentliche Dereinsorgan und bringt lebensfriſche
mitteilungen aus den Mliffionen. Infolge der finanziellen Notlage
erlitt die Zeitſchrift ſeit der Ruhrbeſetzung bedauerliche Einſchränkung,
ſeit 1924 erfcheint fie jedoch wie früher.
2. „Die katholiſchen Miffionen.” Illuftrierte Monatsſchrift des
Dereins der Glaubensverbreitung in den Ländern deutſcher Zunge.
seit ihrem Beſtehen von Prieſtern der Geſellſchaft geſu geleitet, lange
gahre — faſt ein halbes Jahrhundert — bei Herder in Freiburg ver⸗
legt, wenden ſich die katholiſchen Miſſionen auch an gebildetere Ratho-
liken. Sie bringen reichhaltige Berichte über Stand und Fortgang des
geſamten Miſſionswerkes; durch gediegene miſſionsgeſchichtliche, geo⸗
graphiſche, ethnographiſche, kultur- und ſittengeſchichtliche Nufſätze
und einſchlägige Mitteilungen ſind ſie eine mit Recht geſchätzte Fund⸗
grube von bleibendem Wert für die ktirchengeſchichte und ebenſo für
die bänder⸗ und Dölkerkunde.
3. „Driefter und miſſton.“ gahrbuch der Unio cleri, ein feinem
zwecke trefflich dienendes Organ, deſſen anregende und belehrende
Auffäße von angeſehenen ſachkundigen Mitarbeitern verfaßt find. 80
behandeln, um ein Beiſpiel zu nennen, im gahrbuch 1923 u. a. Weih⸗
biſchof Dr. Sträter: Das Pfingſtrundſchreiben der Propaganda, Dr.
Raftner, der verdienſtvolle Derfaffer des eben erſchienenen nützlichen Bre⸗
vier⸗Hommentars: Miſſionsgedanken in unferem Breviergebet; IIſgr.
Dies: Extra ecclesiam nulla salus, „Außerhalb der kirche kein Heil“,
p. huonder S. J.: Das Opus s. Petri; P. Gentrup S. D. D.: Die fiongo⸗
akte und ihre Reviſion durch die Alliierten; Prof. Dr. Lübeck: Euchariſtie
und griechiſche Orthodoxie; der herausgeber Dr. Louis: Das ferne
Oſtaſien in der katholiſchen Miſſion und Die Miſſionsvereine; Erzabt
N. Weber von St. Ottilien: Welche Aufgaben hat die Miſſion noch
zu löſen?
4. „ftatholiſche miſſionsärztliche Fürſorge.“ 1. gahresheft 1924,
hrsg. von Dr. C. Becker 8. U. D. Das erſte Heft führt ſich löblich
ein und empfiehlt ſich gleichmäßig durch ſeine Mitarbeiter wie durch
deren Beiträge. U. a. berichtet P. knut d' Rvernas O. 8. B. über Ko⸗
reaniſche Heilkunde; Chefarzt Dr. Bundſchuh über Das ktrankenhaus
272
im Miſſtonsbetrieb; P. Mader 5. D. 8. über den Islam Vorderaſtens
und die miſſionsärztliche Fürſorge; Freiherr von Rechberg über Die
Bedeutung der ärztlichen Tätigkeit für die Miffion.
5. Ein weiteres gahrbuch „Schule und Miſſion“ ift noch für 1924
zu erwarten.
6. Unter den zahlreichen Miſſtonskalendern kommt dem Zaverius-
miſſionskalender unftreitig ein Ehrenplatz zu. Inhalt und Aus-
ſtattung find vortrefflich und in ſteigender Aufwärtsbewegung. Er
verdient weiteſtgehende Beachtung und Derbreitung. Mögen er und
feine Nachfolger recht vielen Cefern das Miſſionswerk ans Herz legen
und die Begeiſterung dafür das ganze Jahr hindurch wacherhalten.
Abhandlungen aus miſſionskunde und Miſſionsgeſchichte.
Eine wertvolle Bereicherung der Miſſionsliteratur find die bis jetzt
vorliegenden 42 Nummern der „Abhandlungen aus Miffionskunde
und Miſſtonsliteratur“. In ihnen werden belangvolle Fragen und Er⸗
ſcheinungen der Miſſionstheorie und Miſſionsmethode, der Miſſtons⸗
geſchichte und des heimatlichen Miffionswefens meiſt ausführlich, teil:
weiſe erſtmalig behandelt. Wer ſich mit Religionswiſſenſchaft und
Miſſionsgeſchichte ernſtlich befaſſen will, kann dieſe Sammlung nicht
unberückfichtigt laſſen. Die Abhandlungen ſchöpfen vielfach aus eigener
Erfahrung der Derfaffer und bauen auf wiſſenſchaftlicher Grundlage
auf, entbehren aber im allgemeinen der vollſtändigen gelehrten Bei⸗
gaben. Die Hefte ſind ſelbſtredend nicht alle gleich gut an Gehalt und
Wert. Zunächſt für die Gebildeten beſtimmt, eignen ſich doch viele von
ihnen für einen ausggdehnteren beſerkreis, dem fie reichlich Belehrung,
Erbauung und Anregung zu bieten vermögen. In Dolksbibliotheken
werden fie ſicherlich dankbare Deſer finden. Geſchickt hat Dr. Louis
in ſeiner „Miſſionskunde“ (ſ. unten) die Bändchen ſachlich gruppiert;
wir ſchließen uns feiner Überſicht an, wobei wir jedoch die Werke
des gleichen Derfaffers tunlichſt zuſammennehmen und Werke, die ſehr
wohl unter verſchiedenen Gruppen aufgeführt werden könnten, jeweils
nur einmal nennen. beider müſſen wir es uns verſagen, mancherlei
treffliche Einzelheiten beſonders hervorzuheben oder auch kleinere
Wünſche zu äußern und Ausftellungen anzubringen!.
1. miſſionstheorie. In Nr. 1 betont P. Hallfell die Miſſions⸗
aufgabe der Kirche und gibt beachtenswerte Winke für deren Erfüllung.
Dem wichtigen Thema wäre eine eingehendere Bearbeitung zu wüͤnſchen.
— Mit echt deutſcher Gelehrtengründlichkeit und rechtem Gelehrtenfleiß
behandelt P. Größer (Mr. 19) die drei für die Miffionsarbeit hoch⸗
wichtigen Fragen: 1. Wie ſteht die Miffion ihrem Weſen und ihrer
Beſtimmung nach zu den Nationen und ihren Beſtrebungen? 2. Welche
Folgerungen ergeben ſich daraus für die Durchführung der Miſſtons⸗
werke? 3. Inwieweit entſpricht die katholiſche heidenmiſſion in Der:
gangenheit und Gegenwart dieſen Folgerungen? Er unterſucht, in
' Die Nummern hinter den einzelnen heften verweifen auf das Seſamtverzeichnis:
wir bringen es aus praktiſchen 8ründen am Schluß.
273
welchem Anfang eine nationale Einftellung berechtigt, in welchem fie
unberechtigt und ſchädlich ift, rügt unkluge Äußerungen und Betäti⸗
gungen eines unmiſſtonariſchen „Patriotismus“ und weiſt die unge⸗
rechten Anſchuldigungen proteſtantiſcher Miſſionsſchriftſteller (Warneck
und Frick) zurück. Eine etwas faßlichere und ſchlichtere Darſtellungs⸗
weiſe wäre zumal im erſten Abſchnitt des Werkes ſehr willmommen
und der Aufhellung dieſer heiklen Frage für einen größeren Leferkreis
dienlich. — A. Dyroff wertet (Nr. 28) in anregender Darſtellung äſthe⸗
tiſch, ethiſch und metaphuſiſch die Miffionsidee, die in der Einheit aller
menſchen in Glaube und Liebe ein Neal begrüßt.
2. miſſion und HI. Schrift. F. Feldmann hebt (Nr. 13 und 14)
aus dem Buche der Pſalmen und des Propheten Jſaias die Stellen aus,
welche die Bekehrung der heiden, bzw. ihre Sammlung um Sion,
ihre huldigung vor Gott und dem meſſias, ſowie das Gericht und
die Züchtigung der Widerſpenſtigen ankünden. Die Überſetzung lieſt
ſich gut, und die beigefügten Erklärungen ſind recht geeignet, Prieſter
und Laien tiefer in das Derftändnis diefer Schriftteile einzuführen. In
ähnlicher Weiſe verfährt A. Rich (Nr. 47) mit den kleinen Propheten,
während P. Perger (Nr. 11) in ſchlichter Forin auf die völkerum⸗
foffenden Heilsgedanken hinweiſt, welche die Dorbereitungsgebete zur
heiligen Meſſe und die eigentlichen Meßgebete dem achtſamen Beter
nahelegen. 5
3. Miffionsmethode. Mit großem Fleiße hat P. huonder 8. 9.
Uachrichten geſammelt über das religiöfe Volkstheater und die Drucke⸗
teien in den Miffionen (Nr. 2 und 37). Das Miffionstheater erfreute
ſich großer Beliebtheit und war im Dienfte der Glaubensverkündigung
ein geſchätztes Hilfsmittel, das ähnlich ſegensreich wirkte wie die neu⸗
zeitlichen Paſſionsſpiele. Gegen Auswüchſe mußte mehrfach einge⸗
ſchritten werden. Die neuerfundene Buchdrucker kunſt wurde bald in
den Dienſt der Weltmiſſion geſtellt, die durch fie ihre Aufgabe er⸗
leichterte und kulturfördernd wirken konnte. Erſtaunliches berichtet
der Derfaffer nebenbei über die Aunftfertigkeit a Indianer, Be⸗
dauerliches über hemmende Druckverbote der Spanier und über die
engherzige Selbſtſucht der Portugieſen, die in Brafilien gar keine
Druckerei duldeten. Die Notwendigkeit einer guten Preſſe befteht nicht
nur für die heimat, ſondern ebenſo, wenn nicht noch mehr, für die
meiften Miſſtonsländer. P. Arens 8. 9. berichtet (Nr. 5) über das ka⸗
tholiſche Jeitungsweſen in Oftafien und Ozeanien, über entſprechende
hoffnungsvolle, wegen mangelnden Mitteln und Kräften aber zu⸗
ſammengebrochene ältere Unternehmungen und über den gegen⸗
wärtigen beſcheidenen Stand. Hochbedeutſam find die kleinen Hefte
nr. 22 und 23. Hußerſt beklagenswert und ſchädlich war es, daß durch
beidenſchaftlichkeit und Eiferſucht die chineſiſche Ritenfrage zum er⸗
bitterten Ritenſtreite ausartete. P. huonder hebt klar und bündig
die wichtigſten Streitpunkte hervor, ſowie deſſen Urſachen und eigent⸗
liche Triebkräfte. Viel Unheil hätte auch hier bei mehr Weitherzig⸗
keit, Klugheit und gegenſeitiger Liebe vermieden werden können. Nahe
liegt die Frage, warum denn in den letzten vierhundert Jahren das
Benediktinifche Monatſchriſt VI (1924) 7—8. f 18
274
Miffionswerk, zumal in Indien und China fo wenig weitergekommen
‚ft. Den genugfam belegten Ausführungen P. huonders wird man
wiederum zuſtimmen müffen, daß im Gegenſatz zu Weiſungen der
kirche — 3. B. der Inftruktion der Propaganda vom Jahre 1659 —
zuviel „Europäismus“ d. h. daß unter Mißachtung der Sitten, Gebräuche
und Rechte fremder Dölker im Schulbetrieb, Kirchenbau, liturgiſchen
Formen uſw. abendländiſche Art und Bepflogenheit zu ſehr maßgebend
war. Er weiſt befonders hin auf die kränkende Zurückſetzung ein⸗
geborener Prieſter. p. Becker, der frühere apoſtoliſche Präfekt von
Aſſam, berichtet in Heft 24 über die hochentwickelte, miffionsärztlide
Fürſorge bei den Proteſtanten und tritt warm dafür ein, daß auch
der katholiſchen Miſſion Hrzte beigegeben werden. Durch das 1922
eröffnete und von ihm geleitete katholiſche miſſionsärztliche Inſtitut
in Würzburg (fiehe oben 8. 271) find inzwiſchen hiefür gute Hoff:
nungen gefichert. Recht anſchaulich und belangvoll ſchildert der gleiche
P. Becker in Heft 20 das indiſche Kaftenwefen und die Schwierigkeiten,
die hiedurch dem Miſſionswerk erwachſen. Die Stellungnahme der
Miſſionäre in der kaſtenfrage war und iſt bis heute keine einheitliche.
Da die kiaſte dem Inder alles gilt und an ſich nicht religiös iſt, konnte
zumal in Südindien den Chriſten die Beobachtung der Kaſtenvorſchriften
geftattet werden; doch traten dadurch in Kirche, Schule und Verkehr
mehrfach ſehr unangenehme, mitunter faſt unerträgliche Zuſtände ein.
4. miſſionsgeſchichte. Auf Grund der neueſten Forſchungen prüft
P. Väth (Heft Nr. 4) die alte Thomaslegende mit dem Ergebnis, daß
geſchichilich, wenn auch nicht mit voller Sicherheit, feſtſteht, der heilige
Apoftel Thomas habe im Grenzgebiet von Indien und Afghaniſtan
und ſehr wahrſcheinlich auch in Südindien gewirkt und in Mailapur
den Martertod erlitten. Friſch und anſchaulich ſchildert Erzbiſchof Dö⸗
ring 8. 9. (Ur. 7) die ſchwierigen Anfänge und die erfreuliche, durch
den ktrieg leider gehemmte, Entwicklung der geſuitenmiſſion Puna. Er
nimmt den Lefer mit auf eine Miſſionsreiſe, läßt ihn teilnehmen an
einer Feſtfeier mit religiöfem Theater und berichtet über die hoffnungs»
volle Heranbildung einheimiſcher Prieſter und katecheten. In heft 46
zeichnet derſelbe hohe Derfalfer auf dem hintergrund der religiöfen
und politiſchen Zuſtände Japans im 16. und 17. Jahrhundert kurz
die Tätigkeit des hl. Franz Xaver und anderer Miſſionäre in dem
nunmehr ihm anvertrauten apoſtoliſchen Dikariate Hiroshima. Feſſelnd
iſt wiederum Heft 8, in dem P. Noti das romanhafte, jedoch gut be:
glaubigte bebensbild der tugend haften, ja heiligmäßigen Portugieſin
D. Juliana (+ 1734 zu Agra) gibt. Außerordentliche Begabung, Schön:
heit und Liebenswürdigkeit, dazu einige kenntniſſe der Heilkunde und
größte Geſchicklichkeit verſchafften ihr hohes Anſehen und großen
Einfluß am Hofe der damaligen Sroßmogule von Bindoftan. In Ur. 21
bietet der ehemalige Miſſionär Baukhage eine reichhaltige Einführung
in die kenntnis Indiens. Sie erhält vielfach erhöhte Anfchaulichkeit
und Lebensfrifche durch die eigenen Erfahrungen und Beobachtungen
des Derfallers. Seine Schrift, die beſte Empfehlung verdient, wurde nebſt
einigen andern heften erſt nachträglich in die Sammlung übernommen.
275
Auf Nr. 25, B. heuvers, Buddhismus, wurde ſchon früher in diefer
Feitſchrift (1923, 5.68) anerkennend verwieſen. Nicht geringe Gefahr
droht dem Miſſionswerk von der im Ausland geſchöpften materia⸗
liſtiſchen Weltanſchauung und Sittenverderbnis, von der bolſchewiſtiſchen
und panislamitiſchen Bewegung und endlich von den ſeit ktriegsende ver⸗
mehrten Anſtrengungen der Andersgläubigen, die der katholiſchen Kirche
zuvor zukommen ſuchen. Mit Recht fordert daher P. Däth in Nr. 16 u. 27
das opferwillige und ſeeleneifrige Juſammenwirken aller treuen Söhne
der kirche, beſonders auch bei uns in Deutſchland. P. Arens 8. 9.
zeigt uns (Heft 9) die eifrige hirtenſorge Pius X. auf dem Gebiete der
Weltmiſſion. Den Orientalen die er gut kannte, blieb er trotz erfah⸗
tener Mißerfolge ein treubeſorgter Dater, für die Hheidenmiſſion war
er unermüdlich in Teilnahme und hilfe. Wie er im katholiſchen
Ordensleben keine Neuſchöpfungen, ſondern Ausbau und Aräftigung
des Beſtehenden wünſchte, fo wollte er auch im Miffiönswefen keine
derfplitterung der kräfte. Daher feine Vorliebe für eine große all»
gemeine Organiſation.
Orientmiſſion und griehifh-orthodoges Rirchenwefen. Auf
der Grundlage der neuteſtamentlichen und altchriſtlichen Forſchung führt
uns in anziehender Schilderung P. Dieckmann 8. 9. (heft 17) An-
tiochien vor, die große Weltſtadt am Orontes, die eine zahlreiche Juden⸗
(haft und bald eine noch zahlreichere heidenchriſten⸗ Gemeinde befaß, wo
zuerſt der lame „Chriſten“ aufkam, das ein Mittelpunkt für die Miſſions⸗
tätigkeit der erften Zeit, zumal auch für den hl. Paulus war. Ähnlich zeich ·
net er, bezw. P. Cladder (Heft 36) das alte Rorinth und die Tätigkeit
des Dölkerapoftels daſelbſt. Herzog gohann Georg von Sachſen teilt
die Erlebniſſe und Eindrücke mit, die er 1912 bei feinem Beſuche in den
koptiſchen Alöftern der Nitriſchen Wülfte erhielt. Seinem Berichte (Heft 3)
it ein Auszug aus der Regel des hl. Pachomius vorangeſtellt. In Heft 18
berichtet er über altchriſtliche Bauten und Aunft in Syrien; 14 ſchöne Ab⸗
bildungen, darunter ſolche der kirche und des Kloſters des hl. Simeon
Stylites veranſchaulichen feine Beſchreibungen. Seit Jahren befaßt ſich
R. bübeck mit der Kirchengeſchichte des Orients. Seine Beiträge (Heft 6,
10,15, 26, 32, 33) gehören zu den gediegendften und gehaltvollften der
ganzen Sammlung. Sie verbreiten Licht über Dölker, bänder, Perſönlich⸗
keiten und Geſchehniſſe, die beim Geſchichtsunterricht, obwohl ſie für
die kirchengeſchichte wichtig find, kaum berührt werden können, und
erſchließen eine ſchwer zugängliche Literatur. Faſt überreich find die
Quellenangaben. Beſondere Anerkennung verdienen die beigefügten
Inhaltsverzeichniſſe und Orientierungskärtchen. Die erfte Arbeit Cü-
becks behandelt Georgien. Raum ein anderes Volk hatte fo harte
beidenszeiten zu beſtehen und zumal um des chriſtlichen Glaubens
willen fo viel zu erdöulden, wie diefe Rkaukaſusbewohner. Durch Der:
gewaltigung brachten Islam und Schisma nach und nach die große
Mehrzahl der Seorgier auf ihre Seite. Abendländiſche Ordensleute
retteten einen Reſt von Katholiken; allein es waren ihrer zu wenig
und fie unterließen es, einen einheimiſchen Alerus heranzubilden. Erft
ſeit vierzig Jahren iſt damit ernſtlich begonnen worden. In Perſien fand
18*
276
das Chriftentum ſchon in den Zeiten der Apoftel Eingang und bald
auch weite Derbreitung. Das Herrfcherhaus der Saſſaniden jedoch hing
dem iraniſchen Feuerkult und deſſen einflußreicher Prieſterkaſte an.
Zu dem hiemit gegebenen innern Gegenſatz trat bald noch politiſches
Mißtrauen. Auf dieſem dunkeln Hintergrunde, der durch innere Wirren
und vor allem durch häretiſche Sekten noch dunkler wurde, entrollen ſich
die herben Geſchicke der perſiſchen Kirche, die zahlreiche Märtyrer und
eine Zeit lang auch ein blühendes Mönchtum, „Söhne und Töchter des
Bundes“, hervorbrachte. Die ſchwerſte Schädigung brachte der ſeit 457
vom Niſibis aus eingedrungene Neſtorianismus, zu dem ſpäter noch
der Monophuſitismus Ram. Vor dem Weltkriege gab es etwa 90000
unierte Chaldäer; die etwas zahlreicheren armen Neſtorianer waren
von Ruſſen, Engländern, Amerikanern ſtark umworben. Seiſt und
Zuſtände, kirchliche und außerkirchliche Derhältniffe der orientaliſchen
Chriften beleuchtet Uübeck vielſeitig in feinem „Maslum“. Nach ganz
dürftiger Dorbildung, die er jedoch ſpäter in einigen Wiſſenszweigen,
nicht aber in aſzetiſcher Schulung ergänzte, Priefter und bald als
Günſtling ſeines Patriarchen in ungehöriger Weiſe Biſchof, gelangte
der geſchmeidige Mazimos III. Maslum (1779 - 1855) nach einem
längeren Aufenthalt in Rom und im Abendlande auf den Patriarchen⸗
ſtuhl der Melchiten. Sein Anſehen ſtieg durch Eifer in der Amtsführung,
beſonders aber, als ihm die bürgerliche Derfelbftftändigung der „Nation
der Melchiten“ und ihre Befreiung von der drückenden Bevormundung
der Schismatiker gelungen war. Seither wuchs aber auch in un⸗
erträglichem Maße feine Selbſtherrlichkeit und Rückſichtsloſigkeit, die
ſich um die Rechte ſeiner Mitbiſchöfe und ſelbſt Roms wenig mehr
kümmerte. Einen ganz anders gearteten Biſchof führt uns Lübeck vor
in dem demütigen, ſelbſtloſen und ſeeleneifrigen italieniſchen Cazariſten
Juſtinus de gacobis (r 1860), deffen Seligſprechung bald zu er⸗
warten iſt. In 21jährigem opfervollen Wirken gewann dieſer auf dem
dornenvollen Miſſionsfeld Abeſſiniens zahlreiche Butgefinnte für die
Ratholiſche ktirche, u. a. den Mönch Sebra Michael, der als Märtyrer
ſtarb, und den angeſehenen Naturforſcher W. Schimper, einen prote⸗
ſtantiſchen mit einer Ubeſſinierin verheirateten Württemberger, der
ihn alsdann in ſeiner Miſſionstätigkeit eifrig unterſtützte. Die reli⸗
giöſen und politiſchen Zuftände eines Volkes, das einem erſtarrten
Monophutismus verfallen, faſt nur dem Namen nach chriſtlich, durch
feine guten Eigenfchaften eines beſſeren Lofes wert wäre, werden hier
vielſeitig beleuchtet. Nicht nur für das Studium, ſondern auch zur
erbaulichen Lefung ſei dieſe Schrift warm empfohlen. Zwei weitere
lehr⸗ und belangreiche Arbeiten Uübecks befaſſen ſich mit Rußland.
In einem Jahrtaufend kam die Chriftianifierung Rußlands nicht zum
Abſchluß, allein im europäiſchen Rußland gibt es nach ihm noch etwa
400000 Beiden. Geringer Eifer, faſt gänzlicher Mangel an Syftem
und Ausdauer tragen Schuld an dem unvollſtändigen Ergebnis. Es
zeigt ſich die Unfruchtbarkeit des Schismas, das die Liebe lähmt.
Metropoliten und Patriarchen bemühten ſich im Sanzen wenig um
die Ausbreitung des Glaubens, mehr leiſteten, aber meiſt aus bloßer
*
277
Politik, Synod und Regierung. Es gab einzelne feeleneifrige Glaubens»
boten, Mönche und Prieſter. Doch wurden die oft gar nicht oder
ungenügend unterwieſenen Täuflinge vielfach nur durch zeitliche Vor⸗
teile gewonnen und zur Annahme des orthodoren Glaubens genötigt.
Maſſenabfälle kamen daher öfters vor. Erſt die 1870 gegründete
orthodoxe Miſſionsgeſellſchaft und ihre Kollekten weckten in weiteren
kireiſen Miſſionsſinn. Nicht-orthodoge Miſſionäre waren vom ruſſiſchen
Boden ausgeſchloſſen. Ift zu erwarten, daß die Stunde der Freiheit
heit für das fromme Ruſſenvolk naht? Die ausländiſche ruſſiſche Miſſton
beſchränkte ſich auf Länder, in denen politiſche Herrfchaft oder Einfluß
erſtrebt wurde und auf die orthodoxen Auswanderer. kaum 100 Miſ⸗
fionäre wurden entſandt, obwohl Rußland an 45000 Weltpriefter, etwa
15000 Diakone und ebenſoviele Mönche zählte. Nicht geringe Erfolge
erzielte ſeit 1861 der bedeutendſte ruſſiſche Miſſionär Nikolai Raffat-
kin in Japan. Er zog alsbald gapaner für das Miſſionswerk heran,
hielt die Liturgie japaniſch, verhielt ſich im kiriege 1904 loyal. In
Paläftina, Syrien und Perſten hatten vor dem Weltkrieg die Ruſſen
durch die Schulen und Anſtalten ihres Paläſtinavereins bedeutenden
Einfluß gewonnen. — Eine „Geſchichte der ruſſiſchen kirche“, eine, kirchen⸗
geſchichte der Ukraine“ und eine Arbeit über „Abeffinien und die ka⸗
tholiſche Kirche“ find von A. Lübeck vorbereitet und vom Verlage bereits
als Heft 34, 38 und 49 angekündigt.
5. heimatliches Miffionswefen. Auf die viel zu geringe Zahl
katholiſcher Miſſtonäre und die reifende Ernte in vielen Miſſions⸗
ländern hinweiſend, ruft Dr. Louis (heft 12) eindringlich nach geiſtig
und körperlich befähigten Arbeitern, die mit wahrem Miffionsberuf
als Priefter, Gehrer, Brüder oder Schweſtern in die Miſſion ziehen
wollen. Wie dieſer Beruf erkannt, in welchen Ordensgenoſſenſchaften
er erprobt und betätigt werden kann, wird gezeigt. Die wichtige
heimatliche Bilfsmiffion der Betenden, Werbenden, Sammelnden, Ar⸗
beitenden iſt nicht vergeſſen. Dankenswert iſt die reichliche Citeratur-
angabe. Die zweite Auflage fügt der erſten nur wenige Ergänzungen bei.
Eine allgemeine Einführung in das Miffionswerk der heiligen Kirche
war ſchon lange Bedürfnis. In feiner Miffionskunde (heft 41)
ſchenkt uns derſelbe Dr. Louis das erſehnte handbuch. Es zeichnet
fi) ebenſo aus durch Kürze und kilarheit wie durch Reichhaltigkeit
und Überſichtlichkeit. Begriffsbeſtimmung von Miffion und Miſſionär,
Miſſtonspflicht, Träger und Leiter des heimatlichen Miſſionsweſens
kommen in den drei erſten Abſchnitten zur Darſtellung; ausführlicher
wird der Derfalfer naturgemäß im vierten Abſchnitt, der die katholiſche
Weltmiſſion in ihrem Wirken zeigt, zumal in der Gegenwart. Dem
Miffionsziel und einer warmherzigen Werbung für das katholiſche
Weltapoſtolat gelten die beiden letzten kurzen kapitel. Ein gutes Na⸗
mens- und Sachverzeichnis [chließt das lehrreiche Werk, das wohlver⸗
dient, in die hände recht vieler beſer und Miſſionsfreunde zu kommen.
1911 wurde zu Mainz „das Internationale Inftitut für miſſions⸗
wiſſenſchaftliche Forſchungen“ gegründet. Über Miſſionswiſſenſchaft im
allgemeinen, über Gründung, Organiſation, bisherige beiſtungen und
278
gegenwärtige Aufgaben des Inftitutes berichtet kurz P. Streit (Heft45).
Seine trefflichen Ausführungen verdienen ernſtliche Beachtung.
6. Kulturpflege und Caritas in der Weltmiffion. Dielumfaf-
fend ift das Gebiet, das Dr. Berg in lichtvoller und anſprechender
Ausführung bearbeitet hat: Die katholiſche heidenmiſſion als Aultur
träger (Heft 29 u. 30). Nach einer überſichtlichen Schilderung der reli⸗
giöfen und kulturellen age des heidentums und Bejahung der Frage:
„Sind die primitiven Raſſen kulturfähig?“, beſpricht der Verfaſſer Ziel
und Aufgaben, Entwicklung und Organifation der katholiſchen Heiden⸗
miffion, die religiös ⸗ſittliche Erziehung der Eingeborenen, deren Er-
ziehung zur Arbeit, Miſſionsſchulen, Pflege der Wiſſenſchaft, Literatur
und Kunſt in den Miſſionen, insbeſondere der Baukunſt, Malerei und
Mufik. Ein noch ausſtehender Teil (Heft 31) ſoll die Miſſion als Förderin
der heimatlichen Wiſſenſchaft (Sprachen⸗, Cänder-, Dölkerkunde, ver:
gleichende Religionswiſſenſchaft) Miſſion und Caritas, Miſſion und
Raſſenverſöhnung darſtellen und ein Anhang das deutſche Miſſions⸗
feld der Segenwart. Schon dieſe Aufzählung läßt die Reichhaltigkeit
des Inhaltes erkennen. Für Miſſionsvorträge bietet die fleißige, ge⸗
haltvolle Arbeit eine faſt unerſchöpfliche Fundgrube, deren Brauchbar⸗
keit durch ausgiebige Belege, zahlreiche anregende Beiſpiele, kernige
Zitate und einſchlägige Literaturangaben erhöht iſt.
Der übrigen Deröffentlihungen des Kaverius- Verlages, insbefondere
der umfangreichen „Bücher der Weltmiſſion“, wird im nächſten heft
gedacht. Zugleich ſoll dann auch weitere eingegangene Miſſionslitera⸗
tur beſprochen werden.
Verzeichnis der
Abhandlungen aus Miffionskunde und Miſſtonsgeſchichte
herausgegeben im Huftrage des Franziskus-Kaverius-Mliffionsvereins
von Dr. P. J. Louis, Generalſekretär des Vereins.
1. P. m. Hallfell M. A., Die Miſſton
und die Apologie der ſtirche. M. —.30
2. P. Anton huond er 8. ., Jur Geſchichte
des Miffionstheaters. M. —.75
3. Prinz Johann Georg, Herzog zu
Sachſen, Hoptiſche Klöſter der Gegen-
wart. m. —.30
4. P. Alfons Däth 8. J., Der hl. Thomas,
der Apoftel Indiens. (2. Auflage in
Vorbereitung).
5. P. Bernard Arens 8. J., Das Ratho-
liſche Jeitungsweſen in Oftafien und
Ozeanien. M. —.50
6. Dr. Konrad Lübeck, Georgien und
die Ratholifche Kirche. Mit einer Karte.
m. 1.—
7. Biſchof heinrich Döring 8. J., Bilder
aus der deutſchen geſuitenmiſſion Pu-
na. Mit einer ſtarte und ſieben Abb.
ſtark kartoniert. M. 1.20
8. P. Severin Hoti 8. J., Donna Juliana.
bebens ſchickſale einer Frau und För;
derin des Miſſtonswerkes am Hofe des
Sroßmoguls. Mit 4 Bildern. M. —. 30
9. B. Bernard Arens 8. J., Pius X. und
die Weltmiſſton. Mit einem Bild des
Papſtes. m. —. 60
10. Dr. Ronrad Pü beck, patriarch Maxi ·
mos III. Maslum. Mit zwei Bildern.
Mm. 1.30
11. P. Ber ger C.. Sp., Miffionsgedanken
im heiligen Meßopfer. M. —.30
12. Dr. peter bouis, Der Beruf zur Mif
fion. 2. Aufl. m. —.75
13. Dr. Franz Feldmann, Laudate Do-
minum omnes gentes. Wiſſtons-
gedanken im Buche der Pfalmen. Mit
einem Titelbild. M. —.30
14. —, Die Bekehrung der heiden im Buche
Iſaias. M. —.50
15. Dr. Konrad Lübeck, Die altperfifche
MiMonskirde. Mit einer Karte. . 1.20
16. P. Alfons Däth 8. J., Eine entſchei⸗
dungsſtunde der Weltmiffion. 2. Aufl.
85. Taufend. (Vergriffen).
17. P. hermann Dieckmann 8. J., An-
tiochien, ein Mittelpunkt urchriſtlicher
miſſtonstätigkeit. M. —.50
18. Prinz Johann Georg, Herzog zu
Sachſen, Monumentale Refte frühen
Chriftentums in Syrien. M. —.30
19. P. ax &rößer B. S. M., Die Tleutra-
lität der kathol. Miſſton. M. 1.20
20. P. C. Becker 8. D. S., Indiſches Raften-
weſen und chriſtliche Miſſton. Mit vielen
Bildern. In Originaleinband. M. 2.—;
geb. M. 1.50
21. Wilh. Baukhage, Indien. Das band
und feine Bewohner. 2. Auflage. Geh.
M. 1.20; geb. M. 1.50
22. P. Anton Huonder 8. J., Der dhine-
ſiſche Ritenſtreit. M. —.40
23.—, Der Europäismus im Miſſtons⸗
betrieb. M. —.40
24. P. C. Becker 8. D. 8., Arztliche Für⸗
forge in den Miffionsländern. M. —.50
W. P. heuvers 8. J., Der Budöhismus.
nm. —.50
26. Dr. Konrad Gübeck, guſtinus de ga-
kobis, Npoſtel von Abeffinien. M. 1.20
27. P. Alfons Däth 8. J., Ein neuer Mif-
ſtonsfrühling. M. —.15
28. Dr. Adolf Dyroff, Die Miffionsidee
im Dichte philoſophiſcher Betrachtung.
m. —.35
29. Dr. Cudwig Berg, Die katholiſche Hei-
denmilfion als Aulturträger. Mit Buch⸗
ſchmuck von heinrich Flaam.
L Band (Teil 1-6): HIbd. M. 4.—.
Jeder Teil iſt auch einzeln erhältlich
zum Preiſe von IM. —.50
30. II. Band (Teil 7 und 8): HIbd. M. 4.—.
Jeder Teil einzeln geh. M. 1.50
31. III. Band (Teil 9 und 10): (Im Druck,
erſcheint 1924.)
32. Dr. Konrad Lübeck, Die Chriftiani-
ſierung Rußlands. Mit zwei Karten.
Hart. I. 1.20
2 —, Die ruſſiſch. Miffionen. Geh. M. —. 75
34. —, Geſchichte der ruſſiſchen Kirche. (In
vorbereitung.)
35. P. Anton huonder 8. J., Der hl. Jg-
natius von Goyola und die Miffionen.
Geh. M. 1.20
279
36. B. J. Claöder, ftorinth. Die Kirche
des hl. Paulus. Erg. und hrsg. von
B. 5. Dieckmann. Geh. M. —. 60
37. P. Anton huonder 8. J., Die Der-
dienſte der katholiſchen Heiden miſſion
um die Buchdruckerkunſt in überſee⸗
iſchen Ländern vom 16.— 18. Jahr ·
hundert. Geh. M. 1.20
38. Dr. Aonrad Pübeck, Kirchengeſchichte
der Ukraine. (In Vorbereitung.)
39. Dr. Karl Pieper, Die Propaganda;
ihre Entftehung und religidſe Bedeu⸗
tung. M. —. 40
40. Kanonikus Paul Dies, Die Beilsfrage
der heiden. (In Vorbereitung.)
41. Dr. Peter Pouis. Katholiſche Miſſi⸗
onskunde. Ein Miſſionsſtudienbuch.
Geh. I. 2.40; geb. M. 3.30
42. P. Eugen Weber P. 8. m., Die por-
tugieſiſche Reichsmiſſion im Königreich
Kongo. (Im Druck.) N
43. P. Robert Streit O. M. J., Im Dienſte
der Miffion. Der Miffionsgedanke im
beben des Stifters der Oblaten v. d. Un-
befl. Jungfrau Maria, R. J. E. von Ma⸗
zenod. Zeh. M. —.65
44. Dr. Peter Louis, Des Meiſters Wort
und Wille. (2. Aufl. in Vorbereitung.)
45. P. Robert Streit O. M. J., Das In»
ternationale Inftitut für miſſionswiſ⸗
ſenſchaftliche Forſchungen. Ein Beitrag
zur Geſchichte des heimatlichen Miffi-
onslebens und der milfionswiffen-
ſchaftlichen Bewegung in Deutſchland.
Seh. M. —. 45
. Erzbifhof Heinrich Döring 8. J., Die
Miffion von Birofhima im 16. und 17.
Jahrhundert. M. —.45
Pfarrer Dr. Albert Rich, Die Miſſion
der kleinen Propheten. IIR. —.55
Dr. Fritz hüner mann, Die Miffion
im Lichte des Ratholiſchen Glaubens.
Die Stellung der Miffionsidee im dog⸗
matiſchen Gehrgebäude der Kirche. (In
Dorbereitung.)
49. Dr. Konrad Lübeck, Abeſſinien u. die
katholiſche Rirdde. (In Vorbereitung.)
50. P. Robert Streit 0. m. J., Das
deutſche katholiſche Miſſionsbuch. Die
geſchichtliche Entwicklung der Ratholi⸗
ſchen Miffionsliteratur in Deutſchland
von 1870 - 1924. Ein Beitrag zur Se-
ſchichte des heimatlichen Miffionlebens
in Deutſchland. (In Vorbereitung.)
4
D
47.
48.
280
Jur Entzifferung der Neumen.
| Bon P. Dominikus Johner (Beuron).
Die Choralmelodien find in den älteften Hhandſchriften mit den ſo⸗
genannten Neumen aufgezeichnet. Es ſind das Akzente und Punkte,
die in verſchiedener Weiſe miteinander verbunden werden und in ihrer
Geſamtheit einem Stenogramme nicht unähnlich find. Das uns heute
ſo ſelbſtverſtändliche höher⸗ oder Tieferftellen der Noten bezw. Neumen,
je nach der Bewegung der Melodie kam zuerſt nicht in Anwendung
oder nach einer neueren Dermutung P. Wagners! nur in einer be⸗
ſchränkten Zahl von Handſchriften. Die Nneumen wurden vielmehr mit
kleinen Abweichungen faft in einer Linie geſchrieben und konnten
fo wohl die Zahl der zu ſingenden Töne und deren gegenfeitiges Der-
hältnis im allgemeinen angeben, nicht aber die genau abgegrenzten
Tonſchritte oder Intervalle. Dieſem Übelftande ſuchte man ſchon in
früheſter Zeit abzuhelfen. Man hat auch immer wieder Derfuche ge-
macht, die Neumen aus ſich ſelbſt heraus zu erklären. Im letzten
Jahrhundert bemühten ſich darum Fetis, Danjou, Niſard, Couſſemaker,
Riefewetter u. a. Aber bisher ohne greifbaren Erfolg. 50 mußte man
ſich immer noch mit der vergleichenden Methode begnügen. Man mußte
von den Handſchriften ausgehen, in welchen die Neumen auf Linien
ſtehen oder, der Melodie entſprechend, auch höher und tiefer geſetzt
find oder durch Tonbuchſtaben beſtimmt werden. Nur auf Grund
diefer Hhandſchriften konnte man die anderen leſen. Das war die
methode eines D. Pothier und D. Mocquereau, eines Peter Wagner.
Nun hat im letzten Jahr Oskar Fleiſcher, Profeſſor der Muſik⸗
wiſſenſchaft an der Univerfität Berlin ein Werk veröffentlicht, das ganz
neue Wege weiſt?. Das Buch ift fo fein und vornehm in feiner Rus⸗
ſtattung und überwindet große tupographiſche Schwierigkeiten ſo ſpie;
lend, daß der Derfalfer allen Grund hatte, der Firma C. 8. Röder in
beipzig und der Frankfurter Derlagsanftalt einen beſonderen Dank
zu widmen. Neben dem Kulturhiſtoriker und Muſikwiſſenſchaftler wird
auch der Philologe in mehr als einer Hhinſicht aus ihm Anregung er⸗
halten. Ja die früher in St. Gallen gebräuchliche Derwendung gleicher
neumenzeichen, um ſuntaktiſch zuſammengehörige Wörter ſofort kennt⸗
lich zu machen, dürfte ſogar heute noch geeignet fein, das erſte beſen
lateiniſcher Dichter zu erleichtern (8. 92 ff.). Natürlich wird der Choral⸗
forſcher das Buch mit beſonderer Spannung öffnen. „Die Neumenleſung“
hat ja Fleiſchers „eben zu einem großen Teile ausgefüllt ... trotz
allen harten Widerſtänden ſachlicher und perſönlicher Art von vielen
Seiten her“ (8. 8). Er kann auch von ſich ſchreiben: „Ich danke es
meiner wiſſenſchaftlichen Schulung und meiner unerſchütterlichen Über-
zeugung, daß mich keine Aränkung und Jurückſetzung, auch die Mücken⸗
ſtiche einer durch Luftöruck von oben geſcharten Phalanx von „ fiol⸗
legen‘ nicht von meinem Ziele abzudrängen vermocht haben“ (ebd.).
1 f. Neumenkunde? (Leipzig 1912) 8. 112 ff. Die Sermaniſchen leumen
als Schlüſſel zum altchriſtlichen und gregorianiſchen Seſang (Frankfurt a. M. 1923,
Frankfurter Derlagsanftalt). 156 8. Text, 115 8. Tabellen, eine anſchließende „ent-
zifferungstabelle“ und ein Anhang von X Zeiten.
281
Seine Bemühungen find auch nicht ohne namhaften Erfolg geblieben.
Seine Ueumenſtudien in drei Teilen (1895, 1897 und 1904 Leipzig,
Friedrich Fleiſcher) zeugen davon. Mit aller Klarheit hat er zuerſt
ausgeſprochen, daß die heimat der Neumen im Orient liegt. Es ift
ihm ferner gelungen, durch Überſetzung und Erklärung einer Papa⸗
dike (einer Art Gefangfibel) von Mleffina, die aus dem 15. Jahrhundert
ſtammt, die mittelbuzantiniſche Neumenſchrift inſoweit zu entziffern,
daß das Melo diegerüſt klargelegt ift!. Das hat den Verfaſſer offen⸗
bar ermutigt. Auch die anderen Neumen ſollten ihre Entzifferung
erhalten. „Die Neumenfrage ſoll nicht mehr länger ‚die Sphinz‘ fein,
die fie nun ſchon ſeit beinahe einem gahrtauſend iſt.“ Er will den
kiampf aufnehmen mit dem „Fafner, der die ungeheuren Schätze an
muſik bewacht, welche die Bibliotheken uns aus dem Mittelalter ge⸗
treulich aufbewahren und die doch der Born find, aus dem faſt allein
eine wahrhaftige Erkenntnis der modernen Muſtkentwicklung fließen
kann“ (S. 7). „Unendliche Mühen und Qualen, Entſagungen, Enttäu⸗
ſchungen und Zweifel“ (5.10) hat er deshalb in Kauf genommen.
Er ſchreibt: „Mit welchen geradezu ungeheuren Schwierigkeiten die
Fmdung des Schlüſſels zu den fo verſchiedenartigen und vielgeſtaltigen
neumen verbunden war, davon kann ſich niemand in der Welt ohne
weiteres eine zutreffende Dorftellung machen“ (8. 8). Er iſt aber da;
von überzeugt, daß er den Schlüſſel gefunden hat, daß „das tauſend⸗
jährige Rätſel jetzt gelöſt iſt“ (5.9). Mit Entſchiedenheit tritt er der
ſo ziemlich allgemeinen Auffaffung entgegen, die in den Neumen keine
wirklich exakte Tonſchrift ſieht, fondern. nur ein „mnemotechniſches
hilfsmittel, um ſich ſchon bekannte Melodien ins Gedächtnis zurück⸗
zurufen“ (S. 10). Fleiſcher war „von vornherein von der Gewißheit
durchdrungen, daß die Neumen den Abſichten der damaligen Muſik
genau ſo gut zu dienen vermochten, als die heutige Tonſchrift der
unſeigen“ (ebd.) Ihrer Entzifferung gilt nun feine Arbeit.
Über fein Syftem erhalten wir wohl am beſten und ſchnellſten Auf-
ſchluß, wenn wir ein Stück der von Fleiſcher übertragenen Melodien
mit dem entſprechenden aus dem Vatikaniſchen Graduale vergleichen.
Wir wählen dazu den erſten Satz aus der kommunio von Pfingſten.
Die metriſchen Unterſchiede Fleiſchers geden wir alſo wieder, daß ge⸗
wöhnliche Buchſtaben als Diertelsnoten zu gelten haben, unterſtrichene
Buchſtaben als halbe Noten, und kurſtoe Buchftaben als Achtelnoten.
An erſter Stelle geben wir die Deutung Fleiſchers (S. 37, 2. Teil),
an zweiter Stelle die Faſſung der Datikana:
c cd d d de c d d c dd caH cH
g dd di di d g d di ci fienfidt di
Fa- ctus est re- pen - te de cœ- lo so- nus
H He c cH cd d c ddceAc cd 0
d! di dte!etd! eld! cle di ci ct Act c!d! c.
ad - ve ni - en tis spi- ri- tus ve- he- men - tis:
| "TE. Wellesz3, Aufgaben und Probleme auf dem Gebiete der buzantiniſchen und
otientaliſchen Rirchenmufik (Liturgiegefhichtl. Forſchungen H. 6). Münfter 1923, 8. 75.
282
Schon der erfte Blick zeigt die große Derfchiedenheit beider Faffungen.
Die Fleiſcherſche bewegt ſich innerhalb einer kleinen Terz, während
die Gesart der Datikana, auf Handſchriften des 10.— 11. Jahrhunderts
ſich ſtützend, in kühnen Intervallen und lebhaftem Rhythmus das
Brauſen des gewaltigen Sturmes verſinnbildet. Der Fleiſcherſchen Deu⸗
tung mit den monotonen Sekundengängen und den häufigen, ſchweren
halben Noten wird wohl niemand anmerken, daß es ſich hier um
Sturmesbraufen handelt. Doch dürfte das in keiner Weiſe in die
Wagſchale fallen, wenn wiſſenſchaftliche Gründe die Deutung Fleiſchers
verlangen oder wenigſtens rechtfertigen. Iſt dem fo?
Für feine Sekundengänge kann Fleiſcher eine einzige Stelle aus
einem Traktate des 11.— 12. gahrhunderts geltend machen, in dem
zu leſen iſt: „Kein Ton kann auf» und abfteigen als nur in Sekunden
und Terzen“ (S. 53). Fleiſcher geht ja über feinen Gewährsmann hinaus,
indem er an manchen Stellen auch Quarten, ja ſogar eine aufſteigende
Sete gebraucht. Aber all die klaren Zeugniffe der Handſchriften aus
derſelben Zeit, ja aus früherer Zeit, in denen Quinten nicht ſelten
find, gelten ihm nichts. In den 115 Seiten Notenbeiſpielen des zweiten
Teiles kommt auch nicht einmal eine Quinte vor, wenngleich theoretiſch
die „Dermutung eines Sprunges in die Quinte“ zugegeben wird (8. 55
und 60). Wie oft reden doch die Choraltraktate von der Derbindung
von Grundton und Quinte, der ſogenannten Bauptreperkuffion! Fleiſcher
iR fo ehrlich, in Tabelle 28 die Derfe des Hhermannus kiontraktus
(+ 1054) über die Intervalle der Neumen vollſtändig anzuführen (5. 106,
2. Teil), in denen das Unbeſtimmte der Neumen in allerdings um:
ſtändlicher Art durch Buchſtaben wie t=tonus (Banzton), s=semitonium
(Halbton), ts=tonus+semitonium (kleine Terz), griechiſches ö oder
I= diapente (Quinte uſw. gehoben wird. Hier wird von der Quinte
deutlich geſagt, daß fie crebro, alfo „oftmals“ das Ohr erquicke. Aber
auf 115 Seiten Notenbeiſpielen begegnet uns auch nicht eine einzige
Quinte. Wie iſt das zu erklären?
Vielleicht beruft ſich Fleiſcher auf die urſprüngliche Zwie ſpältig⸗
Reit in der Entwicklung des Sregorianifchen Seſanges“. Nach ihm
find „die linienloſen Aͤkzentneumen eben von Grund aus andere Wege
gegangen als die räumlichen melodiſchen Neumen und haben ver⸗
ſchiedene Melodien zu ihrer Grundlage“ (8. 13). Das iſt ein wichtiger
Satz, für den man eine eingehende Begründung verlangen dürfte. Sie
wird uns aber in den „Bermanifchen Neumen“ nicht gegeben und auch
nicht in des Derfaffers „Neumenftudien“. Gewiß haben ſich da und
dort Varianten geltend gemacht, die auf verſchiedene Sründe zurück:
zuführen find. Es fehlt auch nicht an klagen über mangelnde Ein⸗
heit. Aber waren die Unterfchiede fo groß, daß man von „verſchiedenen
Melodien“ reden darf? Wäre es denn denkbar, daß „ſchon im 10. gahr⸗
hundert“ (5.13) auf einmal in den verſchiedenen Ländern der katholiſchen
Welt ganz neue Melodien ſich hätten einbürgen können, ohne daß
allenthalben ein Sturm der Entrüſtung losgebrochen wäre. Das kann
nur derjenige behaupten, der die Macht der katholiſchen Tradition und
die Liebe des Volkes zu feiner Liturgie und feinen liturgiſchen Liedern
|
283
unterſchätzt. Wie zäh hängt doch das Volk an dem Überkommenen!
Welche Mühe koſtet es, um nur ein Beiſpiel aus der neueſten Zeit
anzuführen, die „Einheitslieder“ beim katholiſchen Dolke einzuführen;
und doch handelt es ſich hier meiſt nur darum, daß man die eine
oder andere Dariante annimmt. N
Fragen wir weiter, wenn ſich ſchon im 10. Jahrhundert die „Zwie⸗
fpältigkeit in der Entwicklung des Gregorianiſchen Befanges“ geltend
machte, wie kann dann Fleiſcher einen Traktat des 11. oder 12. Jahr:
hunderts oder beſſer eine einzige Stelle dieſes Traktates zur einzigen
Grundlage für feine monotonen Sekundendeutungen der Neumen
machen? Warum legt Fleiſcher ferner doch großes Gewicht darauf,
zu zeigen, daß feine Deutungen an verſchiedenen Stellen Überein-
ſtimmung aufweiſen mit der nach feiner Auffaffung ſchon veränderten
melodie der Handſchriften mit Linien oder mit Tonbuchſtaben? Man
muß es anerkennen, daß er ſich feine Aufgabe nicht leicht gemacht
hat, daß er an geſchichtlichen Tatſachen, die feiner Deutung ungünftig
find, nicht einfach vorübergeht, ſondern ſich mit ihnen auseinander:
ſetzt, allerdings in einer bisweilen überraſchenden Weiſe. Das gilt
zunächſt von dem kiodez H 159 von Montpellier, der aus dem 11.
gahrhundert ſtammt. Dieſer bringt unter den Neumen mit den Buch-
Raben a— p die genauen Intervalle der Neumen und iſt deshalb für
die Entzifferung der Neumen von unſchätzbarem Werte. Wie oben bei
der ktommunio von Pfingſten, ſo weicht auch hier die von Fleiſcher
gegebene Deutung ganz beträchtlich von der Lesart des kioder ab,
während dieſe ganz genau mit derjenigen der Datikana übereinftimmt.
nach Fleiſchers Auffaſſung (8. 146) „geht die Neumation in dieſem
Antiphonar meiſt andere Wege als die Buchſtabennotation“, ja er
ſchreibt ſogar, „es iſt mir gar nicht unwahrſcheinlich, daß ſie (Neu⸗
mation und Buchſtabennotation) nur mißlungene Übertragungsverſuche
des 11. Jahrhunderts find, die eine deutliche Unkenntnis der deutſchen
neumen verraten“ (6.146). Trotzdem iſt er glücklich, daß „an 24 Punkten
lich habe fie mit Zahlen bezeichnet), Ueumen⸗ und Buchſtabenmelodie
auf denſelben Tönen zuſammentreffen; bei Nr. 6— 7 iſt eine längere
Partie von mehreren Takten in beiden gleich, und dieſelben Tongänge
wiederholen ſich dann in 10 18. Wäre nun meine Neumenübertragung
falſch, fo wäre ein ſolches Zuſammentreffen gänzlich ausgelchloffen ...
Somit bildet dieſes intereſſante Dergleichungsftück ein weſentliches Glied
in der Bette der Beweiſe für die Richtigkeit meiner Übertragungen“
(8. 146 f.). Das iſt nun alles ſchwer verſtändlich, um nicht mehr zu
ſagen. Fleifcher will doch die „urſprüngliche“ Melodie geben, die von
der ſpäteren nach feiner Auffaffung verſchieden iſt. Wie läßt ſich dieſe
öwiefpältigkeit überbrücken? |
Nur nebenbei fei hier bemerkt, daß der Derfaffer 8. 145 bzw. 64
die Notenbeiſpiele nicht richtig zitiert, daß er immer ein ſenkrechtes
i Sh) ſchreibt, auch da, wo der Rodez ein liegendes (Sb) notiert,
was doch für die Melodie einen großen Unterſchied bedeutet; daß er in
ſechs Befangsftücken die Buchſtaben, die im Aodez auch hier unter den
Neumen ſtehen, ganz wegläßt, ohne dies mit einem Worte zu bemerken.
284
Fleiſcher ſcheut auch den direkten Dergleicdh feiner Deutungen mit
der Faſſung des Pothierſchen Braduale von 1883 nicht. Hier hätte man
freilich einen Dergleich mit dem authentiſchen Datikanifchen Graduale
erwarten dürfen, das doch ſchon 1907 veröffentlicht wurde. Er meint,
„eine Übereinſtimmung meiner Entzifferungen mit dieſen traditionellen
Melodien dürfte wohl am eindrucksvollſten die Überzeugung ihrer
Richtigkeit erwirken“ (8. 152). Wenn er betont, man dürfe „nicht er:
warten, daß die Übereinſtimmungen Note für Note getreu fein ſollten“
(S. 152), ſo iſt das nicht zu verwundern; dagegen bleibt verwunderlich,
was mit dieſen Übereinftimmungen gewonnen werden ſoll, wenn doch
feine Deutung die „urſprüngliche“ Melodie geben will, wenn die Zwie-
ſpältigkeit in der Entwicklung des gregorianiſchen Geſanges ſchon ſeit
dem 10. Jahrhundert wirklich vorhanden iſt, wenn man berechtigt if,
die größten Zweifel über die „behauptete Einheitlichkeit des geſamten
katholiſchen ktirchengeſanges“ zu hegen (8. 153). Der Derfaffer ſcheint
dieſe Schwäche gefühlt zu haben. Sein Hinweis auf den verſchiedenen
Vortrag Beethovenſcher Sumphonien, „obgleich doch alle Dirigenten
dieſelbe Partitur vor ſich haben“ (S. 153), iſt aber deshalb verfehlt,
weil es ſich in unſerem Falle doch gerade darum dreht, ob wir in
den Handſchriften ohne Linien und in den Handſchriften mit Linien
dieſelbe Lesart, dieſelbe „Partitur“ haben. Denn 8. 25 iſt zu leſen:
„Die melodiſche Seite der Neumen iſt und bleibt — bei aller Wichtig⸗
keit der menſur und Rhuthmik — doch die hauptſache.“
Kinige andere Schwierigkeiten feien nur angedeutet. 5. 99 ſchreibt
er: „Das alle (Melodien) beherrſchende Hauptgeſetz liegt .. in der
relativen Übereinſtimmung des Anfangstones mit dem Endton jedes
Stückes. Alle beginnen ideell mit demſelben Ton, mit dem ſie endigen“.
Eine Begründung dieſer hupotheſe folgt aber nicht. Ebenſo ift es mit
feiner Annahme, daß in einem Torkulus (einer Neume mit drei Tönen,
deren mittlerer höher iſt als die beiden andern) der erſte Ton vom
zweiten immer nur den Abſtand einer großen oder kleinen Sekunde
und der zweite vom dritten immer nur den einer großen oder kleinen
Terz haben müffe, daß alſo die zahlreichen anderen Intervallmöglich⸗
keiten ganz ausgeſchloſſen find. Mit dem Porrektus (einer Neume
mit drei Tönen, deren mittlerer tiefer iſt als die beiden andern) ver⸗
hält es fi ebenſo. Don ſolchen Beſchränkungen wiſſen die beften
Handſchriften nichts. Es iſt ferner kaum zu glauben, daß die Strophen
eines und desſelben humnus eine ganz andere Melodie aufweiſen,
wie fie von dem Derfaffer in der erſten Tabelle notiert wird, in dem
ftreuzeshumnus des Denantius Fortunatus: Pange lingua gloriosi
proelium certaminis. f
Daß dieſer hell aufjubelnde humnus mit einem „Threnus“ (einem
kilagelied) nichts zu tun hat, wie es dem Derfaffer „unzweifelhaft“
iſt (8. 114), daß er auch, abgeſehen von den gleichen Anfangsworten
und dem gleichen Dersmaß, mit dem Fronleichnamshumnus nicht iden⸗
tiſch iſt, wie der Derfaffer anzunehmen ſcheint (8. 712) iſt jedem, der
mit der Liturgie einigermaßen vettraut ift, ſofort einleuchtend.
Hier berühren wir freilich eine neue Schwierigkeit. Seite 41 iſt zu
285
leſen: „Hat man ſich zur Aufgabe gemacht, die Neumen zu entziffern,
ſo iſt die Unbeeinflußtheit durch kirchentechniſche oder 5
abſichten eine wiſſenſchaftliche Dorausfegung ſchlechthin.“ Fleiſcher
will daher nicht bloß diejenige Mufik der alten Zeit unterſuchen, die
der Liturgie der Kirche dient, ſondern „die damalige Muſik als ſelbſt⸗
ſtändige klunſt und ſogar als Wiſſenſchaft für ih betrachten“. Dieſen
Standpunkt und dieſes Vorhaben kann man nur billigen. Aber dann
darf man doch erwarten, daß von den neumierten Planctus Abälards,
von den Otfriedſchen und Notkerſchen Akzentzeichen, von den Carmina
burana und den älteſten Minneſängerhandſchriften (vgl. 8. 43) wenig⸗
ſtens das eine oder andere Stück uns in Entzifferung geboten werde.
Trotzdem dieſer Stoff „nunmehr verwertbar“ ift (5. 44), werden wir
aber nur auf des Derfalfers kommende Urgeſchichte der deutſchen
Mufik vertröſtet. Und nur liturgiſche Stücke werden in den Tabellen
näher unterſucht. Hätte es da ferner nicht die Klugheit geraten, nach
vollendeter Entzifferung doch auch nach der liturgiſchen Stellung und
Bedeutung dieſer Stücke ſich umzuſehen? Wäre dadurch für manche
Fragen nicht neues Licht: zu erhoffen geweſen?
Sehen wir uns nur die 14. Tabelle (S. 39 f., 2. Teil) näher an. Fleiſcher
gibt als Quelle für fie die Nleumenkunde P. Wagners an. Er ſieht
in ihm irrtümlicher Weiſe einen „katholiſchen Geiſtlichen“ (S. 41), deſſen
Forſchungen er nicht hold iſt (S. 7), und zitiert noch die 1. Auflage
dieſes Werkes, obwohl die 2. Auflage ſchon 1912 erſchienen iſt. Die
Quelle, der auch Wagner ſein Beiſpiel entnommen hat, iſt Tafel 179
des 3. Bandes der Paléographie musicale. Es handelt ih hier um
einen Tropus zum Introitus In medio ecclesiae für das Feſt des
hl. Johannes des Evangeliſten. Den einzelnen Sätzen desſelben werden
einleitende Derfe mit Melodie vorausgeſchickt. Fleiſcher ergänzt noch
ganz richtig die Abkürzung In med mit eingeſchlungenem d=In medio.
Dagegen ergänzt er im 4. und 12. Suſtem die Abkürzung Et implevt,
bei der v und et verſchlungen find, mit implebis. Wenn die Paläo⸗
graphie hier vielleicht verſagte, fo hätte ihm die Liturgie deutlich ge⸗
ſagt, daß der Introitus implevit erlangt.
mehrere andere Ungenauigkeiten dieſer einen Tabelle dürfen leider
nicht übergangen werden. Junächſt ift zu bedauern, daß die Neumen
hier und bei den andern Tabellen nicht phototypiſch wiedergegeben
werden, ſondern mit der hand umgeſchrieben wurden, was ſelten ein
ganz treues Bild gibt. Nach dem Original gehören ſodann die erſten
zwei Neumenzeichen zur erſten Silbe, das dritte Zeichen zur zweiten
Silbe. Fleiſcher gibt aber der erſten Silbe nur ein Jeichen, der zweiten
Silde aber zwei. 80 wurden in dieſer einen Tabelle nicht weniger
als ſiebenmal Neumen, die zuſammengehören, auseinandergeriſſen,
ſogar fo, daß das erſte Zeichen noch der vorhergehenden Silbe zu⸗
gewieſen wird. Zu Beginn des dritten Suſtems ift der Punkt weg⸗
gelaſſen oder überſehen worden und eine zweitönige Neume geſchrieben
worden, wo eine dreitönige ſtehen muß. Im achten Suſtem wird der
offenſichtliche Schreibfehler ad propagando archana korrigiert, aber
keine Angabe darüber gemacht; dagegen ſteht bei Fleiſcher im zwölften
286
Suſtem petore, wo die Handſchrift ein klares pectore gibt. Dann darf
man doch von einer Übertragung erwarten, daß fie dieſelben Ueumen⸗
zeichen ganz gleich behandelt. Nun ſteht im zweiten Suſtem über In
medio auf der erften Silbe eine halbe Note, der eine Diertelnote
triolenartig angeſchloſſen iſt, und auf der zweiten Silbe ſtehen drei
halbe Noten. Im zehnten Suſtem kehren dieſelben Neumen über dem⸗
ſelben Tete wieder. Da ſtehen aber über der erſten Silbe zwei Viertel⸗
noten, über der zweiten Silbe folgen wohl drei halbe Noten, nach der
zweiten Note kommt aber ein Taktſtrich, während oben der Taktſtrich
nach der dritten halben Note ſteht. Solche Unregelmäßigkeiten find
nicht geeignet, den wiſſenſchaftlichen Wert einer Arbeit zu erhöhen.
Und ſie ſind nicht die einzigen. Man vergleiche nur Seite 83 im zweiten
Teil den Jubilus des Alleluja mit derſelben Melodie über dem letzten
Worte des Aileluja-Derfes, dem ibimus und wird darüber ſtaunen,
daß die Melodie das zweite Mal eine Quarte höher ſteht, was einen
ganz neuen Alleluja-Tupus darſtellt, der in der ganzen Choralliteratur
bisher völlig unbekannt war. Ebenſo ſtaunen wird man über die
verſchiedene rhuthmiſche Behandlung der Neumen.
Die metriſch⸗rhuthmiſche Deutung, die Fleiſcher den Neumen gibt,
iſt überhaupt eigenartig. Sie ſpiegelt ſich in folgenden Sätzen: „Die
ganze Menge der Neumenſtücke ſcheidet ſich in taktloſe und taktierte“
(S. 78). „Die Mufik der Neumenzeit iſt taktiſch und zwar herrſcht
größtenteils die gerade Taktart“ (5.73). „ede ein- oder mehrtönige
Tleume, die für ſich ſteht, iſt auch als eine Einheit für ſich zu zählen.
Dieſe Einheit nenne ich Taktfuß und ſetze fie mit dem Zeitwerte einer
‚ halben Taktnote an. Treten mehrere Neumen zuſammen, fo gelten
ſie zuſammen auch nur einen Taktfuß... Punkte, die ſich mit an⸗
deren Neumen verbinden, zählen... überhaupt nicht mit.“ „Jeder
Ton wird umſo kürzer gemeſſen, je mehr Töne feine Gruppe hat“
(5. 81). „Durch Auflöfung der Neumengruppen in einzelne Neumen
werden eben dieſe Einzelneumen rhuthmiſch ſelbſtändig, d. h. jede
Einzelneume erhält für fi den Wert einer halben Taktnote“ (S. 80).
Trotz der verſuchten Erklärung und Begründung bleiben dieſe Sätze
überraſchend, und erſt recht der folgende Satz: „Welch lebendiger Geiſt,
welches ſprühende Leben... jenem alten Geſange zu eigen war, zeigen
meine Entzifferungen ſchon beim bloßen beſen. Man ſetze fie in tönendes
beben um — ich glaube, auch der rhuthmiſch⸗metriſche Feinſchmecker
wird nicht mehr verlangen können an feingliedriger kunſt und Mannig⸗
faltigkeit“ (S. 39). Man finge nur einmal den erſten Satz der Pfingſt⸗
kommunio oben nach dem Fleiſcherſchen Rhythmus!
In der ganzen Rhuthmusfrage bleibt Fleiſcher im Banne einer „europa:
zentriſchen“ Auffaſſung. Und doch war es gerade er, der in ganz
hervorragender Weiſe dazu beigetragen hat, der Neumenforſchung weite
Horizonte zu erſchließen und den Orient, Indien und China mit Europa
zu verbinden. Dieſer Weitblick hätte ihn davor bewahren ſollen, ſich
in der Neumenrhuthmik auf das Metrum der griechiſchen Antike zu
beſchränken, hätte ihn auch davor bewahren ſollen, zu ſchreiben: „Die
ganze Neumenmaſſe hat ſich gebildet aus einer glatten Addition der
287
altgriechiſchen Profodien oder Akzente mit einem urgermaniſchen Buch-
ſtabenalphabete“ (8. 110). Es iſt ſchade, daß Fleiſcher fo wieder preis⸗
gibt, was er errungen hat, ja daß ſein Geſichtswinkel nicht bloß
europa⸗zentriſch wird, ſondern ſich, wie ſchon der nicht glückliche Titel
des ganzen Werkes bekundet, noch mehr verengert.
Aus dieſer Einftellung heraus iſt auch zu erklären, daß Fleiſcher
auf die reiche Entwicklung und Gliederung der Melodie, wie ſie die
Welt der Kirchentonarten bietet, fo gut wie ganz verzichtet und
dadurch ſeine ohnehin arme Melodie noch dürftiger geſtaltet. Der un⸗
bewiefene Satz: „Alle Stücke beginnen mit D oder a. .. und endigen
ebenſo“ (8. 33) erfährt ja glücklicher Weiſe einige Ausnahmen. Aber
nicht im Anfangston und nicht im Endtone liegt das Weſen der Ton
arten. Don all dem Tiefen und Schönen, was uns die Theoretiker
über die Eigenart der einzelnen Tonarten, ihre äſthetiſche Bedeutung
und ihr inneres beben mit großer Übereinſtimmung zu ſagen wiſſen,
wird niemand, der die Fleiſcherſchen Deutungen ſingt, auch nur eine
Ahnung bekommen. Das iſt umſo auffallender, als der Derfalfer doch
ſonſt dann und wann die Theoretiker zitiert, auch in ſeinem kapitel
„die Tonarten“, um einige tonartliche Unregelmäßigkeiten geltend
zu machen. Selbſt die klaren Angaben in manchen ſehr wertvollen
handſchriften, von denen einige auf Seite 27 genannt werden, haben
auf den Derfaffer keinen Eindruck gemacht. Eine Nachprüfung ſeiner
Ergebniffe an der Hand dieſer Handſchriften mit ihren ſorgfältigen
Angaben über die Tonarten der einzelnen Geſangsſtücke hätte dazu
beigetragen, ihn vor feiner Sieges ſicherheit zu bewahren, die ſich u. a.
in folgenden Sätzen äußert: „Jetzt, wo das taufendjährige Rätfel ge⸗
löſt iſt, erſcheint das Heumenfyftem einfach und natürlich“ (8. 9) und
„Ich bin mir des wiſſenſchaftlichen Wertes meiner Arbeit wohl be⸗
wußt“ (S. 39).
Es ſei dankbar anerkannt, daß Fleiſcher einen erſtaunlichen Fleiß
für fein Suſtem aufgebracht hat, daß er auch vor ernſten Schwierig-
keiten nicht zurückgeſchreckt ift. wenngleich da und dort mehr Genauig⸗
Reit zu wünſchen wäre und das Druckfehler verzeichnis um mindeftens
dreißig Nummern ſich vermehren ließe. Es ſei dankbar anerkannt, daß
eine Reihe von Fragen ganz neu aufgeworfen worden ſind und andere
zum Teil eine neue Beleuchtung erhalten haben, daß nicht ſelten ein
warmer Ton für die Kunft des Mittelalters und ihre Bedeutung für
die ganze Mufikentwicklung an unſer Ohr ſchlägt. Iſt aber das Rätfel
der Neumenentzifferung nunmehr gelöſt und haben die Fleiſcherſchen
Deutungen überzeugende Kraft in ſich?
Die katholiſche Liturgie hat jedenfalls keinen Anlaß, ihre Seſänge
nach der Fleiſcherſchen Methode zu revidieren. Das hieße Edelfteine
mit Glasperlen vertauſchen. Sie darf ſich auch fernerhin darüber
freuen, daß ihre ieder in der authentiſchen Faſſung des Datikanifchen
Eraduale und Antiphonale ſeit dem 10.— 11. Jahrhundert auf das beſte
beglaubigt find und das Diadem einer wahren, heiligen Runſt tragen.
K „ „
288
kleine Beiträge und Hinweiſe
nikolaus Sihr.
Nr dem Redaktionstifch liegt ſeit kurzer Zeit ein kleines Büchlein mit der Auf:
ſchrift: Dies irae. Im Vorwort heißt es: „Da der Derfaffer dieſe Neuauflage
des kleinen Büchleins im einundachzigſten Lebensjahr und zur Zeit ſchwerer krank ⸗
heit beſorgt, darf er wohl auch an dieſer Stelle feiner Seelenftimmung mit den ſchlich ⸗
ten Worten des Dichters Ausdruck geben:
Wohlauf, wohlauf! du Pilgerherz!
vergiß nun allen Harm.
Schau himmelwärts, ſchau himmelwärts,
Fühlſt du dich denn ſo arm?
Die Uacht ift ſtill, der Tag nicht weit,
Uicht weit der ewige Tag —
Bald, bald verfliegt die Erdenzeit,
Bald ſchweigt des Herzens Schlag.
Ein Wandrer auf dem Kirchhof fteht,
Allwo der Pilger ruht —
Andächtig ſpricht er ein Gebet,
Und ‚jest ift alles gut“.“
Subregens Dr. Nikolaus Bihr von St. Peter, der diefe Worte vor nicht langer
Jeit geſchrieben hat, ruht feit dem 27. Juni in der kühlen Gruft. Wenn unfere Monat
ſchrift an feinem Grabe nicht ſtillſchweigend vorübergeht, fo iſt der Grund nicht allein
darin zu ſuchen, daß der Schreiber diefer Zeilen einſt als gelehriger Schüler dem hoch
geſchätzten herrn Subregens zu Füßen ſaß, auch nicht bloß darin, daß der Derewigte
zu den Benediktinern in perſönlicher Beziehung ſtand — fein Bruder war Mitglied
des Kloſters Engelberg, wo Sihr oft weilte; auch nicht bloß darin, daß er in dem
Beuron naheliegenden Dorfe Aulfingen am 5. Dezember 1839 geboren war. Tlikolaus
Sihr ſtand uns durch Seiſtes verwandtſchaft näher, durch feine Liebe zum Opus Dei,
dem der Benediktiner nichts vorzieht. Im Jahre 1872 war der dreiundöreißigjährige
junge Priefter als Spiritual an das Seminar nach St. Peter gekommen. Raum war
er fünf Jahre oben tätig geweſen, als fein Erftlingswerk erſchien: „Das heilige
meßopfer, dogmatiſch, liturgiſch und aſßzetiſch erklärt.“ Dieſes herrliche heute in
der ganzen Welt geleſene Buch begründete den wiſſenſchaftlichen Ruf des jungen Ge⸗
lehrten. Es charakteriſtert aber auch fein ganzes Weſen, fein Denken, fein Lehren
und fein Geben. Es iſt nicht bloß eine tiefeindringende dogmatiſche Abhandlung über
das Seheimnis unferer Altäre, fondern es ift zugleich eine gemütvolle, fromme, Geiſt
und Herz anregende, zum Studieren wie zum Beten und Betrachten gleihmäßig ge
eignete Einführung in das Allerheiligſte unferer heiligen Liturgie. Wie vielen Tau-
ſenden hat der demütige, kindlich beſcheidene und liebenswürdige Selehrte mit dieſem
Buche das tiefere Derftändnis für das übernatürliche Weſen und die zentrale Gebens-
bedeutung der hl. Meſſe erſchloſſen! Wenn der Alerus der Erzdiözeſe Freiburg an
kirchlichem Sinn hinter keiner deutſchen Diözeſe zurückſteht, fo hat auch Sihr ein
großes Stück des Derdienftes daran. Während mehr als fünfzig Jahren hat er durch
feine lichtvolle und warmherzige Erklärung der Opfer-, Sakramenten- und Gebets
liturgie den Sinn für die opfernde, ſegnende und betende Kirche geweckt. Zehn Jahre
nach dem erftmaligen Erſcheinen feines „Meßopfers“ ſchenkte er uns das Werk über
„Die Sequenzen des römiſchen Reßbuchs“, deſſen dritte und vierte Auflage ſoeben
in Form handlicher Einzelausgaben der Sequenzen von Pfingſten (Veni sancte Spiri-
tus) und Allerſeelen (Dies irae) gewiß noch viele Freunde finden wird. Wiederum
vergingen etwa zehn Jahre, da erſchien das am meiſten wiſſenſchaftlichen Charakter
' 289
tragende Werk des unermüdliche Gelehrten: „Die hl. Sakramente der katholiſchen
Kirche, für die Seelſorger dogmatiſch dargeſtellt“. Auch hier ift der liturgiſchen Seite
viel Diebe und viel Raum gewidmet. Mit Recht! Strahlt doch der tiefe Bedanken-
gehalt, der unſerem kultiſchen Leben zugrunde liegt, und den das ewige Wort Gottes
in unſer kultiſches Geben hineingelegt hat, am unmittelbarften und reinften aus dem
wunderbaren ‚Aranz von Bebeten und Symbolen uns entgegen, den ein tauſend⸗
jähriges Walten des Gottesgeiſtes in der Geſchichte der Kirche um ihr Roftbarftes
ſchmückend gewunden hat. Sihr blieb ſeiner Gewohnheit treu. Etwa zehn Jahre
dauerte fein literariſches Schweigen, dann erfreute er uns mit einer köſtlichen Gabe.
Im Jahre 1907 erſchien: „Prim und Komplet des römiſchen Breviers liturgiſch
und aſzetiſch erklärt.“ Der opfernden Rirche hatte er den Morgen feines Priefter-
lebens geweiht. Der ſegnenden Kirche gehörte der Mittag. Am Lebensabend faltete
der ſeeliſch nie alternde kindliche Greis feine hände mit der betenden Kirche. „Das
vorliegende Buch“, To ſchrieb er am Roſenkranzfeſt 1907, „Toll die reichen Gnaden ·
ſchätze des kirchlichen Morgen ⸗ und Abend gebetes für ein volleres und tieferes Ver ·
ſtändnis erſchließen. Die Erklärung ift fo ausführlich und eingehend, daß ſie dem
Brevierbeter Stoff bietet zu öfters wiederholter Betrachtung des jahraus jahrein und
Tag um Tag wiederkehrenden Teztes. Solche Betrachtung iſt das wirkſamſte Mittel,
um bei ſteter Wiederholung der nämlichen Bebetsformnlare eine oberflächliche Routine
fernezuhalten.“ 1914 folgten als letzte Frucht feiner Beſchäftigung mit der Gebets-
liturgie der kirche die „Sedbanken über das Rkatholiſche Sebetsleben im An⸗
ſchluß an das Daterunfer und Ave Maria“.
Am Feſte Areuzerhöhung 1919 hatte der Derewigte geglaubt, der neueſten, 17.— 19.
Auflage, dem 31.— 35. Tauſend feines „Meßopfers“ ein „Abſchiebswort“ vorausſchicken
zu ſollen: „Schier achtzig Winter geh’ ich durch die Welt' fo kann auch ich jetzt ſprechen
mit dem Sänger von ‚Dreizehnlinden‘. Deshalb dürfen dieſe Zeilen wohl als Ab⸗
ſchiedswort zu meiner Jugendarbeit betrachtet und bezeichnet werden. Und was anderes
könnte oder ſollte dieſes Abſchiedswort ſein, als ein Wort tiefgefühlten Dankes gegen
den Allmächtigen, der Gewalt hat über Leben und Tod (Weish. 16, 13), gegen den
erbarmungsvollen Vater der Lichter, von dem jede gute Babe und jedes vollkommene
Seſchenk Kommt (Jak. 1,17)? Zum Ausdruck freudigen, innigen Dankes auch an
dieſer Stelle drängt mich der Rückblick auf die Tage der Vergangenheit. der Hinblick
auf die reichen Segnungen, mit welchen der herr feit mehr als vierzig Jahren dieſes
Buch begleitet hat. Im Ausblick auf die Nähe der Ewigkeit möchte ich hier nur
nochmals den im Vorwort zur erften Auflage ausgeſprochenen Wunſch wiederholen —
den Wunſch, durch Gottes huld und Segen möge das Buch auch fernerhin ‚in vielen
herzen die Liebe zum euchariſtiſchen Opfer ſowie frendigen Opferfinn und Opfermut
wecken und fördern‘.
mit einem Wort des achzigjährigen Dichters darf und will ich dieſes Abſchieds⸗
wort auch ſchließen:
Die Abendglocken, die Abendͤglocken,
O wie fie laden, o wie fie locken!
Der Tag vergeht,
Die Uachtluft weht,
Bald werd' ich ſchlafen, es ift [don ſpät.“
Nun ſchläft er droben auf ſonniger Schwarzwald höhe. Die reine Bergluft zieht
oͤurch die dunkeln Tannen und die herdenglocken grüßen melodiſch von allen Seiten.
Die toten Benediktinermönche der alten Jähringerabtei St. Peter warten mit ihm
zuſammen auf das Anftimmen der himmliſchen Bebetsliturgie nach dem jüngſten Tage.
Die Vertreter der liturgiſchen Bewegung aber falten dankbar ihre hände und beten
ein inniges Requiescat in pace über dem friſchen Grabe, dankbar für die reichen
Seſchenke feines Seiſtes, dankbar für vielfache Anregung und Belehrung, dankbar
für Röſtliche Freude des perſönlichen und geiſtigen Umgangs mit einem edeln Men⸗
ſchen und Priefter. D. Fidelis Böſer (Beuron).
290
Bücherfchau
Theologie und Philoſophie
Aus Gehre und Geben des hl. Thomas
von Aquin.
Seit Jahrhunderten drängen ſich die ka⸗
tholiſchen Philoſophen und Theologen um
den hl. Thomas von Aquin als um ihren
Meifter und Führer. Die kirche ehrt ihn
als einen ihrer vorzüglichſten Lehrer der
Glaubenswiſſenſchaft. Die Derleumdung,
welche die Janfeniften gegen die 6naden⸗
lehre des heiligen erhoben, als ſei dieſe
in der Bulle Unigenitus vom Jahre 1713
von der Kirche verworfen worden, weift
Benedikt XIII. im Breve Demissas pre-
ces 1724 zurück. Im Jahre 1727 feiert
derſelbe Papſt die Lehre des hl. Thomas,
„an die der Predigerorden ſich heilſamer⸗
weiſe anſchließt“. Er verbietet Angriffe
auf die behre des Aquinaten und „feine
in der Kirche hervorgegangene Schule, zu⸗
mal wo es ſich in dieſer Schule um die
göttliche, aus ſich und von innen heraus
wirkſame Gnade handelt“. (Konſtitution
Pretiosus vom 26. Mai 1727). Klemens XII.
ſchloß ſich am 12. Okt. 1733 dieſen Lob-
ſprüchen an, erklärte aber zugleich, daß
die übrigen katholiſchen Snaden⸗
ſuſteme dadurch nicht herabgeſetzt werden
ſollten. In der neueren Zeit weiſen die
Bäpſte die katholiſchen Schulen immer
wieder auf Thomas als ihren vorzüglichen
behrer hin. 80 Geo XIII. in der Enzuk⸗
lika Aeterni Patris vom 4. Nuguſt 1879;
Pius X. in der Enzuklika Pascendi vom
7. September 1907, im motu proprio Sac-
rorum Antistitum vom 1. Sept. 1910 und
Doctoris Angelici vom 29. Juni 1914.
Benedikt XV. beftätigte die Antwort der
Studienkongregation vom 3. März 1916,
wonach die von dieſer Kongregation gut-
geheißenen 24 Hauptſätze der Philoſophie
des Aquinaten „als ſichere beitſätze“, ve-
luti tutae normae directivae vorgetragen
werden ſollen. 1916 erklärt er: „heilig
und heilſam, ja geradezu notwendig iſt
es, daß in den katholiſchen Schulen der
hl. Thomas von Aquin als höchſter Gehrer
(summus magister) gilt.“ Er ftellt dem
Dominikanerorden das Zeugnis aus, daß
er „niemals, auch nicht einen Finger breit,
(ne latum quidem unguem), von feiner
(des hl. Thomas) Lehre abgewichen if”
(29. Oktober 1916). Pius XI. weiſt in ſeinet
neueſten Thomasenzuklika ausdrücklich
darauf hin, wie [ehr das Konzil von Trient
und das Datikanifhe Ronzil den hl. Tho⸗
mas als Autorität anerkennen und an
feine Lehre anknüpfen, fo ſehr er im
übrigen die Freiheit betont. — Und trotz ·
dem haben wir die merkwürdige Tatſache,
daß man ſich ſeit mehr denn dreihundert
Jahren in entſcheidenden und tiefgreifen:
den Punkten um den Sinn und die; wahre
behre des hl. Thomas ſtreitet. Da fragt
DB. Stufler, ob man bisher Thomas über:
haupt recht verſtanden habe?
Stufler, Dr. 9oh., 8. J., Divi Thomae
Aquinatis doctrina de Deo operante.
8° (XX u. 423 8.) Innsbruck 1923, Tyrolia.
B. Stufler vertritt die Anſicht, weder
die Verfechter der phuſiſchen Vorausbewe⸗
gung (praemotio physica), d. h. die cho ⸗
miſten, noch die Verfechter der bloß gleich
zeitigen Mitwirkung (concursus simul-
taneus) Gottes mit dem freien Willen des
menſchen, d. h. die Moliniſten hätten The
mas richtig verftanden. Wohl fei Gott nach
St. Thomas der erſte Beweger aller ge
ſchaffenen Dinge, aber keineswegs mittels
einer Dorausbewegung oder mittels einer
gleichzeitigen Mitwirkung, ſondern einzig
dadurch, daß er den Geſchöpfen bleibende,
innere, zur Uaturausſtattung gehörige
Prinzipien und Kräfte gebe, infolge derer
fie von ſelbſt aus ſich, ohne irgend eine
weitere Anregung von außen, d. h. von
Bott, in Tätigkeit übergehen, ſobald die
äußeren Bedingungen zum Handeln ge
geben find. Gott „bewegt“ die geſchaffenen
Urſachen in ähnlicher Weiſe, wie nach Ar
ſtoteles derjenige den Stein nach unten
„bewegt“, der ihn bildet und in ihn die
naturhafte Schwere (das Schwerfein) legt.
Stufler glaubt u. a. gezeigt zu haben, daß
St. Thomas der Sache nach die scientia
media kenne und annehme, das heißt ein
„Mittel- Wiſſen“, kraft deſſen Gott ver
jedem Akte feines freien Willens die voll
kommen ſichere kenntnis aller bedingt
zukünftigen freien handlungen der Be»
ſchöpfe beſttze; ferner, daß 8t. Thomas nur
jene Akte für innerlich übernatürlich er ⸗
kläre, welche aus einem übernatürlich ein-
gegoffenen habitus, nämlich aus der heilig;
machenden Gnade, aus der Tugend des
Slaubens oder aus einer anderen über⸗
natürlichen Tugend hervorgehen. Die auf
die heiligmachende Bnade (Rechtfertigung)
vorbereitenden Akte ſeien in ſich rein na⸗
türliche Akte; fie ſeien nur inſofern über-
natürlich, als Bott den Menſchen zu den⸗
ſelben aus Barmherzigkeit und aus be⸗
ſonderem Wohlwollen anregt.
Stuflers Werk umfaßt drei Teile: 1. Das
Wirken Gottes in den Haturdingen, 2. bei
der Derftandes- und 3. bei der Willens
tätigkeit des Menſchen, dies ſowohl in der
natürlichen als auch in der übernatürlichen
Ordnung. Am Schluß faßt er die weſent⸗
lichen Punkte noch einmal kurz zuſammen
und fügt eine genaue und wohlgeordnete
Überfiht über die Tegte an, die er aus
den verſchiedenen Werken des hl. Thomas
benützt und erklärt hat.
es iſt hier nicht der Ort, zu den ein⸗
zelnen Ergebniſſen Stellung zu nehmen,
zu denen P. Stufler gelangt iſt, noch auch
ſeine Beweiſe zu prüfen. Wir anerkennen
das Beſtreben, das P. Stufler zu ſeiner
Arbeit beſtimmt hat. Wir anerkennen die
Mühe, die er aufgewandt hat. Gleichwohl
können ſeine Darlegungen uns in unſerer
Überzeugung nicht wankend machen, daß
eine Reihe von hervorragenden Erklärern
des hl. Thomas, vorzüglich jene, die der
Dominikanerſchule angehören, die Bedan-
ken des Aquinaten über das Einwirken
Bottes auf die Befchöpfe vollkommen rich»
tig erfaßt haben, und daß Benedikt XV.
im Recht if, wenn er vom Dominikaner
orden ſagt, er fei niemals von der Lehre
des hl. Thomas abgewichen. Uns ſcheint
der Aquinate einen würdigeren Gottes-
begriff und eine geſundere Metaphuſik zu
haben als B. Stufler fie ihm zuſchreibt.—
icht jedem wird es gegeben fein, ſich
an hand von P. Stufler in Grundgedanken
der Pehre des hl. Thomas einzuarbeiten,
auch wenn ſein Werk nicht lateiniſch ge⸗
ſchrieben wäre — übrigens in einem wirk⸗
lich lesbaren Patein. Umſo lieber werden
dafür weite Areife zu zwei kleinen Büchlein
291
greifen, die recht geeignet ſind, in das
innere Streben und Leben des heiligen
einzuführen, zu:
könig, Dr. Walter, „Zurück zu Thomas
von Aquin“. Zur Renaiſſance der philo⸗
ſophiſchen Bildung. Gedanken zu den
Reformvorſchlägen der legten Päpſte. Kl. 80
(56 8.) Einfiedeln u. Köln 1924, Benziger.
Brabmann, Martin, Das Seelenleben
des hl. Thomas von Aquin. Nach feinen .
Werken und den heiligſprechungsakten
dargeſtellt. [Der Katholiſche Gedanke
Bö. 7J. kl. 8 (118 8.) München 1924.
M. 1.50; kart. M. 2.—
1. In das Jahr des Kantjubiläums reicht
das Thomasjubiläum herein, die Feier des
600. Jahrestages feiner heiligſprechung
(18. Juli 1323). Aant oder Thomas iſt die
Frage, die ſich Studienrat Dr. König vom
Alouſianum in Opladen (hl.) ſtellt; mo⸗
dern · ſubjektive oder katholiſch- objektive
Philoſophie und Weltauffaffung? König
ſucht darzutun, daß in dem Abfall von
den leitenden Gedanken der ariſtoteliſch⸗
thomiſtiſchen Weltbetrachtung eine der
Haupturſachen, ja die tiefſte und letzte Ur ·
ſache, unſeres Juſammenbruches auf den
verſchiedenen Gebieten des Lebens gelegen
iſt. Daraus leitet er ab, daß eine Er⸗
neuerung und Geſundung des abendlän⸗
diſchen Seiſteslebens und die Rettung
vor dem unaufhaltſamen Abgleiten in
das Chaos des Unglaubens und des Bol:
ſchewismus nur dann möglich iſt, wenn
das Abendland zur gefunden Seinsphilo-
fophie eines Thomas von Aquin zurück-
kehrt und ſo den Weg einſchlägt, den die
Däpfte Peo XIII., Pius X., Benedikt XV.
und Pius XI. gewieſen haben. Die Seins -
philoſophie des Aquinaten ſoll den Unter:
bau der ganzen Univerſtitätsbildung und
des Fachſtudiums bilden, ähnlich wie dies
im Mittelalter der Fall war. Dann erſt
kann auf dem Boden einer Bildung, die
von der chriſtlichen Philoſophie getragen
iſt, eine neue intellektuelle und ethiſche
Kultur, eine neue Weltzeit erblühen. König
beweift feine Aufftellungen mit viel Ge»
ſchick aus den Tatſachen der geſchichtlichen
Entwicklung, insbefondere feit den Tagen
der Renaiſſance, aus dem Schwinden der
wahren Rulturellen Bildung und idealen
Geſinnung, aus dem Mangel an klarbe⸗
292
gründeten ſittlich : religiõſen Begriffen und
aus der Gefährdung des moraliſchen Cha-
takters in unſerer Zeit. Daneben deckt
er auf, was die chriſtliche Philoſophie und
eine philoſophiſche Bildung, die auf die
Srundſätze des hl. Thomas zurückgeht, zu
leiſten vermag. Die inhalts volle Broſchüre
verdient alle Beachtung, vor allem von
ſeiten der katholiſchen Kreiſe Deutſchlands
und der katholiſchen gebildeten Jugend.
2. Martin Grabmann hat auf der Ulmer
Akademikertagung im Auguft 1923, ſpäter
auch in Leipzig und in Olten einen Thomas»
vortrag gehalten. Aus ihm ift die vor-
liegende Schrift erwachſen. Sie ſoll ein
opus pietatis ſein, ein Tribut ehrfürchtiger
Dankbarkeit an den heiligen, und möchte
weitere Areife mit dem reinen, eölen Seelen
leben des hl. Thomas, vor allem auch mit
feiner religiöfen Perſönlichkeit vertraut
machen. Die Hauptquellen find einerfeits
die Akten des heiligſprechungsprozeſſes,
andererſeits die Werke des heiligen ſelbſt.
Grabmann ſtellt aus dieſen beiden Quellen
zunächſt die verſchiedenen Charakterzüge
des hl. Thomas zuſammen. Er ſchließt
dieſen Teil mit den Worten der Ranoni«
ſationsbulle ab. Dieſe hebt vor allem her-
vor, daß St. Thomas ein Mann war, ganz
losgelöft vom Irdiſchen, nur auf die Er⸗
langung der himmliſchen Güter gerichtet.
In ſeiner hingabe an das Studium ſtellte
er das Göttliche voran, indem er treu den
Pflichten der Frömmigkeit nachkam. Er
war keuſch, demütig, mäßig; im Verkehr
mit andern war er mild, wohlwollend,
teilnehmend; er verachtete den Glanz ir⸗
difher Ehren. Er widmete ſich fo [ehr
dem Studium der Hl. Schrift, dem Gebete
und dem Unterrichte, daß er keinen Augen-
blick unbenützt vorübergehen ließ. — In
einem zweiten Teil hebt der Derfaffer die
Weſenszüge im Seelenleben des hl. Thomas
heraus: tiefe Weisheit, Liebe, Friede,
sapientia, charitas, pax. Thomas iſt ein
durch und durch beſchaulicher Seiſt, der ganz
und gar in der Welt des Überſinnlichen
(als Metaphuſiker), des Übernatürlichen
(als Theologe) und Göttlichen (als Myfti-
ker) lebt. Er erſcheint voll glühender
Gottes liebe, die ſich namentlich in feinem
Gebetsleben und der Weihe feines ganzen
bebens an Bott, in der Gotthingegeben⸗
heit feines Innen- und Außenlebens aus-
ſpricht. Endlich erſtrahlt in ihm eine ſeltene
Harmonie undfflusgeglichenheit des Cha-
rakters, der durch Reinerlei ungeordnete
beidenſchaft getrübt oder geſtört wird.
Dieſe drei Weſenszüge im Charakterbild
des hl. Thomas ſind vorzüglich aus den
verſchiedenen Schriften des heiligen Lehrers
ſelbſt herausgeſtellt. Nicht mit Umecht
wird des öfteren betont, daß Thomas in
manchen theologiſchen Abhandlungen z. B.
über die Kardinaltugenden, über die Won⸗
nen der hl. Kommunion, ein Bild feines
eigenen Seelenlebens gibt. &rabmann
ſpricht von einem euchariſtiſchen und von
einem benediktiniſchen Jug (8.70 u. 76 f.) in
der Pſuche des Aquinaten. — Ein dritter
Teil trägt den Titel: Chriſtus und das
Seelenleben des hl. Thomas. „Wir
können das Seelenleben des hl. Thomas am
tiefſten verſtehen, wenn wir es in der
inneren Lebens» und Liebesbeziehung zu
geſus Chriſtus auffaffen” (8. 101). Chriſtus
iſt „für den hl. Thomas Urquell und In-
begriff aller Weisheit“. Insbeſondere iſt
das „Kreuz des Herrn für Thomas wie
der Quell der Weisheit, ſo der Flammen⸗
herd der glühenden Sottes- und Chriftus-
liebe“. „Aus der Derfenkung in das hei ⸗
lige, Seelenleben Jeſu Chriſti“ hat Thomas
„den Frieden feiner eigenen Seele, der
aus der Nachfolge Chriſti in der harmo-
niſchen Übung, der von Liebe beſtrahlten
und erwärmten chriſtlichen Tugenden quillt,
in ſich aufgenommen“ (108).
Srabmann zeichnet das Seelenleben des
hl. Thomas mit ebenſoviel Liebe als Sach;
lihkeit. Man fühlt aus jeder Zeile den
Renner des hl. Thomas heraus. Das Stu-
dium des in edler, einfacher Sprache gehal ·
tenen Schriftchens bietet dem Verehrer des
großen Heiligen vielen Genuß. Unſeret
ſtudierenden Jugend ſtellt der Derfaffer
in St. Thomas ein herrliches Vorbild für
die eigene Seelenhaltung auf, ein Bild,
an dem jedermann erſehen kann, wie ſeht
Uatur und Übernatur, Wiſſen und Glaube,
Religion und Bildung, harmoniſch geeint,
die Seele befruchten und adeln.
Jubiläen mögen manchmal bloße Mode⸗
ſache fein. Wenn fie großen Perſönlich
keiten und Ereigniſſen gelten, werden ſie
ihre aneifernde Wirkung nie verfehlen.
vorausgeſetzt, daß wir gewillt ſind, uns
aneifern zu laſſen.
Maynage, P. Th., O. P., Univerfitäts-
profeſſor in Paris, Die Religion des
Spiritismus. Aus dem Franzöſiſchen
überſetzt von Jakob Hoffmann. kl. 8°
(120 8.) Limburg 1924, Gebr. Steffen.
Geb. M. 1.20
Ein neuzeitlicher Ordensbruder des hl.
Thomas behandelt hier in ſechs Kapiteln
die Themata: Spiritismus und Chriften-
tum, die wiſſenſchaftliche Beweisführung
des Spiritismus, Prüfung der ſpiritiſtiſchen
Tatſachen, der Aſtralleib, Spiritismus ohne
Seiſter, die Botſchaften, die Kirche und der
Spiritismus.
nach einer kurzen Darſtellung der Be-
ſchichte des Spiritismus kennzeichnet er
den Spiritis mus als Theorie, als ein Glau-
bensſuſtem und ſtellt dieſer Religion die
katholiſche Lehre entgegen. „Ein Ratholik
kann nicht zugleich Spiritift fein“. Die
Rernfrage lautet: Exiſtieren die [Zeugen
der neuen Offenbarung oder exiſtieren fie
nicht? Die Spiritiſten antworten mit einer
Fülle von Tatſachen: dieſe könnten ihre Er⸗
klärung nur in dem Einwirken vernunft«
begabter und tätiger Weſen finden, welche
von uns verſchieden ſind und nur der Welt
der „Entfleifhten” angehören könnten.
Ift dieſe Schlußfolgerung berechtigt? „Unter
Berũckſichtigung des Fehlens einer ſtrengen
Kontrolle, der Unbeſtimmtheit der Berichte
und der erwieſenen Betrügereien müſſen
wir annehmen, daß ſpiritiſtiſche Tatſachen
ſeltener find, als die Spiritiften angeben“
(56). „ad dem Spiritismus iſt die neue
Offenbarung abhängig vom Vorhanden.
ſein des Aſtralleibes. Dieſer Aſtralleib iſt
nicht vorhanden. Wenn der Spiritismus
durchaus an der Behauptung feſthält, daß
der Aſtralleib exiſtiert, fo ſteht gerade
der Hſtralleib der klaren Erkenntnis der
Beifterbotfchaften hindernd im Wege“ (74).
Somit ſcheint, „daß die Spiritiſten in ihrem
Wahn, mit Seiſtern zu verkehren, nur
den Widerhall ihrer eigenen Gedanken oder
derjenigen ihrer ſuggeſtionierten Medien
wahrnehmen“ (94). Die Kirche lehnt den
Spiritismus mit Recht ab. (Die letzte kirch ·
liche entſcheidung fiel erſt am 24. April
1917.) Sie ſpricht ſich über das Weſen der
ſpiritiſtiſchen Dorgänge nicht aus; fie
verbietet den Gläubigen, an den ſpiriti⸗
ſtiſchen Derſuchen teilzunehmen; fie ver-
mutet bei den ſpiritiſtiſchen Kundgebungen
293
ein mögliches Einwirken hölliſcher Sei⸗
ſter (110). |
P. Maynage verfügt über eine klare,
treffſichere Cogik. Er zeigt, wie die Lehren
des Spiritismus mit der Dernunft im Wider-
ſpruch ſtehen und wie insbefondere die
ſpiritiſtiſchen Cat ſachen ſoweit fie be;
ſtehen, auf ganz natürliche Urſachen zu⸗
rückzuführen find. Er gibt zu, das einzelne
von den Spiritiften berichtete Tatſachen
auf Wahrheit beruhen, ein Seſtändnis,
das nicht einmal alle machen werden; vgl.
P. N. Brühl C. Ss. R., Gibt es okkulte
Kräfte? Linzer Theol. Prakt. Quartal -
ſchrift 1924 8. 35 ff.
Die ÜÜberfegung ift verſtändlich und lieſt
ſich leicht. Wie im Original, fo find auch
in der Überſetzung die Fundftellen leider.
fo gut wie nicht angegeben. Der Über ⸗
ſetzer fühlt und bedauert dieſen Mangel
(4), dem er der Verkehrs ſchwierigkeiten
wegen nicht abhelfen konnte. Im übrigen
war die Überſetzung der Schrift wohlbe-
rechtigt; fie verdient weiteſte Derbreitung.
P. Benedikt Baur (Beuron).
Paſtoral und Aſgzeſe
Chrift, Joſ., 8. 9., Der Laienapoftel.
I. Des Mannes Aredo. Ausgewählte
Rerngedanken aus allen Jahrgängen des
„Männerapoftolats“ zur religiös - wiffen-
ſchaftlichen Weiterbildung des Mannes. 8°
(294 8.) Aevelaer 1923, Joſeph Bercker.
Kartoniert M. 2.—, Peinenerſatz M. 3.—,
beinen II. 4.—
Seit 1912 arbeitet das von den Päpſten
Pius X. und Benedikt XV. warm emp-
fohlene „Männerapoſtolat“ ; unermüdlich
und mit beſtem Erfolg an der religiös-
ſittlichen Feſtigung und Vertiefung der
katholiſchen Männerwelt. Es wäre ſchade
geweſen, wenn die in dieſer Monatſchrift
gebotenen Gedanken und Anregungen der
Dergeffenheit anheim gefallen wären. Des-
halb unterzieht fich der eifrige erſte Heraus»
geber, der hochwürdige P. goſ. Chriſt, der
verdienftlihen Mühe, das Wertvollſte und
Schönſte aus allen Jahrgängen auszu⸗
wählen, nach fachlichen Seſichtspunkten
zu ordnen und in handlichen Bändchen zu
vereinigen. Der erſte bis jetzt erſchienene
Band, des Mannes Aredo, enthält Be-
lehrungen „über die Glaubenswelt des
294
Mannes, damit er fein Kredo wieder über-
zeugungstreuer bete“. Es find keine trok-
kenen abftrakten Abhandlungen, ſondern
kurze anſchauliche und packende Dar⸗
ſtellungen, die durch zahlreiche Beiſpiele
und ſpannende Erzählungen belebt werden.
Welcher Mann hätte nicht ein ſtarkes
Rüſtzeug nötig in dem furchtbaren Kampf,
der heute um die Sache Chriſti und ſeiner
kirche entbrannt iſt? Jeder, der dieſes
Bändchen langſam und beſinnlich lieſt,
wird in tieffter Seele ergriffen, mit feuriger,
tätiger Chriſtusliebe erfüllt und kämpft
entſchloſſen in der vorderſten Reihe „die
Kämpfe des Herrn“. Auch der akademiſch
Sebildete wird aus dem Bude, das den
koſtbaren Inhalt in vornehmer, ſprach⸗
gewandter Form bietet, reiche Anregung
ſchöpfen. Mit freudiger Erwartung ſehen
wir den beiden folgenden Bändchen ent-
gegen, die des Laienapoftels Wirken und
eingreifen in Welt und Kirche ſchildern
werden.
P. Ignatius Stützle (Maria-Paach).
Anor, 9. b., Das Coienapoftolat. Pre-
digten auf die Sonntage des Kirchenjahres.
8° (267 8.) Aachen 1923, Xaverius-Derlag.
M. 2.50
mehr als in anderen Zeiten tut heute not
gegenüber den Apofteln, die Böſes ſäen,
an gute Saat zu denken. Dazu fordert nor
auf. Es iſt keine feurige, hinreißende Be⸗
redſamkeit, die uns in den 45 Predigten
Anors geboten wird; reoͤneriſche Auswer-
tung der Texte, durchſchlagende, packende
Beweisführung geht ihnen ab. Dennoch
verdient der Derfaffer diefer [lichten Pre⸗
digten Anerkennung; einmal für die plan»
mäßige Behandlung des Daienapoſtolates
und Hervorhebung zahlreicher Möglichkei⸗
ten feiner Betätigung, ſodann für das mit
ſo großem Fleiß für die einzelnen Themata
geſammelte, reichliche Material und für die
weiteren LGiteraturangaben. Der Benutzer
des Werkes, der, wie der Derfaffer es emp»
fiehlt, vom „Adoptieren“ abſehend, ſich auf
das „Adaptieren“ verſteht, wird in ihm
viele gute Anregung und recht brauchbaren
Stoff finden. Für die Faſtenſonntage ſind
Reine Predigten angeſetzt; am Ofterfonntag
ift unpaffend das Apoftolat der Frau im
allgemeinen behandelt.
P. Hieronymus Riene (Beuron).
v. Hirſcher, Dr. Joh. Bapt., Betrach⸗
tungen über die ſonntäglichen Evan.
gelien des Kirchenjahres in zeitgemäßer
Ueubearbeitung von Dr. Auguftin Wib-
belt. 2. Aufl. 8° (432 8.) Limburg 1923,
Steffen. Broſch. I. 5.—; geb. I. 6.—
bieſt man des Herausgebers Dormort
(8. 7), daß es ſich hier um eine fo , dutch ·
greifende Umarbeitung“ handle, daß „kein
Satz des Originals ſtehen geblieben if”,
ſo möchte man über ſolche Pietätlofigkei:
faſt erſchrecken oder zürnen. Zum Glüch
iſt aber Wibbelt nicht ſo rückſichtslos vor ·
gegangen. Er gibt auch ſelbſt zu, daß
die Gedankenfolge des Originals in allen
Einzelheiten, unverändert“ gewahrt wurde,
ja auch „der Charakter der Sprache, ſoweit
als möglich“. Wir hätten es lieber gefehen,
wenn er in letzteren Punkte weiter ge ·
gangen wäre und da und dort die friſche
und anſchauliche Sprache Hirfchers hätte
fortklingen laſſen, ohne ſie durch Umſchrei⸗
bungen und Kürzungen zu erfegen, die
matt wirken. Huch hätten wir dem Buche
eine gefälligere Ausftattung gewünſcht und
eine forgfältigere Durchſicht der Druckbogen.
Wenn auf 8.145 — 149, alfo auf vier Seiten
nicht weniger als ſechs Druckfehler ftehen, fo
ift diefer Fall leider nicht ganz vereinzelt.
Don herzen wollen wir aber dem Heraus:
geber dafür dankbar fein, daß er Hirſchers
Betrachtungen einem großen Geferkreife zu
verhältnis mäßig billigem Preiſe wieder zu:
gänglich gemacht hat. Mag auch manche
Ausführung des Derfaffers etwas zu fehr
in die Breite gehen, mögen einige Züge
der Parabeln eine etwas geſuchte Deutung
erhalten, ſo leuchtet doch der Reichtum det
heiligen Evangelien wunderbar vor uns
auf, und in eindringlicher Weiſe wird uns
gezeigt, wie vielſeitig die Beziehungen der
Worte Chriſti zu unſerem Deben find. Eine
wohltuende, dem Ganzen entſtrömende
Wärme trägt dazu bei, daß wir die Winke
und Mahnungen mit bereitwilligem Her:
zen aufnehmen.
B. Dominikus Johner (Beuron).
Dom hl. Kaiſer heinrich (+ 13. Juli 1023)
und feinem Jubiläum ſoll noch die Rede fein.
Inzwiſchen fei u. a. das!, St. Heinrichsheft“
die Ur. 27 der Münchener „Allgemeinen
Rundſchau“ und das charakterfeſte Blatt
ſelber einmal allgemein empfohlen.
295
Aus dem Orden des hl. Benediktus
Papſt Pius XI. an feinen geliebten Sohn Fidelis von Stotzingen,
Abt⸗ Primas des geeinten Benediktinerordens.
Seliebter Sohn,
Sruß und Apoftolifhen Segen!
Eingetenk der Worte, mit denen der Erlöfer des Menſchengeſchlechtes im Angeficht
des Todes feinen Dater anflehte, daß alle eins ſeien, wünſchen wir nichts
ſehnlicher, als daß aller Iwieſpalt ein Ende habe und ſämtliche Dölker ſich wieder
zur Einheit der katholifhen Kirche zurückfinden, damit fo ſchließlich eine Hürde
und ein Hirte werde. heute richtet ih unſer Sinn vor allem in Liebe auf die
großen Dölkermaffen Rußlands. Uns ſcheint, die unerhörten Leiden, die (wie wohl
nie zuvor) über fie hereingebrochen find, riefen fie zurück in die Arme der Mutter-
kirche. Wer könnte uns aber bei dieſem Werk der wiederherzuftellenden Einheit
ſchätzens wertere Hilfe leiſten als die eifrigen Mönche des Abendlandes, die ih um
die chriſtliche Kultur ſtets fo verdient gemacht haben? Aus dem Oſten nahm ja das
Mönchtum feinen Urſprung, und [don vor dem traurigen Schisma ſtand es in
ſchönſter Blüte, vor allem unter St. Benedikts Führung, den auch der Oſten als den
Patriarchen des abendländiſchen Mönchtums hoch verehrt. Dazu hält das Mönchtum
heute noch feſt an den Lehren, die es von den Vätern überkommen hat, an feinem
Eifer für die heilige Liturgie und an den weſentlichen Formen älteſten mönchiſchen
bebens. Das alles ebnet gewiß den Benediktinermönchen die Wege zu diefem Apoſtolat
und zur Wiedergewinung unferer verlorenen Brüder. Damit nun ein fo heiliges
Unternehmen in monaſtiſcher Weiſe verwirklicht werde, tragen wir Dir auf, geliebter
Sohn, ein Rundſchreiben an alle Äbte und Mönche des Ordens zu richten, fie ein ⸗
zuladen zu inſtändigem Gebet zu Bott um die Einheit, ſowie zu tätiger Inangriff-
nahme zweckdienlicher Werke. Es wäre wünſchenswert, daß die Äbte in gemein⸗
ſamer Beratung je eine Abtei in ihrer Kongregation oder wenigſtens Uation eigens
hiefür beſtimmten, die unterſtützt von den übrigen Alöftern ihre befondere Liebe
und Mühe diefem edlen Plane weihte. Dieſe Abteien ſollen beſtehen aus einer Schar
ſorgſam auserlefener Mönche, die entſprechend gründlich ausgebildet — in Sprache,
Beſchichte, Charakter und Beiftesart, beſonders aber Theologie und Liturgie jener
Dölker — recht befähigt wären, das Werk der Einheit zu fördern. Das wird Luch
um fo eher gelingen, wenn ihr die talentvollſten Euerer Mönche nach Rom an das
Orientaliſche Inſtitut ſendet und durch Wort und Schrift dazu beitragt, daß auch
im Abendland die Sehnſucht nach Einheit und die Aenntnis der Hontroverspunkte
zwiſchen dem Oſten und uns ſich erweitert. Schließlich wünſchen wir ſehr, geliebter Sohn,
daß alle Mitglieder dieſer Abteien den Slaben aus Rußland, die bei uns fern der
heimat weilen, alle Liebe und Freundlichkeit entgegenbringen. Wenn fie den ka⸗
tholiſchen Glauben kennen lernen oder — ſchon zur Blaubenseinheit zurückgekehrt —
in das mönchiſche Geben eingeführt werden wollen, dann nehmt fie auf in brüder⸗
licher Gaſtlichkeit, die ihr ja ſo ſchätzt, und lehrt ſie, wie ſie fromme Söhne der Kirche
und, fo Sott will, gute Mönche werden. Deshalb laß es Dich nicht verdrießen, ge⸗
liebter Sohn, dieſen neuen Plan mit allem Uachoͤruck zu verfolgen, mit dem ſich
verheißungsvoll die Hoffnung auf beffere Zeiten verbindet. Denn wenn Bott feine
Gnade dazu gibt, wird auf diefe Weiſe einmal ein Kloſterverband des flaviſchen
Ritus entſtehen, deſſen Erzkloſter Mönche des Oſtens und Weftens in dieſer Stadt
(Rom), dem Haupt des chriſtlichen Namens, zu einer gemeinſamen Familie umſchließt.
Dies Kloſter würde dann wieder zum Ausgangs- und Mittelpunkt neuer Klöſter
werden, die ſich zu feiner Zeit in Rußland felber bilden würden. Unterdeſſen leben
wir der frohen Hoffnung und erflehen Euch von Bott die nötige hilfe. Des zum
Unterpfand und zum Zeichen unſeres beſonderen Wohlwollens erteilen wir Dir,
296
geliebter Sohn und allen Äbten und Angehörigen des Ordens aus ganzem herzen
den apoſtoliſchen Segen.
Gegeben zu Rom bei St. Peter, den 21. März, am Feſte St. Benedikts im Jahre
1924, dem dritten unſereres Ponifikates. Papſt Pius XI.
Brief aus Ungarn.
Sitursits Woche in Budapeft. Im Januar dieſes Jahres hatte der Verein
der Religionslehrer und Katecheten in der Aula des Seminars von Budapeſt
unter Mitwirkung der Benediktiner P. Xaverius 8zunuogh, P. Hildebrandus Dar ⸗
konyi und P. Florian Kühaͤr einen liturgiſchen Kurs abgehalten, welcher vorläufig die
Srundlage zur weiteren Bewegung bildet. Eröffnet hat den Kurs P. Cſernoch, Rar-
dinal und Fürſtprimas von Esztergom; beendet wurde die Woche durch das vom
Nuntius 6. Schioppa abgehaltene Hochamt. Es fanden täglich zwei Vorträge Ttatt;
einer wurde jedesmal den Benediktinerpatres vorbehalten. Jahlreiche Prieſter aus
dem Welt- und Ordensklerus haben aus den Vorträgen Sinn und Bedeutung der
Liturgie kennen gelernt; es wurde beſchloſſen, in den Seminarien eigene LGehrftühle
für Giturgie zu errichten und Kurſe auch für Laien abzuhalten. Die Dorträge wur⸗
den im Druck veröffentlicht.
Dolksmiſſion in der Diafpora von Alföld. Zeit der türkiſchen Zeit
(1526 - 1687) blieb die Kirche in den fruchtbaren Gegenden zwiſchen Donau und
Theiß und jenſeits der Theiß (Tiſza) ziemlich verwahrloſt. Die Bevölkerung wurde
proteſtantiſiert; die Katholiken lebten mancherorts in riefiger Entfetnung von den
Pfarreien einſam auf ihrer Tampa (Bauernhof), ohne Religionsunterricht, ohne So⸗
kramente. Baronin von Ifeer in Tifzany, die ſich unter die Oblatinnen des hl. Bene
diktus aufnehmen ließ, arbeitet feit zwei Jahren mit ihren tüchtigen Oblatenkateche⸗
tinnen auf einer am meiſten gefährdeten Diaſpora. Voriges Jahr hat P. Florian
Kühär eine Dolksmiffion dort abgehalten; im März dieſes Jahres ſtanden ſchon vier
Patres (P. qacobus Blazovich, Theodofius Tlifzler, Benediktus Jung, Paulus Saͤrközu)
in der Miffionsarbeit, die ſchöne Früchte erzielte und das ſchlummernde katholiſche
Bewußtſein wieder zu neuem beben erweckte. Die Miſſionen mußten größtenteils
in Shulzimmern abgehalten werden, da andere Räume nicht zur Verfügung ſtehen.
beute, die früher lebenslang kaum einen katholiſchen Prieſter geſehen haben, wur-
den in den Wahrheiten des Katechismus unterrichtet und zum Beichtſtuhl (oft das
erftemal in ihrem Leben) geführt. Dieſe Seelforgsarbeiten unſerer durch ihre Schul
tätigkeit ohnehin ſehr in Anſpruch genommenen Patres hat viel Anerkennung ſeitens
der Biſchõöfe gefunden.
Literatur. P. Dr. Xaver 8zunyogh gab in ungariſcher Überſetzung Jörgenſens
„Unſere Liebe Frau von Dänemark“ heraus; P. Dr. Egidius Schermann, General
vikar des Erzabtes von Pannonhalma, veröffentlichte ein treffliches Büchlein über
die öftere, tägliche kommunion, ein Werk, das ſich durch Fülle der theologiſchen 6e
lehrſamkeit, weiſes Maßhalten, ſowie großen praktiſchen Sinn auszeichnet und die
liturgiſche Bewegung ſchön mit dem Aommuniongedanken verbindet. P. Dr. Florian
KRühär veröffentlichte eine eingehende Würdigung des Foerſterproblems in der Zeit-
ſchrift „Magyar Kultura“. B. Dr. Hildebrand Därkonyi ſchrieb ein gediegenes Werk
über Thomas von Aquin.
es ließe ſich noch manches berichten, aber es ſei für diesmal genug. Es weht
ein Oſtergeiſt in Ungarn, ein Beift der Auferſtehung; da möchten wir Benediktiner,
deren Ahnen bei der Geburt der ungariſchen katholiſchen Kirche faſt ausſchließlich
mitgewirkt haben, auch bei der Wiedergeburt das Unſere mittun.
B. Florianus Rühär (Pannonhalma).
Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern),
für die Schriftleitung verantwortlich: B. Willibrord Derkade,
gedruckt und verlegt vom Runſtverlag Beuron.
DEN Google
"Singejog ne Sısguuoy ug
297
Die literariſche Bekämpfung
des Chriſtentums in der Antike.
Don P. Friedri Anwander (St. Ottilien).
as katholiſche Chriftentum hat die Welt für ſich gewonnen. In
dem gewaltigen Einſchmelzungsprozeß, aus dem ſchließlich die
antik mittelalterliche chriſtliche Rultur ſich emporhob, iſt eine Fülle
jüdiſchen, orientaliſchen und helleniſtiſchen Metalls verwertet worden.
80 wichtig und lockend es iſt, dieſes religiöfe Urgut nach Gehalt und
gewicht abzuſchätzen, noch ſchöner iſt es, die göttliche Feuerkraft zu
bewundern, die den ungeheuren Stoff durchglühte und bezwang, und
hinzuhorchen auf den hellen Blockenton der Frohbotſchaft geſu Chrifti,
der aus dem umgeſchmolzenen ſchwarzen, ſchweren Metall der Reli-
gionsgeſchichte tröſtlich an unſer dürſtendes Ohr dringt. Wir ſind es
gewohnt, vom Sieg des Chriftentums zu ſprechen. Aber von der
Bröße dieſes Sieges machen wir uns kaum einen vollen Begriff. Es
wäre eine erhabene Lebensarbeit für einen katholiſchen Gelehrten,
uns einmal ein Bild der ſtreitenden Kirche von Paulus bis Boethius
und Caſſiodor zu entwerfen und uns in der Rüftung der modernen
Wiſſenſchaft und in der But erleuchteter Glaubensüberzeugung auf die
vier Ariegsfhaupläße zu führen, auf denen die Kirche vielfach
gleichzeitig kämpfen und fiegen mußte, follte das Werk geſu Chriſti
nicht umſonſt getan ſein.
Wie ſchwer war der jungen Gemeinde die boslöſung vom Juden«
tum. Der konflikt zwiſchen Petrus und Paulus in Antiochia (Sal. 2)
läßt uns blitzartig ſchauen, was auf dem Spiele ſtand. Bebräerbrief
und Barnabasbrief werfen Schlaglichter auf den Bang der Entwicklung.
Im zweiten Jahrhundert mußte Juſtin im „Dialog mit dem Juden
cruphon“ ſich des reorganifierten Judentums erwehren, und immer
wieder bekamen die Chriſten den Haß dieſes Volkes zu fühlen, das
zudem dem heidentum die erſten Waffen gegen die „Abtrünnigen“
lieferte. Aber unterdeſſen hatten ſich die brauenden Nebel des all⸗
gemeinen Sunkretismus zu einer religiöfen Bewegung verdichtet, die
durch kultiſches Wiſſen Selbſterlöſung zu gewinnen hoffte und die,
obwohl im Dualismus und in der Magie des Orients wurzelnd, auch
die griechiſche Philoſophie und die chriſtliche Religion ſich dienſtbar
machen wollte, einer Bewegung von ſo unheimlicher Werbekraft und
ſo irreführenden, bezaubernden Reizen, daß es unmöglich ſchien, das
klar gerichtete katholiſche Chriſtentum ihr gegenüber durchzuſetzen.
senebiktniſche Mionatſchrin VI (1924) 910. 19
298
Und während die kirche mit dieſem furchtbaren Aberglauben, dem
Snoftizismus, auf beben und Tod rang!, drohte ihr die Häreſie
die Wahrheit vom Dreieinigen Gott und vom Gottmenſchen geſus
Chriftus zu verderben. Man wollte es nicht wahr haben, daß die
Wahrheit gerade in dem polaren Spannungsverhältnis liegt, daß in
Gott ein Drei-Eins und in Chriftus ein Zwei-Eins „unvermiſcht und
unzertrennt“ in realer Wirklichkeit exiſtiert. In jahrhundertelanger
Arbeit hat die theologiſche Schule von Alexandria, treu unterftüßt von
den kappadoziſchen Dätern, aber auch von Tertullian und Rom, eine
Grundlage geſchaffen, auf der Auguſtinus und Thomas den Dom des
katholiſchen Slaubensfyftems errichten konnten, nachdem die Antike
ihre beſten Güter in den Schoß der Kirche gelegt hatte, ehe fie felber
ſtarb. Plato und Plotin, die Stoa und der Cunismus, Cicero und Dergil,
endlich, wenn auch ſpät gebührend geſchätzt, Ariftoteles — wer zählt
all die tauſend Fäden, die ſich von griechiſcher Philoſophie und tö-
miſchem Recht, von Geift und Sprache, von Dichtung und Leben der
alten Welt in die neue chriſtliche Welt hinüberſpinnen? Und doch hat
die helleniſtiſch⸗-römiſche Kultur eine vierte und vielleicht die ge⸗
waltigfte Auseinanderfeßung mit der Predigt des galiläifhen Rabbi
gehabt. Denn in dem Mittelmeerbecken, nicht in dem ſemitiſchen
Mutterboden, hat das Chriſtentum zunächſt Wurzel geſchlagen, und es
gab hier wirklich nur ein „Entweder⸗Oder“, ſobald Staat und Befell-
ſchaft einmal erkannt hatten, daß Dunamit an ihre alten, heidniſchen
Fundamente gelegt war. Entweder man befolgte das große keravosite,
denket um und bekehret euch zu mir von eurem ganzen herzen, — oder
man mußte das Chriftentum ausrotten, durch Deradytung, Hohn, Witz,
Verleumdung, Verführung, geiftige Anechtung, Marter, Tod — gleich⸗
viel, es durfte nur nicht leben. Der Hellenismus iſt zunächſt den zweiten
Weg gegangen. Er hat das Chriftentum verſchmäht. Als um die Mitte
des erſten Jahrhunderts die Juden ihre heidniſchen Mitbürger auf die
verhaßte Chriſtenbrut aufmerkſam machten, da haben führende kireiſe
kaum etwas anderes als hodymütige UDerachtung und unſäglichen Wider:
willen übrig gehabt für dieſen „Ekel des Menſchengeſchlechtes“, odium
generis humani (Tacitus), für dieſe neue Sekte von Zauberern secta
nova et malefica (Sueton), und ſelbſt geſcheite beute haben ſich nicht
entblödet, die Chriſten mit dem Kot der ZSaſſe zu bewerfen: die Chriſten
find Eſelsanbeter, Kindsſchlächter, Sodomiten, Hochverräter — ach, bei
diefem Sklavenpack war ja alles möglich! Ihre Lehren und ihr Geben
ernſtlich zu prüfen, das wäre wahrlich zu viel verlangt für einen edlen
Hellenen. Der Staat hielt mit ſeiner Stellungnahme noch zurück. Wie
299
unſicher iſt das Urteil des Statthalters von Bythinien, Plinius, wie
vorſichtig, im runde inkonſequent erſt recht die Antwort des
Baifers Trajan auf deſſen Brief! Der Staat hat eher die Dolkswut
gezügelt, er wollte wenigſtens die Miene des Unparteiiſchen aufſetzen.
Das wurde freilich anders ſeit dem berühmten Derfolgungsedikt des
Raifers Decius. Nun war der Staat nicht mehr der unparteiiſche
Richter vermeintlicher chriſtlicher Derbrechen, nun war er ſelbſt Partei,
nun fühlte er die Derweigerung des Raiferopfers als Stoß in fein
eigenes Herz:. Der zielbewußte Angriff eines immer noch fehr
mächtigen, wohlorganifierten und kalt berechnenden Imperiums ließ
den Chriſten kaum zum Bewußtſein kommen, daß jetzt dafür breite
Schichten der Geſellſchaft nicht mehr eine ſchroff abweiſende, ja ſogar
eine teilnehmende und verſöhnliche haltung an den Tag legten. Wer
aus dieſen hätte auch für die Chriften Ehre, Dermögen und Leben
wagen wollen? Ruch trat dem Staat ein neuer Bundesgenoſſe zur
Seite: die Wiſſenſchaft, genauer: die Philoſophie und die Rhetorik.
Wir können beweiſen, daß es vielfach niedere Motive waren, die den
Sophiſten und Philoſophen die Feder in die hand gedrückt haben;
aber gerade die wichtigſten Rampffchriften gegen das Chriftentum find
damit nicht erklärt. In ihnen ſpricht ſich vielmehr ein ſtarker, keine
Mühe ſcheuender Wille aus, das Chriſtentum aus inneren Gründen als
unhaltbar zu erweiſen. Für uns aber bringen ſie die Schwäche jedes
heidentums und die Stärke des chriſtlichen Gedankens überzeugender,
klarer, unmittelbarer zum Ausdruck als viele Rpologien der Chriften
jener Zeit, die in der Hitze des Hahkampfes die Probleme nicht über-
ſchauten und an die uns ſo wenig befriedigenden Beweismethoden der
Antike gebunden waren’. Inſofern verdienen die ktampfſchriften des
alten heidentums einiges allgemeine Intereſſe, zumal fie noch nicht in
dem Maße wie die apologetiſchen Leiftungen der Dñäter“ zufammen-
faſſend gewürdigt worden ſind.
nach dieſer aufklärenden Einleitung darf ich mich nun über die Be⸗
ſchränkung meines Themas kurz faſſen: Es kann nicht mein Beſtreben
fein, die ganze Rampftätigkeit des Hellenismus zu entrollen. Kundige
beſer wiſſen, welch erdrückende Fülle von Material hierfür zu be⸗
rückſichtigen wäre. Huch nicht alle die Formen, unter denen ein
geiſtiger krieg im Altertum ausgefochten zu werden pflegte, finden
Berückſichtigung. Bei der Bedeutung, welche in der Antike die Runſt
der Beredſamkeit hatte, bei der marktſchreieriſchen Art, wie alle mög;
lichen Wanderphiloſophen ihre Weisheit ausboten und öffentliche Kritik
übten, mußten ſich die Chriften zur Rettung ihrer Sache oft in ge⸗
19*
300
legentliche oder feierlich angefagte Disputationen einlaffen. 50 er⸗
fahren wir, daß dem hl. Juſtinus im Rom der Cyniker Crescens ins
Angeſicht widerftand. Dieſe Wortgefechte hörten auch ſpäter, nach dem
äußeren Sieg des Chriſtentums nicht auf. da das gelehrte Heidentum
noch ein langes, zähes Leben friſtetes. Ebenſowenig iſt es meine Ab»
ſicht, die gelegentlichen feindſeligen Äußerungen oder die indirekt ab⸗
lehnende Stellungnahme gegen das Chriſtentum in der heidniſchen
Literatur genau zu regiſtrieren und zu unterſuchen. Nur die Aampf-
ſchriften im engeren Sinn möchte ich ins Geſichtsfeld rücken.
Das ſind nun freilich nicht viele, und die, deren Namen uns kund
geworden ſind, haben ſich nur teilweiſe durch Scharfſinn und mühevolle
Arbeit, dabei doch lückenhaft und häufig unſicher wiederherſtellen
laſſen. Nur was ſich in chriſtlichen Widerlegungsſchriften erhalten —
ſo weiß ſchon Chruſoſtomus — nur das iſt auf uns gekommen. Die
Orginale hat der Zorn der Sieger und kaiſerlicher Machtwille ver⸗
nichtet. Die 15 Bücher des Porphurius gegen die Chriſten hat The⸗
odofius II. ausdrücklich dem Feuer überantwortet, und der Code
guſtiniani fügt allgemein bei: „oder wer fonft Chriftenfeindliches ge⸗
ſchrieben hat.“ Sogar die chriſtlichen Derteidigungen find großenteils
und nicht bloß aus den allgemeinen Gründen der Zeit zum Opfer ge⸗
fallen. man wollte die böſen, gefährlichen Namen überhaupt nicht
mehr in Erinnerung gebracht haben. Für uns ſind die alten haſſer
ins kühle bicht der Seſchichte gerückt. Aber indem ich fie mit dem
Wahrheitsauge des hiſtorikers betrachte, hoffe ich der göttlichen Wahre
heit auch in der Gegenwart einen Dienſt zu tun.
Nicht eigentlich polemiſche Literatur gegen das Chriſtentum, obwohl es manchmal
dafür gilt, iſt folgendes: Die abträglichen Außerungen eines Tacitus (Ann. 15, 44),
Sueton (Nero 16; Claud. 25), Plinius (Ep. 10, 96 f.), Iürc Aurel (Monol. 11, 3),
Epiktet (Arrian., Epict. diss. IV, 7, 6), Galen (De puls. diff. 2, 4; 3, 3 — doch
ſtammt von Galenus auch ein hohes Lob der chriſtlichen Reufchheit, wie überhaupt
vereinzelt eine unbefangene Anerkennung chriſtlicher Tugenden ausgeſprochen wird);
die Reſte kaiſerlicher Reſkripte gegen die Chriften, die groben Verwechslungen, die
den heiden bei ihrer oberflächlichen Kenntnis des Chriſtentums mitunterliefen. 80
verwechſelt Dopiscus (Vita Saturn. 8) die Chriften mit den Verehrern des Serapis;
Phlegon (bei Orig. Contra Cels. 2, 14) verwechſelt Chriſtus mit Petrus!“ Mit dieſer
Oberflächlichkeit hängt es zuſammen, daß man zuweilen nicht weiß, ob ein biſſiges
Wort wirklich den Chriſten zugedacht iſt. Des Apuleius Spott über eine Monotheiſtin
(Metamorph. 11, 14) könnte auch gegen eine Jüdin gehen, des Ariftides Unwille
über das bettelhafte Dolk, das mit feiner Entfagung groß tut und Unverſchämtheit
für Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit hält (Or. 46), will vielleicht eher die Cuniker
treffen’. Ebenfo ift es unklar, ob bei Pfeudo-Dio Chruſoſtomus (Or. Corinth. 37)
die Chriſten getroffen werden wollen. Jedenfalls handelt es ſich an all diefen Stellen
nur um gelegentliche Ausfälle. Auch der große Spötter Lucian kann nicht unter
die literariſchen Gegner der Chriſten eingereiht werden. Was er über die Chriften
801
fagt (Peregrinus 11. 12/3. 16. 39; vgl. Alex. s. Pseudomantis 25. 28) iſt freilich nicht
ſchmeichelhaft. Er ſtreut zwar ungewollt das wichtige Lob ein, daß die Chriften mit nur
wenigen den Erzgaukler Alexander durchſchaut haben. Aber fonft find fie ihm leicht»
gläubige, gutmütige Tollköpfe, die aus Derehrung für ihren gekreuzigten „Sophiſten“
und fein Liebesgebot einer Kreatur wie jenem Peregrinus Glauben ſchenken, ihm
wichtige Ämter anvertrauen, ihn im Gefängnis freigebig unterftügen und ihn ſchließ
lich nur des halb preisgeben, weil „er etwas Derbotenes aß“. Das. find Urteile eines
menſchen, der bloß für die Oberfläche der Dinge ein ſcharfes, mitleidsloſes Auge hat.
Man fieht nicht einmal aus ihnen, ob es häretiſches oder kirchliches Chriſtentum war,
dem fi Peregrinus angeſchloſſen hatte. Hur der perſönliche Widerwille gegen dieſen
Mann ſpitzt dem Samofatener die Feder. Zu einer eindringlichen Kritik der cuniſchen
Philoſophie oder der chriſtlichen Religion fehlt dem Sophiſten und Skeptiker hier jede
buſt. — Die Perſönlichkeit des Apollonius von Tyana, an deren Geſchichtlichkeit nicht
gezweifelt wird, hat jedenfalls noch keine Beziehung zu Chriſtus und ſeinem Werk.
Die Apollonius- Biographie des Philoſtratus iſt freilich als Konkurenzroman zum
beben Jefu aufgefaßt worden und könnte in ſolchen Kreiſen, die dem Wundertäter
von Hazareth, wenn auch nur aus Mode ſchon näher getreten waren, wie vielleicht
die hofdbamen der Raiferin Julia Domna und ſicher Alexander Severus und Julia
Mamaea, auch fo gewirkt haben. Aber daß die Schreiberſeele eines Philoſtratus ge⸗
meint habe, mit ſeinem Roman der Welt eine Schrift gegen das Chriſtentum zu
ſchenken, iſt mir nicht wahrſcheinlich'. Die ſpätere Polemik, Porphurius und nament-
lich hierokles, haben ſich allerdings die populäre Geſtalt des Hpollonius nicht entgehen
laſſen. Darüber am gegebenen Orte. — Anders ſteht es um die neuplatoniſche Philo-
ſophie. Schon ihr erſter namhafter Vertreter, von dem uns literariſche Denkmäler
hinterlaſſen find, Plotin, wendet ſich (Ennead. II, 9; III, 2—3) „gegen die, welche
ſagen, der Weltbildner ſei ſchlecht und Welt fei ſchlecht) .. Was er hier gegen die
Schöpfungslehre, gegen die zentrale Stellung des Menfchen, den Untergang der Welt
und namentlich gegen die Erlöſung fagt, trifft chriſtliche Dogmen. Da aber die Front
Plotins nicht gegen die Kirche, ſondern gegen gnoſtiſche Sektierer gerichtet ift, die in
feine philoſophiſche Schule ſich einzudrängen ſuchten, da wir dieſe Snoſtiker keines ⸗
wegs als Vertreter des echten Chriſtentums anerkennen und Plotin bei feiner Kritik
in wichtigen Stücken wieder mit dem kirchlichen Chriſtentum gegen den gnoſtiſchen
Dualismus zuſammengeht, ſo wollen wir auch Plotin noch nicht unter die eigent⸗
lichen chriſtusfeindlichen Kämpfer rechnen. Aber aus der Schule Plotins ging nun
der Hauptangriff hervor; und der ſuriſche Neuplatoniker Jamblichus hat den letzten
verzweifelten Derſuch, das Chriſtentum geiſtig zu töten, eingegeben. Julians be»
geiſterter Anhänger Libanius war natürlich auch ein Chriſtenfeind und wurde von
den Chriſten auch fo empfunden. Gelegentlich hielt der mächtige Mann mit feinem
Widerwillen gegen den heiligenkult, gegen den Klerus und gegen dieſes ganze „gott⸗
loſe“ Chriſtenweſen nicht zurück (Or. 2. 18. 60). Aber er war doch zu ſehr der Pflege
der Form ergeben, zu ſehr einem »rationalisme amateur«? verfallen, als daß er
dem Chriſtentum hätte gefährlich werden können. Er blieb Heide, wie übrigens auch
viele andere, aus konfervativem Anftand, Mannestrog und eiferſüchtigem Mißtrauen.
Perſönlich war er wie Themiſtius und Himerius verſtändig, wechſelte mit dem hl. Ba-
ſilius höfliche Billette und ließ es ſich gerne gefallen, daß fein beſter Schüler in
Antiochia ein frommer Chrift, der nachmals fo berühmte hl. Chruſoſtomus war.
Uoch weniger hat der vornehme Römer Symmadus, der peinliche Hüter alter, ver⸗
ſtaubter Traditionen, der ſich glücklich ſchätzte, wenn ihm ein Brieflein nach den Regeln
des guten Gefhmackes gelang, einen literariſchen Feldzug gegen das Chriftentum
eröffnen wollen. Es war ja auch nicht mehr möglich. Denn die Reaktion unter
Julian war vorüber. Hur als Gratian und Theodofius aufs neue mit entſchiedenen
Maßregeln vorgingen und den Altar der Viktoria aus der Senatskurie entfernen
ließen, da bebte fein altes heidenherz; und er fand innige und mutige Worte, um
—
302
den Aaifer umzuſtimmen. Doch wagt er beileibe keine Anklage gegen die chriſtliche
Religion, nur Luft zum Leben erbittet er für feine Götter: „fie ſollen eure Beſchirmer,
wir ihre Derehrer fein“, vos defendant, a nobis colantur! (Relat. 3 ad Theodos.) —
Erwähnen muß ich noch den unter den Werken Gucians überlieferten Dialog Philo-
patris, weil er bis in die Gegenwart als heidniſche Tendenzſchrift etwa aus der Zeit
Julians gegolten hat. Arumbadjer!? hat aber gezeigt, daß wir es mit einer lite⸗
rariſchen Spiegelfechterei buzantiniſcher Art zu tun haben und daß feine Abfaſſung
in den Sommer 969 fällt, eine Zeit, in der natürlich niemand mehr in Ronſtantinopel
daran dachte, das heidentum wieder einzuführen“.
Die chriſtenfeindliche polemiſche Literatur der Antike hat vielleicht der Rhetor
Fronto von Cirta in Afrika eröffnet. Aus den Geſprächen des heiden Caecilius in
der Apologie des Minucius Feli Frontos eigene Stimme herauszuhören find wir nicht
berechtigt; eben dieſer chriſtliche Schriftfteller bürgt uns aber dafür (Octav. 9, 6; 31, 2),
daß Fronto gegen die Chriſten geredet hat. Es fragt ſich nur, ob in eigener Rede.
Inhaltlich bedeutend kann die Leiftung dieſes abſchreckend nichtigen Rhetorikers wohl
kaum geweſen ſein. Aber kurz vorher war ein wirklich großer Streiter, Celſus,
aufgetreten, den ſpäter Porhpurius, zwei von Gactantius und Eufebius genannte
Polemiker und endlich Julian abgelöſt haben. Damit ift aber auch alles erſchöpft,
was uns aus antiken Aampffchriften irgendwie zugänglich iſt. Wir haben fie nun
zu würdigen!
I.
Celſus taucht als ein großer Unbekannter in der Seſchichte auf und
geht ebenſo rätfelhaft in ihr wieder unter. Zur Zeit als Marc Aurel,
ſchon bedeutend ſchärfer als Trajan, gegen jede religiöfe Neuerung
einzufchreiten befahl, die das Dolk beunruhige, alſo etwa in den
gahren 160 - 180, hat dieſer ſtaats kundige Mann, der die Sorge feines
Raifers um das Reich wohl verftand, einen „wahrheitsgemäßen Be⸗
weis“, Aung Adyos, wider die Chriften auf den Büchermarkt ge-
worfen, und das iſt der erſte uns bekannte Fall, daß ein römiſcher
Citerat, Staatsmann und Philoſoph das Chriftentum als einen Partner
betrachtet, dem man ernſte Beachtung ſchuldet. Durch die noch im
Original vorhandene Apologie des Origenes Contra Celsum!? find
wir in der Cage, neun Zehntel des Werkes des Celſus dem Sinne
nach, drei Diertel ſogar dem Wortlaut nach wiederherzuſtellen — ein
ausnehmend günftiges, ſonſt nirgens erreichtes Derhältnis. Das ent⸗
ſchädigt uns für ſo manches Dunkel, das über dieſer Celſusſchrift lagert.
Vor allem iſt es undurchdringlich, warum dieſer gewaltige Gegner erſt
fiebzig Jahre ſpäter einen chriſtlichen Apologeten und nur dieſen einen
gefunden hat, während man doch meinen ſollte, die Chriſten hätten
ſich in vereintem Angriff auf ihn geſtürzt und ihn immer wieder in
ihren Apologien in den Mittelpunkt gerückt. Aber vielleicht bietet
uns das folgende einige Erklärung hierfür.
Der wahre Sinn einer Schrift erſchließt ſich erſt, wenn man den Bo⸗
den kennt, auf dem fie gewachſen iſt. Auch rein wiſſenſchaftliche Werke,
fobald fie den Areis der unmittelbaren, ſinnlichen Erfahrung über⸗
303
ſchreiten, find nicht vorurteilslos, ſondern voll geſchichtlicher Bedingt⸗
heiten, auch die „reine Dernunft“ eines Rant, auch der ſouveräne
Peſſimismus eines Spengler. Um wie viel mehr müſſen wir bei Werken,
die nicht dem Erkenninisdrang, ſondern dem Bedürfnis des praktiſchen
bebens ihr Dafein verdanken, auf den Zweck und die Umſtände achten.
nur ſo können wir das einzelne richtig einſchätzen und werden davor
bewahrt, vorgelagerte „ſachliche“ Gründe abſolut zu nehmen. Manche
Forſcher haben dem Celfus, dem fie ſich verwandt fühlen, zu viel Tole⸗
ranz zugemutet. „Belehren“ wollte Celſus die Chriſten nicht, nicht durch
feine „maßvolle, ernft wiſſenſchaftliche kritik“ den Fanatismus des
Pöbels lahmlegen oder die Gewaltpolitik des Staates bekämpfen. Nein,
daran dachte er wahrlich nicht; eine mittlere Linie, einen Ausgleich
zwiſchen den Forderungen des Chriſtentums und der Welt ſuchen, das
hat er nicht in Erwägung gezogen, und hätte er es, er hätte es getan
nach der Methode des 18. Jahrhunderts! Celſus iſt aufgeklärter Patriot,
tömiſcher Realpolitiker, der Religion ſchätzt, weil „man Religion
braucht“, weil es eines Bebildeten würdig iſt, dem Volk die Religion
zu erhalten, weil der römiſche Staat unauflöslich mit religio verknüpft
it. Don der Inbrunſt eines Porphurius, von dem Fanatismus eines
Julian iſt bei ihm keine Spur zu entdecken. Celſus iſt Agnoſtiker;
es iſt immerhin keine Schande, ſich ein Hintertürchen offen zu laſſen,
und „jeder mag nach feiner Fagon ſelig werden“. Mögen es auch die
Chriften tun, wie fie es für gut finden. Davon verſteht er nicht viel.
Aber das verſteht er, daß ſie aufhören müſſen, dabei ein Staat im
Staate zu ſein. Dieſe Abſperrung von den anderen Staatsbürgern,
dieſe verrückte Raiferkultfheul!? Der Staat hat genug an den Juden,
er braucht nicht noch eine weitere Sorte Menfchen, ein tertium genus.
In feinem Ärger droht Celfus den Chriften einmal mit dem baldigen Unter⸗
gang (C. C. 8, 69), heißt fie einandermal ohne Rinder von hinnen
fahren und die Welt von ſich erlöſen, wenn ſie nicht in und mit der Welt
leben wollen, ſpottet über ihr trauriges Los in ſtändiger Todesfurcht
(C. C. 8, 39) und macht die Raifer gegen fie mobil (C. C. 8, 71).
Das alles, um ſchließlich doch wieder einzuſehen, daß es das Ge-
ſcheiteſte wäre, wenn die Chriſten gütlich mit ſich reden ließen. Die
Bebildeten unter ihnen follten mit den heiden zuſammenſtehen und
gemeinſam die kultur gegen die Barbaren verteidigen (C. C. 8, 72 ff.).
Der „Untergang des Abendlandes“ droht! Schon ſtehen an den Grenzen
des Reiches kriegsluſtige Scharen. Nichts als eine ſtarke Staatsgewalt,
ein Raifer kann hier hilfe bringen. Das müſſen doch die Chriften
einſehen! Sie haben doch auch nur Vorteil von einem geordneten
304
Staatswefen. Rönnen fie im allgemeinen Intereffe der Aulturmenfchheit
nicht die äußere Form erfüllen? IM ein Köproc Kaioap, ein „Rirchgang
an Baifers Geburtstag” wirklich fo ſchwer, fo gewiſſensbedrückend?
Bei allen Göttern, wenn fie nicht hören wollen, diefe Tollköpfe, dann
will er ihnen einmal heiß machen! Und fo läßt er denn feine Se⸗
(hüße auffahren, Philoſophie, Theologie und Rhetorik: er ſpeit Gift
und Galle, Derleumdung und Bohn, gewürzt mit manchem Salz
körnlein nicht übler Denkſchärfe und kritiſchen Talents. Sie follen
ſich nicht einbilden, dieſe Toren, man wiſſe nichts gegen ſie zu ſagen.
Allein bei all dem war man ja bereit, Frieden zu machen, wenn nur
die Chriſten wollten. Aber die Chriſten wollten eben nicht. Sie ahnten
prophetiſchen Beiftes, daß ihnen der Sieg zufallen mußte. Der „kaum
verſteckte Friedensantrag des Celſus“ (Harnack) iſt von der Gewalt
der Tatſachen zu nichte gemacht geworden.
Das Urteil über Celſus hat ſich deshalb vor dem Fehler zu hüten,
feine einzelnen Angriffe und Begengründe allzu ſchlimm anzukreiden.
Gewiß will Celſus nicht bloß zum Scheine fechten. Gewiß trennen ihn
Abgründe von der Weltanſchauung des Chriſtentums. Im Grunde ſind
es die beiden großen neuplatoniſchen Dogmen, die wir bald wieder⸗
treffen werden: die Welt hat den Grund ihres Seins in ſich ſelbſt und
iſt unverbeſſerlich; der Beift kann ſich nicht an die Materie binden,
darum kann Bott nicht Menſch werden und das Fleiſch nicht auf⸗
erſtehen. Sewiß hat Celfus eine für feine Zeit ungewöhnlich große
kenntnis von den chriſtlichen Offenbarungsurkunden. Er hat namentlich
die Sunoptiker genau gelefen!* und ift das Vorbild aller jener, die
im Babel-Bibel-Streit ihre Weisheit an dem bibliſchen Schöpfungs⸗
und Sintflutbericht haben leuchten laſſen (C. C. 6, 60; 1, 20. 19). Auch
ſchwingt er die Waffe Marcions und ſpricht von einem Widerſpruch
zwiſchen Altem und Neuem Teſtament (C. C. 7, 18). Bewiß geht er
mit heftigkeit gegen den chriſtlichen Slaubensbegriff und Glaubens-
gehorſam vor: je unſinniger etwas iſt, deſto lieber glauben es die
Chriften (C. C. 1, 9; 6, 10 f.). Aber man hat doch den Eindruck, daß
die gehäuften Bosheiten, mit denen er die Perſon geſu und dieſen
Verein von Sündern und Dummen, die Chriften, überfchüttet, nicht aus
ſeinem herzen kommen, ſondern ihm Mittel zum Zwecke ſind. Und
dieſer Zweck war kein philoſophiſcher, ſondern ein ſtaatspolitſcher.
Wenn uns die Eignung feiner Mittel zu dieſem Zweck freilich recht
zweifelhaft erſcheint, ſo müſſen wir bedenken, daß Celſus nicht für
unſern Seſchmack, ſondern nach den Regeln der antiken Rhetorik ge
ſchrieben hat.
305
Bei aller Mangelhaftigkeit feiner Apologetik im einzelnen hat ſchon
Origenes den ſpringenden Punkt erfaßt: Celſus hat die Lebens-
macht des Chriſtentums nicht geſehen. Er, der ſolchen Eifer für den
Beſtand des römiſchen Reiches entwickelt, iſt der Pſuche des Volkes
fremd gewefen. In feinem Gelehrtenhochmut wußte er nichts von der
inneren Not der breiten Schichten, dachte er nicht, daß in tauſenden
von Sklaven und Cohnarbeitern, von Frauen und Barbaren eine Sehn-
ſucht brannte, echter und ftärker als feine erleuchtete Staats moral und
feine patriotiſche Religion, eine 8Sehnſucht nach dem Gott des Herzens
und des himmels, der nicht ein Gebilde von Menfchenhand iſt. „Ohren
haben fie und hören nicht, Augen und ſehen nicht!“ Und er ahnte
und glaubte es nicht, daß dieſe Religion, die er als Rusbund von
Torheit und Unmoral verfpottete, wirklich ſchon am Werke war, ein
reineres, beſſeres, höheres Leben in dieſen einfachen Menſchen zu
entzünden, denen Celſus gar nicht vom reinen, höchſten Weſen ſprechen
wollte (C. C. 6, 6 f.); denn nach Plato, fo zitiert er (wie fpäter Julian),
erkennt es ja kaum der Weiſe ſelber, wie viel weniger kann er es
anderen verſtändlich machen. Er, der „alles weiß“, iſt blind für die
ungemein bedeutſame Tatſache, das ſich von dem häretiſchen und gno⸗
ſtiſchen Chriſtentum eine fefte Organiſation, die katholiſche Kirche, ab⸗
hob, die in ſtrenger Diſziplin ihre Anhänger gliederte und ſchulte für
den Entſcheidungskampf mit dem antiken Heidentum in Staat und
Befellfchaft. Celſus hat auch die Schätze des Chriſtentums keineswegs
oͤurchſchaut. Er beſaß deſſen Heilige Schriften nur unvollſtändig, er war
nicht eingeweiht in die zarteften Beheimniffe, in Trinität und Eudhariftie,
er wußte auch nicht, welche Perlen die chriſtliche Literatur damals
ſchon aufzuweiſen hatte. Origenes konnte im Bewußtſein der Über⸗
legenheit mit Ruhe auf die ärgſten Beſchimpfungen antworten. Die
guwelen des Chriſtentums, Menſchwerdung und Erlöfungstod, er⸗
ſtrahlen unter feinen händen nur in umſo hellerem Glanze!“.
II.
Erf hundert Jahre nach Celſus erſcheint ein anderer antiker Menſch
am horizont der Geſchichte, der das Chriſtentum in einem umfaſſenden,
grogen Fleiß und ebenſo große Erbitterung verratenden Werk bekämpft:
Porphurius, ſemitiſcher Abſtammung und urſprünglich Malchus ge⸗
heißen. Die Zeitlage war eine verſchärfte geworden. Der Staat hatte
den offenen £irieg erklärt und hielt trotz einiger chriſtenfreundlicher
oder notgedrungen nachgiebiger Raifer das Prinzip aufrecht, daß er
befugt und imſtande ſei, eine religio illicita ſchlankweg auszurotten,
306
wenn es das Staatsintereffe fordere. Aber neben dem Staat hatte
ſich eine Philoſophie aus der allgemeinen Zweifelſucht und ſpieleriſchen
Wählerei emporgerungen, die eine ſittliche Pflicht in ſich fühlte, an
der Rettung der antiken Welt mitzuarbeiten. Die neuphuthagoräiſche
und neuplatoniſche Schule hatte eine entſchiedene Wendung zur Re-
ligion genommen und ſah in ihr ganz mit Recht die einzige Kraft,
welche die unheimlich zentrifugale Bewegung der rationalifierten Welt
noch einmal umbiegen und in eine allumſpannende Harmonie ver⸗
wandeln könnte. Mit unendlicher Liebe und Geduld wurden nun alle
Fäſerchen Wahrheit, alle Splitterchen reiner Sitte, mochten ſie noch ſo
tief im Wuſt griechiſch⸗ römiſcher Böttergefhichten und orientaliſcher
Mythen, im Volk und in der Literatur verborgen liegen, zuſammen⸗
geſucht und dem Bau der platoniſchen Philoſophie, wie man ſie da⸗
mals verftand, eingefügt. Bei dieſer großen Uereinheitlichungs⸗Hrbeit
mußte man auch das Chriſtentum berückſichtigen, das ſchon eine be»
deutende geiſtige Macht darſtellte, mit der die Philoſophie zu rechnen
hatte wie der Staat mit der realen Macht ſeiner Bekennerzahl. Dieſe
Begegnung der Religionsphiloſophie des dritten Jahrhunderts mit dem
Chriftentum hätte durchaus keine feindliche werden ſollen. Man hätte
dankbar die Schätze anerkannt, die ſich in den heiligen Büchern der
Chriften, befonders in den johanneiſchen Schriften fanden. Man wollte
auch Chriſtus willig alle Ehren eines religiöfen heros, eines Weiſen,
eines Bottesfreundes und — warum nicht? — auch eines Gottes ein⸗
räumen; nur mußte er und feine Lehre ſich ebenſo in das Schema der
helleniſtiſchen Ideenwelt einfügen wie die Chriftengemeinden in den
heidniſchen Staat. Aber Plotin erlebte es zu feinem Ärger, daß dieſe
chriſtlichen Snofiker ganz unbrauchbare Befellen waren. Freilich waren
die ſtreitluſtigen Deute, die er in feiner Schule in Rom nicht länger
dulden wollte, keine echten Söhne der Offenbarungsreligion; allein im
Kampf gegen fie hat Plotin doch auch die echten Srundlehren des
Chriftentums über Bott und Welt, Seele und Leib ins herz getroffen.
Es iſt darum auch wohl möglich, obwohl wir von einem Zuſammen⸗
ſtoß Plotins mit dem kirchlichen Chriſtentum nichts wiſſen, daß gerade
er ſeinem Schüler Porphurius die Anregung zu einem großen Werk
gegen die Chriften gegeben hat. Und Porphurius ging mit grimmiger
Jähigkeit in Sizilien an die Arbeit. War er doch ſelbſt einmal den
Chriften nahe geſtanden, hatte er doch in feiner „Philoſophie aus den
Orakelſprüchen“!' gezeigt, wie eine gemeinſame Grundlage für Chriſten⸗
tum und Philoſophie zu gewinnen wäre. Aber die katholiſche Kirche
blieb in trotziger Feſtigkeit, ſich berufend auf ihre untrũglichen und
307
älteften Wahrheitsquellen, abfeits ſtehen. Es mußte ihnen alſo dieſe
Waffe aus der hand geſchlagen werden. Porphurius ftudierte das
Alte und Neue Teftament auf das genaueſte und zerſtörte in feinen
15 Büchern gegen die Chriften !“ in erfter Linie das Anſehen der heiligen
Schrift. mit kalter Dialektik zerpflückte er fie, oft Ders für Ders: fie
it geſchichtlich unzuverläſſig, widerſpruchsvoll, anſtößig, minderwertig.
es war dann von verhältnismäßig geringem Belang, daß er auch
vor der Perſon geſu, Petri und Pauli, vor dem chriſtlichen Glaubens-
begriff und einzelnen Glaubenslehren, wie vor dem tatſächlichen Chriſten⸗
tum feiner Zeit mit feiner beißenden Kritik keineswegs zurückhielt.
Die Streitſchrift des Porphurius hat die Chriſten viel tiefer als die
des Celſus getroffen. Und man wird nicht irre gehen, wenn man an⸗
nimmt, es war weniger der Spott wider die heiligen Perſonen und
behren, der ſo tödlich verletzte, als der Angriff auf das Fundament,
auf das inſpirierte Sotteswort. Sofort rũſtete man ſich zur Gegenwehr:
methodius von Olympus, Eufebius von Caefarea, ganz ausführlich
Apollinaris von LCaodicea und vielleicht noch Philoſtorgius ſchrie⸗
ben ausdrücklich gegen Porphurius. Aber die Erbitterung gegen dieſen
Erzfeind war fo ſtark, daß fein Rampfbuch mitſamt den dagegen
gerichteten Apologien ausgemerzt wurde aus den Bibliotheken, und
es müßte ein beſonders glücklicher Zufall fein, wenn uns noch. eine
handſchrift erheblich mehr über Porphurius zutrüge, als was Harnack
in jahrelanger Suche gefunden hat. An eine Wiederherſtellung der
15 Bücher des Neuplatonikers wie des „Wahren Wortes“ des Celſus iſt
nicht zu denken. Huch die chriſtlichen Begenfchriften find nicht mehr zu
umreißen. Aber weder das eine noch das andere iſt für die Allgemein⸗
heit ein allzu großer Derluft, wenngleich wir natürlich jede Einbuße
geſchichtlichen Materials bedauern. Des Porphurius Art iſt uns immer-
hin klar erkennbar und die genannten chriſtlichen Kontroverstheologen
haben trotz oder vielmehr wegen ihres leidenſchaftlichen Eifers den
Wider ſacher ſchwerlich fo gerecht und großzügig gewürdigt wie der
hl. Auguftinus. Dieſer hatte ja frei und bewußt die Wanderung
vom Dualismus und Skeptizismus über den NHeuplatonismus zur
katholiſchen Kirche gemacht. Er kannte die breite Brücke, die von
Plotin und Porphurius zum Chriſtentum führt, er hat auch den Ab⸗
grund ermeſſen, der zwiſchen beiden liegt: die behre von der Menſch⸗
werdung Gottes und von der gottgeſetzten kirchlichen Autorität!?. Und
Ruguftin ift wie fo häufig auch in der Beurteilung des Porphurius der
Führer geworden. Die kirche rottete das böſe Werk des irregeleiteten
Chriftenfeindes aus, um den Philoſophen deſto unbefangener ſchätzen
308
zu können. Porphurius blieb durchs ganze Mittelalter, das ja den
Areopagiten fo verehrte, ein angeſehener Name; und es iſt in der Tat
eine Pflicht der Dankbarkeit, die Derdienfte nicht zu vergeſſen, die der
ältere, geſündere Neuplatonismus eines Plotin und Porphurius dem
Chriftentum auf feinem Gang durch die Welt geleiſtet hat, umſomehr
als gar nicht ausgemacht iſt, ob die chriſtenfeindliche Schrift des
Porphurius ſeine letzte und perſönlichſte Antwort auf das kirchliche
Chriftentum war, mit dem er ſich trotz allem verwandt fühlen mußte! ?.
Auf uns wirken die ÜÜberrefte der porphurianiſchen Polemik weit
mehr peinlich und enttäuſchend als verletzend oder gar beunruhigend.
man hat zu oft den Eindruck, daß nur geplänkelt wird, daß dieſe
oberflächlich rationaliſierenden Einwendungen gegen die Möglichkeit
einer bibliſchen Erzählung, dieſe mit den haaren herbeigezogenen
Widerſprüche zwiſchen Altem und Neuen Teftament, zwiſchen Chriftus
und den Apofteln, Petrus und Paulus, Synoptikern und Johannes,
dieſe dicht wie hagelkörner niederpraſſelnden Vorwürfe chriſtlicher
Charakterlofigkeit nicht aus der Seele kommen. Es ift eine Polemik
um jeden Preis, wie wir ſie ſchon bei Celſus geſehen haben und wie
ſie in der aktuellen Polemik und keineswegs bloß in der antiken
üblich iſt?». Aus Mt. 9, 9 folgert Porphurius, daß die Apoftel leicht⸗
fertige Leute waren, die aufs geratewohl dem nächſten beſten nach-
liefen; aber er behält ſich gleich den zweiten hieb vor, daß die ganze
Apoſtelberufung überhaupt nur eine erfundene Geſchichte iſt (H. P. n. 6).
Wie hilflos und armſelig ſtand geſus feinen Richtern gegenüber, ſtatt
feine Weisheit glänzen zu laſſen! (5. P. n. 63). Nach feiner Auf-
erſtehung hätte er maßgebenden Perſönlichkeiten erſcheinen ſollen,
nicht bloß zweifelhaften Frauen; dann hätte er von feinen Jüngern
alle Verfolgung abgewandt. 80 wie er handelte, war es weder ver-
nünftig noch gottgefällig (8. P. n. 64; vgl. C. C. 2, 55 ff.). Die Bott=
verlaſſenheit und Sottergebenheit Chrifti am Kreuz find ihm ebenfo
unvereinbare Gegenfäge wie der Betäubungsbecher und der Eſſig⸗
ſchwamm (8. P. n. 15). Und ift es nicht ſophiſtiſch, wenn unfer
Kritiker MR. 10, 18 und CR. 6, 45 gegen die Glaubwürdigkeit der
Evangeliften ausſchlachtet, weil es einmal heiße, Bott allein fei gut,
und dann doch wieder von einem guten Menſchen die Rede ſei? (n. 59).
Aber ob man nicht einmal über den Widerſpruch zwiſchen IIK. 10, 18
und Mt. 19, 17, den die Modernen gefunden haben, ebenſo urteilen
wird? Ein Muſterſtũck iſt die porphurianiſche Dialektik an Joh. 8, 43 f.:
fürs erſte find die Juden überhaupt nicht ſchuldig, wenn ihr Dater
der Teufel (dic go og) iſt. Und warum bekommt er den Namen eines
309
böswilligen Angebers? Sind nicht die Übeltäter, die er angibt, oder
die beichtgläubigen, die feine Nusſage annehmen, viel ſchuldiger als
er, der Teufel? War er dabei leidenſchaftslos, ſo war er überhaupt
kein Angeber im üblichen Sinn; war er aber von Leidenfchaften be⸗
ſeſſen, fo braucht er wie ein kranker Mitleid. Auf alle Fälle: das
Wort geſus bei Johannes ift Unſinn (n. 71). In ähnlich gehäffiger,
kleinlicher Weiſe zerpflückt Porphurius das gohannes⸗- Evangelium auch
font. Darin würde ihm auch die radikalſte Bibelkritik unferer Tage,
die gern auf Porphurius zurückblickt, nicht nachfolgen wollen. —
Segen den jüdiſch⸗- chriſtlichen Monotheismus führt er ins Feld, daß
doch das Alte und Neue Teftament genugſam von anderen Göttern
ſpreche. Und im nu hat Porphurius den Schluß zur Hand, daß dieſe
Bötter eben dann auch als Bötter zu verehren ſeien, obwohl doch die
heilige Schrift überall mit Schärfe das Gegenteil verlangt! (n. 78).
Segen die chriſtliche Auferſtehungslehre, die ihm als Griechen be⸗
ſonders unſumpatiſch war, wie wir ſchon aus der Nreopagrede des
hl. Paulus wilfen, rückt er mit Bründen der Schuldialektik vor: Wenn
einer ins Meer ſtürzt und von einem Fiſch gefreſſen wird und dieſer
wieder von einem Menſchen gefangen und verſpeiſt wird, welche Der-
legenheit muß da die Auferftehung bereiten! (n. 92). Ebenfo wenig
kommt es Phorphurius darauf an, die allegoriſche Schriftauslegung,
die er an den Chriſten tadelt (n. 39; vgl. C. C. 4, 50), in dem nämlichen
Werke ſelber anzuwenden (n. 43 W.). Dieſe Proben mögen genügen.
Es iſt merkwürdig, wie man die Lädyerlichkeit folder Beweisführung
ſogleich erfaßt, wenn man ſie mit entſprechendem geſchichtlichen Abſtand
betrachtet, und es ift eine wohlbegreifliche Anfiht der Moraltheologen,
daß die kirchlichen Verbote gegen die Bücher der alten Bäretiker von
ſelbft ihre Kraft verloren hätten, weil fie niemand mehr ſchadeten.
Ich will damit freilich nicht ſagen, daß Porphurius uns heutigen
Chriften keine Aufgabe mehr zu ſtellen habe. Vergeſſen wir nicht,
das helleniſche Brunddogma über das Verhältnis von Bott und Welt,
das wir ſchon bei Celſus durchſcheinen ſahen und das in Porphurius
einen ſcharfſinnigen Anwalt gefunden ?!, hat überall da, wo der leben;
dige Bott=Dater-Blaube des Chriſtentums verloren geht, begeiſterte
Freunde; und der Monismus, der zwar fein Kleid wechſelt, aber nicht
ſtirbt, bringt uns in eine ähnliche Cage wie den hl. Auguftin gegenüber
Porphurius. Wir werden, raftlos ſtrebend wie Nuguſtinus, unſere
philoſophiſchen Grundlagen und unfere Bibelezegefe immer wieder
darauf prüfen müffen, ob fie der „griechiſchen Vernunft“ keine be⸗
rechtigten Angriffsflächen bietet.
310
III.
Porphurius hatte in einer relativen Rampfpaufe zwiſchen dem rö⸗
miſchen Imperium und der chriſtlichen Kirche geſchrieben, er hatte den
Dank der Cäfaren nicht gebraucht und befaß, wie es ſcheint, über⸗
haupt kein inneres Verhältnis zu den ſtaatspolitiſchen Sorgen der Zeit.
Ein Philoſoph, nicht ein Raifer, hatte feine Schrift veranlaßt. Als aber
unter Diocletian noch einmal mit raſender Wut der Wille des Staates
aufflackerte, ſich des Chriſtentums zu entledigen, da erinnerte man
ſich ſehr wohl des gewaltigen Bundesgenoſſen, den man an Porphurius
hatte. War auch ſein gelehrtes, fünfzehn Bücher ſtarkes Werk eine zu
ſchwerfällige Waffe für den kampf des Tages, es fand ſich einer, der
es auszog und den ungeduldig harrenden Sophiſten in ihrer eigenen
Armut mit einem brauchbaren „Handbuch“ der Chriſtenbekämpfung
aus der Not half. Wir haben Grund zu der Annahme, daß ſich die⸗
fer Mann feine Sache nicht allzu ſchwer machte und die Sedanken
des großen Werkes im weſentlichen unverändert wiedergab. Darum
iſt es für uns wertvoll, daß es Makarius Magnes für nötig hielt,
auch dieſen Rus zug aus Porphurius zu widerlegen und ſomit fein
Apocriticus, der 1876 ans Tageslicht gefördert wurde, unſere ktenni⸗
nis von Porphurius erheblich erweiterte. Nun war aber der Exzerptor
des Porphurius nicht der einzige, der im letzten Entſcheidungskampf
der Staatsmacht mit dem Chriſtentum auch die literariſche Fehde wieder
aufnahm. Cactantius berichtet (Instit. 5, 2—3), daß damals, als
die Chriften verfolgt und verſprengt waren, der Mangel an tüchtigen
behrern gewiſſe Leute aufgereizt habe, gegen die chriſtliche Wahrheit
zu ſchreiben. Er zweifelt nicht, daß es ſehr viele vielerorts ge⸗
weſen ſeien, die Denkmäler ihrer Ungerechtigkeit in lateiniſcher und
griechiſcher Sprache geſetzt hätten, weiß aber ſelbſt nur zwei zu nennen;
und auch dieſe find ſchwächliche Vertreter des heidentums und in⸗
ſofern die beſten Zeugen feines geiſtigen Verfalls. Der eine, deſſen
namen Lactantius vielleicht aus Rückſicht verſchweigt, war Philo⸗
ſophenhaupt; aber in feinem Verhalten gegen die Chriften merkt man
nichts von philoſophiſcher Würde. Schrieb er doch wider einen wehr⸗
loſen Feind und dachte, habgierig und ruhmſüchtig wie er war, trotz
aller ſchönen Worte, die feine angenommene wohlwollende Unparteilich⸗
Reit gegen die Chriſten machte, nur daran, die kaiſerliche Zunſt zu er⸗
haſchen. Dactantius ſtellt indes feſt, daß dieſer Ochmeichler den Undank
der Welt erfahren mußte und damit ſeine gerechte Strafe fand. —
Etwas ernfter müſſen wir den zweiten Literaten nehmen, den Lactantius
iudex nennt und den wir wohl mit dem Statthalter Hierocles gleich⸗
311
fegen dürfen, gegen den Eufebius ein eigenes, noch vorhandenes
Buch gerichtet hat. Eufebius und Lactantius beſchreiben den Mann
übereinſtimmend: Er hat wacker feine Vorgänger ausgeſchrieben. —
Eufebius nennt Celfus und aus Lactantius erkennt man recht gut den
Finger des Porphurius. Er kann nur in dem einen Punkt Originalität
beanſpruchen, daß er eine ausführliche Parallele zwiſchen Chriſtus und
Rpollonius von Tyana gezogen hat, die als ſolche ja auch nicht neu
war (vgl. Harnack, Porph. n. 4. 46. 60. 63). Natürlich kam es ihm darauf
an, alles bicht auf Apollonius und allen Schatten auf Chriſtus zu
bringen: Chriſtus habe fi), von den Juden verjagt, zum Räuber⸗
hauptmann über 900 Geſellen aufgeworfen ??. Nach feiner Derurteilung
ſei es ihm nicht gelungen, den Bänden feiner Gegner zu entrinnen,
während Npollonius aus dem Gefängnis des Domitian wunderbar
verſchwunden fei. Überhaupt hielten die paar Wunder geſu gar keinen
Vergleich mit denen des Wundermannes von Tuana aus; doch habe es
dieſer nicht gewagt, ſich für einen Gott auszugeben wie Chriſtus!
nun hat aber Philoſtratus (Vita Apoll. 2, 1; 8, 19) feinen Helden tat⸗
ſächlich vergöttlicht, wie das ja auch im Hellenismus gar nicht anders
geſchehen konnte. Der Unwert der Polemik dieſes auf kaiſerlichen
Befehl arbeitenden Politikers ergibt ſich daraus zur Genüge. Übrigens
hat auch er wie der Anonymus und ſpäter Julian die Maske des
wohlwollenden Beraters ſchlecht getragen, der nicht contra „gegen“
ſondern ad Christianos „an die Chriſten“ ſchreiben wollte, ſich aber in
dem Amte des praefectus Aegypti als ſehr grauſamer Verfolger zeigte.
IV.
gulian der Rpoſtat — wenn wir uns mit ihm dem letzten antiken
menſchen zuwenden, der es wagte, das Chriſtentum offen und rück⸗
ſichtslos literariſch zu bekämpfen, fo wird unſer Intereſſe neu er⸗
wachen. Denn wer hätte ſich noch nicht mit dieſem rätſelhaften Geiſt
in ſeinem Innern beſchäftigt? Die Chriſten ſeiner Zeit ſahen in ihm
einen Fallftrick des Teufels und eine Juchtrute Gottes, und fein tragiſches
Ende feierten fie als den Triumph des Sieges Chrifti über das Heiden⸗
tum. NUoch im Jahre 363, bevor die Chriſten aus Niſibis vertrieben
waren ??, fang der hl. Ephrem feine vier uns erhaltenen humnen
gegen Julian, die für den gottesdienſtlichen Gebrauch beſtimmt waren.
Ebenfalls unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereigniffe find die
beiden Streitreden (orationes invectivae) des hl. Gregor von Nazianz
entſtanden; und der hl. Chruſoſtomus fand in Antiochia öfters, zumal
in ſeiner apologetiſchen Abhandlung De s. Babyla contra lulianum
312
et gentiles Gelegenheit, die Stadt davon zu überzeugen, daß Julian
einer verlorenen Sache gedient habe, wenn ſie das aus dem gegen
fie gerichteten Pamphlet Julians, dem „Barthaſſer“, nicht längſt ge⸗
wußt hätten?“. Aber auch der Widerlegung [eines literariſchen Angriffs
aufs Chriſtentum wandte man ſich zu. Theodor von Mopſueſtia
war der erfte Rufer im Streit. Er wurde bald übertönt und wohl
abſichtlich ausgeſchaltet durch die ausführliche kampfſchrift des hl. Cu⸗
rillus von Alexandrien, von der uns wenigſtens die erſten zehn
Bücher erhalten ſind, die uns erlauben, das erſte Buch der Schrift
Julians „gegen die Galiläer“ fo weit wiederherzuſtellen, daß wir uns
ein Bild von ihr machen können, während das zweite und dritte Buch
nur ganz fragmentariſch auf uns gekommen iſt. Aber ſelbſt nach
400 Jahren hat Photius, in deſſen Stadt das Werk Curills noch
vorhanden war, wieder gegen Julian geſchrieben; und im zehnten Jahr:
hundert hat der rührige Erzbiſchof Rreihas von Cäfarea nochmals
mit Hilfe Cyrills eine Gegenfchrift verfaßt, aus der Neumanns kundige
Hand ein neues, wertvolles Fragment des Originalwerkes Julians
herausſchälen konnte. Die chriſtlichen und heidniſchen Schriftſteller des
Altertums, die fi) mit der Reaktion Yulians als Ganzes beſchäftigten,
ſind natürlich noch viel zahlreicher, und auf Grund dieſer Nachrichten
find wir im kirchengeſchichtlichen Unterricht mit der Perſönlichkeit
Julians vertraut gemacht worden. Es ginge weit über das Ziel
meiner Arbeit hinaus, dieſen widerſpruchsvollen, verblendeten, eitlen
und trotzdem nicht abftoßenden Menſchen eingehend zu würdigen, zu⸗
mal er in der alten und neuen Zeit, von kiatholiken und Freidenkern,
von Biftorikern und Politikern, von Dichtern und Philoſophen eine
überreiche Beurteilung erfahren hat!“.
Uns geht hier nur der literariſche Krieg Julians gegen das Chriften-
tum an?‘ Allerdings kann man gerade bei Julian den Menſchen
nicht von feinem Werke trennen und kampf gegen das Chriſtentum
atmet nicht nur ſeine Galiläerſchrift, auch ſeine Briefe, ſein Misopogon
(Barthaſſer), fein Convivium (Saſtmahl), feine Reden gegen die falſchen
Cuniker und vereinzelt auch ſeine religionsphiloſophiſchen Reden zeigen
deutlich den inneren Gegenfa zum Evangelium, ja ereifern ſich fort-
während wider das „Schandmal der Gottloſigkeit“ (Hertlein 232, 25 f.),
wider die wüſtenflüchtigen, menſchenhaſſenden Galiläer (Hertlein 371 f.),
wider die troſtloſe „Finſternis“ (Hertlein 169, 9), in der er ſelbſt zwanzig
Jahre lang geſteckt ſei (Ep. 51). Die Kritik Julians am Chriftentum
bietet ſachlich nicht viel Neues. Sie zehrt von den Vorgängern und
iſt wie die ganze Perſönlichkeit unausgeglichen, haſtig, ſprunghaft.
Statue der hl. Erentrud
Alteſte bekanntefte Darftellung (altgotifch).
St. Rupert und Erentrud
vom Portal der Stiftskirche Nonnberg (1489).
313
*
Und doch iſt fie aus feiner tiefſten Seele geboren, von Leben durch⸗
glüht, echt und ernſt. Obſchon er die uns jetzt ſattſam bekannten
Mittel der Rhetorik keineswegs verſchmäht, um den Gegner ins Unrecht
zu ſetzen — man denke nur an den Titel: gegen die „Galiläer“! —
ſo fühlt man doch überall heraus, wie nahe ihm alles ging, was die
große, herrliche helleniſtiſche Welt ausmachte, wie er ſie verſtand. Da⸗
rum wurde ihm ſelbſt die Waffe des kämpfenden Wortes ein heiliger
Speer, die tauſenden feiner Yeitgenoffen und zwar gerade denen, für
die er ſie ſchwang, nur zu einem Schutzmittel diente, mit dem ſie
ihre Hohlheit und Unwahrhaftigkeit verbargen. Weil ihm alles aus
dem Herzen kam, ſo lieſt ſich ſeine grundverkehrte Polemik auch heute
noch erträglich und bietet doch manches Lehrreiche. Alles was die
alte Welt geliebt und gehaßt hatte, was ſie gedacht und phantaſiert,
was fie geftaltet und erreicht hatte, das rang in Julian zu einem
letzten, erſchöpfenden ideellen Ausdruck. Er kannte keine Geſchichte,
er ſtellte das Ältefte neben das Jüngere, das Urwüchſige neben das
Ausgeklügelte und ſchuf ſich daraus ein Programm, für das ihm die
heiden ſelbſt die Befolgfchaft verweigerten, weil es jenes Hhellenentum
ja gar nicht gab und nie gegeben hatte, für das der Unglückliche
ſich fo maßlos ereiferte.
Julian bekämpft die Religion aus Religion. In ihm ift der Neu⸗
platonismus vollends zu einer religiöfen Bewegung geworden, die
innerlich ſehr viel Ahnlichkeit mit dem Bnoftizismus hat:“. Julian
ſchwärmt für den Theofophen und Theurgen gamblichus von Chalcis
in Coelefyrien?®, und Männer wie der Schwindler Maximus betören
leicht fein herz. Die dunkle Religionsphiloſophie Julians iſt aufgebaut
auf den beiden mächtigſten Aulten des ſinkenden Heidentums, auf
Mithras-⸗ und Aybeledienft. Helios ſollte Chriftus?” und die Götter⸗
mutter die Bottesgebärerin aus dem Felde ſchlagen. Er weiß wie
unſere neueſten Chriſtusfeinde, daß man Religion nicht durch negative
Rritik, die er freilich nicht verſäumt (3. B. an Maria, Nr. 214, 5 ff.),
ſondern nur durch poſitive religiöfe Gegenwerte zu erſetzen verſuchen
kann. Er will überhaupt alles, was irgendwo und irgendwann an
Opfern, Aulten und Feſten exiſtiert hat, in vollem Ernſte wiederauf⸗
leben laffen?®. Ja feine Sophiſtik bringt es fertig, das Judentum als
Parallelentwicklung und gahwe nur als anderen Namen für das neu=
platoniſche höchſte Weſen anzuerkennen? !. Nur die Chriften, dieſes
„dritte Geſchlecht“, dieſes Fwittergebilde, nicht Juden und nicht Heiden,
die den Leichtſinn der Griechen und die Beſchränktheit der Juden ge⸗
erbt haben, dieſer Haufe von Arämern, Jöllnern, Tänzern und Zu⸗
Benediktiniſche Monatſchrift VI (1924), 9-10. 1 20
314
hältern ohne jeden völkiſchen Rückhalt, dieſe fahnenflüchtigen Derächter
des Geſetzes ihrer Däter, dieſe Opferſcheuen, dieſe Drei⸗Götter⸗Anbeter““,
die wollen ſich feinem Bonfervativismus und Synkretismus nicht
fügen — fo wenig als fie es im zweiten Jahrhundert taten. In der
ktritik der bibliſchen Urgeſchichten und chriſtlichen Dogmen hat er Ge⸗
legenheit, feine neuplatoniſche Weisheit zu entfalten, und das Evan«
gelium wird ihm ein Tummelplatz für die Technik der „Widerſprüche“,
die wir aus Porphurius kennen. Beſonders aber gefällt er ſich darin,
den Chriften ihre Rückſtändigkeit, minderwertige Sittlichkeit und ab;
ſchreckende kiulturloſigkeit vorzuwerfen (N. 198, 7 ff.; 200, 5 ff.; 202,
16 ff.; 204, 12 ff.; 206, 10 ff.). Durch fein Verbot chriſtlicher hoch;
ſchullehrer (Ep. 42) wollte er ſchon dafür ſorgen, daß ihm dieſes
Kampfmittel ſtets erhalten bliebe.
Julians literariſche Feindſchaft greift ſomit ins praktiſche beben über.
Er war eben nicht bloß Literat, ſondern auch Kaifer, und feine Bemer⸗
kungen gegen die Chriften waren keine Schulübung machtloſer Gelehr⸗
ſamkeit, ſondern energiſcher, ungeduldiger und ſehr bald grauſamer
Vernichtungswille. Athanaſtus und Titus von Boſtra, die chriſtlichen
Märturergräber (Ep. 58) und Leichenbegängniffe (Ep. 77), ſtreitende
chriſtliche Parteien und chriſtliche Berufungen an die Gerechtigkeit be⸗
kamen ſeinen höhnenden haß zu fühlen. Julian triefte von Toleranz.
Aber ſeine ſchönen Worte wurden ſehr bald von der realen Entwicklung
bügen geſtraft. Und daran war er ſelber nicht unſchuldig; denn er ſtellte
ſeine heidniſche Begeiſterung ſtets höher als jene Tugenden, die einen
Herrſcher vor allem zieren: Billigkeit, Maßhaltung und Menſchen⸗
kenntnis. Er war ein Mann des ſogenannten „guten Willens“, über
den der Lauf der Welt ſchnell zur Tagesordnung übergeht. Wie trefflich
verſteht er in den Briefen an die heidniſchen Oberprieſter Arſarcius und
Theodor (Epp. 49. 62. 63 und das hochintereſſante Fragment Bertlein
371 - 392, das in letzteren Brief gehört) über die Pflichten eines Götter-
prieſters mit deutlichem Seitenblick auf chriſtliche gute und ſchlimme
Beiſpiele zu moralifieren. Wie viel ſchöner wäre es in der Tat die
menſchen auf dieſe Weiſe zu erziehen ftatt durch Geſetze und Strafen —
wenn die Menſchen das ertrügen! Yulian lebte in einer eigenen Welt,
jenfeits der Natur und Geſchichte. Sobald er den Boden der Wirklich-
Reit betritt, wird er klein. Es war ein Derhängnis, daß ihm feine ſoldatiſche
Tüchtigkeit feine bebensuntüchtigkeit verbarg — innerhalb feiner eigenen
Welt kann ihm eine gewiſſe ideale Größe nicht abgeſprochen werden.
Es iſt doch eine erſchütternde Tragik, an der die Chriſten jener Zeit
nicht unſchuldig find, daß diefer Kaifer, der den alten Cäfarenwahnftnn
2
315
beffer als Conftantius überwunden hats, daß diefer Brübler, der feinem
Feinde viel näher fteht als er weiß und will, der die Armenpflege,
den Bemeinfinn, die Sittenſtrenge, ja die Feindesliebe“, allerdings
nach ſtoiſch⸗ cuniſchem Muſter, aber doch chriſtlich beeinflußt empfohlen
hat, daß dieſer Mann am Ende feines Lebens geſtehen muß: „Ich
habe mir ſelbſt jede Wohltat in Plage verwandelt“ (Misop. Hertlein
479), daß er bekennt, er habe eigentlich keinen zu ſeiner Meinung
bekehren können (Ep. 27 Bertlein 516, 15). Julian ift der lauteſte
Prediger des chriſtlichen Gottes. Er hatte ſich ein fo ſchönes heidentum
zurechtgezimmert, und es fiel in nichts zuſammen. Flavit et dissipati
sunt! Aber vielleicht gilt auch von ihm: „Die mich dir überliefert, die
haben eine größere Sünde als du“ (goh. 19, 11).
Der Kampf der Antike gegen die neue Religion war nicht der
kampf eines Geiftes gegen einen zweiten, ſondern der Zuſammen⸗
prall zweier Welten. So war ein Sich - verbunden⸗fũhlen, eine gewiſſe
Inmtereſſen⸗ und Jdeengemeinfchaft aller gebildeten Heiden felbftver-
ſtändlich. Der von bucian mit der Widmung feines Hleander s. Pſeudo⸗
mantis beehrte Celſus kann ſehr wohl unſer Beſtreiter ſein, und der
heide im Dialog des Minucius Felix ift ein aufgeklärter Patriot ganz
wie jener. Auch zwiſchen Celſus, Porphurius, Hierocles, Julian ergibt
ſich von ſelbſt eine innige Derwandtfchaft, weil fie eben alle antike
heiden waren. Es drängt ſich aber noch die Frage auf, ob die von
uns betrachteten eigentlichen Angriffe auf das Chriſtentum nicht in
einem beſonderen Abhängigkeitsverhältnis zueinander ſtehen. Jedem
beſer wird ſchon aus dem wenigen, was hier geboten wurde, die
große Strukturähnlichkeit dieſer Schriften aufgefallen fein. Ihre philo⸗
ſophiſchen Waffen entnehmen fie alle dem Arſenal des Neuplatgnis»_
mus, ihre theologiſchen Renntniſſe ſtützen fie alle auf die Bibel, und
ihre Dialektik arbeitet nach der gleichen Methode: dieſelbe Ausfpielung
der Chriften und Juden gegeneinander und bedingte Anerkennung der
letzteren, derſelbe Spott über den blinden Glauben, den gekreuzigten
Bott, die Arme-Sünder-Moral und Aulturlofigkeit der neuen Winkel-
ſekte, dieſelbe Technik der Widerſprüche, dieſelbe häufung gar nicht
zuſammenſtimmender Argumente, die ſchon wegen ihrer Menge viel⸗
fach die gleichen fein mußten. Haben fie einander auch direkt benützt
und ausgeſchrieben? Für Bierocles und den anderen S kribenten diefer
Sorte ift das ja ziemlich erwiefen, für Celſus — Porphurius — Julian
20*
316
ift die Unterſuchung noch nicht ab[hließend?? durchgeführt und kann an
dieſer Stelle auch nicht angeſtellt werden. Es iſt auffallend, daß weder
Porphurius den Celfus, nach Julian die beiden anderen nennt — nur
an zwei unverfänglichen Stellen zitiert er Porphurius als Philoſophen —
aber das beweiſt noch keineswegs, daß der folgende den früheren
nicht ausgiebig ausgeſchrieben hat. Wenn Libanius Julian ſchmeichelt
(Or. 18), er habe weiſer als der Alte von Tyrus (SPorphurius) die
Lächerlichkeit des Chriſtentums gezeigt, fo heißt das doch in unſerer
Sprache, daß gulian den Porphurius für fein Pamphlet zugrunde
gelegt hat, auch wenn wir mit R. Aſmus annehmen wollen, daß die
Saliläerſchrift in den früheren Werken Julians ſchon wohlvorbereitet
iſt. Ein ſittlicher Mangel iſt mit einem ſolchen ſchweigſamen Zurate⸗
ziehen, ja Ausplündern fremder Autoren nach antiken Begriffen nicht
verbunden, und es bleibt ja auch trotz allem n der drei Baupt-
kämpfer fein charakteriſtiſches Gepräge.
Celfus Ram als reiner Heide ans Chriftentum 19 er war philo⸗
ſophiſch und ſophiſtiſch gut gebildet, hatte für einen Außenftehenden
erſtaunliche Dertrautheit mit den chriſtlichen Offenbarungsquellen,
wenigftens mit den Evangelien, war aber der Mann des realen Lebens,
dem es einzig um den Beſtand des römiſchen Reiches ging, wenn er
ſich fo viel Mühe mit den Chriſten machte. Porphurius war nach
glaubwürdiger Nachricht in feiner Jugend ſchon ktatechumene geweſen,
es drängte ihn aber auf die Bahn der großen Reſtauration, die der
Nneuplatonismus verſuchte. So ging er als Philoſoph der widerſtreben⸗
den chriſtlichen Seiſtesrichtung entgegen, wußte indeſſen ſehr gut, wo
er die Chriſten am empfindlichſten treffen konnte, erwarb ſich deshalb
eine umfaſſende Kenntnis der Bibel und griff fie dann mit ſchneiden⸗
der Kritik an. Klagen und Drohungen über die Staatsfeindlichkeit
der Chriſten finden wir bei ihm nicht; denn er war ſelbſt nicht mehr
mit dem herzen Bürger des irdiſchen Staates, ſondern ſchaute nach
höheren Yielen aus. Und eben dieſe höheren Ziele der zur Theofophie
verzerrten Theologie ſind es, die den getauften, ja im kirchlichen
Lektorat verwendeten Julian zum Apoftaten und grimmigſten Baffer
und hetzer werden ließen. Denn immer gilt: corruptio optimi pes-
sima, „verdirbt der Befte, wird er der Schlimmſte“. Am Ende jeder
Empörung wider den heiligen Beilt ſteht die Tragik des Untergangs.
Zum Schluſſe möchte der Derfaffer bekennen, daß die traurige poli⸗
tiſche und religiöfe Lage der Gegenwart ihn beſonders zu dieſen Studien
angeſpornt hat, deren Ergebnis, losgelöſt von wiſſenſchaftlichen Einzel⸗
fragen, hier vorliegt. Die Anwendung dieſer, wie er hofft, richtigen
317
geſchichtlichen Betrachtung auf die Zeit und das Volk, um die wir
ſiebend uns bemühen, überläßt er dem Lefer. Tröſtlich in all den Schat⸗
ten, die uns umringen, iſt das Bewußtſein: den erſten Weltſieg der
Frohbotſchaft geſu Chriſti hat nicht die Tugend der Chriſten, nicht der
„gefunde Menſchenverſtand“, nicht die Kultur, auch nicht der religiöfe
Trieb als ſolcher entſchieden, ſondern der Dater, vor dem „ich meine
linie beuge, daß er euch gewähre nach dem Reichtum feiner Herrlich⸗
keit in kiraft zu erſtarken durch feinen Beift für den inneren Menſchen“
(ogl. Eph. 3, 16).
Anmerkungen.
Die Gegenſätze zwiſchen gnoſtiſchem und kirchlichem Chriſtentum find jetzt durch
das Buch von J. P. Steffes, Das Weſen des Bnoftizismus und fein Verhältnis zum
kath. Dogma (Paderborn 1922), dem gebildeten Katholiken dargeboten. Es ſei dieſes
Werk allen empfohlen, die den religiöſen Strömungen der Gegenwart, welche den
gnoſtiſchen oft aufs haar gleichen, ihre Aufmerkfamkeit widmen.
? Den Kaiſerkult zu würdigen liegt nicht in der Abſicht dieſer Zeilen. Aber das
mag geſagt werden, daß die Kenntnis dieſer letzten großen Schöpfung der Antike das
meifte beiträgt zur Einfühlung in die geiſtige Page, in der ſich das Chriſtentum dem
rõmiſchen Reich gegenüber befand.
Das ſagt [ehr offen und deutlich Hieronymus (Ep. 48, 13 ad Pammachium).
gl. die kathol. Arbeiten: W. Koch, Die altchr. Apologetik des Chriſtentums
(Akademiſche Antrittsrede enth. in der Tübinger Theol. A8. 1908); J. Zahn, Die
apolog. Grundgedanken in der Lit. der erſten 3 Jh. ſuſtematiſch dargeſtellt (Würz⸗
burg 1899); m. Faulhaber, Die griech. Apologeten der klaſſ. Däterzeit. L. Eufebius
(Würzbg. 1895); f. Seitz, Die Apologie des Chriſtentums bei den Griechen des 4.
und 5. Jh. in hiſt.⸗ſuſtem. Darſtellung (Würzbg. 1895).
5 Ein intereffantes Beifpiel find die von Harnack überſetzten Responsiones ad
Orthodoxos, Quaestiones Gentilium ad Christianos und Quaestiones Christia-
nae ad Gentiles (Tegte u. Unterſuchungen 21, 3). Dieſe Literatur der „Fragen und
Antworten“ war überhaupt beliebt. In ſpäterer Zeit war fie wohl nicht mehr ernft
gemeint; aus den älteren dialogiſchen Apologien der Väter aber ließe ſich viel in-
direktes Material für die Geiſtesverfaſſung des Baganismus beibringen.
*° Mißverftändniffe gröbfter Art werden wir auch bei denen kennen lernen, die
ſich ex officio der Bekämpfung des Chriſtentums wiömen. Vor allem fällt bei Gucian,
Celfus (vgl. C. Celsum 5, 54; 6, 53), aber auch bei Plotin und ſelbſt bei Julian
(vgl. Ep. 43, 52; bef. Or. 7: chriſtliche „Apotaktiker“ : Enkratiten) auf, daß fie den
Snoſtizis mus und das kirchliche Chriſtentum mangelhaft unterſcheiden. Für
celſus mag das noch verſtändlich ſein, bei Julian iſt es unverzeihlich. Der entſchei⸗
dende Grund liegt aber bei all dieſen gelehrten Bücherſchreibern wohl darin, daß fie
das Jdeal der Kirche als den fortlebenden Chriſtus, das corpus Christi mysticum,
überhaupt nicht verſtanden. Übrigens beklagt ſich ſchon Tertullian (Apol. 1f.), daß
man ſich keine Mühe gebe nachzuforſchen, was eigentlich Chriſtentum ſei.
s Der cuniſch · ſtoiſche und der chriſtliche Wanderprediger waren freilich im 2. Jh.
noch nicht ſo leicht zu unterſcheiden. Manches, was wir für rein chriſtlich halten,
findet ſich auch bei Seneca, Epictet oder Marc Aurel in ſchönen Worten ausgeſprochen.
Trotzdem liegt zwiſchen der ſtoiſch⸗ cuniſchen Diatribe und dem Evangelium eine tiefe
Kluft. Erſtere ift allerdings populäre Philoſophie, aber nur letzteres ift Religion der
biebe, die ſich zum Geringſten herabneigt und ihm den Bruderkuß gibt. Darüber
ogl. man das gewiß unparteiiſche Urteil Wendland's, Die helleniſtiſch - römiſche
318
Kultur (Tübingen? 1912) 232. Die Stimmung des 2. Jhs, hat P. Dörfler in feinem
Roman „Ueue Götter“ weiteren Kreiſen zugänglich gemacht; für die Zeit Julians
wäre an Ibfens Drama „Aaifer und Saliläer“ zu erinnern. Wenn Julian in feinen
zwei Reden gegen die Aftercyniker im Grunde die Chriften treffen wollte, fo wäre
das nur ein Beweis, wie wenig er und viele feiner Zeitgenoffen das Chriftentum
verftanden haben, obwohl inzwiſchen zwei Jahrhunderte verſtrichen waren.
® Dgl. v. Chriſt, Seſchichte d. griech. Literatur, II 1.380; II 2° 612. Anders dagegen
B. Allard, Hist. des persecutions II 68; IV 219° und viele andere mit Berufung
auf die Anklänge an chriſtliche Schriften. Ich muß mich hier eines beſtimmten Ur-
teils enthalten.
° Miffon 8. J., Recherches sur le paganisme de Libanios (Louvain 1914) 157.
10 Geſchichte der buzantiniſchen Literatur? 459f.
1% Selbft Proclus glaube ich nicht unter die Polemiker rechnen zu dürfen. Seine
„18 Beweiſe für die Unvergänglichkeit der Welt“ trugen kaum im Titel eine Spitze
gegen die Chriſten (vgl. Zeller, Philoſophie der Griechen III, 2“ 838”); Proclus iſt
ja erſt 410 geboren! Jedenfalls handelt es ſich nur um einen gelehrten Streitpunkt,
von einer allgemeinen, offenen chriſtenfeindlichen Stellungnahme konnte nicht mehr
die Rede ſein.
1 Daß eine ſolche zuſammenfaſſende Würdigung überhaupt möglich iſt, verdanken
wir vor allem folgenden Arbeiten: Keim, Celfus’ Wahres Wort (deutſcher Rekon
ſtruktionsverſuch). Jürich 1873. Roetſchau Jahrbuch für prot. Theologie 18, 604 ff.
(genaue Dispofition des Wahren Wortes), vgl. auch feine Ausgabe von Origenes
Contra Celsum in: Die griech. chriſtl. Schriftfteller der erſten 3 Jhe (Berlin 1899).
harnack, Die Bücher des Porphurius gegen die Chriſten. Sitzungsberichte der preuß.
Akad. der Wiſſenſchaften in Berlin 1919 (auch Sonderdruck), dazu Sitzungsb. 1921,
266 ff., 834 f. C. J. Heumann, Juliani librorum contra Christianos quae super-
sunt. Lipsiae 1880 (auch deutſch überſetzt in eigener Ausgabe); dazu eine kleine aber
wichtige Ergänzung: Theol. Git. Jeitung. 1899 Ur. 10 Sp. 301. Ich beſchränke mich
auf dieſe Nennung der Texte. Wie viele Fragen damit zuſammenhängen, welche Hilfs⸗
mittel zu ihrer Löfung uns die wiſſenſchaftliche Literatur bietet und was der Der-
faſſer dieſen Werken verdankt, wird der Tieferöringende bald gewahr werden.
1 Im folgenden C. C. mit Buch und Kapitel zitiert. Deutſch von J. Röhm in
der alten Kemptener „Bibl. der Kirchenväter“ (1876/77); in der neuen ſteht Origenes
noch aus.
1 Pgl. C. C. 8, 2: e dau co e xaldroppnyvuvres And d Aoınav Avdpwrwv.
Daß das Chriftentum ungeſetzlich, revolutionär iſt, ift das Leitmotiv der ganzen
Schrift: C. C. 1, 1.
1 Fr. 8. Muth, Der kampf des Philoſophen Celſus gegen das Chriſtentum (Mainz
1899), eine gute katholiſche Monographie, zählt 8. 176 ff. achtund fünfzig Evangelien;
ſtellen auf, die Celſus berückſichtigt.
15 Das befte, was Origenes Celfus entgegenſetzt: Jeſus braucht ſich nicht zu ver;
teidigen, das Leben feiner wahren Jünger ſpricht für ihn (C. C. Prooemium u. d.
3, 29) konnten freilich ſchon Chruſoſtomus und Gregor von Hazianz nicht mehr
ſo leicht Julian erwidern.
1s Die in Betracht kommenden Texte bei C. Wolff, De philosophia ex oraculis
haurienda (Berol. 1856) 141“. 180f 183 f. (aus Hugſtinus De civ. Dei 19, 23). Ich
kann Wendland, Poeſche und Harnack (vgl. miſſton und Ausbreitung des Chr.“
1 415) nicht recht geben, daß Porphurius hier günftiger über Chriſtus urteile. Er
wird doch eben nur unter der Dorausfegung von den Orakeln und Porphurius an-
erkannt, daß er — die Orakel anerkennt. Und dann merkt man deutlich die Abſicht:
Chriſtus wird gelobt, um feine unwürdigen Anhänger deſto beffer ſchmähen zu können.
Beftätigt wird meine Unſicht durch Firmicus Maternus De errore prof. rel. 13, 4,
der gegen dieſe Schrift des Porphurius dieſelben Dorwürfe erhebt, wie fie ſonſt gegen
ihn gerichtet werden. Ugl. Chrift II 2° 6821.
319
1 Auch in einem großen, nurmehr bruchſtückweiſe erhaltenen chronologiſchen Werk
war wohl fein hintergedanke, den Prioritätsbeweis der Chriſten für die Offenbarungs-
weisheit zu entkräftigen. Uergl. die oben angegebene Arbeit harnacks über die
Bücher des Porphurins gegen die Chriften 8. 12“. Dieſe Arbeit wird im folgenden
zitiert 5. P. mit der Hummer der dort geſammelten Fragmente der Schrift des Por ·
phurius gegen die Chriſten.
Grundlegend für Auguſtins Kritik am Ueuplatonis mus: De civitate Dei 9,
15-17; 10, 29 ff.; 12, 2. 13 fl.; 22; vgl. auch Conf. 7, 9 ff.; Retract. 1, 4, 7. Über
Porphyrius fagt er De civ. Dei 10, 9 treffend, er ſchwanke zwiſchen Philoſophie
und Theurgie. Gegen deſſen Evangelienkritik richtet er fein De consensu evange-
listarum. Aber trotz aller Ausſtände, die er an ihm macht, hält er ihn wert, 3. B.
De civ. Dei 19, 22. 23; 22, 27.
» Gactanz Inst. 5, 3 erwidert dem Bierocles, aus dem eigentlich Porphurius ſpricht:
affirmans deos esse et illos tamen subicis et mancipas ei Deo, cuius religionem
conaris evertere: „Du behaupteſt es gebe Götter und mußt fie doch dem Gotte unter-
oroͤnen und dienſtbar machen, deſſen Bekenntis du zu unterwühlen verſuchſt“.
Unrecht hat Seffcken, Raifer Julian und die Streitſchriften feiner Gegner (eue
hb. f. d. klaſſ. Altertum 11 [1908] 194 f.) nicht, wenn er ſagt, die antiken Streitſchriften
für und wider Chriſtus ſtelten einen Typus dar. man wundere ſich nicht, wenn
man die hier an chriftenfeindlichen Erzeugniffen nachgewieſene Methode auch bei den
ſtirchenvãtern findet. Aber ihre tatſächliche innere Uberlegenheit bleibt dabei beftehen.
* Solche Stellen, die einer ernften Kritik wohl würdig find, wären etwa h. P.
n. 35. 90. 91. 94. Es darf aber auch nicht verſchwiegen werden, daß ſich ſchon bei
Plotin und noch mehr bei Porphurius trotz allen Monismus orientaliſcher Dualismus
eingeſchlichen hat, der im ſpäteren UHeuplatonis mus eine fo üble Rolle ſpielt. Dgl.
oben, was Huguſtin über Porphurius ſagt!
n Pact. a. a. O. Dieſe hier ganz neu auftauchende Injurie ift ſonderbar. Geht fie
auf eine Derwedhslung Chrifti mit dem flüchtigen David zurück? (vgl. Allard, Hist.
IV 219). Das wäre dann freilich die denkbar ſchlechteſte Empfehlung für Bierocles.
boeſche weiſt auf C. C. 2, 12; 8, 14 als Parallelen hin. — Uebenbuhler Chriſt auf-
zuſtellen hat übrigens ſchon Celſus beliebt C. C. 3, 42 u. ö.
n Hiſibis war dreimal von den Perſern berannt worden. Die Einwohner der
Stadt, großenteils überzeugte Chriften, haben fie dem römiſchen Reich erhalten. Julians
zwar von langer Hand vorbereiteter, aber von Opferſchauern übelberatener und wie
eine Derzweiflungstat durchgeführter Feldzug hat einen ungünſtigen Frieden nötig
gemacht, der die Stadt den Perſern aus lieferte.
* Ein Vergleich etwa zwiſchen den „Säulenhomilien“ des hl. Chruſoſtomus und
dem „Barthaffer” qulians wäre ungemein anziehend und würde das Kräftenerhältnis
zwiſchen Chriſtentum und Heidentum grell beleuchten.
”» Das oben zitierte Werk Neumanns über Julians Bücher gegen die Chriſten
iſt im folgenden abgekürzt mit U., Seitenzahl und Zeile. Außerdem ift unumgäng⸗
lich: F. C. Hhertlein, Juliani Imp. quae supersunt praeter reliquias apud Cyrillum
omnia. 2 voll. Lips. 1875 - 1876, (zitiert: &ertlein nur mit Seitenzahl und Zeile;
denn der 2. Band iſt fortlaufend paginiert). Julians philoſ. Werke ſind in deutſcher
Überf. von AT mus zugänglich in der „Philoſophiſchen Bibliothek“ Ur. 116 (Leipzig
1908), ſämtliche Werke in franzöſiſcher Uberſetzung von Talbot (Paris 1863).
Eg iſt [ehr wohl möglich, daß Julians Beifpiel raſch Nachahmer gefunden hat.
Der hl. Hilarius ſchrieb einen (uns verlorenen) Libellus contra Dioscurum medi-
cum ad Sallustium praefectum. Dieſer Dioscurus war ein Gefinnungsgenoffe 97s.
Aber dergleichen Ableger mußten natürlich ebenſo wie 9's Stammbaum zugrunde gehen.
” Bol. Wendland die helleniſtiſch⸗ rõmiſche Kultur 179 f. Es mag hier wenig;
ſtens angemerkt werden, daß die helleniſtiſche kritik am Alten Teftament ſehr an
Marcion erinnert. Ein genauer Vergleich wäre jetzt oͤurch harnacks neue Arbeit
über Marcion bedeutend erleichtert.
*
320
” Die 6 Briefe an ihn unter Julians Briefen find aus äußeren Gründen ftark
verdächtig, ſprechen aber ganz die Pſuche 9's aus.
gl. die ſchwächliche, moralifierende Empfehlung der Naturreligion in Ep. 51:
die Sonne, den allen erkennbaren Wohltäter Helios, wollen die Alegandriner nicht
göttlich verehren, dafür aber den unſeren Dätern ganz unbekannten Jeſus! Ahnliche
klagen leſen wir aber auch ſchon C. C. 8, 14.
0 Die Antiochener ſpotten über feine huperfrömmigkeit (Misopogon, Bertlein 446;
Julian Ronterfeit fi ſelbſt: 467, 5). Chruſoſtomus nennt ihn „Opferfleifhhändler“,
und ſelbſt der nüchterne heide Ammianus Marcellinus findet, daß Julian des Guten
zuviel getan habe, während Libanius feinen Helden verherrlicht, daß er fo vielen
Göttern opfere. .
1 Man darf ſich nicht beirren laſſen, daß in den geringen Reften von Julians
Saliläerſchrift gerade die Polemik gegen die Juden einen fo breiten Raum einnimmt.
Das gehörte zum alten Rüſtzeug der antichriſtlichen Literatur (vgl. C. C. 5, 2 ff.)
J. hat anderwärts deutlich genug gezeigt, wieviel ihm an dem Wohlwollen der Juden
gelegen iſt. Sein Tempelbauverſuch wird von ihm felbft verkündet: Ep. 25 und
Fragm. ep. Bertl. 379; in der Galiläerſchrift Ur. 216 ſpricht er nicht mehr davon,
wohl weil die Tatſachen ſchon geſprochen hatten!
5 Nx. 164,16; 207, 9 ff.; 216, 16 ff.; 226,16; ep. 63, 51; die Gedanken find auch hier
nicht neu: C. C. 3, 5. 59 ff. u. a. harnack Porph. n. 27 f. 38. 73. 87; dagegen ſpricht
Porph. n. 79 von einem chriſtlichen Kult. Das chriſtliche Opfer kennt natürlich auch
J., aber abſichtlich, dAywvırrıxas ſchweigt er davon. |
Pas belege ich gerade mit dem autobiographiſchen humnus in feiner Or. 7 ad
Heraclium (Bertl 294 — 304). Julian hofft durch die Gnade und die Nachfolge der
Götter einmal felbft ein „Bott“, Yeds zu werden und den Dater aller Götter und
menſchen, das neuplatoniſche Ur -Eine zu ſchauen. klingt das nicht an die Dergött-
lichungslehre des von ihm beſtgehaßten Athanaſtus an? IM er damit nicht weit
entfernt von den Anſprüchen eines Domitian? Und ſteht das buzantiniſche Hof-
zeremoniell nicht Domitian näher als Julian? Als Mittel zum Iweck war ihm ge⸗
wiß auch der Raiſerkult recht, da müßte er ja nicht der widerſpruchsvolle, traditions-
freundliche Julian fein. Aber der Gegenſatz iſt nicht „Kaifer und Galiläer“ (Jbſen),
ſondern viel eher „Sonne und kireuz“!
” Diefe beſ. in einem allerdings beſtrittenen Brief, den Papadopulos Kerameus
im Rhein. Muſeum (Ileue Folge 42 [1887] 25 ff. an erſter Stelle) veröffentlicht hat.
gl. die gründliche aber ſchon noch ergänzungsfähige Studie von 8. Poeſche
„Haben die ſpäteren neuplatoniſchen Polemiker gegen die Chriſten das Werk des
Celfus benutzt?“ in der Zeitſchr. für wiſſenſchaftl. Theologie 27 [1883] 257 302.
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VORUOEODELHHETOEROLOHOGROOFUBUBEEEGUHOERURETEOOUEOEUOEHOHERHEHOEUOUEULOUUEHBUTUOHOHOEEOUHOOUHORLOHEOEEOHEOOHOOHHEUOORADOHEUOERRUHHTEHEEHODOUAOREDTEOSOHEROULHHEHOUHEEDUENHERESOHER
Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.
Uicht viele Jahre ſind's her, da betrachtete ich als Student von der großen Säulen-
halle des Borromäums (Pavia) aus an dieſem Tage (2. Februar) einen wundervollen
Sonnenuntergang hinter der im Winterſchnee weiß ſchimmernden Kette der pen ⸗
ninen. Wie lieblich iſt ein ſolcher Untergang! Lieblich, weil die Sonne, die von uns
ſcheidet, morgen mit all ihren Schätzen an Licht wiederkehrt. Allein jener Untergang,
dem wir alle Tage beiwohnen müſſen, der Untergang jener Sonne, die da geſetzt iſt
zur Erleuchtung der Dölker, und die ſich mehr und mehr in der Geſellſchaft verbirgt,
er hinterläßt nur bittere Trauer. Wird wohl dieſe Sonne aufs neue wieder aufgehen,
wird die Seſellſchaft wieder chriſtlich werden, werden Güte, Reinheit und Glauben
wiederkehren? Dieſe füße hoffnung mag ich nicht fahren laſſen
entnommen dem Büchlein „Gedanken und Gebete des Prof. Contardo Ferrini“ heg. von Mut - Pellegrini
(Dillingen 1924). Die Aufzeichnungen des edlen Mailänders (1859, 1 1902) zeigen einen offenen Blick
für menſchennot, Rulturwert und Haturfchönheit; fein Gebetsleben it an Meffe und Kirchenjahr mit-
gebildet. Ferrini war zwei gahre (1880/82) als Auslandfiipendiat in Berlin der unfere, und if der erſte
Derbindungftudent und neuzeitliche Hochſchullehrer, dem die Ehre der Altäre in Ausſicht ſteht.
321
Die Derle als religiöfes Symbol.
Don P. 080 Cafel (Maria Paach).
er Hellenismus, dieſer köſtliche „Silberblick“ der Weltgeſchichte, in
dem eine weder vorher noch nachher erreichte Verſchmelzung
morgen- und abendländiſchen Geiftes eintrat, iſt, wie der Mutterboden
unferer geſamten abendländiſch⸗chriſtlichen Kultur, fo auch der Quell-
punkt unferer religiöfen Formenſprache in Liturgie und Muſtik ge⸗
worden. Nicht aus einem geſchichtlichen „Zufall“, ſondern aus dem
innern Weſen einer gottgewollten Entwicklung heraus ſprechen wir
noch heute in der kirche die Sprache, die der chriſtliche Genius aus
dem unvergleichlichen Material, das der Hellenismus ihm darbot, ge⸗
ſchaffen hat. Wo die Kirche in ihrer Liturgie in geheimnisvollen Sum⸗
bolen von ihrer Liebe zu Chriſtus ſpricht, tut fie es meiſt in Formen,
Bildern und Zeichen, die das Evangelium aus dem Schatze der helle⸗
niſtiſchen Religiöfität ausgewählt und auf den wahren Beſitzer und
münzherrn umgeprägt hatte, fo wie einſt die Juden, als fie aus Agup⸗
ten zogen, das heidniſche Bold zu Geräten ihres wahren Gottes um⸗
ſchmolzen. Der Orient mit ſeinem Tiefblick für das Göttliche, das in
Worten und Begriffen ſich nicht ausdrücken läßt, ſchuf die Sinnbilder;
der griechiſche Beift goß fie in klare, durchſichtige Form; das Evan-
gelium gab ihnen ihren letzten, wahrſten Sinn. 8o ging es auch mit
dem Bilde von der Perle, das wir im Anſchluß an die Forſchungen
h. Ufeners! und R. Reitzenſteins? kurz betrachten wollen.
Die Perle wächſt im Meeresgrund, fern von den Augen der Men-
ſchen, verſchloſſen in eine Mufchel, die in Schlamm gebettet iſt. Dort
im Dunkel reift ſie heran und entfaltet ihre ſchimmernde Schönheit.
Taucher müffen unter Lebensgefahr, oft lange Zeit vergebens, in die
Tiefen hinabſteigen, um fie zu gewinnen. Wenn fie aber gefunden iſt,
von der Mufchel befreit wird und ans Licht der Sonne kommt, fängt
die Beſcheidene an, edel zu leuchten. Sie wird hochgeſchätzt von den
menſchen, mit vielem Golde erkauft und ſchmückt den Hals der ktönigin.
im ewig unruhigen Meere geboren, leuchtet fie jetzt ſtetig im Lichte
der Sonne.
Wie kam dies milde Licht in die dunkle Tiefe? Es konnte nur aus
dem Lichtſchatze des Himmels hinabgeſtiegen fein. Die Alten erzählten
ih, die Mufchel öffne zur Frühlingszeit ihre Schalen und empfange
vom Mondgott den Bimmelstau (fo Sudines und Alexander Poluhiſtor);
Die Perle. Aus der Geſchichte eines Bildes. Vorträge u. Ruffäge (1907) 219 — 231.
’ Befonders: Das iraniſche Erlöſungsmuſterium (1921).
322
oder aber der Blitz, das himmliſche Feuer, den on Lichtkeim in
das meer (Ifidor von Charag).
Dom himmel ftammt alfo das Feuer der Perle. Dom Himmel ſtammt
aber nach altorientaliſcher Anſchauung auch die Seele. Bei den Man⸗
däern und Manichäern finden wir eine geheimnisvolle Seelenlehre,
die auf ältere orientaliſche Theologie zurückgeht. Danach ift die
menſchenſeele ein Bötterkind, ja nach manchen eine Gottheit. Sie ſtieg
vom himmel herab, um den Rönig der Finſternis unten in der Materie
zu bekämpfen; oder ſie ward von jenem geraubt und in ſein finſteres
Reich entführt. Nun liegt ſie da im Schlamm und Unrat der Materie,
verſtrickt in die niedrigen Feſſeln dieſer Welt, wird trunken vom
Schlummertrank der Finſternis und ſchläft ein. Sie wäre verloren, wenn
nicht ihr beſſeres Ih, das im himmel zurückgeblieben ift, herabſtiege
und fie aus dem Schlummer erweckte. 50 kommt denn der Erlöfer,
ihr eigenes beſſeres Selbſt, ihr „Abbild“, der „Urmenſch“, herab und
ruft ihr zu: „Erwache, Glanzſeele, aus dem Schlummer der Trunken-
heit, worin du entſchlummert biſt ... Ich will dich ſchmücken laſſen
Folge mir zur Stätte der gebetgepriefenen Erde, wo du geweſen bift
von Anbeginn.“ Oder: „Schüttle ab die Trunkenheit, in die du ent⸗
ſchlummert biſt; wach auf und ſieh auf mich. heil über dich aus der
Welt der Freude, aus der ich deinetwegen geſandt bin.“ „Die Seele
erwidert: „Ich bin ich, der Sohn der Jarten (d. h. der Götter); ver⸗
miſcht bin ich und Wehklagen ſeh ich; führe mich hinaus aus der
Umklammerung des Todes.“ Der Erlöfer: „O mein KHörper! Der be⸗
bendigen Kraft und der größten Welt Heil über dich aus deiner heimat.
Folge mir, Sohn der Sanftmut; den Lichtkranz ſetze auf das Haupt.“
Der Erlöfer betrachtet ſomit die Seele als feinen Körper; er ift alfo ihr
beſſerer Teil, die eigentliche Seele. Er kommt aus der heimat und
führt die Derirrte dorthin zurück. Er iſt das Abbild der Einzelſeele,
aber auch die Befamtheit aller Seelen. Er wird bald männlich ge⸗
dacht als der Urmenſch, bald weiblich als die Urfeele, die Lichtjungfrau,
die Göttin Seele (Pſuche). Weil im Grunde die vom himmel kommende
und die in die Materie gebannte Seele identiſch find, fo gilt ſchliehlich
der Erlöſer ſelbſt als in die Materie verſenkt; er muß zuerſt ſelber
erlöft werden, um die andern erlöfen zu können. Ormuzd, der Schöpfer⸗
gott, gilt ſelber zuweilen als der Urmenſch. Das ganze Suſtem iſt
ſtark pantheiſtiſch. Der Erlöfer iſt eine Art Sottmenſch, wenn auch
in einem ganz andern Sinne als im Chriſtentum. Unerkannt ſteigt
er aus dem Lichtreich in die Weltfinſternis hinab, um die Gefangenen
zu befreien; aber wenn er dann ſiegreich emporſteigt, zerbricht er die
323
macht der dämoniſchen Archonten dieſer Welt mit ihren Planeten⸗
ſphären in offenbarer Majeftät. 80 wird fein Sieg, das .
aller Seelen, zugleich zum Weltuntergang.
Dieſe behre wird im kult für den einzelnen Gläubigen dargeſtellt
und im Sumbole gefeiert, als Unterpfand dafür, daß der Gläubige
einſt vom Erlöfer ſterbend befreit werden wird. 50 wird die Lehre
zu Gebet und Handlung, zum Myfterium.
Wie ſehr paßte auf dies Schickſal der Seele das Bild von der Perle!
In der Tat wird bei Mandäern und Manichäern die Seele „Perle“
genannt. Das Manvahmed, das „himmliſche Abbild des Menſchen“,
iſt die Perle. In einem manichäiſchen Liede! heißt es als Überſchrift:
„Der Angeſprochene iſt die Perle...” Das Gedicht ift die Anſprache
des Erlöſers an die Seele, die er zum bichtreiche emporführt. Nach dem
mandäiſchen Genzabuch fühlt ſich die Seele ſchutzlos, bis er kommt,
der Hönig. der Uthras (Engel); wenn er gekommen iſt, iſt fie als fein
Sklave edler als alle Edeln. Er begrüßt fie „als die Perle, die aus
dem Schatz des Lebens geſchaffen wurde, die duftſpendende, die den
ſtinkenden Körper duftig machte, die lichtſpendende, die das finſtere
Haus erleuchtete, die edelgeborene, die in dem hauſe des Böſen eine
magd genannt wurde. Scheidet ſie aus der Welt, ſo fragen deren
Schatzmeiſter, wer die Perle herausgebracht hat, die das hinfällige
Haus erleuchtete .. Ganz ähnlich heißt es in den von Lidzbarski
herausgegebenen mandäiſchen Liturgien:“
Die Seele löſte die Kette,
fie ſprengte die Bande.
Sie legte den körperlichen Rock ab,
ſie wandte ſich um, erblickte ihn und erbebte.
Sie flucht dann dem Bildner des Körpers; der Erlöſer aber [pricht zu ihr:
„Geh in Frieden, du Edelgeborene,
die man in der Wohnung der Böſen eine Magd genannt.
Geh in Frieden, du reine Perle,
die du aus dem Schatze des Lebens geholt wurdeſt.
Geh in Frieden, du Duftſpendende,
die du den ſtinkenden Körper duftend machteſt.
Geh in Frieden, du Lichtfpendende,
die du das finſtere haus erleuchteteſt.
Geh in Frieden, Erwählte, Reine,
Sündenlofe, ohne Fehl.“
! Reigenftein 22. Ebd. 55. ° Mandäiſche Liturgien, mitgeteilt, überſetzt und
erklärt (1920), 8. 101 ff.
324
Die Seele fliegt und zieht dahin, bis fie zum Haufe des Gebens kommt.
Und die Uthras ſprechen zu ihr:
„Nimm, zieh dein Gewand des Glanzes an
und ſetze deinen prangenden Aranz auf.
Steig empor, wohne in den Skinas,
der Stätte, an der die Uthras weilen.“
So iſt die Perle dem Schatze Gottes wiedergegeben, und in Glanz
gehüllt, leuchtet fie im bichtreiche. Doch ſchon vorher war fie ein
bichtfunke, ein Teilchen vom göttlichen Lichte, aber wie die Perle noch
im Schlamme liegend. Pſ.-Hieronumus de haeresibus 51 berichtet als
behre der Manichäer: „In dem obern Quell, dem Flußbett des himm⸗
liſchen Stromes, ſei alles und allgemein miteinander vermiſcht und
habe ein Weſen mit Gott. Ein Teilchen dieſes Lichtes, das einſt von
den Finſterniſſen feſtgehalten worden ſei, wolle Gott befreien; dieſes
nennen ſie Margarita (Perle).“ Das Johannesbuch der Mandäer er:
zählt, wie der Sohn des Lebens die Saat von Perlen und Edelfteinen
in den vom Pflug (einem Gottwefen) aufgeriffenen Boden fät:.
Die Snoſis, die ja ganz mit orientaliſcher Muſtik in helleniſtiſcher
Aufmachung gefättigt iſt und dieſe bald mehr bald weniger mit chriſt⸗
lichen Zutaten verſetzte, übernahm auch das Bild von der Seelenperle.
Aus der mandäiſch-manichäiſchen Lehre von der Perle als der Urſeele
erklärt ſich reſtlos der Seelenhumnus der gnoſtiſchen Thomasakten’.
Aus dem Oſten, der Heimat des Lichts, ſchickt der König feinen Sohn
nach Ägypten, um dort die koſtbare, von dem Drachen bewachte Perle
zu holen. Dieſer aber läßt ſich von dem Böſen betören, von ihrem
Brote zu eſſen und ihrem Tranke zu trinken; er ſinkt in Schlaf und
vergißt der Perle. Ein Brief des Daters weckt ihn; er nimmt die
Perle und ſteigt zum Dater empor, der ihn in das bichtkleid, fein
eigenes beſſeres Ich, hüllt. So iſt im Grunde der königsſohn ſelbſt,
der erlöfte Erlöſer, die Perle.
So verſtehen wir es nun, wenn ſchon in der Bnofis der Erlöfer
Chriftus, auf den die Gnoftiker manche orientaliſchen Lehren über⸗
trugen, Perle genannt wird. Im Humnus der gnoſtiſchen gohannes ·
akten Rap. 109 heißt es: „Wir preiſen deinen Sproſſen, den Logos,
Bei Ohler, Corpus haeresiol. 1, 286 f. (Uſener 229 Anmerkung 1). Jgohannes⸗-
buch der Mandäer herausgegeben von M. Gidözbarski (1915) Kap. 49 Der Pflug. —
Das von Uſener 223 — 225 über Aphrodite als Perlengöttin und ihre angebliche
Nachfolgerin Pelagia- Margarita Geſagte ift abzulehnen: vgl. auch Reitzenſtein 8. XI.
® Dgl. Keitzenſtein 70f.
325
die Gnade, den Glauben, das Salz, die unausſprechliche Perle
(roy Mexröv napyaplımv), den Schatz, den Pflug, das Netz, die Maje⸗
ſtät, das Diadem.“ Alle dieſe Bilder bezeichnen den Erlöſer!; er ift der
göttliche Margarites (uxpyapiıns iſt männlich).
Die katholiſchen Chriſten brauchten ſich nicht zu ſcheuen, das
ſchöne Bild von der Perle auf ihren Heiland anzuwenden. Es geſchah
vor allem durch die katholiſchen „Bnoftiker“, den tiefſinnigen Clemens
von Nlexandreia und Origenes. Clemens ſagt im Paidagogos (II & 63, 5):
„Die Perle ſumboliſtert den Cogos“. Im ſelben Buche (II 8 118, 4f.) ta-
delt er die Frauen, die ſich mit Perlen ſchmücken: „Die koſtbare Perle
hat ſich ganz beſonders in den Frauengemächern eingebürgert. Sie
wächſt in einer Mufchel, die den Steckmuſcheln ähnlich iſt; an Größe
ift fie einem großen Fiſchauge gleich. Jene Unſeligen ſchämen ſich nicht,
um einer kleinen Muſchel willen ſich ſoviel Arbeit zu machen. Und
ſie hätten doch die Möglichkeit, ſich mit einem heiligen Steine zu
ſchmücken, dem Logos Gottes, den die heilige Schrift einmal Perle
nennt, dem durchſichtig reinen Jefus, dem im Fleiſche beſchauenden
Auge, dem durchſcheinenden Logos, durch den das Fleiſch koſtbar iſt,
wenn es im Waſſer wiedergeboren wird. Denn jene Muſchel, die im
Waſſer wächſt, bedeckt rings das Fleiſch, aus dieſem aber geht die Perle
hervor“. Clemens findet alſo im Bilde der Muſchel, in deren Fleiſch
die Perle wächſt, einen hinweis auf den menſchgewordenen Logos,
geſus; nach dem Dorbild dieſer himmliſchen Perle werden die Chriſten
auch im Waſſer der Taufe wiedergeboren. geſus die Perle, die in
geſu Wiedergeborenen Perlen — das ift wohl der Gedanke des Schrift-
ſtellers. Eine ähnliche Clemensftelle wird angeführt in der Nicetas⸗
catena zu Matth. 13, 46 (von der koſtbaren Perle) bei Corderius?:
„Aus Clemens: Eine Perle ift auch der durchleuchtende und reinſte
defus, den die Jungfrau aus dem göttlichen Blitze geboren hat. Denn
wie die Perle, in Fleiſch und Muſchel und Feuchtigkeit geboren, ein
Rörper iſt, feucht und durchſcheinend von Licht und voll von Pneuma,
fo iſt auch der fleiſchgewordene Bott:Logos geiſtiges Licht, hindurch⸗
ſcheinend durch [Licht und]? feuchten Körper“. Wenn oben ſchon die
bichtperle, die in dem Fleiſch der Muſchel ruht, ein Bild der Menſch⸗
werdung Gottes war, ſo wird hier auch die orientaliſche Anſchauung
von dem perlenzeugenden Blitz auf die Inkarnation angewandt. Wir
werden gleich dies Bild wiederfinden und fügen nur noch eine Stelle
ı Dgl. Reitzenſtein 8. XI. ' Symb. in Matth. tom. alter p. 492, zitiert bei Stählin
zur oben beſprochenen Stelle. Dieſe beiden Worte ſind m. E. zu tilgen.
326
aus Clemens ein, die für ihn jedenfalls auch eine Beziehung auf Chri-
ftus enthält (Stromatal 816,3): „Unter den vielen kleinen Perlen ift
die eine, unter dem großen Fiſchfang der Schönfiſch“. Wie IXO
(der Fiſch) ein Sinnbild Chriſti iſt, ſo auch die eine Perle.
Am häufigſten und genaueſten hat der Surer Ephrem das Bild von
der Entſtehung der Perle ausgeführt, um aus ihm gegenüber den Do⸗
keten die Menſchwerdung Gottes und die jungfräuliche Geburt Chrifti
aus Maria zu erweifen!. „Ich kenne“, ſagt er einmal, „Chriftus als
die Wahrheit, und in der Perle bewundere ich ihn als Gott, der aus
der Jungfrau den Menſchen angenommen hat“. Der Blitz, der die
Perle zeugt, bedeutet die Gottheit, Blitz und Waſſer miſchen ſich und
dringen in die im Waſſer wachſende Muſchel ein, die ſich ſchließt und
aus Feuer und Waſſer die Perle entwickelt; fo iſt in Chriſtus die Gott⸗
heit mit dem aus Maria genommenen Fleiſche vereint. Die Perle löft
ſich zu ihrer Jeit von dem Tiere ab, ohne deſſen Weſen zu ändern; fo
hat Chriſtus das Siegel der Jungfräulichkeit Mariens nicht zerbrochen.
All dies führte dazu, daß man ohne weiteres den Heiland den Mar⸗
garites, die Perle, nannte. Gregor von Nazianz fagt (in der 39. Rede
816): „geſus wird genannt amm und Perle und Tropfen uſw.“
Zu dieſer Gleichung hatte der himmliſche Margarites ſelbſt beige⸗
tragen, als er (Matth. 13, 45 f.) das Himmelreich mit der Perle ver:
glich, und zwar mit der einen koſtbaren (vgl. oben das Sprichwort
bei Clemens): „Mit dem Himmelreiche iſt es, wie wenn ein Kaufmann
ſchöne Perlen ſucht. Wenn er die eine koſtbare Perle gefunden
hat, geht er hin, verkauft alles, was er hat und kauft ſte“. Da die
Chriften das Himmelreich in dem könig dieſes Reiches ſahen, wurde
er die „eine koſtbare Perle“, der Margarites. Die erwähnten orien⸗
taliſchen Bilder ſtärkten nur dieſe Gleichung. In der römiſchen Liturgie
fand der Gedanke zeitweilig einen Ausdruck darin, daß am 1. Januar,
der Circumcisio Domini, die als Marienfeſt gefeiert wurde, jene Stelle
aus Matthäus auf die Geburt geſu bezogen wurdes.
Der Heiland hatte (Matth. 7, 6) geraten, nicht die Perlen den
Schweinen vorzuwerfen, d. h. die Myfterien des Himmelreichs nicht
Unwürdigen preiszugeben. Schon früh wurde das in der Arkandisziplin
auf die Euchariftie angewandt, ſo ſchon in gewiſſem Grade in der
Iwölfapoſtellehre (um 100) £ap. 9, 5: „Don dieſem (d. h. der Eudya-
riftie) hat der Herr geſagt: ‚Gebet das heilige nicht den Hunden“.
Hier konnte man leicht die folgenden Worte von der Perle ergänzen
8. Uſener 220 f. Ebd. 220 Ur. 1, wo noch mehr Belege; ferner 227. Ebd. 210.
327
und dies Bild auf die Euchariſtie anwenden, die damit als Perle be⸗
zeichnet wäre. Das geſchieht tatſächlich in der im 6. Jahrhundert ver⸗
faßten Paſſio Stephans I, wo erzählt wird, Tarficius habe „die Perlen
nicht den Schweinen übergeben“ wollen (porcis prodere margaritas).
Diefe Anwendung auf die Eudariftie it nur ein Ausfluß der An⸗
wendung auf Chriftus!.
Da der Heiland das Himmelreich als die Roftbare Derle d
hatte, lag es nahe, den Weg der Heiligkeit, der zum Himmelreich
führt, als Perle zu verehren, beſonders den engen, ſteilen Weg des
marturiums und der Jungfräulichkeit. Ignatios von Antiocheia
nennt im Briefe an die Epheſer 11,2 feine Feſſeln „pneumatifche Perlen“:
„In ihm (Chriftus) trage ich die Feſſeln, die pneumatiſchen Perlen; in
ihnen möge es mir zuteil werden, aufzuerſtehen durch euer Gebet“.
fihnlich ſchreibt Polukarp an die Philipper 1, 1: „Die Feſſeln find Dia-
deme der Auserwählten“ (die Diademe waren mit Perlen gefhmückt).
In dem unter dem Namen des hl. Athanaſios gehenden Buche über
die Jungfräulichkeit Rap. 24 wird dieſe Tugend geprieſen: „O Jung»
fräulichkeit, koſtbare Perle, für viele unſichtbar, nur von wenigen ge⸗
funden!“ hier iſt alſo das Bild noch lebendig gefühlt. Im 9. Kapitel
werden die „Lehren Gottes“ im Anſchluß an Matth. 7,6 als „koſtbare
Perlen“ bezeichnet, „die nur den Würdigen gegeben werden“. Die rö-
miſche Liturgie fingt von den Jungfrauen (und Witwen): „Gleich iſt
das Himmelreich einem Raufmann, der gute Perlen ſucht; nachdem er
die eine koſtbare gefunden, gibt er alles hin und kauft fie”. So wird
Margarita zu einem inhaltsreichen Frauennamen, der beſonders Mar-
turinnen und Jungfrauen ſchmückt. Rus dem Margarites wurde im
bateiniſchen margarita, wegen feiner Endung bald als weiblich be⸗
trachtet und deshalb als Frauennamen verwandt'.
Unſere kurze Betrachtung hat uns gezeigt, wie tief der Sinn des
namens iſt, der erſt im Chriſtentum feinen vollſten Klang erhielt:
Margarites - Chriftus - Himmelreich Wiedergeburt - Gichtfeele - Mar:
tyrium - Jungfräulichkeit — all das deutet ſich geheimnisvoll an in
dem Sumbol der Perle, der Margarita.
In den orientaliſchen biturgien wird zuweilen eine Partikel der Hhoſtie als Mar-
garita bezeichnet; ſo z. B. bei Joh. von Tella, Quaestiones de rebus variis, ed.
Th. J. Lamy, Diss. de Syrorum fide 70 f.
Es wäre wichtig, das Fortleben des Bildes im Mittelalter zu verfolgen. —
Aus fpäterer orientaliſcher Poeſte mache ich aufmerkſam auf die Hymnen des
manikka⸗Daſagar aus dem Indien des 9. Jahrhunderts nach Chr. (herausgegeben
von W. Schomerus, Jena 1923), der feinen Gott Schiwa auch als Perle befingt,
3. B. 8. 23, 26, 126, 155 uſw.
328
Der Wandel in der Gegenwart Gottes
und die hl. Thereſia.
Zum Tag der heiligen, den 15. Oktober.“
Don P. Alois Mager (Beuron).
W man über die religiöfe Lage unferer Zeit auch denken mag, es
offenbart ſich doch in vielen Seelen ein unbeſchreibliches Der-
langen nach innerem beben, nach Gottesliebe, nach Heiligkeit. Aber
trotz ernſten Wollens und edlen Strebens will kein greifbarer Fort-
ſchritt ſich einſtellen. Sie ſind bereit, alle Opfer zu bringen, um den
Schatz im himmliſchen Acker zu heben; ſie werden unruhig und mutlos
und leben ſich nach und nach in die Überzeugung ein, als wäre inner⸗
liches Gebet, Heiligkeit nur der Anteil einiger weniger Auserwählter.
Es wird daher nur erwünſcht fein, einmal die große Lehrmeifterin
des geiſtlichen Lebens, die hl. Therefia, in einer Frage zu hören, die
nicht bloß nach ihr, ſondern nach allen Muſtikern und heiligen im
Mittelpunkt des chriſtlichen Dollmommenheitsſtrebens ſteht, über den
Wandel in der Gegenwart Gottes.
Wer vom Wandel in der Gegenwart Gottes bei der hl. Thereſia
ſprechen will, muß gleichſam ihr ganzes inneres Gebetsleben vor uns
entfalten. Und das Gebetsleben der großen Reformatorin des kar⸗
meliterordens bringt vielleicht am wahrſten und tiefſten das katholiſche
Frömmigkeitsideal der nachtridentiniſchen Reform überhaupt zur Aus»
prägung. Es umſchließt den ganzen Reichtum und die unerſchöpfliche
Mannigfaltigkeit katholiſchen Betens, angefangen von den unterſten
Stufen des ſchlichten mündlichen Gebetes bis hinauf zu den letzten in
dieſem Erdenleben überhaupt erreichbaren höhen muſtiſcher Beſchauung.
Wir können aber die Lehre der Heiligen von Avila über den Wandel
in der Gegenwart Gottes und über ihr innerliches Gebet erſt dann
in ihrer vollen Bedeutung würdigen, wenn wir die Geiſtesart der
hl. Thereſia im allgemeinen. Rennen.
Wenn auch Gott und Göttliches ewig unveränderlich bleiben, wenn
das Beiligkeitsideal ſomit zu allen Zeiten, im chriſtlichen Altertum,
im Mittelalter und in der Neuzeit im Grunde dasſelbe iſt, ſo ſind
doch die Menſchen, die das Göttliche empfangen und das heilige in
ſich verwirklichen, der Entwicklung unterworfen. Daß eine Entwick⸗
lung in der Menſchheit ftattgefunden hat und fortwährend ſtattfindet,
* Dogl. aus früheren Auffäten des Derfaffers in dieſer Zeitfchr. zur Muſtik der
hl. Thereſia: beſ. die Jahrgänge 1919, 129 ff.; 1920 40 ff. — zum Wandel in der
Gegenwart Gottes: Jahrgang 1921, 1 ff. und 96ff. Anm. d. Schriftl.
329
it wohl außer Zweifel. Wenn wir von kenntnis der Beiftesart der
hl. Thereſia ſprechen, fo meinen wir damit, daß ihre ſeeliſche Einftel-
lung aus der geiſtigen Entwicklungsſtufe heraus erklärt werden muß,
auf der die Menſchheit zu ihrer Zeit ſtand. Es war die beginnende
Neuzeit, in der die ſpaniſche Kultur mit die größte Rolle ſpielte. Wäre
das Wort „modern“ nicht ſo abgegriffen, ſo vielſeitig erblich be⸗
laſtet, fo ſagten wir am einfachſten: die Seiſtesart der hl. Therefia
iſt durch und durch modern.
Ein Hauptmerkmal für die Eigenart der Neuzeit ift es, daß ihr
Intereffe vor allem dem Einzelfeelenleben, der Einzelperſönlichkeit zu⸗
gewendet iſt. Wie ſie die Neue Welt entdeckte, ſo entdeckte ſie in
gewiſſer hinſicht auch erſt die Eigenwertigkeit und einzigartige Würde
der menſchlichen Perſönlichkeit. Ich enthalte mich jeden Werturteils
über dieſe Entwicklung. Es ſoll nur eine Tatſache feſtgeſtellt ſein.
Und dieſe Tatſache iſt von der größten Bedeutung für das Derftändnis
der Geiſtesart der hl. Thereſia.
Im übernatürlichen religiöfen Leben wirken immer zwei Faktoren
zuſammen: Natur und Gnade. Unter Natur verſtehen wir hier alles,
was in einem Geſchöpfe vorausgeſetzt wird, damit die Gnade ihre Wirk⸗
ſamkeit entfalten kann: geiftige Seele, beſtimmte Anlagen und Vor⸗
bereitungen des inneren Menſchen, vor allem freie Willensbetätigung
und Mitwirkung des Willens. Ohne freie Willenstat wird der erwach⸗
ſene Menſch Gnaden weder empfangen noch bewahren, noch auch fie
wiedergewinnen und ſteigern. Unter Gnade verſtehen wir alles, was
von der überſtrömenden Liebe und Barmherzigkeit Gottes geſchehen
muß, damit die in Freiheit mitwirkende Seele zur Anteilnahme am
innerdreifaltigen beben Gottes und zur innigften Dereinigung mit den
drei göttlichen Perſonen erhoben werden kann. Es bedarf keiner
langen Ausführungen, daß die Gnade immer das Erfte, Anſtoßgebende,
das unendlich über alles Befchöpfliche Erhabene iſt. Gott und Gnade
können nie von Menſchenwillkür und Menſchenwillen abhängen. Gott
liebt und gibt ſich hin in abſoluter Freiheit. Ewig wahr bleibt das
Rpoftelwort: „Wir könnten Gott nicht lieben, wenn er uns nicht zuvor
liebte.“ Damit aber iſt die Bedeutung des freien Mitwirkens des
menſchen in keiner Weiſe geſchmälert.
Frühere Jahrhunderte waren theologiſch fo von der göttlichen Güte
und Gnade gefangen, daß ihnen gegenüber Natur und Seelenleben als un-
wichtig, ja nichtig erſchien. Auch die behrbücher über das geiſtliche beben
bringen faſt ausſchließlich ſolche theologiſche Erwägungen und Betrach⸗
tungen. Die Bedeutung des freien Mitwirkens des Menſchen wurde
Bene biktiniſche Monatfchrift VI (1924) 9— 10. 21
330
zwar nie verkannt, vielmehr mit aller Schärfe betont; aber man dachte
nicht daran, den feelifhen Aufbau und die pfychologifche Bedeutung
des freien Mitwirkens in der Wirklichkeit des Einzelſeelenlebens zu
erforſchen und all die Einzelheiten und Zuſammenhänge klar zu legen,
die hiebei zu beachten find. Das nun iſt gerade das Kennzeichnende
jener Frömmigkeit, die mit dem Zeitalter der hl. Therefia einſetzt, daß
ihre Aufmerkfamkeit vor allem der Natur und dem ſeeliſchen Geben
zugewendet ift. Die Frage nach dem Derhältnis von Natur und Gnade,
die im Auserwählungsproblem gipfelt, ſtand als treibende ftraft im
Mittelpunkt des Reformationszeitalters. Die Reformatoren wollten
die Natur aus der Erdrückung durch die Gnade befreien. Sie wurden
dabei vom Geiſt der Zeit geleitet. Die Coslöfung wurde aber fo gründ-
lich vollzogen, daß alle Brücken zwiſchen Natur und Gnade zerbrachen.
Das freie Mitwirken des Menſchen wurde geleugnet. Das Recht der
Natur, nach den ihr innewohnenden, doch erbſündig belaſteten Trieben
ſich auszuleben, wurde ausgerufen. Das war die Befreiung der Natur:
in Wirklichkeit der Reim zur ſchlimmſten Verſklavung.
Das Gnadenproblem beſchäftigte auch die katholiſche Theologie. Es
war im Land und im Zeitalter der hl. Therefia, wo die Gnadenlehre
der ktirche ihre heute noch gültige Formulierung fand. Auf der einen
Seite war man, vom Geiſte der Seit erfaßt, auf die Natur, das Seelen-
leben, die Einzelperfönlichkeit eingeſtellt. Man mußte dieſer Tatſache
Rechnung tragen. Auf der anderen Seite galt es der Freilaſſung der
Natur durch die Reformatoren eine Schranke entgegen zu ſetzen. Mit
allem Nachdruck mußte die Freiheit des menſchlichen Willens betont
werden. Nus dieſen beiden Erwägungen heraus wuchs die Bnaden-
lehre des Molinis mus, der vor allem an die freie Mitwirkung des
menſchen dachte. Der Molinismus war eine zeitgeſchichtliche Not⸗
wendigkeit. Damit das Gleichgewicht des Verhältniſſes zwiſchen Gnade
und Natur ja nicht zu gunſten der Natur verſchoben würde — nach
dieſer Richtung zog ohnedies der Zeitgeiſt — erhob ſich eine Begen-
bewegung, die mit Eifer für das Erſtlingsrecht der Gnade gegenüber
der Natur im Sinne der früheren Zeiten eintrat, der ſogenannte Tho-
mismus. Beide ſcheinbar einander widerſprechenden Bnadenlehren
hat die Kirche gelten laſſen, ein Zeichen, daß beide einen Weſensfaktor
im Heilswerk betonen. Jede für ſich genommen wäre einſeitig und
bliebe, wie der hl. Franz von Sales meint, nicht fern von den Grenzen
des Irrtums. Die Vertreter des Molinismus waren die Däter der
Seſellſchaft geſu, die Dertreter des Thomismus die Dominikaner. Be-
merkenswert iſt, daß die Seelenführer und Beichtväter, die einen
331
entſcheidenden Einfluß auf das Leben der hl. Therefia ausübten, aus
diefen beiden Orden waren. Es iſt auch bezeichnend, wie der beider-
ſeitige Einfluß nach verſchiedenen Richtungen ſich geltend machte. Die
Dominikaner, insbeſondere der Begründer des Thomismus, P. Banez,
der treue Freund und Seelenratgeber der Heiligen durch lange Jahre
hindurch, trug vor allem zur theologiſchen Klärung und Rechtfertigung
ihres muſtiſchen Gebetslebens und zur Verteidigung ihrer Kirchlichkeit
vor der Inquiſttion und der öffentlichen Meinung bei. Die Anleitung und
Führung im innneren Bebetsleben bis hinauf zu den höhen der muſti⸗
ſchen Beſchauung empfing fie aber von Dätern der Geſellſchaft geſu.
Es wird wohl nie gelingen, die Schriften der hl. Therefia einer
der beiden Snadenlehren einzureihen. Inhalt und Lehren ſtehen über
beiden. Das Leben der Heiligkeit wie es Therefia führte umſchlingt
beide Gegenſätze in vollendeter Einheit. Was der theologiſchen Wilfen-
ſchaft nicht gelingen wollte, löſte fie praktiſch durch ihr Leben. Eines
iſt dabei unverkennbar, jede Seite ihrer Schriften beſtätigt es, die
hl. Therefia war in der praktiſchen Durchführung des Beiligkeitsideals
modern eingeſtellt. Ihr Hauptaugenmerk iſt auf die Natur, auf die
ſeeliſchen Dorgänge im Gebetsleben gerichtet.
Die hat ein Heiliger oder eine Heilige vor ihr die ſeeliſche Seite im
Gnadenleben fo in die kleinſten Beſtandteile zergliedert, die Bedeutung
des freien Mitwirkens der Seele, ihre natürlichen Hemmungen und
Förderungen fo tief erfaßt wie Therefia. Papſt Pius X. rühmt fie in
feinem Schreiben an den kiarmelitergeneral mit Recht als die unver⸗
gleichliche Meiſterin der Pſuchologie der Muſtik. Die hl. Thereſia bleibt
der lebendige Beweis dafür, wie die Natur faſt ausſchließlich betont
werden kann, ohne daß der Gnade irgendwie Eintrag geſchieht. Wer
hat jemals ergreifender, mit glũhenderer Liebe, mit unbedingterer hin⸗
gabe Gottes Liebe, Weisheit und Majeſtät und die Wunder feiner
Gnade beſungen als fie? Ihre eigene Lebensbefchreibung betitelt fie
„Das Buch von den Erbarmungen Gottes“. Wenn im Credo der hei-
ligen Meſſe, fo erzählt fie felber, das cuius regni non erit finis, „feines
Reiches wird kein Ende fein“, erklang, da war das Innerfte ihrer Seele
erſchüttert ob der unendlichen Herrfhermadt und alles umfaſſenden
Oberherrlichkeit Gottes. kann fie jemals Naturaliſt fein, die einen
ſo heroiſchen Glauben und eine ſo unergründliche Ehrfurcht für alles
Übernatürliche, für die Gnade hatte? Bann fie Subjektiviſt und In-
dividualift heißen, die mit einer fo reſtloſen hingabe die Gemeinſchaft
umfing, daß ſie bereit war, für die geringſte Zeremonie der heiligen
kirche ihr beben zu laſſen?
21°
332
Und doch ift dieſe hl. Therefia in ihren Schriften faſt ausſchließlich
im Bann der ſeeliſchen Seite des Gebetslebens. Sie ſchildert, wie die
Seele und ihre einzelnen Fähigkeiten im Gebet und Gnadenleben ſich
verhalten und verhalten ſollen. Sie befchreibt die qualvollen Nächte,
die dunklen Täler, die lichten Tage und die wonnetrunkenen Höhen=
wanderungen der Seele, die nach Gott und feiner Dereinigung ſtrebt.
Sie kennt genau die feelifchen Hemmungen und Förderungen im Gebets⸗
leben. Sie durchſchaut tief den Einfluß des beiblichen, des Phuſiſchen
und Phuſiologiſchen auf das Seelenleben. So ſchreibt fie einmal: „Die
Veränderungen der Witterung und der Umlauf der Körperfäfte üben
oftmals einen ſolchen Einfluß auf die Seele aus, daß fie ohne ihre
Schuld nicht tun kann, was ſie will, ſondern auf alle Weiſe leidet;
je mehr man zu ſolchem Zweck der Seele Gewalt antut, deſto mehr
verſchlimmert ſich das Übel und deſto länger hält es an.“ Sie gibt
den Rat, in ſolchen Fällen die Gebetsſtunde zu verlegen, ſich äußeren
Beſchäftigungen und Ferſtreuungen im guten Sinn hinzugeben. Ihre
moderne Geiſtesart zeigt ſich vor allem auch darin, daß ſie ſich nicht
auf Lehren und Theorien ſtützt, wie 3. B. der hl. Johannes vom kreuz,
ſondern auf Erfahrung und auf Beobachtungen, die ſie an ſich oder
anderen gemacht hat. Ohne Erfahrung, fo wiederholt fie unzählige
male, kann niemand die Zuſtände des inneren Gebetslebens begreifen.
Aus dieſer Einſtellung heraus beſteht die Heilige fo ſehr auf indivi⸗
dueller, perſönlicher Seelenbehandlung. Immer wieder betont fie die
Notwendigkeit perſönlicher Seelenausſprache und individueller Seelen⸗
führung. Wohl niemand vor ihr hat die Notwendigkeit einer Seelen⸗
leitung ſo nachdrücklich betont. Sie hält nicht zurück mit ſcharfer
Britik, wenn es ſich um Unfähigkeit und Derftändnislofigkeit der
Beichtväter handelt. Sie ſtellt hohe Anforderungen an Beichtväter
und Seelenführer. Sie fordert von ihnen nicht ſo ſehr perſönliche
Frömmigkeit, fo erwünſcht dieſe ihr auch iſt, ſondern wie auch der
hl. Ignatius vor allem Gelehrfamkeit. Es berührt ganz eigenartig,
dieſes unbedingte Dertrauen der Heiligen auf Wiſſenſchaft und Gelehr⸗
ſamkeit. „Ein echter Gelehrter“, ruft ſie begeiſtert aus, „hat mich noch
nie getäuſcht.“ Es kann aber den nicht überraſchen, der die moderne
Geiftesart der Heiligen Rennt. Sie felber hält ſich mit Vorliebe und
faſt ausſchließlich an die großen zeitgenöſſiſchen Gelehrten aus dem
geſuiten⸗ und Dominikanerorden. Mit ſicherem Gefühl und heiligem
Freimut geht Thereſia von dem theologiſch richtigen Gedanken aus,
von ſeiten Gottes könne im Gnaden- und Gebetsleben kein Fehler
begangen werden. Gott liebt alle Seelen mit unausſprechlicher Liebe
333
und will, daß alle Menſchen ſelig werden. Fehler können aber auf
Seite des Menfchen unterlaufen. Sie ſtammen meift aus Unkenntnis
über Eigenart und Aufbau des Seelenlebens, über die Geſetze, Art und
Deife ſich zu betätigen, über die zahlreichen phuſtkaliſchen, biolo⸗
giſchen und phuſtologiſchen Bedingungen des Seelenlebens, über Natur
und Wirkungsweife des Willens uſw., überhaupt über das feelifche Der=-
halten im allgemeinen. Aus dieſer Quelle ſtrömen die hemmungen
und Förderungen, die dem Gnadenwirken Gottes in der Seele werden.
bon Ausnahmefällen abgeſehen, wird dieſe Erkenntnis nicht auf dem
Dege himmliſcher Erleuchtungen, ſondern auf dem Wege der Wilfen-
(haft erworben. Darum die hohe Bedeutung, die die hl. Therefia der
Wiſſenſchaft für das Geiſtliche beilegt. Noch einmal ſei es übrigens
wiederholt: dieſe Betonung des Natürlichen, des allgemein Menſch⸗
lichen verkennt oder beeinträchtigt das Übernatürliche in keiner Weife.
Das Geheimnis des geiſtigen Lebens, ſoweit es entſchleiert werden foll,
it nicht das Geheimnis der Gnade — wer wollte dieſes jemals er⸗
gründen! — es iſt das Geheimnis der menſchlichen Seele. hier liegt der
Schlüſſel verborgen zu Fortſchritt und Rückgang, zu Tod und beben, zu
Wohl und Wehe des geiſtlichen Lebens. Dabei bleibt doch wahr, daß
die Bnade immer das Erſte, Schöpferifch-Wirkende iſt. Däs Geheimnis
der menſchlichen Seele iſt ein natürliches; es kann mit natürlichen
erkenntnis mitteln enthüllt werden. Es geſchieht in der Wiſſenſchaft.
Wenn ſcheinbar bis jetzt nur wenig die Rede vom Wandel in der
Begenwart Gottes war, fo. konnten wir doch die bisherigen Nus⸗
führungen nicht umgehen, wenn wir Weſen, Sinn und Bedeutung des
Wandels in der Gegenwart Bottes bei der hl. Therefia verſtehen
wollen. etzt können wir ohne lange ſtörende Erklärungen und Neben⸗
bemerkungen in kurzen Strichen ein Bild von dieſer Übung des gei⸗
ſtigen Lebens entwerfen.
Der Wandel in der Gegenwart Gottes iſt für die hl. Thereſia gleich
bedeutend mit innerlichem Gebet. Innerliches Gebet aber ift jene Sebets⸗
weiſe, die in organiſcher Entfaltung und Vollendung übergeht in das
muſtiſche Geben. 80 erhält die ehre vom Wandel in der Gegenwart
Gottes auch bei ihr jene überragende Stellung, die fie bei allen frũ⸗
heren Schriftſtellern des geiſtigen Lebens einnimmt. In der Gefamt-
ausgabe der Werke der hl. Thereſia findet ſich eine Zuſammenſtellung
der Lehren und Ermahnungen, die die Heilige nach ihrem Tode einigen
ihrer geiſtlichen Söhne und Töchter gab. Eine von ihnen lautet: „Be⸗
fleißt Euch, die Tugenden zu üben und zu erlangen, die mir während
meines Gebens am meiſten gefallen haben, an erſter Stelle den Wandel
834
in der Gegenwart Gottes verbunden mit dem Bemühen, alle Werke
in Dereinigung mit Chriftus zu vollbringen.“ Wandel in der Gegenwart
Gottes in Dereinigung mit Chriftus, das empfiehlt fie ſomit als Gebenssiel.
Was bedeutet nun diefer Wandel in der Gegenwart Gottes im Sinne
der. hl. Thereſia? Warum mißt fie ihm eine fo hohe Bedeutung bei?
Die heilige iſt tief durchdrungen von der Wahrheit unſeres Glaubens,
daß Gott als Schöpfer und Erhalter allüberall, in allen Dingen gegen⸗
wärtig iſt. In einer beſonderen Weiſe ſind die drei göttlichen Perſonen
gegenwärtig in den Seelen, die durch die Gnade teilhaben am Leben
der heiligſten Dreifaltigkeit. Dieſe Tatſache unſeres Glaubens iſt es
nicht allein, was Therefia und andere aſzetiſche und muſtiſche Schrift⸗
ſteller unter dem Wandel in der Gegenwart Gottes verſtehen. Alle
Geſchöpfe, auch die lebloſe Natur wandeln auf dieſe Weiſe natürlich
und alle Seelen im Stande der Gnade auch übernatürlich in der Zegen⸗
wart Gottes. Die hl. Therefia verſteht mehr darunter. Darüber hat
fie ſich an verſchiedenen Stellen ihrer Schriften klar ausgeſprochen.
In der Gegenwart Gottes wandeln heißt, daß man ſich der Tatſache
der Allgegenwart Gottes und der Einwohnung der drei göttlichen Per⸗
ſonen in der begnadeten Menſchenſeele recht oft und lebhaft bewußt
wird. Dieſes häufige, möglichſt immerwährende Denken an Gott ſoll
unſeren Willen anregen, unſer ganzes beben nach dem Willen Gottes
umzugeſtalten. Sittliche Umwandlung des inneren Menſchen, Ablegung
des alten Menſchen und Antun des neuen, das Erwerben von Tugend
und eine gewiſſe beichtigkeit, auf alle Anregungen des Geiſtes Gottes
zu antworten, das iſt es, worauf der Wandel in der Gegenwart Gottes
abzielt. In übernatürlicher Beziehung ſollen wir angeſpornt werden,
uns dem Ideal zu nähern, das wir im Begriff der Heiligkeit zuſammen⸗
faſſen. heiligkeit ift nichts anderes als die möglichſt vollkommene
Läuterung und Dergeiftigung unferer durch die Erbſünde geſtörten und
in das Sinnliche verſtrickten Natur. Es iſt die innere Fertigkeit zu
heroiſcher Tugendhandlung, ein Seelenzuſtand, der uns im denfeits
zur Teilnahme an jener göttlichen Lebensfülle befähigt, die von den
Theologen visio beata, „felige Anſchauung“, genannt wird. Es iſt jene
Dergeiftigung, die in der Auferſtehung des Fleiſches ihren Höhepunkt
erhalten wird, wo nicht bloß der Leib an den Eigenfchaften des ver-
klärten, Gott ſchauenden Geiſtes teilhaben, ſondern der Widerſchein
göttlicher Derklärung auch die vernunft- und leblofe Schöpfung zu
einem neuen himmel und einer neuen Erde umgeſtalten wird. 80 wird
der Wandel in der Gegenwart Gottes zum pſuchologiſch wirkſamſten
mittel, das chriſtliche bebens- und heiligkeitsideal zu verwirklichen.
335
Werden aber durch diefe ftarke Betonung des Wandels in der Gegen⸗
wart Gottes die von Chriſtus eingeſetzten Sakramente und der von ihm
geſtiftete Aultus in ihrer Bedeutung nicht zu leicht beeinträchtigt? Diefe
Gefahr beſtand zur Zeit der hl. Therefia und führte eine gewiſſe Muſtik
auf bedauerliche Abwege. Die heilige und ihre Lehrer vermieden dieſe
Rlippe. Das Sakramentale und Kultiſche erſtrahlt bei ihnen in der ganzen
Einzigartigkeit göttlicher Wirkungsweiſe. Wir kommen hier wieder auf
einen Gedanken zurück, der oben ſchon berührt wurde. Entſprechend
ihrer Zeit hat die hl. Therefia vor allem den ſeeliſchen Anteil, das freie
mitwirken des Menfhen am Heilswerke im Auge. Unbeſchadet der
überragenden Bedeutung der Sakramente bildet der Wandel in der.
Gegenwart Gottes die eigentliche Triebkraft im Mitwirken von feiten
des Menfchen. Das Mitwirken des Menfchen vollzieht ſich in der Be⸗
tätigung der geiftigen Bräfte: Derftand, Wille, Gedächtnis. Der Wille
gibt den Rusſchlag. Denn nur in freier Willenstat vollzieht ſich die
innere Umwandlung des Menfchen. Der Wille kann aber, wie die
Heilige einmal treffend bemerkt, nicht tätig ſein, wenn das Erkennen
verfagt. Der Wandel in der Gegenwart Gottes, der Gedanke an Gott
und Göttliches ſoll den Willen veranlaſſen, nie anders zu handeln als
dem Willen Gottes gemäß. Die Hemmungen, denen unſer Wille unter⸗
worfen iſt, ſind ſo groß und mannigfaltig, daß das Erkennen ſie nicht
ohneweiteres beſeitigen kann. Sie liegen vor allem in den Strebungen
und Neigungen des niederen Menſchen, in den verkehrten Beziehungen,
in denen er zur Außenwelt, zu feinem Leib und zu feinem eigenen
Ich ſteht. Der Wandel in der Gegenwart Gottes muß, ſoll der Wille
immer freier wollen können, dieſe hemmungen überwinden helfen.
Wie recht hat die hl. Therefia, wenn fie betont, daß der Wandel in
der Gegenwart Gottes in der vollen inneren Losfchälung, in der beſtän⸗
ſtändigen Selbſtzucht, in ernſter Abtötung ſich auswirken müſſe. Der
Wandel in der Gegenwart Gottes wird ſinnlos und wertlos, wenn er
nicht in dieſer Richtung zielt.
Die hl. Thereſia verſteht noch mehr inter dem Wandel in der Gegen»
wart Gottes; er ift nicht bloß der einfache Gedanke an Bott, der uns
zum Guten anregt. Gott iſt Beift. Er iſt allgegenwärtig; wir nehmen
ihn aber nicht unmittelbar als gegenwärtig war. Unſere kenntnis
von Gott iſt nur mittelbar, nämlich durch die ſichtbar geſchaffene Welt.
Aus ihr erſchließen wir Bott. Auch unfere Glaubenserkenntnis von
Bott baut auf dieſem mittelbaren, ſchlußfolgernden Erkennen auf. Die
hl. Therefia ſpricht in klaren, unzweideutigen Ausdrücken, und damit
befindet fie ſich in Übereinſtimmung mit allen großen Muſtikern, von
336
einem unmittelbaren, erfahrungsmäßigen Wahrnehmen der Gegenwart
Gottes. Eine große Anzahl von Stellen ließe ih anführen, wo fie
mit aller Beſtimmtheit davon als von einer Tatſache ſpricht. Aus der
ſichtbaren Welt ſchließt der menſchliche Gedanke auf den unſichtbaren
Schöpfer. Und aus dem Weſen des Schöpfers ſchließt er, daß Gott
in allen Dingen gegenwärtig iſt und ſie ſo im Sein erhält. Am meiſten
und innigſten gegenwärtig ift er in der geiſtigen Menſchenſeele. Durch
die Gnade iſt Gott in einer ganz einzigartigen Weiſe in den getauften
Seelen gegenwärtig, nämlich in der Dreiheit der Perſonen. Nach der
hl. Therefia gibt es von dieſer natürlichen und übernatürlichen Gegen⸗
wart Gottes ein erfahrungsmäßiges Wahrnehmen. Wie der Tempera⸗
turſinn die Wärme empfindet, ſo wird Gott als Wirklichkeit wahr⸗
genommen. Dieſe neue Erkenntnisweiſe Gottes übt eine entſprechend
gewaltige Macht auf den Willen aus. Die Akte der Beziehung zu
Gott erfahren eine unvergleichliche Dertiefung. Ein neues ſtarkes beben
bricht aus der Seele hervor. Die Dergeiftigung und Heiligung des
inneren Menſchen ſchreitet in ganz neuer Weiſe voran. Gott wird
als gegenwärtige Wirklichkeit gefühlt und empfunden. Die heilige
berichtet einmal, wie ſie in Wirklichkeit wahrnahm und ſchaute, was
ihr ein berühmter Theologe aus dem Dominikanerorden erklärte, daß
nämlich Gott in allen Dingen durch feine Gegenwart, per praesentiam,
durch ſeine Macht, per potentiam, und durch ſein Weſen, per essentiam,
zugegen ſei. Ein andermal ereifert ſie ſich gegen einen Ungelehrten,
wie fie ihn nennt, der ihr ſagte, Gott ſei bloß durch feine Gnade in der
Seele gegenwärtig, während ihre innere Erfahrung ihn als perſönlich
gegenwärtig wahrnahm. Es war ihr wie eine Erlöfung, als wiederum
ein Dominikanertheologe ihr erklärte, Gott ſei in allen Dingen weſentlich
gegenwärtig. Aus allem geht hervor, daß Therefia ein unmittelbares
Wahrnehmen der Gegenwart Gottes kennt, nicht bloß das gewöhnliche
ſchlußfolgernde Erkennen. Dieſes Wahrnehmen Gottes aber iſt nicht
das Schauen der Seligen, eg kann daher der Grundlage des Glaubens
nie entbehren. Nur iſt hier der Glaube nicht vom ſchlußfolgernden
Denken, ſondern von der neuen Erkenntnisweiſe des unmittelbaren
Wahrnehmens der Gegenwart Gottes getragen. Hier erſt beginnt nach
der hl. Therefia der Wandel in der Gegenwart Gottes zur vollen Wirk⸗
lichkeit ſich zu entfalten. Hier erſt öffnet ſich fein tiefſter Sinn. Dieſes
Wahrnehmen und Wandeln in der Gegenwart Gottes vollzieht ſich im
„innerſten“, im „oberſten“ Teil der Seele, wie die heilige ſagt, dort
wo das Beiftige, dieſe „feine Spitze der Seele“, Gott als Geiſt berührt.
Hier iſt tatſächlich die Möglichkeit zum erfahrungsmäßigen Wahrnehmen
337
Gottes gegeben, von dem die Heilige mit ſolcher Beſtimmtheit ſpricht.
hier iſt auch der Punkt, wo Wandel in der Gegenwart Gottes, inner-
liches Gebet und muſtiſche Beſchauung ineinanderfließen. Denn Muſtik
beginnt in dem Augenblick, wo jenes erfahrungsmäßige Wahrnehmen
der Gegenwart Gottes einſetzt. hier hebt denn auch tatſächlich nach
der hl. Therefia die Muſtik an. Sie ſteigert ih von einem einfachen
Gefühl der Begenwart Gottes zu einem vorübergehenden, mit ruhe-
voller Wonne verbundenen Schauen Gottes, das immer ſtärker werden
kann bis zu einem bleibenden, ſchauenden Wahrnehmen der Aller-
heiligſten Dreifaltigkeit. Das war der Seelenzuſtand der heiligen in
ihren letzten Lebensjahren. Damit find zugleich auch die drei Stufen
des muſtiſchen Gebetes angegeben: Das Gebet der Ruhe, das Gebet
der Vereinigung und die geiſtige Dermählung. Es braucht kaum
betont zu werden, daß das Gefühl und Wahrnehmen der Gegenwart
Gottes nichts zu tun hat mit ſinnlichen Gefühlen, ſentimentalem Ahnen.
Alles Sinnliche iſt durch das Körperliche bedingt; das Gefühl der Nähe
Bottes aber ift rein geiſtig. |
Vielleicht könnte man fragen: Gibt denn die hl. Therefia keine An⸗
weiſungen, wie der Wandel in der Gegenwart Gottes erlernt und geübt
werden ſoll? Nichts wäre leichter, als den Wandel in der Gegenwart
Gottes zu üben, beſtünde er in einem bloßen Denken an Gott; er iſt
aber mehr. Er iſt ſittliche Umwandlung, Heiligung, und dieſer Um⸗
wandlung ſetzt die durch die Erbſünde verderbte menſchliche Natur
große Hinderniſſe entgegen. Dieſe müſſen ſtetig, eines nach dem an-
deren, überwunden werden. Das iſt eine langwierige, mühevolle Arbeit
mit all den Rückſchlägen und Enttäuſchungen, wie fie in der Geſetz⸗
lichkeit unſeres Seelenlebens begründet find. Wandel in der Gegen⸗
wart Gottes bedeutet die Entfaltung des innerlichen Lebens ſelber;
innerliches beben ift innerliches Gebet. Don der praktiſchen Seite her
it der Wandel in der Begenwart Gottes nach der hl. Therefia das
innerliche Gebet. Gibt es eine praktiſchere Anleitung zum Wandel
in der Gegenwart Gottes als die Geſchichte des Bebetslebens der
hl. Therefia ſelber?
Was ift denn das innerliche Gebet? Es herrſchen darüber vielfach
fo falſche Anſchauungen, daß es wiederum gut fein dürfte, hier die
anerkannte Gehrmeifterin zu hören. Weit ift die Meinung verbreitet,
innerliches Gebet fei jedes Gebet, das mit einer gewiſſen Andacht und
Sammlung verrichtet wird. Nein, innerliches Gebet iſt eine beſtimmte
Bebetsweife. Die Heilige erzählt, wie fie das innerliche Gebet noch
nicht kannte und noch nicht übte, wie ſie es zu üben anfing und wieder
338
aufhörte und es von Neuem wieder aufnahm. Damit will fie aber
nicht ſagen, daß fie das andächtige Gebet noch nicht kannte oder übte,
es wieder unterließ und dann wieder aufnahm. Innerliches Beten heißt,
fo fagt Therefia, ſich Chriftum unſerem Herrn in uns vergegenwärtigen,
ihn im Innern der Seele ſuchen und finden. Innerliches Gebet, ſagt
ſie anderswo, iſt nichts anderes als ein Freundſchaftsverkehr, bei dem
wir uns oft im geheimen unterreden mit dem, von dem wir wiſſen,
daß er uns liebt. Es iſt alfo die nach innen gerichtete Gebetsweiſe,
die gleichbedeutend ift mit dem Wandel in der Gegenwart Gottes. Das
innerliche Gebet muß ſuſtematiſch geübt werden. man muß ſich für
eine kurze Zeit gleichſam in die Sinſamkeit zurückziehen, die äußeren
Sinne ſchließen, um ganz in ſich geſammelt zu ſein, ungeſtört auf Gott
oder auf eine religiöfe Wahrheit ſich konzentrieren. Die heilige gibt
den Rat, mit der beſung eines Buches zu beginnen, um dann langſam
zu dieſer inneren Dergegenwärtigung Gottes überzugehen. Mit ergrei⸗
fender Offenheit erzählt fie, wie ſchwer dieſe Übung ihrem Tempe⸗
rament fiel. Angſt und Traurigkeit befiel ſie, wenn ſie den Ort des
Gebetes betrat. Sie geſteht, kein Bußwerk hätte für fie größer fein
können, als ſich zum Gebet ſammeln zu müſſen. Einige Jahre hin⸗
durch, ſagt fie im gleichen FJuſammenhang, beſchäftigte ich mich da
mehr mit dem Ende der Gebetsſtunde, die zu halten ich mir vorge⸗
nommen hatte und mit Horchen auf den Schlag der Uhr als mit ans
deren guten Gedanken. Eine Hauptgefahr ſieht fie darin, daß die
meiſten fliegen wollen, ehe Gott ihnen Flügel gibt. Geduld und Aus»
dauer find die erſten Dorausfegungen für das innerliche Gebet. Am
meiften warnt fie vor Mutloſigkeit und zu großem Selbſtvertrauen.
Es iſt klar, daß die innere Umwandlung, wie ſie das innerliche Gebet
vollziehen ſoll, mit Schwierigkeiten und Rückſchlägen verbunden if.
Die heilige berichtet, wie fie von den achtundzwanzig Jahren, ſeit
denen fie das innerliche Bebet übte, achtzehn Jahre in dieſem hin
und Ber, in fortwährendem innerem Kampfe verbrachte. Sie redet
von Juſtänden innerer Troſtloſigkeit, wo fie keine Freude an Gott,
aber auch keine Freude an der Welt empfinden konnte. Es war eine
volle innere Freudloſigkeit und noch in ſpäteren Jahren ſchildert fie
uns Juſtände, von denen fie ſagt: zuweilen ift meine Seele ganz blöde.
Ja blöde; denn ich tue da, wie mir ſcheint, weder Gutes noch Böſes,
ſondern laufe, wie man zu ſagen pflegt, dem gemeinen haufen nach.
Ich empfinde weder Leid noch Freude; ich bin gleichgültig gegen beben
und Tod; es iſt mir weder wohl noch wehe; es ſcheint mir alles ge⸗
fühllos zu fein. Und die heilige in ihrer Einftellung auf die ſeeliſche
339
Seite des Bebetslebens ift ſich wohl bewußt, daß alle dieſe Schwierig»
keiten nicht vom Snadenwirken Bottes herrühren, fondern ihre Wurzel
in der menſchlichen Natur, in der Seele haben. Tauſenderlei Fädchen
und Fäſerchen ungeordneter Anhänglichkeiten halten die Seele gefeſſelt.
Immer wieder verſichert Therefia, wie Anhänglichkeit an beſtimmte
Freund ſchaften fie im Fortſchreiten hinderte und doch brachte fie jahre⸗
lang den mut nicht auf, damit zu brechen. Dann erkannte ſie die
Wurzel alles Übels; fie erfparte ihren damaligen Beichtvätern den
Dorwurf nicht, fie hätten fie noch beftärkt in ihrer Sorgloſigkeit. Wir
begreifen, daß Therefia ohne Unterlaß die Notwendigkeit der inneren
bosſchälung, Abtötung, des Sich⸗Coslöſens, um ganz für Gott frei
zu ſein, predigt. |
hier haben wir das getreue Abbild einer Seele, die den Wandel
in der Gegenwart Bottes, das innere Gebet übte. Therefia iſt ein
typifches Beiſpiel. War die heilige auch eine große und für das Reli-
göfe reich veranlagte Seele, fo trägt fie doch bis in kleinſte Einzel-
heiten allgemein menſchliche Züge. Don haus aus war fie eine vor⸗
nehme, allem Gemeinen abholde, zum Heroiſchen neigende Natur. Es
lebte von Anfang an in ihr der Zug zu Sroßem. Er war verbunden
mit ſtolzem Selbftvertrauen und einem ausgeprägten Freiheitsdrang,
mit der Neigung zu Ruhm und Gefallſucht. Schon frühzeitig regte
ſich in ihr ein ſtarker Weltſinn. Er überwucherte den tiefreligiöſen
Sinn der kindheit. Der Gedanke, ins kiloſter zu gehen, machte fie
erſchaudern. An eine Heirat aber dachte ſie auch nicht; beides, weil
fie ihre Freiheit nicht preisgeben wollte. Eine Nonne Maria Briceno
im Auguftinerinnenklofter, wo fie erzogen war, wurde Anlaß zur erſten
tiefreligiöfen Beſinnung. Die außerordentlich ftarke religiöfe Empfäng-
lichkeit erwachte; fie vermehrte ihre Andachtsübungen. Zur völligen Ge⸗
neſung von einer ſchweren Krankheit begab ſie ſich zu ihrer Schweſter
aufs band; unterwegs kehrte fie bei einem heiligmäßigem Onkel ein.
Er bat fie, ihm aus feiner. für die damalige Zeit reichhaltigen aſze⸗
tiſchen Bibliothek vorzuleſen. Mit bezaubernder Offenheit geſteht fie,
daß es gar nicht nach ihrem Geſchmack war; die beſung aber machte
auf fie, ohne daß fie es wollte, ſchließlich doch tiefen Eindruck. In
der Furcht vor der hölle und in der Sorge um die Rettung ihrer Seele
reifte der Entſchluß, in ein Klofter einzutreten. Sie trat ein. Die ver⸗
änderte Cebensweife wirkte fo ungünftig auf ihre Geſundheit, daß fie
zur Wiederherſtellung nach auswärts geſchickt wurde. Wieder kehrte
fie bei ihrem Onkel ein. Er gab ihr das berühmte Abe des Franz von
Oſuna, eine praktifche Anleitung zum innerlichen Gebet, insbeſondere
340
zur inneren Sammlung. Therefia madte neun Monate mit großer
Begeifterung die Ubungen und erzielte ſolche Fortſchritte, daß vorüber-
gehend das Gebet der Ruhe und der Vereinigung ſich einſtellte in der
Länge von einem Ave Maria. Während der Zeit ihrer kur aber gab
Re ſich allerlei Jerſtreuungen hin, die zwar harmlos waren, fie aber
dem innerlichen Gebet entzogen. Die beſung der Moralia des hl. Gre=
gor machte tiefen Eindruck auf fie. Ins Kloſter zurückgekehrt, begann
ſie mit neuem Eifer nach Tugend zu ſtreben ohne aber die Übung
des innerlichen Gebets wieder aufzunehmen. Dor allem hütete ſie ſich,
von anderen Böſes zu reden. Mit großem Derlangen las fie geiſtliche
Bücher. Don der Übung des innerlichen Gebets ließ fie ſich durch den
Gedanken abhalten, daß ſie deſſen nicht würdig ſei. Sie fing wieder
an, ſich allerlei, wenn auch noch fo unſchuldigen Eitelkeit und Zeit⸗
vertreib hinzugeben. Freundſchaftliche Beziehungen nahmen fie viel in
Anſpruch. Sie kam zwar zur Erkenntnis der Derkehrtheit ihrer Lebens
weiſe, aber ſie vermochte nicht damit zu brechen. Der Beichtvater ihres
verftorbenen Daters, der Dominikaner Darron, bei dem fie beichtete,
forderte fie wieder zur Übung des innerlichen Gebets auf. Achtzehn
gahre waren inzwiſchen verfloſſen; ihr Eifer wurde durch große Fort-
ſchritte belohnt. Sie brach mit ihren Eitelkeiten und Freundſchaften,
geraden Weges ohne Unterbrechung wanderte ſie jetzt den Weg des
inneren Gebets bis hinauf zu den höchſten Gipfeln myftifchen Lebens.
Sie übte das innerliche Gebet, wie wir es bereits kennen. Bald trat
die muſtiſche Gebetsweife, das Gefühl der Nähe Bottes, das Gebet der
Ruhe und der Vereinigung ein. Diel Anregung ſchöpfte fie damals
aus der Lefung der Bekenntniſſe des hl. Auguftinus. Der große Hero⸗
ismus ihrer Naturanlage kannte nur mehr das eine Ziel: Bott-
vereinigung in vollendeter Bottesliebe. Innere Rückſchläge,
Prüfungen und Läuterungen blieben nicht aus. Sie vermochten fie
aber nicht mehr abzudrängen vom endgültig beſchrittenen Weg. Ob
der Möglichkeit, alles wäre nur Täuſchung, geriet ſie in große Seelen⸗
ängfte. Dabei hatte fie Seelenführer, die dieſe ihre Angſte nur noch
ſteigerten. Franz von Borgias endlich beruhigte ſie über die Echtheit
ihrer Gebetszuftände. Der erſt fünfundzwanzig Jahre alte geſuiten⸗
pater Balthaſar Alvarez nahm ſich ihrer Seelenführung mit hinge ⸗
bender Liebe und vollem Derftändnis an. Unter feiner Leitung löſten
ſich noch die letzten Anhänglichkeiten ihrer Seele. Neue Prüfungen
kamen über fie. Man nötigte fie, gegen die muſtiſchen Gnaden anzu⸗
kämpfen. Petrus von Alkantara aus dem Franziskenerorden erlöfte
fie aus dieſer Qual. Der innere Weg war jetzt geſichert. Sie befaß
341
jenen Srad von Innerlichkeit, die von Bott beftimmte Wirkfamkeit
nach außen, die Reform des £armeliterordens zu beginnen. Dieſe
füllt die Zeit bis zu ihrem Tode (1582) aus.
Das wäre der Wandel in der Gegenwart Gottes, das innerliche
Gebet in feiner praktiſchen Durchführung. Die hl. Therefia iſt Füh-
rerin und Wegweiſerin für alle, die das heimweh nach Gott auf den
Weg der Vollkommenheit zieht. Ihr Leben und Beten iſt felber der
beſte Beweis für die Richtigkeit ihrer geiſtigen Einſtellung. Wenn auch
alles im übernatürlichen Leben wirkurſächlich aus der Gnade ſtrömt,
fo liegt doch der Grund für Hemmung und Förderung im geiſtigen
beben in der ſeeliſchen Eigenart des Menſchen. Gott iſt die Liebe und
feine Liebe umfängt alle Seelen, wie die Luft alle Dinge umgibt. Bei
geftörter Atmung liegt die Störung nicht an der Luft, ſondern an den
Atmungsorganen. So fehlt es im Gnadenleben niemals an Bott. Selbſt
wenn Menſchen vom Sündenleben ſich plötzlich zu Bott bekehren und
heilig werden, ſo iſt es ohne Zweifel ſicher, daß es ein Werk der
Gnade war. Es gibt ein Geheimnis der Gnade. Aber war es bloß
Gnade? Birgt das Seelenleben in feinen Tiefen und Abgründen nicht
auch Geheimniffe? kann es die Gnade beeinträchtigen, wenn man
auch von einem Geheimnis der ſeeliſchen Mitwirkung ſpricht? If die
Seele mit ihren Fähigkeiten und Anlagen und Geſetzen nicht das herr⸗
liche Wunderwerk Gottes? Bing ſie nicht aus derſelben Liebe hervor,
aus der auch alle Gnade ſtrömt? Das Geheimnis der Gnade werden
wir nie entſchleiern, wir können es nur in Glauben erfaſſen; in die Tiefe
der ſeeliſchen Geheimniſſe aber können wir immer tiefer eindringen.
Es zeugt von dem gnadenerleuchteten Beift der hl. Therefia, daß
ſie die Bedeutung des natürlichen Wiſſens für das geiſtige beben mit
ſo ſicherem Blick erkannte. Sie ſteht jedenfalls nicht auf ſeiten derer,
die in dem Bemühen, die ſeeliſche Brundlage des geiſtigen Lebens zu
vertiefen, eine Gefahr für das Übernatürliche ſehen. Wir Katholiken
fehlen nicht dadurch, daß wir etwa dieſe Seite zu ſehr betonen; aber
wir fehlen dadurch, daß wir es immer der Wiſſenſchaft ohne Gott
und ohne Sinn für das Übernatürliche überlaffen, die Beheimniffe der
natur und des Seelenlebens tiefer zu erforſchen. Erſt wenn es zu
ſpät iſt, kommen auch wir und machen Anleihen bei der allen Sinnes
für das Übernatürliche baren Wiſſenſchaft. Dadurch leidet das Über⸗
natürliche unter der Berührung mit dem gottfremden Wiſſen. Die
Scheu vor Wiſſenſchaft und Seelenforſchung muß fernbleiben von allen
jenen, die nach Vollkommenheit ſtreben. Das lehrt uns die größte
behrmeiſterin des innerlichen Lebens, die Gott der Neuzeit ſchenkte,
342
die hl. Therefia durch ihre Lehre und vor allem durch ihr Leben. 50
verftehen wir, warum fie den Wandel in der Gegenwart Gottes als
den Schlüſſel zum innerlichen Gebet und zu den höchſten Stufen mu⸗
ſtiſchen Schauens anſah. |
nach der hl. Therefia iſt der Wandel in der Gegenwart Gottes, das
innerliche Gebet, das muſtiſche Leben nichts Hußergewöhnliches. Es
iſt organiſch in der Aufgabe beſchloſſen, die das Chriſtentum an den
Menſchen und an der Menſchheit zu erfüllen hat. Angeſichts der menſch⸗
lichen Schwäche und Gleichgültigkeit werden es allerdings immer nur
wenige ſein, die den heroismus zur Tat aufbringen, alle aber ſind
berufen, wenn auch nur wenige zur Nuserwählung gelangen. Daß
nur wenige zur Auserwählung gelangen, liegt auf ſeiten des Men⸗
ſchen. Die hl. Therefia gehört nicht zu jenen, die da meinen, jeder
Chrift im Stand der heiligmachenden Gnade, der fo recht und ſchlecht
feine religiöfen Pflichten erfüllt, ſei ein Muſtiker. Nein, nach ihr ſetzt
das erfahrungsmäßige Wahrnehmen der Begenwart Gottes, das Mu⸗
ſtiſche, eine ſolche innere Umwandlung voraus, daß die Seele in einer
ganz neuen Erkenntnisweiſe ſich betätigen Kann. Es ſetzt eine innere
bos ſchälung voraus, die von allen Anhänglichkeiten trennt, um ſich
Bott in allem aus reiner Liebe hingeben zu können. Das himmel⸗
reich leidet Sewalt. Es ift aber die ſanfte Bewalt der Gottesliebe,
deren doch ſüß und deren Bürde leicht iſt. Folgen wir einer hl. The-
reſia nach! Auf dem Wege des Wandels in der Gegenwart Gottes,
des innerlichen Gebetes wird uns die erſehnte Sättigung werden.
Suchen wir zuerſt das Reich Sottes und feine Gerechtigkeit und alles
andere wird uns obendrein gegeben werden. Das iſt der Wandel in
der Gegenwart Gottes nach der hl. Thereſia.
Aufſtiege zu Gott. So ward uns dieſer innerliche Beift verliehen, der ſich von
allen Dingen zu Gott erhebt, der bald an deſſen Güte, bald an feine Weisheit oder
an ſeine Schönheit denkt; der bedenkt, wie fröhlich das Reich der Auserwählten ſein
wird, wenn fo viel Lächeln des Himmels dieſe Erde verſchönert. Und von Stufe zu
Stufe in der ſüßen Beſchauung aufſteigend, wiederholt die Seele die wunderbaren
Worte des Thomas a Rempis: „Dor deinem Angeſicht, o mein Geliebter, mögen
ſchweigen himmel und Erde und all ihre Pracht; denn was fie Schönes und gerr⸗
liches haben, ift ein Seſchenk deiner huld und Liebe und reicht nicht heran an die
Slorie deines Namens, deſſen Weisheit unausſprechlich iſt“ (Nachf. Chr. 4, 3).
Don einer heiligen Seele erzählt man (wie viele himmliſche Dramen erleben nicht
dieſe Seelen !), daß fie beim Genuß einer ſüßen Frucht Tränen vergoß, indem fie an
die zarte Aufmerkfamkeit Gottes dachte, der ihr dieſe Befriedigung verſchaffen wollte.
O, die heilige Gegende lügt nicht! Das find erhabene, aber unleugbare Wahrheiten;
dieſe Gefühle find bewundernswert, aber fie koſten ein vollſtändiges Opferleben, die
gänzliche Hingabe feiner ſelbſt an Gott. c. Ferrini, Gedanken und Gebete.
843
Die Heiligen im Bewußtfein des Mittelalters
und der Neuzeit.
Gedanken zum heinrich und ftorbinian⸗ Jubiläum Juli 1924.
Bon P. Sigisbert Mitterer (Schäftlarn). ö
I
Die beiden bauriſchen Erzdiözeſen Bamberg und München ⸗Freiſing
haben in den Frühſommertagen des heurigen Jahres mit feſtlichem
Bepränge ihrer heiligen Stifter gedacht: Bambergs ehrwürdiges
Raifermünfter ftand im Feierſchmuck, um den 900 jährigen Todestag
St. heinrichs zu begehen; und vom Freiſinger Domberg ſcholl durch
eine geſegnete qubelwoche hindurch täglich der Klang der Korbinians⸗
glocke über Aitbayerns Baue hin, um an den Tag zu erinnern, da
vor 1200 Jahren St. Korbinian aus dem beben ſchied.
Wer die glänzenden Feſttage voll inniger Andacht und voll begei⸗
ſterter Freude miterleben durfte, an denen ſich Tag für Tag neue
Taufende von Gläubigen aus Nah und Fern ablöften, um jubelnd ihrer
großen Patrone zu gedenken; wer es ſah, daß die Rieſendome zu klein
wurden, ja daß nicht einmal die weiten Domplätze mehr ausreichten,
um den Maſſen Raum zu geben; und wer vollends im Gefolge ehr⸗
würdiger Biſchöfe und Prälaten, ſingender Kleriker und betenden Volkes
in der Reliquienprozeſſion einherſchreiten durfte, der konnte ſich leicht
an die glaubensfrohen hHeiligenfeſte erinnert fühlen, von denen wir in
den Büchern des frommen Mittelalters leſen. Und doch beſteht ein
ſehr weſentlicher Unterſchied zwiſchen einem ſolchen Gedächtnisfeſt un⸗
ſerer Tage und der Zeit unferer Dorfahren. Wenn wir problematiſchen
menſchen von heute, deren Frömmigkeit ſo feinnervig und grübleriſch
it wie unſere Kultur, ſolche gahrhundertfeiern begehen, fo ſteht uns
die Perſon des verherrlichten Heiligen ſelbſt nicht mehr in dem Sinne
und Umfang im Mittelpunkt der vielleicht nicht weniger tiefen Feftes-
freude wie früheren Befchledhtern; uns iſt eher die beſondere Aufgabe
die jene heiligen Männer nach Bottes Ratſchluß im Geſamtgefüge der
Geſchichte unſerer kirche erfüllen durften, das Beſtimmende, vielleicht
auch die unſterblich bleibende Jdee, die fie verkörpern oder zu deren
Dertretern wir fie machen. Das Mittelalter, dem frommer Glaube und
katholiſches Leben noch nicht ſo ſehr wie uns Sache einer grund⸗
ſätzlichen Weltanſchauung war, dachte da unmittelbarer und urſprüng⸗
licher. Es feierte fein Beiligenfeft in rechter Rinderfreude durchaus um
feines Heiligen willen. Jene Menſchen hatten nicht bloß den theore⸗
tiſchen Glauben, daß ein allmächtiger Bott Sroßes und Wunderſames
in ſeinen auserwählten Dienern wirken könne; ihnen war ihr heiliger
tatſächlich fo ein wunderftarker Mann Gottes. Und Bott, der in Ge⸗
duld fein Dolk in langſamem Wachstum heranreifen läßt zum vollen
geiſtigen Mannesalter, hat den Jugendglauben. jener Tage ſicherlich
geſegnet. Es war wirklich eine Zeit, in der viele Wunder geſchahen
344
im chriſtlichen Dolke. Das zu leugnen wäre ungeſchichtlich, hochmütige
Freigeiſterei. Das gröbere Denken jener Menſchen brauchte das ſinn⸗
fällige religiöfe Erziehungsmittel des Wunders noch weit notwendiger
als wir, an denen das ſeeliſche Erleben fo vieler Jahrhunderte nicht
ſpurlos vorübergegangen fein ſollte. Daß wir Chriſten von heute reif
genug wären, uns mit den Wundern der Snade zu begnügen, die
Bott ſtündlich an unſeren Seelen wirkt! |
Die breite Maffe des frommen mittelalterlichen Dolkes war jeden⸗
falls für einen Glauben an ein ſolches Wunderwirken Gottes noch
nicht reif. Uns bedeutet heute Heiligkeit mehr einen beſonderen Grad
des Bottähnlichwerdens eines unſerer menſchlichen Brüder oder Schwe⸗
ſtern, das wir ſtaunend bewundern und deſſen geheimnisvollen Ur⸗
ſachen wir nachzuſpüren ſuchen, um ein ähnliches Ziel in uns ſelbſt
zu verwirklichen. Dem mittelalterlichen Menſchen dagegen war das
Beiligfein mehr ein Ausfluß göttlicher Kraft nach außen, ein Wirken
Gottes durch feinen bevorzugten Diener. Mittelalterliche Heiligenleben
berichten uns darum faſt nie, wie ein Menſchenkind auf meiſt ſteilem
Tugendweg zu ſeinem Gotte fand, wie es unter Gottes Führung und
Fügung zum heiligen wurde, ſondern meiſt nur, wie der Liebling
Gottes im Genuß der himmliſchen Minne erbarmend feiner weniger
begnadeten Erdenbrüder helfend gedenkt. 8o werden die heiligen
faſt ausnahmslos zu Wunderheiligen und das heiligenleben zu einer
liebevoll geführten Lifte von außerordentlichen Seſchehniſſen. Ein hei⸗
liger, von dem feine darob beneidete Kirche nicht mannigfache Wunder:
taten hätte berichten können, wäre jenen Seiten kaum verehrungs⸗
würdig erſchienen. Daß ihr Bottesmann ſchließlich auch Bein von
ihrem Bein geweſen fei mit oft gar ſchwerem menſchlichem Leid und
bitterem Kampf gegen menſchliche Armfeligkeit, das hätten die meiſten
beute jener Tage nur ſchwer verſtanden. War aber das ſicher oft
klar zu erkennende Wunder erſt einmal in aller Munde, dann wurde
das einfache Wundergeſchehen nur zu leicht zu der vom fabulierenden
Volke ausgeſchmückten und unbedenklich erweiterten Degende. Die
vom Dolksbewußtfein meiſt ſowieſo nur unklar erkannte hiſtoriſche
Perſon des Heiligen ward von ihr bald nicht mehr bloß geſchmückt und
Röſtlich umrahmt wie die ſchönen Statuen der lieben Bottesmänner
an den Kirchen und kiapellenwänden von duftendem Roſengewinde,
ſondern förmlich überwuchert, ja ganz verdeckt von immer dichter
werdendem Efeu. Bei aller Freude, die eine in unſerer Zeit liegende
Romantik für den feinen Zauber alter Gegenden wieder allenthalben
geweckt hat, bedauern wir doch ſolch unhiſtoriſche Frömmigkeit, weil
durch fie uns Nachgeborenen oft unwiderbringlich die wahre Kunde
ſelbſt von ſolchen Heiligengeſtalten verloren gegangen iſt, die als über:
ragende Geſtalten ihrer Zeit in perſönlichſter Arbeit ein ganz eigen⸗
artiges Gepräge aufgedrückt haben.
Daß die Vergangenheit in dem heiligenleben, das fie ſelber ſchuf
und das ihr gefiel, nicht ſo faſt geſchichtliche Unterweiſung für den
Derftand als vielmehr fromme Erbauung für das Gemüt ſuchte, darob
können wir fie nicht anklagen. Bedauerlich ift nur, daß ſich der mitel⸗
8 345
alterliche Heiligkeitsbegriff in weitem Umfang bis in eine Zeit herein
erhielt, der der fromme Rinderglaube längſt verloren gegangen war.
Und tief bedauerlich iſt auch, daß die katholiſche Wiſſenſchaft den
Zeitpunkt überſah, wo man einem geiſtig reifer gewordenen Volk
den wirklichen Zuſammenhang zwiſchen dem von der Legende über⸗
lieferten und dem von einer jungen hiſtoriſchen Wiſſenſchaft neu er⸗
arbeiteten Heiligenbild hätte zeigen ſollen. 80 war es leider eine an-
fänglich faſt ausſchließlich in den händen rationaliſtiſcher und vielfach
recht pietätlofer Gelehrter liegende Seſchichtsforſchung, die rauh den
Schleier von den oft fo zarten Gebilden mittelalterlicher Legende zerrte.
Es gab eine Jeit, wo man ſich nicht genug tun konnte im Aufdecken
„mönchiſchen Truges“ und im Deradhten eines, ſchwarzen Aberglaubens“.
Sie wußten mit fo lauter Entrüftung von dieſem finfteren Aberwitz zu
ſprechen und mit ſchallendem Laden über die törichte Leichtgläubig-
keit eines bewußt in Verdummung gehaltenen Volkes zu [potten, daß
fie auf lange Zeit hinaus ſelbſt die katholiſche Hagiographie in einer
ängſtlichen Befangenheit zu erhalten vermochten. Dieſe Zeit iſt ja
heute gottlob ſo gut wie vorüber. Der ſeichte Rationalismus in der
ſeſchichtsforſchung iſt von einer ernft arbeitenden Wiſſenſchaft ab⸗
gelöſt worden, die man vielleicht nicht immer chriſtentumsfreundlich,
jedenfalls aber auch nicht bewußt chriſtentumsfeindlich nennen darf;
und die eigentlich katholiſche Forſchung hat die bange Furcht vor den
neuen Methoden verloren und eingeſehen, daß wirkliche geſchichtliche
Wahrheit der Wahrheit unſerer Kirche niemals ſchaden kann. Seit⸗
dem iſt zwar der bloße „Wunderheilige“ aus der ernſten katholiſchen
Geſchichtswiſſenſchaft faſt gänzlich und aus dem Volksbewußtſein in
weitem Umfang verſchwunden, aber der echte Heilige von Fleiſch und
Blut, der feinen von Gott beſtimmten Weg meiſt nicht ohne Kämpfe
und Irrungen, aber immer voll heiligen Mutes und oft geſegneten
Erfolges ſchritt, trat aus feiner nebelhaften Sun um ſo leuch⸗
tender hervor.
Dem hl. Heinrich des Biſchofs Thietmar von Merſeburg und anderer,
namentlich mönchiſcher hagiographen des Mittelalters würden wir
kaum ein ſo feſtliches Jubiläum gefeiert haben und auch der hl. Kor-
binian des Biſchofs Arbeo ift ein ganz anderer als der der Freiſinger
Sedächtniswoche.
Der kraftvolle Bayernherzog Heinrich, der 1002 mit bewunderns⸗
wert ftarker hand die Regierung über ein politiſch und kulturell ver⸗
wahrloſtes Deutſchland an ſich riß, trug zeitlebens nichts von jenem
weltflüchtigen und wirklichkeitsfremden Heiligen auf dem Thron an
ſich, als den ihn die Legende ſchon bald nach feinem Tode ſchildert.
Wohl gehörte fein weites und großes Herz nicht weniger wie fein
kluger Derftand und fein ftarker Wille völlig dem Dienſte der Kirche;
aber er war in allen kirchlichen Fragen ein ſo nüchterner Realpolitiker
wie kaum ein anderer Raifer. Bewiß hat heinrich gerade in einer
ſtarken kirchlichen Macht die hauptſtütze feiner herrſchaft geſehen und
in folgerichtiger Anwendung diefes Grundſatzes mit königlicher Frei⸗
Beneblktiniſche Monatfchrift VI (1924), 9— 10. 22
—
346
gebigkeit Bistümer und &löfter gefördert, ja neu geſchaffen; aber feine
Kirchlichkeit ging nie fo weit, daß er jemals die Zügel eines ſehr
ſtrammen Rirdyenregimentes aus der hand gegeben hätte. heinrich
verfügte unbedingt über Biſchofsſtühle. Er beförderte ganz nach freier,
freilich vom tiefſten Glauben geleiteter Wahl den ihm geeigneten Mann
zum Biſchofsamt. Ohne Bedenken konnte er in den Beſtand eines
Kloſters eingreifen und über jedes ktirchenvermögen verfügen zu
Zwecken, die ihm fein Gewilfen als gut erklärte. Für einen „Heiligen“
von fo nüchterner Sachlichkeit hatte das 11. Jahrhundert kein Der-
ſtändnis. Es iſt ſehr bemerkenswert, wie der zielbewußte Ratholifche
könig im Dolksbewußtfein gar bald zum Wunderheiligen der Legende
wurde. Aus den erſten Quellen kann man noch vor allem die dank⸗
bare Freude an dem gütigen Freund der Armen und Bedrängten und
den bewundernden Stolz auf den freigebigen königlichen Gönner der
kirche heraushören. Bald ſchon genügte dieſe Art von Frömmigkeit,
die fo prunklos und kernig den beliebten Kaiſer ſchmückte, dem ver⸗
ehrenden DolR nicht mehr. Ein fo kirchlich geſinnter Mann mußte
doch gewiß mehr als gewöhnlich begnadet ſein! Es läßt ſich an der
Hand der ſchriftlichen Denkmäler noch ſehr gut verfolgen, wie ſich
die fruchtbare Legende in ſtets wachſendem Maße um die Geftalt
Heinrichs rankte, zumal einige Umſtände gerade feines Lebens, wie
3. B. feine mit keiner Nachkommenſchaft geſegnete Ehe und feine ſtän⸗
dige Kränklichkeit, zur begendenbildung förmlich heraus forderten.
5. Günter hat an den bekannteſten Heinrichslegenden überzeugend
gezeigt, wie um den ktönig langſam jenes Blütengeranke wuchs, das
bis zur mitte des 12. gahrhunderts die klare Geſtalt des ſtarken
deutſchen Herrfchers bis zur Unkenntlichkeit verdeckte. Heinrich iſt nicht
mehr der kriegeriſche Raifer der Befchichte, deſſen Regierungszeit mit
wechſelvollen Ariegsfahrten ausgefüllt war wie die nur weniger an=
derer Fürften. Er iſt auch nicht mehr der ftarke Lenker der deutſchen
Kirchengeſchichte, der mit größter Selbſtändigkeit, wenn auch aus tief⸗
ſter katholiſcher Derantwortlichkeit heraus, die Kirchenpolitik feiner
Zeit leitete. heinrich wird immer mehr zum bloßen Wunderheiligen
und dies bis zu einem Grade, daß der geſchichtliche hl. Heinrich II.
dem Andenken der Nachwelt förmlich in einem unerfreulichen Jerr⸗
bild überliefert wurde. Dieſer Heinrich der Legende — in dem deutſchen
Beinrihslied Ebernands von Erfurt ift er dann erſt recht ſeit dem
13. Jahrhundert volkstümlich geworden — verführte. felbft ernſt zu
nehmende Biftoriker, in unſerem Hönig einen ſchwachſinnigen, un⸗
felbftändigen Frömmling auf dem kiaiſerthron zu ſehen, der von einer
mehr oder minder huſteriſchen Semahlin ſchlimm beraten das Reichs-
gut an eine ihn ſkrupellos beherrſchende, habſüchtige Kirche ver⸗
ſchwendete, und der ſich den frommen Übungen ſeiner unmännlichen
Andacht nur ungern entzog, um widerwillig die ihm läftigen Gefchäfte
ſeines Amtes zu beſorgen. Wir können es wirklich nur begrüßen,
1 Raifer Heinrich II. der Heilige. Köſelſche Sammlung illuſtrierter Heiligenleben.
1904 4. Kap.
347
daß eine fachlich arbeitende Geſchichtsforſchung uns wieder den wahren
hl. Heinrich zurückgeſchenkt hat. Dieſen Heinrich II. haben wir auch
in den Feſttagen des heurigen Juli gefeiert. Und er wurde uns ſogar
noch mehr als bloß der zielbewußte, fromme Gründer der Bamberger
Diözeſe, wir erkannten darüber hinaus in unſerem heinrich den heute
mehr als je notwendigen Typus des katholiſchen Staatenlenkers über-
haupt. Weil er, nicht obwohl er mit Bewußtſein ein ausgeſprochen
kat holiſcher Hherrſcher war, hat er fo große Erfolge im Reiche gehabt.
Freilich war es ein anderes katholiſches Rönigtum als das Schwärmer⸗
tum der letzten Oitonen oder als das ſtarr⸗fanatiſche Chriſtentum
manches ſpaniſchen Königs. Der echte kiatholizismus, der Gott über
alles liebt und zugleich an der Welt ſich freut, der bei aller gern er⸗
tragenen Jucht und Grenze eine gnadenhafte Leichtigkeit und heiterkeit
genießt, belebte Heinrichs Denken vollſtändig und beherrſchte lenkend
und führend, norm⸗ und formgebend auch fein politiſches Wirken.
Um das Bild des hiſtoriſchen hl. Korbinian zu zeichnen, ſtehen uns
nicht wie beim deutſchen Raifer Heinrich unſchätzbare Profanquellen
zur Verfügung. Was ſich über den Heiligen der Freiſinger Jubiläums-
woche beſtimmt ausfagen läßt, muß aus der kiorbiniansvita des Bi⸗
ſchofs Arbeo geſchöpft werden. Entſprechend dem geſchilderten Cha⸗
rakter dieſer mittelalterlichen Heiligenleben iſt die herausſchälung des
lebendigen Heiligen ſchwierig und in vielen Punkten von dem ſubjek⸗
tiven Urteil der einzelnen Forſcher abhängig. Die korbiniansvita gehört
allerdings erfreulicherweiſe zu denen, die den Heiligen nicht gar zu ſehr
hinter unperſönlichen oder un verhältnismäßig breit ausgeſponnenen
Gegenden verſchwinden laſſen. Daher haben die ſeit Riezler! und
Arufch? einſetzenden mannigfachen Unterſuchungen in Einzelfragen
zwar ein reichlich buntes Bild verſchiedener Anſichten gezeitigt; aber
immerhin iſt man ſich heute über die hauptrichtung feines Charakters
und vor allem über ſeine Beziehungen zu Freiſing ziemlich einig ge⸗
worden. Es kann wohl nicht mehr bezweifelt werden, daß der hl. Kor-
binian nie gern in Freiſing lebte, ja daß er gewiſſermaßen ſein mög⸗
lichſtes getan hat, um nicht der Patron dieſer Stadt und Diözeſe zu
werden. Daß der Bauernherzog Grimoald ſchon politiſch ein großes
Intereſſe daran hatte, ſeiner nicht gerade unbedeutenden Reſidenz in
Freiſing durch die Derbindung mit einem Biſchofsſitz einen großen ide⸗
ellen Machtzuwachs zu verſchaffen, iſt begreiflich. Begreiflich iſt aber
auch, daß ein fo ausgeprägter Charakter wie der fränkiſche Biſchof
Rorbinian die ungeſtüme Art, mit der ihn der Herzog an Freiſing ketten
wollte, zum wenigſten ſehr ſonderbar fand. Korbinian iſt 722 faſt wie
ein Gefangener in Freiſing eingezogen. Arbeo läßt keinen Zweifel da⸗
rüber, daß Korbinian darum auch Freiſing nie anders denn als vor-
übergehenden Aufenthalt betrachtete. Seine ganze Liebe galt dem
8. Riezler, Arbeos Vita Corbiniani in der urſprünglichen Faſſung. Abh. d. k.
b. Akad. d. W. III. CI. XVIII. Bö. I. Abt. Seite 219— 274 (München 1888).
* B. &rufd, Vita Corbiniani. (Mon. Germ. SS. Rer. Merow. VI. 497 — 635)
22°
348
tiroliſchen Hains (Cainina) bei Mais, wo er in einer ihm zuſagenden
Gegend die feit lang erſehnte Ruhe in einem klöſterlichen Derband zu
finden hoffte. Rains blieb feine eigentliche heimat, auch als er auf
einige Zeit nach Freiſing überfiedelte. Dieſe Stätte baute er wirt:
ſchaftlich mit Unterſtützung des Bayernherzogs aus. Bieher zog er ſich
ſofort zurück, als er in Freiſing in bedenklichen Streit mit der her⸗
zogin Piltrudis geriet; hier, nicht in Freiſing, wollte er auch begraben
ſein, und er traf alle möglichen Vorbereitungen für eine ungehinderte
Überführung feiner Leiche nach Tirol, falls ihn der Tod in Freiſing
überraſchen ſollte. Don einer Organiſation der Diözeſe Freiſing durch
£orbinian kann wohl keine Rede fein. Die gelegentliche Ausübung
prieſterlicher und biſchöflicher Funktionen kann man ſo wenig als amt⸗
liche handlungen eines Diözeſanbiſchofes bezeichnen, wie die Marien⸗
kirche in Freiſing als feine Kathedrale; und das Benediktinerklofter
auf dem Domberg hat Korbinian wohl ebenſowenig erbaut wie die
Benediktuskirche dortſelbſt. Der eigentliche Begründer und Organifator
der Diözeſe iſt nicht er, ſondern erſt der hl. Bonifatius. Arbeo, der
kaum ein Menſchenalter nach Korbinians Tod feine Dita ſchrieb und
dem die hiſtoriſchen Dorgänge der Freiſinger Diözeſangründung noch
in perſönlicher Erinnerung fein mußten, läßt denn auch den Bifchof
Korbinian vor dem heiligen, der im Leben und nach dem Tod fo viele
Wunder wirken konnte, durchaus zurücktreten. Man lieſt aus jeder
Zeile feines Werkes die frohe Freude des mittelalterlichen Menſchen
heraus, daß feit der durch ihn bewerkftelligten Übertragung der hei:
ligen Gebeine die Freiſinger Domkirche in den Beſitz der ihr nach feiner
Anſicht mit Recht zugehörigen Reliquien des heiligen Wundermannes
geraten war. Dieſem heiligen ktorbinan galt die heurige Jubelwoche
nicht. Es ſtand auch tatſächlich nicht fo faſt feine Derehrung im Mittel⸗
punkt aller kirchlichen Deranftaltungen als vielmehr die allſeitige
Herausarbeitung der großen Idee, zu deren Träger ihn die Tradition
gemacht hat. Er war der erfte Biſchof, der längere Zeit in Freiftug
geweilt hatte: Korbinian gilt uns in unferer Diözeſe als Derkörperung
der kirchlichen Hierarchie, letzten Endes der Rirche ſelbſt. Don den ſech⸗
zehn Feſtanſprachen im Programm der Jubelwoche behandelte nicht
eine ausſchließlich die Perſon des heiligen, der doch der Feier ſeinen
namen lieh. Wohl aber hatten fie faſt ausſchließlich die Idee der
Kirche zum Thema. Das war auch der tiefere Grund, warum hier das
Rorbiniansjubiläum fo gut wie dort das heinrichsjubiläum
zu einem wirklich bedeutſamen religiöfen Ereignis für die beteiligten
beiden bayrifhen Erzdiözeſen wurde.
Dort in Bamberg ſchwang die Jdee mit, daß der Begriff eines katho⸗
liſchen Chriſten wohl vereinbar iſt mit dem des Staatsmannes und
guten Bürgers. hier in München⸗Freiſing leuchtete — in einer Zeit und
Diözeſe, die nach ſolch freudiger Kundgebung doppelt verlangte — zu⸗
gleich die ganze Liebe und Derehrung auf, die für unſere Kirche und
die von Bott beſtellten Hirten in unſeren Herzen lebt.
& K
349
die hl. Erentrudis.
erſte Äbtiffin der Frauenabtei Uonnberg zu Salzburg.
Don D. Maria Raphaela Schlichtner (Nonnberg).
Dreierlei mag Berechtigung geben zu nachfolgendem kurzen Gebensbild: Unter
den deutſchen Nonnenklöſtern des Benediktinerordens iſt das Liebfrauenklofter am
Nonnberg zu Salzburg eines der älteften und zugleich eines der wenigen, die auf
einen 1300-jährigen ununterbrochenen Fortbeſtand zurückblicken können. — Zudem
feiert heuer die Abtei am 4. September, dem Tage der Translatio S. Erentrudis ein
Jubelfeſt. 300 Jahre find es her, daß von Erzbiſchof Paris bodron die Gebeine der
heiligen haus ⸗ und Pandes mutter unter großen Feierlichkeiten aus der Niſche der
frypta erhoben und in koſtbarem Schreine beigeſetzt wurden; 600 Jahre vorher
ſchon hatte Erzbifhof Hartwik am ſelben Tage die heiligen Uberreſte zum erſtenmal
dem Felſengrab entnommen und in die Krupta des neuerbauteu biebfrauenmünſters,
der ſogenannten Heinrichsbaſilika (weil von heinrich IL dem heiligen erbaut), über ⸗
tragen. — Ein dritter Grund ift die Errichtung eines neuen Alofters St. Erentrud
zu Rellenried bei Weingarten in Württemberg, dem jüngſten Reis am alten jung⸗
friſchen Stamm der Nunburg. So ſei das Bild der heiligen gezeichnet, ſchlicht und
einfach wie die alten Miniaturen: auf dem Soldögrund der Geſchichte in den unver⸗
blaßten Farben liebgewonnener Traditionen, wie fie von Geſchlecht zu Geſchlecht in
den hausannalen von Honnberg ſich vererbten.
er „Münich in der Cell“ Caeſarius mit Namen, achtundzwanzig
gahre Kaplan und kiuſtos (Sakriſtan) auf Nunburg ſchrieb von
1309 — 1320 das Leben feiner „gottfeligen frawen Erendrudis“. Samt
den Wundern, die die Hälfte der Schrift einnehmen, ſind es nur acht⸗
zehn mittelgroße Pergamentblätter; wenige Anhaltspunkte, aber doch
genug, um die Größe eines Frauenlebens ahnen zu laſſen, das zwar
ganz in Stille und Derborgenheit dahinfloß, aber wahre Charakter-
ſtärke und echt apoſtoliſchen Geiſt offenbart.
es mag befremden, daß erſt aus fo fpäter Zeit die »vita« sanctae
Erentrudis ſtammt. Doch iſt einerfeits zu vermuten, daß bei den
großen Bränden, die mehrmals das Kloſter heimſuchten, mit den mei⸗
ſten Urkunden und Schätzen aus der älteſten Epoche auch alte Diten
zugrunde gingen. Anderſeits ift das Leben der hl. Erentraud fo eng
mit dem des hl. Rupert verflochten, daß man es in frühen Zeiten,
wo man Zahlen und Buchſtaben faſt noch mehr als heute Gold und
Silber ſparte, für überflüffig hielt, eine eigene bebensbeſchreibung zu
verfaſſen. Daher ſind wir ſchon betreffs der Zeitangabe nicht im kla⸗
ren. Die viel umſtrittene „Rupertusfrage“ wird ſich wohl nie reſtlos
löſen laſſen, und fo müſſen Schlüffe und Dermutungen ergänzen, was
an hiſtoriſchen Belegen fehlt. Die älteften Nachrichten find enthalten
in den Breves notitiae vom Jahre 791 oder 798, der notitia (auch indi-
culus, congestum) Arnonis vom Jahre 788 - 790, der Vita S. Hrod-
berti authentica aus der erſten hälfte oder Mitte des neunten gahr⸗
hunderts, der Vita S. Ruperti primigenia um 873 verfaßt und anderen
350
mehr, abgeſehen von den fpäteren!. Danach beftehen zwei Richtungen:
die ſogenannte St. Peter- oder Salzburger Tradition ſetzt das Auftreten
des hl. Rupert in Norikum ſchon mit dem Jahre 585 an (unter Child-
bert I.) und den Tod der hl. Erentrudis um 630. Neuere Forſchung
nimmt feit Dallefius und Mabillon erſt die Wende des ſiebten und
achten Jahrhunderts an, zirka 696 - 718 (unter Chilöbert III.). Beide
Annahmen hatten bedeutende Namen auf ihrer Seite. Die gelehrte For.
ſchung neigt jetzt zwar mehr der zweiten zu; unſere Haustradition als
ſolche hält wie die St. Peters an der älteren Zeitangabe feſt.
„Wie ein reichprangender Fruchtbaum“, ſagt einleitend Caeſarius,
„ward Broudbert (Rupert) von Gott gepflanzt; tiefwurzelnd brei⸗
tete er fein Beäfte weit über die Trümmer und Abgründe heidniſchen
Irwahnes.“ Herzog Theodo aus dem baueriſchen Regentenhaus der
Agilulfinger war durch Bemühen feiner frommen Gemahlin Regindrud
vom hl. Rupertus im Chriſtentum geftärkt (nach einigen „getauft“
worden. Zum Dank dafür ließ der Bayernfürft dem ſeelendurſtigen,
eifervollen Wanderbiſchof volle Freiheit, neue Gebiete für Chriſti Froh⸗
botſchaft zu gewinnen, Klöſter und kirchen und Zellen zu errichten.
So zog denn Hrouöbert mit einigen Genoſſen, darunter die hll. Sislar
und Chuniald von ſeinem Biſchofſitze Worms, von wo er durch Feinde
vertrieben ward, füdwärts gen Norikum, die römiſche Albenprovinz.
Er kam, dem Lauf der Salzaha (jetzt Salzach, von den kielten Igonta,
von den Römern lvara genannt) folgend zu der ſchon im erſten chriſt⸗
lichen Jahrhundert in Hochblüte ſtehenden römiſchen Munizipalſtadt
Juvavum oder Juvavia. Freilich jetzt, im ſechſten Jahrhundert, war
die glänzende Römerſtadt von ihrer höhe herabgeſunken. Statt reicher
Kaufleute von Denedig und Ravenna, die ſonſt ihre Waren nach dem
germanifchen Norden brachten, zogen zur Zeit der Dölkerwanderung
wilde Horden ſengend und brennend ihre Straßen. Ihre Marmortempel
und Paläſte waren zerfallen, und um geborſtene Säulen blühte der
Efeu. Auch das Chriſtentum, von römiſchen Soldaten hieher verpflanzt,
ging zu Grabe; das heidentum kroch aus allen lüften wieder hervor.
Und doch! Ruperts Blick blieb wie gebannt entzückt an diefer Stätte
haften. Sein herz jubelte: haec requies mea! „Bier ift meines Blei⸗
bens Ort!“ Wie geſchaffen ſchien dem Gottesmann jedenfalls die Sicher⸗
heit der ganzen Cage: eingebettet zwiſchen zwei Bergen — jetzt Mönchs⸗
und kiapuzinerberg —, deren Steilwände faſt ſenkrecht zur Salzach
abfallen; ſo umſtehen ſie wie zwei mächtige Torpylonen das enge
Becken, in dem die Stadt gefriedet liegt und gewähren doch freien
Ausblick in die herrliche Umgebung, die wie ein kleines Paradies ſich
ringsum breitet. Don Weſten dehnt der Blick ſich weit in die baue⸗
Die Giteratur findet ſich zuſammengeſtellt in: P. Karner, O. Ciſt., Austria sancta.
Die Heiligen und Seligen Salzburgs (Stud. u. Mitteil. aus der ktirchengeſch. Sem. der
theol. Fakultät Wien, Heft 12) Wien 1913 8. 46 ff.
351
riſche Ebene, und weichwogend verſchwimmen am horizont feine
Linien ineinander. Südwärts umrahmen die ſtolzragenden Tauern⸗
gipfel mit ihren ſcharfen Felſenzinken und gletſcherweißen Scheiteln
das weite waldgrüne Tal und löſen ſich gen Oſten in ſanft ſchwellende
Hügelketten auf, mittendurch ſchimmert grünblau das Band der Jgonta.
Dicht an der Mönchsbergwand baute Rupertus feine Zelle. Warum
am Bergesfuß gen Norden? Wohl aus Pietät; denn der Boden war
heiliges Land, durch Marturerblut getränkt und fo zur Wiege neuen
Lebens geweiht. Hoch an der fteilen Wand ſieht man noch jetzt in
Fels gehauen kirchlein und Zelle des hl. Maximus, der hier mit
feinen Senoſſen um 430, beim Überfall der Beruler den Tod erlitt.
8o war St. Rupert dieſe Stätte doppelt teuer. Und geſchützt war fie
auch; denn droben auf der höhe des Berges ſtand noch ſtolz und un⸗
gebrochen die Salzburg, das Römerkaſtell und drunten ein maſſiger
quaderngebauter Wachturm als bug ins⸗Cand und als Hüter des
nebenſtehenden Castrum superius, dem Rupert eine ganz eigene Be⸗
ſtimmung zugedacht hatte.
Der Slaubensbote ſah ein, daß feine Kraft allein einem ſo großen
Arbeitsfeld nicht genügen könne. Darum brach er nochmals auf. Er
zog feiner Heimat zu, um ſich Mitarbeiter zu holen und vor allem —
ein forgendes Mutterherz für die vielen Armen, kranken und Rinder;
eine Frauenhand, die nach dem Geſetze der Ergänzung in ftiller klein-
arbeit des Mannes großzügiges Schaffen unterſtützen und vollenden
ſollte. „Seine Nichte, die gottgeweihte Jungfrau Erendrud holte er
von ihrem Eigenſitz und Heimatland zu ſich“, ſagt kurz Caefarius.
Erendrud, fränkiſch Arindrud, aus dem ſich ſpäter die verſchie⸗
denen Schreibweiſen entwickelten als Erindrud, heute Erentrud, Ehren⸗
trud oder Ehrentraud, war gleich ihrem Oheim fränkiſchen Geſchlechtes
und wohl dem Merowinger⸗Hönigshauſe ſtammverwandt. Sie hatte
auch ähnliche Gebensfhickungen wie er erfahren. „Anfänglich verwaltete
die hl. Jungfrau das Amt einer Hbtiſſin im Frankenland und leitete
die ihr untergebenen Nonnen mit aller Milde und Weisheit“, cum omni
suavitate et sapientia. Sie war, wie Caeſarius weiterfährt, beſonders
bemüht um Eintracht und Einmütigkeit und kannte weder Lift noch
Trug noch Geiz.
Aber der Feind alles Zuten ſäte Unkraut unter den Weizen, erzeugte
böſe Zwietracht, ſodaß Bosheit, Ungerechtigkeit und Hader die Ober-
hand gewannen: praevaluit iniquitas. Ein langer, bitterer Leidens-
weg mag in dieſen Zeilen angedeutet liegen. Erendrudis wußte zu
ſchweigen. „Demut iſt der Mut der heiligen.“
nun war ihre Erlöfungsftunde gekommen. Wie frohgemut mochte
die Hbtiſſin der neuen Heimat, den neuen Zielen entgegenſehen, als die
Fähr flußaufwärts rudernd, fi) quvavum näherte. Wie freudig über-
raſcht war fie, als Rupert fie und ihre Genoffinnen den Berg hinan
352
zum ſichern Felſenneſtlein, dem Castrum superius, geleitete, allwo die
Turteltaube in Frieden niſten ſollte.
Das altehrwürdige Derbrüderungsbuch der Abtei St. Peter, vom
heiligen Abt⸗Biſchof Virgil (745— 789) angelegt, weiſt nach dem erſten
namen Arindrud eine Reihe ebenfalls fränkiſcher Namen auf, in denen
wir wohl nichts anderes als Arindruds Begleiterinnen ſehen können.
Es find u. a. Baerlind, Hiltrud, Coteslin, Meginhilt, Hraitun, Teotrat
und einige hiftorifhe Seſtalten, wie Waldrada, Herzog Theodoalds
junge Waiſe; Cotani, Herzog Taffilos Töchterlein, das, nachdem ihr
Vater feit der Abdankung hinter Kloſtermauern verſchwand, denfelben
Weg einſchlug; Rodrud endlich, die unglückliche Gattin Karl Martells, die
von ihrem rauhen Gemahl verftoßen unter Arindruds Arummftab nach
heißem Ringen des herzens Ruh und Frieden fand. So die Traditionen.
Es mag ein kleiner, aber trauter Kreis gleichgeſinnter, ſeelenverwand⸗
ter herzen gewefen fein, denen Arindrud nun Mutter, Führerin und
Vorbild ward und wo ſich die Benediktinerloſung zur Tat geſtaltete:
Ora et labora! Ob Erentrudis ſchon die Benediktinerregel befolgte?
Manche Forſcher bezweifeln es, mit der ſpäteren Zeitannahme wäre
es leicht vereinbar, mit der früheren aber Raum. Immerhin, ſelbſt
wenn fie vielleicht wie die hl. Radegund und ſoviele andere die Regel
des hl. Caeſarius von Arles beobachtete, ſo war ſie jedenfalls dem
Beilte nach dem heiligen Dater Benedikt innig verwandt. Die beiden
Pole ihres Lebens ſtehen uns klar vor Augen; Rindespietät hat fie von
Jahrhundert zu Jahrhundert unverrückt überliefert, fortgeerbt weil
fortgeübt. Es find: Gotteslob und Nächſtenliebe. Beinen Zug hebt
der Lebensbefchreiber fo ſcharf hervor wie dieſe beiden. „Die weile
Jungfrau wußte ſich zu laben an dem Buch der Hl. Schriften; da ſaß
fie mit Maria zu den Füßen des Mleifters und hörte fein Wort in
heiliger Beſchauung. Nach außen aber ging fie gleich Martha auf
in dem Dienſt der Armen“. Caefarius führt dieſe Liebesdienfte weiter
aus: Sie wuſch den Armen die Füße und diente den kranken. Kinder
und Breſthafte reinigte fie mit eigener Band, gleich einer emſigen Biene
unterließ fie nichts, womit fie ihrem Bräutigam und König in feinen
Gliedern dienen konnte. 80 ward Arindrud nicht nur ihren Töchtern,
ſondern weithin für Stadt und Land all den ſchlichten Bergbewohnern,
kielten, Franken oder Romanen Mutter, Helferin und Lehrerin.
Im ſtillumfriedeten Kreuzgärtlein, dem Pferzer, ſproßten Heilkräuter;
Obſt und Bodenkultur nicht minder wie Nähen, Spinnen, Weben lehr⸗
ten fromme Nonnenhände die umwohnenden Frauen. Noch mehr: die
Mägdlein lernten auch die vom Frankenlande mitgebrachten Bücher
entziffern, lernten ſelber auf feinem Pergament zierlich ſchreiben und
leuchtende Initialen und Bildchen malen und auf weiche Seide für
des Botteshaufes Zier köſtliche Stickereien zaubern. Don morgens
früh bis abends ſpät, ja ſelbſt in ſtiller Nacht ertönte vom St. Martins»
. 353
kirchlein her das helle Gotteslob, der frohe Pfalmengefang weit hinaus
ſegentauend über Berge, Schluchten, Täler, hinein in gotthungrige, dunkle
menſchenherzen wegweiſend, Glaube vermittelnd, Friede, Glück.
Auch äußerlich ward die Gründung ſichergeſtellt durch Herzog Theo⸗
dos Freigebigkeit — d. h. noch mehr durch feine Gemahlin Regindrud.
Dieſe ſchenkte den Nonnen das Gebiet von Tillmanning, 43 Manſen
famt Eigenleuten (Holden), dazu weite Gebiete Norikums mit Jagd-
und Fiſchrecht, Wald und Almen, ſowie die Salzpfannen von Reichen-
hall, die der „Salzburg“ nicht nur Name gaben, ſondern Unterhalt und
Anſehen. Das ganze Mittelalter hindurch verſah Salzburg ganz Bauern
mit Salz — aber dem Kloſter erwuchſen damit, freilich ſpäter, auch
manche Schwierigkeiten. Regindrud, die edle Fürſtin trat nach dem
Tode ihres Bemahls als einfache Nonne ein und fand in der Arypta
ihre Srabftätte — jetzt leider nur mehr kenotaph.
So konnte Arindrud ruhig ihrem heimgang entgegenſehen. Was
fie begonnen, das Gotteswerk es wuchs und blühte, ſtill verborgen
aber ſtetig. Ob ihr Seherblick ahnend hinausſchauen durfte in ferne
Zeiten? Ob fie die vielbewegten Schickſale der Nunburg im Geiſte ſah?
Diel Schweres, viel Leid und Sorgen, Wandlungen und Stürme, Heim-
ſuchungen mit Peſt und ktrieg und allem Ungemach, Brände, Hungers⸗
nöte! Das alles zog vorbei; es hat die Nunburg arg bedroht, doch
auf Fels gegründet hielt fie allem ſtand und hält dieſelben Ziele,
denſelben Geiſt in feinen Mauern feſt wie einſt. Ob das nicht Arin»
druds Gebet den ſpäten Rindern wohl erwirkt hat?
Tauſende haben nach ihr, der erſten, ſich geheiligt an dieſer Stätte.
Die ehrwürdigen, altersgrauen Mauern, was könnten fie erzählen von
ſtillem Heldentum! geder Raum in dem vielwinkligen, mittelalterlichen
Bau hat feine Geſchichte, ja jeder Stein! „Die frommen Frauen ver-
laſſen nie das Stift“, fagt irgendwo einmal Hermann Bahr, „wozu
denn auch? Es enthält Salzburg ganz“.
Ja, die Geſchichte Nonnbergs, äußerlich betrachtet, iſt in der Tat die
Zeſchichte des Hochſtiftes Salzburgs, und die reichbewegten Schickſale
des erzbiſchöflichen Fürftentums warfen ihre Wogen hinein ins ſtille
Heiligtum. Da gäbe es vieles zu berichten. Doch für diesmal möge
nur St. Erentrudis Bild wieder neu aufleben im deutſchen UDolk und
unſerem heiligen Orden, dem fie nicht wenige Abteien ſchenkte. Nonn⸗
berg ward Pflanzſtätte der meiſten Klöſter Süddeutſchlands. Möge ſich
erfüllen, was täglich vor ihrem Schreine ihre ſpäten Töchter beten:
O Erentrudis, Christi virgo, nos ovile tuum peculiare et omnem
plebem fidelium Domino semper commenda! — O Erentrudis, qung-
frau Chriſti, uns, die Schäflein deiner herde und das ganze Volk der
Gläubigen empfiehl dem Herrn allezeit!
3 „ „
354
Rleine Beiträge und Hinweiſe
Die Myftik des hl. Bernhard von Clairvaux.
J. feinem „Oehrbuch der hiſtoriſchen Methode“ (Leipzig, 4. Aufl. 1903 8. 723 ff.)
erklärt E. Bernheim als wichtigſte Aufgabe der hiſtoriſchen Darſtellungskunſt
die „Konzentration oder Verdichtung“, d. h. die „Umwandlung einer größeren Menge
von Dorftellungsreihen in wenige, kürzere Dorftellungsreihen, und zwar ſo, daß die
weſentlichen Inhalte jener Menge doch gewahrt bleiben,“ und die Bildung von „Ver ·
tretungen“, d. h. von „Einzelvorſtellungen, die mehrere Vorſtellungen oder ganze
Dorftellungsmaffen in ſich einſchließen, ohne jene mehreren ausdrücklich einzeln
wiederzugeben“. Es iſt von vornherein klar, daß es da keine kleine Geiftung vor⸗
ſtellt, das umfangreiche Schrifttum eines hl. Bernhard von Clairvaug zu, ver-
dichten“ und in „Dertretungsbegriffe” zu faſſen. Für das beben des heiligen hat
dies wohl Dacandard (Geben des hl. B. v. Cl., deutſch Mainz 1897 f.) im Ganzen
unübertrefflich geleiſtet. Nun hat ein Schüler Grabmanns, Robert Pin hardt ein
gleiches für das theologiſche Suſtem des Rirchenvaters gewagt. Schon das Wagnis
ſcheint uns eine eingehende Würdigung feines Buches: „Die Myftik des hl. Bern⸗
hard von Clairvaux“ (Verlag Natur und Aultur, München 1923, 247 8. in kl. 8°)
nahezulegen, nicht weniger aber deſſen ſchönes Gelingen.
Ein ähnliches hatte ſchon 9. Ries 1907 unternommen; diefer aber verzweifelte
daran, feine „Dertretungsbegriffe” aus bernhardiniſchen Gedankenreihen ſelbſt ge⸗
winnen zu können und begnügte ſich damit, fie „an der ſtrengen Suſtematik der
ſpäteren Theologie zu orientieren.“ (Ries, „Das geiſtliche Geben in feinen Entwick⸗
lungsſtufen nach der Lehren des hl. Bernhard“, Freiburg 1907, 8. 6.) Joh. Schuck
aber analyfiert „Das religiöfe Erlebnis beim hl. Bernhard von Clairvaux“ (Würzb.
1922), alſo die ſeeliſchen Wege feiner Gotteserfahrung, ſchlankweg an den Schemata
der modernen amerikaniſchen Religionspſuchologie. In ſeiner Beſprechung des vor⸗
liegenden Buches (Git. Beilage der Augsburger Poſtzeitung 1924, Ur. 10) ſcheint ſelbſt
P. Alois Nager der Gefahr nicht ganz entgangen zu fein, fein Intereſſe an der
Muyftik des heiligen darauf zu beſchränken, wieweit dieſe feiner anderweitig, aus
ſpäteren Autoren gewonnen Seſamtauffaſſung von Muſtik entgegenkommt. Das
Butler ſche Buch „Western Musticism“ (London 1922) ſucht und hat feine Stärke
in der Aufzeigung großer Entwicklungslinien und weniger in der Einzelegegefe. Die
ſtrengſte Bäumker- Grabmannſche Schule hingegen würde gerade auf die peinlichſte
quellenanalutiſche Ableitung des einzelnen dringen. Methodiſche Grundfragen dieſer
Art werden ja bei der Behandlung eines jeden mittelalterlichen Autors aufſtehen;
kaum einer aber dürfte fo ſehr der Verdichtungsarbeit widerſtreben als Bernhard,
deſſen Werke faſt durchwegs Gelegenheitsſchriften ausgeſprochen aphoriſtiſcher For⸗
mung find. Linharöt ſcheint nun den rechten Weg zur Auffindung des doch zweifel⸗
los zugrundeliegenden theologiſchen Bedankenfyftems zu gehen. Mit außerordent-
licher Kenntnis feines Autors läßt er zunächſt dieſen ſelbſt, ſoviel als nur irgend
möglich, zum beſer ſprechen, ſodaß ſich fein Buch ſtreckenweiſe wie ein Moſaik aus
Bernhardſtellen lieſt, ähnlich wie etwa des heiligen Reden und Abhandlungen ihrer-
feits ein Moſaik von Schriftzitaten bilden. Wer Ginhardts Arbeit kennt, ſoll damit
Bernhard felber im weſentlichen kennen gelernt haben. Mit dem wiſſenſchaftlich
wie künſtleriſch gleich berechtigten Hilfsmittel einer weitmaſchigen, allgemein theolo-
giſchen Topik ordnet er ſodann die Maſſe des Stoffes.
So kommt er zur Unterſcheidung zweier verſchiedener Ströme, „in denen Bern-
hards Muſtik dem Ieere der Gottheit zueilt.“ Der eine iſt der mehr intellektuell
geartete, aus auguſtiniſch - areopagitiſchen Quellen geſpeiſte, der Gottes muſtik: der
andere, ihm ureigen, mehr affektiv⸗voluntariſtiſch, iſt der die monaſtiſche Aſzeſe fort ·
ſetzende und krönende, ſchließlich die Seſtalt des Sottmenſchen unverwandt umkrei-
355
ſende der Chriftusmyftik. Im erften Teil, die Sottesmuſtik überſchrieben, bringt Gin-
hardt die Lehre des heiligen über die entwicklung des religiödſen Erkennens, des
niederen, allgemeinchriſtlichen ſowohl, wie des höheren, kontemplativen. In ſeiner
Auffaſſung des Formalen in beiden Erkenntnisſphären zeigt ſich Bernhard durchaus
der Tradition verhaftet. Im zweiten Teil wird das gefamte Gehrgebäude inhaltlich,
gegliedert in einen anthropologiſchen, kos mologiſchen und theologiſchen Bedankenktreis,
betrachtet. Aus dem Ganzen wird als eigentlich bernhardiniſche Schöpfung die Chriftns-
muſtik herausgelöſt, in der das übermächtige Bild geſu Chriſti und die muſtiſche
Veranlagung der Menſchenſeele durch die Bottebenbildlichkeit, geweckt durch die Sal-
bung des BI. Geiftes, zuſammenwirken, um in drei Stufen von der Bekehrung, über
die Schulung in Betrachtung und Nachfolge des Lebens Chriſti hinaufzuführen zur
krönenden Giebeseinigung mit dem bräutlichen „Worte“. Voraus geht bei Linhardt
eine kurze Einführung in das beben und die perſönliche Art des heiligen, den Schluß
ſeines Werkes bildet ein knapper Bericht über die Rolle der bernhardiniſchen Muſtik
in der Seſchichte der Theologie und Frömmigkeit. Man ſieht, die Architektonik des
Buches iſt mit feiner Scheu vor Vergewaltigung des Materials und mit einem ge⸗
wiſſen künſtleriſchen Takt durchgeführt. Auf dieſe Weiſe ſcheint der Verfaſſer ein
Doppeltes erreicht zu haben: Der Peſer fteht erſtens nicht vor einer lockeren Folge
von [pinöfen Einzelunterſuchungen, ſondern hat ein klares, dabei unmittelbar herz ⸗
bewegendes Befamtbild. Das Buch wirkt daher im beſten Sinne als Erbauungsbuch
und ift auch dem Seelforger ſofort dienlich, wie es das Dorwort wünſcht. Der Pre⸗
diger 3. B., der ad patres gehen will, wird hier vom jüngſten Kirchenvater (novis-
simus patrum) in reichſtem maße angeregt werden. Schade, daß viele Zitate un-
über ſetzt blieben, und fo der Geferkreis mehr oder weniger auf Theologen beſchränkt
bleiben wird. Zu einem allgemein verſtändlichen Erbauungsbud von der wiſſen ;
ſchaftlichen Bediegenheit des „Beiftlihen Lebens” von Denifle wäre von hier aus kein
weiter Schritt zu tun. Die Sprache des Werkes iſt nämlich von einem für gelehrte
beiſtungen ungewöhnlichen, ſtellenweiſe eben noch angängigen Schwung; fie erhebt
ſich zu ſchönem Pathos, wobei die Freude am Wortklang zuzeiten zu Wortgeklingel
verleitet, was aber der Eleganz des tupiſchen Frühfranzoſen Bernhard ſelber nicht
ganz unangemeſſen iſt. Der zweite Vorteil der vom Autor gewählten Behandlungs-
weiſe iſt der, in etwa allen Teilgeſichtspunkten gerecht werden zu können, die in den
oben genannten Spezialarbeiten einſeitig Beachtung fanden.
Es ift zweifellos den nachhaltigen hinweiſen P. A. Magers beſonders zu verdanken,
wenn heute kaum mehr verſucht werden kann, anders als aus den Selbftbekennt-
niſſen der Myftiker eine Theorie der Myftik zu gewinnen. Aus Bernhard ergibt
ſich nun nach der vorliegenden Unterſuchung, daß er eine gewiſſe Freiſtändigkeit der
muſtiſchen Begnadung gegenüber jeder Art menſchlicher Vorbereitung lehrt, ähnlich
wie fie ſchon der übernatürliche Slaubensakt gegenüber einer natürlichen Glaubens-
begründung beſitzt. Sehr glücklich ſcheint uns dieſe Beobachtung auf 8. 168 gefaßt:
„So hätte denn jeder Menfh in ſich die Difpofition und Möglichkeit zur Muſtik.
Die Ausführung dieſer Difpofition, die Überführung der Möglichkeit in die Wirk-
lichkeit aber ſteht nicht in feiner, ſondern in Gottes hand“. Der Derfaffer bedauert
angeſichts der bernhardiniſchen Forderung einer ethiſch⸗religiöſen Diſponierung durch
Aſzeſe, daß deffen theologiſch Klare Antwort nicht auch pfuchologiſch ausgebaut ift,
„ſonſt könnte fie uns manche moderne Debatte zu dieſer Frage erſetzen“ (8. 169).
Befonders dankenswert ift ferner der Hinweis, die chriſtliche Ruſtik ſei nicht „ego-
iſtiſch“, „weil die muſtiſche Sottesliebe ohne weiteres zur leidenſchaftlichen Sorge wird
für Alles, was Gottes iſt“, was ſich in einem apoſtoliſchen Zug und ſtarkem Ver⸗
kündigungsörang zeigt bei aller keuſchen Scheu des unbegreiflich Begnadeten, und
fie ſei ebenſowenig „quietiſtiſch“, ſodaß „der weltabgeſchiedene Myftiker zum einfluß-
reichſten Mann jener Tage wird, der dem Jahrhundert den Namen gibt“ (S. 10).
Nicht in den ſtarren Begriffen des wiſſenſchaftlich intereffierten Syftematikers, ſon⸗
dern in der blühenden Bilderpracht von „Liedern eines Liebenden” hat der heilige
356
nach Ausweis der vorliegenden Studie zu rein allen Fragen der muſtiſchen Erlebnis ⸗
und Erkenntniswelt ſeinen nicht immer originellen, aber ſtets bezeichnenden, in der
Folge ſtets als magiſtral gewerteten Beitrag geliefert. In der Zweiteilung: Betrach⸗
tung und Beſchauung, fieht Linhardt eine bedeutſame Teuaufftellung Bernhards.
Daß er fi des Grenzwertes der Terminologie des Heiligen dabei nüchtern genug
bewußt bleibt, zeigt Anmerkung 3 der 8. 75 gegen Ries.
Wenn auch dem Autor die Individualſtudie“ mehr am herzen liegt als die „quellen-
analutiſche Unterſuchung“ (8. 6), fo find doch die hiſtoriſchen Bedingtheiten der
bernhardiniſchen Muſtik in den weſentlichen Zügen ausreichend dargeſtellt und belegt.
In einem wichtigen Punkte aber bleiben Wünſche unerfüllt. Da die Schrifen Bern ·
hards faſt durchwegs gebieteriſchen Berufspflichten und Zeitbedürfniffen ihre Ent
ſtehung verdanken, hätte der geſamten Umwelt, der Pebensweiſe, den einzelnen
Wirkens phaſen mehr Aufmerkfamkeit geſchenkt werden müſſen. Wir denken da vor
allem an die Tatſache, daß die meiſten opuscula fi an einen ausſchließlich geiſt⸗
lichen, näherhin mönchiſchen Leferkreis wenden (was ja auch beiſpielsweiſe bei der
„Nachfolge Chriſti“ zu wenig beachtet wird). Wenn es nun auch nach Butler (a. a. 0.
8. 190) keine eigentümlich benediktiniſche, ſondern nur eine allgemein „weſtländiſche“
Mmuſtik gibt, fo erklären fi) doch viele Einzellehren Bernhards einfach als Über⸗
nahme oder Fortführung von Gedanken des Ordens vaters Benediktus, die auch von
den Aöͤreſſaten der Reden, Abhandlungen und Briefe nur als ſolche verſtanden wer-
den ſollten. Ohne dieſe einfache Beobachtung iſt manches bei Bernhard entweder gar
nicht, oder nicht in feinem gefättigten Sinn zu verſtehen. Schon der grundlegende
Begriff der »conversio- iſt zunächſt nicht im religionspſuchologiſchen Sinn zu faſſen,
ſondern als Eintritt in den Mönchsſtand und als mönchiſche bebensführung überhaupt.
Biezu hätten die Arbeiten von Rothenhäusler und herwegen in den „Beiträgen
zur Geſchichte des alten Möndtums und des Benediktinerordens“, Heft 3, (Münſter
1912) verglichen werden müſſen. Die Auffaffung der »discretio« als mater vir-
tutum«, die Aufftellung von Stufen der Demut, die für die eigentlich muſtiſche Stufen ⸗
lehre nicht belanglos find, die Betonung des Wertes der Däter- und Schriftlektüre,
der Beobachtung der Faſtenzeit und vieles andere ſind benediktiniſches Erbgut aus
der Regel. Huch die etwas ſchroff tupiſterende Behauptung, die eigentliche Chriftus-
muſtik ſei originale Peiſtung Bernhards, dürfte ſich angeſichts der immer wieder
kehrenden Hinweiſe der heiligen Regel auf die Vorbildlichkeit der menſchlichen Perſon
Jeſu (vgl. nur Rap. 4, „Chriftus überhaupt nichts vorziehen !“) weniger anfechtbar
als eine befonders energiſche Derfchiebung des Tones, der Klangfarbe gegenüber der
übergeiftigen Art des Pfeudo-Dionyfius faſſen laſſen. Gelegentlich (8. 159) befindet
ſich der Autor diesbezüglich auf der rechten Fährte; St. Bernhards Originalität if
auch hierin gewiß mehr eine Tat des herzens als des Derftandes. In dieſer und
in der herrlichen Einformung durch alle Mittel der Sprachkunſt ſehen wir faſt aus-
ſchließlich die „Originalität“ des Heiligen. Der wiſſenſchaftliche Eifer, Neues zu bringen
lag ihm ja völlig fern. Gerne ſähen wir auch häufigere Rückweiſe auf bibliſche
Quellen, die Gehalt und Form feiner Werke auf ganze Strecken hin beftimmen,
und auf Anklänge an die ihm wohlvertrauten Texte der Piturgie. Freilich werden
auch dann noch die ganz unfaßbaren und unbelegbaren Einflüffe der Tradition die
erfaßten überwiegen. Hingegen ſcheint es ziemlich belanglos, noch mehr wortgenaue
Jeugniſſe für feine Abhängigkeit von früheren oder zeitgenöſſiſchen Autoren zu bringen,
weil der heilige dieſe mehr als „geiſtliche Lefung” im Sinne der Regel betrachtete,
denn als Unterlage für theologiſche Forſchung, ſodaß ihm ſelbſt an kritiſchem Zitieren
nichts liegen konnte. Mit dem Verfaſſer find wir der (auf S8. 34 ausgeſprochenen)
Anſicht, daß dogmengeſchichtliches Intereſſe Bernhard fremd war, wie er auch keinerlei
Berſtändnis für dialektiſche Behandlung der Glaubensgegenſtände aufbrachte. Die
Quellennachweiſe (auf 8. 22) ſcheinen uns vollauf genügend.
dum Inhaltlichen möchten wir noch das Bedauern äußern, daß der muſtiſchen
Begründung der Kirche kein Augenmerk geſchenkt wurde, und daß der „Marien ;
357
muſtik“, fowie der Heiligenverehrung gar nicht gedacht wurde. Es iſt zwar
darüber die Arbeit des Zifterzienfers B. häns ler „Die Marienlehre des hl. Bern -
hard, Abtes und Kirchenlehrers” (Regensburg 1917) vorhanden. Doch hätte gegen ·
über den durch heiler leider wieder ſehr beliebt gewordenen Mißdeutungen der Marien-
minne des Mittelalters nicht durch Schweigen, ſondern durch klare Belege darauf
hingewieſen werden ſollen, daß ſelbſt das Andachtsverhältnis diefes glühendſten
Marienverehrers zur Gottesmutter nur in analogem Sinn ein muſtiſches genannt
werden kann. In dem Kapitel über die Nachwirkungen der bernhardiniſchen Myftik
hätte die im proteſtantiſchen Pietismus eine Erwähnung verdient, welche uns Paul
Gerhardts „O haupt voll Blut und Wunden“ ſchenkte, ſowie diejenige in der bilden-
den Aunft, die ikonographiſch ſehr viel Intereſſantes bietet, worüber erft Kürzlich
Prinz Johann Georg von Sachſen in einem Vortrag berichtete. Dann und wann
drängen ſich dei den Aphoriftikern Franz von Sales und Pascal nicht nur formelle
Anklänge auf. Die ſchöne Stelle in ep. 11, 4: „Die Liebe iſt das ewige Geſetz, Schöp-
ferin und Penkerin des Univerſums“, ſcheint für den grandioſen Schlußvers der Dante-
[hen „Göttlichen Komödie“ vorbildlich geweſen zu fein.
beider ift der Druck nicht frei von ſtörenden Fehlern; korrigiert muß 3. B. wer-
den auf 8. 40: »sientire< in »scientiae:, auf S. 55: O felix saeculum« in »O felix
osculum«. Auch den Wunſch nach einem Namenregiſter fügen wir hier an, nicht
nur, weil es ſo Rezenſentenbrauch iſt.
Wenn wir nun unſere Wünſche ſo ausführlich dargelegt haben, möge dies nur
als Zeichen des felbftverftändlidy regen Intereſſes gewertet werden, das eine’ Bene-
diktinerzeitſchrift an dem Werke nimmt. Gegen feine erfreulich hohen Qualitäten
ſprechen fie ja alle nicht und kommen gegenüber der Fülle des ſachlichen Inhaltes
kaum auf. Wiſſenſchaftlicher Klärung, ſeelſorglicher Derwertung und innerfter Er⸗
bauung dient es gleichermaßen in ſeltenem Grade. Wie der Derfaffer augenſcheinlich
ſelbſt durch die liebevolle Hingabe an den ktirchenvater von deſſen edler Seelenart
mitgeformt wurde, wird fein Buch den empfänglichen Peſer nicht nur einen hauch
bernhardiniſchen Beiftes verfpüren laſſen. Ein wiſſenſchaftliches Buch, das nicht bloß
geſcheiter, ſondern auch beſſer macht, verdient um deſſentwillen eigens gerühmt zu
werden, ſcholaſtiſch geſprochen: Mag einer sapientia von sapere oder von sapor
herleiten, in jedem Sinn wird er durch dieſes liebenswürdige Buch weiſer werden.
P. hugo Pang (St. Bonifaz- München).
Dom 27. Euchariſtiſchen Kongreß zu Amſterdam.
| ännerapoftolat, Sonntagsheiligung, Deutfchenfeelforge in Holland, häufige hei⸗
lige Rommunion, Winfrieöbund, darauf bezogen ſich heuer die Beſchlüſſe der
Deutſchen Sektion. „In einer Zeit, in der die Sonntagsentheiligung erſchreckend zu⸗
nimmt“, betont fie „mit allem Nachdruck die Notwendigkeit der Sonntagsheiligung
in unſerem Volke. Da die treue und andächtige Beiwohnnng der heiligen Meſſe der
Mittelpunkt wahrer Sonntagsfeier iſt, muß fie von allen tatholiken als erſte und
heiligſte Pflicht angeſehen und befolgt werden. Insbeſondere iſt dazu notwendig, die
Kinder rechtzeitig in das tiefere Derftändnis der heiligen Meſſe einzuführen, den
Erwachſenen die Giturgie der Sonn» und Feiertage durch ausführliche Erklärung
und durch das Benützen der liturgiſchen Bücher näherzubringen.“ Weiterhin gelte: Erſt
gewiſſenhafte Erfüllung der 8onntagspflicht, dann Spiel und Sport! — Sie wünſcht ferner,
„daß die Worte des erſten Papſtes (1 Petrus 2, 9) an alle Chriftgläubigen: ‚Ihr ſeid ein
auserwähltes Geſchlecht, ein königliches Prieſtertum“, dadurch zur Tat werden, daß
alle Chriſtgläubigen, namentlich aber jene, die vor Bott durch höhere Bildung und
höheren Stand auch höhere Verantwortung haben, ſich auszeichnen durch ein gutes
euchariſtiſches Beiſpiel, durch ihr Sicheingliedern in das kirchliche Geben, beſonders durch
Zicheinordnen in die Einrichtungen und Deranftaltungen der eigenen Pfarrgemeinde.“
& *
358
Bücherſchau
Hagiographie
Jum 1200. jährigen Jubiläum des hl. Kor-
binian, erſten Biſchofs von Freiſing, ſind
an Gaben erſchienen:
Wiſſenſchaftliche Feſtgabe zum zwölf.
hundertjährigen Jubiläum des heiligen
forbinian. Berausg. von Dr. Joſeph
Schlecht, Hochſchulprof. in Freifing. gr. 8°.
(XVI u. 5518. Mit 29 Tafeln, 61 Textab-
bildung. u. 1 Karte). München 1924, Graph.
Runftanft. A. huber. Geb. in beinw. M. 30.—
Das Leben des heiligen Korbinian,
dem Biſchof Arbeo von Freiſing (770) nach⸗
erzählt von Balth. Arnold, Prieſter der
Erzdiözefe Münden-Freifing. (152 8. und
5 Dolfbilder). Freiſing 1924, Datterer & Cie.
Broſch. M. 2.—; Ganzl. M. 3.—
Die Corbinianslegende nach der hand.
ſchrift des kloſters Weihenſtephan vom
Jahre 1475. Hrsg v. Dr. Joſ. Schlecht. 8°
(XVIII u. 72 8.) Ebö. 1924. Broſch. M. 3.—
Dorzugsausg. M.75.—; in Peder M. 100.—
Abele, Eugen, Der Dom zu Freifing.
Ein Führer durch feine Monumente und
Runſtſchätze nebſt Abriß der Baugeſchichte.
2. Aufl. (127 8. mit 1 Farbendruck und
49 Abbildungen im Text). Ebend. 1924.
Broſch. M. 2.—; geb. M. 3.50
1. Man hat beim Berannahen des Ror⸗
binianjubiläums wiederholt den Bedanken
erwogen, ob nicht die Feſtgabe von 1724,
die bahnbrechende Historia Frisingensis
des Benediktbeurer Mönches P. karl Mei-
chelbeck, in der Form einer den neu⸗
zeitlichen Forderungen entſprechenden „Se⸗
ſchichte der Erzöiözefe München⸗Freiſing“
eine Neuausgabe erleben könne Man
mußte aber dieſen Plan von vornherein
aufgeben, weil für eine halbwegs erfchöp-
fende Geſchichte einer 1200 Jahre alten
Diözeſe von der kulturellen Bedeutung
Freiſings noch ſo ziemlich alle Vorarbeiten
fehlen. So gab denn Profeſſor J. Schlecht,
der Hiſtoriker des Freifinger Klerikalſemi⸗
nars, unter ſtützt von 26 Forſchern, zum
Teil ſeinen Schülern, ihrer Mehrzahl nach
Prieſtern der Erzöiözefe, eine andere Feft-
ſchrift heraus, die nach dem Wunſche des
Herrn Kardinals und Erzbiſchofs auch als
ein literariſches Denkmal kommenden Ge-
ſchlechtern verkünden ſollte, wie man ſich
trotz der ſchwerſten Not der Nachkriegszeit
der alten Traditionen würdig zu machen
ſuchte. Was nun wirklich in den zahl»
reichen, mehr oder minder langen und
naturgemäß auch nicht gleichwertigen Auf-
ſätzen der Feſtſchrift geboten worden iſt,
nennt ihr Herausgeber in ſeinem Vorwort
ſelber „nur Stichproben aus Freiſings 1200
jähriger Kulturgeſchichte“, auf die im ein-
zelnen einzugehen nicht im Rahmen dieſer
Buchanzeige liegen kann. Im Mittelpunkt
dieſer Studien ſteht die Perſon des hl. Kor;
binian: es find aber auch in diefen Arbeiten
brauchbare Bauſteine für die noch dunkle
Urgeſchichte der Freifinger Diözefe und der
frühbauriſchen Rirche überhaupt geboten
und zwar umſo feltenere und wertvollere,
weil vor allem die geiſtesgeſchichtlichen Mo
mente betont werden, z. B. Grundlagen der
kirchlichen Organiſation, frühbauriſches
Miffionswefen, Ordens ⸗ und Weltklerus,
Bibliotheksgeſchichte, Mufikpflege und got⸗
tesdienſtliches beben und dergleichen. Was
weiterhin über die oft Jo bewegte Diözefan-
geſchichte des Mittelalters und der Ueuzeit
geboten wird 3. B. Otto der Große, Biſchof
Otto II., die Wittelsbacher Prinzen auf dem
FreiſingerBiſchofsſtuhl, der weltliche Grund ·
befig des Hochſtiftes, die Bartholomäer in
der Erzdiözefe, Säkularifation und an⸗
deres trägt noch weniger als die die Ur-
geſchichte behandelnden Auffäge den Cha⸗
rakter des innerlich Juſammenhängenden
und weckt bei der Tleuartigkeit der Auf-
ſchlüſſe nur umſomehr das Verlangen nach
einer umfaſſenden Geſchichte unſerer Diö-
zeſe. Könnten nicht vielleicht enger zu⸗
ſammengeſchloſſene Semeinſchaften von
wiſſenſchaftlich Arbeitenden darangehen.
die notwendigen Einzelvorarbeiten für
dieſe Diözeſangeſchichte zu ſchaffen, etwa
die kirchenhiſtoriſchen Seminare der Uni⸗
verfität München und des Gyzeums in
Freiſing und auch die erſt ſeit zwei Jahren
wieder zuſammengetretene Academia Be-
nedictina der baueriſchen Benediktiner -
kongregation? Ein Meichelbeck würde ſich
dann wohl finden, der das ſo bereitgeſtellte
Material zu dem in allen Teilen wohl⸗
gefügten Geſamtbau verarbeitete.
2. B. Arnold fand bei der Abfaſſung
feines Korbinianslebens ähnliche litera⸗
riſche Derhältniffe vor wie etwa Abt Ber-
wegen bei feinem Buch über den hl. Bene»
dikt oder bau bei feiner Geſchichte des
hl. Kolumban. Bei dem legendären Cha⸗
rakter dieſer mittelalterlichen Diten müſſen
Arbeiten über ſolche Heilige immer etwas
Subjektives an ſich haben; ſie zwingen
aber erfreulicherweiſe den Biftoriker ganz
von ſelber, ihrem heiligen durch weitge⸗
hende Einbeziehung in die zeitgenöſſiſche
Drofan- und tirchengeſchichte einigermaßen
individuelles Geben zu geben. Vorteilhaft
für Arnold war, daß die Rorbinianvita
des Biſchofs Arbeo viel perſönlicher ge⸗
halten ift als die meiſten anderen Heiligen
leben jener Tage; nachteilig, daß Korbinian
bei weitem nicht in dem Maße ſeiner Zeit
den Stempel ſeiner Größe oder ſeiner Ideen
aufgedrückt hat wie ein hl. Benedikt oder
ein hl. Kolumban und daß dem Zwecke
des Schriftchens nach gerade der heilige
Biſchof der Wunderlegende und der erſte
der Diözeſe zu ſchildern war. Wie vielerlei
Ronflikts möglichkeiten aber gerade in die-
ſem doppelten Iwang gelegen find, das
wußte der Verfaſſer ſelber nur zu gut. Auf
manche hiſtoriſche Fragen, die er im Rah⸗
men ſeines volkstümlichen Büchleins nicht
erörtern konnte, kam er darum eigens in
der wiſſenſchaftlichen Feſtgabe (8. 61 ff.)
zu ſprechen. Trotz aller Schwierigkeiten iſt
aber ein Buch entſtanden, das im weſent⸗
lichen gewiß ein geſchichtlich treues Bild
des Heiligen entwirft, und das ſich ebenfo
fern hält von allzu feiner Kritik wie von
allzu weitgehenden Zugeſtändniſſen an die
Dolkstümlichkeit. — Uneingeſchränkte An-
erkennung verdient der Verlag dafür, daß
er zum Jubeljahr die Ausgabe eines mit fo
Ihönen Bildern geſchmückten und äußerft
gediegen gedruckten und gebundenen Bu;
ches ermöglichte.
3. J. Schlecht, deſſen unermüdlichem
Eifer vor allem die umfangreiche äußerft
wertvolle „wiſſenſchaftliche Feſtgabe“ zu
verdanken ift, wollte auch perſönlich eine
literariſche Spende zur Feiert darbringen.
Da lebte zu Ausgang des 15. Jahrhunderts
in Freiſing ein frommer, durch feine Runſt⸗
fertigkeit noch heute bekannter Boldfchmied,
389
Mleifter Sixt Schmalermel; da er des Gefens,
Schreibens und Malens wohl Rundig war,
legte er ſich aus verſchiedenen Quellen eine
große Legende der lieben Heiligen an, die er
ſelbſt mit frommen Jeichnungen ſchmückte.
Bei ſeinem Tod hinterließ er das von ihm
hochgeſchätzte Werk dem benachbarten klo⸗
ſter Weihenſtephan, von wo es bei der
Säkularifation in die Münchener Staats»
bibliothek Ram. In dieſer Gegendenfamm-
lung ſteht nun die einzige uns erhaltene
deutſche Bearbeitung der kiorbiniansle⸗
gende. Dieſen mittelalterlichen Text ver»
öffentlicht Schlecht; er ſchickt ihm eine die
literariſchen Fragen kurz zuſammenfaſ⸗
ſende wiſſenſchaftliche Einleitung voraus.
Für Bücherfreunde hat Otto Hhupp eine
künſtleriſch wertvolle Dorzugsausgabe be-
ſorgt, die in bloß hundert numerierten
Exemplaren hergeſtellt wurde und wegen
ihres hohen Preiſes von 75 (100. —) M. wohl
nur wenigen Glücklichen erſchwinglich ſein
wird. Der Verlag hat aber auch die wohl⸗
feile Uolmsausgabe nach Druck und Aus«
ſtattung zu einem ſo gefälligen Büchlein
geſtaltet, daß wirklich eine hübſche Feſtgabe
zum ſtorbinians jubiläum zuftande kam.
4. Wohl die vornehmſte Jubiläumsgabe,
die man erfinnen konnte, war die groß⸗
zügige Reſtauration des ehrwürdigen Frei ;
finger Domes, durch die das fo viele Jahr-
hunderte alte Korbiniansmünfter in feinem
ihm von einer form- und farbenfrohen
Barockzeit angelegten Feſtgewand in neuem
Glanze wieder erftand. Erſt jetzt begreift
man fo recht, welch unſchätzbares Denk-
mal heimatlicher Befhichte und Kunſt uns
in dieſer Kathedrale mit genauer Not aus
den gefahroͤrohenden und kunſtvernich⸗
tenden Zeiten der Säkularifation erhalten
blieb. Wer wäre berufen geweſen, uns
dieſes durch die Weihe des Alters, der
Kunſt und großer Erinnerungen ehrwür⸗
dige Gotteshaus mit ehrfürchtiger Giebe zu
beſchreiben als E. Abele, der feit langen
gahren als Subregens des Klerikalſemi⸗
nars und Infpektor des Anabenfeminars
mit dem Dome vertraut geworden iſt wie
wenige fonft. Was er uns in feinem Büch⸗
lein ſchenkt, iſt nicht ein trockener Führer
voll ermüdender Aufzählungen, ſondern
das lebendige Wort eines Prieſters, der
einem Freunde aus überquellendem Herzen
erzählt, was durch gründliches Studium
360
und perſönliches Einfühlen in feiner eige-
nen Seele Geben und Liebe geweckt hat.
Man möchte den vielen anderen denkwür⸗
digen Botteshäufern landauf und landab
einen ähnlichen „Führer“ wünſchen.
Eine „Illuftrierte Chronik des Korbi-
niansfeltes“ enthaltend ſämtliche Predigten
der Feſtwoche kündet der Verlag des
„Freiſinger Tagblattes“ für „längftens bis
anfangs Oktober” an. Sie foll nad Er-
[deinen eine kurze Würdigung finden.
P. Sigisbert Mitterer (Schäftlarn).
Rundſchreiben u. hlſt. Daters Pius XI.
zum 300. Todestag des heiligen Mar.
tyrers goſaphat. (12. Nov. 1923: »Ec-
clesiam Dei). Aut. Ausgabe, lateiniſcher
und deutſcher Text. gr. 8° (25 8.) Freiburg
1924, Herder. M. —.80
In der gleich vornehmen Ausftattung wie
das päpſtliche Rundſchreiben zum Thomas;
Jubiläum iſt jetzt bei Herder die Joſaphat⸗
Enzyklika erſchienen. Die 300. Wiederkehr
des Todestages dieſes [lavifchen Martyrer-
Biſchofes gibt unſerem Hl. Vater eine er-
wünſchte Gelegenheit, feine große Liebe
gegen die Orientalen wieder zu beweiſen
und die getrennten, durch die heilige Eu-
chariſtie und die Verehrung der Gottes-
mutter uns aber ſo nahe ſtehenden Brüder
zur Einigung mit der Mutterkirche einzu⸗
laden. Nach kurzer geſchichtlicher Darle⸗
gung des Schismas und der Einigungs-
verſuche ſchildert das Rundſchreiben die
Bemühungen des heiligen Erzbiſchofes von
Polozk um die Einheit, der goſaphat durch
feinen Martertod noch mehr nützte als
durch fein heiliges Geben und Wirken.
Vorbildliches Leben, gegenſeitiger Der-
ſtändniswille und inniges Gebet ſollen
nach feinem Beifpiel der göttlichen Gnade
die Wege bereiten; denn in Wahrheit:
„nicht Menſchenweisheit wird das Werk
der Einigung zu Ende führen, ſondern
allein die Güte Gottes“.
Die Überfegung gibt den Sinn des Urtex⸗
tes gut und in wirklich deutſchem Sprach-
gewand wieder, wenn mir auch ſcheinen
möchte, daß durch die Auflöfung der latei⸗
niſchen Perioden in Einzelfäge mitunter
der Bedankenzufammenhang etwas ge ;
litten hat. 8. 6, Zeile 7 von unten lies
aliquid ſtatt alipuid.
P. Röalbert von Tleipperg (Beuron).
Religion und Leben
Boutryve van, D. IJdesbald, O. 8. B.,
La Vie dans la Paix. Vie mystique
et liturgique 2. serie. 8° (IV u. 312 8.)
Brüffel 1924, Action catholique.
Diefe zweite Reihe von »La Vie dans
la Paix : [chließt ſich würdig an die erfte
an. Mit viel Takt und vornehmer Zurüc-
haltung tritt der Derfaffer an die ſchwie⸗
rige Aufgabe heran, die Muſtik in ihrer
reichen Entfaltung in das liturgiſche beben
einzubauen oder vielmehr den muſtiſchen
Gehalt aus der Liturgie herauszuholen.
Wir billigen die ausgezeichneten Grund⸗
ſätze, die Dom van houtruve in der Ein
leitung für das Studium der Muſtik ent ⸗
wickelt. Ihn intereffiert mehr die theolo-
giſche Seite der Fragen. Jede Theologie der
Muſtik wird von der Pehre der Gaben des
Hl. Seiſtes ausgehen müſſen. Ich habe
ſelten etwas fo Anſprechendes über die 8a;
ben des hl. Geiftes geleſen, wie in dieſem
Buch. Der Derfaffer hält feine Ausfüh⸗
rungen ſtreng im Rahmen der Theologie
des hl. Thomas. Es ſind aber nicht bloß
ddgmatiſch⸗wiſſenſchaftliche Erörterungen,
ſondern es ſind Seiten voll Salbung des
Hl. Geiftes. Wer fie lieſt, wird davon er:
griffen. Und wer in und mit der Viturgie
nach innigerer Bottvereinigung ſtrebt wie
fie die Myftik aller Zeiten kennt, der
möge zu dieſem Buche greifen. Es wird
ihm zum trauten Freund in den innerſten
Ausſprachen der Seele werden. Wir be
glückwünſchen unſeren Mitbruder zu den
Perlen, die er uns in den beiden Reihen
der »Vie dans la Paix« geſchenkt hat.
Rrebs, Dr. engelb., Dogma und Leben.
Die kirchliche Slaubenslehre als Wertquelle
für das Geiftesleben. (Rath. Lebenswerte.
5. Bö., 1. Teil) 8° (XIV u. 490 $.) Paber-
born 1923, Bonifacius - Druckerei.
— Die Rirde und das neue Europa.
Sechs Vorträge für gläubige und ſuchende
menſchen. 8° (VIII und 192 8.) Freiburg
1924, Herder. Kart. M. 3.50
Noch ehe der zweite Band v. Krebs, Dog ·
ma und Leben erſcheinen konnte, wurde
eine zweite Auflage des erſten notwendig.
Wir dürfen aber wohl hoffen, daß der mit
Arbeit überladene Derfaffer uns recht bald
auch den zweiten Band ſchenkt. Das Werk
erfüllt eine Miffion der Gegenwart. Was
wir feiner Zeit über die erfte Auflage des
erften Bandes in dieſer Zeitfhrift ſagten,
gilt ungeſchwãcht auch von der neuen Auf-
lage. Wir anerkenneu es dankbar, daß
ſich der Derfaffer die Zeit nahm, den fo
wichtigen Abſchnitt über Slaubensgehalt
und Glaubenswert einer ſorgfältigen Durch;
ſicht zu unterziehen. In dieſem Punkt kann
nie genug geſchehen. Wir halten die Ge-
danken, die der Derfaffer hier formuliert,
für ſo wichtig, daß wir ſie am liebſten
wörtlich wiedergäben.
Eben erſcheinen auch bei Herder in Frei⸗
burg eine Anzahl von Vorträgen, die Pro⸗
feſſor Krebs in der Martinskirche in Frei⸗
burg hielt. Dieſe neueſte Veröffentlichung
des hochgeſchätzten Derfalfers behandelt in
gemein verſtändlicher Darſtellung Fragen
mehr praktiſcher Natur, die im übrigen
eng zuſammenhängen mit denen, die in
„Dogma und Geben” eine breitere mehr
wiſſenſchaftliche erfahren und es beſonders
im zweiten Band erfahren werden.
Schlund, E., u. Schmoll, P., O. F. ., Der
moderne n und feine religiöfen
Probleme. 5 Vorträge. 8 (79 8.) Mainz
1924, M. Grünewald Derlag. Seb. M. 2.—
Wie kaum in einem anderen Orden
herrſcht zur Zeit bei den deutſchen Fran⸗
ziskanern ein intenfio wiſſenſchaftliches
Streben und Schaffen. Beredtes Jeugnis
legen davon ab die Pektorenkonferenzen,
die ſeit 1922 alljährlich abgehalten wer⸗
den, deren Berichte (von 1922 und 1923)
in je einem Band bei Aſchendorff in
Münfter erſchienen find. Es liegt in der
Eigenart des Franziskaners, die Wiſſen⸗
ſchaft nicht bloß um der Wiſſenſchaft willen
zu betreiben, ſondern deren Ergebniſſe in
den Dienft der Seelforge zu ſtellen. Eine
reife Frucht dieſes Strebens liegt in den
Vorträgen vor, die die bekannten Patres
Schmoll und Schlund während der Faften-
zeit vor der gebildeten Männerwelt Mün⸗
chens hielten. P. Schmoll ſprach über
„Dogma, Erleben, Glauben“, über „Form,
Seiſt, Sakrament“. Es find dogmatiſch
tiefe und doch leicht verſtändliche Einfüh-
rungen in religiöfe Fragen, die heute die
Welt der Bebildeten bewegen. Die Sprache
iſt vornehm und von wirklichem Er⸗
leben durchwärmt. Meifterhaft behandelt
361
P. Schlund „Die religiöfe Seele des mo⸗
dernen Menfchen”, „Bott, menſch und
Religion“ und „Individuum, Semeinſchaft,
Rirhe*. P. Schlund iſt ſcharfer Denker
und feiner Analytiker. Die Begriffe find
klar und rein geſchliffen. Die Vorträge
ſollten nicht bloß geleſen, ſondern recht
erwogen werden.
Scheurlen, Paul, Die Sekten der Ge⸗
genwart. 3. Aufl. gr. 8° (187 8.) Stutt-
gart 1923, Quell-Derlag. M. 2.—
Der evangeliſche Dekan von Biberach
gibt in dritter Auflage „Die Sekten der
Gegenwart“ heraus. Behandelt werden der
Reihe nach: Die Aöͤventiſten, Internatio-
nale Vereinigung ernfter Bibelforſcher, die
neuapoſtoliſche Gemeinde, der Darbusmus,
die Tempelgeſellſchaft, die Pfingſtbewe⸗
gung, „Chriſtliche Wiſſenſchaft“ (christian
science), die Anthropoſophie, der Spiri⸗-
tismus, die Mormonen, die Bahai-Welt-
religion, der evangeliſche Brüderverein.
Es ift eine ſorgfältige, gründliche Arbeit.
Sie orientiert ſachlich ausgezeichnet über
die verſchiedenen Sekten. Die jedem Ab-
ſchnitt beigefügten Literaturangaben er⸗
ſchließen weiteres Material. Allerdings
vermißt man manche wichtige Werke; auch
müſſen wir von unſerem Standpunkt dieſe
Sekten vielfach anders werten, als es der
Derfaffer von feinem aus tut.
RBlafiker katholiſcher Sozialphilofo-
phie. Herausgegeben von Dr. Theodor
Brauer und Dr. Theodor Steinbüchel:
1. Bö. Schwer, Dr. Wilh., Papſt Geo XIII.
RI. 8° (VIII und 64 8.) Freiburg 1923,
Herder. M. 2.20
2. Bd. Brauer, Dr. Cheod., Adolf Rol-
ping. kl. 8° (VIII u. 123 8.) ebö. 1923.
M. 2.90
Heute ſteht die ſoziale Frage im Dorder-
grund des öffentlichen und privaten Inte»
reſſes. Diele mühen ſich um ihre Löfung.
Von ſelbſt treibt es uns, auch die Männer
zu befragen, die ſich aus tiefen Erfah⸗
rungen heraus mit der Frage ſchon ehe;
mals befaßten. Pietät gegen die Der»
gangenheit war immer ein charakteriſtiſcher
Zug katholiſchen Empfindens. Wir be⸗
grüßen daher als ſehr zeitgemäß ein Unter⸗
nehmen, das ſich zur Aufgabe feßt, die
„laffiker Ratholifcher Sozialphilofophie”
362
der Gegenwart wieder zugänglich zu ma⸗
chen. Der Name der Hetausgeber und des
Verlages verbürgen ihm Erfolg. Mit Recht
wird hervorgehoben, daß die ſoziale Frage
auf weltanſchaulichen, beſtimmten philo⸗
ſophiſchen, ethiſchen und religiöfen Srund-
lagen beruht. Es geht gerade heute um eine
grundſätzliche Löfung der ſozialen Frage.
Bezeichnenderweiſe wird die Sammlung
eröffnet mit einer Würdigung des Sozial-
philoſophens auf dem päpſtlichen Stuhl.
Schwer verfteht es meiſterhaft, die ſo⸗
ziale Perſönlichkeit Deos XIII. vor uns
aufleben zu laſſen. In klaren Linien
zeichnet er ſeine Perſönlichkeit und ſoziale
Umwelt. Dann wird die Soziallehre Leos
in ihren Grundlagen und in ihrem Auf-
bau dargelegt. In einem dritten Abſchnitt
wird gezeigt, wie der ſoziale Papſt auf
Umwelt und UHachwelt eingewirkt hat. In
Deutſchland fanden feine ſozialen undge⸗
bungen verſtändnisvolle Aufnahme. Auch
in England fand das päpſtliche Rund⸗
ſchreiben über die Arbeiterfrage bereiten
Boden. In Frankreich und Belgien da⸗
gegen rief die Arbeiterenzuklika große Er⸗
regung hervor. Andere ſagten, Leo habe
die Zeiten begriffen. In den päpftlichen
Rundſchreiben wird man vergebens nach
philoſophiſchen Darlegungen über Berfön-
lichkeit und Semeinſchaft ſuchen. Da läßt
der Papſt für philoſophiſche Erörterungen
weiten Spielraum. Umſo eindringlicher
behandeln fie die konkreten Gemeinſchafts⸗
gebilde, Familie und Staat. Es ſind da
Grundſätze entwickelt, die für alle Zeiten
maßgebend bleiben werden. Wir wiſſen
dem Uerfaſſer Dank, daß er uns dieſe treff ⸗
liche überſichtliche Darſtellung der Sozial-
lehren des großen Papſtes gegeben hat.
War Geo XIII. mehr der Mann der groß-
zügigen Theorien, ſo führt uns Brauer
einen der größten Männer der Praxis vor.
Kolping war es, der in einer ſozial ver»
worrenen Jeit mit ſicherem Griff einen
wichtigen Teil der ſozialen Frage erfaßte.
Er ſchuf den Befellenverein, deſſen Brün-
dung ſeinen Namen verewigt. Beruf und
religiöfes Leben hatten ſich im Lauf der
deit ſo weit voneinander entfernt, daß
beide ſich gegenſeitig auszuſchließen ſchie⸗
nen. Der Beruf drängte zu perſönlicher
Ertüchtigung auf allen Gebieten, zu poſi⸗
tiver Wertung von Welt und Kultur.
Das religiöfe Geben in feiner landläufigen
Auffaffung war mehr weltflüchtig. Indem
es die Blicke zu ſehr dem genſeits zu⸗
kehrte, verlor es den richtigen Maßſtab
für die Diesſeitswerte. Kolping erkannte,
daß man die jugendlichen handwerker für
die Religion nur gewinnen könne, wenn
es gelang, die Berufsauffaſſung wieder mit
dem religiöfen Leben zu vereinigen. Er
fand die praktiſche böſung. Da prakti-
tiſche böſungen auch irgendwie auf Theo»
rien beruhen müſſen, ſo ſtoßen wir bei
Rolping immer wieder auf theoretiſche
Erwägungen. Dieſe zu einem ſuſtemati⸗
[hen Ganzen zuſammengeſtellt zu haben,
iſt das Derdienft des Derfaffers. Er hat
es in einer anſprechenden, überſichtlichen,
nahezu lückenloſen Weiſe getan. Auerft
werden wir in Rolpings Werdegang und
Werk eingeführt. Dann erfteht der große
Sozialpraktiker vor uns als fozialer Den-
ker und Gehrer. Es ift weiter der Reihe
nach die Rede von der Gefellfhaft, ihren
Beftimmungen und ihren Grundlagen,
vom Grundprinzip der geſellſchaftlichen
Ordnung, von Individualität und Se-
meinſchaft, von Obrigkeit, Autorität, Frei-
heit und Revolution, von ſozialer hierar⸗
chie, von Eigentum und Beſitz. Es wird
die ſoziale Frage und die Urbeiterfrage
aufgerollt. Es wird die ſoziale Ordnung
des geſellſchaftlichen Lebens in Familie,
Stand nnd Beruf, im Frauenberuf, Er-
ziehung und Bildung und in der Gefellig-
Reit gewertet. Das Andenken des „Be-
ſellenvaters“ bleibe für und für geſegnet!
P. Alois Mager (Beuron).
„Was kein Auge geſehen“, Engel-
bert Krebs hat uns feiner Zeit, fo tröft-
lich davon geredet; es freut uns herzlich,
daß er nun ſchon das achte ⸗ und zehntemal
„Die Ewigkeitshoffnung der kirche nach
ihren behrentſcheidungen und Gebeten“ uns
darlegt. (Frbg. Herder 1923. M. 2.80) —
Auch P. Peter Dipperts Briefe finden
„Don Seele zu Seele“ raſch weiter ihren
Weg, ſelbſt der hinzugenommene „Brief
ins Feld“, wenn er auch weh tut. Nur
der Einband der neuen Aufl. (4.— 6. ebd.
1924. M. 3.40) dringt uns ſo gar nicht
zu herzen; da ſprach uns die beſcheidene
Schlichtheit der Erftauflage weit mehr an.
P. Sturmius Regel (Beuron).
363
Aus dem Orden des hl. Benediktus
Ein letzter 8ruß dem + Dr. theol. P. Felix Hintemeyer,
Prior und Generalvikar von Belmont, North Carol.
er hätte geahnt, daß unſer lieber Mitbruder, der eben auf einer Reife zu den
Gräbern der Apoftelfürften und in feine alte heimat war, fo jäh von dem
unerbittlichen Tode dahingeriſſen würde. Zu Donauftauf in Bayern ftand feine Wiege;
am 22. April 1862 war er allda geboren. Beſchwert mit Liebesgaben für die Armen
feiner Heimat und voller Freude, die alten Freunde und Bekannten wieder zu ſehen,
landete er im ſchönen Napoli und wurde ſogleich vom Todesengel berührt (28. Juni 1924).
Sein Weg ging nicht nach Bayern, ſondern nad) Montekaffino, wo feine irdiſche Hülle
geborgen wurde. Der Dahingeſchiedene war ein großer Wohltäter feiner heimat in
den Tagen der Not. Nur der Allwiſſende weiß, was er für die Armen, namentlich
für die Kinderwelt getan hat. Tauſende von Dollars find durch feine Vermittlung
herübergekommen und haben der bitterſten Not geſteuert. Im Hamen aller feiner
Landsleute fei ihm hiemit noch der innigſte Dank und ein herzliches „Dergelts Bott“
ins rab nachgerufen! Möge er in der Ewigkeit ernten, was er auf Erden im Geben
an Barmherzigkeit gefät hat! Seit 1881 war P. Feli Profeß, ſeit 1886 Prieſter. Er
war eine Sonnennatur und verbreitete bicht und Freude, wo er nur hinkam. So
bedeutet fein Tod auch einen ſchweren Derluft für feine Mitbrüder, die in ihm einen
der Liebenswürdigften ihres Konventes verloren, ganz abgeſehen von den verant-
wortungsvollen Ämtern, die er im Kloſter bekleidete. Er war Stab und Stütze feines
greifen Abtbiſchofs, der in ihm unſagbar viel verlor. Er hatte reichen Anteil an dem
Sedeihen Belmonts, das zu den blühendften Abteien Amerikas gehört. Ein Schweſtern⸗
haus mit weiblichem Erziehungsinſtitut iſt ſeine Schöpfung. Unzählige, jung und alt,
werden ihm nachtrauern, die das Glück hatten, mit dem edlen Mann in Berührung
zu kommen. Andern helfen und fie erfreuen war der Hauptinhalt feines Lebens.
So ruhe denn ſanft an der Seite deines heiligen Ordens vaters, teurer Mitbruder und
lieber Freund! Senieße die Frucht deiner Erdenmühen! Wir aber wollen dir immer
ein frommes, dankbares Andenken bewahren und nie vergeſſen, was du uns in den
Jahren der Not und des Elendes geweſen biſt. P. Bernhard Seiller (Augsburg).
Abtbiſchof Leo Haid von Belmont }.
Re vollen Monat nach dem Tode feines Generalvikars iſt (am 24. quli des Jahres)
75- jährig der Abtbiſchof ſelber geſtorben. Lettes Jahr konnte er noch fein
50. jähriges Prieſterjubilänm feiern (ſ. Jahrg. 1923 8. 216). Das nächſte Jahr hätte
fein 40-jähriges Jubiläum als erſter Abt von Belmont gebracht. Seit 1887 war er
ernannter, ſeit 1. Juli 1888 geweihter Apoſtoliſcher Dikar von North Carolina, geweiht
von Kardinal Gibbons, ehemals ſelber Ap. Dikar dieſes Bezirkes. Seit 1910 war er
zugleich Abt Ordinarius von Belmont, d. h. er hatte einen eigenen „Abteiſprengel“
als Abt feines zur Abbatia nullius erhobenen Kloſters. Die kleine Totenchronik
rühmt ihm beſonderen Eifer in der Pflege des Unterrichtsweſens nach. Belmont
erhielt Seminar und Sumnaſium; in Savannah (Georg.) errichtete er eine Akademie,
ebenfo in Richmond (Dirg.), desgl. viele Pfarrſchulen in feinem Dikariate. Mit großem
Bottvertrauen ſei er an all diefe Werke herangetreten und habe daneben noch Heu»
gründungen errichtet, darunter beſonders die Abtei des hl. Leo zu Florida (Flor.).
Er war ein unermüdlicher Prediger und eifriger Exerzitienmeiſter; im Verkehr mit
Andersgläubigen gewinnend durch fein ganzes Weſen. „Obwohl Biſchof lebte er wie
ein einfacher Mönch, und leuchtete allen voran in muſterhafter Regelbeobachtung.
Er lehrte ſtets durch Wort und Tat den Grundſatz der hl. Regel: ‚Nichts ſoll dem
Dienfte Gottes vorgehen“.“
364 N
Abtei Grüſſau in Schleſten.
D. Ereigniffe des Oktober 1918 zogen auch die Abtei E maus - Prag in Mitleiden-
ſchaft. Die neue nationaliſtiſche Regierung übte auf das kloſter einen derar⸗
tigen Druck aus, daß die Mehrzahl der deutſchen Mönche ein neues heim ſuchen
mußte. Durch das Entgegenkommen Seiner Eminenz des Herrn Rardinals Adolf
Bertram, Fürſtbiſchofs von Breslau, und der preußiſchen Regierung fand ein Teil
von ihnen im Bannkreis des ſagenreichen Riefengebirges, in der ehemaligen Ziſter⸗
zienſerabtei Srüffau bei Gandeshut in Schleſten vorläufige Unterkunft. In der Be⸗
völkerung war die Liebe zum alten Kloſter noch wach. So erfuhren die mittellofen
Ankömmlinge in ſchwerſter Zeit freundliches entgegenkommen und tatkräftige Unter⸗
ſtützung. Die uralte Wallfahrt, feit der Säkularifation völlig ruhend, begann ſich
fofort wieder zu heben (1918: 3600 kommunikanten, 1923 [yon 34000). Prozeffionen
mit 1000 und 2000 Teilnehmern aus allen Teilen des Landes, zumal aus dem treu
katholiſchen Oberſchleſien und aus Nordböhmen kommen wieder regelmäßig wie vor
dem Rlofterfturm. Es war uns ein Zeichen, daß Sott uns hier haben wolle. Viele
und große Schwierigkeiten, die unſerer Abſicht, das Kloſter als dauernde Heimat zu
erwerben, ſich entgegenſtellten, konnten uns in diefem unſerem Glauben nur beftärken.
mehr als einmal erſchienen dieſe Schwierigkeiten unüberwindlich. Aber wie ein
Mann ſtellte fi das gläubige Volk hinter uns. Es hatte die einzige Stätte monafti-
ſchen Botteslobes im deutſchen Oſten raſch liebgewonnen, es hatte auch bei zahlreichen
Exerzitienkurſen, Dolksmiffionen und liturgiſchen Vorträgen den Frieden St. Benedikts
bereits verfpürt. Am 14. September 1923 fanden in Berlin die Schlußverhandlungen
Ratt. Ihr günftiges Ergebnis konnte dem eben in Brüffau unter maſſenhafter Be-
teiligung ftattfindenden Ratholikentag der Nachbarkreiſe mitgeteilt werden. Begeiſterte
Rundgebungen der Freude wurden ausgelöſt. Der endgültige Vertrag ward am
3. Dezember 1923 unterzeichnet.
So ſtand der Erneuerung des titulus abbatialis, der Errichtung der Abtei, nichts
mehr im Wege. Seit dem 25. April 1922 war Grüffau bereits ftonventualpriorat.
Mit Breve vom 19. Juni 1924 ſtellte der BI. Vater die alte Abtei unter ihrem früheren
Uamen eines „Snadenhaufes St. Mariens“: domus gratiae S. Mariae, mit allen
Rechten und Privilegien wieder her und gliederte ſie der Beuroner Kongregation an.
Ein neuerliches Geſuch erwirkte ihr das Recht der ſofortigen Abts wahl. Dieſe fand
am 30. Juli 1924 ftatt. Aus ihr ging P. Albert Schmitt, Profeß von Weingarten
in Württemberg, hervor. Er iſt der 50. Abt von Grüſſau.
Der neue hochwürdigſte Abt wurde am 5. Januar 1894 in Mannheim geboren.
Nach Beendigung feiner Sumnaſtalſtudien trat er neunzehnjährig in Beuron ins
Noviziat ein, meldete ſich aber ſchon während desſelben freiwillig nach Erdington
bei Birmingham, um dem leutearmen Rlofter in England feine Kräfte zu weihen.
Am 21. Mai 1914 legte er dort feine Ordensgelübde ab und begann alsbald feine
philoſophiſchen und thedlogiſchen Studien. Hoch vor deren völliger Beendigung mußte
er nach dem Weltkriege mit feinem Abt und den deutſchen Mitbrüdern England ver⸗
laſſen. Zunächſt fand er vorübergehend ein heim in der Abtei St. Joſeph bei Gerleve
in Weſtfalen. Nach feiner Prieſterweihe daſelbſt, am 12. Juni 1920, kam der nun-
mehrige B. Albert bald nach Srüſſau, wo er bis Weihnachten 1921 verblieb. In diefer
deit erwarb er ſich die Liebe und das Vertrauen der Kloſtergemeinde und die dank⸗
bare Verehrung der Bevölkerung. Schweren Herzens ſchied er von dem ihm lieb»
gewordenen ſchleſiſchen kloſter, um nach Weingarten zu ziehen, wo ſich mittlerweile
feinen Mitbrüdern aus England ein neues heim eröffnet hatte. Bier entfalte er bis
heute eine umfaſſende, ſeelſorgliche Tätigkeit, fand aber nebenbei noch Jeit zu manchen
wiſſenſchaftlichen Arbeiten, beſonders auf feinem Gieblingsgebiet, der Ordensgeſchichte.
Das Wappen des neuen Abtes zeigt drei goldene Lilien im blauen Feld. Sie find
ihm keine bloße Heraldik, ſondern ein Sinnbild des Bottvertrauens, anſpielend an
das Heilanöswort Matth. 6, 28 f.: „Und warum ſeid ihr ängſtlich beſorgt .. Betrachtet
die Lilien des Feldes.. Gottvertrauen benötigt wahrhaftig der Abt einer armen
365
Deugründung in unferen Tagen. Als Wahlſpruch gilt ihm das Wort des Liebes»
jüngers: Deus caritas est«.— Die Weihe vollzog am St. Laurentiusfeft der Diözefan-
biſchof Kardinal Bertram. Affiftenten waren die hochwürdigſten Abte Raphael Molitor
von St. Joſeph in Weſtfalen und Wilhelm Rudolph von Braunau, unſer nächſter
nachbar. Außerdem erſchienen der hochwürdigſte herr Erzabt von Beuron, Abt Ansgar
Böckelmann von Weingarten, P. Prior Ernft Dykoukal, Aöminiftrator der Abtei Emaus
und mehr als 40 Vertreter des Welt- und Ordensklerus; vom Adel: Herzog Albrecht
Eugen von Württemberg, die Grafen Schaffgotſch, Praſchma, Balleftrem, Czernin und
FJedlitz. Die Pilgermenge wurde auf 9— 10000 geſchätzt. Wohl felten hat die ge»
waltige Abteikirche ſolche Scharen geſehen. Bis auf den weiten Kloſterhof ſtanden
die Andächtigen Kopf an Kopf. Am Abend huldigten die Gemeinden der Umgebung
mit einem Fackelzug. Sanz Srüffau war feſtlich beleuchtet.
Die neue Abtei hat nun Wurzeln geſchlagen im ſchleſiſchen Land, gewaltige Auf-
gaben bleiben aber noch zu löſen. Gott helfe dabei dem neuen Abte!
P. Nikolaus von Lutterotti (Srüſſau.)
St. Erentrud zu kiellenried in Oberſchwaben.
En Stück Mittelalter in unferer Zeit, ſo möchte man mit einem anderen fagen,
wenn man erzählen ſoll von den Einweihungsfeierlichkeiten des Benediktinerinnen⸗
kloſters St. Erentrud zu Kellenried. Die „Vereinigten Oberſchwäbiſchen (Derbo-)
Feitungen“ berichteten zweimal in je drei vollen Spalten ausführlich, am Samstag
ſogar mit Bild, über Vorgeſchichte, Anlage und Zweck des Hauſes, am Montag über
die am Sonntag den 7. September erfolgte hochfeſtliche Einführung: ein Beweis, welch
frohen Anteil ganz Oberſchwaben an dem Ereignis nahm.
Das neue Rlofter der hl. Erentrud liegt in der Pfarrgemeinde Blitzenreute und
der bürgerlichen Gemeinde Berg, auf einer Anhöhe etwa 1¼ Wegftunden von Stadt
und Abtei Weingarten entfernt. Wenn der Bau einmal vollendet iſt, wird er
von Süd nach Nord eine Geſamtlänge von hundert, von Oft nach Weſt eine Tiefe
von fünfzig Metern befigen. Mit feiner Oſtfront wird er, eine doppeltürmige kirche
in der Mitte, hinuntergrüßen nach der mächtigen Bruderabtei Weingarten, von der
er — genau zweihundert Jahre nach Erbauung der Abteikirche — bewußt den Barock
des Stiles übernahm, freilich in kleineren Rusmaßen und in fraulicher Zartheit.
Eine herrliche Fernſicht hat das haus auf die Alpenkette von der Jugſpitze bis zum
Säntis, das Schuffental hinunter und weithin über Oberſchwaben. Das neue Bene-
diktinerinnenkloſter iſt das einzige in Württemberg. Neben Habstal in Hohenzollern,
St. Walburg zu Eichftätt, Frauenwörth im Chiemfee und St. Gertrud zu Tettenweis
bei Paſſau das fünfte in ganz Süddeutſchland, nicht zu vergeſſen freilich die rührige
Miffonskongregation von St. Ottilien-Tuging. Im Gegenſatz zu dem geſegneten
Wirken der bauriſchen Nonnenklöſter kennt Kellenried weder Unterrichts ⸗ noch ſon⸗
ſtige Außen Tätigkeit. Feierliches Gottes lob, Studium und weibliche Handarbeiten für
die Chorfrauen, haus- und Feldarbeit für die Daienſchweſtern, das iſt ihr einziger
ſichtbarer Beruf. Es iſt alfo in dieſem Sinn ein „rein beſchauliches“ Kloſter. Die
Bewohnerinnen des hauſes kommen zum kleineren Teil von 8t. Gabriel ⸗Berthold⸗
ſtein, dem Aſul der nach Kriegsende aus ihrem herrlichen heim zu Prag Smichow
ausgewanderten deutſchen Uonnen, zum größeren Teil aus Gurk in kärnten. Gurk
war einft (1043) erfte Siedelung von Nonnberg in Salzburg; bald wurde es für den
Biſchof und fein Kapitel geräumt. Erft im letzten Jahrhundert (1898) ward es von
Salzburg aus wieder bevölkert. Aber es wollte ſich nicht mehr entwickeln; und weil
die ebens bedingungen immer ſchwieriger wurden und die Nonnen ohnehin den An⸗
ſchluß an die Beuroner Kongregation anſtrebten, er ſuchten fie ſchließlich Erzabt Raphael
von Beuron, ihnen, wenn es ginge, in Süddeutſchland zu einem neuen heim zu ver ⸗
helfen. Nach mancherlei nutzloſen anderen Bemühungen gelang es dieſem endlich,
durch das Entgegenkommen eines kinderloſen Ehepaares gegen Ende 1922 an der
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Stätte des jetzigen Alofters einen Baugrund zu erwerben. Hur die Scherflein der Armen,
Gaben von Bönnern und die Hilfe amerikaniſcher Mitbrüder, ſowie nie gebrochenes
Sottvertrauen machten es möglich, im Frühling des bitterböfen Jahres 1923 mit den
Bauarbeiten zu beginnen. In hochherziger Weiſe hat ein edler Architekt, Baurat
H. Lorenz von Freiburg, dieſem Werke aus reinem Jdealismus alle Kraft und Zeit
gewidmet, die er neben feinem anſtrengenden Beamtenberuf noch aufbrachte. So
konnte die ganze Zeit hindurch bis heute hunderten von Kräften Arbeit und Brot
verſchafft werden. Der Bau iſt noch lange nicht vollendet und wird es auch fo ſchnell
nicht ſein. Was aber ſteht, ſchien zu genügen, daß am 7. September dieſes Jahres
die Nonnen das Gaſtrecht in Berthold ſtein nicht weiter in Anſpruch nähmen und in
ihr eigenes heim im Schwabenland zögen.
Es war wie wenn der Himmel ſagen wollte: „Imber abiit; surge, propera amica
mea, et veni: ſiehe die Regengüffe find vorbei; mach dich eilends auf, meine Freun⸗
din, und komm!“ Nach langen Regentagen ſetzte das herrlichſte Herbſtwetter ein;
es lockte Taufende aus der näheren und ferneren Umgebung auf die Kellenrieder
höhe. In Weingarten war am Sonntagmorgen gemeinſame ſtommunionmeſſe des
hochwürdigſten herrn Erzabtes für die Nonnen. Dann ging es in langer Wagen-
reihe — Bauern hatten bereitwilligft die Fuhrwerke geftellt — gegen Mittag nach
Blitzenreute und von dort nach Beſuch der Pfarrkirche, und Begrüßung durch den
Pfarrer in ihr, ſowie kurzer Mittagsraſt im Schwefternklöfterlein hinauf nach Kellen-
ried. Es war ſchon ein langer Zug geworden. Die Frau Priorin trug in zierlichem Schrein
Reliquien der Salzburger Rirchenpatrone Rupertus und Dirgilius und eine beſonders
bedeutende von der hl. Erentrud. ergreifend war es zu denken, daß zu gleicher
deit Örunten in Salzburg die große Reliquienprozeſſton der heiligen vom Nonnberg
nach St. Peter, von da zum Dom und zurück ins Stift ziehen ſollte. Viel Volk,
Adel und SGeiſtlichkeit war zugegen (u. a., von einer Beratung in Beuron kommend,
der Abtprimas des Ordens, ſowie die Äbte von Weingarten, Seckau ⸗Trier und Grüſſau),
als der Diözeſanbiſchof, Paul Wilhelm von Keppler, der Bitte des den Zug in Ponti⸗
fikalgewändern geleitenden Erzabtes entſprechend die heraufziehenden Nonnen droben
am Berge empfing, ſie in ihr neues Heim geleitete, dieſes einſegnete und nach dem
Gefang des kirchweihevangeliums (Luk. 19, 1 — 10) durch den H. Erzabt die Klauſur
für immer ſchloß. Mit dem ſofortigen Geſang der feierlichen erſten Defper von Mariä
Geburt begannen auch die Uonnen ihr neues eben. Die Defper ſchloß mit dem
ſakramentalen Segen und einer ergreifenden Feftpredigt des hochwſt. herrn Biſchof
v. Keppler, in der er die Kellenrieder höhe als den Berg der Seligkeiten pries.
Ehe Mönche nach Weingarten kamen, ſtand in Altdorf- Weingarten ein Frauen
Rlofter, wie auch Hohenhuſen⸗Ochſenhauſen erſt ein ſolches war, das wohl älteſte.
ebenfalls vom UNonnberg aus gegründete Benediktinerinnenkloſter Württembergs.
heute ift das jüngſte Frauenkloſter wieder eine Tochter Lonnbergs, nahe der alten
Siedellungsſtelle gelegen. Der hochwſt. Herr Biſchof hieß St. Erentrud den „Schluß
ring in der Kette der klöſterlichen Niederlaſſungen“; möge es zugleich im Ring der
Abteien der Edelftein fein und immer mehr werden!
Dom heiligen &aifer heinrich und feiner Fahrhundertfeier 1924.
aifer heinrich und feine heilige Gemahlin haben vielfältige Beziehungen zum Orden
St. Benedikts. Sie find noch heute hochgeehrt als Patrone der „Oblaten St. Bene
dikts“. Da ift es wohl in der Ordnung, fein Feſt auch als Ordensſache zu betrachten.
Viel Schönes über ihn und feine Feier in Bamberg 1924 lieſt man in den zehn Nummern
„Heinrich der heilige, Feſtſchrift zur Neunjahrhundertfeier unſeres heiligen Bistums
patrons“, als Feſtzeitung in Pexikonformat mit guten Bildern in Bamberg vom 6. bis
29. Juli herausgegeben von Losgar und beim St. Ottoverlag zu beziehen. Sie iſt nicht zu
verwechſeln mit der gelehrten Feſtſchrift, die als „Heimatblätter für das Jahr 19247
der hiſtoriſche Derein Bamberg im Verlag von C. Buchner erſcheinen ließ. Dagegen
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gab der Ottoverlag ein äußerlich zwar befcheidenes, inhaltlich aber reiches Schriftchen
heraus: „St. heinrichs⸗Pob, Lebenslauf, Gebete und Lieder aus alter und neuer
Zeit gef. von Dr. Ludwig Fiſcher“, manchem Träger des Namens heinrich gewiß eine
Freude. Das „Bamberger Volksblatt“ mit feinen „Bamberger Blättern” und ſo- und⸗
foviel Zeitungen und Feitſchriften redeten uns vom hl. Heinrich. Eine dauernde Ehrung
hat der hl. Dater dem heiligen zuteil werden laffen: er hat fein Feſt für ganz
Deutſchland zum Range eines Duplextages erhoben. Solcher Ehre erachtet er in feinem
Breve vom 4. Dezember (AHB XVI, 5) „durchaus würdig, dieſen einzigen herrſcher
des Hl. Röm. Reiches, der in das Verzeichnis der heiligen aufgenommen wurde, und
zwar zugleich mit feiner heiligen frommen Gemahlin KRaiſerin Kunigunde“. Uns
ſelber ward von einem Mitbruder und Augenzeugen folgender Bericht zuteil:
Die Tage vom 6.— 13. Juli in der altehrwürdigen Babenberg zu Ehren des hei-
ligen Kaiſers heinrich waren Tage mächtiger Wirkung und überreichſten Bottes-
ſegens. Aufgebaut auf glänzender äußerer Organiſation und wärmſter innerer Teil-
nahme von Stadt und Diözeſe wurden ſie zu einem unvergänglichen Denkmal der
biebe und Verehrung, mit der Bamberg feinem heiligen Patrone anhängt.
Der Herr Erzbiſchof eröffnete ſelbſt am Vorabend der Jahrhundertfeier das Feſt
mit ſeinem hohenprieſterlichen Wort. Eine endloſe Uenſchenmenge ſtrömte dem Dom-
berg zu. Mit brennenden Kerzen ſtanden die Alumnen am Veits portal und harrten
ihtes Oberhirten. Dann gings zum Grabe des heiligen, das von Lilien überſchüttet
war. Tief bewegt ift jedes herz: hier ruht ein großer deutſcher Raifer mit feiner
heiligen Gemahlin. Des Erzbiſchofs Worte weifen hin auf St. heinrich als chriſtlichen
Slaubenshelden, er ſpricht von feinem Ringen um die Krone der Beiligkeit und des
ewigen Gebens, feinem freudigen beiden und mutigen Ertragen, feinem hilfsbereiten
Eintreten für Armut und Not. Eines noch will und muß er an dieſem Abend laut
hinausverkünden aus tief bewegtem herzen: den Dank des Biſchofs für die Stiftung
des Bistums und für den unſchätzbaren Segen, der durch die Jahrhunderte aus dieſem
Werk des heiligen Raifers erfloffen iſt. lach dem herrn Erzbiſchof beſtieg Tag für
Tag ein anderer Biſchof die Ranzel des Raiferdöomes. Am erſten Tag ſprach der herr
Weihbiſchof von Bamberg über die Blaubenswärme des hl. Heinrich in feinem pri⸗
daten und öffentlichen beben. Das Pontifikalamt zelebrierte der Herr Erzbiſchof.
Am zweiten Tag ſchilderte Biſchof Gudwig Sebaftian von Speyer den heiligen als
Schirmherrn der Kirche, die er in Reinhaltung der Gehre und des Lebens tatkräftig
unterſtützte. Das Amt hielt der herr Weihbiſchof von Regensburg. Am dritten Feſt⸗
tag riß der Herr Weihbiſchof von Paderborn in glanzvoller Rede die Tauſende im
heinrichsdome mit ſich fort, indem er den heiligen Kaiſer als echten deutſchen Mann
voll Eifer für fein Land, voll Klugheit des heiligen Beiftes und auch im Glanz der
Raiferkrone voll Treue gegen feine tirche und Kindlichkeit gegen Gott zeichnete.
Biſchof Leo von Eichſtätt hielt das Amt. Anderen Tages ſprach Propſt Steinmann
von Stettin über die Frömmigkeit des hl. heinrich und wies hin auf die Bistumsgrün⸗
dung als ein dauerndes und beredtes Zeichen dieſer feiner Seſinnung. Der herr
Weihbiſchof von Paderborn feierte das Amt. Der fünfte Tag führte den herrn
Biſchof von Linz auf die Domkanzel; er ſchildert zu herzen dringend den heiligen
als den Wohltäter der Armen und Notleidenden. Biſchof Felix von Paſſau hielt das
Amt. Selber ſprach dieſer dann am Freitag zu den 20000 Pilgern an St. heinrichs
Grab über ihn als Vorkämpfer der chriſtlichen Kultur und wies an feinem Beiſpiel
nach, daß wahre Kultur keine mächtigere Förderung finden kann als im treuen An-
ſchluß an die Kirche. Der herr Biſchof von Hildesheim zelebrierte das Amt. Am
Samstag ſprach dieſer dann in der dichtgefüllten Baſilika über den hl. heinrich als
den treuen Diener Gottes im privaten und öffentlichen Leben. Seine Worte hinterließen
tiefſten eindruck: Biſchof Petrus von Duxemburg hielt danach das Pontifikalamt.
Nun kam der Sterbetag des heiligen, Sonntag, der 13. Juli, der letzte Tag der
Heinrichswoche. Aber zunächſt eine Frage: Wie ſtand das katholiſche Volk zum
Heinrichsjubiläum? Die ganze große Erzdiözeſe bis hinein ins letzte Dörfchen war
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von ihm erfaßt. Jedes Dekanat hat feinen eigenen Pilgertag gehabt. Gleich am
erften führten fieben Sonderzüge die Pilger aus Nürnberg und Fürth herbei: eine
mächtige Blaubenskundgebung für jeden, der den Zug miterleben durfte! Und fo
Tag für Tag das immer wechſelnde und immer gleich ergreifende Schaufpiel! Stadt
und Land, alle Stände, Alter und Berufe, alle Trachten und Uniformen zogen vor:
über; man zählte ſchließlich bis zu 30000 Pilger. Um nur eines zu nennen: wie
zogen fie daher die Bergarbeiter von Stockheim und Auerbad in ihren ſchmucken
Uniformen, ſingend und betend, die brennenden Brubenlampen in den Händen, mit
wehenden Fahnen, Mufikkapellen und eigenen Sanitätsmannfdhaften. Da wurde
manches herz warm und manches Auge tränenfeucht! Peuchtendes Sonnengold lag
über allem und ungetrübter himmel, wahres heinrichswetter. Und der innere Erfolg?
Gott weiß es wie fie hinzutraten Taufende und Yehntaufende zu dem Tiſch des herrn,
wie die Beichtſtühle umlagert, die Tabernakel umkniet waren. Als der Schreiber dieſer
Jeilen am Freitagmorgen vom Altare in die Sakriſtei zurückkam, da bat ihn der
Sakriftan beſcheiden und innig: „Hochwürden, es zieht gleich ein Pilgerzug von 17000
Leuten ein, gelt Sie helfen doch auch mit aus im Beichtſtuhl“: mit Freuden tat er
es, er konnte ſich kaum der Tränen erwehren. — Der Sonntag war alſo da: bei
anbrechender Dunkelheit war er am Samstag mit allen Glocken der heinrichsſtadt
eingeläutet worden. Die Jugend Bambergs hatte ſchon am Samstag ihre heinrichs⸗
feiern gehalten. Jetzt traten in aller Morgenfrühe im Dom die Männer und güng⸗
linge, in St. Martin die Frauen, in St. Michael droben die Jungfrauen zum Gaſt⸗
mahl der Liebe zuſammen. Zwei Biſchöfe und ein Abt (von Hildesheim, Guzemburg
und Münſterſchwarzach) brachen ihnen mit dem Brot des Pebens das der Lehre.
Um neun Uhr zog der Vertreter des HI. Vaters, Nuntius Erzbiſchof Pacelli, unter
dem Jubel aller Slocken ſegnend zum feierlichen Pontifikalamt in den Dom ein.
Domkapitular Origer, Gugemburg, ſprach alsbald (an Stelle feines leidenden Biſchofs)
mit Wärme über St. Kunigunde und St. heinrich: „Beffer zwei zuſammen als einer
allein; denn fie haben doch Vorteil von der Semeinſchaft“ (Pr. 4, 9). Auf dem Dom⸗
Kranz fand für die MRaſſen, die das Münſter nicht mehr faffen konnte, eigens eine
heilige Meffe im Freien ſtatt. Die äußerlich großartigſte Kundgebung der Tage folgte
dann am Sonntagnachmittag: die überwältigend ſchöne Reliquienprozeſſion. Die hei ·
ligen ÜÜberrefte des großen Raiſerpaares wurden in einem Triumph durch die Straßen
der Stadt geleitet, wie ihn im beben Raifer und Raiferin wohl nie geſehen. — Ein
großer „Feſtabend der Stadt Bamberg“ beſchloß den Tag und die Woche. Abend
predigten waren Tag für Tag gehalten worden, eine Armenſpeiſung, äußere Feiern,
Feſtſpiel, koſtbare Ausftellungen; der Raum reicht nicht aus, von allem zu reden —
und würde er es, nie könnte er den Eindruck voll wiedergeben, der lebendig im Herzen
aller Teilnehmer für immer fortlebt. P. Maurus Padenburger (Beuron).
Unſere Bildbeilagen entſtammen der „öſterr. Runfttopographie Bd. VII“, die
Druckſtöcke wurden uns durch Vermittlung der hochw. Frau Äbtiffin vom Nonnberg
vom Kunſthiſt. Inftitut beim Bundesdenkmalamt Wien freundlich zur Verfügung ge⸗
ftellt, wofür wir hiermit aufrichtig danken. Die Bilder finden ihre Erklärung zum
Teil in ſich, zum Teil im Erentrudis-Aufſatz des Heftes. Die Statuette der heiligen if,
mit IM. Regintrudis (Salzburg. Rath. Kirchenztg. Ur. 36 8. 309) zu reden, „gewiß eine
der intereſſanteſten“, ſteht heute im Archiv zu Nonnberg und entftand als Begenftük
einer Regintrudisdarftellung im 14. Jahrhundert. Zeigen unfere zwei aus den vielen
Darftellungen der Heiligen für unſer Empfinden auch faſt fo etwas wie Rünſtler ·
launen — oder iſt es bei der Statuette wirklich nur naives önnen? — ſo haben
beide doch auch wieder ihren beſonderen Wert ſchon durch Alter und Standort.
Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern),
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade,
gedruckt und verlegt vom Runftverlag Beuron.
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369
Jur Pſuchologie der Orden.
Don P. Alois Mager (Beuron).
W. ſoll eine Pſuchologie der Orden bedeuten? Pſuchologie ift zu
einem Modewort geworden, das bald überall, aber nur ſelten
mit Sinn angewendet wird. Dielleicht wäre es richtiger, vom Weſen
anſtatt von der Pſuchologie der Dinge zu reden. Unter Weſen ver-
ſteht man gewöhnlich den phuſiſch-einzeldinglichen oder den meta-
phuſiſch⸗allgemeindinglichen Aufbau der Dinge. Unter der Pſuchologie
eines Dinges aber verſtehen wir mehr: etwas, das weder in dem einen
noch in dem anderen enthalten iſt. Die Pſuchologie eines Dinges iſt
feine Daſeinsweiſe, inſofern es in einem ſelbſtbewußten Seelenleben er-
lebt und verwirklicht wird. Darin erhalten die Dinge ihre Vollendung.
Pſuchologie iſt an erſter Stelle die Wirklichkeit eines ſeeliſchen be—
bens, wie es tatſächlich ſich vollzieht. An zweiter Stelle können wir
von einer Pſuchologie aller Dinge ſprechen, inſofern ſie ſeeliſch irgend⸗
wie erlebt werden. In der Pſuchologie menſchlicher Gemeinſchaften
kommt ein neues hinzu. Gemeinſchaft iſt ein Gebilde, das nur von
ſelbſtbewußten ſeeliſchen Weſen verwirklicht werden kann. Unabhängig
von Einzelmenſchen hätte ſie kein Daſein. Sie iſt aber nicht ſchon
gegeben mit beſtimmten Einzelmenſchen. Ein Einzelglied einer Gemein⸗
ſchaft kann nicht der Träger der Pfychologie dieſer Gemeinſchaft fein.
nur alle Einzelglieder, die zur Gemeinſchaft zuſammengeſchloſſen find,
können es ſein. Als Pſuchologie kann ſie nur dargeſtellt werden wie
die Pſuchologie anderer Dinge auch, nämlich infofern die Gemeinſchaft
von einem ſelbſtbewußten Seelenweſen erlebt wird. Im allgemeinen
wird niemand fo geeignet fein, die Pfychologie einer Gemeinſchaft
darzuſtellen, als ein Glied dieſer Semeinſchaft ſelber. Allerdings wäre
hier, wie wir ſehen werden, eine Einſchränkung zu machen.
P. Cippert 5. g. ſchrieb eine Pfychologie des Jefuitenordens. Sie
erſchien bereits in zweiter Auflage!. Der Derfaffer ift als Redner und
Schriftſteller ſo allgemein bekannt und anerkannt, daß wir nur Be⸗
deutendes von ihm erwarten dürfen. Mit einer ſelten künſtleriſchen
Sprachgeſtaltung begabt, weiß P. Lippert auch den ſprödeſten, un=
dankbarſten Stoff in packende Anſchaulichkeit zu formen. Don ihm
geſchaut und geſehen erhalten Menſchen, Dinge und Vorgänge neue
Prägung. Der Blick feines beweglichen, einfühlenden Geiſtes trifft
1 Gippert, P. Peter, 8. J.: Zur Pſuchologie des geſuitenordens. Studien. 2. Aufl.
gr. 8° (VI u. 128 8.) Kempten 1923, Köſel & Puſtet.
Benedinktiniſche Monatſchrift VI (1924), 11 — 12. 23
370
immer dort, wo auch die gewöhnlichſten Dinge in überraſchend neu⸗
artigem Anblick aufleuchten. Er beſitzt ein feinempfindſames Organ
gerade für die verwickelten, fließenden ſeeliſchen Geſtaltungen und
Vorgänge. Eigentümlichkeit dieſer geiſtigen Anlage ift es, alles nur
in der Bewegung, an der Oberfläche — Oberfläche hier nur im beften
Sinn als Spiegel der See — im Mannigfaltigen der konkreten Wirklich
keit, nichts in bloß innerer Abgeſchloſſenheit, im Rahmen ewig un⸗
verrückbarer Grenzen, im letzten Weſenskern zu ſchauen. Sie wird
nie ein Syftem ſchaffen. Weil es nur ganz Gegenwart iſt, wird es
bald nur noch Dergangenheitswert haben. Sie iſt dafür aber Herrin
des lebendig gegenwärtigen, des fliehenden Augenblickes. Wie kein
anderer beſitzt vielleicht P. Lippert die Dorausfegungen, uns die Pſucho⸗
logie feines Ordens zu erſchließen. Allerdings wird auch fie die Geiſtes⸗
art ihres Derfaffers widerſpiegeln. Ob die Art, wie er feinen Orden
erlebt, ſich mit der Art deckt, wie ihn die anderen Glieder ſeines Ordens
oder auch nur die Mehrzahl ſchauen, mag ſchwer zu beantworten ſein.
Wir dürfen keine Pſuchologie von Allgemeingiltigkeit erwarten. Es
it auch für einen geſuiten ſchwer, die Pſuchologie feines Ordens zu
ſchreiben. Vielleicht kann es überhaupt nicht Aufgabe eines einzelnen
fein. Wenn aber ein einzelner fie löfen will, könnte er keinen beſſeren
Weg einſchlagen als ihn P. ippert wählte, nämlich den Orden ſchildern,
wie er ihn eben perfönlich erlebt. Der Derfaffer bietet kein in ſich
abgeſchloſſenes Bild ſeines Ordens. Es ſind vielmehr eine Reihe lebender
Bilder, in denen der Orden vor uns hintritt. P. Lippert betitelt darum
fein Werk vorſichtig nur „Zur Pſuchologie des geſuitenordens“ und
fügt ihm, noch mehr einſchränkend, den Untertitel „Studien“ bei.
Wohltuend berühren die Unvoreingenommenheit, Unparteilichkeit,
die Aufgefchloffenheit, die fachliche Ruhe, der vornehme Takt, mit denen
die Ausführungen vorgetragen werden. Der Derfaffer iſt ſich wohl
bewußt, daß in jedem irdiſchen Gebilde, auch denjenigen, die aus einer
übernatürlichen Urſache hervorgehen, Licht und Schatten, Göttliches
und menſchliches, Dollkommenes und Unvollkommenes in verſchiede⸗
nem Grade ſich miſchen. Allerdings ſpricht hier der Derfaffer nur in
Bedingungsſätzen, die offen laſſen, ob in der geſchichtlichen Wirklich⸗
keit gelegentlich einmal die Schatten das Licht überwogen. Nur weil
P. Lippert „zur“ Pſuchologie und nicht die Pſuchologie des geſuiten⸗
ordens ſchreibt, durfte er 3. B. ſchweigend an den Dorgängen vorũber⸗
gehen, die zur Aufhebung des Ordens unter Ailemens XIV. führten.
nur auf pſuchologiſchem Weg könnten unſeres Erachtens die immer
noch dunklen Fragen aufgehellt werden.
371
p. Cippert hatte wohl zunächſt nicht katholiſche Rreiſe im Auge, als
er feine Studien niederſchrieb. Denn nur fo können viele Ausführungen
verſtanden werden, die nicht bloß von den geſuiten, ſondern von allen
Ordensleuten, ja von allen Chriften gelten. Es wird einen Katholiken
eigentümlich berühren, wenn an erſter Stelle die Frage aufgeworfen
wird, „inwieweit das Chriſtentum der Geſellſchaft geſu chriſtlich iſt ...“
Was im Abſchnitt „Buchſtabe und Geiſt“ in feiner Problematik und
geiſtreichen Gegenüberſtellungen als „Geſetz der Liebe” zuſammengefaßt
iſt, kann und muß jeder Orden von ſich, jeder chriſtliche Schriftſteller
vom chriſtlichen beben ſagen. Vielleicht dürfte man nicht ohne weiteres
einen Satz wie dieſen unterfchreiben: „Daß jeder Beurteiler des geſuiten⸗
ordens die innere Anſchauung, in der dem geſuiten fein Orden ſich
zeigt, in ſich nachzubilden vermag, iſt unumgänglich notwendig zu
einer objektiven, gerechten Schätzung“. Weit mehr als andere Orden
tritt ja gerade die Geſellſchaft geſu aus der inneren Abgeſchloſſenheit
ihrer Mitglieder ins öffentliche beben. Bewußt und planmäßig ſucht
fie auf alle Cebensfphären beſtimmenden Einfluß zu gewinnen. Darum
ift die Frage, wie der Orden von der Außenwelt, an die er ſich wendet,
empfunden wird, kaum weniger wichtig als die Frage, wie er von
den eigenen Mitgliedern erlebt wird. Eine eigentliche „Pſuchologie“
des Jeſuitenordens müßte dieſen weſentlichen Punkt mitberückfichtigen.
Es wäre wertvoll, zu wiſſen, nicht wie er von außen geſehen werden
könnte, ſondern wie er im Lauf der Geſchichte tatſächlich geſehen
worden iſt, und zwar nicht fo ſehr von feinen Gegnern, als von
kirchlichen kireiſen felber.
Auch im zweiten Abfchnitt „Herr der Seele“ begegnen uns eine Reihe
von Gedanken, die nicht Artmerkmale gerade des geſuitenordens bilden,
ſondern allen anderen Orden ebenſo eignen. Wie ſteht z. B. der Chriftus-
gedanke in der Regel des hl. Benedikt im Mittelpunkt! An den, der
„Chriſtus, dem Herrn, dem wahren könig, Rriegsdienfte leiſten will“,
richtet er ſchon fein Dorwort. Der Abt vertritt „Chrifti Stelle im kilo⸗
ſter“ (kiap. 2). Er trägt den „Dornamen Chrifti: Abba, Dater” (ebd.).
Der Abt heißt herr und Dater „Chrifto zu Ehren und aus Liebe zu
Chriftus” (63). Die Bäfte ſollen wie Chriftus aufgenommen, er foll
in ihnen fußfällig geehrt werden (53). In den Pilgern und Armen
wird Chriftus beſonders aufgenommen (ebd.) und vor allen in den
kranken ihm gedient (36; vgl. 31). In der Abtötung, im Gehorſam
ſoll der Mönch „Chriſtus nachahmen“. Böſe Gedanken und Derſuch⸗
ungen foll er „an Chriſtus zerſchmettern“ (Prolog, 4 und 7). „Nichts
ſoll der biebe zu Chriſtus vorgezogen werden“, „die Liebe zu Chriſtus
23°
372
foll einem über alles gehen“ (4; 5 und 7). Eucdhariftifhe „Beſuchungen“,
mögen fie immerhin ſpäter entftanden fein, find auch keineswegs etwas
den geſuiten Eigentümliches. Darin wetteifern alle Ordensleute mit-
einander und alle frommen Chriſten in der Welt.
Im Fuſammenhang mit den euchariſtiſchen Beſuchungen ftreift P. Lip»
pert die Frage der Muſtik. Er meint, der Derkehr mit dem lebendigen
Bott hätte „nichts Ekſtatiſches, nichts Difionäres“ an ſich. Er ſei weit
entfernt von den Zuſtänden „höherer Muſtik“. Er ſei kein Erlöſchen und
Schweigen der ſeeliſchen Fähigkeiten und Tätigkeiten. Die Perſönlich⸗
keit geſu und feine Gegenwart werde nicht in Erſcheinungen erfaßt,
ſondern nur in einer vernünftigen, auf den Glauben gegründeten Se-
wißheit. Die ſeeliſchen Akte, die Dorftellungen, Affekte und Entfchlüffe,
welche dieſe Gewißheit auslöſe, unterſchieden ſich pſuchologiſch in nichts
von den Tätigkeiten des religiöfen Lebens, wie wir fie bei jedem beten⸗
den menſchen wahrnähmen. hätte irgend ein moderner Schriftſteller
dieſe Gedanken niedergeſchrieben, fo könnte man es aus der allgemei-
nen Unklarheit und Verſchwommenheit der Ideen verſtehen, die heute
das Gebiet der Muſtik umgeben. Daß ein Theologe und Beiftesmann
wie P. Lippert fo reden kann, erſcheint uns wie ein Rätſel, zu deſſen
Oöſung vorläufig die Schlüffel fehlen. Seit wann verdienen Quietismus
und „höhere Muſtik“ einander gleichgeſetzt zu werden? Wer aus dem
Frömmigkeitsleben alles Quietiſtiſche verbannt wiſſen will, der ſpricht
damit nur etwas Selbſtverſtändliches aus. Wer aber die Muſtik mit
demſelben Bann belegt, der ſetzt ſich in Widerſpruch mit unſeren großen
Heiligen und ihren behren und dadurch mit der Auffaffung der Kirche
ſelber, die uns dieſe Heiligen zur Nachahmung und ihre Lehren zur
Richtſchnur für unfer eigenes geiſtliches beben aufſtellt. Zum wenig⸗
ſten muß zwiſchen einer wahren, von der Kirche anerkannten und
gebilligten und einer falſchen. Krankhaften „Muſtik“ unterſchieden und
dieſer Unterſchied auf „Ekſtaſen und Difionen“ übertragen werden.
Alle Ratholifhen Schriftfteller der Muſtik find heute darin einig, daß
„Difionen und Ekſtaſen“ außergewöhnliche Erſcheinungen des muſti⸗
ſchen Lebens find. Sie find charismatiſcher Natur. Über die Bedeu⸗
tung der Charismen herrſcht auch allgemein Übereinſtimmung. Der
verehrte Derfaffer will doch ſicher dem übernatürlichen Wirken Gottes
in den Seelen keine Schranken ſetzen? Sollen die Beſuchungen vor
dem euchariſtiſchen Heiland Gebet ſein, dann werden ſie eine Vertiefung
des innerlichen bebens anſtreben müffen. Beten iſt die höchſtgeſteigerte
Tätigkeit, die es hienieden geben kann. ge mehr das Gebetsleben ſich
vertieft, umſo ſtärker wird der Tätigkeitscharakter. Bei fortſchreitender
373
Verinnerlichung gibt es einen Punkt, wo die Seele zu einer Art Selbſt⸗
wahrnehmung und damit auch zu einer Wahrnehmung des in der
Seele natürlich und übernatürlich wirkenden Gottes kommt. Das läßt
ſich pſuchologiſch feſtſtellen auf Grund der von der ktirche gebilligten
Schriften heiliger Muſtiker. Das und nichts anderes iſt Myftik. Don
einem Schweigen und Erlöfchen der Seelenkräfte iſt da keine Rede.
Das muſtiſche Wahrnehmen einer oder aller drei der Seele einwohnen-
den göttlichen Perſonen ſchließt niemals die Glaubensgewißheit aus,
ſondern ſetzt fie ebenſo voraus wie jede andere religiöfe Erkenntnis.
Das muſtiſche Schauen übernatürlicher Dinge trägt ſeine Gewißheit
nicht in ſich ſelber, ſondern empfängt ſie vom objektiven Glauben.
Myfik iſt die letzte, hienieden mögliche Entfaltung des chriſtlichen
Lebens überhaupt. Eine andere Frage iſt, ob ein Chriſt oder auch ein
Ordensmann verpflichtet ift, dieſen Grad religiöfen Lebens anzuſtreben.
Sie wird wohl nicht bejaht werden können. Man darf aber die Muſtik
nicht in einer Weiſe ablehnen, wie der Derfaffer es tut. Amerikaniſcher
Aktivismus in religiöfer Form ift allerdings die Muſtik nicht. Es
wäre aber ein wahres Unheil, wenn die geſchäftige Betriebſamkeit
und Leiftungsverhimmelung unſerer Zeit auch in das religiöſe Le-
ben eindringen ſollte.
P. Lippert hat recht, wenn er als ein beſonders auszeichnendes
Merkmal des geſuitenordens die Betrachtung nennt. Tatſächlich war
es der Jefuitenorden und fein Stifter, die die Betrachtung, wie fie
heute meiſt verſtanden wird, ſchufen und in das religiöfe Geben der
ktirche einführten. Die „Betrachtung“ iſt für die Art von Wirkſamkeit,
die der geſuitenorden entfaltet, ſicherſter halt und unerſchöpfliche Quelle
neuer Araft. Und weil das moderne Berufsleben pſuchologiſch den-
ſelben inneren Aufbau aufweiſt wie die befondere Betätigung der
Seſellſchaft geſu, gibt es kaum ein wirkſameres Mittel, um es religiös
zu durchdringen, als die ſuſtematiſche Pflege der Betrachtung. Es hätte
einen beſonderen Reiz, hier auf die Pſuchologie der Betrachtung gerade
unter dieſem Geſichtspunkt näher einzugehen.
Der Chriſtusgedanke, ſo ſahen wir, ſteht im Mittelpunkt allen
Ordenslebens. Wir geben aber gern zu, daß jeder Orden ſich ſein
eigenes Chriſtusbild ſchuf. In ein paar meiſterhaften Strichen ent=
wirft P. Lippert den liturgiſchen Gottkönig der Benediktiner, das Kind
von Bethlehem und den ſterbenden Heiland der Franziskaner, Chriſtus,
den geiſtlichen Welteroberer der geſuiten. Wie Paulus mit Feuermut
allen Binderniffen trotzend Chriſti namen und Reich bis an die Grenzen
der Erde trug, fo ſehen die geſuiten in einem den neugeitlichen Der-
«
374
hältniſſen angepaßten Pauliniſchen Apoftolat ihre eigentliche und wefent-
lichſte Aufgabe. Angriffs⸗ und Eroberungsgeift fehlten denn auch zu
keiner Zeit unter den eigentümlichen Merkmalen des geſuitenordens.
Wenn übrigens P. Lippert den hl. Jgnatius das Heilandsbild des ge⸗
ſuitenordens in ſeiner eigenen Seele Tiefen ſchauen läßt, ſo legt ſich
unmittelbar die Frage nahe, wie dieſes innerliche Schauen und Er⸗
faſſen pſuchologiſch zu denken iſt. Wir haben geſchichtliche Zeugniſſe,
die unwiderleglich dartun, daß Ignatius mit muſtiſchen Zuſtänden
reich geſegnet war. Wer wollte es kategoriſch verneinen, daß muſti⸗
ſches Schauen die weſentlichen Züge in fein Chriftusbild eintrug? Der
heilige ſtünde damit nur auf derſelben Stufe, wie andere Ordensſtifter
und heilige Männer und Frauen, die ſchöpferiſch in das religiöfe und
kirchliche eben eingriffen. Es handelt ſich hier nicht etwa um bloße
Mutmaßungen, willkürliche Annahmen oder fromme Wünſche, ſondern
um geſchichtliche Tatſachen. Die größte Zeit des geſuitenordens war
jene, wo er die meiſten muſtiſchen Perſönlichkeiten hervorbrachte.
Man leſe nur nach bei Bremond (Histoire litt. etc.). Es fällt auf, wie
der Derfaffer ſich beeilt, in dem Abſchnitt „Der Orden von Manreſa“
Verwahrung einzulegen, daß die geiſtlichen Übungen „höhere Muſtik“
enthielten. Iſt damit ſchon bewieſen, daß Ignatius „höhere Muſtik“
nicht gekannt hat und aus ſeinem Orden ausgeſchloſſen wiſſen will?
Wohl war er ein zu tiefer Seelenkenner, als daß er das muſtiſche
beben zum unmittelbaren Ziel der religiöfen Erziehung gemacht hätte.
Das tat auch St. Benedikt in ſeiner Regel nicht.
Ohne Zweifel find die Egerzitien die formſchaffende Seele des geſuiten⸗
ordens. Dieſe Seele bedarf aber eines Körpers, der zur Bildung des
Ganzen in der geſchichtlichen Wirklichkeit ebenſo weſenhaft iſt. Der die
Seele bindende körper der Gefellfchaft geſu iſt die Derfaffung, wie fie in
den Ronftitutionen und in den Instituta niedergelegt iſt. Die Exerzitien
find das Neue, das Ignatius der Kirche brachte und fein Orden der
Kirche immer wieder aufs neue bringt. Das hat Papft Pius XI. in
feiner Constitutio Apostolica vom 22. Juli 1922 wiederum anerkannt.
Auch wenn geſchichtlich nachgewieſen würde, daß Jgnatius von Vor-
bildern abhinge, fo wären die Exerzitien doch als etwas Neues anzu⸗
ſprechen. Betrachtung und Exerzitien hat es ſchon vor Ignatius ge⸗
geben. Ignatius aber hauchte ihnen einen neuen Geift ein. Letzten
Endes beruht das Neue in einem unmittelbaren tiefen Erfaſſen der
modernen religiöfen Seele, wie fie im Zeitalter der Renaiſſance und
Reformation ſich in fertigen Umriſſen zeigt. Um ſie religiös zu er⸗
faſſen, reichten die bisherigen Mittel und Methoden nicht mehr aus.
375
Die Exerzitien und die Betrachtung im ignatianiſchen Sinne waren
das wundervolle pſuchologiſche Werkzeug, um der Übernatur die Wege
in dieſe neuen Gebiete zu bahnen. Es iſt hier nicht der Ort, die Pſucho⸗
logie der Exerzitien aufzuzeigen. P. Lippert hat darüber ſoviel Schönes
und Richtiges geſagt, daß wir es vorläufig dabei bewenden laſſen
können. Nur eines darf nicht vergeſſen werden — und doch beſteht Ge⸗
fahr, daß es gerade heute vergeſſen wird — die Exerzitien find nicht
ein Selbſtzweck. Sie ſind nur ein Mittel, einen beſtimmten Zweck
wirkſam zu erreichen. Dieſes Ziel iſt zwar überzeitlich, aber doch
wieder zeitgeſchichtlich bedingt. Die ignatianiſchen Exerzitien haben
konkret die katholiſche Pſuche des Renaiſſance⸗ und Reformations-
zeitalters im Auge. Seitdem haben ſich die Zeiten geändert und die
menſchen in ihnen. Es wäre unpſuchologiſch, in den Exerzitien, ſo
wie ſie ſind, ein ewig unveränderliches Allheilmittel für alle religiöſen
Bedürfniffe zu ſehen. Unſer Augenmerk muß immer und an erſter Stelle
auf die Seelen in ihrer konkreten Wirklichkeit gerichtet ſein und erſt
im Anſchluß daran auf die Mittel, die helfen ſollen. Nichts wäre ver⸗
kehrter, als um eines Mittels willen die Seelen zu etwas zwingen zu
wollen, was dieſes Mittel heutzutage einfach nicht mehr geben kann.
Für einen aufmerkſamen Beobachter melden ſich in der Pſuche der
Gegenwart neuartige Bedürfniſſe, die durch die Exerzitien allein nicht
mehr befriedigt werden können. Das Prinzip der Renaiſſance und
Reformation lebt ſich aus. Es erwacht eine elementare Sehnſucht nach
Gütern, die die alten Orden im beſcheidenen hintergrund ſorgfältig
gehütet haben. Nach dieſem Eigengut verlangt die Gegenwart wieder,
Rund zwar in dem Grad ſtärker, als das urchriſtliche und urkirchliche
Element den Reformkatholizismus der nachtridentiniſchen Jeit von
innen heraus zu erneuern ſtrebt.
In einer weiteren Studie „Die Kompagnie geſu“ umſchreibt P. Lip-
pert das Ideal der Geſellſchaft geſu als „ein organifiertes Streben zu
einem ganz beſtimmten, rein religiöfen bebensideal“. Wenn er hier ſagt,
daß Ignatius nicht ein neues Jdeal erfunden, ſondern nur das ewig
alte mit beſonderer Klarheit erfaßt und bis in die letzten Folgerungen
ausgebildet habe, ſo ſcheint das nur bis zu einem gewiſſen Grad richtig
zu fein. Es waren tiefgreifende, für die damalige Zeit noch kaum
faßbare Neuerungen, daß die Jefuiten weder das gemeinſame Chor-
gebet noch das gemeinſame Familienleben im Sinn der älteren Orden
übten. Sie trugen auch keine beſondere Ordenstracht. Das ſcheinen
belangloſe Außerlichkeiten zu fein. In Wirklichkeit aber ift der trei⸗
bende Gedanke, aus dem alle dieſe Neuerungen hervorgingen, etwas
ganz Neues, bisher nie Dageweſenes. j
376
In der „Muſtik der Tat“ kehren Gedanken wieder, zu denen wir
bereits geſagt haben, daß wir fie durchaus ablehnen müſſen. Es
handelt ſich hier eben nicht um Dinge, die man willkürlich annehmen
oder ablehnen oder gar ins Oächerliche ziehen darf, ſondern um Lebens»
erſcheinungen, die nur aus den Schriften der von der kirche aner⸗
kannten Muſtiker beftimmt werden können. hier hat einzig die Er⸗
fahrung das Wort; ſie iſt zu hören. Es wäre nicht abzuſehen wie⸗
viel Derwirrung und Unheil irrige und ſachlich ungerechtfertigte Auf-
faſſungen über Muſtik ſonſt anrichten könnten.
Ebenfo packend wie zutreffend werden „Rampfplatz und Waffen-
rüftung“ des geſuitenordens geſchildert. Es ift plaſtiſch herausgeſtellt,
wie ſcharf der Orden zwiſchen Mittel und Zweck unterſcheidet und wie
die Mittel nach ihrer Brauchbarkeit abgeſtuft werden, wie letztlich das
entſcheidet, was ſich lohnt. In dieſem ausgeſprochenen Charakterzug
mag es liegen, daß man dem Orden die in ſich haltloſe Anſchuldigung
machte, als lehre er, der Zweck heilige die Mittel. Der geſuitenorden
hätte der reformbedürftigen Kirche des 16. Jahrhunderts nie die unver-
gänglichen Dienſte leiſten können, wenn er nicht von ſeiner Stiftung
her ſo eingeſtellt geweſen wäre. Menſchlich geſprochen war es vor
allem die Geſellſchaft Jefu, die damals das katholiſche Leben rettete
und langſam wiedererneuerte. Und dieſe Erneuerungstätigkeit erſtreckte
ſich ſelbſt auf die älteren Orden. Es wird aber wohl zugegeben werden
müſſen, daß dieſe geiſtige Einſtellung unter Umſtänden eine Gefahr
werden kann, dann nämlich, wenn die kirchlichen Derhältniffe einmal
anders gelagert ſein werden, als ſie es in den letzten gahrhunderten
waren. Dann könnte jenes „utilitariſtiſche“ Prinzip zu einem zwei⸗
ſchneidigen Schwerte werden. Wir zweifeln nicht, daß der geſuiten⸗
orden innere Lebenskraft genug beſitzt, ſich mit der Zeit der äußeren
Entwicklung völlig anzupaſſen. Gemeinſchaften find zwar Unperſön⸗
lichkeiten, die oft nur allzu ſtark vom Trägheitsgeſetz beherrſcht find; fie
kommen daher innerlich der äußeren Veränderung nicht immer genũ⸗
gend nach. Bei der außerordentlichen Beweglichkeit und Anpaſſungs⸗
fähigkeit des geſuitenordens wird indeſſen dieſe Gefahr für ihn am
geringften fein. Ähnliches ließe ſich von der Stellung des Ordens
und der Orden allgemein zur Kultur und zu den natürlichen und
weltlichen Werten ſagen.
Am tiefſten dringt der Derfalfer im Kapitel über „Die Ordensobern“.
Der einzigartige Individualismus, den gerade die Geſellſchaft geſu bei
ihren Mitgliedern nicht nur ausbilden, ſondern bereits vorausſetzen
muß, ift das Beſondere, in dem der geſuitenorden weit über die
377
alten Orden hinausging. Es ift eine feine Pſuchologie, wenn der Der-
faſſer bemerkt: „Der geſuitenorden kann maſchinelle Charaktere, un=
ſelbſtändige Weſen, die nur in ftarrer Bindung wirken können und zu
eigener Auffaffung und Entſchließung unfähig find, am allerwenigſten
gebrauchen, wenn fie auch unfähigen Obern willkommen fein werden“
(73). Ohne dieſen ſtarken Individualismus hätte die Renaiſſance⸗ und
Reformationszeit religiös nicht gemeiſtert werden können. Einen katho⸗
liſchen Individualismus geſtaltet zu haben, iſt das unſterbliche Der-
dienſt des hl. Ignatius und feines Ordens. Die älteren Orden, ſelbſt
die weniger alten der Dominikaner und Franziskaner, waren viel zu
ſtark in der urſprünglichen Gemeinſchaftsidee verwurzelt, als daß ſolch
ein Individualismus aus ihnen hätte herauswachſen können. Es be⸗
durfte einer Neuſchöpfung. Und das Wunderbare an dieſer Heu«
ſchöpfung war, daß der Individualismus des hl. Jgnatius und feines
Ordens von der verhängnisvollen Entartung der Renaiffance und Re⸗
formation von vornherein bewahrt blieb. Das Geheimnis war die
ſtraffe Zentralleitung des Ordens. Dieſe beiden äußerſten Gegenſätze zu
reibungsloſem, organiſchen Jneinanderwirken gebracht zu haben, war
nicht Menſchenwerk, ſondern ein Werk übernatürlicher Erleuchtung.
Das iſt das Größte an der Stiftung des hl. Ignatius. Er wollte feine
Söhne bis zum äußerſten Individualismus ſich entwickeln laſſen, um
die im äußerſten Individualismus Derirrten zu retten, und fie doch
durch die unbeugſame Gewalt des Gehorſams ſicher und ſtark im Bann
der Semeinſchaft zu halten. Wir ſtehen hier vor einem Wunder Gottes.
hier liegt die Quelle, aus der letztlich alle Pſuchologie des Jefuiten-
ordens fließt. Wenn etwas das immerwährende Wirken des hl. Geiftes
in der ktirche Gottes beweiſt, dann ſicher der Umſtand, daß fie im Tief»
ſtand des 16. Jahrhunderts den geſuitenorden aus ihrem Schoß gebar.
Das war Gottes Geiſt; Gottes Beift, der die Natur nicht vergewaltigt,
ſondern ſich wunderbar an ihre Gefege anpaßt. Er mußte fi, wenn
man ſo fagen darf, eines Werkzeuges bedienen, wie es ihm St. Igna⸗
tius in ſeiner Stiftung bereitete. Es erfüllt mich immer mit tiefer Ehr⸗
furcht, ſooft dieſes Wunderwerk von Natur und Gnade an meinem
geiſtigen Auge vorüberzieht. Nicht die Exerzitien find das eigentlich
Schöpferiſche, fondern die Löfung, wie vollendeter Individualismus
durch eine einzigartige Semeinſchaftsbindung zu einem fo wirkſam
arbeitenden Werkzeug werden konnte. Das Schwergewicht liegt in
der Ausbildung vollendeter Individualitäten. Dem gegenüber tritt die
ſtraffe Semeinſchaftsbindung an zweite Stelle, als eine Art Mittel
zum Zweck. hier liegen die Wurzeln des Ruswahlprinzipes, das für
378
Uneingeweihte leicht den Anſchein eines kalten, rückſichtsloſen Nüßlich-
keitsſtandpunktes erwecken kann. Es ſoll auch nicht geleugnet wer⸗
den, daß darin Klippen liegen, an denen ungezählte innere und äußere
Werte zerſchellen können. Der Orden aber gäbe ſich in feiner Eigen;
art ſelber auf, wenn er in dieſem Punkt eine Umkehr vollzöge. Unheil
kann entſtehen und vermieden werden, je nachdem die leitenden Per⸗
ſönlichkeiten Seelenweite und Seelengröße genug befigen, um nicht den
Buchſtaben, ſondern den Geiſt walten zu laſſen. P. Lippert findet be⸗
ſonders treffende Worte, wo er das Bild des Oberen zeichnet. Vieles
klingt mehr als Wunſch, daß es ſo ſein möchte, denn als Wiedergabe
wirklicher Derhältniffe. Es gilt auch hier der Erfahrungsſatz, daß es
leichter iſt, gut zu gehorchen, als gut zu befehlen.
„Im dienſte des Papſttums“ enthält geiſtreiche Ausführungen über
das vierte Gelübde, über jenen befonderen Gehorfam der geſuiten
gegen den Papſt. Kraft des vierten Gelübdes find die Mitglieder der
Geſellſchaft geſu verpflichtet, überall dorthin zu gehen, wohin der
Papſt zum Wohl der Religion fie ſendet. Auch dieſes Gelübde hängt
aufs innigſte zuſammen mit jenem Individualismus, von dem wir
bereits geſprochen haben. Gemeinſchaften find bodenſtändig. Sie laſſen
ſich nicht ohne weiteres von Ort zu Ort übertragen. Die Cage der
kirche im Reformationszeitalter erheiſchte aber Werkzeuge, die mit
der örtlichen Beweglichkeit, Raſchheit und Sicherheit von fertigen In⸗
dividualitäten verfügbar ſtanden. Das Verfügungsrecht des Papſtes
über die einzelnen Jeſuiten mit dem vierten Gelübde bildet, gleich ⸗
zeitig mit der ſtraffen Zentralleitung, eine ſtarke Sicherung gegen Hus⸗
wüchſe eines einſeitigen Individualismus. Wir können nur wieder⸗
holen, daß der geſuitenorden kraft feiner Grundidee das geeignetſte
mittel in der hand der göttlichen Dorfehung war, um die Rirche und
ihre Gläubigen aus den Tiefen des 16. Jahrhunderts wieder auf die
Höhen alten Glanzes zurückzuführen. Es war der Geiſt des Angriffes
und der Eroberung für das Reich Chrifti, der den Orden zu allen
Zeiten erfüllte. Er mußte von Andersgläubigen natürlich wie eine
feindliche Nacht empfunden werden. Daher die heftigen Gegenſtöße,
die der Orden immer auslöſte. Daß auch Gefahren in dieſer eigen
artigen Struktur des geſuitenordens liegen, hat P. Lippert weder
überſehen noch verſchwiegen.
Eine ſolche Gefahr wird berührt in der Studie „Perſönlichkeit und
Dienſtbarkeit“. Individualitäten, wie fie der Orden zur Verwirklichung
feiner Ziele braucht, ſtehen nicht immer fertig zur Derfügung. Sie
müffen erzogen, herangebildet werden. Nur innerlich freie Menſchen
*
379
können Perſönlichkeiten fein. Wir wiſſen aber, wie ſeit der Erbſünde
das Innere des Menſchen von zahlloſen Hemmungen und ungeregelten
Strebungen überwuchert iſt. Um den kiern von Perſönlichkeiten und
wahrer Individualitäten aus diefen VDerſchüttungen und Derkruftungen
herauszuarbeiten, bedarf es eines harten und langwierigen Säube⸗
rungswerkes. Es wäre weiter nicht verwunderlich, wenn bei dieſem
Vorgang oft das vernichtet wird, was eigentlich erſtehen ſoll. Der
Derfaffer zeigt, wie diefen Gefahren von einer klugen Leitung begegnet
werden kann. Manches klingt wie eine Gewiſſenserforſchung für jene,
die die Derantwortung dafür tragen, daß „Perſönlichkeit und Dienſt⸗
barkeit“ in den einzelnen Mitgliedern ſich gegenſeitig nicht aufreiben,
ſondern erſt recht zur Entfaltung bringen. Einmal iſt auch die Rede
von dem intellektualiſtiſchen Jug, der der Ausbildung des geſuiten
anhaftet. Bier birgt ſich eine andere Gefahr. Intellektuelle Erkennt-
niſſe dürfen und können nicht Selbſtzweck ſein. Sie ſollen dem Willen
die Motive zum Handeln vermitteln. Denn nur in der Willenstätigkeit
wird die Individualität, die Perſönlichkeit, der ſittlich vollendete Menſch.
Bloße Erkenntniſſe können nie Träger des Sittlichen ſein. Das iſt der
Wille allein. Dieſe Pſuchologie liegt ja auch der „Betrachtung“ zu⸗
grunde; Erkenntniſſe, die Selbſtzweck ſein wollten, verfälſchten die
Perſönlichkeit.
Es iſt ein Genuß, P. Lippert zu folgen, wo er die Wurzeln der
natürlichen Faktoren im Werden des geſuitenordens aufdeckt. Er zeigt,
wie gerade Spanien im allgemeinen und Jgnatius im beſonderen die
natürlichen Dorausfegungen beſaßen, um das einzigartige Gebilde der
Geſellſchaft geſu zu ſchaffen. Der Derfaffer glaubt Halt machen zu
müffen vor einem betzten und Tiefſten im Weſen des heiligen Stifters
als vor einem Geheimnis. In den beiden letzten Abſchnitten „Die
Stunde der Berufung“ und „Gegenwart und Zukunft“ lüftet er ein
wenig den Schleier von dem Geheimnis: er weiſt über die natürlichen
ſchöpferiſchen kträfte hinaus auf eine übernatürlich wirkende Urſache,
auf die Dorfehung Gottes. In der Tat, Ignatius und fein Orden
blieben letztlich ein Buch mit ſieben Siegeln, wenn man nicht das
Wirken übernatürlicher kräfte zugeben wollte.
Mit unnachahmlicher Meiſterſchaft gebraucht P. Lippert Licht und
Farben, um in einem bezaubernden Bild voll Poefie die Zeiten und Auf»
gaben uns vorzuführen, in die die Gefellfhaft Jefu hineingeboren wurde.
Ja, der geſuitenorden war das Ereignis feiner Zeit. Es ift nur ſchade,
daß die herrlichen Rus führungen wiederum geftört werden durch Bemer⸗
kungen über Muſtik, Ekſtaſen, Difionen, die weder nötig noch richtig find.
380
Mit Recht ſtellt der Derfaffer zum Abſchluß die Frage, ob der geſuiten⸗
orden auch in Zukunft der Kirche Gottes dieſelben Dienſte leiſten werde,
wie in der Dergangenheit. P. Lippert ift ein zu ruhiger Beobachter, als
daß es ihm entgehen könnte, wie die Aufgabe, die mit dem aus⸗
gehenden Mittelalter einſetzte, heute ſich ihrem höhepunkt nähert.
Man kann wohl getroſt behaupten, daß ſie ihren höhepunkt bereits
überfchritten hat. Das Zeitalter des Subjektivismus und des Indivi⸗
dualismus neigt ſeinem Ende zu. Der Pfeil der Entwicklung zeigt in
der Richtung auf eine neue Gemeinſchaftsidee. Die urchriſtlichen
und urkirchlichen Elemente werden auf einmal wieder flüffig, nachdem
fie jahrhundertelang nahezu ſtill gelagert waren. Eine Entwicklung geht
zwar nie rückwärts. Das unverlierbare Gute, das uns das Zeitalter
des Individualismus gebracht hat, wird ſicher weiter leben. Die Frage
iſt nur, ob mit den neuen Zielen nicht auch neue Mittel gegeben
werden müſſen. Die Zukunft, die vor uns liegt, weiſt andere Züge
auf, als jene Zeit, die für das 16. Jahrhundert Zukunft war. Es
müßte darum wohl auch der geſuitenorden ſich innerlich umſtellen,
wenn er der Zukunft das fein wollte, was er der Vergangenheit war.
Ob er dieſe außergewöhnliche Lebenskraft in ſich trägt, das können
wir zwar nicht entſcheiden, wohl aber hoffen. Noch viel weniger
können wir vorausſagen, ob Bott der Kirche einen neuen heiligen
und Ordensſtifter ſchenken wird, der an der Zukunft dieſelbe Miſſton
zu erfüllen hätte, wie fie Ignatius und fein Orden in der Neuzeit
erfüllt haben. Die beſtehenden Orden können dieſer Aufgabe nur in
dem Grad gewachſen fein, als fie den Geift der Zukunft und den Beift
der Kirche zu einem organiſchen Ganzen in ſich zu verſchmelzen ver⸗
mögen. Dieles deutet darauf hin, daß der Geiſt des Urchriſtentums
wiederum zu neuem Leben erwachen will, wenn auch entſprechend dem
Stand der heutigen Menſchheitsentwickhlung. Darum werden gerade
die Orden der Zukunft etwas bieten können, die den Geiſt der Ur⸗
kirche am treueſten gehütet haben oder neu zu erwerben verſtehen.
Es wäre zu begrüßen, wenn wir nach und nach die Pfüchologie jedes
Ordens dargeſtellt bekämen. Nus der Pſuchologie der Orden würde die
Pſuchologie der kirche überhaupt am tiefſten verſtanden werden; aber
es vermag kein Orden für ſich allein, nur alle zuſammengenommen
vermögen das innerſte Weſen der kirche zum Nusdruck zu bringen.
Wie das Samenkorn aus ſich eine beſtimmte Pflanze entwickelt, ſo
bringt auch die ktirche mit Weſensnotwendigkeit alles aus ſich hervor,
was zu ihrer Erhaltung, Entfaltung und Vollendung notwendig iſt.
& * „
381
Geſunde Frömmigkeit.
Don P. Wolfgang von Czernin (Beuron).
Se einigen Jahren üben die Benediktinerklöfter auf Ereife, die
unferem Leben ferner ftanden, eine eigentümliche Anziehungskraft
aus. Das ift u.a. zurückzuführen einerfeits auf das Streben der Klöfter,
die religiöfen Werte, die fie wahren, weiteren Areifen zugänglich zu
machen, andererfeits auf ein wirkliches Unbefriedigtſein der Laienwelt,
beſonders der gebildeten, mit der ihnen bislang faſt einzig bekannten
Art, die Frömmigkeit zu pflegen. Die Frömmigkeit, fo wie fie ge⸗
wöhnlich aufgefaßt wird, iſt bei vielen in Verruf geraten.
Man will ja ordentlich katholiſch fein, aber beileibe nicht fromm.
Das ſcheint zum wirklichen beben in der Welt nicht recht zu paſſen.
Unwillkürlich treten einem gewiſſe Vertreter „frommer“ Menſchen vor
Augen. Dieſe will man auf keinen Fall nachahmen. Dieſe „Frömmigkeit“,
die in der Derrichtung langer Andachten befteht, in niedergeſchlagenen
Augen, in der Verachtung unſchuldiger Freuden, in beftändiger Angſt
vor Sünden, hat allerdings nichts Anziehendes. Eine Frömmigkeit,
die den Menſchen in ſeiner Perſönlichkeit nicht zur vollen Entfaltung
kommen läßt, kann aber auch nicht die richtige ſein. Fromm ſein
heißt Gott dienen mit allen Kräften, die der gütige Schöpfer in den
menſchen hineingelegt hat, und heißt weiter, dieſe Kräfte der Per⸗
ſönlichkeit zur höchſten Vollkommenheit ſteigern.
Es mag eine Zeit gegeben haben, in der man bei der Frömmigkeit
mehr die Weltflucht betonte, vielleicht auch betonen mußte; heute
ringt ſich die Erkenntnis durch, daß nicht zwar Nietzſches „Übermenſch“,
aber dafür der ganz chriſtliche „Übermenſch“ mit feiner Araftfülle, mit
ſeiner geiſtigen Weltdurchdringung und Weltbeherrſchung zugleich der
eigentlich Fromme ſein kann und ſoll. Es war die Jugendzeit des
Chriſtentums, als es noch mit den niedrigen Gelüften des heidentums
ringend ſich vorzüglich in der Abwehr und in der äußeren Abtötung
behaupten mußte; heute aber muß das immer reifer werdende Chriften-
tum aus ſeiner Abwehrſtellung heraustreten und zum Angriff auf der
ganzen Linie übergehen, es darf nicht mehr die Welt fliehen, es muß
ſie ſich erobern, es darf nicht mehr zögern, ſeinen neuen Wein in die
neuen Schläuche, die ihm unſere Zeit bietet, zu gießen.
Ein lauter Derkünder diefer neuen Zeit redet gegenwärtig eine ganz
neue Sprache, eine Sprache, die den modernen Menſchen, den Wirk⸗
lihkeitsmenfchen, der aller rein abſtrakten Geiftesbildung den Rücken
gekehrt hat, unmittelbar ergreift. Er hat vielleicht wie kein anderer
382
erkannt, daß die Derkündigung der ewig wahren Beilslehre auf einem
toten Punkt angelangt iſt, daß von den Predigern der Religion die
heiligen Urkunden, wie er ſich ausdrückt, „bis auf den Grund und
bis zur Langweile ausgeſchöpft erſcheinen“, fo daß die chriſtliche
Frömmigkeit ſich an ihnen nicht mehr erwärmen kann. Vor lauter
Sucht, auch das ganze Frömmigkeitsleben rein begrifflich zu faſſen,
hat man auf das Erlebnis vergeſſen, auf die inneren Sefühlswerte,
ohne die eine lebendige Frömmigkeit nicht beſtehen kann. 50 kommt
es auch, daß die meiſten Menſchen, wie er fagt, auf die Frage,
ob fie wohl heilige werden wollten, ſich geradezu ſchütteln, als ob
ihnen etwas ganz Widernatürliches zugemutet werden ſolle, etwa ſo
wie wenn einer Wermuttee trinken muß, und dann antworten: „In den
Himmel wollen wir wohl kommen, aber heilige, nein, das wollen wir
nicht werden.“ Das kommt daher, weil man von heiligen, von ganz
Frommen, eine unrichtige Auffaffung hat. Würde aber die Erkenntnis
allgemein werden, daß der heilige der echte Vollmenſch ift, der
„Erlöſte“ im ſtrengſten Sinn des Wortes, der durch die Erlöfung ſeine
volle urſprüngliche menſchenwürde wiedererlangt hat, dann würde
ſich wohl niemand lange befinnen und jeder freudig rufen: „Ja, ich
will ein Heiliger werden.“
Und nun kommen die Klöfter mit ihrer Liturgie, mit ihrer heiligen
Altargemeinſchaft. Die katholiſche Laienwelt hört den Weckruf. Es
geht ein Ahnen durch ihre Reihen, daß hier vielleicht die Waſſer fließen
möchten, an denen ſich das verwelkende religiöfe Leben wieder er⸗
friſchen könnte. Man hat es empfunden, daß die Frömmigkeit ihre
nahrung allzuſehr in Andachtsbüchern ſuchte, die, autoritätslos wie
fie faft alle find, trotzdem das geiſtige beben in feinen fo mannig-
faltigen, immer wechſelnden Gefühlen und Stimmungen von oben
herab ſchabloniſteren wollen und damit zugleich ertöten. Die Liturgie
hat die Autorität der kirche für ſich, die Autorität des hl. Seiſtes
ſelbſt, der in ihr betet. Es iſt, im Glauben aufgefaßt, die Sprache
des Hl. Beiftes, die die Kirche in ihrer Liturgie redet. Man darf nun
allerdings nicht beim menſchlichen Beiwerk ſtehen bleiben, ſich mit der
äußeren Schale begnügen, ſonſt gibt es nicht eine neu anhebende
Frömmigkeit, ſondern ein bloßes Äfthetifieren, ein Jeremonienmachen,
oder ein Stück Archäologie und ktirchengeſchichte. Man muß zum
fern vordringen, da findet man den Geiſt, den hl. Beift, der alles
lebendig macht. Der hl. Seiſt, der haßt im Grunde die Schablone, der
haßt Suſteme und Methoden, wenigſtens wo fie Selbſtzweck werden,
der haßt die Derallgemeinerungen. Der Bl. Beift allein kennt das
383
Menſchenherz bis in feine tiefften Tiefen, der HI. Beift, wird darum
auch allein allen Gefühlen, allen Stimmungen des Menſchenherzens
gerecht. Der BI. Geift vergewaltigt nie die Perſönlichkeit, er ftußt fie
nicht zurecht, er ſtreckt ſie nicht auf ein Folterbett; er bringt vielmehr
die Perſönlichkeit zur höchſten Vollendung, indem er fie ganz frei
macht, frei von allen Bindungen der Selbſtſucht, frei vom Beſtimmt⸗
werden durch Fremdes, außerhalb der Seele Liegendes, frei in der
Bindung und Freiheit der Kinder Gottes.
Das alles tut der HI. Seiſt, weil er Geben ift. Nur Leben kann
wieder beben wecken, und fo ift die vom hl. Beift belebte Frömmigkeit
die Frömmigkeit ſchlechthin, bei der das ganze Menſchſein mitſchwingt,
bei der die Perſönlichkeit nicht eingeengt wird durch äußere und äußer⸗
liche Geſetze, ſondern aus ihrem eigenen Mittelpunkt heraus lebt und
fo ganz frei wird. Zu dieſer wahrhaften Frömmigkeit, zu dieſer Geift-
frömmigkeit will und kann die Liturgie der kirche führen.
Es gibt nun zwar, Gott ſei Dank, noch Seelen genug auf der Welt,
die der HI. Geilt unmittelbar in feine Schule nimmt. Die wiſſen viel-
leicht herzlich wenig von „Liturgie“, und doch leben fie das volle herz⸗
liche beben der Freiheit der kinder Bottes. Sie brauchen keine Bücher,
um ihre Andacht zu nähren, und gebrauchen ſte ſolche, ſo genügt
ihnen ſelbſt das Armſeligſte. Sie finden und ſchauen Bott überall. Es
find das die gottbegnadeten „Künſtlerſeelen“, die eine fo tiefe Schau
in das Weſen aller Dinge haben, daß für fie die ganze Welt nichts
anderes ift als eine herrliche Offenbarung der Schönheit Bottes. Es
find das Hienfchen, bei denen das ganze Frömmigkeitsleben aus einem
Guß ift, bei denen es nichts Angelerntes, nichts Eingeübtes gibt, bei
denen es eben aus der innerſten Seele hervorquillt und ihrem ganzen
beben Form und Inhalt gibt, ſodaß fie fromm find eben dadurch,
daß fie ihr beben leben und nicht anders leben können, als eben
in dieſer Frömmigkeit. Aber nur wenigen iſt dieſe von Anfang an
lebendige, mit ihrem innerſten Sein verwachſene Frömmigkeit gegeben.
Die meiſten müſſen zur wahren Frömmigkeit der Rinder Gottes erft
allmählich erzogen werden, bezw. ſich erziehen. hierin kann die bi-
turgie eine große hilfe ſein.
Huf welche Weiſe wird die wahre Frömmigkeit gerade durch ein
Leben aus der Liturgie und in ihr gefördert?
Es kommt hiebei nicht fo ſehr auf liturgiegeſchichtliche und exege⸗
tiſche kenntniſſe an, obwohl auch dieſe, in ihrem kiern erfaßt, große
Hilfe ſind, wenn fie Eigenbefiß und koſtbares Seelengut werden. Es
kommt auch nicht auf das ganze Derftändnis aller Einzelheiten an;
384
wichtig ift nur für die Erziehung zur wahren Frömmigkeit die Er«
faſſung der großen Wahrheiten, die uns die Liturgie nahelegt.
Die Frömmigkeit vieler Frommen iſt deshalb in Derruf geraten,
weil ſie zu kleinlich, zu engherzig, zu weltabgewandt erſcheint.
Die Liturgie iſt großzügig; wer mit der Liturgie betet, der muß
deshalb ſelbſt großzügig werden. Die Liturgie iſt großzügig, weil ſie
dem armen Menſchenherzen nicht ganz beſtimmte Gefühle aufzwingt
und ſeine Perſönlichkeit vergewaltigt und das innere beben ſchablo⸗
nifiert; fie läßt dem individuellen Leben große Freihheit, jeder kann
bei ihr auf ſeine Rechnung kommen, mag er was immer für ein
Temperament haben. Und weil es der Geiſt Gottes ſelber ift, der in
der Liturgie betet, der Beilt, der alles ergründet, fo weiß er auch
jeder einzelnen Seele ſich zu offenbaren, als wäre er behrmeiſter und
Führer und Freund nur für fie allein, wie es im Pſalm heißt: „Er,
der die Herzen aller ſchuf, er Rennt auch all ihr Tun.“ Die Liturgie
bindet nicht, verpflichtet nicht auf ein Suſtem, fie läßt der individuellen
Veranlagung des Einzelnen volle Freiheit, fie iſt mit einem Wort groß ⸗
zügig. Weil fie eben vom hl. Beift, dem Debendigmacher, erfüllt iſt,
iſt fie ganz beben und verſteht das beben und weiß das Leben in
feiner ganzen Mannigfaltigkeit zu befruchten. Ein Menſch alfo, der
ſich wahrhaft in die Liturgie einlebt, wird von ſelbſt großzügig in
ſeiner Frömmigkeit. Er wird nicht dem erſten beſten aſzetiſchen Schriſt⸗
ſteller, der eine beſtimmte Bahn vorſchreibt und genaue Derhaltungs-
maßregeln gibt, ohne weiteres glauben und fi ihm mit Leib und
beben verfchreiben. Er wird aber doch wiederum jede Koft annehmen,
die er ſich vollſtändig anzueignen vermag. Er wird niemals das tieffte
Wefen der Frömmigkeit, die bewußte Gottverbundenheit, mit den
Mitteln zur Frömmigkeit zu gelangen, verwechſeln. Er wird über:
haupt nur ſolche Mittel gebrauchen und ſie nur ſolange gebrauchen, als
ſie dieſe Frömmigkeit wirklich fördern. Er wird nicht als Grundſatz
aufſtellen: Fromm iſt ſchon, wer nur täglich eine beſtimmte Anzahl von
Gebeten verrichtet, pedantiſch genau feine Kirchenbeſuchungen macht,
wer mit niedergeſchlagenen Augen einhergeht. Seine Vebensregel if
vielmehr ganz einfach, und in der Einfachheit groß: Fromm iſt, wer
ſeine Arbeit, ſeinen Beruf im Glauben anſieht, d. h. auf Gott hinſchaut
und in dieſem Geiſt mit allen feinen von Gott verliehenen Kräften
arbeitet, fo daß in der ganzen Berufsarbeit die reſtloſe Sottzugehörig⸗
keit zum Ausdruck kommt. Frömmigkeit iſt, wie einer geſagt hat,
Gebet, Pflicht, Arbeit, Freude, Erfolg, Derluft, beiden, alles vor, in
und für Bott. Die wahre Frömmigkeit iſt nicht einſeitige Gebets:
385
frömmigkeit, die leicht in Kleinlichkeit ausarten kann, ſondern fie ift
die innere Befamthaltung vor Gott. Man kann ruhig ſagen, daß die
menſchen, die in ihrem Tun und Laffen von dem Gedanken: „Ich bin
ein Kind Gottes“ beherrſcht werden und alle Folgerungen daraus zie-
hen, alſo ruhig, vertrauensſelig, berufstreu, mutig, unternehmungs⸗
luſtig find, weil fie ſich immer und überall in Gottes Daterarmen ge-
borgen wiſſen, daß dieſe einfachen, großzügigen, lieben Menſchen die
eigentlich Frommen ſind. Sie ſind ſo erleuchtet, daß ſie unter allen
Umſtänden der Tat der Liebe den Dorrang vor jedweder [pezififch-
religiöfen Betätigung einräumen, und damit zeigen fie, daß fie das
Weſen der Frömmigkeit erfaßt haben. Zu diefer Freiheit und Broß-
zügigkeit im inneren Leben ſoll gerade die Liturgie mit ihrem reich
ausgebildeten, feſtgefügten Gebetsleben mit Sakrament und Opfer
durchs ganze Rirdyenjahr hindurch erziehen.
Und nun zur Weitherzigkeit. Engherzige Fromme gehen mit
Scheuklappen durch die Welt. Überall wittern ſie Gefahren für ihre
Tugend, ſie wagen kaum, ihre fünf Sinne zu gebrauchen aus lauter
Angſt, das mühſam errichtete Tugendgebäude möchte zuſammenbrechen.
Sie ſehen bei den Dingen des Lebens leicht nur die eine dunkle Seite,
die irgend eine Berührung mit Sünde haben kann, und all das helle
und Gute und Große der drei anderen Seiten liegt für ſie im Schatten.
Das Beten mit der Liturgie hingegen vermag weitherzig zu machen;
denn die Liturgie iſt weitherzig. Sie nimmt auch das Sinnenleben
für ſich in Anſpruch, um es zu veredeln. Sie fürchtet nicht oder doch
nicht mehr, daß etwa durch ſchöne Muſik, durch Poefie und Aunft,
durch koſtbare Gewänder, reichen Kirchenſchmuck, ein prächtiges Gottes⸗
haus der reine Dienſt Gottes, die Frömmigkeit irgendwie Schaden leide.
Ihr Grundſatz iſt, alles das gehört zur Frömmigkeit, der ganze Menſch,
wie er leibt und lebt, der volle Wirklichkeitsmenſch, nicht bloß ſein
trockener Derftand. Und bei der Auswahl der Texte, die ja Seelen⸗
nahrung fein ſollen, zeigt die Liturgie wahrlich keine Engherzigkeit.
Es gibt Fromme, die reden von „anſtößigen Stellen“ in der HI. Schrift,
über die fie bei ihren geiftlichen beſungen züchtig hinweggleiten. Ge⸗
wiß, Rückſicht auf die „Schwachen“ nehmen auch die heiligen. St.
Paulus mahnte in dieſem Sinne, und auch St. Benedikt will 3. B. den
Heptateuch und die Bücher der Könige nicht gerade abends gelefen
wiſſen, „denn für ſchwache Gemüter wäre es nicht gut, zu dieſer Zeit
jene Teile der Hl. Schrift zu hören; zu anderer Zeit aber ſollen ſie
geleſen werden“ (Kap. 42). Unſere Zeit ift in dieſem Punkte oft noch
arg empfindlich. Die Liturgie kennt ſolche Empfindlichkeiten nicht.
Benediktinifche Monaiſchriſt VI (1924) 11— 12. 24
386
Sie weiß, daß alles, was vom Geiſte Gottes kommt, feinen provi⸗
dentiellen Zweck in der Beilsökonomie hat. Und fo wird 3. B. das
Hohelied in der Liturgie ausgiebig benützt mit all ſeinen Ausdrücken
überſchwänglicher orientaliſcher Phantafie, und viele andere Schrift-
ſtellen werden von der Liturgie mit heiliger. Würde in entzückender
Einfalt und Selbſtverſtändlichkeit gebraucht. Das iſt wohltuende Weit⸗
herzigkeit, die, wenn fie in das Frömmigkeitsleben des Einzelnen Ein⸗
gang findet, dieſem ſelbſt das Schreckhafte, Abſtoßende nimmt, ihm
Seele einhaucht und wahre Weihe verleiht.
Die Liturgie lehrt weiter auch geſundes Derftändnis für die Welt.
Sie ift nicht weltfremd. Sie befingt Sonne, Mond und Sterne und
die Erde mit ihrer ganzen Pracht in ihrem Verhältnis zum Schöpfer.
Ein Hinweis auf das geſchichtliche Weltgeſchehen, dem die Liturgie
mit offenem Auge entgegentritt, liegt in dem Umſtand, daß viele Einzel⸗
heiten der Liturgie die Frage nach ihrer Geſchichte, nach der Umwelt,
aus der ſie entſtanden ſind, geradezu herausfordern. In den Büchern
der hl. Schrift, die in der Liturgie zur Derlefung kommen, leuchtet
uns die geſamte Weltgeſchichte von der Schöpfung bis zur Vollendung,
von der Geneſis bis zur Geheimen Offenbarung entgegen. Schließlich
bergen die liturgiſchen Bücher eine große Zahl von Gebeten und Seg⸗
nungen, durch die rein weltliche Dinge in den heiligen Dienſt Gottes
gezogen werden. Frömmigkeit, die ſich an der Liturgie der Kirche
bildet, iſt daher notgedrungen weltdurchdringend, weltbeſeelend, welt-
weihend, nicht aber weltabſtoßend, weltverachtend. a
Die Frömmigneit mancher Frommen kann insbeſondere auch des⸗
halb nicht recht befriedigen, weil ihr Unterbau zu ſchwach iſt. Man
vermißt in ihr die entſprechende Würdigung der großen heilstatſachen.
Der Zuſamenhang mit Chriſti Heilswerk ift zu loſe, zu ſehr nach oben⸗
hin, die Frömmigkeit ift in dem Gottmenſchen nicht recht verwurzelt,
und deshalb mangelt es ihr an innerer Gediegenheit und Feſtigkeit;
fie nährt ſich mehr von einer menſchlich geſtimmten Jefusliebe als
von dem pauliniſchen „Ey Xarorw. Schlimmer wäre es noch, wenn
der Heiland ſelbſt vor einer unerleuchteten Heiligenverehrung in den'
hintergrund gerückt würde. Das iſt nun gewiß der größte Gewinn
eines weifen Miterlebens der Liturgie und eines liebenden Sichver⸗
ſenkens in das liturgiſche Gebet, daß dadurch wie von ſelbſt die
Frömmigkeit auf die im Kirchenjahr zu Tage tretenden Beilstatfachen
aufgebaut und ganz auf Chriſtus und durch ihn auf den dreieinigen
Gott gerichtet wird. Die Frömmigkeit äußert ſich anders in der Faften«
zeit und anders im Oſterjubel, ſie hat am hl. Weihnachtsfeſt eine ganz
—
i 387
eigene Prägung, die ſich deutlich von der an Chriſti Himmelfahrt ab⸗
hebt. Es iſt traurig, manchmal ſehen zu müſſen, wie oftmals gerade
an fonft wirklich frommen Menſchen das kiirchenjahr mit feiner le⸗
bendigen Aufeinanderfolge der Beilsgeheimniffe faſt ſpurlos vorüber-
geht. Sie beten, was fie zu beten gewohnt find, Tag für Tag, jahr⸗
aus jahrein, ohne viel Rückſicht darauf, ob die tirche am Aſcher⸗
mittwoch ihr Memento homo, quia pulvis es, den Gläubigen ans
Herz legt oder ob ſie zu Oſtern ihr Alleluja ſingt. Der Anſchluß an
das liturgiſche Beten dagegen bringt ganz von ſelbſt den nötigen Wechſel
bei aller Gleichheit des Wollens. Er befreit von der Turannei, die
ſelbſtgewählte Andachten und Gebete und vielleicht eine ganze afzetifche
Bibliothek über viele Seelen ausüben.
Da die Liturgie Darſtellung und euchariſtiſche Wiederholung und
Dergegenwärtigung der Erlöfungstat Chrifti iſt, und auch die heiligen⸗
fefte, vorab die Feſte der allerſeligſten Jungfrau Maria, nur auf dieſem
Grund ihren Wert gewinnen und ihren ſchönſten Glanz erlangen, fo
wird auch die Frömmigkeit, die ſich an der Liturgie zu erwärmen ſucht,
Chriftus den herrn ganz in den Vordergrund rücken. Es wäre un⸗
recht, wollte man behaupten, innige Chriftusliebe konne nur im vollen
Anſchluß an die ‚Liturgie gefunden werden. Auch [ei entſchieden be⸗
tont, daß eine große Heiligenverehrung und da wieder eine glühende
Marienverehrung keineswegs ungeſunde Frömmigkeit genannt werden
darf. Wir müſſen die lieben Heiligen, dieſe Wunderwerke der Gnade,
die Chriſtus dem Herrn am nächſten ſtehen, ſehr verehren. Was be⸗
ſonders die Gottesmutter angeht, ſo können wir in ihrer richtigen
Verehrung kaum zu weit gehen; wir ſind gar nicht imſtande, ihr in
wirklich gebührender Weiſe unſere huldigung darzubringen. Aber die
Heiligen werden leider von manchen Frommen in einer Weiſe verehrt,
durch die gerade deren Beziehungen zu Chriſtus, in deſſen Licht fie ſtrah⸗
len, nicht gewürdigt werden, fo daß man tatſächlich faſt von einer Der-
unehrung ftatt einer Derehrung der heiligen reden müßte. Nirgends
wird die allerſeligſte Jungfrau und werden die heiligen mit erhabe⸗
neren Ausdrücken gepriefen als in der Liturgie; nirgends abet ſteht
auch Chriftus als der „Hönig der Apoftel, der könig der Marturer und
Bekenner, der könig der Jungfrauen“ mehr im Dordergrund als ge⸗
rade in ihr. Alle Herrlichkeiten und Vorzüge der Gottesmutter und
der Heiligen werden in ihr auf Chriſtus zurückgeleitet; er iſt es, deſſen
Sroßtaten in den heiligen verherrlicht werden. Don dieſer Auffaffung
muß auch die Frömmigkeit des einzelnen getragen ſein. Dann iſt es
gefunde Frömmigkeit.
24°
388
Es ift nicht genug, daß Chriftus der herr ein Gegenſtand und
auch ein Begenftand der Andacht bleibt, er foll vielmehr das ganze
Frömmigkeitsleben beherrſchen. Sein beben und ſeine Geheimniſſe,
die nicht nur in der Erinnerung oder in der himmliſchen Derklärung
aufbewahrt, ſondern in der allerwirklichſten Weiſe in der Euchariſtie
gegenwärtig ſind, bringen dem Menſchenherzen Troſt, erfüllen die
Seele mit göttlichem icht und entzünden in ihr das Feuer der Liebe.
Wenn wir die ſchier endloſe Reihe der Heiligen, dieſer Muſter wahrer
Frömmigkeit, an dem Ruge unſeres Geiſtes vorüberziehen laſſen, ſo
erkennen wir, wie tief ihre Frömmigkeit in Chriftus verwurzelt if,
wie gerade das beſondere Verhältnis, in dem je zu Chriftus ſtehen,
ihnen das eigentümliche Gepräge gibt.
So iſt es bei einem hl. Stephanus, der unter den Steinwürfen der
guden zu geſus aufblickt, den er zur Rechten der Araft Gottes ſtehen
ſieht. 50 war es bei einem hl. Paulus, der ganz in Chriſtus lebt,
fo bei einer hl. Agnes, die keine andere bräutliche Liebe kennt als
die Liebe zu geſus, fo bei einem hl. Auguftinus, der mit der Schärfe
feines Beiftes die Geheimniſſe des Bottmenfchen erforſcht, fo bei einem
hl. Ambroſius, der überall im Alten wie im Neuen Teſtament Chriftus
ſucht und ſieht, fo bei einem hl. Gregor, dem es die Hirtenliebe feines
meiſters angetan hat, fo bei dem hl. Benedikt, für den Chriſtus König,
Führer, Dater ift, bei einem hl. Bernhard, der von geſusminne trunken
iſt, bei einem hl. Franziskus, der nichts anderes will als buchſtäblich
in geſu Fußtapfen wandeln, bei einem hl. Thomas von Aquin, der
es ſelbſt aus dem Munde des Gekreuzigten vernehmen durfte, daß er
gut über ihn geſchrieben habe, fo bei einer hl. Gertrud, Mechtild,
Thereſia, Margareta Alacoque, dieſen Chriſtusbräuten, die der herr in
die Geheimniſſe feines heiligſten Herzens hat tief hineinſchauen laſſen,
fo bei den heiligen Franz von Sales, Paul vom kireuz, Alphons von
Giguori, die Chrifti Apoftolat, Chriſti Jüngerfchaft, fo wunderbar, aber
jeder wieder in feiner eigenen Weiſe in ſich ausgeprägt haben.
Das iſt alfo auch ein reicher ſeeliſcher Gewinn, den man aus der
Heiligenverehrung ziehen kann, wenn man erkennt, wie Chriftus im
Mittelpunkt ihres Sinnens und Trachtens, ihres Liebens und Wün⸗
ſchens, ihres Intereſſes und ihrer Freude ſteht. Alle die früher auf⸗
gezählten Mängel wahrer Frömmigkeit find in letzter Linie darauf
zurückzuführen, daß Chriſtus dem Herrn nicht die alles beherrſchende
Stellung eingeräumt wird. Unwillkürlich muß man an die alten
ftoloſſer denken, denen der hl. Paulus in einem feiner Briefe fo fehr
ins Gewiſſen redet, weil fie ſich mit allen möglichen abſonderlichen
389
Dingen abgeben, u. a. auch einem eigentümlichen Engelkult huldigen,
das einzig Notwendige aber verabſäumen: „ſie halten“, wie er ſagt,
„nicht am haupte feſt“ (Bol. 2, 19), ihre Frömmigkeit ruht nicht auf
Chriftus. Ift einmal die Frömmigkeit vom Chriſtusgedanken befeelt,
dann iſt es ganz unmöglich, daß ſie eckig und widerlich ausſieht. Im
Gegenteil, fie wird überaus liebenswürdig fein. „Ciebenswürdigkeit iſt
auf deinen Lippen ausgegoſſen“, ſingt der Pſalmiſt prophetiſch vom
Erlöfer; liebenswürdig muß auch die Frömmigkeit derer fein, die wahre
Abbilder Chriſti ſein wollen. A
Adspiciens a longe...
In Fernen ſchaue ich aus
Siehe, die Macht Gottes naht
Wolken breiten ſich über die ganze erde
Gehet hinaus
Gehet ihm entgegen und ſprechet:
„Sage uns, biſt Du es
Der herrſchen ſoll über Jfrael?“
O ihr Erdgeborenen alle, ihr Menſchenſöhne
Ihr Reichen und Armen alleſamt
Gehet hinaus
Geht ihm entgegen und ſprechet:
„Du Lenker Ifraels
Bomm!
Der goſeph führt, wie ein Hirt feine Herde
O fage uns, bift Du es?“
Schlagt eure Flügel auseinander, ihr ragenden Pforten
hebet euch, ewige Tore f
Daß der König der Herrlichkeit einziehe
Der herrſchen ſoll im Volke Ifrael!
Ehre ſei dem Dater
Und dem Sohn
Und dem heiligen Geift
In Fernen ſchaue ich aus
Siehe, die Macht Gottes naht
Wolken breiten ſich über die ganze Erde
Gehet hinaus
Geht ihm entgegen und [predet:
„Sage uns, bift Du es
Der herrſchen ſoll über Jſrael?“
Reſponſorium vom 1. Adventſonntag; wer hebr. 11, 13; Sir. 24, 6; If. 30, 27; Mt. 25, 6; Pf. 79, 3; Mt. 11, 3;
Pk. 1, 33; Pf. 48, 3; 79,2; 23,2 und Parallelen einfieht, ahnt den Quell der Araft diefes Stückes. R. Guar -
dinis Überſetzung erſchlen in den „Schildgenoſſen“ 4, 2 (1923) und erſcheint in einem Bändchen „Advent“
Verlag Deutſches Qulckbornhaus, Burg Rothenfels am Main).
390
Die liturgiſche Weltſprache.
Don P. Fidelis Böſer (Beuron).
ie vielen Millionen Menſchen, welche die Erde bevölkern, bilden
kraft ihrer Abſtammung von einem Menfchenpaare eine natür-
liche Einheit, eine große Familie. 50 lautet die Blaubenslehre. Aber
das iſt leider nur Theorie. In der Tat iſt von dieſer Einheit wenig zu
fpüren. Zu einer wirklichen Bemeinfchaft hat es die natürliche Zivili⸗
fation nicht gebracht, und Reine rein natürliche Kultur wird die zer⸗
ſplitterten Geifter zu einer Dölkerfamilie zuſammenzubringen vermögen.
Aber was die Natur nicht zu leiſten imſtande iſt, vermögen die
Aräfte der Übernatur. Im liturgiſchen Morgengebet der Weihnachts⸗
vigil ſingt der Kantor, wenn er aus dem Marturologium dem er⸗
wartungsvoll harrenden Chor das Feſtgeheimnis des kommenden Tages
verkündet: jesus Christus, aeternus Deus, aeternique Patris filius,
mundum volens adventu suo piissimo consecrare ... in Bethlehem
juda nascitur ex Maria Virgine factus homo. „ geſus Chriſtus, ewiger
Bott und des ewigen Daters Sohn wird — die Welt zu weihen
durch feine gnadenvolle Ankunft — in Bethlehem geboren im Lande
Juda, menſch geworden aus Maria, der Jungfrau.“ Mundum con-
secrare, „die Welt konſekrieren“, heißt hier ſoviel als die Welt, die
menſchheit entſündigen, vergöttlichen, die Menfchheit aus ihrer natür-
lichen und noch mehr aus ihrer ſündigen Niedrigkeit und Yerriffenheit
zur Teilnahme an der göttlichen Lebensfülle und Gebenseinheit erheben.
„Der menſch iſt etwas, was überwunden werden muß“, ſagt Nietzſche
mit Recht. Der Menſch mit feiner trennenden Jchſucht und die Menſch⸗
heit mit ihrem zerſplitternden, ichſüchtigen Nationalismus muß über:
wunden werden durch die vergöttlichende Ronſekrationsgewalt des
Chriftentums. „Die Dergöttlichung und heiligung vollzieht ſich auf dem
Wege des Kultus“, ſchreibt Abt Adefons herwegen. Dieſelbe Liturgie,
die unſere Opfergaben im Meßopfer „konſekriert“, konſekriert auch
die zerriſſene Menfchheit zu einer gottmenſchlichen Einheit, zu dem
einen und einigen muſtiſchen Chriſtus. Dieſer wahre Gedanke findet
einen Ausdruck im römiſchen Papſttum als dem ſichtbaren Weltmittel-
punkt und in der römiſchen Sprache als der liturgiſchen Weltſprache.
Wer in der liturgiſchen Kultſprache nur eine hiſtoriſche Erinnerung,
nur eine Reliquie aus vergangenen Tagen ſieht, an der konſer⸗
vative Zähigkeit feſthält, wird den Gedanken der Kirche nicht gerecht.
Wer die Beibehaltung der Römerſprache nur mit äſthetiſchen oder
muſikaliſchen Erwägungen motiviert, täufcht ſich und andere ebenſo,
391
wie P. Walter Straßer 5.9., der kürzlich in der Linzer Quartalſchrift
(1924, I. 319) meinte, die Forderung eines engeren Anſchluſſes ter
Meßteilnehmer an das Gebet des opfernden Prieſters könne nur durch
Stilrückſichten geſtützt werden. Rein hiſtoriſche oder äſthetiſche Gründe
wären nie imſtande geweſen, die ſeit dem Ende des Mittelalters immer
wieder laut werdenden Forderungen nach Liturgie in der Landes ſprache
wirkungslos verklingen zu laſſen.
nikolaus Gihr ſagt: Dieſe Forderungen nach der bandesſprache in
der Liturgie entſtammten „meiſt einem häretiſchen oder ſchismatiſchen
kirchen feindlichen Geift oder einem flachen Rationalismus, dem Sinn
und Derftänönis für Weſen und Zweck der katholiſchen Liturgie völlig
abgeht“. Im Weſen und Zweck der Liturgie iſt die Beibehaltung
des Latein durch die betende, opfernde und ſegnende Kirche begründet.
Die Liturgie iſt keine Privatandacht. Das Subjekt der Liturgie iſt
nicht der einzelne Prieſter oder Beter, auch nicht eine räumlich durch
die Mauern des Botteshaufes umgrenzte Gemeinfchaft, auch nicht ein
Volk, das zu einer ſtaatlichen und ſprachlichen Einheit zuſammen-
gewachſen und durch nationale Grenzpfähle von anderen Dölkern ge=
ſchieden iſt. Dieſes alle politiſchen Schranken überragende über⸗
nationale Subjekt der Liturgie hat ſich im Laufe der Jahrhunderte
im Kirchenlatein eine eigene übernationale Weltſprache geſchaffen, die
mit dem einheitlichen Glauben und dem einen Opfer unſerer Altäre
und dem einen römiſchen Papſttum ein Band der Einheit iſt, das alle
Ratholiken des Erdkreiſes umſchlingt.
Auch der Katholik iſt ein kind feiner engeren heimat und liebt
das Land, das ihn geboren hat, und die Berge, die fein Daterhaus
umgeben, und das Volk, deſſen Sprache er im gewöhnlichen Leben
redet, mit deſſen Charakter, Sitte und Literatur er vertraut iſt, und
deffen Gefchichte ihn mit edlem Stolze erfüllt. Aber der Katholik kennt
und liebt auch die hohe Aufgabe, die fein Dolk unter den Völkern
der Erde zu erfüllen hat, und er weiß, daß dieſe Aufgabe nur erfüllt
werden kann, wenn die übernationalen Güter einer alle Schranken
überragenden Wahrheit und Sittlichkeit, Religiofität und Gerechtigkeit
die getrennten Brüder vereinigen, und wenn eine höchſte Autorität
anerkannt wird, vor der auch die Träger der ktrone und die Staats-
lenker verantwortlich find, und in deren Tempel die babylonifche Sprach⸗
verwirrung ſich nicht ſtörend in die übernationale liturgiſche Gebets-
und Opfergemeinſchaft eindrängt.
Genug, wenn draußen vor den heiligen Toren die Wege auseinander-
gehen. Genug, wenn draußen außerhalb des liturgiſchen Raumes die
392
politiſchen, wirtſchaftlichen und ſprachlichen Intereffen die Menſchheit
ſpalten. Drinnen im Heiligtum ſchweige, was trennt, und rede nur,
was verbindet! Wenn ein deutſches Candeskind während des Welt⸗
krieges in der Fremde gefangen ſaß und nur fremdländiſche Laute
fein Ohr trafen, dann mochte es wehmütig und ſehnſuchtsvoll der
Heimat gedenken. Wenn dann am Sonntag auch noch der Gottes-
dienſt in der fremden Landes[prache gefeiert worden wäre, dann hätte
ſich die Seele auch vor Bott nicht daheim gefühlt. Dann hätten die
trennenden Schranken ſich in den Verkehr mit dem Allerhöchſten ein⸗
gedrängt und hätten den leuchtenden Friedensbogen über dem Opfer-
altar nicht ſchauen laſſen. Wenn aber in der vertrauten heiligen hand-
lung auch die von Kindheit auf vertraute liturgiſche Sprache erklang,
dann kam Troft und Freude ins herz. Wie eine weiche, fanfte Mutter»
hand legte ſich der Segen der ktirche auf das haupt. Die liturgiſche
Mutterſprache ließ für eine Stunde das Leid der Gefangenſchaft ver⸗
geffen und die ideale Einheit des chriſtlichen Dölkerbundes empfinden.
Guardini nennt gelegentlich die kirche „das objektive Reich Gottes
ohne Grenzen und Enden, das unter dem Rreuze ſtehende Alles“.
Das fireuz ſteht im Mittelpunkt des Reiches. Am kireuze orientiert
ſich alles. Don der höhe des hiſtoriſchen Kreuzes glänzt ſchon
die lateiniſche Weltſprache und kündet allen Bürgern des neuen Reiches
die Mundart der neuen Weltliturgie. Das hiſtoriſche kreuzesopfer iſt
in GCatein gefeiert worden. Pilatus war ein Römer. Die Sprache der
blutigen Opferliturgie auf Golgatha war alfo Latein. Das Todes-
urteil, ibis ad crucem, wurde in lateiniſchen Worten von demjenigen
ausgeſprochen, der nach Chriſti Wort von oben die Macht über den
menſchenſohn erhalten, dem alfo von oben der Auftrag gegeben war,
die blutige Liturgie zu vollziehen. In derſelben römiſchen Weltſprache
feiert nun die römiſche Weltkirche die unblutige Opferliturgie der hei-
ligen Meſſe und wird fie feiern ſolange bis dem letzten katholiſchen
Driefter vor dem jüngften Tage mit dem Wanderſtab des Lebens auch
der Opferkelch aus der ſterbenden Hand entfällt.
Daß zeitweilig die Citurgieſprache griechiſch war und daß im Orient
die abendländifche biturgieſprache kaum Verbreitung fand, ſpricht ebenſo⸗
wenig gegen unſere lateiniſche Weltſprache wie daß einige kleinere
Dölkerfchaften vom Papſte das Zugeſtändnis einer nationalen Ault=
ſprache erhalten haben. Auch da, wo vor Jahrhunderten eine nationale
Kultſprache bewilligt wurde, iſt heute aus der damaligen lebendigen
Sprache eine tote Sprache geworden. Das Volk fpricht dort heute
anders im gewöhnlichen Umgang als der Prieſter am Altare. 50 ſehr
893
iſt die Forderung einer un veränderlichen, der Umdeutung durch
das gewöhnliche profane Leben entzogenen liturgiſchen
Sprache naturgemäß, daß ſie ſich immer wieder durchſetzt. Es er⸗
ſcheint uns natürlich, daß der Prieſter nicht im Alltagsgewand der
Straße an den Altar tritt. Und ebenſo entſpricht es auch dem natür⸗
lichen Gefühl, daß er mit feinem Gott und Herrn im offiziellen Gottes-
dienfte nicht die Sprache des gewöhnlichen Verkehrs redet.
Zu allen Zeiten haben die Dol metſcher auch im religiöfen und
kultiſchen beben eine Rolle geſpielt. Schon Epiphanius ſpricht von
den „Überſetzern“, zounvsural, im Bottesdienft. Eufebius berichtet von
einem Märturer aus der diokletianiſchen Derfolgungszeit, der Lektor,
exorziſt und „Dolmetſch“ war. Ahnliches erzählt die abendländiſche
Pilgerin Atheria vom Bottesdienft in Jerufalem im 4. Jahrhundert.
Heutzutage iſt das alles wefentlich einfacher, wo jeder Rirdyenbefucher
ohne allzugroße kioſten eine Überſetzung der Meßtezte und Defper-
pſalmen in der hand haben kann und ſo in der Lage iſt, Schritt für
Schritt der liturgiſchen Handlung zu folgen und ſich dem betenden und
opfernden Prieſter anzuſchließen. ö
Dieſer Anſchluß an die Ecclesia orans et sacrificans, die betende
und opfernde Kirche, wäre noch inniger, innerlicher und allgemeiner,
wenn die Schule mehr zum Derftändnis der Liturgie erziehen würde.
In den Richtlinien für Erteilung des Religionsunterrichtes, die un⸗
längft für die preußifchen Bistümer veröffentlicht wurden, wird als
Ziel feſtgeſetzt: „die religiös⸗ſittliche entwicklung der Rinder zu einer
ſolchen Reife zu bringen, daß fie beim Austritt aus der Schule fähig,
geneigt und gewillt ind, ihre religiös⸗ſittlichen Pflichten nach der Lehre
und dem Vorbild Chriſti als lebendige Glieder der Kirche zu erfüllen.“
Die ktirche iſt nach dem Ausdruck Buerangers „die Geſellſchaft vom
Gotteslob“ und ſtellt in erſter Linie nach der Lehre St. Auguſtins eine
Opfergemeinſchaft dar. Als lebendige Glieder dieſer Kirche müſſen
die Rinder beſonders fähig, geneigt und gewillt fein, mindeſtens alle
Sonntage Bott im Derein mit dem hoheprieſter geſus Chriftus das
Opfer des Lobes und der Anbetung darzubringen. Sicher wären unfere
Schulkinder und unſere ſchulentlaſſenen gungen und Mädchen noch
viel mehr als gewöhnlich „fähig, geneigt und gewillt“, wenn ſie im
Religionsunterricht etwas weniger intellektualiſtiſch, dafür aber mehr
praktiſch in das kirchliche Leben eingeführt worden wären.
Dazu gehört aber in erfter Linie das Derftändnis auch für den Wort-
laut, für den reichen Inhalt und die wunderbare Schönheit der Gebete,
mit denen die kirche ihre heiligen handlungen umgibt.
394
Unfere Schulkinder haben eine große Freude, wenn fie die latei⸗
niſchen Gebete und Gefänge der heiligen Meſſe lernen und zwar latei⸗
niſch lernen und beten dürfen. Wenn fie dazu von den unteren Volks-
ſchulklaſſen an ſtufenweiſe angeleitet würden, wäre die Arbeit keine
allzuſchwere, aber eine ſehr lohnende. Der ſchönſte Lohn für den
kiatecheten wäre ſicher die Wahrnehmung, daß die kinder lieber in
die heilige meſſe gehen und während derſelben ſich nicht fo unan⸗
dächtig benehmen und dann einmal als gungmänner und Jungfrauen
nicht klagen über das lateiniſche Beten und Singen und genau wiſſen,
welch ein weſentlicher Unterſchied beſteht zwiſchen' einer proteftan-
tiſchen Erbauungsſtunde und dem katholiſchen Opfergottesdienſt.
In den fünf unteren Schulklaſſen wäre ohne allzu große Schwierig⸗
Reit zu erreichen, daß alle Kinder die Miniftrantengebete dem
lateiniſchen Wortlaut ſowie der liturgiſchen Bedeutung und dem
inneren Derftändnis nach fi) zu eigen machten. Dazu könnten noch
die Tete des Ordinarium missae treten, foweit fie die Rinder
jeden Sonntag vom Kirchenchor fingen hören, alſo das Kurie, das
Gloria und Credo, ferner das Sanctus mit dem Benedictus und das
Agnus Dei, das Asperges me, das Deni creator Spiritus und das
Tantum ergo mit dem Reſponſorium des ſakramentalen Segens. Dieſe
Texte könnten in den Schulmeſſen gemeinſam mit dem zelebrierenden
Prieſter laut gebetet werden!. Wenn die Meßgebete nicht bloß me⸗
chaniſch auswendig gelernt, ſondern auch erklärt, die wichtigſten Aus-
drücke wie Köpios, Dominus, Deus, gloria, terra, coelum, saeculum,
gratia, peccatum u. a. m. mit ihrer Überſetzung dem kindlichen Be-
dächtnis eingeprägt und die Stellung der Texte im Rahmen der Meß⸗
liturgie genügend durchgeſprochen wären, dann hätte der Religions-
unterricht den Rindern einen ſehr guten Erſatz geboten für all das,
was ihnen zum Beten innerhalb der Meſſe vorgeleſen oder in die
Hand gegeben wird. |
Die Abtei Maria-Laad hat ſoeben als 8. Heft ihrer „Giturgifchen Dolks-
büdjlein” bei Herder in Freiburg eine empfehlenswerte Anleitung zu diefer Form der
Meßandacht herausgegeben unter dem Titel „Die Chormeſſe“. Im Dorwort wird das
Weſen und die Berechtigung dieſer zwiſchen hochamt und Privatmeſſe ſtehenden Ge-
meinſchafts meſſe klargelegt und eine mit den kirchlichen Dorfchriften übereinſtimmende
Form des „Opfergangs“ beſchrieben. Im lateiniſchen Text find die Teile, die gemein ·
ſam geſprochen werden ſollen, durch Fettöruck hervorgehoben. Paufezeichen erleichtern
das einheitliche Beten. Die Gratiarum actio des Priefters iſt als gemeinſames Dank-
gebet nach dem letzten Evangelium beigefügt. Eine ähnliche Anleitung bietet gleich;
zeitig P. J. Aramp 8. q. mit feiner »Missa« (Regensburg, Röõſel u. Puſtet). Das ſchmucke
Büchlein ift der neudeutſchen Jugend gewidmet. R. Suardinis, „Semeinſchaftliche
Andacht zur Feier der heiligen Meffe” (88.— 110. Taufend; Düſſeldorf, Schwann 1924)
war ein Weg zur „Chormeſſe“; fie bringt die Gebete nur deutſch.
395
Die drei oberen Schuljahre könnten in die handhabung eines
deutfch-lateinifhen NMeßbuches einführen. Die wechſelnden
Beftandteile der ſonn- und feſttäglichen Meſſen könnten durch-
geſprochen werden. Die Anfänge der Introitus ſollten die Kinder aus⸗
wendig wiſſen, jo daß die Sonntage mit dieſen echt liturgiſchen Be⸗
zeichnungen nicht nur bei den Proteſtanten und in Jagdfprüdjlein,
ſondern allgemein wieder im Volksmund bekannt würden. Für dieſe
Dorfchule wären dem kiatecheten namentlich auch unſere Kirchenchor⸗
dirigenten dankbar; denn die Einübung der Gefänge aus den Pro-
perium de tempore würde ihnen ſo weſentlich erleichtert.
Für unſere Gebildeten aber, worunter ich nicht bloß unfere
Akademiker und die Abiturienten unſerer humaniſtiſchen Symnafien,
ſondern auch u. a. unſere behrer und Lehrerinnen verſtehe, möchte ich
ein ernſtes Wort hieher ſetzen, das nicht meinem Kopfe entſprungen,
und auch ſonſt nicht von irgend einem unmaßgeblichen Geiſte aus-
geſprochen worden, ſondern einem offiziellen Aktenſtücke des gegen⸗
wärtigen hl. Daters entnommen ift. In den Acta apostolicae Sedis vom
Jahre 1922 (S. 453) ſteht der Satz: In quopiam homine laico, qui
quidem sit tinctus litteris, latinae linguae, quam dicere
catholicam vere possumus, ignoratio quemdam amoris
erga ecclesiam languorem indicat. „Jeder Laie, der von
Bildung einigermaßen berührt ift, verrät eine gewiſſe Kälte
und Gleichgültigkeit gegen die kirche, wenn er die lateiniſche
Sprache nicht verſteht, die man mit Recht als die Sprache der
Katholiken bezeichnen kann.“
Die lateiniſche Sprache iſt für den Katholiken eine Art Mutter-
ſprache. mit dieſer Sprache iſt er in den Mutterſchoß der Kirche
aufgenommen worden. In dieſer Sprache wurden und werden ihm die
heiligen Sakramente geſpendet. Die wichtigſten Schritte feines Lebens
ſind mit Worten dieſer Sprache geſegnet worden. Dieſe Sprache klingt
an fein Ohr beim Muſterium des heiligen Meßopfers, alſo in dem
heiligſten Augenblick, auf dem höhepunkt unferer irdiſchen Wander⸗
(haft. In dieſer Sprache redet der Dater der Chriſtenheit, der Papſt
in Rom, zu feinen Rindern in der ganzen Welt. Wer alſo Anſpruch
darauf macht, daß er zu denen gehört, von denen Pius XI. den be⸗
zeichnenden Rusdruck braucht tinctus litteris, wer alſo ſich zu den
gebildeteren Dolkskreifen rechnet, wer mehr zu lernen Gelegenheit und
Fähigkeit beſitzt als der Dolksſchulbeſucher im allgemeinen, der ſollte
foviel Liebe zu feiner Mutter, der Kirche, und ſoviel Intereſſe
an ihren offiziellen &undgebungen, namentlich in der Liturgie, zeigen,
396
daß er die Sprache feiner Mutter einigermaßen zu verſtehen ſich bemüht.
So ſchwer iſt das nicht, und das lockende Ziel lohnt die kleine Mühe.
Das Ziel wäre ſchon lockend und lohnend genug, wenn es bloß im
beſſeren Derftändnis der Liturgie und in der Möglichkeit engeren An⸗
ſchluſſes an die betende, opfernde und ſegnende kirche beſtünde. Aber
die kenntnis der lateiniſchen Sprache bietet — von allen anderen Vor-
teilen abgeſehen — einen doppelten reichen Gewinn, die niemand unter
ſchätzen darf: Junächſt bildet die klenntnis des Latein den Schlüſſel
zu den Quellen aller höheren Bildung. Rein Bildungszweig läßt
ſich eingehend ftudieren, ohne daß man immer wieder auf die latei⸗
niſche Sprache ſtößt. Die lateiniſche Kultur ift eben die Durchgangs-
pforte für die gegenwärtige Kultur aller europäiſchen Nationen ge⸗
weſen. Daran kann keine politiſche Macht und keine techniſche, wirt⸗
ſchaftliche oder wiſſenſchaftliche Entwicklung etwas ändern.
Den andern Gewinn, den uns eine allgemeinere Derbreitung der
Oateinkenntnis brächte, wäre der Beſitz einer Weltſprache. Wenn
eine Sprache nach ihrem Weſen und nach ihrer Geſchichte berufen iſt,
Weltſprache zu ſein, dann iſt es die lateiniſche. Sie iſt Weltſprache
geweſen in der Zeit, als Rom durch feine begionen das Abendland und
das Morgenland beherrſchte und durch ſeinen Derwaltungsapparat einte.
Und als das Rom der Cäſaren zum Rom der Päpſte geworden war
und die Wogen der Völkerwanderung ſich verlaufen hatten, da war
die Römerſprache die Sprache der geſamten gebildeten Welt. Als
Wurzelſprache liegt ſie heute noch einer ganzen Reihe von lebendigen
Sprachen zu Grunde. War das Latein eines Cäfar und Cicero ſchon
fähig, in allen bändern geſprochen zu werden, fo ift die Sprache der
Liturgie, die Sprache der Dulgata, die Sprache der Rirchenväter und
die Sprache der mittelalterlichen Wiſſenſchaft, die Sprache, die wir in
den Denkmälern der nachklaffifhen lateiniſchen Literatur vor uns
haben, noch viel vollkommener für den Beruf als Weltſprache geeignet.
Das klaſſiſche Latein war die Sprache der Tat und der herrſchaft, die
Sprache der Geſetzgebung und des Rechtes. In der Zeit des Hellenismus
ı Das Kirchenlatein ift weſentlich leichter als das klaſſiſche Patein, das auf dem
Sumnaſtum den Gegenftand neunjährigen Studiums bildet. Zur Einführung dienen
u. a. Bauer, B., „Praktiſches handbuch zum Erlernen der lateiniſchen Kirchen ſprache“
(Baden- Baden 1899); Zwior, J. und Ries, J. je eine „Einführung in die lateiniſche
Kirchenſprache“ (Freiburg, 1923 bezw. Regensburg“, 1923); auch von P. F. X.
Brors ſoll (bei Bercker in Aevelaer) eine ſolche erſchienen fein. Schließlich gibt [o-
eben E. Peitl den erften Teil feines auf drei Bändchen berechneten vorzüglichen Werkes:
„bateinbudy für Erwachſene“ heraus (München 1924, Köfel und Puſtet, Gehrmittel-
abteilung; nähere Beſprechung folgt).
397
und der Kirchenväter verband ſich mit dieſem altrömiſchen Geiſte der
Genius des Griechentums und der Genius des Orientes. Der griechiſche
Geift ift der Geift der Philoſophie und der Spekulation. Ihm ver⸗
dankt das Kirchenlatein die klaren, beſtimmten und zutreffenden Aus-
drücke für alle Beziehungen des menſchlichen Gedankens und für alle
Bedürfniſſe der Dergangenheit und Gegenwart. Der orientaliſche Beift
iſt der Geift der Betrachtung, der de p, der Beift des Symbolismus,
der Phantaſte und Poeſie. Sollte die Sprache der Tat und des Rechtes
und der Herrfchaft eine Sprache des Glaubens und der Liturgie werden,
dann mußte fie befruchtet werden von dem Genius des Orientes, und in
der Tat wurde unter feinem Einfluß das Rirchenlatein wunderbar geeignet
für den Ausdruck einer idealen Betrachtung der Welt, für die Ausfprache
einer gottmenſchlichen Anſchauung der irdiſchen Dinge. Die Sprache
der Zeit nahm auf die deen der Ewigkeit. Das ſcharfgeſchliffene
Römerſchwert umwand ſich mit dem Blütenranken orientaliſcher Poeſie
und ward aus einer kriegs waffe welterobernder Herrfchfucht zu einem
Friedens werkzeug weltüberwindender und länderverbindender Liebe.
Die lateiniſche Sprache iſt die providentielle liturgiſche
Weltſprache. Eine Weltſprache wird nicht gemacht wie Dolapük und
Esperanto (vgl. Salzb. kirchenztg. 1924, 26 u. 28); fie iſt ein Natur⸗
gewächs. Wenn nun die Dorfehung ein ſolch herrliches Naturgewächs,
eine ſolch reiche, wohlklingende, philoſophiſch und künſtleriſch gleich
wertvolle Sprache zum Organ der Weltkonſekration und tatſächlich in
der Liturgie und in der theologiſchen und philoſophiſchen Gelehrtenwelt
zur Weltſprache hat werden laſſen, ſo liegt doch die Frage nahe: Wozu
denn in die Ferne ſchweifen? Wozu ſollen katholiken und katholiſche
Prieſter ſich um andere Weltſprachen bemühen? heißt das nicht von
vornherein verzweifeln am Hohenpriefter der Menſchheit, der vom litur⸗
giſchen Opferaltar aus durch ſeine Kirche die Weihe der Welt durch⸗
führen will? Verzweifeln am hl. Beifte, von dem die Kirche ſingt:
qui per diversitatem linguarum cunctarum gentes in unitate fidei
congregasti, „der Du über alle 8prachverſchiedenheiten hin die Dölker in
dem einen Glauben geeint haft“? Wir alle, Priefter und Laien, können
und ſollen mitarbeiten, daß die liturgiſche Weltſprache auch außerhalb
des liturgiſchen Heiligtums zu einem Bande des Friedens und der Ein-
heit werde. Daß vom liturgiſchen Muſterium, das eine neue Zeit und
eine weiter verbreitete Kenntnis des Latein tiefer erfaßt und inniger mit⸗
erlebt, immer mehr ausſtrahle die welterobernde Macht des katholiſchen
Gedankens und die weltüberwindende Araft der chriſtlichen Liebe.
& *
398
dur Geſchichte des Kloſterſeminars in Scheuern
vor dem Jahre 1803.
Don Oberftudiendirektor a. D. M. Rottmanner (München).
n feiner verdienſtvollen Schrift „Seminar und Studienanſtalt im
Benediktinerſtifte Scheuern“ (Rempten 1904) beklagt es P. Anfelm
neubauer, daß über das genannte Seminar, wie es vor der Säku⸗
lariſation beſtand, die Quellen nur ſehr ſpärlich fließen. War doch der
Derfaffer in dieſer Hinſicht faſt ausſchließlich auf „Thaddäus Sibers
Selbſtbiographie bis 18037“ (München 1896) angewieſen. Nun aber
barg das kloſterarchiv in Andechs, wie eine Unterſuchung ergab, bis
vor wenig Jahren eine vollftändige, bis in fein Todesjahr fortgeſetzte
Selbſtbiographie Sibers. Dieſe iſt zwar mittlerweile auf eine nicht ganz
unerklärliche Weiſe verſchwunden; aber eine glücklicherweiſe vorher
genommene Abſchrift des Manuskripts ſetzt uns in den Stand, über
das Seminar in Scheuern und ſeine Einrichtungen vor 1803 durch einen
vertrauenswürdigen Jeugen Nuthentiſches und mehr zu erfahren, als
es bisher möglich war. .
Thaddäus Siber, geboren den 8. September 1774 als der Sohn
des Stadtſchreibers Johann Kafpar Siber zu Schrobenhauſen, kam zu
Weihnachten 1783 als Zögling in das kloſterſeminar von Scheyern,
wo er bis zum Herbft 1786 blieb. Hierauf bezog er das Gumnaſium
zu St. Salvator in Augsburg 1785— 91, trat dann zu Scheyern in den
Benediktinerorden, ward 1801 Profeſſor der Mathematik und Phuſik
am biſchöflichen Cyceum in Freifing, lehrte des weitern in Paſſau und
München und beſchloß in letzterer Stadt als Univerſitätsprofeſſor (ſeit
1826) fein beben am 30. März 1854.
Dem Seminar in Scheyern und ſeiner beitung zollte der einſtige
Schüler zeitlebens Dank und Anerkennung, wie auch aus folgenden
Stellen feiner vollſtändigen, noch ungedruckten Selbſtbiographie hervor-
geht. 1
„Dor meinem ſiebenten bebensjahre mußte ich ſchon anfangen latei⸗
niſch zu lernen und zwar bei demſelben Geiſtlichen Zaubzer, der auch
mein Religionslehrer war!. Ich weiß nicht mehr, welche Grammatik
zu Grunde gelegt wurde, und erinnere mich nur ſoviel, daß bei dem
Unterrichte mit vieler Strenge verfahren wurde. Indeſſen muß ich ge⸗
ſtehen, daß ich einige Fortſchritte gemacht habe; denn als ich 9 / Jahre
alt an das Seminar des kiloſters Scheyern verpflanzt wurde, war ich
ſchon imſtande mit den mittleren gleichen Schritt zu halten.
399
Diefem Seminar und dem eifrigen Lehrer an demfelben, Benedik⸗
tiner Otto Enhueber?, verdanke ich meine ganze wiſſenſchaftliche
baufbahn. Ich bin zwar den Seminarien nicht hold, aber von dem
unſeren muß ich geſtehen, daß es alles Lob verdiente. Aber auch nur
deswegen, weil die Anzahl der Yöglinge nur klein, nämlich nur 12 war
und daher von einem Manne überſehen werden konnte und weil dieſer
Mann gerade die Eigenfchaften befaß, die ihn hiezu geeignet machten.
Die Ordnung des Hauſes war eine ſtrenge und außer den kurzen
Erholungszeiten war kein Augenblick, der nicht feine beſtimmte Be⸗
ſchäftigung hatte. Morgens 4½% Uhr wurden wir durch das »Lau-
detur Jesus Christus« unſeres Lehrers aufgeweckt, machten ſchnell
unſere Toilette und verſammelten uns in dem (im Winter ſchon ge⸗
heizten) Schulzimmer, um uns dann unter einem bedeckten Gange zu
einer ungefähr 1000 Schritte entfernten Kapelle zu begeben, wo um
5 Uhr alle Dienſtboten des kloſters mit dem Pater Großkellerer zu⸗
ſammenkamen, denen einer von uns das Morgengebet vorleſen mußte.
In 15 Minuten war alles geendet und wir kehrten wieder in unſer
Schulzimmer zurück, wo wir unſern Anzug etwas verbeſſerten, bis
/ auf 6 Uhr, wo nach einem neuen Gebete unſere Studierzeit begann,
die nur um ungefähr ½8 Uhr durch den Genuß eines Frühſtücks (aufs
geſchmelzte Waſſerſuppe) unterbrochen wurde.
Um 9 Uhr kam der Lehrer aus feinem Zimmer, um, wie man es
nannte, Lektion zu halten, d. h. uns über das Gelernte auszufragen
u. dgl. Nach der Sitte der damaligen Zeit konnte dies ohne Strafe
nicht abgehen und ich muß geſtehen, daß vielleicht keine Lektion vorüber⸗
ging, ohne daß die Ochſenſehne auf dem Poder der Unwiſſenden ihr
Spiel zu treiben hatte. Schläge wurden daher ſehr viele, aber ich muß
auch geſtehen, nicht ſehr mächtige verteilt.
Um 10 Uhr gingen wir zum täglichen Hochamte in der Kloſterkirche,
bei dem wir entweder auf dem Chore fingen oder, wenn das Amt,
wie man's nannte, nicht figuriert war, in der kirche knieen mußten,
wovon wir gegen / auf 11 Uhr zurückkamen und die Zeit bis zum
Mittagseſſen (/ über 11 Uhr) zur Mufikübung verwenden konnten.
Das Mittagseſſen dauerte bis 12 Uhr. Dabei waren wir aber nicht
müßig. Abwechſelnd hatte einer von uns die Aufgabe, dem an un⸗
ſerem Tiſche ſpeiſenden Lehrer die Überſetzung eines kurzen Stückes
aus der bibliſchen Geſchichte vorzutragen, wobei er und auch wir
übrigen das Richteramt verſahen. Zugleich hatten wir jedesmal eine
Seite von Schellers kleinem Wörterbuch' auswendig zu lernen und
uns wechſelſeitig auszufragen. Nach Tiſch war kurze Erholungszeit;
400
denn bald nach 12 Uhr kam entweder der Pater Chorregent oder der
ktammerdiener des Herrn Prälaten“, um Singunterricht zu geben, der
bis 2 Uhr währte.
nun verfügte ſich wieder jeder an ſeinen Platz, um ſich entweder
auf die an Schultagen (an Dakanztagen hatten wir Erholung bis 4 Uhr)
um 3 Uhr beginnende Lektion vorzubereiten oder das diktierte Thema
zu bearbeiten.
Um 4 Uhr kam abermals der Muſiklehrer bis / auf 5 Uhr, wo
Zubereitungen zum Abendmahle gemacht wurden, welches wieder bis
6 Uhr dauerte und uns wieder Zeit ließ, eine Seite des Wörterbuches
auswendig zu lernen und darüber zu examinieren.
Um 6 Uhr waren wir ganz frei und unſerem jugendlichen Genius
im Schulzimmer, das mit dem des Lehrers verbunden war, überlaffen.
Ich leugne nicht, daß es in dieſer Zeit oft ziemlich luſtig herging.
Um 7 Uhr bereiteten wir uns wieder auf die Lektion des kommenden
Tages vor, um / auf 8 Uhr wurden wir zum Nachtgebete gerufen und
gingen ſodann um 8 Uhr unter ſtrengem Stillſchweigen zu Bette.
Don dieſer täglichen Ordnung erlaubten nur die Dakanztage (Diens»
tag und Donnerstag) und Feiertage eine Abweichung. An hohen Feſt⸗
tagen ward uns auch die Erlaubnis nach dem Abendmahle bis 9 Uhr
zuſammen zu bleiben, wobei uns ſelbſt noch für jeden ein Quart weißes
Gerſtenbier zugeſtanden wurde.
Ich glaubte dieſe Tagesordnung hier anführen zu müſſen, teils um
den damaligen Geiſt der Seminarien und die erfahrene Behandlung,
teils um die Art und Weiſe kennen zu lehren, wie man die folgenden
Reſultate hat erreichen können.
mir wollte anfangs die ſtrenge Ordnung nicht ſehr gefallen. Ich
hatte einen lebendigen Beift und ein gutes Gedächtnis, daher war
meine Aufgabe im väterlichen Haufe immer bald gelöft. Die übrige Zeit
war mir anheimgegeben, ich konnte ſie verwenden, wie's mir eben be⸗
liebte. Die Strenge, mit welcher nun die Ordnung hergehalten wurde,
ſprach mich nicht ſehr an. Als daher meine liebe Mutter am 25. Jän-
ner [1784] zu ihrer Schweſter nach Pfaffenhofen, das eine Stunde
von Scheyern, gekommen war und mich zu ſich gerufen hatte, bat ich
fie mich einem anderen Stande, etwa der Bartfchererei zu widmen.
Allein meine Mutter und meine Tante beſchwichtigten mich mit der
Außerung, ich müſſe erſt Catein lernen; dann könne ich werden, was
ich wolle. 80 kehrte ich voll hoffnung wieder zurück und gewöhnte
mich in kurzer Zeit auch in die mir anfangs ſo läſtige Ordnung.
Die Gegenſtände, die uns beſchäftigten, waren lateiniſche Sprache nach
401
Schellers kleiner Grammatik, Arithmetik nach Spengler‘, deutfche
Sprache nach einem mir nicht mehr bekannten Buche, Religionslehre
nach Felbigers“ fiatechismus, Bibliſche Geſchichte und Singen. Im
letzteren machte ich nie Fortſchritte. Die Natur hat mir muſikaliſches
Gehör verſagt und meine ganze Stärke beſtand darin, ein Tutti mitzu⸗
ſchreien, nie aber konnte ich ein Solo zuſtande bringen. Ein einziges,
zu dem man mich dreſſiert hatte, war richtig verfehlt, ſobald das Acco-
pagnement auf dem Chore mich ſtörte, obſchon ich es außerdem ziem⸗
lich ordentlich herabſingen konnte. Die Muſiklehrer gaben mich daher
auch bald auf und ich gewann dadurch den Vorteil, daß ich von m
Singunterrichte freigeſprochen wurde.
Man ſieht aus den angeführten behrbüchern, daß ſich unſer Gehrer
(don damals, das ift 1782, von den jeſuitiſchen Lehrbüchern, die an
mancher Schulanftalt noch herrſchend waren!“, ferne gehalten und das
Beſte ohne Vorurteil und £onfeffionsabneigung gewählt hat.
neben dieſen behrbüchern waren uns anfangs Schellers Lectiones
breves ii, dann Cornelii Nepotis Vitae und fpäter Ciceronis Epistolae
selectae, wie ſie, wenn ich nicht irre, Stockhauſen!“ herausgegeben
hat, vorgeſchrieben.
Ich muß dabei bemerken, daß es ſich unfer behrer zum Geſetz ge⸗
macht, nichts vorzuerklären, ſondern die Erklärung ganz unſerem
Fleiße und Nachdenken zu überlaſſen. Es iſt wohl wahr, daß ſich
dadurch manche lächerliche Interpretation ergab; aber ſie war doch die
Folge unſeres Nachdenkens und darum wohltätig auf die Entwicklung
unferes Denkvermögens und auf die Einprägung lateiniſcher Wörter.
Da wir zugleich die überſetzten Stellen auswendig lernen mußten, ſo
gewannen wir unvermerkt und zuſehends eine bedeutende Copia ver-
borum. Wer Ciceros Briefe auch in diefer Ruswahl ſtudiert hat, weiß,
daß ſchon bedeutende Gewandtheit dazu gehört, um ſie richtig über⸗
ſetzen zu können.
Ich muß noch manchmal lachen, wenn ich mich erinnere, wie es
mir mit der Überſetzung eines dieſer Briefe ergangen iſt. Er fängt ſo
an: »Permagni interest, quo tempore literae tradantur is. Nach der
Regel, daß interest den Genitig der Perſon, welcher daran liegt, for⸗
dert und daß ein großer Buchſtabe im Latein einer Perſon zugehöre,
erklärte ich in der Lektion ganz gutmütig und in voller Sicherheit
meiner Sache: „Es liegt dem Permagnus daran“ etc. Welches Ge⸗
lächter über meine Erklärung ausbrach und wie ich länger als ein
halbes gahr den Spitznamen eines Permagnus tragen mußte, habe
ich nie vergeſſen.
Benediktiniſche Monatſchrift VI (1924), 11— 12. 25
402
Um uns im Datein auf alle Weife zu üben, wurde von unferem
Cehrer auch lateiniſches Sprechen eingeführt und da ich, goſeph Furt⸗
mayr!* und Andreas Wedl! die beften unter unſern Mitſchülern
waren, wurde uns unter Strafe eines Pfennigs für jedes deutſche Wort,
das wir in feſtgeſetzten Zeiten ſprachen, das lateiniſche Reden zur
Pflicht gemacht. Nun entwickelte ſich dadurch wohl manchmal ein
Datein, das ins Lächerliche fiel, aber wir gewannen Gewandtheit und
Auverfiht. Die Patres unferes Kloſters und vorzüglich der alte herr
Prälat Michael!“, der ein großer Freund der Jugend war, ergötzten
ſich oft an unſerer Derlegenheit und hatten ihren Spaß mit uns, wenn
wir einem derſelben begegneten, indem ſie uns lateiniſch anredeten und
über unſere nicht ſelten ungereimten Antworten herzlich lachen mußten.
Ich gewann dadurch auch fo viele Fertigkeit, daß ſich mein Lehrer
darauf etwas zugute zu tun ſchien; denn er introducierte mich überall,
wo ihm daran lag, für die Refultate feines Unterrichtes und feiner
Schule eine vorteilhafte Meinung zu erzeugen, unter andern auch in
dem Stifte St. Emmeram in Regensburg und vor dem gefürſteten Abte
desſelben Frobenius Forſter!“, bekannt durch feine herausgabe von
Alcuins Werken. Dahin führte er mich in den Ferien [1785] und muß
wahrſcheinlich von meinem Latein großes Aufhebens gemacht haben;
denn ich wurde zu dem Herrn Fürftabt gerufen, der mich ſogleich in
lateiniſcher Sprache anredete und das ganze Geſpräch auf dieſe Weiſe
fortführte. Im Stifte verbreitete ſich die Wunderſage, daß ein finabe
von 11 Jahren hier fei, der ohne Verlegenheit latein ſpreche. Dies
brachte mir manche Bunftbezeigung von Seite der 8. h. Konventualen
zuwege, aber verurſachte auch, daß ich von jedem, der mir begegnete,
lateiniſch angeſprochen wurde. Daß ich mir ſelbſt darauf nicht wenig
einbildete, ließ ſich von meinem Alter erwarten.
Ahnliche Fortſchritte hatten auch meine beiden Kommilitonen ge⸗
macht und als wir das nächſte Studienjahr verſchiedene Symnafien
bezogen, konnte uns ein ausgezeichneter Fortgang nicht fehlen. Und
wirklich behauptete ich am Bymnafium zu Augsburg den erften, Jo»
ſeph Furtmaur in Regensburg den zweiten, Andreas Wedl in Heu»
burg den erſten Platz. Dieſe beiden hatten vor mir noch den Vorzug,
daß ſie gute Sänger waren, was, wie geſagt, mir gänzlich mangelte.“
*
Aus den weiteren Aufzeichnungen Sibers erfahren wir, daß auch
in Scheyern an die beften Schüler des kloſterſeminars am Schluß des
Schuljahres Preifebücher verteilt wurden. 50 erhielt Siber einmal
Riopftocks Meſſias, das Werk eines Proteſtanten, woraus hervorgeht,
403
daß ſchon die damaligen Benediktiner nicht bloß in der Wahl der
behr⸗ und Unterrichtsbücher von Ronfeffioneller Ausfchließlichkeit un⸗
beeinflußt waren. Hatte doch auch die Philoſophie Kants in baye=
riſchen Klöftern Eingang gefunden.
In einem andern Jahr erhielt Siber als Preis eine von Leo Peter⸗
nader, einem Benediktiner von Kremsmünſter, 1776 herausgegebene
griechiſche Grammatik, die auch in Bayern Eingang fand. Peternader
war am 6. Nov. 1734 zu Kitzbühel geboren und ſtarb am 16. Juni 1808.
Anmerkungen.
Franz Xaver Jaubzer aus Donauwörth, 1772 in Ingolſtadt als cand. theol.
immatrikuliert, war 1778 — 1785 Kaplan in Schrobenhaufen.
Otto Enhueber, geb. den 17. nov. 1738 zu Nabburg, Inſpektor des Seminars
in Scheyern, zweimal Prior, dann Subprior, + den 19. Juli 1808 zu Euernbach bei
Scheuern. Seine Vorgänger als Inſpektoren des Seminars waren Angelus Merz
+ 1784, Gudwig Alteneder + 1776 und Joh. Ev. Manikor 1 1769.
Immanuel Scheller, geb. 1735 zu Ihlow, + 1803 als Rektor in Brieg, ließ
fein „Kleines lateiniſches Wörterbuch“ und feine „Kurzgefaßte lateiniſche Sprachlehre“
zuer ft 1780 erſcheinen.
Abt von Scheyern war damals ſeit 1775 michael Brillmayr, geb. 1718 zu
Dilsbiburg, + den 22. März 1793.
Anna Maria, geborene Kappeller, geb. am 1. April 1748 zu Förnbach. Sie
Wehe ate ſich 1784 nach dem Tode ihres erſten Mannes mit deſſen Amtsnachfolger
Joſeph Grätz (Are) und ſtarb am 27. Mai 1788 zu Schrobenhauſen.
° Dies war ein Sonntag.
’ Maria Regina, geborene Rappeller, geb. am 24. Nov. 1745 zu Förnbach, war
mit einem Elementenfärber in Pfaffenhofen verheiratet.
Jgoſeph Spengler S8. J., geb. den 6. Dez. 1736 zu Ronftanz, feit 1773 Profeffor
5 * an der Univerfität zu Dillingen, + dafelbft am 28. Nov. 1776, ſchrieb
„Anfangsgründe der Rechenkunſt und Algebra“, Augsburg 1772, 2. Aufl. 1773.
5 gohann Ignaz von Felbiger, geb. den 6. Januar 1724 zu Großglogay, Abt
des Auguftinerftiftes zu Sagan, 1774 Generaldirektor des Schulwefens der k. R. Staaten
in Dien, 1779 Propſt in Preßburg, wo er am 17. Mai 1788 ſtarb. Er verfaßte zahl-
reiche Schriften, darunter Katechismen der kath. Religion.
10 An Stelle der geſuiten waren die kurbaueriſchen Studienanſtalten ſchon 1781
Rloftergeiftlihen übergeben worden. Die von geſuiten verfaßten behrbücher kamen
dann mit der Zeit außer Gebrauch.
* Hierüber ließ ſich nichts feſtſtellen.
1 Johann Chriſtoph Stockhauſen, geb. den 20. Okt. 1725 zu Gladenbach bei Mar-
burg, 1761 Rektor des Johanneums zu Lüneburg, 1767 Rektor des Pädagogiums
zu Darmftaö}, 1769 Superintendent und erfter Stadtpfarrer in Hanau, + daſelbſt
am 1. Sept. 1784.
15 Gemeint ift wohl die Stelle Cic. Epist. ad div. XI 16, 1, die jedoch fo beginnt:
«Permagni interest, quo tibi haec tempore epistula reddita sit.“
„ fgoſeph Furtmayr, geb. am 9. März 1772 zu Scheuern, trat daſelbſt in den
Benediktinerorden, bezog 1797 die Univerfität Ingolftadt als Hörer des kanoniſchen
Rechts, war 1805 - 38 Pfarrer von Scheyern. Dort [tarb er auch am 14. Aug. 1845
als freireſignierter Pfarrer und Ruraldekan.
* Andreas Wedl, geb. am 9. Juni 1773 zu hirſchau, Weltgeiſtlicher, 1798 Pro-
feſſor der liaturwiſſenſchaften am Puceum in Regensburg, 1812 - 24 Rektor des
buceums. Seit 1826 Senior und Kuſtos am eee St. Johann ſtarb er zu
Regensburg am 13. Juni 1855. s 8. Anm. 4
7 Frobenius Forſter, geb. am 30. Aug. 1709 zu Königsfeld in Oberbayern, ſeit
1762 Fürſtabt des Benediktinerftifts St. Emmeram in Regensburg, + am 11. Oktober
1791, gab zuerſt Beati Flacci Albuini seu Alcuini Abbatis Opera vollſtändig
heraus (Regensburg 1777).
257
404
Miſſionspflicht, Miſſionsweſen und -Literatur.
Don P. Hieronymus Riene (Beuron). .
(Schluß).
6 den erwähnten! Zeitfchriften, Jahrbüchern, falendern und den
reichhaltigen „Abhandlungen zur Miſſionskunde und Mliffions-
geſchichte“ find die Deröffentlichungen des Franziskus-Xaverius-Uerlags
erſt zum kleineren Teile aufgeführt. Der rührige Unternehmungsgeiſt
und der forgende Eifer, den Miſſtonsgeiſt in die weiteſten reife zu
tragen und ihn auf jede Weile zu fördern, bewog feine Leiter zur
Herausgabe einer Reihe weiterer Werke. Junächſt ſeien genannt die:
Pioniere der Weltmiſſion.
Dieſe Sammlung bringt das beben und Wirken hervorragender, um
das katholiſche Miſſionswerk verdienter Männer und Frauen in aus»
führlicherer Darſtellung. Bisher erſchienen fünf Uummern.
P. Schurhammer eröffnet die Reihe durch ſein wohlgelungenes
kurzes bebensbild: „Der hl. Franziskus Xaverius. Der Rpoſtel
des Oſtens. Blicke in feine Seele.“ (80 S. M. —. 75). Debensgeſchicke,
innere Entwicklung, Miſſionstätigkeit des heiligen, hemmniſſe und
Förderungen derſelben durch die portugieſiſchen Roloniften, Regierung
und fonftige Derhältniffe und Befchehniffe werden in kürze mit guter
Kritik in warmer lebhafter Schilderung vorgeführt. Niemand wird
ohne Nutzen das Büchlein aus der hand legen. — P. Noti“s Schrift⸗
chen „gofeph Tieffentaller 8. 9. Miſſionar und Geograph im groß⸗
moguliſchen Reiche in Indien. 1710 - 1785.“ (64 8. M. —.60) gilt
einem Südtiroler geſuiten, der feit 1734 in Indien als Wandermilfionär
und Geograph tätig war. 1759 befand er ſich am hofe zu Narwar
und entging ſo der allgemeinen gewaltſamen Wegführung der geſuiten
durch die portugieſiſche Regierung. In der Folgezeit, [päter von den
Engländern unterſtützt, nahm er den bauf des Ganges und mehrerer
nebenflüſſe kartographiſch auf und zeichnete ſich bis ins Breifenalter
durch bewunderungswürdige Arbeitsluft und Willens ſtärke, ſowie durch
große Sprachenkenntnis aus. — Der Rheinländer Kratz (Lüdenbach f.,
„Joh. Rafpar Kratz 8. 9., Märtyrermiffionar von Tongking“. 648.
Mm. —. 40) zog erſt als Reiſebegleiter, dann als Abenteuerer in die weite
Welt. Im holländifchen Kolonialdienſt wirkte er, in laſterhafter Umge⸗
bung einen muſterhaften Lebenswandel führend, zu Batavia ſegensreich
als katholiſcher Caienapoftel. Deshalb von der kalviniſchen Behörde
zur Prügelftrafe verurteilt und ausgewieſen fand er in ſchwerer trank⸗
heit in Macao feinen Beruf als geſuit und Prieſter. Er ſtarb als
miſſionär in Tonking nach langen und qualvollen Gefängnisleiden
1737 den Martertod durch Enthauptung. Ein anziehendes und er⸗
bauliches Lebensbild!
heft 7/8 8. 271 ff. — Die Fortfegung des Auffages: Chriſtus im Gleichnis der
Sonne von P. Anſelm Man ſer (heft 1/2) 8. 39 ff. hoffen wir im nächſten Jahre
erhalten und bringen zu können. (Anmerkung der Schriftleitung.)
405
Einen Apoftel, der lebte wie ein Heiliger, führt uns in ausführlicher,
manchmal faft zu weit ausholender und doch wieder lebensfriſcher
Darſtellung P. Becker vor im 4. Bändchen: „P. Otto hopfenmüller,
8. D. 8. Ein deutſcher Pionier einer indiſchen Miſſton“ (XII u. 366 8.
M. 1.80). Schon in der Heimat wirkte der einer kinderreichen Land-
wirtsfamilie des fränkiſchen Städtchens Wismain entſproſſene talent=
volle und redegewandte Dr. Hopfenmüller auf den ihm übertragenen
Seelſorgspoſten mit apoſtoliſchem Eifer und größter Selbſtaufopferung
und errang ſich durch Wiſſen, durch vielſeitige raftlofe Tätigkeit, Sitten⸗
reinheit, bewunderungswürdiges beben des Gebetes und der Abtötung,
Freigebigkeit, ſoziales Wirken (u. a. Rampf gegen Bettelei und herum⸗
ziehen) Liebe und Hochſchätzung in weiten ktreiſen. Als Stadtkaplan
in Bamberg zugleich Schriftleiter des von ihm ins Leben gerufenen
Bamberger Tageblattes, zog er ſich gehäſſige Anfeindungen einfluß⸗
reicher liberaler Gegner zu und erfuhr in wiederholten Verurteilungen
das mehr als fonderbare guſtizverfahren der Hra Putz. 43 Jahre alt
trat er 1887 der katholiſchen Lehrgefellfhaft (Seſellſchaft vom gött⸗
lichen Heiland) in Rom bei und wurde ihr nach abgekürztem Noviziat
eine gute Stütze. Im ganuar 1890 als Superior in die im Vorjahr der
Gefellfhaft übertragene apoſtoliſche Präfektur Aſſam entſandt, erlag
der durch feinen Übereifer Befhwädhte, in emſiger Vorbereitung auf die
heißerſehnte Miſſionstätigkeit unter den &hafi begriffen ſchon im Auguft
zu Schillong den Folgen eines Sonnenſtiches. Das reichlich Erbauung
und beherzigenswerte Belehrungen bietende Gebensbild verdient viele
achtſame beſer. Das gleiche gilt von Nr. 5, „Schw. Euſtachig 8. D. S.
Ein Mufter einer Miſſions⸗ und Ordensſchweſter“ (84 8. M. 1.20), einem
kurzen bebensabriß, den wir dem gleichen Derfaffer verdanken. Schon
in der heimat nach dem frühen Tode ihrer Mutter als hausmütterchen
und Erzieherin ihrer jüngeren Befchwifter bewährt und vorbildlich, war
ſie dies noch mehr als Ordensſchweſter. In der aſſameſiſchen Miſſion
zeichnete ſie ſich, brauchbar und willig zu jeder Betätigung, ebenſo aus
in der Waiſenerziehung und kirankenpflege wie als Lehrerin, kiate⸗
chiſtin und Meiſterin der eingeborenen Schweſtern. Ihre aufopfernde
Liebe und ſonnige Heiterkeit, ihr Befchick und ihre Klugheit gewannen
ihr die Zuneigung und das Dertrauen aller. Der krieg bereitete ihrer
erfolgreichen Miffionstätigkeit ein ſchmerzendes Ende. In der heimat
widmete fie, von den Patienten und Pfleglingen hochgeſchätzt, den Reſt
ihrer kträfte Kranken Soldaten und Waiſenkindern. In langer Leidens»
zeit übte die ſonſt raſtlos Tätige bewundernswerte Geduld und großen
Bebetseifer. Sie ſtarb 1921. — Weitere Bändchen find in Vorbereitung.
Gegenüber dieſen Einzelleben behandeln größere Stoffgebiete die
Bücher der Weltmiſſion.
Don den bisher erſchienenen 7 Bänden liegen uns 6 vor. Es find
recht gehalt⸗ und belangvolle Schriften, die dem Unternehmen alle
Chre machen und den Wunſch nahe legen, daß ihnen weitere Arbeiten
folgen und daß befonders ſämtliche von deutſchen Miſſionären beſtellte
Mliffionsfelder bald ähnliche Darſtellungen erhalten möchten wie Inner-
406
kamerun und Aſſam. Etwas ftörend wirkt die für eine „Sammlung“
viel zu große Derfchiedenheit des Formates.
PB. N. Däth 8. 9. bietet im erften Bande der Sammlung „Die
Frauenorden in den Miffionen“ (VIII u. 130 8. M. 1.30) „eine
Unterſuchung über die Beteiligung der katholiſchen Ordens ſchweſtern
am Weltapoftolat der Kirche vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart“.
Erſt ſeit etwa 100 gahren beteiligen ſich Ordensſchweſtern in größerer
Zahl am katholiſchen Miffionswerk. Im frühen Mittelalter hatten fie,
wie an den vom hl. Bonifatius aus England berufenen Benediktinerinnen
zu erſehen ift, an der Ausbreitung des Glaubens und der Heranbildung
eines chriſtlichen Seſchlechtes eifrig mitgewirkt. P. Väth berückſichtigt
jedoch nur die letzten vier Jahrhunderte. Auffallend iſt es, aber wohl
erklärlich aus den damals zumal in Spanien und Portugal vorherr=
ſchenden Sitten und Anſchauungen über die Aufgaben der Frau und
Ordensfrau, daß in der großen Miſſtonszeit des 16. und 17. gahr⸗
hunderts die Ordensfrauen vom unmittelbaren Miſſionswerk fo ziemlich
ausgeſchloſſen blieben. Auch die in den neuentdeckten Ländern Amerikas
und Aſiens errichteten Frauenklöſter übten keine oder nur unbedeu-
tende Mliffionstätigkeit aus. Erſt durch die in Frankreich und Italien
für Unterricht und Krankenpflege geſtifteten freieren Genoſſenſchaften
bahnte fi eine Änderung an. Franzöſiſche Urfulinen und hoſpita⸗
literinnen, die 1639 nach kannda zogen, find als die erſten eigentlichen
Miſſionsſchweſtern der Neuzeit anzuſehen. Im 17. und 18. Jahrhundert
entſtanden in Binterindien, China und Japan einheimiſche Benoffen=
ſchaften mit dem ausgeſprochenen Zweck, den Miſſionären in dem
Bekehrungswerk hilfe zu leiſten. Dasſelbe taten in China zahlreiche
einzeln in ihren Familien oder gemeinſam lebende gottgeweihte Jung-
frauen. Im 19. gahrhundert, das dem weiblichen Ordensweſen in der
Heimat eine große unb faſt zu vielgeſtaltige Entfaltung brachte, zogen
zahlreiche europäiſche Schweſtern in die Miffionsländer, was durch die
zunehmende Sicherheit in denſelben und den erleichterten Reiſeverkehr
ermöglicht wurde. Nach P. Arens arbeiten etwa 170 Schweſternſchaften
in den Mliffionen; P. Däth, der nur für die deutſchen Schweſtern Voll-
ſtändigkeit anſtrebt, zählt deren 90 auf mit über 20000 Mitgliedern.
Der Opfer: und Leidensmut dieſer Miſſtonsſchweſtern, von dem er⸗
greifende Beiſpiele angeführt werden, iſt dewunderungswürdig. Ihre
ſittliche Überlegenheit macht auf die tief geſunkene heidniſche und moha⸗
medaniſche Frauenwelt, die vielfach nur ihnen zugänglich iſt, nach⸗
haltigen Eindruck; ihr Beifpiel, ihre vielfeitige Liebestätigkeit verſchafft
der katholiſchen Miſſian hohes Anſehen, ihr Mitwirken in Schule und
Erziehung iſt der Miſſion jetzt unentbehrlich. Sie ſind eine lebendige
und nicht zu überſehende Apologie für die Kirche Gottes: auch das iſt
aus der vorſtehenden Schrift des verdienten Derfaffers klar zu entnehmen.
Dom 7.—14. Oktober 1919 fand in Düffeldorf ein von 110 Teil-
nehmern beſuchter Miffionskurfus ſtatt. Seine „Vorträge, Aus-
ſprachen und Befchlüffe” wurden herausgegeben von P. Fr. Schwager
S. DU. D. in Band 2 unter dem Titel „Der Düſſeldorfer Miſſions-
kurſus für miſſionare“ (XVI u. 304 5. M. 3.—). Durch die Teil-
407
nahme zahlreicher von ihren Arbeitsfeldern vertriebenen Miſſionäre
war eine nicht leicht wiederkehrende Gelegenheit zur Beſprechung der
Miffionsaufgaben und zum Nustauſch der Erfahrungen geboten. Die
inhaltsreichen Vorträge und die anſchließenden Rusſprachen der Tagung
verdienten wahrhaft die Veröffentlichung; es tritt uns in ihnen befte
. Quälitätsarbeit entgegen. Don vielen Vorträgen gilt, was der Vor-
ſitzende von einem ausſprach: „Der Vortrag war ein Muſter, wie
in Kürze und kilarheit die ſchweren Probleme des Themas dargelegt
werden können.“ Erfreuend wirkt das löbliche Zuſammenwirken, die
brüderliche Eintracht, die die ganze Tagung beherrſchten, ſowie der
entſchloſſene Mut und die große Arbeitsfreudigkeit der ſchwer geprüften
deutfchen Mliffionäre, die keine müde und lähmende Derzagtheit kennen.
Miffionären bieten die Derhandlungen viele brauchbare Richtlinien für
ihre ſchwierige Aufgabe. Nichtmiſſionäre erhalten außer lichtvollen
Einblicken in die Bedürfniſſe, Schwierigkeiten, Erfolge und Ideale des
Mmiſſionswerkes und vielſeitigen Nufſchlüſſen über die Zuftände der
miſſionsländer mannigfache auch für die heimatliche Seelſorge be=
achtenswerte Fingerzeige und Anregungen. Nuch Ethnologen, Kirchen-
rechtler und Kirchenhiſtoriker finden hier allerlei in ihr Fach einfchla=
gende bedeutſame Probleme und Mitteilungen. Es genügt, die er⸗
örterten Themata aufzuführen: Miſſionswiſſenſchaft und Miſſtons⸗
pragis; Anforderungen und kiriterien für die Zulaſſung zur Taufe;
fiatechefe, Predigt in der heidenmiſſion; Pflege der andesſprache in
Kirche und Schule; Erziehung zur ſtandesgemäßen Reufchheit; Ehe
ſchließungsformen bei den nichtchriſtlichen Dölkern; kampf gegen den
Aberglauben; Öffentliche Sünder und Kirchenzucht; Raiffeifenkaſſen im
Dienſte der indiſchen Miſſion; ktrankenpflege; Miſſion und Politik
unter beſonderer Berückſichtigung der gegenwärtigen Gage der deutſchen
miſſionen (Erzabt Weber); Spaniſche Miſſionsmethoden; Miſſions⸗
grundſätze des Kard. Cavigerie; Pflege des einheimiſchen Dolkstums;
miſſionsſtatiſtik; Berufliche Fortbildung der Miffionare; Der hl. Paulus
als Vorbild ...; Methode der Dölkerkunde; Wirtſchaftsethnologie
und Soziologie; Tonſprachen; Indianerſtämme am Amazonas.
Durch mühevolle, ſorgſame Zufammenftellung einer trefflichen „An⸗
leitung für Miſſionare zum Beobachten und Sammeln von Material
auf dem Gebiete der Miſſions- und Dölkerkunde und deren Grenz⸗
gebieten“ hat P. Cudwig Wolff 8. C. J. der Miffion und Wiſſenſchaft
einen großen Dienſt erwieſen (Der Miffionar als Forſcher. VI u.
183 5. Durchſchoſſen geb. M. 2.50). Die Taufende ins einzelne gehenden
Fragen aus dem Gebiete der Geographie und Naturgeſchichte, Ethno⸗
graphie (Anthropologie, Ethnologie), Oinguiſtik, Religion und Miſſion,
die der Derfalfer ſtellt, machen auf die verſchiedenſten Dinge und Vor-
kommniſſe anfmerkſam und find wohl geeignet, auch weniger Findige
zur Beobachtung anzuregen. Die Miſſionsarbeit wird durch eigene
Erkundigungen, mitgeteilte Erfahrungen und erlangte Erkenntniſſe
. anderer Miſſionäre vor Mißgriffen bewahrt und vielfach erleichtert.
Die Wiſſenſchaft darf von einer durch den Leitfaden angeregten und
geleiteten Beobachtungs- und Sammeltätigkeit der Miſſionäre reichliche
408
Förderung erwarten, beſonders auf ethnologiſchem und religiöfem 8e⸗
biete, da den Miſſionären erfahrungsgemäß allein fonft ſorgfältig
Geheimgehaltenes anvertraut wird. Diele Fragen wird ein achtſamer
Miffionär oder ein anderer Beobachter ohne Schwierigkeiten beant-
worten können; die zuverläſſige Beantwortung zahlreicher anderer
Fragen und die vollkommene Ausfüllung der Tabellen ſetzt jedoch
große Fachkenntniſſe und gute Ausftattung mit Hilfsmittel voraus,
die nur wenigen zu Gebote ſtehen werden. Es iſt ja zu wünſchen
und wird auch ernſtlich angeſtrebt, daß die Ausbildung der Miſſtonäre
eine möglichſt vielſeitige ſei; aber das primum necessarium, die eigent-
liche Berufsbildung darf nicht darunter leiden. In jeder größeren
miſſion werden mit der Zeit ſich Spezialiſten finden und fo wird es
möglich ſein, nach und nach die geſamten Fragepunkte aufzuhellen.
„Ins Steppen- und Bergland Innerkameruns“ führt uns im
4. Bande P. goh. Emonts S. C. g., um uns „aus dem beben und Wirken
deutſcher Afrika⸗Miſſionare“ einiges mitzuteilen. (gr. 8° VIII und
332 5. mit 200 Abb. M. 5.—). Als Miffionär und nicht als Wiſſen⸗
ſchaftler, für die Miffionsfreunde in der heimat, nicht für Gelehrte
erklärt er allzubeſcheiden ſein Werk geſchrieben zu haben. In Wirk⸗
lichkeit bietet es eine ebenſo angenehme als belehrende und anregende
beſung und gewiß auch dem Gelehrten reiche Ausbeute. Es iſt eine
Mufterleiftung. Der Derfalfer bekundet eine feine Beobachtungsgabe
und entfpricht in ausgedehntem Maße den Forſchungsfragen feines
Mitbruders P. Wolff. Seine Beobachtungen und Erlebniffe weiß er
in einfacher und ſchlichter Sprache fo anſchaulich, warm und lebens-
voll, vielleicht manchmal zu optimiſtiſch zu ſchildern, daß es eine Freude
iſt, feinem ſpannenden Berichte zu folgen. Der ſeeleneifrige Miffionär
nimmt von Dictoria und Duala aus den beſer mit ins Innere von
Kamerun, erft. auf der 180 Kilometer langen Eifenbahn in den Ur-
wald, dann auf mühevoller Wanderung durch Steppen und Gebirgs-
land bis ins Gebiet der Banßo. — Unterwegs erfährt er die Geſchicke
des trefflichen Ueuchriſten Peter Wame, der aus dem Innern ſtammend
der Miffion fortan als Dolmetſch und kltatechet unſchätzbare Dienfte
leiſtet, und hört von der gefährlichen Propaganda der mohamedaniſchen
Hauſſah. Bei dem zahlreichen Banßoſtamm errichteten die Herz⸗geſu⸗
Miffionäre ihre erſte hauptniederlaſſung. Candſchaft und klima, Dörfer
und Bewohner, Sitten und Gebräuche der Banßo werden eingehend
vorgeführt, beſonders auch ihr Häuptling, der unter Entwicklung des
überaus klugen und rückſichtsvollen Derhaltens der Miſſionäre der
Miffion ſtets gewogen blieb. Wir erfahren, daß die Banßo — wie auch
andere Stämme — nur einen Gott kennen, keine Götzenbilder haben,
an ein Fortleben der Seele, aber auch an ſchädigende Geiſter und
Zauber glauben und furchtſam unter deren Banne ſtehen. Die Männer
ergeben ſich meiſt dem Nichtstun und Palmweintrinken, die Frauen find
die reinſten Arbeits- und Daſttiere. Mufik, Tanz und Spiel werden
eifrig geübt; hierin ſowie im hüttenbau zeigt fi hoher Aunftfinn
und Schönheitsgefühl; es gibt wahre Aünftler. Auf dem Umweg der
Schule und durch Krankenpflege nahm das eigentliche Miſſtonswerk
409
feinen Anfang. Gelungen war bei der Unkenntnis der Sprache die
erſte Unterrichtsmethode des B. Emonts. Die Gewöhnung der Schüler
an Arbeit und Ordnung koſtete viele Mühe. Ergreifend weiß er die
Teilnahme und Freude der Heidenkinder am chriſtlichen Unterricht und
an der Weihnachtsfeier zu ſchildern. Zur erften Hauptſtation kumbo
waren zwei weitere und mehrere Debenftationen mit Außenfchulen
getreten, weitere Miſſtonäre waren gekommen und fünf Schweſtern,
die ſich der Erziehung der Mädchen und der Arankenpflege widmeten,
die Ausbildung zahlreicher Ratecheten und Lehrer war ihrem Abſchluß
nahe und ebenſo der Unterricht vieler Taufbewerber, die Stimmung
der Banßo und anderer Stämme war der Miſſion ſehr günftig, viele
Bauten waren erſtellt, 8ärten und Felder mühſam angelegt und be⸗
baut, hoffnungsvolle Kulturen angebahnt; da kam der Weltkrieg, in
deſſen Derlauf die eingezogenen Miſſtonäre mit der Schutztruppe ins
ſpaniſche Gebiet flüchten mußten, die übrigen ſamt den Schweſtern
von den Engländern gefangen genommen wurden. So erlag nach kaum
dreijährigem Beſtand die im erſten Aufblühen begriffene hoffnungs⸗
volle Miſſion, die 1914 zur Apoſtoliſchen Präfektur Adamaua er-
hoben worden war und nach dem Kriege an franzöfifche und belgiſche
Herz⸗Qeſu⸗Miſſtonäre überging. Das auch mit Bildern reichlich aus;
geſtattete Werk Emonts verdient weiteſte Verbreitung.
„helden der Weltmiſſion. 227 Lebensbelchreibungen hervor-
ragender, um die Blaubensverbreitung verdienter Männer und Frauen“
führt uns im 6. Bande — der 5. ſteht in 2. Auflage noch aus — Franz
Bäumker vor (ber. 8° XXIV u. 372 8. Halbleinw. III. 8.—). Sein
Werk ermöglicht eine raſche und zuverläſſige Orientierung über zahl⸗
reiche Miſſionäre und Miſſtonsförderer. Es iſt eine ſtaatliche Reihe
ſeeleneifriger, heiliger und hochverdienter Blaubensgenoffen, die er uns
kurz und doch lebensvoll in ihrem geſegneten Wirken ſchildert. Was
die Auswahl der behandelten „Helden“ betrifft, möchten wir dem Der-
faſſer für eine neue Auflage nahelegen, die Miſſionsförderer (3. B. Raiſer
Franz goſeph von Gſterreich) nicht unter die eigentlichen Miſſionäre
einzureihen, und da die Aufführung ſämtlicher Slaubensboten kaum
möglich iſt, nur möglichſte Vollſtändigkeit bei den früher bei uns in
Deutſchland wirkenden oder aus den Ländern deutſcher Zunge ſtam⸗
menden Mliffionären anzuſtreben. Ungern vermißt man im alphabe⸗
tiſchen Hauptteile u. a. die heiligen Adalbert, Burkhard, die beiden
Ewalde, Kilian, ktorbinian, Rupert, Severin, Dirgilius, Willehad, Wizelin,
Wolfgang und aus neuerer Zeit Erzabt Wimmer von St. Vincent,
P. Weishaupt 5. J., von denen allerdings manche noch im Anhang
erwähnt werden. Die Brauchbarkeit des Werkes ift durch gute Grup»
pierungen und Inhaltsverzeichniſſe erhöht. Stichproben ergaben die
Genauigkeit der Angaben und die Sorgfalt des Derfallers; wir be=
gegneten nur wenigen Unrichtigkeiten und Derfehen.
Erneut führt uns mit Band 7 in die Miſſion ſelbſt hinaus, diesmal
nicht nach Afrika, ſondern nach Nordindien P. D. C. Becker 8. D. S.,
ehemaliger Rpoſt. Präfekt von Aſſam, durch fein reich ausgeſtattetes
Werk: „Im Stromtal des Brahmaputra“ (XXX und 512 S. mit
410
172 Bildern und 1 Rarte. Halbleinw. M.8.—). P. Becker macht uns
bekannt mit dem etwa 1650 Rilometer langen gewaltigen, in feinem
Oberlauf noch unerforſchten Brahmaputra, feinen landſchaftlichen Schön⸗
heiten, feiner Flora und Fauna, feinen Derheerungen, ſowie mit den
wilden Bergvölkern der Abors, Miſchmis u. a. Wir erfahren Einzel»
heiten aus der politiſchen Geſchichte Aſſams, über religiöfe und ſittliche
Zuſtände verſchiedener Dolksftämme, namentlich auch über den blutigen
und unſittlichen Kult der Göttin Rali, über Kopfjägerei, Schlangen- und
Thlenkult, ferner über Teekultur. Lange war Aſſam von der katho⸗
liſchen Miffion ganz ſtiefmütterlich behandelt; die erſten Miffionäre,
Prieſter des Parifer Miſſtonshauſes, wollten nicht in Aſſam wirken,
ſondern nach Tibet vordringen und machten hiezu mehrere opfervolle,
jedoch erfolgloſe UDerſuche. Ein paar Mailänder Miffionäre, die ihnen
folgten, konnten auf dem weiten Bebiete nur wenig erreichen. Rechtes
beben begann erſt, ſeitdem 1890 die Miſſton von Aſſam den (deutfchen)
Salvatorianern übertragen wurde. Jet kann auch der Derfalfer aus
dem Vollen ſchöpfen, aus den Berichten feiner Mitbrüder und aus der
eigenen Erfahrung, ſeine Darſtellung wird lebensvoller, anſchaulicher,
reichhaltiger. Mühfam und opferreich waren auch hier die erſten An⸗
fänge. Der erfte Miſſionsobere B. hopfenmüller (ſ. o.) erlag vorzeitig
dem Alima und den übermäßigen Anſtrengungen. Die Mühen der Salva-
torianer galten zunächſt dem Stamme der Khaſi. Dieſe gutmütigen
heitern Bergbewohner lernen wir mit ihrem eigentümlichen Mutter-
rechte, bei dem der Familienbeſitz jeweils auf die jüngſte Tochter über⸗
geht und auch eine hoheprieſterin den Prieſtern vorſteht, mit ihrem
Marktweſen, ihren Spielen und Unterhaltungen, Jagd und Betelkauen
eingehend kennen. Während die Einfachheit und Natürlichkeit der
Sitten, die (zwar etwas lockere) Einheit der Ehe, das Fehlen der
Raften das Miſſionswerk erleichterten, fand es Hemmung durch die
Unzahl der in Aſſam geſprochenen Sprachen (63 bzw. 167), die Geifter-
furcht und den den Bekehrten drohenden Familien- und Rechtsverluſt.
Erfchwert wurde es ferner nicht wenig durch die furchtbaren Regen-
güffe (in Cherraponje 12—15 m jährlicher Regenfall!) die häufigen
ſtarken Erdbeben und die Jerſtörungswut der weißen Ameiſen, die
wiederholte Tleuerftellung der Miſſionsgebäude erforderten, wo doch
die ſpärlichen Mittel fo notwendig waren für den Unterhalt der Lehrer
und kliatechiſten. Dennoch ging es durch opfervolle Kleinarbeit vor⸗
wärts. P. Becker, der ſeit 1906 als Apoftol. Präfekt dem Gediete vor-
ſtand, verſtand es, in der Folge unterſtützt durch die Hilfe und Erbſchaft
eines engliſchen Teepflanzers, ihr eine großzügige und vielverſprechende
Entwicklung zu geben, zumal durch ein vorbildliches Schulweſen in
Schillong. Sehr ſegensreich wirkten auch ſeit 1896 die Salvatoria⸗
nerinnen. Da bereitete der Weltkrieg allen Rusſichten und Hoffnungen
ein unerwartetes Ende. Patres und Schweltern wurden trotz aller Aner⸗
kennung, die ſie und ihr Wirken bisher bei der engliſchen Behörde ge⸗
funden, ins Lager von Ahmednagar abgeführt, bzw. auf der Bolconda
heimbefördert. gebt iſt die Miſſion den Salefianern unterftellt.
411
Die „Jeitfragen aus der Weltmiffion“, herausgegeben beſonders
für Studierende von Dr. Geo, Mergentheim, erörtern in Kürze, in einem
Umfang von je 8 Seiten, wichtige allgemeine Themata des Miſſions⸗
werkes oder ſchildern belangvolle Derhältniffe und Perſönlichkeiten in
Einzelbildern. Es find anſprechende Vorträge oder Dortragsftoffe für
miſſionstagungen. Die vorliegenden 12, bezw. 13 Nummern behandeln:
Weltpropaganda ift allgemeine Chriſtenpflicht; Gegenwartskultur und
Weltmiffion; Ein Tag aus dem Bymnafialleben Indiens; Sieben Jahre
Miffionsarbeit in ßamerun; Die Miffion in Deutſch⸗Südweſt⸗ Afrika;
Ein Abend in der urchriſtlichen Gemeinde zu Korinth (A. Steinmann);
Hus den Anfängen der geſuitenmiſſton in Mexiko; Die Propaganda
in Rom; Wanderungen durch die nordiſchen Miffionen; Deutſche Miſſio⸗
nare im Reiche des Mikado; Roque Gonſalez, der Begründer der. Re⸗
duktionen; Mliffionspflege echt katholiſch und kulturfördernd.
Don den zwei Prachtwerken“ des Derlages liegt uns das erſte vor:
„Franziskus Xaverius, ein beben in Bildern“ von 6. Schurhammer
8. J. u. Hiſtorienmaler R. E. Kepler. (halbl. . 4 -; Dolksausg. M. —. 75).
Die 24 Zeichnungen find recht gute Leiftungen, die der Zeit und Umgebung
der Darftellungen wohl entſprechen. Der friſch und warm gefchriebene
Begleittet, Bilder aus der Feder des verdienten Xaveriusforſchers P.
Schurhammer (ſ. o. 8 404) ſtellt fie trefflich in die Lebensgeſchichte des
heiligen ein, der angefügte kommentar erläutert ſie und reichhaltige
kritiſche Anmerkungen geben aus den Quellen Belege und Beweiſe für
Text und Bilder. — Die Dolksausgabe bietet auf gewöhnlichem Druck⸗
papier die Bilder und den Begleittert der Prachtausgabe ohne deren
Anhang. — Hhingewieſen fei auch auf die Bühnenſtücke und Lieder
des Derlags, die ſich für Miſſionsverſammlungen eignen, ſowie auf
die Kunſtblätter, Heiligenbildchen und Miſſions karten.
Erzählungsbücher. |
Es ift fehr zu begrüßen, daß der Verlag ſich entſchloß, auch Miſſions⸗
erzählungen herauszugeben. Nach Geſchichten dürſtet ja ſtets die
Jugend, ſie greift nach minderwertigen und ſchädlichen, wenn ihr keine
guten geboten find; aber auch Ältere leſen immer wieder gern eine
gutgefchriebene und gehaltvolle Erzählung. Teils erfundene, bzw. frei
bearbeitete Dorwürfe, teils wahrheitsgetreue Berichte über auffallende
Begebniſſe enthaltend, bieten dieſe Bücher auf dem hintergrunde des
Fremdartigen eine feſſelnde, nützliche und nicht ſelten erbauliche Unter⸗
haltung, machen fie doch bekannt mit fremden Ländern und Dölkern,
deren Sitten und Gebräuche, Tugenden und Untugenden, mit der Not
und dem Elend, dem Unſegen und Aberglauben des heidentums und
den Segnungen und Deredelungen, die das Chriſtentum ſolchen bringt, die
guten Willens find. In Volks- u. Schulbibliotheken ſollten fie nicht fehlen.
Als gewandten Erzähler erweiſt ſich zunächſt mit vier Bändchen der
uns ſchon bekannte B. Emonts. In feinem „Hhäuptlingsſohne der
Bandari, der Roman eines Schwarzen.“ (404 8. Halbl. M. 4.50),
führt er uns einen mutigen, gutherzigen heidniſchen Jüngling vor, der,
412
wenngleich tief verftrickt im Aberglauben, an Rohheiten und Gemein»
heiten kein Wohlgefallen fand, infolge einer Seuche Daterhaus und
Stamm verlor, auf der Flucht durch mohamedaniſche hauſſahs auch
noch der Freiheit und des gleichgeſinnten Freundes beraubt wurde.
Als er nach harten Leiden das Sklabenjoch abſchütteln konnte, ward
er Soldat der deutſchen Schutztruppe, nach Überwindung ſeiner aber⸗
gläubiſchen Vorurteile und vielfacher gehäſſiger Gegen wirkungen Chriſt
und nach weiterem harten Leidensweg ein eifriger Miſſionsgehilfe.
Gute Charakterzeichnung, reicher Wechſel der Handlung, zeitgeſchicht⸗
licher Einſchlag erhöhen Belang und Spannung des beſers. Dasſelbe
gilt vom „Geiſt des Schreckens, Eine Erzählung aus Mittelkamerun.“
(2. Aufl. 176 5. Halbl. M. 2.50). Dem ſeeleneifrigen P. Wildhof ge»
lingt es, zwei verfeindete, ſich an Graufamkeit überbietende Ueger⸗
ſtämme auszuſöhnen, nachdem er mit hilfe einiger mutiger ihm er⸗
gebener helfer die Ränke des Jauberers Bindabo und deſſen großen
Betrug mit dem Geiſte des Schreckens aufgedeckt hatte.
In der Sammlung: „Bereitet den Weg“, 5 Bändchen von je 120 bis
190 5. mit Bildern (Halbl. in 1 Bd. m. 5.50), legen uns die Patres
Emonts und Maffman 8. C. J. eine Fülle lehrreicher Erlebniſſe und
Beobachtungen aus ihrem Miſſionsleben vor. Einiges hat P. Emonts
feinem genannten Werke: „Ins Steppen- und Bergland Innerkame⸗
runs“ entnommen. Don dem bunten reichhaltigen Inhalt ſeien erwähnt
die Berichte über erſtaunliche beiſtungen heidniſcher Zauberer, ſowie
über Zauberei im allgemeinen, über Fetiſche, Götzendienſt und Gottes:
glaube, über Totenklage und Totenkult, Beifterfurcht und Beifterdienft,
die dem Miſſionär manche Anknüpfungspunkte bieten. Ein Abſchnitt
enthält gruſelige Schlangengeſchichten. In kindlich ſchlichter Sprache
teilen mehrere von grauſamen Menſchenjägern der Heimat und Freiheit
beraubte, ſchließlich aber zur Miffion gelangte Negerkinder ihre harten
mitleiderregenden Gefchicke mit; wohltuend wirkt die daraus erſicht⸗
liche große Mutter- und Rindesliebe und die dankbare Anhänglichkeit
an die Miffion, abſtoßend aber die entſetzlich herzloſe Sraufamkeit und
baſterhaftigkeit ihrer mohamedaniſchen Quäler und der ihre Stellung
und macht mißbrauchenden ſchwarzen Agenten und Soldaten. — Recht
anſchaulich und ergreifend weiß P. Emonts ſchließlich in „Der armen
Heidenkinder Freud und beid“ (2. Aufl. 168 S. mit vielen Bildern
Halbl. M. 1.80) die beklagenswerte Gage heidniſcher Negerkinder und
ihr glückliches beben als Miffionskinder zu ſchildern. Beigefügte Er-
zählungen und Briefe vertiefen die Eindrücke. — In feinem „Weih⸗
nachtsmiſſtonbuch für das katholiſche Volk“ betitelt „Ehre ſei Gott
in der höhe“ (VIII und 182 8. M. 1.30) gibt P. Gruber O. F. m.
ſchlichte fromme Erwägungen und Erzählungen im Anſchluß an die
ktrippe und das Weihnachtsgeheimnis, die zur Weckung und Pflege des
Miffionsfinnes dienen. — Schlicht und doch ſpannend erzählt Therefe
köhler in dem Bändchen „Der ſchwarze Finger“ (120 8. Pappb.
m. —.75), wie ein junger feeleneifriger Miſſtonsprieſter in wilder
amerikaniſcher Gebirgsgegend durch beharrliche Hingabe verwilderte
Arbeiter, die im „ſchwarzen Finger“ einen religions und geſellſchafts⸗
413
feindlichen Bund geſchloſſen hatten, und namentlich einen gutveran⸗
lagten, aber teligions= und zuchtlos aufgewachſenen kinaben für Glaube
und Gottt gewann.
„Eine Erſtkommunion im Urwald“ ſchildert einem alten Miffions-
bericht folgend Dr. Couis (104 5. mit vielen Bildern. Pappb. IM. —. 75);
eine kindlich fromme und rührende Erzählung, wie die kleine ſchiffbrüchige
Angelina von einem Indianer gerettet, in der Wildnis aufwächſt, auf
einer Kahnfahrt eine Miffionsftation auffindet, ihrem totkranken Pflege»
vater die Hilfe des Miſſionärs verſchafft, alsdann auf der Miffion
tugendhaft lebt und als Opfer der Liebe ſtirbt. Beſonders für Mäd-
chen zu empfehlen. — Schweſter Paula teilt „aus der Miffionsmappe
der Franzis kanerinnen von Nonnenwerth“ Erlebniffe ihrer Mitſchweſtern,
zumal der bei den Indianern Nordamerikas und den Malaien der
. Sundainfeln tätigen, ſowie Beifpiele belohnter Opferliebe und gnädiger
Fügung und hilfe Gottes mit in „Cajuta die Indianerin“ und „Sei
ſtertänze der Indianer“ (je 2. Aufl, 128 8. und M. —. 60). Einem
Werke, das die Sklaverei in ihrer Ungerechtigkeit, Schmach und härte
anſchaulich nach ihrer Wirklichkeit beleuchtet und darſtellt, gebührt
auch heute noch ein Platz in einer Miſſionsbücherei. Noch iſt Sklaven⸗
handel und Sklaverei nicht völlig vom Erdboden verſchwunden, und
wenn fie auch ganz der Dergangenheit angehörten, wäre die enntnis⸗
nahme ihrer entſetzlichen Greuel von Nutzen. Stowe-Beecher's welt⸗
bekanntes Werk „Onkel Toms hütte“ liegt hier neubearbeitet von
P. Couis mit 40 Bildern v. 6. Bachem in 2. Aufl. vor. (440 S. Halbl.
M. 4.—). Es ſchildert Juſtände in den nordamerikaniſchen Südftaaten
vor 1868 und ſteht auf bibelgläubigem Standpunkt; das Bibelleſen
wird öfters etwas aufdringlich erwähnt. Die Darſtellung ſelber erfüllt
mit Teilnahme und Mitleid für die Entrechteten und Geknechteten und
mit Unwillen und Entſetzen über ihr Los und ihre Peiniger. Es werden
uns gütige und hartherzige Herren, treu anhängliche und nichtsnutzige,
verrohte Sklaven, Reden und Züge echt chriſtlicher Liebe edler Men⸗
ſchen und Ausfprüche und Taten unmenſchlicher Braufamkeit herzloſer
Sklavenhalter und habgieriger Sklavenhändler vorgeführt und all dies
ſpannend verwoben in die Geſchicke der zahlreichen gutgezeichneten
auftretenden Perſönlichkeiten. Der vom Bearbeiter gebotene Text lieſt
ſich gut; die bildliche Ausftattung iſt lobenswert.
Unter Mithilfe zahlreicher Miſſtonsorganiſationen und Ordens»
genoſſenſchaften hat Dr. Couis einen prächtigen Blockkalender „Welt
und Wiſſen“ als „Deutſchen Kulturkalender für 1925“ (184 Aluſtr.,
8°, 368 8., M. 4. —) herausgegeben. Dieſes religiöfe Kunſtwerk, zu
deſſen verſchiedenartigen Bildern ein reichhaltiger belehrender Text tritt,
eignet ſich ſehr als Weihnachtsgeſchenk für Miffions- und Runſtfreunde.
Über die Bibliotheca Missionum des P. Streit, dieſes für die
ktenntnis der Miffionsliteratur hochwichtige Werk, deſſen erſter, 877 8.
ſtarker Band in Sroßoktab 1916 in Münſter bei Aſchendorff erfchienen
und deſſen zweiter Band aus dem XKaveriusverlag demnächſt zu er⸗
warten iſt, werden wir ſ. 4. eingehend berichten, wie wir auch ſpäter
einmal die fonftige deutſche Mliffionsliteratur vorführen möchten.
414
Dom alten „Snadenhaus Mariä zu Grüſſau“.
Don P. Nikolaus von Lutterotti (Srüſſau).
tille mönche und berühmte Klöſter in großer Zahl haben einſt das
Cand jenſeits der Elbe dem Chriftentum, der Kultur und dem
Deutſchtum erſchloſſen. heute noch reden mächtige Bauwerke und
klangvolle Namen von vergangenen Zeiten. Aber an keiner einzigen
dieſer ehrwürdigen Stätten wandelten bis jetzt die alten Bewohner.
Wenn darum heute im Lande Schlefien eine der großen Abteien zu
neuem beben erwacht iſt, ſo ſcheint das uns ein Ereignis der Beach⸗
tung weiterer Breife wert. 8rüſſau zählt nicht zu den uralten klö⸗
ſtern, immerhin zu den alten. Andere Abteien haben weiterhin Be⸗
deutung gewonnen, weithin reichte auch ſein Einfluß. Es kann nun
nicht unſere Aufgabe fein, dies erſchöpfend zu belegen. Nur ein kleiner
erſter Überblick über feine äußeren Schickſale ſei heute gegeben. Aus
feiner reichen Kunſt und Geſchichte ſoll ſpäter einmal mit Bildern
mehr geboten werden. N
Schwere Zeiten lafteten auf Schlefien, als Srüſſaus Geburtsſtunde
ſchlug. Auf der blutigen Wahlſtatt bei Liegnitz lag St. hedwigs Sohn,
Herzog Heinrich II. der Fromme, verſtümmelt von den Tartaren, deren
Anſturm er ſich todes mutig entgegengeſtellt hatte. Städte und Dörfer
in Trümmer, die Felder verödet, das Volk tot oder geflohen, ſo ſah
das band nach dem Abzug der Horden aus. Am 9. Mai 1242 ſtiftete
Anna, die Witwe heinrichs II. ein Alofter zu Ehren des hl. Laurentius
für Mönche des Benediktinerordens. Es lag im Walde Griffobor,
zwanzig Minuten vom heutigen Kloſter, am Eingang des Dorfes Neuen.
Pietät und praktiſcher Sinn waren bei der Gründung maßgebend. Die
Mönche follten des toten Gatten im Gebete gedenken, aber auch das
verwüſtete band neu beſiedeln. Sie unterzogen ſich freudig beiden
Aufgaben. Wie urkundlich feſtſteht, entftanden durch ihre Arbeit die
meiſten Dörfer und Siedelungen zwiſchen bandeshut und Friedland.
Schwere Bedrängniſſe ihres Stammkloſters Opatowitz in Böhmen be⸗
wogen jedoch die Benediktiner, dorthin zurückzukehren, um ihrer alten
Heimat zu dienen. Im Jahre 1289 übergaben fie ihre Ländereien
Herzog Bolko I. von Schweidnitz und Jauer, einem Enkel der Stifterin
Anna, mit der Bitte, ſie ihrem kirchlichen Zwecke zu erhalten.
Als echtes Rind feiner glaubensſtarken Zeit wollte Bolko I. feinem
namen ein dauerndes Denkmal ſetzen, das zugleich ein Gnadenquell
für ſeine Untertanen ſein ſolle. Die Gebäude des alten Kloſters ſchienen
ihm zu dürftig; darum baute er unweit davon eine ſtattliche Abtei.
415
Er übergab fie den um Schlefiens Kultur hochverdienten Zifterzienfer-
Mönchen. Heinrichau (de linea Morimundi) ſtellte die Gründungs-
kolonie. Am 10. Auguft, dem St. Caurentiusfefte 1292 eröffnete Abt
cheodorich mit zwölf Mönchen das feierliche Gotteslob. Bolko liebte
feine Stifiung wie ein Dater. Die Urkunden zeigen, daß er die Hoch»
feſte des Kirchenjahres meiſt bei feinen Mönchen in Grüſſau verlebte.
Da erflehte er beim Chorgebete von Goit jene Weisheit und kraft,
die ihm in der Seſchichte den Ehrennamen „der Glorreiche“ eintrugen.
nie verließ er das Kloſter, ohne ihm durch eine reiche Stiftung ſeine
huld zu erzeigen. Wohl der köſtlichſte Schatz, den er ſchenkte, war das
altehrwürdige Gnadenbild der Gottesmutter. Bald kamen Pilger in
Scharen, ſelbſt aus weiter Ferne. Viel Segen ging von dieſer heiligen
Stätte aus und man begreift es, daß der Volksmund bald nur vom
„Bnadenhaus Mariä“ ſprach. hier wollte Bolko auch im Tode ruhen,
mitten unter den pfallierenden Mönchen. Wie er, dachte auch Herzog
Bernhard, fein Sohn, und Balko II., fein Enkel. Ihre Gaben mehrten
den Beſitz des kloſters. Bis vor die Tore von Reichenbach und Schweid⸗
nitz erſtreckten ſich feine Güter und auch ins hirſchberger Tal dehnte
fi das Kloſterland aus. 300 Quadratkilometer mit zwei Städten
(Schömberg und biebau) und 42 Dorfſchaften gehorchten ſchließlich
dem „Abt und Herrn des hochfürſtlichen Geſtiftes Brüffau“. Das war
kein toter Beſitz. Die Untertanen erfuhren die Wahrheit des Spruches,
daß unter dem Arummftab gut wohnen ſei. Allenthalben erhoben ſich
Kirchen, das Kloſter richtete Schulen ein, die Steuern, die es einzog,
blieben weit hinter den baſten zurück, die von den weltlichen Herren
aufgelegt wurden. Kultur und Wohlſtand verbreiteten ſich. Der reiche
Urkundenſchatz des 14. gahrhunderts zeigt uns eine glückliche und
wohlhabende Bevölkerung, die im Abte von Brüffau mehr den guten
Dater als den ſtrengen Herrn ſah.
Da fegte in den Jahren 1426 — 1430 wie ein verheerender Sturm
der Buffiteneinfall über Schleſien hinweg. Die religiös⸗politiſche Revo⸗
lution des Fanatikers hus ſchwoll über die Grenzen Böhmens hinaus.
Raubſcharen drangen ſengend und brennend bis ins herz von Deutſch⸗
land vor. Grüſſau ſank damals in Schutt und Aſche, zahlreiche Mönche
vergoſſen für Chriftus ihr Blut. In jenen Tagen ging auch das Gnaden⸗
bild verloren. Ein Mönch hatte es in einem unterirdiſchen Gewölbe
der Sakriſtei verborgen und nahm das Geheimnis mit in fein Mär⸗
tyrergrab. 50 lag der koſtbare Schatz durch 200 Jahre unter dem
Brandſchutt verborgen. Das Kloſterland, eben noch ein blühendes
Paradies, wurde aufs neue zur entvölkerten Einöde.
416
nach dem Abzug des Feindes ſammelten ſich die überlebenden Mönche
in Schweidnitz und wählten 1431 Michael I. zu ihrem Abte. Der tat⸗
kräftige Mann hob das Stift aus Schutt und Aſche. Durch Vermittlung
der Jiſterzienſerklöſter des Weſtens erhielt er neue Boloniften auf feine
Güter, meiſt aus heſſen und Franken, die bald durchgreifende Wieder⸗
aufbauarbeit leiſteten. Das Derdienft, die ſchweren Wunden der kiriegs⸗
jahre endgültig geheilt zu haben, darf Abt Nikolaus IV. (1460 — 1490)
für ſich in Anſpruch nehmen, ein wahrer Vater ſeiner Untertanen.
Schweren Schaden erlitt das Blofter zur Zeit des großen Glaubens-
abfalles im 16. Jahrhundert. Die religiös⸗politiſche Revolution feiner
Untertanen entriß ihm manch wichtigen Beſitz. Aber alle Stürme ver⸗
mochten den lebensſtarken Baum nicht zu entwurzeln. Nur ganz ſelten
hören wir, daß ein Mönch feinem Glauben und feinen Gelübden un⸗
treu wurde; die überwältigende Mehrheit blieb mit muſterhafter Treue
beim Glauben der Däter. Auch damals iſt Märturerblut gefloffen.
Am Feſte des hl. Thomas von Canterbury 1620 las Abt Martin Clavaei
in der heiligen Meſſe das Evangelium vom guten hirten, der fein Leben
für ſeine Schafe gibt. Da gedachte er der Abtrünnigen im Städtlein
Schömberg, und wehr- und waffenlos machte er ih auf, um fie zur
Kirche zurückzuführen. Am Abend des Feftes brachte man ihn zurück
wie St. Thomas, das Haupt geſpalten von den Axthieben feiner irre-
geleiteten Untertanen. Sein Blut iſt nicht umſonſt gefloſſen. Heute iſt
Schömberg eine der treueſten katholiſchen Städte Schlefiens. Das waren
ſchwere Zeiten für Grüffau. Es ſchien dem Untergange nahe. Da ſandte
der Herr einen bichtſtrahl. Am 18. Dezember 1622 fand Abt Adam
Wolffgang unter dem Fußboden der Sahkriſtei das ſeit zwei gahrhun⸗
derten verſchollene Gnadenbild wieder auf. Bald ſetzte die alte, groß⸗
zügige Wallfahrt von neuem ein.
namenloſes Weh brachte der Dreißigjährige Krieg über das Grũſſauer
Kloſterland. Dreimal wurde das Stift aus geplündert. Den Bettelſtab
in der hand mußte Abt Valentin Rüling mit feinen Mönchen nach
Mähren flüchten; andere wurden gefangen weggeſchleppt. Am 4 Juni
1633 ſank das Rlofter in Aſche. B. Heinrich Faber, der für feine armen
Grüſſauer Pfarrkinder vor den Schweden einen Fußfall tat, wurde mit
vier Bürgern an der ktirchenmauer erſchoſſen. Als Abt Valentin in
fein von Mord, Brand und Peſt verwüſtetes Brüffau zurückkehrte,
verkaufte er den geretteten kiirchenſchatz, um den Hunger feiner Unter-
tanen zu ſtillen. Das gemeinſam ertragene Leid ſchloß Kloſter und
Volk zu wahrer Schickſalsgemeinſchaft zuſammen.
417
Zum drittenmal hob die ftarke Band der Äabte Valentin Rüling
(1632 — 1653) und Andreas Michaelis (1653 — 1660) das tiefgeſunkene
Land zu beſcheidenem Wohlſtand. Abt Andreas fiedelte auf den verwülte»
ten Stellen und Gütern Bauern aus feiner Heimat, dem Eichsfelde, an.
Dann begann Grüſſaus Glanzzeit. Abt Bernard Rofa (1660 — 1690)
führte es zu höchſter Blüte. Zuerſt innerlich. Er hob das Ordens
leben zu einer ſolchen höhe, daß Brüffauer Mönche in viele andere
Klöſter als behrer berufen wurden. Unter ihm war das Rlofter ein
Garten echter Tugend. Wie eine heiligenlegende leſen ſich die Berichte
des Totenbuches über das fromme hinſcheiden der Mönche jener Zeit.
Bott fegnete ſolch frommes Walten. Trotz ſeiner geradezu verſchwen⸗
deriſchen Almoſen war Abt Bernard nie um Geld verlegen. Er ließ
talentierte Jünglinge ſtudieren, hoffnungsvolle Hünſtler ausbilden,
ktrankenhäuſer bauen. An den hochfeſten des Kirchenjahres ließ er oft
bis zu 1200 Arme mit Fleiſch, Brot und Bier bewirten. 800 - 1000
Reichstaler wurden laut den Rechnungsbüchern alljährlich an der
Kloſterpforte an Almoſen verteilt (damals Roftete eine Kuh 8 — 10
Reichstaler). Daneben entwickelte er eine ſtaunenswerte Tätigkeit als
Bauherr. nach dem Brande von 1677 erſtanden kirche und Kloſter
in neuem Glanze. Er baute die herrliche goſephskirche zu Grüſſau,
die Pfarrkirchen in Schömberg, Liebau, Altreichenau, Abendorf, Oppau,
Würben und Warmbrunn, die Annakapellen in Brüffau und Liebau,
die Nothelferkirche in Ullersdorf, die Kapelle in Reichhennersdorf, dazu
die 33 Kreuzwegkapellen und Feldkirchlein um Grüffau. Nur erſtklaſſige
Architekten, Bildhauer und Maler wurden berufen. Als Mäzen wurde
Abt Bernard der geiſtige Vater der ſchleſiſchen Malerſchule, die Michael
Willmann begründete. Wer Schleſiens Renaiffance und Barock ſtu⸗
dieren will, muß ins Brüffauer Kloſterland kommen. Die Baufreudig-
keit des Abtes kannte kein Hindernis; ſelbſt auf die Spitze der Schnee-
koppe ſetzte er eine St. Laurentiuskapelle. In Grüſſau blühte unter
ihm das Aunfthandwerk in hervorragender Weiſe. Eine Reihe nam⸗
hafter Maler und Bildhauer ließen ſich dauernd hier nieder, wo der
kunftliebende Abt für lohnende Arbeit ſorgte. Über ganz Schlefien zer⸗
ſtreut finden ſich Altäre und Bilder, die in Srüſſau geſchaffen wurden.
Durch Dolksmiffionen führte Abt Bernard feine Untertanen zum
katholiſchen Glauben zurück. Freilich wandte er dabei auch, wie um⸗
gekehrt andere Fürſten, Gewalt an. Segen 2000 Proteſtanten mußten
auswandern, dafür fiedelte er auf dem Kloſterland Katholiken an,
die aus Brandenburg und der Dauſitz um ihres Glaubens willen ver⸗
trieben waren. Er handelte alſo in etwa auf dem Repreſſalienwege.
Benediktiniſche Monatſchrift VI (1924), 11— 12. 26
413
Übrigens entließ er die Proteſtanten mit ihrem ganzen Dermögen,
während die Katholiken mit dem Bettelftab Ramen!.
Grüffaus innerer und äußerer Glanz dauerte auch unter den nächſten
bten Dominikus Beyer (1696— 1726) und Innozenz Fritſch (1727 bis
1734) an. Abt Dominikus war ein kluger Derwalter. Er kaufte die
ausgedehnten Burggüter zu Bolkenhain und ſammelte einen reichen
Schatz für den Bau der herrlichen Klofterkirhe. Dieſe wurde unter
Abt Innozenz vom Architekten Anton goſeph gentſch aus Birfchberg
1728 - 1784 erbaut und am 3. Juli 1735 von ktardinal⸗Fürſtbiſchof
von Sinzendorf feierlich konſekriert, der gleichzeitig dem neuen klbte
Benedikt II. die äbtliche Weihe erteilte.
Benedikt II. Seidel (1734 1763) hatte viel Areuz zu tragen. Unter
ihm begann der langſame, ſchmerzliche Todeskampf des Rlofters. Der
neue Landesherr Friedrich II. von Preußen war ihm nicht Freund. Abt
Benedikt weilte faſt ein Jahr lang um eines falſchen Derdachtes willen
in Breslau in Haft, während Huſaren ins Kloſter gelegt und die Mönche
im kalten Winter auf die Straße gedrängt wurden. Alle Schrecken
der Schleſiſchen Kriege mußte die hart an der böhmiſchen Grenze ge⸗
legene Abtei durchkoſten. Oft wechſelte fie im Jahre drei- bis vier-
mal den Landesherrn. gede Beſatzung ſuchte zu plündern, was fie
noch vorfand. Dazu kamen geradezu unerſchwingliche Steuern, die
das arme Stift beinahe erdroſſelten. Und doch blieb es eine Segens»
quelle für das Land, vor allem durch feine vorzügliche Lateinfchule,
die zahlreichen Kindern des Volkes den Weg zur Bildung öffnete,
der ihnen heute durch finanzielle Schwierigkeiten verſchloſſen iſt. Am
ſchwerſten mußte Abt Malachias Schönwieſe (1763 - 1767) die un-
verdiente Ungnade feines Königs fühlen, fo daß er bald vor Kummer
in die ſtille Gruft ſank. Beſſer erging es Abt Plazidus Mundfering
(1768 - 1787), einem klugen Diplomaten, an dem der kiönig Gefallen
fand. Er ift der Erbauer des neuen Kloſterflügels. Petrus II. Reylid
(1787 - 1797) mußte den Bau wieder einftellen. Es ging einfach nicht
mehr. Bis zu 80 Prozent der Einkünfte wanderten unter den ver⸗
ſchiedenſten Titeln in die Staatskaſſe. Man nannte das „die Säkulari⸗
ſation der Einkünfte”. Den Reſt benötigte das Volk, das in diefen
Jahren viel Not litt.
Abt Adephons Reuſchel, der 49. in der Reihe der Übte, erlebte die
Vernichtung feines Kloſters. Er ahnte das kommende Unheil voraus
und ſchenkte den armen Landwirten die kleinen Hypotheken, die fie
ı Ein Lebensbild des Abtes Bernard Roſa, des bedeutendften unter den ſchleſt⸗
[hen Ordensprälaten, iſt in Vorbereitung.
419
beim kiloſter aufgenommen hatten. Im Jahre 1810 ſtreckte der Staat
feine hand nach dem Eigentum Bottes aus. Mit einem Federſtrich
wurden die altehrwürdigen Segensftätten zerfiört. Was damit dem
Volke genommen wurde, vermochte keine ſtaatliche Wohlfahrtspflege
zu erſetzen. Wer aus den Urkunden und Dokumenten der Vorzeit das
einſtige Geben im Ziedertale kennt, muß feinen bisherigen Zuftand als
Dornröschenſchlaf bezeichnen. Das Bymnafium wurde geſchloſſen, der
Verkehr hörte auf, das Kunſthandwerk verfiel, das Volk verarmte.
ftloſter Brüffau ſtarb in Ehren. keinerlei Anzeichen von Verfall der
klöſterlichen Jucht hatten ſich bemerkbar gemacht. Die noch erhaltenen
Bapitelsanfpradhen des letzten Abtes erweiſen, daß im Rlofter muſter⸗
hafte Ordnung herrſchte. Die vertriebenen Mönche lebten, ſo gut es
ging, auch in der Welt nach ihren Ordensgelübden und blieben mit
ihrem greifen Abt bis zu deſſen Tod in regem Verkehr, brieflich feinen
Rat und Segen für jedes wichtigere Werk erbittend. Abt Adephons lebte
im verödeten Rlofter bis zum Jahre 1823. Täglich wankte der Achtzig⸗
jährige auf feinen Stock geſtützt in die kirche hinab, wo Chorftühle und
Altäre verwaift ſtanden. Dor dem Kreuzaltar betete er, Gott möge fein
liebes Rlofter zu neuem Leben erwecken. Gott hat ihn erhört. Genau
100 Jahre nach feinem Tode, am heiligen ktreuzfeſt des Jahres 1923,
ward Rlofter Srüſſau feinem gottgewollten Zweck zurückgegeben.
Neues Leben regt ſich wieder in den weiten Ballen. Zu Tauſenden
kommen die Wallfahrer auf den alten Pilgerftraßen. In der gewal⸗
tigen Abteikirche knien ſie und lauſchen wieder fromm und andächtig
den Klängen des monaſtiſchen Sotteslobes. Nie gehörte Weiſen und
doch altvertraut, weil fie ihr Innerſtes treffen, ihre katholiſche Seele,
die fie von ihren Ahnen ererbt, die einſt zu den Füßen der Mönche
faßen. In eine neue, ſchaffensfreudige hand iſt nunmehr der hirten⸗
ſtab des letzten Abtes gelegt. Unter dem Jubel von 10000 freudig
bewegten Pilgersleuten hat als 50. Abt von Grüffau ein Sohn St. Bene⸗
dikts die alten Traditionen wieder aufgenommen. Die Runde von diefen
Vorgängen iſt den beſern dieſer Zeitſchrift ſchon das letztemal geworden.
In der Art der alten Abte dem Tale Fürſt und Dater zu werden,
das kann das Ziel des neuen Abtes nicht ſein; dazu fehlen ihm alle
‚ Mittel. Die Zeiten haben ſich eben gewandelt. Nicht gewandelt aber
hat ſich der Wille der Mönche, allen zunächſt indeſſen ihrer Umgebung,
in Liebe alles zu fein. 8o möge die erfte erftandene Abtei jenfeits der
Elbe wieder zu dem werden, was ihr ſinniger Name beſagt, zu einem
„Hauſe der Gnade“, aus dem ein Born reichſten Segens ausgeht für
unſer Segen bedürftiges, Segen erſehnendes Volk! |
26°
420
Wie der gottfelige Thomas von Kempen
mit dem Kirchenjahr lebte.
Bon P. Sturmius Aegel (Beuron).
ls Thomas von Kempen geſtorben war, da ſetzte ein anderer feine
„Chronik des Agnetenberges“ fort. Er hub alſo an: „Im näm:
lichen Jahre (1471) ſtarb am Feſte Jakobus des Älteren (25. Juli)
unſer herzlieber Fr. Thomas Hemerken, aus kiempen gebürtig, einer
Stadt der Diözeſe Köln, im 92. Jahre feines Lebens, dem 63. feiner
Einkleidung, dem 58. feines Prieſtertums ... Seit den Anfängen des
Kloſters litt er viel Not, Anfechtungen und Mühſale. Er ſchrieb uns
die Bibel ganz und viel andere Bücher für das haus und zum Verkaufe.
Dazu verfaßte er zur Erbauung der gugend in klarem, einfachem Stil
verſchiedene Schriften, klein an Umfang, aber groß an Inhalt und
nachhaltiger Wirkung. Er war auch voll Minne gegen das Leiden des
herrn und wunderbar tröſtlich gegen Derfuchte und Betrübte.”!
Seit uns M. 9. Pohl eine fo handliche Befamtausgabe der Werke
des gottſeligen Thomas geſchenkt hat — es wird hier vorausgefeßt,
daß die opera omnia feine ſämtlichen und ſämtlich feine Werke find’ —
iſt es uns nicht ſchwer, dieſe und ähnliche Urteile über den Auguftiner
vom Agnetenberge nachzuprüfen und beſtätigt zu finden. Freilich follte
man Thomas eigentlich nur lateiniſch leſen; denn wenn man auch
Übertreibungen wie dieſe nicht teilt, daß „ſelbſt in der beſten Über⸗
ſetzung drei Dierteile verloren gehen und das vierte ſeelenlos bleibt“,
ſo muß man doch bekennen, daß es nicht einfach iſt, das ganz Der-
ſönliche, die tiefe, liebevolle Wärme wiederzugeben, die Thomas fogar
dem Latein feiner Schriften vielfach einzuhauchen verftanden hat, wenn
er im übrigen auch ganz deutſch denkt und fühlt.
„Der ganze Reichtum religiös⸗geiſtiger Werte, welchen die deutſche,
mittelalterliche Muſtik in ſorgſamer, Jahrhunderte langer Pflege des
inneren Lebens geſchaffen, kommt noch einmal zuſammenfaſſend und
doch in ſelten einfacher Form zur Darſtellung in den vier Büchern der
nachfolge Chriſti des ſel. Thomas von kiempen“, ſchrieb jüngſt in feiner
aufſchlußreichen Studie „Die Euchariſtielehre der deutſchen Muſtiker
des Mittelalters“ C. Boekl?. Was hier von der „Luchariſtielehre“
und der „Nachfolge Chriſti“ bezw. dem 4.(3.) Buch im befonderen ge:
fagt ift, wird man ruhig im allgemeinen auf das Geſamtſchrifttum des
a. a. O. Pohl opera omnia VII 466f. Wir hoffen fpäter einmal den Der-
ſuch einer Dorführung der Befamtwerke in dieſer Jeitſchrift machen zu können.
’ Münden 1923, hübſchmann; jetzt übergegangen in den Verlag von Herder, Frei⸗
burg 8° (XIV u. 136 8.) M. 3.50. Die Schrift behandelt in gedrängter Juſammen⸗
faſſung das Titelthema, den dogmatiſchen Slauben der genannten Myftiker aus dem
Benediktiner -, Franziskaner, Zifterzienfer- und Dominikanerorden ſowie bei Ruus -
broeck und Thomas von Rempen. Sie will bewußt eine dogmatiſche Arbeit fein, aber
auf hiſtoriſchem Untergrund. Nicht ihr letzter Vorzug iſt es, daß fie wie ähnliche zut
beſung der gedruckten Quellen förmlich nötigt, denen ſie ſelber ungedructe a
Und was kann es Beglückenderes geben, als mit dem Beben ſelber in Fühlung zu
treten, das ſich in der Lehre nur abfchattet.
421
Gottfeligen ausdehnen können. Es iſt ſchwer verſtändlich, wie man
zu Boeckls Buch ſchreiben Ronnte!: „Daß die Muſtiker innerhalb des⸗
jenigen Segments ihres Sedankenkreiſes, der ſtofflich der Kirchenlehre
kongruent iſt, an das kirchliche Dogma gebunden find und den ktirchen⸗
pätern und Scholaftikern folgen, wird doch nicht bezweifelt. Aber wohl
wird ihnen erſt, wenn fie ſich auf Gebiete begeben, wo ihnen nicht
die Route vorgezeichnet iſt. Dieſe Bewegungsfreiheit ſetzt in unſerem
Falle da ein, wo ſie ſich über die Segenswirkungen, die ſie von dem
häufigen Genuß auf ihr Innenleben verſpüren, auslaſſen.“ Wie würde
ihnen wohl, wenn fie nicht glaubend wüßten, was ihnen im Sakra⸗
mente zuteil wird, und wiſſend hofften, daß „der ewige Genuß deiner
Bottheit uns ſättigen möge, den der zeitliche Empfang deines koſt⸗
baren beibes und Blutes vorbildet?“? Und wo hat je eine äußere Macht
dem freien Willen ſtreng genommen „die Route vorſchreiben“ können?
Haben nicht eben dieſe Scholaſtiker ſchon gelehrt, daß in den freien
Willen des Befchöpfes niemand eingreifen kann als Gott allein? Und
it es nicht Erbgut aller chriſtlichen Jahrhunderte, ja ſchließlich aller
Religion, was die Altväter in faſt überſchroffer Form fo formulierten:
„Ehe der menſch nicht in feinem herzen ſagt: Gott und ich allein,
nur wir ſind auf der Welt, hat er keine Ruhe“?
Doch bleiben wir bei Thomas! Durch lange Jahre hat er fingend
und betend im Chore geſtanden. Da liegt die Frage nahe, welche
Rückwirkung denn Chor und Kirchenjahr auf fein Gemüt gehabt haben
mögen und wie das etwa in ſeinen Schriften zum Ausdruck kommt.
Er kannte die Schwierigkeiten des Chorlebens und redet gelegentlich
in wohltuender Einfalt davon: vom Frühaufſtehen, der Anſtrengung
des vielen Singens und langen Leſens, von Pſalmen, die mitunter
nicht leicht verſtändlich find u. a. — Das hindert ihn nicht im geringſten,
aus tiefſtem Herzen fein Ach, pie Deus, „ach guter Bott“ | auszurufen,
als fie ihre „Gefänge unterbrechen“ mußten, damals nämlich, da ihnen
wegen der Streitigkeiten um Beſetzung des Lütticher Bistums das Inter-
dikt angeſagt wurde?. Ja an einer anderen Stelle feiner Werke verfteigt
er ſich vollends zu dieſem bob des Chores, wenn er hiebei vielleicht
auch zunächſt deſſen Nachhall in der ſtillen „Betrachtung“ post Ma-
tutinas im Auge haben mag: „Engelsleben iſt es, mit Andacht und
Ehrfurcht den Chor beſuchen; denn dort haben viele Fromme (Ordens⸗
leute; devoti) Engelsgeſichte gehabt. Oft wurden fie dort im Beifte
entrückt, häufig erleuchtet, ſüß getröſtet und mächtig entflammt”*. -
Wollte man ein voll zutreffendes Bild von feiner Stellung zu Gottes-
dienſt und Kirche gewinnen, ſo müßte man ſämtliche ſieben Bändchen
wie ſie uns Pohl geſchenkt hat, daraufhin durchgehen. Thomas war
eben in keiner Weife Suſtematiker, auch kein Syftematiker der Liturgie.
Immerhin hat er uns in feinen sermones de vita et passione Christi“
ein Werk hinterlaſſen, das bewußt für Feſte gefchrieben ift und von
Feſten ausgeht. Es hat fein ganz ähnliches, in manchem aber wieder
Theol. Giteraturzeitung 1924 Ur. 8 Sp. 157 (O. Clemen). Misssale Romanum
Poftcommunio an Fronleichnam. Chronik des Agnetenberges Kap. 20. VII 399.
Brevis admonitio II 425. Pohl III (1904) 61 ff. Titel nicht von Thomas.
422
von ihnen verſchiedenes Gegenftück in den orationes et meditationes
de vita Christi!. Beide offenbaren ein ſtarkes perfönliches Erleben
des Lebens und Leidens geſu Chrifti von dem Ratſchluß der Erlöfung an
bis zur einmütigen Feier feiner heiligen Beheimniffe in der Urkirche zu
derufalem und der Predigt des Evangeliums in aller Welt. Aber dieſe
urperſönlichen Betrachtungen — in den sermones ſcheint Thomas un⸗
geftümer, in den orationes et meditationes geklärter nE fein — zeigen
mit aller Deutlichkeit, daß fie nicht oder doch nicht allein in ſtiller
Zelle und ſchweigender Betrachtung entſtanden ſind. Sie ſind ganz
offenſichtlich Feſtfrüchte und der Ertrag kirchlicher Feiern. Beide ſind
durchſetzt mit Anfpielungen auf liturgiſche Texte; immer wieder redet
er in beiden Büchlein von dem „heutigen Feſt“ und der „gegenwärtigen
Feier“. Ein eigenes Gebet „um die Gnade der Andacht beim göttlichen
Offizium und vom freudigen Lobe der Engel im himmel“, als deren
Gegenchor alter Überlieferung gemäß er den Chor der Mönche anſtieht,
findet ſich in den orationes?. Der Erdenchor läßt ihn mit Entzücken
des himmliſchen Chores gedenken, wo es keine Disharmonien gibt,
keine Müdigkeit und Schläfrigkeit: „O wäre ich ſchon im himmel einer
aus ihnen, um da mit ihnen zu ſingen, heilig, Heilig, Heilig“ in ihrem
Chore! Sie ermüden nicht, fie hören nicht auf, ihren Schöpfer zu preifen;
denn voll des Heiligen Beiltes glühen fie von Liebe, leuchten fie weiß
wie der Schnee, hauchen ſie lieblichen Duft aus, ſingen ſie freudig,
getragen und lieblich. Semeinſam heben fie an, mächtig ſtimmen fie
ein, gleichmäßig halten fie ihre Pauſen, wonniglich jubeln fie und
geraten in Verzückung unſagbar in Gott.“
Es wäre der Mühe wert, Thomas’ Schriften einmal unter dieſem
Geſichtspunkte durchzugehen. Es gäbe das nicht geringe Auffchlüffe
über Thomas ſelbſt und die Umwelt, in der er lebte. Es bliebe auch
nicht ohne nachhaltigen Einfluß auf uns, wie das jeder nachprüfen
kann, der die Schriften des ſeligen Mannes nicht nur lieſt, ſondern
bewußt auf ſich wirken läßt. Da es nun bald Advent und Weihnacht
wird, fo iſt es vielleicht nicht ohne Nutzen, auf feine Advents- und
Weihnachts frömmigkeit befonders einzugehen. Wir müſſen uns hier
freilich auf bloße Andeutungen beſchränken; wir können nicht ein⸗
dringen in die Muſtik, die hier verborgen liegt, noch weniger können
wir die mannigfache unmittelbare Benützung liturgiſcher Texte nach⸗
weiſen. Vielleicht vermag indeſſen auch das wenige, das wir bieten
werden, den einen oder andern zur Lefung der Schriften anzuregen.
Wem es möglich iſt, der leſe die Schriften, noch einmal ſei es geſagt,
unbedingt lateiniſch, nicht in Überſetzung.
Seine „Gebete und Betrachtungen“ beginnt Thomas mit einem
dankbaren Lobpreis auf das Leben geſu, des Mittlers zwiſchen Gott
Pohl V (1902) 1 ff. Beide Büchlein find überſetzt. Das erſte „von einem Priefter
der Diözeſe Rottenburg“ (Schaffhauſen 1857) wurde „genau wieder durchgeſehen und
bevorwortet“ 1907 neu herausgegeben von J. Müllendorf 8. J.: Thomas v. Hempen.
Reden und Betrachtungen (Regensburg, Manz). Das zweite ward überſetzt von
Heinrich Pohl, dem Sohn des Herausgebers der Opera omnia: Th. v. f
. Kempen
Gebete und Betrachtungen. 1. Aufl. Köln 1904, 3. Aufl. Paderborn 1913. V 35ff.
Heinrich Pohl 1. Aufl. 366 ff.
— — — —
423
und den Menfchen, und einem Bebet zum Lobe des Herrn. Er denkt
der Erſchaffung des erſten Menſchen und ſeines jämmerlichen Falles.
Er erwägt, wie ihn Bott wieder berufen und ihm den Erlöſer verheißen
hat; dann überdenkt er die Erlöſung per verbi incarnati mysterium,
durch das Muſterium der menſchwerdung des ewigen Wortes. „O
füßefter geſus“, ruft er aus im Anblick des Menſchgewordenen, „je
kleiner du dich gemacht haſt in deiner Menſchheit, umſo größer haſt
du dich mir gezeigt in deiner Bütigkeit. Je armſeliger du für mich ge⸗
worden biſt, umſo teurer bift du mir.“ Er betrachtet nun die Geburt
des Herrn in Armut mit ihren Beſchwerlichkeiten und Entbehrungen; er
hört das Kindlein wimmern, ſieht es dürſten und ſaugen. Er denkt der
ſchmerzhaften Beſchneidung und der Auferlegung des heilbringenden
namens geſu. Er preift den Herrn geſus Chriftus, den Fürften der
Aönige der Erde, und ſagt ihm Dank, daß er fo glorreich erſchienen
it vor den Dreikönigen. „Großer und wunderbarer Bott, der du
das All allein lenkſt und Großes im himmel wirkft, du haft dich nicht
geſcheut, um ein Beiſpiel der Beringheit zu geben, vor ſoviel Königen
und Großen arm und elend zu erfcheinen... Ich danke dir für die
wunderbare Erleuchtung der heiden, der du in den dunklen Herzen
der Orientalen ſo glorreich aufgeleuchtet, daß ſte dem vom himmel
ihnen gewieſenen Zeichen durch fo weite Länderftrecken hin in un⸗
zweifelhaftem Glauben folgten... Ich fage dir Dank, geſus Chriftus,
für die hohe Würde dieſes Tages, den du ausgezeichnet haft durch
die drei Wunder...” Die Reinigung Mariens und geſu Darftellung
im Tempel, feine Derfolgung und Flucht nach Ägypten und den grau⸗
ſamen Mord der heiligen Unſchuldigen Rinder, die herodes um des Na⸗
mens Jefu Willen getötet, ſchließlich noch die Auffindung geſu im
Tempel betrachtet er; dann zieht des Erlöſers heiliges, demütig ver⸗
borgenes beben an ſeinem Geiſt vorüber.
Es iſt wahr, weit ausführlicher und mit noch größerer Innigkeit
verſenkt ſich Thomas darauf in das öffentliche beben und vor allem
in das Leiden des herrn. Was konnte es für einen leidenden Men⸗
ſchen wie er auch lieberes geben. Dort fand er die Liebe in ihrer
höchſten Dollendung. geſus am Rreuze hangend, „blau vor Schmerz, aber
leuchtend vor Liebe“. Nichts ſtimmte fein Herz fo zur Jerknirſchung
wie dieſes. Sein ganzes Sehnen ging dahin, daß der Erlöſer vom
Rreuge herab „mit Schmerz und Liebe fein herz durchdringe und ver-
wunde und es ganz mit dem ſeinen vereine und entzünde, auf daß
alle Welt ihm zum Ekel werde und geſus der Sekreuzigte allein ihm
über alles zuſage“. Aber wenn dem gottfel. Thomas die Wahl ge⸗
ſtellt würde, wie er geſus ſchauen wolle, ob in der Arippe liegend,
ſitzend unter den behrern, dem Dolke predigend oder am kireuze hangend,
dann fiel ihm die Entſcheidung doch ſchwer!. geſus gefällt ihm eben
überall; auch dieſes zeigt, daß er im Wechſel des kirchlichen
gahres das Leben geſu ftets neu mitlebte „Ich will nicht wählen“,
ſpricht ſeine Seele, „ich will hierin nicht frei verfügen, will nicht meiner
De quatuor modis videndi Jesum. »sermo« 11 Pohl III 130ff.
424
neigung folgen, noch von eigener Laune mich leiten laſſen. Ich will
nur eines: auf alle Weiſe zufrieden ſein mit dem, was meinem herrn
defus Chriftus gefällt. Er weiß das Innerſte meines Herzens zu
durchforſchen und unſichtbar zu durchdringen. Er ſei mir alles in allem,
wie meine Schwachheit es bedarf. Was ihm lieber iſt, das tue
er frei; wie er ſich mir darſtellen will, fo zeige er ſich mir. Alles wird
mir lieb ſein, wie er es tut. Ich habe ihn ja ganz in jeder einzelnen
Weiſe, wenn ich es recht anſehe; und kein Wandel der Geftalt
oder des Alters ändert den Slauben der Wahrheit: Chriftus
iſt unteilbar, in all dieſen Weiſen wahrhaft anzabeten.“
50 zieht alſo das beben geſu an ihm vorüber im Chore, nicht nur
im kiopfe, auch nicht nur im herzen: recordatio sancta renovata per
singulos annos!. „Jahr für Jahr erneuert das heilige Gedächtnis“.
Gange, will er, follen die Feſte nachwirken. „Immer fei dir wieder
neu Chrifti heilige Geburt; nie gehe ohne Betrachtung ein fo ehrwürdiger
Feſttag vorüber. Und wenn auch die äußere Feier mit der Zeit vorũbergeht,
fo ſoll doch die fleißige Betrachtung nie aus dem Gemüte weichen?.“
Der Menſch bleibt ſich nie ganz derſelbe. Auch unſere Betrachtungen
nehmen zu verſchiedenen Zeiten verſchiedenes Gepräge an. Als Thomas
von fempen die „Reden und Betrachtungen“ niederſchrieb, da war
er wohl eines fröhlicheren Gemütes, nicht ganz fo feierlich und zurück⸗
haltend wie damals, als er die „ZSebete und Betrachtungen“ auf»
zeichnete. Reicher entfaltet ſich hier die fromme Phantaſie, ſtärker
ſind die Affekte, wie ja die „Rede“ ohnehin ein Recht hat, anſchau⸗
licher und glutvoller zu ſein als die ſinnende „Betrachtung“. mit der
Sehnfucht der Propheten hebt er hier an. Er ſpricht von der frommen
Vorbereitung auf den Advent Chriſti. Es geziemt ſich, jetzt in dieſer
heiligen Adventszeit der Prophetien über die Menſchwerdung geſu
Chrifti beſonders zu gedenken. In dieſen Tagen muß man ſich große
Mühe geben. Die hl. Gefungen, alles, was von Chriftus geſchrieben
ſteht oder geſungen wird, bietet reichen Stoff zur Betrachtung, auch
fehlt es nicht an Zeit dazu. Das Offizium iſt von den Vätern fo
wohlgeorönet, und ſchon die bloße Winterszeit ſcheint zu fagen,
bleibe jeder bei ſich und befchäftige ſich jeder jetzt Tag und Nacht mit
defus. Befleiß dich alſo größerer Andacht in dieſer fo heiligen Advents
zeit, beſonders aber vom Tage an, an dem man ſingt o sapientia.
Da ſollſt du Herz und Seele mit größerem Derlangen zu Chriſtus er⸗
heben; denn er ift es ja, deſſen Ankunft die heilige Mutter, die kirche
erſehnt. Und wie follen wir ihm „entgegengehen“, wie ihn „auf⸗
nehmen, den himmliſchen König? Siehe dein König kommt. Glaub
an ihn, neig dich vor ihm, liebe ihn, ſagt uns Thomas, ſehn dich voll
Glut danach, ihn zu empfangen! Schmück aus dein Semach, er will
in dir wohnen und ſanft in dir ruh'n. Dann bricht die heilige Nacht
an. Da hat er ein kapitel über „die Feſte der Seele“, davon fei [päter
die Rede. In dieſer heiligen Nacht macht er ſich auf und „ſucht“ das
defuskind. Sucht den herrn, ſolange er ſich finden läßt, ruft ihn an,
ı sermo 6 Pohl III 94 13f. * Ebb. 26 ff.
425
folange er nahe ift! Auf, ihr gläubigen Chriften allefamt, eilt herbei
zur Feier der Geburt des herrn! Sekommen ift die heilige Nacht,
in der der Erlöſer geſus Chriſtus geboren werden wollte von der glor⸗
würdigen Jungfrau Maria. Christus natus est nobis, venite ado-
remus, Chriſtus iſt uns geboren, kommt, laßt uns ihn anbeten! Wer
könnte noch ſchlafen, wenn die Engel am Himmel fingen und die
Stimme des Cobes in der Höhe erſchallt? Wer könnte zu Bett bleiben,
wo alles ſehnlichſt verlangt, mit geſus zu jubeln! Nein, fie darf nicht
düſter fein, dieſe Nacht: fie werde erleuchtet vom Licht von oben, und
in der ganzen Rirdye ſollen Lichter brennen. Wie muß der gottſel.
Thomas dieſe heilige Naht empfunden haben! Er ſingt ihr das Lied,
das ſonſt nur der Oſternacht gilt: O vere beata nox: „O wahrhaft
felige Nacht, die erfahren durfte Zeit und Stunde, da aus dem Schoße
der Jungfrau Gottes Sohn hervortrat, umkleidet mit dem Körper un-
ſerer Sterblichkeit.“ Dann macht er ſich auf und „beſucht fromm den
geſusknaben“ und „weilt an feiner erhabenen Krippe“. Er möchte
Weihnachten fo tief und innig begehen, als wäre es das allerletztemal
im Geben und die Vorbereitung zum ewigen Feſte im himmel.
Wie freudig iſt ihm dieſer Tag. Wie wird er Kind beim Kindlein in
der ktrippe! Wie ſehr verlangte ihn, dem Kindlein „kleine Dienſte zu
tun“! Bier will er bleiben bei Jefus und Maria und dem hl. goſeph.
Sin Feuerchen will er anmachen und will es fleißig anblaſen. Den
Tiſch will er decken, Waſſer herbeitragen, den Hof reinigen, die hütte
fegen, Ritze und Öffnungen ſchließen, daß Wind und Wetter nicht
hereinſchlagen. Die Krippe will er herrichten mit Heu und Stroh,
Roſen und bilien ſammeln, Blumen und Gräſer herbeitragen, ſie zu
ſchmücken. Die Fenſter will er auftun in der Frühe, daß der helle
Tag hereinſchaut und die heiligen Engel herzufliegen und das Baus
mit ſüßem Sang erfüllen. Sorgſam will er die Türe hüten, daß ja
Herodes nicht hereinkommt. Den Hirten aber will er freudig öffnen
und den Königen, wenn fie kommen, fröhlich entgegengehen. Hier
will er fein Teſtament machen, hier einen ewigen Bund ſchließen. hier
will er leben und ſterben, und alles ſei geſchehen. Hätte er's nur vorher
gewußt, daß fie kämen! Bern hätte er dann Ochs und Efel geführt,
den weiten Weg feiner herrin den Mantel getragen und dem hl. goſeph
den Reiſeſack abgenommen; auch für Unterkunft hätte er geſorgt.
Aber da es nun einmal nicht allen gegeben war, das ewige Wort in
Mmenſchengeſtalt, das Rindlein leibhaftig in der Arippe zu ſehen, fo
ſucht er es im Glauben zu ſchauen. Allen iſt es ja gepredigt, und
wer glaubt und gerettet werden will und lauteren, reinen herzens
herzutritt, erlangt Derzeihung aller feiner. Sünden und nach dieſer
Sterblichkeit das ewige beben! Wie er fi damit fo richtig hinein-
betrachtet hat in die „Sehnſucht, geſus zu ſehen und ihn zu küſſen“,
da erfaßt ihn auch das ganze Derlangen nach dem Rindlein. Er „fleht
die heilige Jungfrau an, daß fie uns ihren Sohn geſus zeige.“ Und
geſus ſpricht zu ihm: „Schau mich im Geiſte, wie mich einſt die
heiligen Propheten geſchaut haben, die vom Glauben erleuchtet
verkündet haben, daß eine Jungfrau mich gebären werde. Wer an
426
mich glaubt, der ſieht mich, und wer mich liebt, der befigt mich.
Glaubſt du alſo, fo wirft du mich ſehen, und liebſt du, fo wirft du
mich beſitzen. Nichts ſoll zwiſchen dich und mich treten, was die Der-
einigung hindert oder die Liebe mindert, die Freiheit benimmt, die
Reinheit befleckt, das herzensinnere beunruhigt“. Wieder geht Thomas
über zum „Suchen und Finden Jefu im Tempel“. Es folgt dann das
tiefſinnige Bekenntnis „von den vier Arten geſus zu ſehen“. Es war
von ihm ſchon die Rede!; mit ihm verläßt er den Weihnachtsfeſt⸗
kreis. Grippe und Tempel, und geht über in den großen Oſterkreis,
Lehrtätigkeit, kreuz und herrlichkeit:
Wir ſagten, Thomas ſei in keiner Weiſe Suſtematiker, auch nicht
Suſtematiker der Liturgie. Das gilt nicht ganz für den dritten feiner
sermones, In nativitate Christi. De Festis Animae« betitelt?. Nicht
ganz unrichtig hat im Autograph der königlichen Bibliothek zu Brüſſel
einer am Rande bemerkt — Pohl denkt an Sommalius: „Rede (bzw.
Gebet) paſſend für jedes Felt“. Dieſer sermo behandelt nämlich grund⸗
ſätzlich das Derhältnis von Pribatandacht und Liturgie, wenigſtens
ſoweit Thomas ſelber dabei in Betracht kommt:
»Lux venit in mundum: das bicht kam in die Welt. Hilf mir,
allmächtiger Dater, daß mir nach der Sehnſucht meines Herzens irgend
etwas Liebes und Frommes über die Feier des heutigen Feſttages
deines vielgeliebten Sohnes unſeres herrn geſus Chriſtus zur Be⸗
trachtung ſich einſtellt, das meine Trägheit zur Andacht und zur
Dankfagung anregt. Erleuchte mein Herz mit dem unſichtbaren Lichte
deiner Weisheit, der du dieſe hochheilige Nacht durch den Aufgang
deines wahren Lichtes aufleuchten ließeft und dieſen hohen Feiertag
mit feſtlichen Freuden zu begehen beſtimmt haft. Denn nichts wird
mir wonnig und feſtlich ſein, wenn du nicht ſelber meinen Geiſt vor⸗
her erleuchtet haft, auf daß er in heiterer Ruhe vor allem Aufruhr
der Lafter hingeriſſen werde in der Beſchauung des Feſtgeheimniſſes.
Seliger Feiertag, wann auch der Beift Wonne verfpürt, und mit geiſt⸗
lichem Mahl die Seele, von dir geladen, reichlich erquickt wird. Denn
ich habe nicht Feſttag, wenn es im herzen nicht Feſttag iſt. Aber
gerade deswegen wird ja ſo oft äußerlich gefeiert, damit lieblicher
und angenehmer innerlich Feiertag ſei. Denn die äußeren Feſte
find die Erwecker der inneren Feſte und in etwa ein Dor-
geſchmack der ewigen Freuden. Wenn alſo zu den äußeren Feiern
mein innerer Menſch wohl harmoniert und ſich mitfreut, dann ſcheint
es mir kein bloßes Simplex ⸗Feſt zu fein, ſondern Duplex; denn was
äußerlich vollführt wird, wird innerlich heiliger beobachtet. Es gibt
auch ein Duplex maius-Feſt und auch ein Sollemne. Das verſteht ein
geiſtlicher, andächtiger Menſch gar wohl, der ſolches im Geilt und in
der Wahrheit zu feiern pflegt. Denn ein geiſtlicher Menſch beurteilt
alles. Und wie ſehr ein Feſt des Herzens vom andern verſchieden iſt
und durch ſonderliche Seligkeit ſich auszeichnet, das weiß, durch ſüße
Siehe oben 8. 423 f. Pohl II 76-83. Leider iſt dieſer lehrreiche »sermo«
in der genannten Überſetzung, wie in ihrer Neuauflage (von 1907!) nicht enthalten;
wir geben ihn ſchon deshalb nahezu ganz wieder.
427
Erfahrung ſattſam belehrt, die Seele, zu der Jefus kommen und am
Feſttag in Bnaden fi kundtun wollte. Er iſt es ja, für den die
Bauptfefte feierlich begangen werden. Glücklich die Seele, der
er begegnet, der er gewährt, ihn fröhlich zu ſchauen!
Ich vermeine aber, daß die Seele nicht immer mit gleicher Glut der
Andacht zu Gott hingezogen, noch gleicherweiſe von ihrem Geliebten
heimgeſucht wird. Und ſo laſſen ſich je nach den geringeren oder tie⸗
feren heimſuchungen nicht unpaſſend verſchiedene Feſtgrade aufftellen,
fo zwar daß dann Dupler⸗Feſt in der Seele ift, wenn nach dem Pro⸗
pheten David Geiſt und Fleiſch gleichzeitig im lebendigen Gotte ſich
freuen, wenn das herz ſolche Freude in ſich ergoſſen empfindet, daß
es ſie nach außen durch Worte und Bewegungen kundtun muß und
feine Cuft darin findet, Gott fromm zuzujubeln in humnen und Liedern.
Dann aber wird Duplex maius gehalten, wenn im inneren Menſchen
fo große Berauſchung und im äußeren fo fühlbares Entzücken iſt,
daß die menſchliche Schwachheit ſolches vor Ciebesglut nicht zu faſſen
und zu ertragen vermag. Es läßt ſich auch durch keinerlei Worte be⸗
zeichnend ausdrücken, was die Seele an ſolch einem Feſte in ſich vor⸗
gehen ſpürt, wann Gott ſie heimſucht. Mit Schweigen iſt es vielmehr
zu bedecken, wenn einmal dergleichen von Gott zu verſpüren geſtattet
wird... An dieſem Feſte werden die Altarflügel aufgetan und die
Reliquien der heiligen zur Schau geſtellt. Denn ſolch einer liebenden
Seele tun ſich die verborgenen Tiefen der Schrift auf und die Geheim-
niſſe des himmliſchen Daterlandes werden ihr zu ſonderlichem Trofte
enthüllt, der Zuſtand der Heiligen und der ewige Lohn im himmel.
O großes und wonnigliches Feſt, nicht allen, ſondern nur wenigen
zu feiern verftattet. Wie fern find ſolche Feiern den Liebhabern der
Welt, die bloß Irdiſches verkoſten und bloß auf Äußeres [chauen....
Aber wann hat die Seele festum sollemne, Hoch feiertag? Daß
es mir doch einer ſagen könnte und zuteil werden ließe! Wenn es
ſich überhaupt ſagen läßt, was ſo tief und verborgen iſt, daß es mit
allen vorausgehenden Berührungen der Seele keine Berührung mehr
hat (ut ab omnibus praecedentibus motibus sit remotum). Wenn alfo
die Seele in der Verzückung des Geiſtes aller gegenwärtiger Dinge
und ihrer ſelbſt vergeſſend nur noch Gottes eingedenk iſt und von
aller körperlichen Dorftellung frei hinübergegangen ift in den Abgrund
des göttlichen Lichtes, Ewiges ſchauend: wer wollte leugnen, daß fie
dann hochfeſt feiert, die fie von den Strahlen der ewigen Sonne er⸗
leuchtet über allem Geſchöpflichen ſteht, fo vornehm erhoben (tam ele-
ganter suspensa). Das aber ſcheint alles mehr zur Glorie der
ewigen Seligkeit zu gehören als zum Elend des gegenwär⸗
tigen bebens. getzt alſo haben wir eher den bloßen Namen und
die Erinnerung von hochfeſten als deren Erfahrung. Denn feine volle
Klarheit ift den heiligen im himmel vorbehalten. O Feſt über alle
Feſte, wo Menſchen und Engel einmütig verfammelt Bott loben den
Dreieinen und Einen. Wie feierlich fingen fie dort, wie ſüß jubeln fie,
wo fie Bott immerfort gegenwärtig haben, ihn klar betrachten und
voll Entzücken ſchauen. Wahrhaftig, denke ich dieſes gubels und
428
des ewigen Bochfeftes im himmel, dann mißfällt mir alle frohe Feier
der gegenwärtigen Zeitlichkeit. Zu jener Hochfeier alſo, zu dieſem
ewigen Feſttag, der in feiner Größe weder begriffen noch beſchrieben
werden kann, ſoll unſere ganze Andachtsglut heftig verlangen und
angeregt werden, ſo oft auf Erden Feſte feierlich begangen werden.
Daher find alle unſere Feſte eher Dorfpiele jenes hijmmliſchen Feſtes
als wahre Feſte zu nennen. Hier indeſſen wird im Lite des Glau-
bens begonnen, dort aber im Glorienlichte alles vollendet. Denn
dort herrſcht Engelslob und heiliger Seelen lieblicher Seſang. Dort
freuen ſich alle einmütig in der Gegenwart ihres Schöpfers. Mit uns
aber iſt es gut beftellt, wenn uns bisweilen ein klein wenig da-
von zu verfpüren vergönnt wird.... O wie kurz und wenig iſt,
was wir feſtlich begehen, wie unvollkommen und dunkel, was wir
feiern! Solange wir nämlich die Finſternis unſerer Vergänglichkeit
tragen, ſolange wir in unſerem ſterblichen Leibe leben, begreifen wir
kaum etwas klar von dem Lichte der Unſterblichkeit und dem unum⸗
ſchriebenen Beift. Denn kaum eine Nacht und einen Tag und unſer
Bochfeft iſt wieder vorüber. Denn unſere Schwachheit vermag nicht
lange in Andacht zu verweilen. Und wenn nur der größere Teil der
Jeit geiſtlichen Weiſen gewidmet wäre und weniger in Anſpruch ge⸗
nommen wäre von äußeren Beſuchen... Aber wir find nun einmal
Pilger und Fremdlinge auf Erden, ... und Feſte zu feiern iſt mehr
Sache der himmelsbürger als der vertriebenen Söhne Evas. Damit
wir jedoch in unſerem Elend nicht erlägen und erdrückt würden und
der himmliſchen Wohltaten vergäßen, hat Gottes Weisheit fürgeſorgt
und die heilige Mutter die Kirche angeordnet, daß in Sehnſucht der
Seele die Feſttage Chrifti und der Heiligen alljährlich feierlich begangen
werden. Dadurch ſoll die Andacht geweckt, der Glaube erwärmt und
die Liebe gemehrt werden. Denn umſo andächtiger wird einer die
Feſte begehen, umſo würdiger Gott in ſeinen heiligen ehren,
je mehr er voranſchreitet im Beifte und fein herz weitet in
der Liebe zur Ewigkeit. Deshalb kam ja das Licht in die Welt,
daß es uns den Weg zum himmel wieſe. Unſer herz wollte es zur
biebe zu ihm entzünden und aus allem Irdiſchen herausziehen, uns
das Licht der Weisheit geben und die Finfternis des Irrtums ver⸗
ſcheuchen, um uns zugleich mit ſich des Reiches teilhaft zu machen,
zu Söhnen der Gnade und Benoffen der ewigen Herrlichkeit. O herr⸗
liches Licht, vom Dater erzeugt; o erhabene Weisheit Gottes, in dieſer
nacht von der gungfrau geboren: laß mich dir fromm und würdig
Dank fagen, laß mich deinem Namen kräftig pfallieren, ehrfürchtig
mich neigen, demütig kniebeugen, ehrend anbeten, und mit den
heiligen Engeln im himmel Gloria in ezcelsis hochfeſtlich dir
fingen. Denn dir gebührt bob und Ehre, herr, der du zu unſerem
Heile Menſch werden wollteſt. Amen.“
In ähnlich grundſätzlicher Art redet Thomas von der Liturgie bzw.
feinem Verhalten ihr gegenüber auch anderen Orts. Bekannt iſt die
Stelle der „Nachfolge Chriſti“ [3(4)10], es könne jeder Religioſe zwar
täglich und ſtündlich durch die liebende Betrachtung des Geheimniſſes
429
der Menſchwerdung Chrifti und feines Geidens heilſam und ohne Bin-
dernis geiſtig zur kkommunion kommen, und doch fei es gut, den Fron⸗
leichnam des Erlöſers an beſtimmten Tagen und zur feſtgeſetzten Zeit
mit glühender Andacht auch ſakramental zu empfangen: wer ſich aber
nicht anders vorbereite, als wenn das Feſt da iſt oder die Gewohn⸗
heit dazu zwingt, der werde oftmals unvorbereitet fein. Sanz aus-
führlich verbreitet Thomas ſich über dieſen wichtigen Punkt der Dor-
bereitung auf die Feſte und die ſakramentale Einigung mit geſus
als ihren höhepunkt in ſeinem gewöhnlich de solitudine et silentio
genannten „Brief an einen feines Amtes Enthobenen“ !. „Es geziemte
ſich“, ſagt er dort, „ſehr für einen Religioſen, zu beſtimmten heiligen
Jeiten des Jahres wie im Advent des herrn und in der Faſtenzeit
und an gewiſſen anderen Tagen, nämlich an Freitagen, ſo ſtreng er
es vermag von Geſprächen ſich zu enthalten. Außerdem ſollte er auf
größere hut des herzens und Mundes zugleich bedacht ſein an den
Digilien und den großen Feſten der heiligen, auf daß er fo mit
gehöriger Ehrfurcht und würdiger, ſoweit das unſer Juſtand geſtattet,
wohlvorbereitet auf die kommenden Feſte, am heiligen Tage das hoch⸗
heilige Sakrament des Leibes und Blutes unferes herrn mit großer
Sehnſucht und reiner Freude empfange.“ Wie wird in Thomas’ Augen
der Feiertag feierlich gerade durch den Empfang der heiligen Eucha-
riftiel „Es ziemt ſich vor allem für jenen Tag, an dem wir Chriftus
im Sakramente zu Gaſt in unſer Herz aufnehmen, heiligerer hut uns
zu weihen und wenigſtens einen frohen Tag mit ihm zu verbringen,
die wir ſo viele Tage und Stunden ſeiner Umarmung entriſſen werden.
Es wäre nicht allzu verwunderlich, wenn dann eine fromme Seele
ganz bei ihm wäre, wo doch auch er nicht nur halb, ſondern ganz
zu ihr kommen wollte.“
Für Thomas gibt es naturgemäß eine fruchtbare Spannung, aber
ebenſo naturgemäß keinen Riß zwiſchen PBrivatandacht und Viturgie.
Er lebt das Kirchenjahr in Chor und ktirche mit. Aber er bereitet
dieſes Erleben vorher perſönlich vor in feinen Übungen, iſt mit ganzer
Seele dabei in feinem Dollzuge und läßt es nachher lange nad)»
hallen in ſeinen Betrachtungen. Derſelbe Mann, der ſich den genannten
Ausſpruch der Altväter zu eigen macht: „Denk, Gott und du allein
wäret in der Welt, dann wirft du viele Ruhe haben“?, ſchreibt im
ſelben Atem: „Hochverdienſtlich iſt es, den heiligen kanoniſchen Tag»
zeiten beizuwohnen und das Cotteslob freudig zu verrichten mit vielen
Brüdern in der heiligen Kirche“. Er kann fie nicht leiden, „die zu ſpät
in die Kirche kommen und zu früh hinausgehen, die kurze Meſſen
lieben und lange Eſſen üben“, und prägt die Formel: „Ein frommer
Chor beſucher iſt einzig auf Bott und ſich bedacht, als wäre er ſchon
entrückt und entzückt im himmliſchen Chore“’. Dabei iſt feine An⸗
dacht keineswegs verſtiegen und weltfern. Er will praktiſche Übung
des bebens Jefu, nicht nur betrachtende Feier das ganze Jahr hin⸗
durch. Er weiß, daß geſchrieben ſteht: „Was ihr einem von meinen
1 pPohl IV 437 ff. De disciplina claustralium Er f Pohl II 296 IE: Ebd.
Kap. 8 298, 29 ff. * Ebd. 300 19 ff. 5 Ebd. 2
430
geringften Brüdern getan habt, habt ihr mir getan“. 50 übt er in
feinem kiloſter Weihnacht: „Wer an Stelle eines ſchwachen kranken
Bruders lieſt oder fingt, der ſpielt fröhlich Zither vor der Krippe des
Herrn. Wer andächtig betet und von leckeren Speiſen ſich enthält und
dem Eigengute entfagt, der bietet mit den drei Magiern drei koſtbare
Gaben geſu in händen dar!.“ Wenn er in der Nacht zum Aufftehen
geweckt wird, tut er die Augen auf und ſpricht zu ih: „Steh auf,
ſteh auf, der du ſchläfſt, und erleuchten wird dich Chriſtus, der einen
£ranz verſprochen hat, denen die wachen und beten.“ Wenn es dann
das zweitemal klopft, ſpricht er alsbald: „Siehe geſus, der Bräutigam
kommt, geh hinaus ihm entgegen! Wer zu ſpät kommt wird beſchämt
und des Segens entbehren.“ Schlägt es zum Chore ab, betet er mit den
Magiern, die dem Sterne folgen: „Das iſt das Zeichen des großen Königs;
laßt uns gehen und ihm unfere Gaben bringen: Bold, Weihrauch und
Myrrhe“. Er will, daß wir freudig fingen und eifrig im Chore mit⸗
tun. Aber er will keinen Überſchwang. Darüber hat er ein eigenes
kapitel „Über die Diskretion, die bei aller geiſtlichen Übung einzu⸗
halten ift;”? aus ihm fei einiges entnommen als Abſchluß dieſes kleinen
Verſuches, dem vieles beizufügen wäre. „Bott verlangt von dir nicht
die Jerſtörung deiner körperlichen Befundheit, ſondern Beherrſchung
deiner ſchlimmen Anlagen. Beute rennen und morgen müd daliegen,
das heißt man nicht auf dem Wege Gottes Fortſchritte machen,
ſondern ſich zu Grunde richten und den Fortfchritt verhindern. Beute
ſo laut ſingen, daß man morgen ſich nicht mehr hören laſſen oder
kaum den Mund aufmachen kann, das heißt man nicht Bott loben, ſon⸗
dern andere im Chore ſtören.“ Ift der Chor, bzw. die äußere liturgiſche
Gemeinſchaft als ſolche auch nicht der letzte Quell des Lebens, fo ift
er doch ſein großes Regulativ. Darum Thomas' Regel: „Halte dich an
die gemeinſame Ordnung und meide alle Art von Sonderlichkeit!“
Spannung und Entſpannung drängt Thomas zuſammen in ſein
„Gebet um glückliche Vollendung in den Tugenden.“ Er iſt Muſtiker
und Liturgiker zugleich, daher die bezeichnende Bitte: „Laß es nicht
zu, daß Satans Dorfpiegelung mich täuſche, laß mich nicht hingeriſſen
werden durch falſche Wonne, laß mich nicht durch meine private An⸗
dacht heraustreten aus der Gemeinſchaft. aß mich aber auch nicht
zuſammenbrechen durch maßloſes Mittun; ſondern gib, daß ich alles
mit Diskretion vollbringe, ohne klugen Rat nichts anftrebe, mit Ehr⸗
furcht und Scheu in deiner Gegenwart rein und frei ohne alle beiden⸗
ſchaft und Anhänglichkeit an die vergänglichen Dinge einherſchreite.
Gib mir einen demütigen und ſtillen Beift. Laß mich nie ausgegoſſen
und maßlos fein... Laß mich alles Außere nach Ort und Zeit richtig
vollbringen, daß es mir nicht zum Schaden für mein Inneres wird.
Alles Mühen und Handeln für dich getan, ſoll mir neue hilfe und
Führung ſein, nachher um ſo freier dir zu dienen.“
* Hortulus rosarum ap. 17 Pohl IV 42 7 ff. Hospitale pauperum Rap. 19
Pohl IV 234 f.; der letzte Bebetsgedanke ſchon in der Jungfrauen Regel“ enthalten
Rap. 8 Pl. 88 1060. De disciplina cl. Rap. 9 II 301 ff. Ebd. 8. 302 20 ff.
Ebd. kap. 10 8. 303 ff.
431
Rleine Beiträge und Hinweiſe
Liturgie und Dolksfeelforge.
Ein beliebte Waffe, mit der die Gegner der liturgiſchen Bewegung kämpfen, ift
die Behauptung, die Vertreter des liturgiſchen Apoſtolates wendeten fi nur an
die Bebildeten, fie hätten dem Volke nichts zu bieten und zerriſſen infolgedeſſen die
kirchliche 8emeinſchaft. Dieſer Dorwurf war von Anfang an unbegründet. Jahlreiche
liturgiſche Wochen fanden ſtatt in öffentlicher Pfarrkirche unter Beteiligung aller
Stände. Eine Reihe von Inſtruktionskurſen wurden eigens für weniger gebildete
Dolkskreife gehalten. Der Epifkopat hat das liturgiſche Apoftolat gebilligt, gut«
geheißen und mit Freuden begrüßt. Die berufenen Dolksfeelforger wurden bei vielen
Gelegenheiten zur Mitarbeit eingeladen. Man denke nur an die liturgiſchen Aurfe für
Seiſtliche vom 5.— 9. September 1921 in Maria-Laad), Ende Juli 1922 im Mliffions-
haus St. Rupert bei Salzburg und in dieſem herbſt erft in der öſterreichiſchen haupt ⸗
ftadt, oder an die Diözeſanſunoden von Freiburg 1921 und Köln 1922, oder an die
Aufſätze im Oberrheiniſchen Paſtoralblatt 1921 (3 u. 4) und im Kölner Paſtoralblatt
1922 (7 u. 8), von den neueſten Tagungen zur Förderung liturgiſchen Lebens in
Deutfchland und befonders in öſterreich — davon wird nächſtens einmal genauer
berichtet — ſowie von den mannigfachen Anregungen in den „Stimmen der Zeit“
oder in unſerer und anderen Feitſchriften gar nicht zu reden.
Am beſten werden Vorurteile widerlegt nicht durch Worte, ſondern durch Taten. 80
iſt die herausgabe der „Liturgifhen Dolksbüchlein“ feitens der Abtei Maria
ba ach, fo klein dieſe äußerlich find, eine Tat. Das hohe Lob, das den vier erften Bändchen
ſeinerzeit in dieſer Zeitfchrift (1922 8. 301) zuteil wurde, gilt auch den ſoeben er-
ſchienenen vier weiteren Bändchen. Nunmehr liegen neben der „hl. Taufe“ (1), dem
„hl. Sakrament der Ehe“ (2), dem „Uerſehbüchlein“ (3) und dem „Begräbnis eines
Erwachſenen“ (4) vor: „Mutter und Rind“, Gebete und Segnungen nach dem römi⸗
[hen Rituale (5); „Auf den Weg des Friedens“, ein Reiſebüchlein nach Brevier, Ri-
tuale und Miffale (6); „Frohe und ernfte Tage“, ein hausbüchlein nach dem römiſchen
Rituale (7); und „Die Chormeſſe“ (8). Dieſes letzte iſt im Gegenfag zu den ſonſt nur
deutſch gehaltenen „Volksbüchlein“ deutſch und lateiniſch (ſ. oben 8. 394 Anm. 1).
Die Ausftattung hat gegen früher gewonnen; das an dieſer Stelle feinerzeit bean-
ſtand ete Chriſtusmonogramm z. B. iſt einer zarten 8emme des Guten Hirten gewichen. —
In weit höherem Sinne als die Herausgabe der „Volksbüchlein“ muß aber als „Tat“
bezeichnet werden und zwar als eine bedeutungsvolle und gewiß ſegensreiche die
eben erfolgte Deröffentlidhung eines umfangreichen, prächtigen Piturgiſchen Dolksbuches
„Die betende Kirche““ herausgegeben durch die gleiche Abtei. Maria Laad) hat ſich
hierdurch den Dank des kathol. Volkes und feiner Seelforger in hohem Maße verdient.
Am liturgiſchen Dolksbudy und der Abfaſſung feines Textes haben ſich eine Reihe
von Paacher Mönchen beteiligt. Abt ITdefons herwegen ſelbſt ſtellt ein Wort
„zum Geleit“ an die Spitze, in dem er die tragenden Gedanken des Werkes hervor ·
hebt. „Unfer Buch will als Dolksbuch dem Wunſche vieler, in die Seſamtheit des
liturgiſchen Bebetslebens Einblicke zu gewinnen, entgegenkommen ... licht ein wiſſen⸗
ſchaftlicher, ein praktiſcher Zweck war für uns maßgebend: wir erftreben mit dem
vorliegenden Buche die Einführung der Släubigen ins religiös- kirchliche beben
aus dem Geifte der Liturgie“.
Freilich ein Dolksbudy in dem Sinne, wie etwa die Werke von Alban Stolz Dolks-
ſchriften find, ift die Gabe der Mönche vom Laadher See nicht. Sonft hätten fie nicht
ı kl. 320. Bartoniert heft 5 u. 6 je IM. —.40; Heft 7 M. —.50; Heft 8 M.1.—, geb. in Leinen M. 1.60.
ſämtlich Freiburg 1924, Herder.
* Abtei Marta Paach, Die betende Kirche. Ein liturgifches Volksbuch. Mit 24 Bildertafeln.
Ger. (XVI u. 510 und 24 8.) Berlin [1924], St. Auguſtinus - Verlag.
432
beginnen dürfen mit einem Kapitel, das überfchrieben ift „Wefen und Bedeutung der
biturgie“. Das klingt ftark an den Ton eines theologiſchen Gehrbuds an. Ein Dolkse
ſchriftſteller hätte wohl mit der Taufe angefangen und hätte ſeinen Lefern gezeigt,
wie wunderbar einfach und doch wie großartig poetiſch und dramatiſch und zugleich
wie gedankentief und offenbarungsreich die betende Kirche uns ſelbſt in das Heiligtum
der Liturgie einführt. So aber zeigt P. Ambrofius Stock, wie die Kirche der weiter
lebende Chriftus iſt und wie in der Liturgie ſich Chrifti Erlöfungswerk täglich erneuert.
„Die Piturgie iſt der Gottesdienft, den der muſtiſche Chriſtus dem himm⸗
liſchen Dater darbringt' (8. 25). Dieſe Begriffsbeſtimmung klingt [ehr einfach.
Richtig verſtanden ſcheint fie mir aber die vollſtändigſte und tiefſte und damit die
beſte zu ſein, die ich bisher geleſen habe. Sehr gut iſt auch der Hinweis auf die
bedeutungsvolle Rolle, die die Pfarrei im liturgiſchen Leben ſpielt (S. 24). Dieſe
Sätze allein müßten das törichte Berede vom JFerreißen der kirchlichen 8emeinſchaft
durch die liturgiſche Bewegung zum Schweigen bringen.
Es folgt dann ein apitel über das Kirchengebäude, feine liturgiſche Bedeu-
tung und feine Stilgeſchichte. Die rein kunſtgeſchichtlichen Teile ſtammen aus der
Feder des P. Adalbert Schippers. Die Ausführungen über die Stellung der Bau-
ftile zur Citurgie hat P. Ambrofius Stock geſchrieben. Die folgenden Sätze über die
Gotik werden den Derehrern des Hochmittelalters und feiner Bauten wenig Freude
machen: „Weiter als die Botik konnte man ſich nicht vom liturgiſchen Semeinſchafts ·
ideal entfernen; größere Augeftändniffe dem einzelnen zu machen und dabei doch
noch im Rahmen des katholiſchen Kirchenbegriffs zu bleiben, weiter den Innenraum
als Raum zu verflüchtigen und gleichwohl noch einen katholiſchen Kultraum zu ſchaffen.
war nicht möglich. Damit war auch einer Weiterentwicklung des gotiſchen Stils ein
Fiel geſetzt. Eine Gefundung war nur auf dem Wege einer Ueuſchöpfung möglich.
die auf die alten Bauprinzipien zurückgriff.“ Das geht etwas gegen die landläufigen
Begriffe. Was er aber ſagen will, weiß der Derfaffer ſolid zu begründen.
Bei der Würdigung der Bauſtile mußte der Altar und ſeine Stellung im Raum
ſchon in die Betrachtung mit hereinbezogen werden. Über feine Ausftattung, über
die liturgiſchen Gefäße und Aleidungsftücke, über die Kirchengeräte und ſonſtige
Ausftattung des gottesdienftlihen Raumes verbreitet ſich P. Joannes Vollmar.
Der bildenden Kunſt werden alſo über 100 Seiten des Werkes gewidmet. Dagegen
muß es Befremden erregen, daß diejenige Kunſt, die mit der Liturgie inniger als
alle anderen KRünfte verbunden iſt, nämlich die kirchenmuſik, in einer Anmerkung
erledigt wird (ſ. N. 11), das iſt ein Mangel, für den wir uns tröſten laffen mũſſen
durch das Derfpreden, in der 2. Auflage werde ein eigenes Kapitel über die litur⸗
giſche Tonkunſt handeln (ebd.). 5
Den höhepunkt feiner Bedeutfamkeit erreicht das liturgiſche Dolksbud mit den
drei Kapiteln über die Feier der heiligen Meffe von Abt JIdefons herwegen,
über das Gebet der Kirche von P. Odo Caſel und über das Kirchenjahr von D.
Simon Stricker. Das Rapitel über die Feier der heiligen Meffe behandelt zwar alles
Weſentliche, aber mit einer ſolch gedrängten Kürze, daß der Wunſch auffteigt, der
Derfaffer möchte in einer neuen Auflage mit Rückſicht auf die pädagogiſche und ſeel⸗
ſorgerliche Bedeutung gerade dieſes Kapitels feine gedankentiefen und form vollendeten
Ausführungen in einigen Partien etwas erweitern. Ju dieſen Partien rechne ich den
Abſchnitt, der überſchrieben iſt „Der Opfergang“. Die traditionelle ehre von den
drei Hauptteilen der Euchariſtiefeier iſt hier verlaſſen. Der „Opfergang“ wird als
eine Art Auftakt zur Opferhandlung aufgefaßt. In dem ſehr beherzigenswerten Nufſatz
„Seelforgerlehren aus dem Luchariſtiſchen Kongreß in Amſterdam“ („Die Seelſorge“.
Jahrg. 2, Heft 7) ſchreibt St. Stephan: „Wir dürfen nicht länger dulden, daß unfer
Volk zum heiligen Meßopfer nur kommt, um zu beten, da es ſolches außerhalb der
heiligen Meffe auch tun kann; auch nicht um bloß eine Pflicht zu erfüllen, wie man
etwa Rirchenfteuer zahlt ..., fondern wir müſſen darauf drängen, daß es mit dem
Driefter wirkliche Opferarbeit leiſtet“. Und dann: „Wir dürfen nicht länger
2433
zuſehen, daß ... ein Hauptteil, die ſogenannte Opferung, kaum zum Bewußtſein
des Volkes kommt.“ Gerade bei dem Teil, den wir gewöhnlich „Opferung“ nennen,
ſoll das Volk feine Opfer darbringen, die nachher in Chrifti Opfer verwandelt und
dadurch Bott unendlich wahlgefällig werden. Da ſoll die Kirche nach dem Worte des
hl. Auguftinus (de civ. Dei 10, 20) „lernen, ſich ſelber opfern“. Umſomehr muß
diefe aktive Opfertätigkeit des Volkes betont werden, je ſeltener heute der ſumboliſche
„Opfergang“ den Gläubigen zu äußerer Aktivität Gelegenheit und eine deutliche Er-
innerung an die innere Erweckung der Opfergeſinnung bietet, und je mehr immer
noch die Unfitte beſteht, die Opferung im &redogefang verſchwinden zu laſſen.
In den beiden Schlußkapiteln behandeln die P. P. Thomas michels und Gregor
Böckeler „Die Sakramente“ und „Die Sakramentalien“. Hier werden hauptſächlich
die liturgiſchen Terte geboten und nur wenige kurze erklärende Bemerkungen ein ;
geſtreut. Dieſe Kürze bedauert der Gefer namentlich in dem Kapitel über die Sakra-
mente. Auffallenderweife wird 8. 415 und dann wieder 8. 473 ff. das heilige Offi-
zium unter die Sakramentalien gezählt.
Im Namen des katholifhen Dolkes und feiner Seelforger fei der Abtei Maria
baach der wärmfte Dank für ihre herrliche Gabe ausgeſprochen. Möge das liturgiſche
Volksbuch wirklich ein Buch in der hand des Dolkes werden und vielen Tauſenden
Anleitung geben, mehr als bisher mit der kirche zu leben und zu beten und mit
beiden händen zu ſchöpfen aus den Quellen des heiles!
Gewiß werden auch die Seelſorger aus der „betenden Kirche“ viel Auen n
und Belehrung gewinnen. Denn auch in der Ausbildung und Erziehung des Klerus
könnte und follte die Liturgie eine mehr zentrale Stellung einnehmen. Dieſer Ge-
danke hat die Konferenz der öſterreichiſchen Theologieprofeſſoren, die am
2. und 3. Oktober im Miſſionshaus St. Gabriel bei Wien ftattfand, zur Aufftellung
folgender Geitfäge! veranlaßt: 1. In Anbetracht der Bedeutung der liturgiſchen
Bewegung für die religiöfe Dolkserneuerung und des ſtets mehr wachſen⸗
den Umfanges des liturgiſchen Stoffgebietes iſt es wünſchenswert, daß die bitur⸗
gik im Rahmen des theologiſchen Unterrichts als ein eigenes Pehrfach eingeführt
werde. 2. Das Lehrfady der Liturgik ſoll ſich befaſſen: a. mit der hiſtoriſchen Entwick⸗
lung, b. mit dem Jdeengehalt, c. mit der paſtoralen Auswertung der Piturgie, d. mit
den wichtigſten techniſch⸗praktiſchen Anleitungen, indes die Rubriziſtik nötigenfalls in
geeigneter Weiſe außerhalb des liturgiſchen behrfaches gelehrt und geübt werden ſoll.
3. Die Seminarleitungen mögen darauf hinwirken, daß die Alumnen zum vollen
Derffändnis der Liturgie und zum Mitleben mit ihr angeleitet werden ſo⸗
wohl bei den Hhausbetrachtungen wie auch durch freie liturgiſche Stunden, Konferenzen,
um ihnen Gelegenheit zu geben, ſich ſelbſt zu bilden, und um fie fähig zu machen,
das Volk liturgiſch zu erziehen. 4. In Anſehung der modernen liturgiſchen
Bewegung und ihrer Bedeutung für die religiöfe Dolkserneuerung erſcheint es höchſt
wünſchenswert, daß ſich die biturgikdozenten zu einheitlicher Stoffbehandlung, zumal
zu einheitlicher Anleitung zur ſeelſorgerlichen Auswertung der Liturgie zuſammen⸗
ſchließen, damit fo die liturgiſche Bewegung öſterreichs vom Mutterboden der
Seminarien aus gleichmäßig aufblühe. 5. Für einen zweckentſprechenden liturgi⸗
[hen Unterricht find zumindeſt zwei Wochenſtunden durch zwei Semeſter erforderlich.
möge unſer deutſcher Klerus vom öſterreichiſchen Dorbild lernen, aus dem GBeifte
der Liturgie ſich ſelbſt zu erneuern und aus dem gleichen weitherzigen Geifte der
biturgie den Lachwuchs in den Anabenkonvikten und Prieſterſeminarien zu erziehen!
Dann wird es ſicher viel leichter möglich ſein, auch das große, ſehnſüchtig erwartete
Werk zu vollbringen: unfer deutſches Dol k zu erneuern im Geifte der betenden opfern⸗
den und ſegnenden Kirche!
P. Fidelis Böſer (Beuron).
1 Nach der Salzburger „Ratholifhen Kirchenzeltung“ Nr. 42 (vom 16. Oktober 1924).
Benediktinifhe Monatſchriſt VI (1924) 11— 12. 27
434
Don den iriſchen Glaubensboten.
Di Tätigkeit der Miffionäre und anderer irifher »Peregrini« auf dem europäi-
[hen Kontinent und die Rolle iriſcher heiliger in der Tradition des Volkes, in
feinen Giedern, Ortsnamen und Bebräuden, das iſt der Gegenftand eines 150 Seiten
ſtarken, in beſtem Druck erſchienenen Buches von P. b. Sougaud O. 8. B. Beide
Teile ſtützen ſich auf ein fleißiges Quellenftudium und hiſtoriſche Unterlagen und
halten ſich frei von der Aufnahme legendärer oder ſagenhafter Überlieferungen. Der
gelehrte und gründliche Derfaffer ließ ſich nie verleiten durch bloße Phantaſte, und
im Gegenſatz zu anderen, die dasſelbe Gebiet betraten, ließ er ſich auch nicht zu bob⸗
preiſungen hinreißen, die nicht durch das unbeſtreitbare Jeugnis verbürgter Geſchichte
gerechtfertigt find. Und dies trotz feiner großen Liebe zum Volk und Stoff feiner Arbeit,
die ſich unwillkürlich dem Peſer mitteilt. Nicht Phantafien ſondern Tatſachen zu geben,
bildet das Leitmotiv der Abfaſſung, und dieſe Tatſachen verkünden beffer als Worte
den Ruhm, den ſich die grüne Inſel, Irland, in nahezu 400 ertragreichen Jahren
erworben hat. Der Feuereifer und die Begeiſterung dieſer Auserwählten ſpricht ſich
aus in den beitworten, die ihnen Ariegsruf waren: „Aus Liebe zu Bott, für Jefus
Chriftus; im Namen des Herrn; aus biebe zum Namen Chriſti!“ gene heilige Glut,
jener göttliche Idealismus, welche der Gegenwart fo ganz verloren gingen, ließen
ihre herzen aufleuchten in hehrer Leidenfhaft, die Opfer und Mühſal weder erfättigen
noch dämpfen konnten. Sie fühlten ſich hinreichend belohnt, wenn fie die lacht des
Beidentums dem Dichte der Lehre Chriſti weichen und den Garten Gottes in Rofen-
büſchen aufblühen ſahen. Dieſer apoſtoliſche Eifer iſt Ausfluß jenes ſtarken monaſti⸗
[chen Geiſtes, der die leuchtenden Tage von Irlands völkiſchem Hochſtand kennzeichnet.
Das Beiſpiel dieſer Männer wirkt fort im iriſchen Dolk von heute, das überall, wo
England feine Flagge hißte, das Banner des Kreuzes wehen ließ. Wer heute den
Spuren jener »Peregrini« (Bahnbrecher und Wanderlehrer aus fremdem Band) folgt
in den Gändern von Marne und Moſel, Rhein und Donau bewäſſert und befruchtet:
in Frankreich, Deutſchland, öſterreich und der Schweiz, wer dort beben und Wirken
jener Berufenen an Ort und Stelle ftudiert, wird ihre Namen im Herzen und auf
den Lippen des Volkes gefegnet finden, deſſen Ahnen fie Chriſti heil und Geben ge⸗
gebracht haben. Er wird Rirden und Kapellen, Städte und Burgen, Brunnen
und Quellen ſchauen, die ihre Uamen tragen. Eine ganze Anzahl volkstümlicher
kirchlicher Bräuche, Weihen und Rundgänge führen noch auf ſie zurück. Der neuen
Jugend in den Kollegien und Seminarien, in den Ronvikten und Klöftern möge das
Vorbild dieſer Heiligen und Glaubensboten zu urſprünglicher innerer Heiligkeit ver ·
helfen, der Dorausfegung zu allen geiſtigen Großtaten. Es möge ihr verhelfen zur
Erweckung jener Jdeale, die leider nicht mehr im alten Lichte leuchten und die doch
der Welt fo bitter not tun, wo wir einer Zukunft gegenüberſtehen voll dräuender
Gefahren und ſchwerwiegender Aufgaben.
Wir haben uns mit Abſicht im großen und ganzen an das Vorwort gehalten, |
das P. Huguſtin 0. 8. F. C. aus Davos-Dorf als Geleitwort in freundſchaftlicher
Befinnung dem Derfaffer und zum Dank für den Genuß, den er daraus zog, dem
Buche mit auf den Weg gegeben hat. Seine Feder ift eine berufene und feine Mei⸗
nung teilen wir vollſtändig. Möchte ſich für das intereſſante kleine Werk, für das
ſich hier in U. Collins ein gewandter Überſetzer ins Englifche gefunden hat, auch
ein deutſcher ÜUberſetzer finden, der auch uns vertraut macht mit den gottbegnadeten
Männern und Frauen, mit jenen heimatlofen »Peregrini«, die uns unfere Heimat
erſt recht teuer gemacht haben. C. Stigler (Beuron).
Gougaud D. ., O. 8. B., Saelic Pioneers of Christianity. The Work and
Influence of Irish Monks and Saints in continental Europe translated from the
French bu Collins. Silland Son Ptö. 50 Upper O'Connell Street, Dublin, 1923.
4
335
Bücherſchau
beben Fefu
Reatz, Dr. Aug., Prof. der Theologie in
Mainz, Jefus Chriftus. Sein Geben, feine
Gehre und fein Werk. gr. 8° (VIII und
354 8. mit Titelbild). Freiburg i. Br. 1924,
Herder. Geheftet M. 5.50; gebunden in
Leinwand M. 7.50
es unterliegt keinem Zweifel: wir ka-
tholiken haben eine große Miffion zu er-
füllen an der heutigen Menſchheit, wir
müſſen ihr den Heiland wiederſchenken,
den wahren, ganzen geſus Chriſtus, wie
er einſt gelebt hat und wie er heute noch
in unſerer Mitte lebt und wirkt. Das iſt
gewiß keine leichte Aufgabe; denn die
modernen Menfchen wiſſen viel über geſus
von Nazareth, foviel wie einft das Spät«-
judentum über den Meffias wußte; darum
erkennen ſie ihn nicht.
Der Derfalfer des oben genannten Wer⸗
kes hat ſich hineingearbeitet in dieſes viele
Wiſſen; er kennt die Chriſtus- Probleme
und nimmt ſelbſtändig Stellung zu ihnen.
Doch er bleibt nicht auf der Ebene der
Probleme ftehen; denn der Buchſtabe tötet,
und der Rampf um den Buchſtaben tötet
noch die Toten. Die Probleme dienen ihm
zum Anlaß, in den Geift Chriſti einzu-
dringen, den Beift, den die bloßen Diel-
wiſſer über Chriſtus nicht ſchauen dürfen.
Von hier aus zeigt ſich klar, wie manch-
mal ſchon die Frageſtellung der heutigen
Wiſſenſchaft verkehrt iſt, wie bitter not
es tut, ſich erſt einzufühlen in die Eigen
art geſu. Das ift ja nötig gegenüber
jedem Begenftand wiſſenſchaftlicher Unter
fudgung; Chriſtus aber iſt eine Welt für
ſich. Dann erft ift es möglich, von Er⸗
kenntnis zu Erkenntnis voranzuſchreiten.
Einſicht fügt ih zu Einficht, bis ſchließlich
die volle Wahrheit überzeugend vor der
Seele ſteht. Schulmäßig ausgedrückt han ⸗
delt es ſich hier um ein geſchicktes Beltend-
machen einer Fülle von Kongruenzbewei⸗
ſen, welche die vollgültigen Beweiſe erſt vor⸗
bereiten und ihnen zum durchſchlagenden
Erfolge helfen. Die Beweiſe ſelbſt aber ent
ſtammen geläutertem theologiſchem Wiſſen.
Doch der Derfaffer müht ſich wie geſagt
vor allem um den Geiſt Jeſu. So eröffnet
er pofitive Erkenntniſſe, die auch den
apologetiſch weniger Intereſſterten erfreuen
werden. Das gilt ſchon vom erſten haupt-
teil über Geben und Perſönlichkeit Jeſu,
ebenfo vom dritten, der die meſſtaniſche
Stiftung (Die neue Geſellſchaft; Der neue
Beilsweg) behandelt, ganz beſonders aber
vom zweiten: Die meſſtaniſche Derkündi-
gung. Es wird uns Menfchen ja nie ge⸗
lingen, die unendlich reiche und tiefe Gei-
ſteswelt geſu zu ergründen. Jeder ſchöpft,
foviel fein eigenes Gefäß zu faſſen vermag.
Der Derfaffer ſucht in die Tiefe der Be-
dankenfülle Jefu vorzudringen, namentlich
auch die Eigenart feiner Der kündigung
aufzuzeigen. Wir erwähnen nur folgende
Punkte: Das Neue am chriſtlichen Gottes-
glauben; Die fürforgende Datergüte; Die
göttliche Datergüte als fordernder und mit«-
teilender Sotteswille; Das neue Gottes;
vertrauen; Der Gottesreichsbegriff Jeſu:
Die Dergeiftigung der eſchatologiſchen Er ⸗
wartungen (die Ausführungen hierüber
und über die Barufie find beſonders be-
merkenswert); Perſönlichkeit und Gemein-
(haft im zukünftigen Gottesreidh,; Sünden-
vergebung und Sündentilgung durch Fe=
fus; geſus und die Myftik; Ewiger Lohn
und ewige Strafe; Theonomie und Chrifto-
nomie; Die Sozialethik Fefu; Schlußwort:
Das Weſen des Chriſtentums und des
Katholizismus. Die Sprache des Derfaffers
iſt akademiſch vornehm. Beſonders iſt
anzuerkennen, daß er die Klarheit als
eine Weſenseigenſchaft der ſchönen Sprache
(auch der deutſchen !) gelten läßt.
Mit der Dornehmheit des Inhaltes und
der Sprache ſteht die der Husftattung des
Werkes durch den Verlag im Einklang.
P. Gaurentius Rupp (Weingarten).
Janvier, P. m. N., O. P., Das Leiden
unſeres herrn geſu Chriſti u. die hrift-
liche Moral. Uberſ. von P. Beda Pp uò wig
O. 8. B. Band I. (XVI u. 244 8.) ſtirnach ·
Dillingen 1924, Schulbrüder⸗ Verlag.
mit einigem Zögern ging ich an die bek⸗
türe dieſes Buches, einmal weil es eine
Überfegung iſt und gute Überſetzungen
27°
436
felten find und anderfeits, weil der Der-
faſſer ein Franzoſe ift und die Uberſchweng⸗
lichkeit mancher franzöſiſcher aſzetiſcher
Schriftſteller mir nicht zuſagt. Umſo glück-
licher wurde ich enttäuſcht. Die lÜberfegung
lieſt ſich ſo fließend, daß man nur äußerſt
ſelten ans fremoͤſprachliche Original erin⸗
nert wird. Der Inhalt ſelbſt beruht auf
den ſicheren Ergebniſſen der Theologie und
ſchöpft vornehmlich aus dem Buch der
Bücher ſelbſt. Daneben ermöglichen die
klare Darſtellung, die überſichtliche Glie⸗
derung und der ſtreng logiſche Aufbau
auch dem gewöhnlichen Gefer, dem Autor
mit Peichtigkeit zu folgen. Mit dem bei-
densproblem muß ſich jeder Erdgeborene
einmal auseinanderſetzen, ob er will oder
nicht. In dieſem Bändchen, dem noch ein
zweites und drittes folgen ſoll, finden wir
das genannte Problem durchs beiden des Er-
löſers unſerem Derftändnis näher gerückt.
Uicht blutrünſtige Einzelſchilderungen von
Marterſzenen, ſondern liebevolles Einge-
hen auf den tieferen Gehalt der Paſſton
wird da geboten. Freilich dürfen wir das
Buch nicht wie einen Roman in einem
Juge leſen, ſondern müſſen die einzelnen
Abſchnitte — am beſten in mäßigen Abftän-
den - nachdenkend betrachten. Wer aus dem
Werkchen Stoff für Predigten u. Vorträge
ſchöpfen will, wird für die am Zchluß
beigefügte „Gliederung“ ſehr dankbar fein.
Abt Plazidus Blogger (Augsburg).
Religion und Geben
Rümmer, Franz, Wahres Geben. Ein
Büchlein v. d. Gnade. kl. 8° (VIII u. 1128.)
Paderborn 1924, Schöningh. Seb. IM. 2.40
Ein herziges Büchlein, das umſomehr
zu begrüßen ift, als unſere Zeit einen
ſtarken Zug zur „Muſtik“ hat. beider be⸗
kommt der gewöhnliche Lefer felten die
gewünſchte Aufklärung über dieſes viel⸗
gebrauchte und ſo oft mißdeutete Wort.
Die darüber handelnden Werke find teil ⸗
weiſe zu umfangreich oder zu gelehrt, teil ⸗
weiſe füßlid und ſchwärmeriſch. Der Der-
faffer hat es verftanden, mit Dermeidung
all diefer Klippen den Gefer in die Seheiin ·
niſſe des chriſtlichen inneren Debens einzu»
führen, deffen Mittelpunkt eben die Gnade
iſt. Originelle Darſtellung, glückliche Be⸗
nützung der Hl. Schrift, gute Bekanntſchaft
mit Dogmatik und Rirhenvätern zeichnen
das Werkchen aus. Auch ſpricht die reiche
erfahrung eines ehemaligen Diaſpora- Seel;
ſorgers aus jeder Zeile. — Das Büchlein
wird allen „Sottſuchern“ eine Freude fein.
Den hochw. Mitbrüdern, namentlich den
jüngeren Inhabern von kleinen Pfarreien,
vermag es eine Anleitung zu werden, wie
die langen Mußeftunden im Winter und
in ländlicher Einfamkeit durch Vertiefung
des theologiſchen Wiſſens und gründliches
Studium der Kirchenväter für die Seelſorge
nutzbringend verwertet werden können.
Abt Plazidus Glogger (Augsburg).
Wilms, P. ghieronymus, 0. Pr., Das
Beten der muſtikerinnen. Dargeſtellt
nach den Chroniken der Dominikanerin-
nenklöſter zu Nöelhaufen, Dießenhofen,
Engeltal, Kirchberg, Otenbach, Töß, Unter-
linden und Weiler [Bücher für Seelen
Rultur]. Zweite, verbefferte und erwei⸗
terte Aufl. 12° (X und 234 8.) Freiburg
1923, Herder. Seb. M. 3.40
Das Werk iſt in erfter Auflage „mit
weitläufiger Einleitung und Anmerkungen
im Derlag von 0. Harraſſowitz in Leipzig
als 11. Heft der ‚Quellen und Forſchungen
zur Geſchichte des Dominikanerordens in
Deutſchland“ erſchienen“ (1916. gr. 8° XII
u. 180 8.). Suchte P. Wilms dort, ſpeku ·
latibe Durchoͤringung mit hiſtoriſcher For-
ſchung einend, zunächſt wiſſenſchaftlichen
Awecken zu dienen, ſo hat er in dieſer
„zweiten“ Nuflage den erbaulichen Cha⸗
rakter des Buches mehr herausgearbeitet.
nach Aufzeihnungen großer chriſtlicher
Beterinnen aus unferer deutſchen heimat
iſt hier eine „Anleitung“ zuſammengeſtellt,
die anregen ſoll, die Kunſt des Betens zu
erlernen und die erlernte zu vervollkomm-
nen. P. Wilms ſtellt den Inhalt der Ge⸗
betschroniken der im Titel genannten, in
einer Einleitung näher gekennzeichneten
acht Klöfter — das Klofter Weiler konnte
in der Erſtauflage nicht mehr berückfichtigt
werden — in fieben Kapiteln ſuſtematiſch
zuſammen: Gebetsleben im allgemeinen,
Chorgebet, Pri vatgebet, Sakramentenemp-
fang, Betrachtung, Sammlung, außeror-
dentliches Gebetsleben.
Es iſt äußerft lehrreich, die Frömmigkeit
dieſer Dominikanerinnen aus der erſten
Hälfte des 14. Jahrhunderts näher kennen
zu lernen. Neben vielem Gefunden wächſt
freilich nicht wenig Ungeſundes empor.
Der Derfaffer unterläßt es nicht, am ge⸗
eigneten Ort durch entſprechende Bemer-
kung darauf aufmerkſam zu machen. War
und iſt die Wiſſenſchaft für die Erſtauf
lage dankbar, fo das Geben für dieſe
Aweitauflage. Recht benutzt vermag fie
reiche Anregung zu geben und zu gefunder
Frömmigkeit zu erziehen.
Kuhn, P. Dr. Albert, O. 8. B., Der ka⸗
tholiſche Mann. Religiöfe zeitgemäße Er⸗
wägungen für gebildete Gaien. 12° (316 8.
mit Bilöfhmuck v. W. Sommer). Einfie-
deln / Waldshut 1924, Benziger.
Breit, Dr. ernſt, Frauenſpiegel. Ein
Buch von der Mutter Gottes für die kathol.
Frauen u. Jungfrauen, beſonders der kath.
Braut zugeeignet. 12° (127 8.) Ebd.
1. Mit Freuden wird der gebildete ka;
thol. Mann nach P. Kuhns wirklich gehalt⸗
vollem Buche greifen. Er findet hier in
fünf Abſchnitten behandelt: Die chriſtliche
Gebensführung; Religiöſe Übungen; Die
Forderungen der Zeit; Die Gefahren der
Beit; Religiöfe Zweifel und Derſuchungen.
Wie reichhaltig und zeitgemäß der Inhalt
des Buches iſt, zeigen beiſpielsweiſe die
kapitel des dritten Abſchnittes: Das Fa-
milienleben und die Vereinstätigkeit; Fort-
ſchritt und Bildung; Vater und Kind;
Herr und Knecht; Die Mäßigkeit. Es iſt
ein Buch, modern ⸗fortſchrittlich und zu⸗
gleich katholiſch- ewig. Es atmet die abge⸗
klärte, ruhig ſichere Art benediktiniſchen
Weſens. Die Sprache iſt edel und einfach,
die Ausftattung reich und anſprechend.
Möge es das bebensbuch unſerer Männer⸗
und Jungmännerwelt werden!
2. Das Büchlein von Breit will wie im
Spiegel das Bild der Gottesmutter zeigen,
wie das Evangelium es in ſchlichten Fügen
zeichnet. Der Derfaffer ſchreibt mit Wärme
und verfügt über eine edle Sprache. Es ift
ihm gelungen, in elf Einzeldarftellungen
das bibliſche Marienbild für die praktiſchen
Bedürfniffe der Gegenwart auszubeuten.
Sein Fiel iſt, dazu beizutragen, daß die
chriſtliche Sdelfrau im höchſten und heilig ·
ſten Sinne dieſes Wortes geſchaffen werde,
gleichviel ob in der Ehe oder im jungfräu⸗
lichen Geben. Wir empfehlen das [hön aus
geſtattete Büchlein nicht bloß den Frauen
437
und Jungfrauen felbft, ſondern auch allen
jenen, die für die Uerwirklichung des chriſt⸗
lichen Frauenideals ſich einzuſetzen berufen
find. D. Benedikt Baur (Beuron).
Meyer, P. Wendelin, O. F. M., Pauline
von Mallinckrodt. Zu ihrem jugendlichen
Seelenbilde nach Schlüters Aufzeichnungen
bearbeitet. 8° (284 8. mit 5 Bildern) Mün-
fter 1924, Aſchendorff. Geb. I. 4.—
man begegnet in unferer Zeit nicht fel-
ten außerhalb der Kirche ſtehenden, aber
für Hohes und Edles empfänglichen Men-
ſchen, die mit aufrichtiger Bewunderung
zu Geſtalten wie dem hl. Franziskus oder
der hl. Eliſabeth aufſchauen und deren Ge»
ben und Wirken mit regem Intereſſe ftu-
dieren. Sie wiſſen aber nicht oder wollen
es nicht wiſſen, daß diefe heroiſchen Tugend»
beiſpiele nur auf dem Boden der heiligen
Rirche erwachſen und, von ihm genährt, ſich
entfalten konnten. Es iſt darum ein ver⸗
dienſtliches Werk, das Gnadenwalten und
Führen der göttlichen Dorfehung in einer
von Diebe zur Kirche erfüllten und für
deren Lehren empfänglichen Seele zu ver-
folgen und aufzudecken.
D. Wendelin Meyer hat ſich dieſe Auf-
gabe geftellt und fiein hervorragender Weiſe
gelöft, indem er uns aus dem Jugendleben
der Stifterin der „Benoffenfchaft der Schwe⸗
ſtern der göttlichen Liebe“ zeigt, wie eine
bedeutende Frau, deren Geiſt in fo vielen
über drei Weltteile verbreiteten Ordens
häuſern zum Segen der Menfchheit fortlebt,
für das ihr von der Dorfehung zugedachte
Werk vorbereitet wurde. Er nennt [ein
Buch ein, vorklöſterliches Seelenbild“ Pau-
linens von Mallinckrodt, das er aus dem
Nachlaß und den Briefen des Münſteri⸗
(den Profeſſors Chriſtoph Bernhard SchTü-
ter meiſterhaft zu zeichnen verſtanden hat.
Pauline erſcheint uns bereits bei ihrem
erften Juſammentreffen mit Schlüter als
ein für ihr Alter ftaunenswert reifer, in
unbedingter Glaubenstreue gefeſtigter Cha;
rakter. Schlüter ſagt von ihr, fie ſei , nüch ·
ternen Derftandes, weitſichtig, großzügig
und voll ſonniger Weltauffaſſung“ (8. 174)
geweſen. „Eine Natur aus einem Buß“ (8.
42). Der Umgang mit ihm, der ſich von da
ab (1840) mündlich und ſchriftlich bis zur
Gründung ihres Gebenswerkes fortſpann,
vollendete die geiftige Ausbildung der mit
438
reihen Saben des Geiſtes und Herzens
ausgeſtatteten, wahrhaft adeligen Jung»
frau und wurde ihr zur Vorſchule für die
künftige Erziehung hunderter von Ordens⸗
frauen. Aber auch auf Schlüter, der ſie
alsbald erkannte und immer mehr ſchätzen
lernte, übte fie ihrer ſeits gewaltigen Ein⸗
fluß. Es iſt erſtaunlich, wie im Laufe ihres
Verkehrs die höchſten Lehren und tiefften
Probleme des Glaubens erörtert und durch⸗
dacht wurden; aber auch wie der geſunde
Derftand und die tiefgläubige Auffaffung
Paulinens gleichſam inftinktiv das Rich⸗
tige zu treffen oder in demütiger Unter
werfung ſich zu fügen und die Wahrheit
ſich anzueignen wußte. Oft tauſchten Leh-
rer und Schülerin die Rollen; denn Pau⸗
line beſaß das sentire cum ecclesia in
hohem Maße: der Husſpruch der heiligen
Kirche ſtand ihr über jeder noch ſo geiſt⸗
voll ſcheinenden behrmeinung. Fragen wie
das Verhältnis von Glauben und Wiſſen,
die heiligſte Dreifaltigkeit und Güntherſche
Philoſophie, Gnade und Willensfreiheit, die
Ablaßlehre u. a. wurden von den gleich⸗
geſtimmten und befreundeten Geiſtern
Schlüter und Pauline eifrig erörtert. Der
Derfaffer des intereſſanten Buches benützt
fie zur Einteilung der Kapitel und verfteht
fie aus eigenem theologiſchem Wiſſen zu
ergänzen, zu vertiefen und klarzuſtellen.
Die Eudariftie war von Jugend auf
die Nahrung von Paulinens Glaubens-
leben, und aus dieſem vom täglichen
Empfang der hl. Rommunion genährten
Slauben erwuchs ihre reine und feurige
Gottes- und Nächftenliebe, ihre Liebe zu
allen Geſchöpfen Gottes, zur Natur, die
fie das große Weltgebetbuch nannte. Und
die Liebe drängte zur Tat. Ihr ſehnlichſter
Wunſch war, Gott in den Armen zu dienen.
Mit der Pflege und Erziehung blinder Rin ⸗
der begann ſte; aber bald wuchs ihre
Raritastätigkeit, dehnte ſich weit wie ihre
biebe aus und fand erſt in der Gründung
und Ausgeftaltung ihrer Ordensgenoffen-
ſchaft eine ihrer würdige Lebensaufgabe.
Wir können den Geift dieſes von der
Derlagshandlung vornehm ausgeſtatteten
Buches nicht beſſer kennzeichnen als mit
den Worten des Verfaſſers (8. 24): „&läu-
bige Seelen find ſchöne Seelen... In das
Bolölicht des Glaubens getaucht, werfen
fie das Sonnenlicht auch auf die Pfade
der Mitmenſchen, ihnen dadurch den Weg
erſchließend, der zum Frieden auf Erden
und zur Pforte ewiger Freude führt.“
P. Sebaftian von Oer (Beuron).
Kirchenrecht
Geitner, Martin, Prälat, Hochſchulpro⸗
feſſor in Paſſau, Handbuch des katho⸗
liſchen Kirchenrechts. 4 Lieferung. Sa-
kramente. 2. Aufl. kl. 8° (IV u. 367 8)
Rgsbg. 1924, Röfel u. Puftet. IM. 4.25
Bastien, Dom Pierre, O. 8. B., Direc-
toire canonique d l’usage des Congré-
gations d voeu simples. 3. verm. Aufl.
(XVIu. 4168.) Bruges & Mareòsous 1923,
Ch. Beyaert & Abbaye de Maredsous.
1. Peit ner hat gleich nach Erſcheinen des
Kode begonnen, die kanones des neuen
Seſetzbuches in einem eigenen handͤbuche
zu verarbeiten. Bis jetzt liegen vier Gie-
ferungen vor, die vierte bereits in zweiter
Auflage, ein Beweis für die Brauchbarkeit
des Werkes. Dieſe vierte Lieferung han-
delt von den Sakramenten (und Sakra-
mentalien), bildet alfo eine Erklärung zu
Ran. 731 —1153; jedoch ift zu bemerken,
daß das Sakrament der Weihe in einem
anderen Teil des „Handbuches“ behandelt
iſt. Vielleicht würde es ſich empfehlen, bei
einer Neuauflage es mit in dieſen Band
aufzunehmen, damit alle Sakramente bei⸗
ſammen find, wie fie ja auch der Roder
zuſammen behandelt. Den Sakramentalien
find nur wenige Seiten, dem Ehefakrament
dagegen iſt mehr als die Hälfte des Buches
gewidmet, was bei der beſonderen Bedeu⸗
tung des Cherechts wohlverſtändlich iſt.
Während ſich der Derfaffer ſonſt im großen
und ganzen ziemlich genau an die Stoffe
anorönung des Rodez hält, geht er bei
Behandlung des Eherechts davon ab und
hält ſich an die Anoronung, die er auch in
feinem „Lehrbuch des Eherechts“ getroffen
hat. Das muß m. E. als ein Nachteil und
eine Erſchwerung in der handhabung des
Buches bezeichnet werden; denn die Anſicht,
die der Derfaffer im Vorwort zur erſten
bieferung feines „Handbuches“ ausſpricht,
daß in Deutſchland und öſterreich · Ungarn
nur wenige Glückliche ſich des Beſitzes des
Rode erfreuen können, trifft heute Raum
mehr zu, wenigſtens nicht für die jüngere
Generation des Klerus. Infolgedeſſen wird
wohl jeder bei Rechtsfragen zunächſt nach
dem Geſetzbuch ſelbſt greifen; und wäre
dies nicht der Fall, ſollte er eben dazu an-
geleitet werden. Bleiben nach Benutzung
des Geſetzbuches noch Fragen ungelöft und
greift man dann zu Handbüchern oder
Kommentaren, dann iſt es ſicher unprak⸗
tiſch und umſtändlich, wenn man den Ra⸗
non an mehreren Stellen zuſammenſuchen
muß, zumal wenn ein ausführliches Re⸗
giſter fehlt. Auch rein wiſſenſchaftlich hat
die Stoffanorönung, wie fie Leitner bietet,
ihre Mängel; befonders gilt dies bezüglich
der Ehehinderniffe. Irrtum, Gewalt und
Furcht zum Beiſpiel machen felbftver-
ſtändlich nach wie vor je nach den Umſtän ;
den die Ehe ungültig, gelten aber rechtlich
nicht mehr als „Ehehindernis“, find alfo
auch nicht mehr als ſolche zu bezeichnen,
andernfalls wird der Begriff des Ehehinder-
niſſes, der im Rodeg nun klar und ſcharf
herausgearbeitet iſt, wieder verwiſcht und
undeutlich. Überhaupt ift gerade der Ab-
ſchnitt über die Ehe im Kodex fo lichtvoll
und folgerichtig aufgebaut, daß ein wefent-
liches Abweichen von dieſer Stoffanorönung
die Wiſſenſchaftlicheit mindeſtens nicht
fördert. — Im übrigen kann das Werk nur
recht empfohlen werden, befonders für die
praktiſchen Bedürfniffe des Seelſorgers, die
es ja vor allem im Auge hat.
2. Das bereits vor dem Erfcheinen des Co-
dex iuris canonici von D. Bastien heraus-
gegebene Directoire canonique — ins
Deutſche überſetzt von P. Konrad Elfner
O. 8. B. unter dem Titel „Kirchenrechtliches
Handbuch für die religiõſen Genoffenfchaften
mit einfachen Gelübden“ (Freiburg 1911) —
iſt nunmehr in dritter Auflage erſchienen
und zwar unter Berückſichtigung der Be⸗
ſtimmungen des neuen kirchlichen Gefeß-
buches. Der Derfaffer hat die Anordnung
des Stoffes genau wie in den früheren
Auflagen beibehalten. Ob nicht auch er
beſſer daran getan hätte, ſich an die Stoff-
anordnung des Rodez zu halten? Für das
Handhaben des kirchlichen Geſetzbuches
ſelbſt wäre dies zweifellos vorteilhafter
geweſen. Aber auch ſo behält das Werk
ſeinen großen praktiſchen Wert. Und für
die Praxis ift es vor allem beftimmt; es
will nicht fo ſehr ein Dehrbuch für die Schule
als vielmehr ein handbuch für das Geben
fein. Für die Zuverläſſigkeit der Lehre
439
bürgt der Umftand, daß P. Bastien ſchon
ſeit Jahren Konſultor der rõömiſchen „Aon«
gregation für Ordensleute“, ferner der
„Kardinalskommilfion für die authentiſche
Interpretation des Roder“ und Profeſſor
des kanoniſchen Rechts an der internatio-
nalen Benediktiner-Univerfität 8. Anſelmo
in Rom iſt. Man kann das Werk un⸗
bedenklich als das beſte kirchenrechtliche
Handbuch für nichtklerikale Genoſſenſchaf⸗
ten mit einfachen Gelübden bezeichnen.
Hafen, Dr. Joſef, Domvikar und Dozent
für Kirchenrecht in Speyer, Die ktinder⸗
kommunion im neuen Rechtsbuche und
in der ſeelſorglichen Praxis. 8° (VIII und
125 8.) Limburg 1920, Steffen.
Vielerorts hält man noch mit der Durch-
führung der kirchlichen Vorſchriften be⸗
züglich der Frühkommunion der Kinder
zurück, manchmal aus ſcheinbar wichtigſten
Gründen. Da iſt vorliegende Schrift vor⸗
trefflich geeignet, etwaige Bedenken zu be⸗
ſeitigen und dem Kinde zu ſeinem Rechte
zu verhelfen. Die kirchlichen Rechtsbeſtim⸗
mungen werden hier gediegen erläutert
und überſichtlich wiedergegeben, wobei klar
gezeigt wird, daß die grundſätzlichen For-
derungen der unter Pius X. erlaſſenen
Dekrete und des Kodez die gleichen find.
Auf dieſem grundlegenden erften Teil baut
der zweite auf, der die Ainderkommunion
in der ſeelſorglichen Praꝑis behandelt. Dom
pſuchologiſchen, pãdagogiſchen und paſto⸗
tralen Standpunkte aus wird das Für und
Wider ſorgfältig abgewogen. Der Ver⸗
faſſer läßt ſich dabei nicht fo ſehr von ab-
ſtrakten Erwägungen leiten; er bietet viel-
mehr ein umfangreiches Tatſachenmaterial
aus den verſchiedenartigſten Seelſorgs ver;
hältniffen u. erweift damit, daß die behre der
Kirche im Geben gut durchführbar ift und
großen Segen ſtiftet. Die Erfahrung ſtimmt
mit dem überein, was das Recht fordert.
Vielleicht wäre 8. 56 in dem Abſchnitt
über erweiterte Gebetsübung ein Wort an-
gebracht über die Auffaffung der heiligen
Kommunion als Beſtandteil des meß⸗
opfers und über Vorbereitung darauf im
Anſchluß an die liturgiſchen Gebete des
meßbuchs. — Die große Liebe des Der-
faffers zum Kinde, feine Ehrfurcht und
Hochachtung vor deſſen ftriktem Rechte auf
die heilige Euchariſtie möchte man allen
440
wünſchen, die dafür zu ſorgen haben, daß
das Rind ſich früh genug, in unverfehrter
Unſchuld, dem Tiſch des herrn naht.
Sindner, Dr. Dominikus, Die Anftel-
lung der Bilfspriefter. Eine kirchenrechts⸗
geſchichtliche Unter ſuchung. [Münchener
Studien zur hiſtor. Theologie, Heft 3.] gr. 8°
(VIII u. 157 8.) Kempten 1924, Röſel &
Puſtet. II. 3.30
Größere Unterſuchungen auf dem Ge-
biete der kirchlichen Rechtsgeſchichte ſind
ſeit dem Erſcheinen des Kodez bis jetzt noch
ſelten. 8o begrüßt man ſchon aus dieſem
Grunde die Veröffentlichung Linöners.
Aber auch ſonſt müßte man es tun; denn
die Arbeit kann in jeder hinſicht als mufter-
gültig bezeichnet werden. Sorgfältige
Verarbeitung eines reichen Quellen - und
biteraturmaterials, folide wiſſenſchaftliche
methode, klare anſprechende Darſtellung
verbinden ſich, um uns die geſchichtliche
Entwicklung des heutigen biſchöflichen Er⸗
nennungsrechtes, wie es in Ran. 476, 8 3
C. J. C.: »Non ad parochum, sed ad loci
Ordinarium, audito parocho, competit
ius nominandi vicarios cooperatores e
clero saeculari« feſtgeſetzt ift, in ihren
Grundzügen überzeugend zum Bewußtſein
zu bringen. Während bis zum 9. Jahr-
hundert die Anſtellung der hilfsprieſter
ausſchließliches Recht des Biſchofs war, da
mit der Weihe immer auch zugleich die
Anftellung gegeben war, bahnte ſich vom
9. Jahrhundert an beſonders unter dem
Einfluß des Eigenkirchenweſens eine Än-
derung in dieſer Beziehung an. Das Ende
der Entwicklung war, daß ſeit dem 12.
Jahrhundert die Anftellung der Hilfsprieſter
nicht mehr in den händen des Biſchofs lag,
fondern in der Regel Sache des Pfarrers
war. Dieſes Recht, das ſich auf dem Wege
der Gewohnheit in den einzelnen kirchlichen
Gebieten gebildet hatte, erhob das Triden-
tinum zum gemeinen Recht, jedoch ſo, daß
die Pfarrer nur vom Biſchof approbierte
Hilfsprieſter anftellen durften. Auf Grund
dieſer Alaufel wird im 17. und 18. Jahr-
hundert das pfarrliche Anſtellungsrecht in
einzelnen Gebieten vom biſchöflichen ab⸗
gelöſt. Im 19. Jahrhundert aber kehrt
unter dem Einfluß verſchiedener Faktoren
das Unſtellungsrecht der Hilfspriefter über
all wieder in die hände des Biſchofs zu⸗
rück. Was ſich ſo auf dem Wege der
Gewohnheit gebildet hatte, legte nun der
Roder im oben angegebenen Kanon ge⸗
ſetzlich feſt. Das Buch iſt nicht nur für
Fachgelehrte in Kirchenrecht und Rirchen-
geſchichte von Intereſſe, ſondern kann auch
allgemein zu vertiefter Auffaffung des
Amtes der Pfarrer und der hilfsprieſter
beitragen. f
P. Suſo Mayer (Beuron.)
P. Hildebrand Bihlmeyer ift am 15. September in Gott verſchieden; er war ein
vorbildlicher Mönch und Prieſter, ein fleißiger Gelehrter und Schriftſteller. Wir wer-
den über ihn einen eigenen Kufſatz bringen.
Johannes u. Martin. Ulach St. Gregor hat St. Benedikt auf dem Mons Cassinum
ein Martins heiligtum und eines zum hl. Johannes errichtet. Darum vereint heute
ein Relief beide heiligen in der dortigen Unterkirche gegenüber dem Hauptaltar.
Zwei Patrone der Mönche, zwei Männer; beide voll Liebe zum Erlöfer und voll Herz
für fein Dolk. Unſeren Vätern waren fie teuer. Sie ſollten es auch uns wieder fein:
der heilige des November und der Rufer im Aövent = Dezember.
Den Bezugspreis haben wir, um den Idealismus des Verlags und der Mit ⸗
arbeiter nicht zu ſehr zu belaſten, leider erhöhen müſſen. Wir werden aber zugleich
Inhalt und Umfang erhöhen, beſſeres Papier, regelmäßig 80 Seiten, 2 Beilagen und
gelegentlich Teztbilder bieten. Wir waren beſtrebt, den Preis noch niedrig zu halten
und hoffen, daß unſere Geferfchaft ſich To erfreulich mehrt wie in dieſem Jahre.
Ein Proſpekt des Grünewaldverlages über: Paul Rießler, Die 91. Schrift
des Alten Bundes II. Band liegt dieſem Hefte bei.
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Berausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern),
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade,
gedrukt und verlegt vom Runſtverlag Beuron.
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